C-415/85 - Kommission / Irland

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EUR-Lex - 61985C0415 - DE

61985C0415

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 2. Dezember 1987. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN IRLAND. - MEHRWERTSTEUER - BESTEUERUNG ZUM NULLSATZ. - RECHTSSACHE 415/85.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 03097


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Die vorliegende Klage wegen Vertragsverletzung, die Irland betrifft, bezieht sich auf die Anwendungskriterien des Artikels 28 der Sechsten Richtlinie 77/388 des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern ( 1 ) ( im folgenden : die Richtlinie ). Im wesentlichen wird Irland vorgeworfen, auf bestimmte Kategorien von Gegenständen oder Dienstleistungen ( 2 ), die in einer mit dem "Valü Added Tax Act" 1972 ( 3 ) aufgestellten Liste aufgeführt sind, einen "Nullsatz" anzuwenden, der nicht aus "genau definierten sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher" gerechtfertigt sei, wie es Artikel 17 letzter Gedankenstrich der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11 . April 1967 ( 4 ) ( im folgenden : Artikel 17 ) verlange, auf den Artikel 28 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie Bezug nimmt .

2 . Diese Vorschrift ist Teil eines Harmonisierungsprozesses, der im April 1967 eingeleitet wurde, als die ersten beiden Richtlinien ( 5 ) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern erlassen wurden . So führte der Rat eine "allgemeine Verbrauchssteuer" ( 6 ) ein, allerdings "ohne eine gleichzeitige Harmonisierung der Steuersätze und -befreiungen vorzuschreiben" ( 7 ). Zehn Jahre danach erlassen, hatte die Richtlinie ( 8 ) ein wesentliches Ziel, nämlich die Schaffung eigener Mittel für die Gemeinschaften, die "unter anderem Mehrwertsteuereinnahmen (( umfassen )), die sich aus der Anwendung eines gemeinsamen Satzes auf eine steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ergeben, welche einheitlich nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmt wird" ( 9 ).

3 . "Im Hinblick auf eine gleichmässige Erhebung der eigenen Mittel in allen Mitgliedstaaten" ( 10 ) sehen die Artikel 13 bis 16 der Richtlinie eine gemeinsame Liste der Steuerbefreiungen vor . Artikel 28 der Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten ausserdem unter anderem übergangsweise, unter bestimmten Voraussetzungen die am 31 . Dezember 1975 geltenden und den Kriterien des Artikels 17 entsprechenden ermässigten Steuersätze und Steuerbefreiungen beizubehalten . Diese Möglichkeit wurde geschaffen, weil "ein Übergangszeitraum vorgesehen werden (( musste )), der eine schrittweise Anpassung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in den betreffenden Bereichen ermöglicht" ( 11 ).

4 . Das fragliche Nullsatzsystem wurde zwar gemäß Artikel 28 Absatz 2 eingeführt, es unterscheidet sich jedoch von dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Mechanismus der Steuerbefreiung . Die Bestimmung betrifft nämlich "Steuerbefreiungen mit Erstattung der auf der vorausgehenden Stufe entrichteten Steuern", die beim Einzelhandel stattfinden . Auf der vorausgehenden Stufe berechnet jeder in Artikel 4 der Richtlinie definierte Steuerpflichtige die Steuer . Nur der Einzelhändler, der an den "Endverbraucher" ein von der Steuer befreites Erzeugnis verkauft, stellt die von ihm entrichtete Mehrwertsteuer nicht in Rechnung und erhält sie von der Steuerverwaltung erstattet . Das Nullsatzsystem beruht auf einer anderen Konzeption . Eine Reihe von Gegenständen und Dienstleistungen, die der nationale Gesetzgeber bestimmt, unterliegt einer theoretischen Besteuerung, die gleich Null ist und dazu führt, daß weder bei der Lieferung noch auf den vorausgehenden Absatzstufen tatsächlich Mehrwertsteuer erhoben wird . So besteht ganz offensichtlich kein Anlaß für eine Erstattung zugunsten des Einzelhändlers . Nach Ansicht der Kommission betrifft der Nullsatz in Irland etwa 33 % des Verbrauchs der privaten Haushalte . Irland bestreitet diesen Prozentsatz, den es auf 25 % veranschlagt . Im Vereinigten Königreich betrage er 35 %. Drei andere Staaten kennen ebenfalls die Technik des Nullsatzes, den sie jedoch nur in sehr kleinem Maßstab, vor allem im Bereich der Presse, anwenden .

