SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 11. Juni 2013(1)
Verbundene Rechtssachen C‑618/11, C‑637/11 und C‑659/11
TVI Televisão Independente SA
gegen
Fazenda Pública
(Vorabentscheidungsersuchen des Supremo Tribunal Administrativo [Portugal])
„Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates – Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. c – Richtlinie 2006/112/EG des Rates – Art. 78 Buchst. a und Art. 79 Buchst. c – Besteuerungsgrundlage – Einbeziehung von Abgaben in die Besteuerungsgrundlage – Vorführungsabgabe – ‚Steuersubstitution‘“
1. Mit den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen stellt das Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) die Frage, ob eine auf die Vorführung und Sendung von Werbung erhobene „Vorführungsabgabe“, die den Werbenden in Rechnung gestellt, aber von den Dienstleistungserbringern (Steuersubstituten) an den Staat gezahlt wird, in die Besteuerungsgrundlage zum Zweck der Berechnung der Mehrwertsteuer einzubeziehen ist, d. h. ob Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a oder ob Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie(2) Anwendung findet. Die Rechtssachen weisen zwei Besonderheiten auf.
2. Die erste Besonderheit, mit der sich der Gerichtshof der Europäischen Union bisher noch nicht befasst hat, betrifft die Rechtsfolgen, die sich aus der Existenz eines „Dritten“ im Rahmen des steuerrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Staat und dem Werbenden ergeben müssen, wenn der „Dritte“ (Steuersubstitut) rechtlich zur Zahlung der betreffenden Abgabe an den Staat verpflichtet ist, obwohl sie dem Werbenden „in Rechnung gestellt wird“.
3. Die zweite Besonderheit der vorliegenden Rechtssachen liegt darin, dass das vorlegende Gericht dem Gerichtshof kaum genaue Angaben über Wesen und Umfang des Mechanismus der „Steuersubstitution“ insbesondere im konkreten Zusammenhang mit der rechtlichen Ausgestaltung der Vorführungsabgabe gemacht hat. Auch die Verfahrensbeteiligten konnten in dieser Hinsicht keine Einigung erzielen.
4. Angesichts dessen schlage ich dem Gerichtshof eine Antwort vor, die unmittelbar davon abhängt, wie der nationale Richter den Mechanismus der „Steuersubstitution“ versteht. Insbesondere schlage ich vor, entscheidend auf das Kriterium des öffentlich-rechtlichen Steuerverhältnisses abzustellen. Falls für die bestehenden Rechtspflichten das Steuerverhältnis zwischen dem „Steuersubstituten“ (Dienstleistungserbringer) und dem Staat maßgeblich ist, müsste in den vorliegenden Fällen Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie eingreifen. Falls es jedoch maßgeblich auf das öffentlich-rechtliche Steuerverhältnis zwischen dem Dienstleistungsempfänger und dem Staat ankommt, ist Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c anzuwenden.
I – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
5. In den vorliegenden Rechtssachen geht es um die Erhebung von Mehrwertsteuer zu drei verschiedenen Zeitpunkten: Februar 2004 (Rechtssache C‑637/11), Oktober 2004 (Rechtssache C‑618/11) und Januar 2007 (Rechtssache C‑659/11).
6. Zu der für die Rechtssachen C‑637/11 und C‑618/11 maßgeblichen Zeit befand sich die Sechste Richtlinie in Kraft. Sie wurde am 1. Januar 2007 nach Maßgabe von Art. 411 Abs. 1 und Art. 413 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates(3) aufgehoben und durch diese ersetzt. In der Rechtssache C‑659/11 gelten daher die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112. Trotz einiger Abweichungen im Wortlaut sind die hier relevanten Vorschriften der Richtlinie 2006/112 mit der einschlägigen Bestimmung der Sechsten Richtlinie inhaltlich identisch.
7. Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112) unterliegen Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer. Hinsichtlich der Besteuerungsgrundlage bestimmt Art. 11 Teil A der Sechsten Richtlinie:
„(1) Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;
…
(2) In die Besteuerungsgrundlage sind einzubeziehen:
a) die Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;
…
(3) In die Besteuerungsgrundlage sind nicht einzubeziehen:
…
c) die Beträge, die ein Steuerpflichtiger von seinem Abnehmer oder dem Empfänger seiner Dienstleistung als Erstattung der in ihrem Namen und für ihre Rechnung verauslagten Beträge erhält und die in seiner Buchführung als durchlaufende Posten behandelt sind. Der Steuerpflichtige muss den tatsächlichen Betrag dieser Auslagen nachweisen und kann keinen Vorsteuerabzug für die Steuer vornehmen, die auf diese gegebenenfalls erhoben worden ist.
…“
8. Die Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 sind Art. 73, Art. 78 Buchst. a bzw. Art. 79 Buchst. c.
B – Nationales Recht(4)
1. Código do imposto sobre o valor acrescentado und Lei geral tributária
9. In Portugal ist die Mehrwertsteuer durch den Código do imposto sobre o valor acrescentado (CIVA – Mehrwertsteuergesetz) geregelt, der durch das Decreto-Lei Nr. 394-B/84 vom 26. Dezember 1984 genehmigt und seither mehrfach geändert wurde.
