C-566/07 - Stadeco

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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 12. März 2009(1)

Rechtssache C‑566/07

Staatssecretaris van Financiën

gegen

Stadeco BV

Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – In einer Rechnung ausgewiesene Steuer für eine Leistung, die nicht am Sitz des Leistenden steuerpflichtig war – Steuererstattung – Berichtigung der Rechnung”





I –    Einleitung

1.        Der Hoge Raad der Nederlanden ersucht den Gerichtshof um die Beantwortung von zwei Fragen zur Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(2). Zum einen ist zuklären, ob ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer schuldet, die er in einer Rechnung ausgewiesen hat, obwohl die in Rechnung gestellte Leistung am Sitz des Ausstellers der Rechnung tatsächlich nicht der Steuer unterlag? Daran schließt sich die weitere Frage an, ob die Erstattung der Steuer gegebenenfalls davon abhängig gemacht werden kann, dass die fehlerhafte Rechnung durch eine berichtigte Rechnung ersetzt wird.

2.        Dies hatte die niederländische Steuerverwaltung im Ausgangsrechtsstreit verlangt. Die zugrunde liegenden innerstaatlichen Regelungen sollen verhindern, dass der Empfänger der Rechnung die darin fälschlich ausgewiesene Steuer als Vorsteuer abzieht, obwohl der Aussteller der Rechnung sie nicht entrichtet hat oder sie ihm erstattet worden ist. Im konkreten Fall ist diese Gefahr indes tatsächlich nicht gegeben, weil der Empfänger der Leistung eine staatliche Stelle war, die kein Recht auf Vorsteuerabzug hatte. Daher stellt sich die Frage, ob die Anwendung der streitigen Regelung in einem solchen Fall über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinausgeht.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.        Art. 21 der Sechsten Richtlinie in der Fassung des Art. 28g der Sechsten Richtlinie(3), lautet auszugsweise:

„Die Mehrwertsteuer schuldet

1.      im inneren Anwendungsbereich

...

c)       jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder in einem ähnlichen Dokument ausweist; …“

B –    Nationales Recht

4.        Art. 37 der Wet op de Omzetbelasting (Umsatzsteuergesetz) 1968 bestimmt, dass, wer auf irgendeine Weise Umsatzsteuer erklärt, die er – außer nach Art. 37 – nicht schuldet, diese Steuer zu dem Zeitpunkt schuldet, zu dem er die Rechnung ausstellt, und gemäß der Erklärung entrichten muss.

III – Sachverhalt, Vorlagefragen und Verfahren

5.        Die Stadeco BV vermietet Messestände, die sie auch vor Ort auf- und abbaut. In den Jahren 1993 – 1995 erbrachte sie dem Economische Voorlichtingsdienst (Wirtschaftspressestelle, im Folgenden: EVD), einer Stelle des niederländischen Ministerie van Economische Zaken (Wirtschaftsministerium) entsprechende Leistungen auf Messen und Ausstellungen in Deutschland und Drittstaaten. Dafür stellte sie dem EVD Rechnungen unter Ausweis der Mehrwertsteuer aus und führte die Steuer ab. Der EVD verwendete die von Stadeco erbrachten Leistungen ausschließlich für Tätigkeiten, für die er als Teil einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft kein Recht auf Vorsteuersteuerabzug hat.

6.        Die Steuerverwaltung teilte Stadeco mit, dass sie für diese Dienstleistungen in den Niederlanden keine Mehrwertsteuer schulde, da sie nicht in den Niederlanden erbracht worden seien. Stadeco beantragte daher 1996 die Rückzahlung der Steuer in Höhe von insgesamt 230 314 NLG (104 512 Euro). Die Steuerverwaltung forderte Stadeco auf, dem EVD eine Gutschrift für die zurückgeforderten Beträge auszustellen und ihr eine Kopie davon zu schicken. Mit Bescheid vom 7. Februar 1997 wurde Stadeco darauf die beantragte Erstattung gewährt.

7.        Bei einer Kontrolle im Jahr 2000 wurde festgestellt, dass Stadeco keine Gutschriften für den EVD ausgestellt und die Beträge auch nicht zurückgezahlt hatte. Daher erließ die Steuerverwaltung einen Nacherhebungsbescheid, den Stadeco jedoch erfolgreich vor dem Gerechtshof te ’s-Gravenhage anfocht.