5 . Zunächst weise ich darauf hin, daß die Kommission das Prinzip dieses Systems, das sie als dem der Steuerbefreiungen mit Erstattung gleichwertig ansieht, nicht beanstandet . Sie kritisiert jedoch, daß die Anwendungen des Nullsatzes auf die oben genannten Gegenstände oder Dienstleistungen ( 12 ) nicht den Kriterien des Artikels 17 entspreche . Die Kommission räumt zwar ein, daß sich der Nullsatz nicht auf die eigenen Mittel auswirke; sie weist jedoch darauf hin, daß es "im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarktes, der Beseitigung der Steuergrenzen ..." ihr Ziel sei, "die Verwendung des Nullsatzes auf die Umsätze zu begrenzen, die den in Artikel 28 Absatz 2 der Richtlinie festgelegten Kriterien entsprechen, und zwar im Rahmen ihrer allgemeinen Steuerpolitik, die darin besteht, die vollständige Beseitigung des Nullsatzes und der Steuerbefreiungen mit Erstattung zu erreichen ". Nach Ansicht der Kommission ist "die Anwendung des Nullsatzes eines der Hindernisse auf dem Weg zur Vereinheitlichung der Mehrwertsteuersätze ".

6 . Nach Ansicht der Klägerin darf man für die Beantwortung der Frage, bis zu welchem Punkt der Absatzkette der Nullsatz so anwendbar sei, daß er dem Endverbraucher einen Vorteil verschaffe, nur auf die Stufen abstellen, die "echte Produktionsfaktoren" für Herstellung oder Vertrieb eines Enderzeugnisses seien, das nach den Kriterien des Artikels 28 Absatz 2 von der Steuer befreit werden könne . Die Kommission macht geltend, daß die in Rede stehenden Lieferungen landwirtschaftlicher Produktionsfaktoren nicht für den Endverbraucher bestimmt seien und nur als mittelbare landwirtschaftliche Produktionsfaktoren betrachtet werden könnten . Nur wer Gegenstände oder Dienstleistungen ohne Anspruch auf Steuerabzug erwerbe, könne als Endverbraucher bezeichnet werden .

7 . Irland ist in seinen Schriftsätzen der von der Kommission vertretenen Definition des Endverbrauchers nicht entgegengetreten, auch wenn es diese im Vorverfahren in seinem Schreiben vom 23 . Juli 1982 als zu eng und "nicht notwendigerweise richtig" bewertet hat . Zum einen sei die Anwendung des Nullsatzes gerechtfertigt, wenn dies dem Endverbraucher unter den im Handel bestehenden Umständen einen, und sei es mittelbaren, Vorteil bringe . Jedenfalls gebe es bei den genannten landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren für die Erzeuger, die die Erzeugnisse ihres Betriebes verbrauchten, einen unmittelbaren Vorteil . Zum anderen macht Irland geltend, es stehe in seinem Ermessen, zu bestimmen, welche Maßnahmen genau definierten sozialen Gründen entsprächen . Eine Kontrolle durch den Gerichtshof erscheine insoweit "sehr schwierig ". Die Kommission bestreitet nicht, daß dem beklagten Staat eine solche Befugnis zustehe . Sie macht jedoch geltend, daß es Ihre Aufgabe sei, die gemeinschaftsrechtliche Bedeutung des Begriffs der "genau definierten sozialen Gründe" zu bestimmen und die Vereinbarkeit dieses Begriffs mit den ergriffenen Maßnahmen zu beurteilen .