10. Nach Art. 16 Abs. 1 CIVA ist die Besteuerungsgrundlage für Dienstleistungen „der Wert der Gegenleistung, die von dem Erwerber, dem Empfänger oder einem Dritten erbracht wird oder erbracht werden soll“. In die Besteuerungsgrundlage sind nach Art. 16 Abs. 5 Buchst. a CIVA „Steuern, Zölle, Abschöpfungen und sonstige Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst“ einzubeziehen. Schließlich sind nach Art. 16 Abs. 6 Buchst. c CIVA folgende Positionen nicht in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen: „Beträge, die im Namen und für Rechnung des Erwerbers der Gegenstände oder des Empfängers der Dienstleistung gezahlt werden und die der Steuerpflichtige auf einem geeigneten Anderkonto verbucht“.
11. Art. 18 Abs. 3 der Lei geral tributária (LGT – Allgemeines Steuergesetz) bestimmt: „Steuerpflichtiger ist die natürliche oder juristische Person, das Vermögen oder die faktische oder rechtliche Organisation, die oder das als unmittelbarer Steuerpflichtiger, als Substitut oder als Haftender gesetzlich zur Erfüllung der Steuerpflicht verpflichtet ist.“
12. Art. 20 LGT über Steuersubstitution lautet:
„(1) Die Steuersubstitution tritt ein, wenn nach dem Gesetz die Zahlung der Steuer von einer anderen Person als dem Steuerpflichtigen verlangt wird.
(2) Die Steuersubstitution erfolgt durch den Mechanismus der Einbehaltung der Steuer an der Quelle.“
13. Art. 28 LGT zur Regelung der Haftung im Fall der Steuersubstitution bestimmt:
„(1) Unbeschadet der nachstehenden Absätze haftet im Fall der Steuersubstitution die zur Einbehaltung verpflichtete juristische Person für die Beträge, die einbehalten und nicht an den Staat abgeführt wurden, während der Substituierte von seiner Zahlungsverpflichtung befreit wird.
(2) Erfolgt die Einbehaltung lediglich als Abschlagszahlung auf einen endgültig fälligen Steuerbetrag, obliegt die ursprüngliche Haftung für nicht einbehaltene Steuer dem Substituierten, während der Substitut in zweiter Linie haftet; dieser haftet auch für Entschädigungszinsen ab Fälligkeitstermin für die Entrichtung bis zum Ablauf der Frist für die Einreichung der Steuererklärung des ursprünglich Verantwortlichen oder, falls dieser Termin früher liegt, bis zur Entrichtung der einbehaltenen Steuer.
(3) In den anderen Fällen haftet der Substituierte lediglich in zweiter Linie für die Zahlung der Differenz zwischen dem Betrag, der hätte abgezogen werden sollen, und dem Betrag, der tatsächlich abgezogen wurde.“
2. Vorführungsabgabe
14. Art. 28 des Gesetzes Nr. 42/2004 (Lei de arte cinematográfica e do audiovisual – Gesetz über kinematografische Kunst und audiovisuelle Medien) vom 18. August 2004 sieht vor:
„(1) Kommerzielle Werbung, die in Kinosälen vorgeführt oder im Fernsehen übertragen wird, d. h. Werbespots, Sponsorenwerbung, Televerkäufe, Teletext, Produktplatzierungen sowie in elektronischen Programmführern enthaltene Werbung, unterliegt unabhängig von der Sendeplattform einer dem Werbenden in Rechnung zu stellenden Vorführungsabgabe in Höhe von 4 % des entrichteten Preises.
(2) Zahlung, Eingang und Kontrolle der im Wege der Vorführungsabgabe erhobenen Beträge werden durch einen eigenen Rechtsakt festgelegt.“
15. Die Einzelheiten der Vorführungsabgabe sind im Decreto-Lei Nr. 227/2006 vom 15. November 2006 geregelt.
16. Art. 50 des Decreto-Lei Nr. 227/2006 bestimmt:
„(1) Kommerzielle Werbung, die in Kinosälen vorgeführt oder im Fernsehen übertragen wird oder in elektronischen Programmführern enthalten ist, unterliegt unabhängig von der Sendeplattform einer Vorführungsabgabe, die von den Werbenden geschuldet wird und deren Aufkommen dem ICAM [Instituto do Cinema, Audiovisual e Multimédia] und der CP-MC [Cinemateca Portuguesa – Museu do Cinema] zusteht.
…
(3) Die Entrichtung der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Abgabe erfolgt im Wege der Steuersubstitution durch Unternehmen, die Inhaber von Konzessionen zur Darbietung von Werbeslots in Kinosälen sind, oder durch Fernsehbetreiber oder ‑sender, die Teletextdienstleistungen oder elektronische Programmführer anbieten.“
17. Die Vorführungsabgabe ist bis zum zehnten Tag des auf die Zahlung erfolgenden Monats an die Staatskasse abzuführen (Art. 52 Decreto-Lei Nr. 227/2006).