8.        Der mit dem Rechtsmittel gegen diese Entscheidung befasste Hoge Raad hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 30. November 2007 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der Aussteller der Rechnung wohnt oder niedergelassen ist, keine Mehrwertsteuer geschuldet wird, wenn der Aussteller der Rechnung in dieser den Mehrwertsteuerbetrag für eine Tätigkeit in Rechnung stellt, von der nach der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung angenommen wird, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland erbracht wird?

2.      Wenn nein: Dürfen die Mitgliedstaaten, wenn eine Rechnung im Sinne von Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie einem Empfänger ausgestellt wurde, der kein Recht auf Mehrwertsteuerabzug hat (so dass keine Gefährdung des Steueraufkommens besteht), die Berichtigung der irrtümlich in Rechnung gestellten und deshalb aufgrund dieser Bestimmung geschuldeten Mehrwertsteuer von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Steuerpflichtige seinem Abnehmer nachträglich eine berichtigte Rechnung ausstellt, in der kein Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen ist?

9.        Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die griechische, die deutsche, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften schriftlich und mündlich Stellung genommen. Stadeco hat sich nur in der mündlichen Verhandlung geäußert.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage

10.      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer eines Mitgliedstaats auch dann in diesem Staat schuldet, wenn die Leistung dort tatsächlich nicht steuerbar war.

11.      Vorauszuschicken ist, dass diese Vorschrift in einem Fall wie dem vorliegenden anwendbar ist, in dem Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbracht worden sind.

12.      Art 21 Nr. 1 bestimmt, wer im inneren Anwendungsbereich Steuerschuldner ist. Damit erfasst die Regelung nicht nur inländische Umsätze, wie die niederländische Sprachfassung nahe zu legen scheint (binnenlands verkeer).(4) Die anderen Sprachfassungen verdeutlichen vielmehr, dass sich die Regelung auf die innerhalb der Gemeinschaft getätigten Umsätze bezieht.(5) Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Zusammenhang. Den Umsätzen im inneren Anwendungsbereich nach Nr. 1 stehen nämlich die in Nr. 2 geregelten Einfuhren in die Gemeinschaft gegenüber. Der missverständliche Verweis auf den inneren Anwendungsbereich ist zudem in der Neufassung durch Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG(6) weggefallen.

13.      Im Übrigen ist der Gerichtshof im Urteil Reemtsma(7) in einem ähnlich gelagerten Fall von der Anwendbarkeit des Art. 21 Nr. 1 Buchst. c ausgegangen. Auch dieser Fall betraf die Haftung des Ausstellers einer Rechnung für die ausgewiesene Steuer, die Steuer tatsächlich vom Empfänger der Leistung in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet war. Im Ergebnis scheiterte die Anwendung dieser Bestimmung jedoch daran, dass nicht der Aussteller die Berichtigung der Steuer verlangte, sondern ihr Empfänger.

14.      Allerdings begründet Art. 21 Nr. 1 Buchst. c nur gegenüber dem Staat eine Steuerschuld, dessen Mehrwertsteuer in der Rechnung ausgewiesen ist. Um welche Mehrwertsteuer es sich dabei handelt, muss bei Fehlen einer ausdrücklichen Angabe durch Auslegung der Rechnung ermittelt werden. Wichtige Indizien können insoweit die Höhe des Steuersatzes, die Währung des Rechnungsbetrags, der Sitz des Ausstellers und des Empfängers der Rechnung und der Ort der berechneten Leistung bilden, sofern dieser sich aus der Rechnung ergibt. Dieses einschränkende Verständnis ist geboten, um auszuschließen, dass mehrere Mitgliedstaaten gestützt auf dieselbe Rechnung Anspruch auf die Steuer erheben können.

15.      Nach dem Wortlaut des Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie schuldet eine Person die Mehrwertsteuer allein deswegen, weil sie die Steuer in einer Rechnung ausgewiesen hat.(8)

16.      Fraglich ist, ob dieser formale Umstand tatsächlich ausreicht, um die Steuer zu erheben, oder ob nicht zugleich ein steuerbarer Umsatz im Sinne der Art. 5 bis 7 oder Art. 28a der Sechsten Richtlinie in dem Staat hinzutreten muss, dessen Mehrwertsteuer die Rechnung ausweist. Im letztgenannten Fall, könnte die Erstattung auch ohne eine vorherige Berichtigung der Rechnung verlangt werden, wenn sich der zugrunde liegende Umsatz in dem betreffenden Staat als nicht steuerbar erweist.

17.      Sinn und Zweck von Art. 21 Nr. 1 Buchst. c sprechen jedoch dagegen, die Steuerschuld im Sinne dieser Bestimmung von der weiteren Bedingung abhängig zu machen, dass der ausgewiesenen Steuer auch tatsächlich ein in dem betreffenden Staat steuerbarer Umsatz zugrunde liegt.

