URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
28. Februar 2013(*)
„Freier Kapitalverkehr – Einkommensteuer – Einkünfte aus Kapitalvermögen – Doppelbesteuerungsabkommen – Dividenden, die von Gesellschaften mit Sitz in Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten ausgeschüttet werden – Ermittlung des Höchstbetrags für die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf die inländische Einkommensteuer – Nichtberücksichtigung der persönlichen Kosten und der mit der Lebensführung verbundenen Kosten – Rechtfertigung“
In der Rechtssache C-168/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 2011, in dem Verfahren
Manfred Beker,
Christa Beker
gegen
Finanzamt Heilbronn
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung von A. Rosas (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus, A. Ó Caoimh, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Beker und Frau Beker, vertreten durch Rechtsanwalt M. Beker,
– des Finanzamts Heilbronn, vertreten durch W. Steinacher und M. Ritter von Rittershain als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch J.-S. Pilczer als Bevollmächtigten,
– der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juli 2012
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Herrn und Frau Beker gegen das Finanzamt Heilbronn wegen der im Rahmen der Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorzunehmenden Ermittlung des Höchstbetrags für die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf die tarifliche Einkommensteuer, die auf das unbeschränkt zu versteuernde Einkommen zu entrichten ist.
Rechtlicher Rahmen
Die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
3 Die Frage, ob es der Bundesrepublik Deutschland gestattet ist, auf ausländische Einkünfte Steuern zu erheben, und, falls ja, ob dabei die ausländische Quellensteuer zu berücksichtigen ist, wird hinsichtlich des Ausgangsrechtsstreits durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung geregelt, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik (Abkommen vom 21. Juli 1959 in geänderter Fassung), dem Großherzogtum Luxemburg (Abkommen vom 23. August 1958 in geänderter Fassung), dem Königreich der Niederlande (Abkommen vom 16. Juni 1959), der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Abkommen vom 11. August 1971), den Vereinigten Staaten von Amerika (Abkommen vom 29. August 1989 in geänderter Fassung) und Japan (Abkommen vom 22. April 1966) geschlossen wurden.
4 Erzielt eine in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person in einem anderen Staat Einkünfte aus Kapitalvermögen, so wird nach diesen Doppelbesteuerungsabkommen in dem letztgenannten Staat eine Quellensteuer einbehalten. Die gemäß den genannten Abkommen einbehaltene Quellensteuer ist auf die in Deutschland zu entrichtende Einkommensteuer anzurechnen. Wegen der Einzelheiten dieser Anrechnung verweisen die von der Bundesrepublik Deutschland mit der Französischen Republik, der Schweizerischen Eidgenossenschaft, den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan geschlossenen Abkommen auf das deutsche Steuerrecht.
Deutsches Recht
5 Nach § 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des für das Jahr 2007 geltenden Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl. 2006 I S. 2878, im Folgenden: EStG) sind in Deutschland ansässige natürliche Personen in diesem Mitgliedstaat unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
6 § 2 EStG bestimmt:
„(1) Der Einkommensteuer unterliegen
…
5. Einkünfte aus Kapitalvermögen,
…
die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Zu welcher Einkunftsart die Einkünfte im einzelnen Fall gehören, bestimmt sich nach den §§ 13 bis 24.
(2) Einkünfte sind
1. bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn (§§ 4 bis 7k),
2. bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 bis 9a).
(3) Die Summe der Einkünfte, vermindert um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Abs. 3, ist der Gesamtbetrag der Einkünfte.
(4) Der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen, ist das Einkommen.