18. In Art. 51 des Decreto-Lei Nr. 227/2006 heißt es zur Höhe der Abgabe:
„Die Vorführungsabgabe beträgt 4 % des Preises der Vorführung oder der Verbreitung der Werbung oder ihrer Aufnahme in die elektronischen Programmführer, wobei 3,2 % dem ICAM und 0,8 % der CP-MC zustehen.“(5)
II – Sachverhalt und Ausgangsverfahren
19. TVI erbringt im Rahmen ihrer Tätigkeiten auf dem Fernsehmarkt Werbedienstleistungen an verschiedene Werbende. Die über diese Dienstleistungen ausgestellten Rechnungen umfassten die Vorführungsabgabe in Höhe von 4 % des Dienstleistungspreises. TVI wandte Mehrwertsteuer auf den gesamten Rechnungsbetrag an. Sie bezog also die Vorführungsabgabe in die Besteuerungsgrundlage ein. Die Mehrwertsteuer wurde abgeführt und in den periodischen Steuererklärungen jeweils entsprechend angegeben.
20. TVI zahlte die Vorführungsabgabe. Den ihren Kunden in Rechnung gestellten Abgabenbetrag erhielt sie entweder vor oder nach dem Zeitpunkt, zu dem sie ihrerseits die Abgabe entrichtete, zurück. Nach Angaben von TVI muss sie dem Staat den Inhalt der Vorführung, den Namen des Werbenden, den Betrag, auf den die Abgabe erhoben wird, und die Höhe der den einzelnen Werbenden jeweils in Rechnung gestellten Abgaben mitteilen. Portugal macht geltend, dass diese Angaben dem Staat nicht zur Verfügung gestellt würden.
21. Infolge der Erhebung der Vorführungsabgabe verbuchte TVI die Beträge zugunsten des ICAM und der CP-MC als durchlaufende Posten auf Anderkonten. TVI trägt vor, diese Konten seien für jeden einzelnen Kunden und zugunsten des ICAM und der CP-MC eingerichtet worden. Portugal erklärt, die Konten würden nicht auf den Namen der Kunden geführt, sondern auf den des ICAM und der CP-MC.
22. TVI bezweifelte, dass die Vorführungsabgabe wirklich in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen sei, und legte Widerspruch gegen die Steuererklärungen im Hinblick auf die an verschiedene Werbende im Februar 2004 (Rechtssache C‑637/11), Oktober 2004 (Rechtssache C‑618/11) und Januar 2007 (Rechtssache C‑659/11) erbrachten Werbedienstleistungen ein. Den Widerspruch im Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑659/11 wies der Referatsleiter Verwaltungsjustiz der Direcção de Finanças de Lisboa zurück. Die beiden anderen Widersprüche wurden von den Behörden nicht beschieden und damit stillschweigend zurückgewiesen.
23. TVI erhob beim Tribunal Administrativo e Fiscal de Sintra Klage gegen die ausdrückliche und die beiden stillschweigenden Widerspruchentscheidungen. Alle drei Klagen wurden abgewiesen(6). Zur Begründung führte das Tribunal aus, die Vorführungsabgabe sei gemäß Art. 16 Abs. 1 und Abs. 5 Buchst. a CIVA in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen, da TVI mit der Inrechnungstellung der Abgabe an die Werbenden selbst Abgabenschuldnerin geworden sei, soweit sie die in Rechnung gestellten Beträge erhalten habe. Außerdem stünden die Abgaben in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dienstleistungserbringung, da sie den erbrachten Dienstleistungen innewohnten.
24. Gegen diese drei Urteile wurde Rechtsmittel beim Supremo Tribunal Administrativo (Secção de Contencioso Tributário, Division for Fiscal Matters) eingelegt(7).
25. In allen drei Verfahren macht TVI erneut mit jeweils identischer Begründung geltend, dass die Vorführungsabgabe von der Besteuerungsgrundlage für die Berechnung der Mehrwertsteuer auszunehmen sei. Sie trägt u. a. vor, dass Art. 16 Abs. 6 Buchst. c CIVA und Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie anzuwenden seien, da nicht TVI, sondern die Werbenden die eigentlichen Steuerpflichtigen seien und TVI nach portugiesischem Recht lediglich ihre Stellung einnehme (Steuersubstitution). Zudem sei die Vorführungsabgabe auch deshalb nach den Art. 16 Abs. 1 CIVA und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a nicht in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen, weil es sich bei der Abgabe nicht um eine Gegenleistung für die von TVI erbrachten Dienstleistungen handele und sie mit diesen Dienstleistungen nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehe. Ferner sei Abgabentatbestand die Vorführung der Werbung, der sich von dem Mehrwertsteuertatbestand, d. h. der Erbringung verschiedener Dienstleistungen einschließlich der Vorführung, unterscheide.
III – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
26. Vor diesem Hintergrund hat die Secção de Contencioso Tributário des Supremo Tribunal Administrativo am 12. Oktober 2011 (Rechtssache C‑618/11), am 2. November 2011 (Rechtssache C‑637/11) bzw. am 16. November 2011 (Rechtssache C‑659/11) das Verfahren jeweils ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende – in allen drei Rechtssachen identische – Fragen vorgelegt:
1. Ist Art. 16 Abs. 1 CIVA so, wie er im angefochtenen Urteil ausgelegt wurde (in dem Sinne, dass die Vorführungsabgabe für kommerzielle Werbung zu der Werbedienstleistung gehört, weshalb sie in die Grundlage der Besteuerung der Dienstleistung für Mehrwertsteuerzwecke einzubeziehen ist), mit Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie (jetzt Art. 73 der Richtlinie 2006/112), insbesondere mit dem Ausdruck „Wert der Gegenleistung …, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze … erhält oder erhalten soll“, vereinbar?