18.      Die Regelung soll die Gefährdung des Steueraufkommens durch die Verwendung der Rechnung zum Vorsteuerabzug ausschließen.(9) Durch das Ausweisen der Mehrwertsteuer in einer Rechnung erweckt der Aussteller nämlich den Anschein, einen steuerbaren Umsatz getätigt und die Mehrwertsteuer entrichtet zu haben bzw. entrichten zu wollen. Nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c muss der Aussteller der Rechnung daher auch für die Entrichtung der Steuer haften. Denn für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs reicht es gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie aus, dass der steuerpflichtige Empfänger eine Rechnung besitzt, in die Mehrwertsteuer entsprechend den Vorgaben des Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie ausgewiesen ist. Art. 21 Nr. 1 Buchst. c stellt sicher, dass keine Vorsteuer abgezogen wird, die tatsächlich gar nicht entrichtet wurde.

19.      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Genius Holding(10) einen Anspruch auf Vorsteuerabzug ohnehin abgelehnt, wenn die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht mit der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang steht. Jedoch ist nicht immer gewährleistet, dass die Steuerbehörden Kenntnis von diesem Umstand erlangen. Außerdem kann der Vorsteuerabzug bereits gewährt worden sein, bevor sich herausstellt, dass die in Rechnung gestellt Leistung nicht oder nicht in der ausgewiesen Höhe steuerbar war. Daher muss der Aussteller der Rechnung für die Entrichtung der ausgewiesenen Steuer einstehen, solange die Rechnung nicht berichtigt und die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist(11).

20.      Die Steuerschuld nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c entfällt nicht allein deswegen, weil der Empfänger der Rechnung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Wie die deutsche Regierung nämlich zutreffend hervorgehoben hat, lässt sich der Rechnung selbst nicht entnehmen, ob der Empfänger vorsteuerabzugsberechtigt ist.

21.      Auf die erste Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin gehend auszulegen ist, dass der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer eines Mitgliedstaats auch dann in diesem Staat schuldet, wenn die Leistung dort tatsächlich nicht steuerbar war.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

22.      Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Erstattung der irrtümlich in einer Rechnung ausgewiesenen Steuer davon abhängig gemacht werden kann, dass der Steuerpflichtige die Rechnung durch eine berichtigte Rechnung ersetzt.

23.      Hierzu ist festzustellen, dass die Sechste Richtlinie keine Regelung für die Berichtigung einer Rechnung trifft, in der irrtümlich die Mehrwertsteuer eines Staates ausgewiesen wurde, obwohl in diesem Staat tatsächlich kein steuerbarer Umsatz getätigt wurde. Folglich ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Neutralität der Mehrwertsteuer zu gewährleisten, indem sie in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen, dass die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden kann.(12)

24.      Im Urteil Schmeink & Cofreth und Strobel(13) hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie erlassen dürfen, um die genaue Erhebung der Steuer zu gewährleisten und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt. Habe der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so sei es zur Gewährleistung der Erhebung der Mehrwertsteuer und zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen nicht erforderlich, dass er seinen guten Glauben nachweise.(14)

25.      Diese Aussage könnte man so verstehen, dass die innerstaatlichen Vorschriften in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem keine Gefährdung des Steueraufkommens droht, keine weiteren Bedingungen für die Erstattung der Steuer aufstellen dürfen. Da der EVD, der Empfänger der Rechnung, nicht zum Abzug der darin irrtümlich ausgewiesenen niederländischen Vorsteuer berechtigt ist, besteht in diesem konkreten Fall keine Gefahr für das Steueraufkommen in den Niederlanden.

26.      Ich meine jedoch nicht, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten so enge Grenzen setzen wollte. Vielmehr bleibt dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Spielraum bei der Ausgestaltung der Vorschriften für die Berichtigung und Erstattung der Steuer, die irrtümlich in einer Rechnung ausgewiesen wurde. Er muss allerdings die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität(15) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.(16)

27.      Eine innerstaatliche Regelung, die generell den Austausch der fehlerhaften gegen eine berichtigte Rechnung vorschreibt, erscheint dabei nicht unverhältnismäßig. Diese Auflage ist im Regelfall ein geeignetes Mittel, um einen unberechtigten Vorsteuerabzug mit Hilfe der der ursprünglichen Rechung auszuschließen. Es dient der Verwaltungsvereinfachung, wenn die Steuerbehörden nicht in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob der Empfänger der Rechnung möglicherweise nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, so dass keine Gefährdung des Steueraufkommens droht.