(5) Das Einkommen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge, ist das zu versteuernde Einkommen; dieses bildet die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer. Knüpfen andere Gesetze an den Begriff des zu versteuernden Einkommens an, ist für deren Zweck das Einkommen in allen Fällen des § 32 um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 zu vermindern. …“
7 § 34c Abs. 1 EStG bestimmt:
„Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt. Die auf diese ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens – einschließlich der ausländischen Einkünfte – nach den §§ 32a, 32b, 32c, 34 und 34b ergebende deutsche Einkommensteuer im Verhältnis dieser ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt wird. Bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte sind die ausländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden. … Die ausländischen Steuern sind nur insoweit anzurechnen, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen.“
8 § 34c Abs. 2 EStG sieht vor:
„Statt der Anrechnung (Absatz 1) ist die ausländische Steuer auf Antrag bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen, soweit sie auf ausländische Einkünfte entfällt, die nicht steuerfrei sind.“
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage
9 Die Kläger des Ausgangsverfahrens wurden als Ehegatten in Deutschland zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei wurden sie mit ihrem gesamten Welteinkommen steuerlich veranlagt. Im streitigen Steuerjahr 2007 bezogen sie neben ihren aus Deutschland stammenden Einkünften auch Kapitaleinkünfte aus ihren Minderheitsbeteiligungen an verschiedenen Kapitalgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, nämlich der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande, bzw. in Drittstaaten, nämlich der Schweizerischen Eidgenossenschaft, den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan. Für diese Beteiligungen erhielten die Kläger des Ausgangsverfahrens Dividenden in Höhe von insgesamt 24 111,29 Euro, für die in den verschiedenen Quellenstaaten ausländische Steuern in Höhe von insgesamt 2 853,02 Euro entrichtet wurden.
10 Nach den Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten, aus denen diese Dividenden stammen, darf Deutschland als Wohnsitzstaat der Kläger des Ausgangsverfahrens Dividenden ausländischen Ursprungs besteuern. Zur Vermeidung einer juristischen Doppelbesteuerung dieser Dividenden wird die ausländische Quellensteuer auf die tarifliche Einkommensteuer bis zur Höhe der deutschen Steuer angerechnet, die auf die betreffenden Einkünfte entfällt.
11 § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG (im Folgenden: streitige Regelung) sieht eine durch einen Höchstbetrag begrenzte Anrechnung der im Ausland einbehaltenen Quellensteuer auf die tarifliche Einkommensteuer vor, die der Steuerpflichtige auf das unbeschränkt zu versteuernde Einkommen zu entrichten hat. Zur Berechnung dieses Höchstbetrags wird der Betrag der tariflichen Einkommensteuer mit dem Quotienten multipliziert, der sich aus den ausländischen Einkünften und dem Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt. In dem letztgenannten Betrag sind jedoch die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personenbezogenen Umstände nicht berücksichtigt, während diese Ausgaben bei der Berechnung der tariflichen Einkommensteuer berücksichtigt werden.
12 Der Betrag der auf die ausländischen Einkünfte entfallenden deutschen Einkommensteuer (Höchstbetrag für die Anrechnung der ausländischen Steuer) wird nach der streitigen Regelung auf die Weise berechnet, dass der Betrag der tariflichen Einkommensteuer mit dem Quotienten (Bruch) aus dem Betrag der ausländischen Einkünfte und dem Gesamtbetrag der Einkünfte des Steuerpflichtigen wie folgt multipliziert wird:
13 Im vorliegenden Fall belief sich der Höchstbetrag für die Anrechnung ausländischer Quellensteuern nach den Berechnungen des Finanzamts Heilbronn auf 1 282 Euro, so dass es diesen Betrag auf die von den Klägern des Ausgangsverfahrens zu entrichtende tarifliche Einkommensteuer anrechnete.
14 Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim Finanzgericht Baden-Württemberg Klage mit dem Antrag, ihren Steuerbescheid zu ändern und ihre Einkommensteuer für das streitige Steuerjahr um 1 200 Euro zu ermäßigen, weil sich die deutschen Behörden für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags auf die Summe der Einkünfte vor Berücksichtigung der allgemeinen Abzüge für Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen wie die Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände gestützt hätten.
15 Da ihre Klage gegen diesen Steuerbescheid abgewiesen wurde, legten die Kläger des Ausgangsverfahrens Revision beim Bundesfinanzhof ein.