2. Ist Art. 16 Abs. 6 Buchst. c CIVA so, wie er im angefochtenen Urteil ausgelegt wurde (in dem Sinne, dass die Vorführungsabgabe für kommerzielle Werbung keinen Betrag darstellt, der im Namen und für Rechnung des Dienstleistungsempfängers entrichtet wird, selbst wenn sie auf Anderkonten als durchlaufender Posten verbucht wird und zur Weiterleitung an öffentliche Einrichtungen bestimmt ist, weshalb sie in die Besteuerungsgrundlage für Mehrwertsteuerzwecke einzubeziehen ist), mit Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie (jetzt Art. 79 Buchst. c der Richtlinie 2006/112), insbesondere mit dem Ausdruck „Beträge, die ein Steuerpflichtiger von seinem Abnehmer oder dem Empfänger seiner Dienstleistung als Erstattung der in ihrem Namen und für ihre Rechnung verauslagten Beträge erhält und die in seiner Buchführung als durchlaufende Posten behandelt sind“, vereinbar?
27. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18. Januar 2012 sind die drei Rechtssachen verbunden worden.
28. TVI, Griechenland, Portugal(8) und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
29. In der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2013 haben TVI, Griechenland, Portugal und die Kommission Ausführungen gemacht.
IV – Würdigung
A – Zulässigkeitsprüfung
30. Nach Ansicht Portugals sind die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen unzulässig. In allen drei Rechtssachen sei die Darstellung des rechtlichen Rahmens unzureichend. Infolgedessen könnten die Regierungen der Mitgliedstaaten keine Erklärungen zu einem Bereich abgeben, in dem ihre Belange entscheidend berührt seien. Was das Unionsrecht angehe, seien weder Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie noch der entsprechende Art. 78 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 angeführt worden. Was die nationalen Rechtsvorschriften betreffe, habe das vorlegende Gericht Art. 16 Abs. 5 Buchst. a CIVA übersehen. Außerdem habe es die Regelung der Vorführungsabgabe nicht hinreichend genau beschrieben und die einschlägigen Bestimmungen der LGT völlig ausgelassen.
31. Bezüglich der Rechtssachen C‑618/11 und C‑637/11 weist Portugal ferner darauf hin, dass der ihnen zugrunde liegende Sachverhalt in die Zeit vor Inkrafttreten des Decreto-Lei Nr. 227/2006 falle. Die Vorführungsabgabe in ihrer derzeitigen Form habe ohne jenes Decreto-Lei keine Geltung erlangen können und sei daher erst ab dem 22. November 2006 angewandt worden. In der Zeit davor habe eine andere rechtliche Regelung gegolten. Da all dies in den Vorabentscheidungsersuchen nicht erwähnt werde, fehle es an einer hinreichenden Darstellung, um dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort zu ermöglichen. Die Vorlagefragen seien deshalb letztlich hypothetisch. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission jedoch ausgeführt, dass die Ausgestaltung der Vorführungsabgabe trotz mehrerer Vorschriftenänderungen im Wesentlichen seit 1971 unverändert geblieben sei. Für die Rechtssache C‑659/11 ist nach dem Vortrag Portugals die Richtlinie 2006/112 maßgebend, so dass die Vorlagefragen entsprechend umformuliert werden müssten.
32. Die Argumentation Portugals überzeugt mich nicht. Sicherlich stimmt es, dass der Gerichtshof seit seinem Urteil Telemarsicabruzzo u. a.(9) eine Entscheidung ablehnt, wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(10). Diese Informationen werden außerdem benötigt, um den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben(11). Portugal weist zu Recht darauf hin, dass das vorlegende Gericht mehrere einschlägige Vorschriften nicht angeführt hat und die in der Rechtssache streitige Maßnahme eingehender hätte darstellen können. Unter Berücksichtigung der vom Geist der Zusammenarbeit geprägten Beziehung zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und dem vorlegenden Gericht braucht dieses jedoch nicht jeden Zweifel hinsichtlich der Auslegung des im gegebenen Fall einschlägigen nationalen Rechts auszuräumen, sondern es muss den Gerichtshof in die Lage versetzen, die Vorlagefragen sachdienlich zu beantworten. Die Vorabentscheidungsersuchen geben dem Gerichtshof die hierfür benötigten wesentlichen Informationen an die Hand.
33. Zum Einwand, dass das vorlegende Gericht in zwei Rechtssachen noch nicht in Kraft befindliche nationale Rechtsvorschriften zugrunde gelegt habe und somit hypothetische Fragen vorlege, genügt der Hinweis, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte ist, bei denen ein Rechtsstreit anhängig ist, die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen(12). Nur wenn die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts „offensichtlich“(13) für den anhängigen Rechtsstreit unerheblich ist, wird sich der Gerichtshof der Beurteilung des vorlegenden Gerichts nicht anschließen. Der Gerichtshof kann die vom vorlegenden Gericht vorgenommene Anwendung des nationalen Rechts nicht in Frage stellen.
34. Allerdings weist die portugiesische Regierung zutreffend darauf hin, dass in der Rechtssache C‑659/11 die Richtlinie 2006/112 Anwendung findet und dass das vorlegende Gericht weder Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie noch die entsprechende Bestimmung der Richtlinie 2006/112 angeführt hat. Die Fragen müssen daher umformuliert werden(14). Der Gerichtshof ist nicht daran gehindert, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, unabhängig davon, worauf es in seiner Frage Bezug genommen hat(15).