8 . Irland beruft sich jedoch zu seiner Verteidigung in erster Linie auf Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie ( im folgenden : Artikel 27 ). Diese Vorschrift ermächtigt durch Bezugnahme auf Absatz 1 dieses Artikels die Mitgliedstaaten, abweichende Sondermaßnahmen mit dem Ziel aufrechtzuerhalten, "die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten", sofern die Mitgliedstaaten der Kommission diese Maßnahmen vor dem 1 . Januar 1978 mitgeteilt haben . Nach Ansicht Irlands lässt sich mit dieser Vorschrift die Anwendung des Nullsatzes auf die landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren und auf die Elektrizitätslieferungen rechtfertigen . Die Kommission meint im wesentlichen, daß die kumulative Anwendung der Artikel 27 und 28 Absatz 2 aus sachlichen Gründen ausgeschlossen sei und daß Artikel 27 insbesondere nicht von der Beachtung des Artikels 28 Absatz 2 entbinde .

9 . Irland hat in seiner Gegenerwiderung schließlich der Kommission allgemein vorgeworfen, eine Klage wegen Vertragsverletzung in Wirklichkeit für den Versuch einer Umgehung von Artikel 28 zu benutzen, wonach es Sache des Rates sei, einstimmig über die Beseitigung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiungen zu entscheiden . Der Vorwurf der Kommission, die irische Methode des Nullsatzes behindere den "Fortschritt zu einer weiteren Harmonisierung der Mehrwertsteuer", sei ein politisches Argument . Bei Klageerhebung habe dem Rat noch kein Programm der Kommission zur Beseitigung der Steuerbefreiungen vorgelegen . Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß diese Vorschläge im Laufe des Verfahrens vorgelegt worden sind ( 13 ).

10 . Meines Erachtens gehören diese Einwände, die sich auf die möglichen Beweggründe für die Klage beziehen, nicht hierher . Muß daran erinnert werden, daß es in jedem Fall im freien Ermessen der Kommission als Hüterin der Verträge steht, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, und daß es ihre "Sache (( ist )) ..., den Zeitpunkt der Klageerhebung beim Gerichtshof zu wählen" ( 14 )? Vor allem aber besteht Ihre Rolle hier darin, die möglichen Verstösse eines Mitgliedstaats gegen seine durch das positive Recht bestimmten Verpflichtungen zu beurteilen . Hierzu erinnere ich daran, daß Sie in der Rechtssache Parlament/Rat, in der der Rat vortrug, daß das klagende Organ die Untätigkeitsklage als Mittel zur Verfolgung politischer Ziele benutze, ausgeführt haben :

"Man würde die vom Vertrag gewollte institutionelle Stellung eines Organs beeinträchtigen, wollte man es in der Ausübung dieser Befugnis (( zur Erhebung der Untätigkeitsklage )) einschränken ." ( 15 )

Sie haben so den Antrag des Rates auf Klageabweisung wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen und damit den Schlussanträgen des Generalanwalts entsprochen, der ausgeführt hatte :

"Über die Frage zu urteilen, ob mit der Klage politische Ziele verfolgt werden, ist nicht Sache dieses Gerichts . Vor unserem Gericht wird ein Rechtsstreit geführt, nach den Regeln des Prozeßrechts über eine Rechtsfrage, nämlich den Umfang der Pflichten eines Gemeinschaftsorgans . Dieser Rechtsstreit wird entschieden nach den hier einschlägigen Bestimmungen, nämlich denjenigen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25 . März 1957 .