16 Da der Bundesfinanzhof Zweifel hat, ob die in der streitigen Regelung vorgesehene Methode zur Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags mit dem Unionsrecht vereinbar ist, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 63 AEUV der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach welcher – in Einklang mit zwischenstaatlichen Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung – bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der inländischen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, die ausländische Steuer auf die inländische Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt, in der Weise angerechnet wird, dass die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens – einschließlich der ausländischen Einkünfte – ergebende inländische Einkommensteuer im Verhältnis dieser ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte – und damit unter Nichtberücksichtigung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände – aufgeteilt wird?
Zur Vorlagefrage
17 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der im Rahmen eines Systems zur Minderung der Doppelbesteuerung bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer Steuer herangezogen werden, die der von dem genannten Mitgliedstaat erhobenen Einkommensteuer entspricht, die ausländische Steuer auf die Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat in der Weise angerechnet wird, dass der Betrag der Steuer, die auf das in dem Mitgliedstaat zu versteuernde Einkommen – einschließlich der ausländischen Einkünfte – zu entrichten ist, mit dem Quotienten multipliziert wird, der sich aus den ausländischen Einkünften und der Summe der Einkünfte ergibt, wobei in dem letztgenannten Betrag Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände nicht berücksichtigt sind.
Vorbemerkung
18 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, der Vorlagebeschluss weiche von ihrem Anliegen ab, dass die ausländische Quellensteuer insoweit auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet werde, als sich durch die Berücksichtigung der ausländischen Einkünfte die deutsche Einkommensteuer erhöhe. Der Vorlagebeschluss gebe ihr Anliegen nicht vollständig wieder, da er nicht die allen Steuerpflichtigen zustehenden Grundfreibeträge und niedrigen Eingangssteuersätze berücksichtige, sondern nur „die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie die personen- und familienbezogenen Umstände“. Würde der Gerichtshof nur die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage bejahen und in deren engem Rahmen verfahren, würde sich die Verhältnisrechnung des Anteils der ausländischen Einkünfte nicht entsprechend dem Vorgehen des Finanzamts Heilbronn auf die Summe der Einkünfte, sondern auf das berechnete steuerpflichtige Einkommen beziehen.
19 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 27, und vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C-41/11, Randnr. 35).
20 Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Frage des vorlegenden Gerichts von einem dieser Fälle erfasst wird. Ganz im Gegenteil ist hervorzuheben, dass – wie aus Nr. 20 der Schlussanträge des Generalanwalts hervorgeht – das vorlegende Gericht im letzten Teil des Vorlagebeschlusses darauf hinweist, dass sich der bei ihm gestellte Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens ausdrücklich auf den Unterschiedsbetrag beschränke, der sich ergebe, wenn bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags die steuerlich abziehbaren Kosten der Lebensführung einbezogen würden, und dass es aufgrund nationaler Verfahrensvorschriften daran gehindert sei, über diesen Antrag hinauszugehen.
21 Daher besteht auch kein Anlass, die Vorlagefrage umzuformulieren.
Zu der in Rede stehenden Freiheit
22 Die Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind übereinstimmend der Ansicht, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Freiheit um den in Art. 63 AEUV verankerten freien Kapitalverkehr handelt.
23 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die steuerliche Behandlung von Dividenden unter Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit und unter Art. 63 AEUV über den freien Kapitalverkehr fallen kann (Urteile vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C-436/08 und C-437/08, Slg. 2011, I-305, Randnr. 33, und vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-35/11, Randnr. 89).
24 In Bezug auf die Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere Verkehrsfreiheit fällt, ist nach ständiger Rechtsprechung auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).
25 Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Im vorliegenden Fall ist die streitige Regelung unabhängig von der Höhe der Beteiligung an einer Gesellschaft anwendbar. Soweit sich diese Regelung auf Dividenden bezieht, deren Quelle in einem Mitgliedstaat liegt, erlaubt es der Gegenstand dieser Regelung somit nicht, zu bestimmen, ob diese vorwiegend unter Art. 49 AEUV oder unter Art. 63 AEUV fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 93).