B – Sachprüfung
35. Das nationale Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie sowie Art. 73, Art. 78 Buchst. a und Art. 79 Buchst. c der Richtlinie 2006/112(16) dahin auszulegen sind, dass sie bei der Berechnung der Mehrwertsteuer auf Werbedienstleistungen hinsichtlich der Besteuerungsgrundlage die Einbeziehung bzw. die Nichteinbeziehung einer Abgabe wie der zur Kunstförderung bestimmten portugiesischen Vorführungsabgabe vorschreiben, die von den Werbenden geschuldet wird, aber von den Fernsehbetreibern im Wege der Steuersubstitution entrichtet wird und auf Anderkonten als durchlaufender Posten verbucht wird.
36. Legt man den reinen Gesetzeswortlaut zugrunde, hat es den Anschein, dass die Vorführungsabgabe von den Werbenden zu tragen ist, was darauf hinzudeuten scheint, dass sie nicht zu den in Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ins Auge gefassten Steuern gehört, sondern dass es sich vielmehr um einen Betrag handelt, den die Dienstleistungserbringer von ihren Kunden als Erstattung von Auslagen im weiten Sinne von Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie erhält. Genauer gesagt, wenn die Vorführabgabe unmittelbar von den Werbenden an den Staat entrichtet werden könnte, d. h., wenn die Werbenden die Wahl haben, ob sie selbst die Abgabe zahlen oder einen Dritten, nämlich den Dienstleistungserbringer, mit der Zahlung beauftragen, dürfte wohl der im Urteil De Danske Bilimportører(17) entwickelte Grundsatz zum Tragen kommen und die Vorführungsabgabe als von Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a nicht erfasst anzusehen sein.
37. Das Problem besteht jedoch darin, dass nach portugiesischem Recht anscheinend ausgeschlossen ist, dass der Werbende die Steuerpflicht, die ihm offenbar selbst obliegt, unmittelbar erfüllen kann. Die Person, die rechtlich zur Zahlung der Abgabe an den Staat verpflichtet ist, ist nämlich ein Dritter, der sogenannte Steuersubstitut, also kein anderer als der Dienstleistungserbringer, der auch die Mehrwertsteuer zu entrichten hat. Die Existenz des Steuersubstituten konkret im Kontext der Vorführungsabgabe ist, wie gesagt, die Ursache für die perplexe Gestaltung der vorliegenden Fälle. Zu Beginn meiner Ausführungen werde ich mich mit den von den Verfahrensbeteiligten vertretenen Auffassungen befassen und einen Überblick über die Rechtsprechung geben. Zum Schluss werde ich ein Kriterium vorschlagen, dass dem nationalen Richter als Orientierungshilfe bei der Auslegung des Unionsrechts dienen kann.
38. TVI macht geltend, dass die Vorführungsabgabe aufgrund des Unionsrechts von der Besteuerungsgrundlage ausgenommen werden müsse. Alle anderen Verfahrensbeteiligten befürworten die Einbeziehung der Abgabe.
39. Grundsätzlich ist die Besteuerungsgrundlage bei Dienstleistungen die Gegenleistung, die der Dienstleistende erhält oder erhalten soll (Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie). Allerdings gelten nach Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie einige Positionen als Bestandteil der Besteuerungsgrundlage unabhängig davon, ob sie einen Mehrwert und eine wirtschaftliche Gegenleistung als Teil des Rechtsgeschäfts darstellen(18). Andererseits schließt Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c andere Positionen ebenso ausdrücklich von der Besteuerungsgrundlage aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a, Abs. 3 Buchst. c zuerst geprüft werden(19).
40. Nach ständiger Rechtsprechung muss, um zu klären, ob eine Abgabe wie die Vorführungsabgabe in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen ist, zum einen festgestellt werden, ob sie unter den Ausdruck „Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben“ im Sinne von Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie fällt, und zum anderen, ob die in Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c vorgesehene Ausnahmeregelung zur Anwendung kommt(20).
41. Als Voraussetzung dafür, dass eine Abgabe unter Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie fallen kann, verlangt der Gerichtshof einen „unmittelbaren Zusammenhang“ zwischen der Abgabe und der Lieferung der betreffenden Gegenstände(21). Das Gleiche gilt zweifellos für Dienstleistungen. Ich schließe mich den Ausführungen von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører an, wonach sich diese Voraussetzung aus der Auslegung der genannten Bestimmung in Verbindung mit Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ergibt: Die Einbeziehung der in Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie aufgeführten Positionen ist gerechtfertigt, wenn sie so eng mit der Lieferung des Gegenstands oder mit der Dienstleistung verbunden sind, dass sie in den Wert dieser Leistung eingeflossen sind(22).
42. Zur Feststellung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einer Abgabe und einer Dienstleistung hat der Gerichtshof geprüft, ob der Abgabentatbestand an die Erbringung der Dienstleistung anknüpft(23) und ob der Dienstleistende die Abgabe im eigenen Namen und für eigene Rechnung entrichtet hat(24).