28.      Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige durch die Ausstellung der fehlerhaften Rechnung selbst die Ursache für den Erstattungsvorgang gesetzt hat und dass der Austausch der Rechnung die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs im Normalfall nicht übermäßig erschwert. Allenfalls wenn der Austausch der Rechnung im Einzelfall unmöglich ist, etwa weil die Rechnung abhanden gekommen ist und ihre Verwendung zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ausgeschlossen ist, könnte es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen, die Erstattung mangels Austausch der Rechnung abzulehnen.

29.      Dem steht die Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Collée(17) nicht entgegen, „dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen“. Im Unterschied zu den Regelungen über die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung hängt die Steuerschuld nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie gerade nicht von der materiellen Steuerbarkeit eines Umsatzes ab, sondern knüpft allein an das formale Kriterium der Ausweisung in einer Rechnung an.

30.      Außerdem verbietet es das Gemeinschaftsrecht nach ständiger Rechtsprechung nicht, dass ein nationales Rechtssystem die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Steuern unter Umständen ablehnt, die zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führen würden.(18) Daraus folgt auch, dass die Erstattung an eine Auflage geknüpft werden darf, die einer ungerechtfertigten Bereicherung des Ausstellers der Rechnung entgegenwirkt.

31.      War in der Rechnung ursprünglich ein Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen, der tatsächlich nicht oder nicht in der angegeben Höhe zu entrichten war, so wird der Empfänger – vorbehaltlich besonderer vertraglicher Vereinbarungen – nämlich einen zivilrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung des insoweit rechtsgrundlos geleisteten Betrages haben.(19) Indem die innerstaatlichen Vorschriften die Erstattung der Steuer an den Aussteller der Rechnung davon abhängig machen, dass dieser die Rechnung austauscht oder in geeigneter Weise korrigiert, gewährleisten sie, dass der Empfänger die für die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs erforderlichen Informationen erhält.

32.      Ob die Mitgliedstaaten darüber hinaus verlangen dürfen, dass der Aussteller der Rechnung den zu Unrecht als Mehrwertsteuer entrichteten Betrag tatsächlich an seinen Vertragspartner zurückgezahlt hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Dies scheinen die niederländischen Steuerbehörden nach Ausführung der niederländischen Regierung zwar zu verlangen, jedoch hat das vorlegende Gericht nicht nach der Zulässigkeit einer solchen weiteren Bedingung gefragt.(20)

33.      Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass das Gemeinschaftsrecht auch keine spezifischen Vorgaben für die Berichtigung der Steuer in dem Fall enthält, dass die Leistung nicht in dem Staat steuerbar ist, dessen Mehrwertsteuer in der Rechnung ausgewiesen ist, sondern in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat.

34.      Die Sechste Richtlinie verpflichtet den erstgenannten Mitgliedstaat insbesondere nicht, die Erstattung der Steuer nur unter der Bedingung zu gewähren, dass in der Austauschrechnung die Steuer des anderen Mitgliedstaates ausgewiesen wird, wie die italienische Regierung meint. Denn dafür müsste der erstgenannte Staat beurteilen, ob und in welcher Höhe der Aussteller der Rechnung die Steuer in dem anderen Mitgliedstaat schuldet. Diese Feststellung ist dem Staat, dessen Mehrwertsteuer erstattet werden soll, aber nicht ohne Weiteres möglich. In dem anderen Staat könnte beispielsweise nicht der Erbringer der Leistung der Steuerschuldner sein, sondern nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. b ihr Empfänger. Ferner könnte dort eine nicht harmonisierte Befreiung oder ein ermäßigter Steuersatz Anwendung finden.

35.      Dessen ungeachtet ist der Aussteller jedoch gemäß Art. 22 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit den entsprechenden innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem die Leistung tatsächlich der Steuer unterliegt, verpflichtet, in der korrigierten Rechnung die Steuer auszuweisen, die er gegebenenfalls in diesem Staat schuldet.

36.      Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten nicht verbietet, die Berichtigung der irrtümlich in Rechnung gestellten und daher nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie geschuldeten Steuer von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der Steuerpflichtige seinem Abnehmer nachträglich eine berichtigte Rechnung ausstellt. Dies gilt auch dann, wenn der Empfänger der Rechnung kein Recht auf Vorsteuerabzug hat.