28 In solchen Fällen berücksichtigt der Gerichtshof die tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles, um zu bestimmen, von welcher dieser Bestimmungen die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Situation erfasst wird (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Ausgangsverfahren die in Deutschland vorgenommene Besteuerung von Dividenden betrifft, die in diesem Mitgliedstaat ansässige natürliche Personen aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat beziehen, die weniger als 10 % des Kapitals dieser Gesellschaften betragen. Beteiligungen dieser Größenordnung ermöglichen es aber nicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaften auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.
30 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus einem Drittland, die nicht ausschließlich für Situationen gilt, in denen die Muttergesellschaft entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt, die die Dividenden ausschüttet, nach Art. 63 AEUV zu beurteilen ist (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 99).
31 Demnach ist eine Regelung wie die streitige ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen, der in Art. 63 AEUV verankert ist und auf den sich die Frage des vorlegenden Gerichts bezieht.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
32 Nach ständiger Rechtsprechung bleiben die Mitgliedstaaten in Ermangelung von Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen der Europäischen Union dafür zuständig, die Kriterien für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens festzulegen, um – gegebenenfalls im Vertragsweg – die Doppelbesteuerung zu beseitigen. Dabei können die Mitgliedstaaten im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Steuerhoheit festlegen (vgl. u. a. Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 57, vom 12. Dezember 2002, de Groot, C-385/00, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 93, vom 19. Januar 2006, Bouanich, C-265/04, Slg. 2006, I-923, Randnr. 49, und vom 16. Oktober 2008, Renneberg, C-527/06, Slg. 2008, I-7735, Randnr. 48).
33 Diese Aufteilung der Steuerhoheit erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom AEU-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (Urteil Renneberg, Randnr. 50).
34 Bei der Ausübung der in dieser Weise in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen aufgeteilten Steuerhoheit sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, den Unionsvorschriften nachzukommen (Urteile de Groot, Randnr. 94, und Renneberg, Randnr. 51).
35 Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt weiter, dass zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche gehören, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteile vom 25. Januar 2007, Festersen, C-370/05, Slg. 2007, I-1129, Randnr. 24, vom 18. Dezember 2007, A, C-101/05, Slg. 2007, I-11531, Randnr. 40, und Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, Randnr. 50).
36 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die in der streitigen Regelung vorgesehene Methode zur Berechnung des Höchstbetrags für die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer die Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen nicht vollständig berücksichtigt.
37 Nach der streitigen Regelung wird der Anrechnungshöchstbetrag nämlich unter Anwendung einer Formel ermittelt, bei der die tarifliche Einkommensteuer, d. h. die Steuer, die der Steuerpflichtige entrichten müsste, wenn er sämtliche Einkünfte in Deutschland erzielt hätte, mit dem Quotienten multipliziert wird, dessen Zähler aus den ausländischen Einkünften und dessen Nenner aus der Summe der Einkünfte besteht.
38 Das gesamte zu versteuernde Einkommen, auf dessen Grundlage die tarifliche Einkommensteuer berechnet wird, die den ersten Teil dieser Formel bildet, wird auf die Weise ermittelt, dass bei der Summe der Einkünfte – unabhängig von dem Ort, an dem sie bezogen wurden – sämtliche nach deutschem Recht zulässige Abzüge vorgenommen werden, insbesondere also diejenigen für die Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen. Dagegen werden diese Kosten von der Summe der Einkünfte, die im Nenner des Bruchs steht, der den zweiten Teil der Formel bildet, nicht abgezogen.
39 In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass als Nenner des im zweiten Teil der Formel enthaltenen Bruchs die Summe der Einkünfte und nicht das zu versteuernde Einkommen verwendet wird, zu einer Verringerung des Anrechnungshöchstbetrags führt, der dem Steuerpflichtigen gewährt werden kann.
40 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 34 und 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, scheint die der streitigen Regelung zugrunde liegende Logik die zu sein, dass der ansässige Steuerpflichtige von den personen- und familienbezogenen Abzügen dann voll profitiert, wenn seine gesamten Einkünfte in Deutschland bezogen wurden, wohingegen dies nicht der Fall ist, wenn ein Teil seiner Einkünfte im Ausland bezogen wurde.