43. Zum Abgabentatbestand trägt TVI vor, dass der Entstehungstatbestand der Vorführungsabgabe sich vom Entstehungstatbestand der Mehrwertsteuer unterscheide. Entstehungstatbestand der Vorführungsabgabe sei die Verbreitung der Werbung oder, wie es TVI in der mündlichen Verhandlung noch genauer formuliert hat, der Empfang der Verbreitungsdienstleistung auf Seiten des Werbenden. Dagegen umfassten die den Mehrwertsteuertatbestand bildenden Dienstleistungen von TVI neben der Verbreitung auch mehrere andere Tätigkeiten wie etwa Analysen, Inhaltsüberprüfung, Aufbereitung der Bilder usw. Außerdem bestehe kein Zusammenhang zwischen der Dienstleistungserbringung und der Vorführungsabgabe, da Letztere nicht zur Gegenleistung für die Dienstleistung gehöre, sondern für einen Zweck – Kunstförderung – bestimmt sei, der keinen Bezug zu den Dienstleistungen aufweise.
44. Demgegenüber hält Portugal die Vorführungsabgabe nicht nur für einen Teil der Gegenleistung für die Dienstleistungen, sondern es ist auch der Meinung, dass der Abgabentatbestand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erbringung der Verbreitungsleistungen stehe. Die Kommission schließt sich letzterer Argumentation an.
45. Meines Erachtens weist der Entstehungstatbestand der Vorführungsabgabe einen hinreichenden Bezug zum Mehrwertsteuertatbestand auf. Die Vorführungsabgabe wird auf die Verbreitung der Werbung erhoben. TVI bietet diese Dienstleistung an und schlägt auf den Preis für diese Dienstleistung die Mehrwertsteuer auf. Dass TVI noch weitere Dienstleistungen anbietet, die ebenfalls der Mehrwertsteuer unterliegen, hebt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den von ihr angebotenen Verbreitungsdienstleistungen und der Vorführungsabgabe nicht auf. Der Umstand, dass die Abgabe dem ICAM und der CP-MC zugutekommt, die mit den Dienstleistungen nichts zu tun haben, ist im Rahmen von Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie unerheblich.
46. In einem zweiten Schritt hat der Gerichtshof zu untersuchen, ob der Dienstleistende die Abgabe im eigenen Namen und für eigene Rechnung entrichtet. Dieses Kriterium, das der Gerichtshof Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie entnimmt, verbindet praktisch die Prüfung nach Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c mit der Prüfung nach Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Entrichtet der Dienstleistende die Abgabe im eigenen Namen und für eigene Rechnung, ist die Abgabe in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen. Entrichtet er sie hingegen im Namen und für Rechnung seiner Kunden und behandelt er den Betrag in seiner Buchführung als durchlaufenden Posten, geht der Betrag, den er vom Kunden als bloße Erstattung seiner Auslagen erhält, nicht in die Besteuerungsgrundlage ein(25).
47. Die Schwierigkeit in den vorliegenden Rechtssachen besteht wie gesagt darin, die Rechtswirkung des besonderen portugiesischen Mechanismus der „Steuersubstitution“ zu erkennen, denn im Gesetz heißt es einerseits, dass die Vorführungsabgabe von den Werbenden geschuldet wird, andererseits aber auch, dass sie tatsächlich von den Erbringern der Verbreitungsleistungen wie TVI entrichtet wird.
48. Gemäß den Ausführungen vor dem Gerichtshof ist die „Steuersubstitution“ in Art. 18 Abs. 3 und Art. 20 der portugiesischen LGT beschrieben, wonach die Person, die die Steuer als Substitut zahlt (hier TVI), als Steuerpflichtiger gilt. Art. 28 LGT regelt die Verantwortlichkeit der an diesem Verhältnis Beteiligten. Allerdings scheint Art. 20 LGT darauf hinzudeuten, dass diese Regelung für eine Quellensteuer gedacht ist. In den vorliegenden Rechtssachen ist nicht deutlich geworden, inwieweit diese Regelungen hier weiterhelfen können.
49. Die Verfahrensbeteiligten sind sich über die Rechtsfolgen der „Steuersubstitution“ für die Vorführungsabgabe nicht einig. Nach Meinung von TVI handelt es sich bei dem Mechanismus lediglich um ein aus Effizienzgründen vorgesehenes Instrument zur Vereinfachung der Steuerverwaltung. Obwohl TVI die Abgabe entrichte, werde diese doch von den Werbenden geschuldet, wobei TVI die geschuldeten Beträge erhebe, als durchlaufende Posten verbuche, an den Staat abführe und diesem die Namen der Werbenden mitteile. Entrichte TVI die Vorführungsabgabe und erhalte dann diesen Abgabenbetrag nicht von ihrem Kunden, dem sie den Betrag in Rechnung stelle, könne sie den entrichteten Abgabenbetrag vom Staat zurückverlangen. In der mündlichen Verhandlung hat TVI ferner geltend gemacht, dass der Staat im Fall ihrer Insolvenz die Zahlung der Vorführungsabgabe auch von den Werbenden verlangen könne. Sie entrichte daher die Vorführungsabgabe im Namen und für Rechnung ihrer Kunden und behandele die erhaltenen Beträge in ihrer Buchführung als durchlaufende Posten.