V –    Ergebnis

37.      Im Ergebnis schlage ich daher folgende Antworten auf die Vorlagefragen vor:

1.         Art. 21 Nr. 1 Buchst. c Sechsten Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG ist dahingehend auszulegen, dass der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer eines Mitgliedstaats auch dann in diesem Staat schuldet, wenn die Leistung dort tatsächlich nicht steuerbar war.

2.         Das Gemeinschaftsrecht verbietet es Mitgliedstaaten nicht, die Berichtigung der irrtümlich in Rechnung gestellten und daher nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie geschuldeten Steuer von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der Steuerpflichtige seinem Abnehmer nachträglich eine berichtigte Rechnung ausstellt. Dies gilt auch dann, wenn der Empfänger der Rechnung kein Recht auf Vorsteuerabzug hat.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1), mit Wirkung zum 1. Januar 2007 ersetzt durch Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).


3 – In der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABI. L 376, S. 1). Durch die in zeitlicher Hinsicht noch nicht auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbare Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17. Oktober 2000 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der Bestimmung des Mehrwertsteuerschuldners (ABl. L 269, S. 44) wurde Buchst. c ohne inhaltliche Änderung zu Buchst. d. Mittlerweile findet sich die entsprechende Regelung in Art. 203 der Richtlinie 2006/112.


4 – Siehe dazu die Erwägungen in Nrn. 5.2. bis 5.8. der Schlussanträge des Advocaat-General W. de Wit vom 29. Juni 2007, die Bestandteil des Vorlage-Urteils des Hoge Raad sind.


5 – Vgl. u. a. FR: régime interne; IT: regime interno; EN: internal system; ES: régimen interior.


6 – Zitiert in Fn. 2.


7 – Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C‑35/05, Slg. 2007, I‑2425).


8 – Vgl. Urteile vom 13. Dezember 1989, Genius Holding (C‑342/87, Slg. 1989, 4227, Randnr. 19), vom 19. September 2000, Schmeink & Cofreth und Strobel (C‑454/98, Slg. 2000, I‑6973, Randnr. 53), und vom 6. November 2003, Karageorgou u. a. (C-78/02 bis C-80/02, Slg. 2003, I‑13295, Randnr. 50) und Reemtsma Cigarettenfabriken (zitiert in Fn. 7, Randnr. 23).


9 – Vgl. in diesem Sinne den Vorschlag der Kommission vom 29. Juni 1973 für die Sechste Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/73, S. 22.


10 – Urteil Genius Holding (zitiert in Fn. 8, Randnr. 15).


11 – Siehe dazu im Einzelnen die Ausführungen zur zweiten Vorlagefrage.


12 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Genius Holding (zitiert in Fn. 8, Randnr. 18), Schmeink & Cofreth und Strobel (zitiert in Fn. 8, Randnrn. 48,49 und 56) und Karageorgou u. a. (zitiert in Fn. 8, Randnr. 49 und 50).


13 – Zitiert in Fn. 8, Randnr. 59 unter Verweis auf das Urteil vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 52). Siehe auch Urteil vom 27. September 2007, Collée (C‑146/05, Slg. 2007, I‑7861, Randnr. 26).


14 – Urteile Schmeink & Cofreth und Strobel (zitiert in Fn. 8, Randnr. 60) und Karageorgou u. a. (zitiert in Fn. 8, Randnr. 50).


15 – Vgl. u. a. Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken (zitiert in Fn. 7, Randnr. 37) und die dort zitierte Rechtsprechung.


16 – Vgl. zur Bindung innerstaatlicher Vorschriften zu Durchführung bzw. Ergänzung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz u. a. Urteile vom 18. Dezember 1997, Molenheide u. a. (C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, I-7281, Randnr. 48), und vom 10. Juli 2008, Sosnowska (C‑25/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 23).


17 – Zitiert in Fn. 13, Randnr. 29.


18 – Urteile vom 24. März 1988, Kommission/Italien (104/86, Slg. 1988, 1799, Randnr. 6), vom 9. Februar 1999, Dilexport (C-343/96, Slg. 1999, I-579, Randnr. 47), und vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 41).


19 – Im Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken (zitiert in Fn. 7, Randnr. 39) hat der Gerichtshof es ausdrücklich für zulässig gehalten, dass durch die zivilrechtliche Klage auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung die Neutralität der Mehrwerststeuer gewährleistet wird.


20 – In der mündlichen Verhandlung räumte die Vertreterin der niederländischen Regierung auf Nachfrage des Gerichtshofs auch ein, dass diese Auflage in dem entscheidungserheblichen Zeitraum im innerstaatlichen Recht nicht ausdrücklich vorgesehen war.