41 Vergleichbar mit der im Urteil de Groot in Rede stehenden Regelung berücksichtigt nämlich eine Regelung eines Mitgliedstaats wie die streitige Regelung zwar die Abzüge, die den Sonderausgaben und den außergewöhnlichen Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände entsprechen, um den theoretischen Betrag der Steuer auf die Gesamteinkünfte der Steuerpflichtigen zu berechnen, jedoch führt eine solche Regelung in der Praxis dazu, dass den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, die einen Teil ihrer Einkünfte im Ausland bezogen haben, die Abzüge, die diesen Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen entsprechen, nur anteilig für die von ihnen im Wohnsitzstaat bezogenen Einkünfte gewährt werden.
42 Zu einem gewissen Anteil werden die Abzüge somit vom letztgenannten Mitgliedstaat bei der Berechnung der Einkommensteuer dieser Steuerpflichtigen nicht berücksichtigt.
43 Wie jedoch insbesondere aus Randnr. 90 des Urteils de Groot hervorgeht, ist es grundsätzlich Sache des Wohnsitzstaats, dem Steuerpflichtigen sämtliche an seine persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren, da dieser Staat am besten die persönliche Steuerkraft des Steuerpflichtigen beurteilen kann, weil dieser dort den Mittelpunkt seiner persönlichen und seiner Vermögensinteressen hat.
44 Aus dem genannten Urteil geht weiter hervor, dass der Mitgliedstaat, aus dem die Einkünfte stammen, nur dann zur Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation verpflichtet ist, wenn der Steuerpflichtige sein gesamtes oder nahezu gesamtes zu versteuerndes Einkommen aus diesem Staat bezieht und in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte hat, so dass der Wohnsitzstaat nicht in der Lage ist, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil de Groot, Randnr. 89).
45 Die im Urteil de Groot aufgestellten Grundsätze erscheinen voll und ganz auf die vorliegende Rechtssache übertragbar, obgleich das genannte Urteil die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betrifft und der Sachverhalt des ihm zugrunde liegenden Rechtsstreits gewisse Unterschiede zur Situation der Kläger des Ausgangsverfahrens aufweist.
46 Entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 44 seiner Schlussanträge ist darauf hinzuweisen, dass in dieser Hinsicht unerheblich ist, dass die im Urteil de Groot in Rede stehende Regelung zur Minderung der Doppelbesteuerung im Unterschied zur streitigen Regelung kein Anrechnungssystem vorsah, sondern ein Befreiungssystem.
47 Der Gerichtshof hat seine Prüfung in dem genannten Urteil nämlich auf die in der betreffenden Regelung verwendete Formel für die Berechnung der dem ansässigen Steuerpflichtigen zu gewährenden Befreiung für die von ihm in den verschiedenen Beschäftigungsstaaten bezogenen und versteuerten Einkünfte sowie auf die konkrete Auswirkung dieser Formel konzentriert. Diese Auswirkung bestand wie im vorliegenden Ausgangsverfahren darin, dass dem Steuerpflichtigen die an seine familiäre und persönliche Situation geknüpften Abzüge nur entsprechend seinen im Wohnsitzmitgliedstaat bezogenen Einkünften gewährt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil de Groot, Randnr. 91).
48 Insoweit ist hinzuzufügen, dass die Methode, die in der im Urteil de Groot in Rede stehenden Regelung zur Minderung der Doppelbesteuerung verwendet wurde, anscheinend eine Variante der Befreiungsmethode ist, die so konzipiert ist, dass sie in der Praxis einem Anrechnungssystem entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil de Groot, Randnrn. 21 bis 23).
49 Schließlich kann das Vorbringen der deutschen Regierung nicht durchgreifen, das im Wesentlichen dahin geht, dass die streitige Regelung deshalb nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, weil sämtliche personen- und familienbezogenen Abzüge bei der Berechnung der tariflichen Einkommensteuer berücksichtigt worden seien, die den ersten Teil der Formel zur Ermittlung des Höchstbetrags für die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer bilde.