50. Portugal hingegen sieht TVI als Schuldnerin der Vorführungsabgabe. Für diese These spreche, dass TVI die Vorführungsabgabe innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist unabhängig davon zu entrichten habe, ob die Werbenden die ihnen für die Dienstleistungen und die Vorführungsabgabe in Rechnung gestellten Beträge geleistet hätten. Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung und die Erfüllung der nach portugiesischem Recht bestehenden Nebenpflichten eines Steuerpflichtigen, darunter die Mitteilung bestimmter Informationen, obliege ausschließlich TVI. In der mündlichen Verhandlung hat Portugal außerdem vorgetragen, dass die Behörden die Vorführungsabgabe nur von TVI und unter keinen Umständen – nicht einmal, wenn TVI insolvent werde – von den Werbenden verlangen könnten. Außerdem behandele TVI in ihrer Buchführung die Beträge als durchlaufende Posten nicht im Namen ihrer Kunden, sondern im Namen des ICAM und der CP-MC, was Portugal für unzureichend erachtet.
51. Auch die Kommission sieht die Pflicht des Steuersubstituten TVI zur Entrichtung der Vorführungsabgabe als dessen eigene Pflicht an. Ausschließlich TVI hafte für die Abgaben und habe sie unabhängig davon zu entrichten, ob der Werbende den Betrag erstatte oder nicht. Die Kommission ist mit Portugal der Meinung, dass kein unmittelbares Verhältnis zwischen den Werbenden und den Steuerbehörden bestehe.
52. Es zeigt sich also, dass bezüglich der Rechtsfolgen der „Steuersubstitution“ im Fall der Vorführungsabgabe keine Einigkeit herrscht. Das vorlegende Gericht hat insoweit nicht Stellung bezogen. Der Gerichtshof ist zur Klärung dieser Frage des nationalen Rechts nicht befugt. Allerdings kann er dem vorlegenden Gericht die bei der Auslegung der Wendung „in ihrem Namen und für ihre Rechnung“ heranzuziehenden Kriterien aufzeigen. Wie Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører ausgeführt hat, handelt es sich hierbei um einen unionsrechtlichen Begriff und nicht um eine Bezugnahme auf nationale Regelungen über die Stellvertretung und den Auftrag(26).
53. Unter welchen Voraussetzungen kann der nationale Richter annehmen, dass die Vorführungsabgabe eine Abgabe im Sinne von Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ist? Meines Erachtens nur dann, wenn er zu dem Ergebnis gelangt, dass die Vorführungsabgabe ein öffentlich-rechtliches Steuerverhältnis begründet, das sich im Wesentlichen auf die nach innerstaatlichem Recht bestehende Beziehung zwischen dem Staat und dem Steuersubstituten beschränkt. Mit anderen Worten und um dem nationalen Richter einen Hinweis zu geben, wäre z. B. Voraussetzung, dass der Staat entsprechend der von den Verfahrensbeteiligten hier mehrheitlich vertretenen Auffassung die Vorführungsabgabe ausschließlich vom Steuersubstituten verlangen kann, dass der Steuersubstitut „eigenständig“ für die Entrichtung der Abgabe verantwortlich ist. Das würde u. a. auch bedeuten, dass ein etwaiger Anspruch des Steuersubstituten gegen den Werbenden auf Erstattung der Vorführungsabgabe zivilrechtlicher Natur ist.
54. Stellt der nationale Richter fest, dass es sich hier so verhält, dürfte er meines Erachtens unschwer zu dem Ergebnis gelangen, dass der Steuersubstitut die Vorführungsabgabe im eigenen Namen und für eigene Rechnung entrichtet und dass die Abgabe letztlich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Dienstleistung steht. In diesem Fall findet Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie Anwendung, so dass die Vorführungsabgabe in die Besteuerungsgrundlage eingehen muss.
55. Trifft der nationale Richter hingegen die Feststellung, dass das maßgebliche öffentlich-rechtliche Steuerverhältnis im Wesentlichen eine Beziehung zwischen dem Werbenden und dem Staat herstellt, also dass z. B. der Staat die Vorführungsabgabe unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbar vom Werbenden fordern kann oder, um es auch hier anders zu formulieren, dass die Existenz des Steuersubstituten nicht zu jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen unerlässlich ist, kommt eine Anwendung von Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie nicht in Betracht. In diesem Fall muss die Schlussfolgerung lauten, dass die Abgabe vom Dienstleistenden nicht im eigenen Namen und für eigene Rechnung entrichtet wird und daher nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Dienstleistung steht. Vielmehr wird die Abgabe dann der Sache nach im Namen und für Rechnung des Substituierten, d. h. des Werbenden, entrichtet und fällt angesichts der Angabe des vorlegenden Gerichts, dass die Beträge als durchlaufende Posten auf Anderkonten verbucht werden, unter Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie.
V – Ergebnis
56. Nach alledem bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen wie folgt beantworten sollte:
– Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sowie die Art. 73, 78 Buchst. a und 79 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie bei der Berechnung der Mehrwertsteuer auf Werbedienstleistungen hinsichtlich der Besteuerungsgrundlage die Einbeziehung einer Abgabe wie der zur Kunstförderung bestimmten portugiesischen Vorführungsabgabe vorschreiben, die von den Werbenden geschuldet wird, aber von den Fernsehbetreibern im Wege der Steuersubstitution entrichtet wird und auf Anderkonten als durchlaufender Posten verbucht wird, wenn das maßgebliche öffentlich-rechtliche Steuerverhältnis zwischen den Steuerbehörden und den Fernsehbetreibern besteht.