Er wird geführt im Interesse der Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung, die klarstellt, welchen Umfang die Rechte und Pflichten der streitenden Parteien haben ." ( 16 )

Diese grundsätzlichen Ausführungen, die den objektiven Charakter der bei Ihnen erhobenen Klagen hervorheben, ermöglichen es, die Tragweite der vom beklagten Staat vorgebrachten Argumente angemessen zu beurteilen . Zwar hat sich das klagende Organ im vorliegenden Fall in gewissen allgemeinen Wendungen zu den Interessen geäussert, die es für betroffen hält; in seiner Klage rügt es jedoch unmißverständlich einen Verstoß gegen Artikel 28 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 17 der Zweiten Richtlinie . Und so sind es ganz offensichtlich - vorbehaltlich der Bedeutung des Artikels 27 - allein diese Bestimmungen, anhand deren Sie feststellen können, ob der beklagte Staat seine Verpflichtungen verletzt hat oder nicht, denn da die Sechste Richtlinie ausdrücklich vorsieht, daß es Sache des Rates ist, die gemäß Artikel 28 eingeführten Ausnahmen zu beseitigen, bedeutet ihre Beibehaltung, daß sie bis zu dieser Entscheidung im Einklang mit dieser Vorschrift stehen . Dies ist daher jetzt zu prüfen .

I - Die Begriffe der "genau definierte soziale Gründe" und "zugunsten der Endverbraucher"

11 . Ich möchte zunächst hervorheben, daß "genau definierte soziale Gründe" und "Vorteil für den Endverbraucher" keine alternativen Bedingungen darstellen . Die eine bezieht sich nämlich auf den Zweck der betreffenden Maßnahme, die andere auf die von ihr Begünstigten . Sie sind also kumulativ . Zudem besteht kein Anlaß, eine Bestimmung, die Ausnahmen von den Vorschriften der einheitlichen steuerpflichtigen Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer vorsieht, weit auszulegen .

A - Die "genau definierten sozialen Gründe"

12 . Die Parteien sind sich hier insoweit einig, als sie den Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Sozialpolitik ein Ermessen zuerkennen . Die Kommission meint jedoch, daß es Ihre Aufgabe sei, dem Begriff der "genau definierten sozialen Gründe" einen gemeinschaftlichen Inhalt zu geben und gegebenenfalls festzustellen, daß die ergriffenen Maßnahmen entweder nicht hinreichend definiert oder nicht gerechtfertigt seien oder ausser Verhältnis zu den angeführten Gründen stuenden .

13 . Die Anwendung des Nullsatzes kann darauf abzielen, für die am meisten benachteiligten sozialen Schichten die Steuern herabzusetzen . Aber ebenso kann man sich vorstellen, daß die Mitgliedstaaten dieses steuerliche Instrument auch benutzen, um die Bedürfnisse der grossen Mehrheit der Bevölkerung besser zu befriedigen . Meines Erachtens ist es hinsichtlich des fraglichen Konzeptes nicht Ihre Aufgabe, zu prüfen, ob die von den Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen zweckmässig sind . Ich erinnere daran, daß Sie zum Vorbehalt der öffentlichen Sittlichkeit im Bereich des freien Warenverkehrs ausgeführt haben :

"Grundsätzlich ist es Sache jedes Mitgliedstaats, den Begriff der öffentlichen Sittlichkeit für sein Gebiet im Einklang mit seiner eigenen Wertordnung und in der von ihm gewählten Form auszufuellen ." ( 17 )

Ich schlage Ihnen vor, diese Lösung hier zu übernehmen . Wenn die Mitgliedstaaten nämlich die genannte Grundfreiheit derart beschränken können, muß es möglich sein - ohne daß der innere Zusammenhalt der gemeinschaftlichen Rechtsordnung stärker gefährdet wäre -, ihnen eine ähnliche Handlungsfreiheit zuzuerkennen, wenn es um vorübergehende Ausnahmen von der Einheitlichkeit der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer geht .

14 . Die Einhaltung der Richtlinie verlangt jedoch, daß Sie einschreiten können, wenn die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse auf diesem Gebiet in einer Weise ausüben, die überhaupt nicht mit dem betroffenen Bereich in Zusammenhang steht und die gemeinschaftsrechtliche Regelung selbst zunichte macht . Ich schlage Ihnen deshalb vor, nur die Fälle zu beanstanden, in denen der Zweck der ergriffenen Maßnahmen offensichtlich keinen Bezug zu der Befriedigung der individuellen oder kollektiven Grundbedürfnisse der Bevölkerung des Mitgliedstaats hat .