50 Auch nach der im Urteil de Groot in Rede stehenden Regelung wurden nämlich die an die familiäre und persönliche Situation des Steuerpflichtigen geknüpften Abzüge im Stadium der Berechnung des theoretischen Betrags der Steuer auf die Gesamteinkünfte des Steuerpflichtigen berücksichtigt, der den ersten Teil der in jener Regelung vorgesehenen Formel für die Berechnung des Betrags der dem Steuerpflichtigen zu gewährenden Befreiung bildete. Ähnlich wie es in der streitigen Regelung vorgesehen ist, führte jedoch die Anwendung des Bruchs, der den zweiten Teil der Formel bildete, dazu, dass dem Steuerpflichtigen die an seine familiäre und persönliche Situation geknüpften Abzüge nur entsprechend seinen im Wohnsitzmitgliedstaat bezogenen Einkünften gewährt wurden.
51 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, die einen Teil ihrer Einkünfte im Ausland bezogen haben, gegenüber den in demselben Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen benachteiligt sind, die ihre gesamten Einkünfte in dem letztgenannten Staat bezogen haben und denen folglich sämtliche Abzüge gewährt werden, die den Sonderausgaben und den außergewöhnlichen Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände entsprechen.
52 Eine solche Ungleichbehandlung kann daher Personen, die in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtig sind, davon abhalten, ihr Kapital in Gesellschaften zu investieren, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat haben.
53 Folglich stellt eine Regelung eines Mitgliedstaats wie die streitige Regelung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 AEUV dar.
Zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
54 Hilfsweise beruft sich die deutsche Regierung zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs auf Erwägungen, die die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten betreffen.
55 Bei der Anrechnung der ausländischen Quellensteuer könnten nach diesem Prinzip nur solche Aufwendungen oder Kosten abgezogen werden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Steuersubstrat stünden, auf das ein Mitgliedstaat aufgrund der Aufteilung der Besteuerungshoheit in Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Mitgliedstaaten Zugriff habe. Die Nachteile, die aus der Nichtberücksichtigung der persönlichen Lebensverhältnisse des Steuerpflichtigen bei der Besteuerung der ausländischen Einkünfte im Quellenstaat entstünden, müsse der Wohnsitzstaat daher nicht kompensieren.
56 Zwar kann die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung der Ausübung einer Verkehrsfreiheit innerhalb der Union rechtfertigen kann, jedoch ist festzustellen, dass eine solche Rechtfertigung vom Gerichtshof im Urteil de Groot abgelehnt wurde, in dem es um eine Regelung ging, die mit der streitigen Regelung vergleichbar ist. Wie der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht aus den Randnrn. 98 bis 101 des genannten Urteils nämlich hervor, dass sich der Wohnsitzstaat eines Steuerpflichtigen nicht auf eine solche Rechtfertigung berufen kann, um sich der grundsätzlich ihm obliegenden Verantwortung zu entziehen, die dem Steuerpflichtigen zustehenden personen- und familienbezogenen Abzüge zu gewähren, es sei denn, die Staaten, in denen ein Teil der Einkünfte bezogen wurde, gewähren diese Abzüge auf freiwilliger Basis oder auf der Grundlage besonderer internationaler Abkommen.
57 Eine Rechtfertigung mit der Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten kann jedenfalls insbesondere dann anerkannt werden, wenn mit der betreffenden Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz, C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Randnr. 42, vom 18. Juli 2007, Oy AA, C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 54, und vom 21. Januar 2010, SGI, C-311/08, Slg. 2010, I-487, Randnr. 60).