– Besteht das für die Abgabe maßgebliche öffentlich-rechtliche Steuerverhältnis zwischen den Werbenden und den Steuerbehörden, sind Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie sowie die Art. 73, 78 Buchst. a und 79 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass sie einer Einbeziehung der Abgabe in die Besteuerungsgrundlage entgegenstehen.
– Es ist Sache des nationalen Richters, zu entscheiden, welche dieser beiden Auffassungen zur Steuersubstitution im konkreten Kontext der Vorführungsabgabe nach nationalem Recht richtig ist.
1 – Originalsprache: Englisch.
2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in geänderter Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
3 – Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in geänderter Fassung.
4 – Die detaillierte Darstellung des nationalen Rechts beruht auf den von der Kommission eingereichten Erklärungen. Der Text der Bestimmungen der Lei geral tributária, auf die die Verfahrensbeteiligten verweisen, die sie aber nicht im Wortlaut wiedergeben, ist dem im Internet aufrufbaren „portal das finanças“ der „autoridade tributária e aduaneira“ entnommen.
5 – In der mündlichen Verhandlung hat Portugal darauf hingewiesen, dass am 23. Februar 2013 ein neues Gesetz über die Vorführungsabgabe in Kraft treten werde, mit dem die Abgabe von der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer ausgenommen werde.
6 – Urteile vom 29. November 2010 (C‑618/11), 21. Oktober 2010 (C‑637/11), 16. September 2010 (C‑659/11).
7 – In dem Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑659/11 wurde das Rechtsmittel zunächst beim Tribunal Central Administrativo Sul eingelegt, das sich aber mit Beschluss vom 3. Mai 2011 für unzuständig erklärte.
8 – Insbesondere hat Portugal für den Fall, dass die Vorführungsabgabe nicht in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen sein sollte, eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des Urteils beantragt.
9 – Urteil vom 26. Januar 1993 (C‑320/90 bis C‑322/90, Slg. 1993, I‑393, Randnr. 6).
10 – Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra (C‑379/98, Slg. 2001, I‑2099, Randnr. 39).
11 – Urteil vom 23. März 1995, Saddik (C‑458/93, Slg. 1995, I‑511, Randnr. 13).
12 – Urteile vom 29. November 1978, Redmond (83/78, Slg. 1978, 2347, Randnr. 25), und vom 30. November 1995, Esso Española (C‑134/94, Slg. 1995, I‑4223, Randnr. 9).
13 – Urteil vom 16. Juni 1981, Salonia (126/80, Slg. 1981, 1563, Randnr. 6).
14 – Vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, Slg. 2002, I‑6325, Randnr. 32).
15 – Urteil vom 25. Januar 2007, Dyson (C‑321/03, Slg. 2007, I‑687, Randnr. 24).
16 – Der Einfachheit halber werde ich mich im Folgenden ausschließlich auf die Vorschriften der Sechsten Richtlinie beziehen. Die Verweise sind in dem Sinne zu verstehen, dass darin auch die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 einbezogen sind. Ebenso beeinflusst die Rechtsprechung zu der einen Richtlinie auch die Auslegung der jeweils anderen.
17 – Urteil vom 1. Juni 2006 (C‑98/05, Slg. 2006, I‑4945).
18 – Urteile De Danske Bilimportører (oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 17), und vom 28. Juli 2011, Lidl & Companhia (C‑106/10, Slg. 2011, I‑7235, Randnr. 33).
19 – Urteile vom 27. März 1990, Boots Company (C‑126/88, Slg. 1990, I‑1235, Randnrn. 15 und 16), und vom 3. Juli 2001, Bertelsmann (C‑380/99, Slg. 2001, I‑5163, Randnr. 15), sowie Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører (Urteil oben in Fn. 17 angeführt, Nr. 15).
20 – Urteil Lidl & Companhia (oben in Fn. 18 angeführt, Randnr. 32).
21 – Urteile De Danske Bilimportører (oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 17), vom 20. Mai 2010, Kommission/Polen (C‑228/09, Randnr. 30), vom 22. Dezember 2010, Kommission/Österreich (C‑433/09, Randnr. 34), und Lidl & Companhia (oben in Fn. 18 angeführt, Randnr. 33). Die Rechtsprechung geht zurück auf das Urteil vom 23. November 1988, Naturally Yours Cosmetics (230/87, Slg. 1988, 6365, Randnrn. 15 und 16).
22 – Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører (Urteil oben in Fn. 17 angeführt, Nr. 17).
23 – Urteile De Danske Bilimportører (oben in Fn. 17 angeführt, Randnr. 18) und Kommission/Polen (oben in Fn. 21 angeführt, Randnrn. 31 bis 50).
24 – Urteile Kommission/Polen (oben in Fn. 21 angeführt, Randnr. 40) und Lidl & Companhia (oben in Fn. 18 angeführt, Randnr. 34).
25 – Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører (Urteil oben in Fn. 17 angeführt, Nrn. 18 und 19).
26 – Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache De Danske Bilimportører (Urteil oben in Fn. 17 angeführt, Nrn. 40 und 41).