58 Im vorliegenden Fall würde dieses Recht aber nicht gefährdet, wenn die Bundesrepublik Deutschland den Klägern des Ausgangsverfahrens die personen- und familienbezogenen Abzüge in vollem Umfang gewähren würde. Dieser Mitgliedstaat würde nicht auf einen Teil seiner Steuerhoheit zugunsten anderer Mitgliedstaaten verzichten. Die in Deutschland von den Klägern des Ausgangsverfahrens bezogenen Einkünfte würden nicht weniger besteuert als dann, wenn es sich um die einzigen Einkünfte der Betroffenen handelte und diese keine ausländischen Einkünfte bezogen hätten.
59 Die deutsche Regierung ist insofern im Wesentlichen der Ansicht, dass die personen- und familienbezogenen Abzüge, da sie nicht mit bestimmten Einkunftsteilen in Zusammenhang stünden, das Welteinkommen belasteten und daher homogen auf das Gesamteinkommen – in- und ausländischer Herkunft – des Steuerpflichtigen anzurechnen seien, so dass ihre Berücksichtigung proportional zum Anteil der in Deutschland bezogenen Einkünfte am Gesamteinkommen beschränkt sein könne.
60 Aus der in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass diese Abzüge grundsätzlich in vollem Umfang vom Wohnsitzstaat berücksichtigt werden müssen. Daraus folgt, dass sie, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, grundsätzlich in vollem Umfang auf den Teil des Einkommens des Steuerpflichtigen entfallen müssen, der in diesem Staat bezogen wurde.
61 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass das deutsche Recht die Möglichkeit vorsieht, ein anderes System als die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf die deutsche Steuer zu wählen, nämlich den Abzug der ausländischen Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage.
62 Selbst wenn ein solches System mit dem Unionsrecht vereinbar wäre, ist der Rechtsprechung jedoch zu entnehmen, dass eine die Verkehrsfreiheiten beschränkende nationale Regelung auch dann mit dem Unionsrecht unvereinbar sein kann, wenn ihre Anwendung fakultativ ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 162, und vom 18. März 2010, Gielen, C-440/08, Slg. 2010, I-2323, Randnr. 53). Daher kann das Bestehen einer Wahlmöglichkeit, die unter Umständen zu einer Vereinbarkeit einer Situation mit dem Unionsrecht führen könnte, für sich allein nicht die Rechtswidrigkeit eines Systems wie das in der streitigen Regelung vorgesehene heilen, das ein mit dem Unionsrecht unvereinbares Besteuerungsverfahren enthält. Dies gilt erst recht, wenn wie im vorliegenden Fall das mit dem Unionsrecht unvereinbare Verfahren dasjenige ist, das automatisch angewandt wird, wenn der Steuerpflichtige keine Wahl getroffen hat.
63 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der im Rahmen eines Systems zur Minderung der Doppelbesteuerung bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer Steuer herangezogen werden, die der von dem genannten Mitgliedstaat erhobenen Einkommensteuer entspricht, die ausländische Steuer auf die Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat in der Weise angerechnet wird, dass der Betrag der Steuer, die auf das in dem Mitgliedstaat zu versteuernde Einkommen – einschließlich der ausländischen Einkünfte – zu entrichten ist, mit dem Quotienten multipliziert wird, der sich aus den ausländischen Einkünften und der Summe der Einkünfte ergibt, wobei in dem letztgenannten Betrag Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände nicht berücksichtigt sind.
Kosten
64 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der im Rahmen eines Systems zur Minderung der Doppelbesteuerung bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer Steuer herangezogen werden, die der von dem genannten Mitgliedstaat erhobenen Einkommensteuer entspricht, die ausländische Steuer auf die Einkommensteuer in diesem Mitgliedstaat in der Weise angerechnet wird, dass der Betrag der Steuer, die auf das in dem Mitgliedstaat zu versteuernde Einkommen – einschließlich der ausländischen Einkünfte – zu entrichten ist, mit dem Quotienten multipliziert wird, der sich aus den ausländischen Einkünften und der Summe der Einkünfte ergibt, wobei in dem letztgenannten Betrag Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen als Kosten der persönlichen Lebensführung sowie der personen- und familienbezogenen Umstände nicht berücksichtigt sind.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Deutsch.