B - Der Endverbraucher

15 . Meiner Ansicht nach ist als Endverbraucher zu definieren, wer einen Gegenstand oder eine Dienstleistung zum persönlichen Gebrauch erwirbt im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die Artikel 4 der Richtlinie als Kriterium verwendet, um den Steuerpflichtigen zu charakterisieren . Steuerpflichtiger und Endverbraucher unterscheiden sich dadurch, daß der erste entgeltliche Geschäfte und der zweite Erwerbungen für seinen eigenen Gebrauch tätigt . Diese Unterscheidung hat wesentliche steuerliche Folgen : Der Steuerpflichtige zieht grundsätzlich die ihm auferlegte Mehrwertsteuer ab, während der Endverbraucher, "da es keinen weiteren Umsatz zu einem bestimmten Preis gibt" ( 18 ), diese Steuer trägt . Diese letzte Folge darf nicht verkannt werden, wenn es sich um einen Nullsatz handelt . In diesem Fall steht der Endverbraucher demjenigen gleich, der ohne Möglichkeit eines Vorsteuerabzugs eine positive Steuer trüge . Diese Definition beruht keineswegs auf einem engen Ansatz, sondern entspricht genau einer steuerrechtlichen Betrachtungsweise, die im Rahmen der Bestimmungen über die Mehrwertsteuer allein mit den von dieser Besteuerungsregelung geschaffenen Kategorien im Einklang steht . Dies ist übrigens die Definition in Artikel 3 des Vorschlags einer 16 . Richtlinie zur Mehrwertsteuer ( 19 ):

"Für die Anwendung dieser Richtlinie gilt als :

a ) 'Endverbraucher' :

1 . eine Person, die hinsichtlich der in Artikel 2 genannten Einfuhr nicht als Steuerpflichtiger im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates angesehen wird;

2 . ein Steuerpflichtiger, der beim Erwerb eines Gegenstandes nicht das Recht auf Vorsteuerabzug hatte ".

C - "Zugunsten" des Endverbrauchers : der Vorteilsbegriff

16 . Zu prüfen bleibt der Begriff des Vorteils, den Artikel 17 fordert, indem er von Steuerbefreiungen "zugunsten der Endverbraucher" spricht . Im Rahmen der "normalen" Steuerbefreiung ergibt sich der Vorteil aus der Nichtanwendung der Mehrwertsteuer auf der Stufe des Einzelhandels . Im Kern ist der Vorteil im Nullsatzsystem völlig identisch : Der Verbraucher bezahlt keine Mehrwertsteuer . Die Anwendung des Nullsatzes auf den vorausgehenden Absatzstufen verschafft dem Verbraucher keinerlei zusätzlichen Steuervorteil, weil er die Mehrwertsteuer ohnehin nicht trägt . Man kann aber mit der Kommission einen Vorsteuersatz Null insoweit zulassen, als er auf das Erzeugnis selbst, das für den Erwerb zum Nullsatz durch den Endverbraucher bestimmt ist, angewendet wird .

17 . Könnte man noch weiter gehen und den mittelbaren Vorteil berücksichtigen, der sich nach Ansicht des beklagten Staates aus der Anwendung eines Nullsatzes auf Produktionsfaktoren ergibt, die dazu beitragen, Gegenstände zu erzeugen, die selbst einem Nullsatz unterliegen? Ich betone, daß steuerlich gesehen dieser Vorteil nicht besteht, wenn dem Endverbraucher ein Nullsatz gewährt wird . Die Multiplikation eines Vorsteuersatzes Null wirkt sich nämlich nicht auf die Steuerbelastung des Verbrauchers aus, da diesem in jedem Fall der Nullsatz zugute kommt . Daher kann es für ihn hier keinen anderen Vorteil geben als den, der sich aus einer eventuellen Senkung der Kosten des Erzeugnisses ergibt, die aus einer Senkung des Unkostenköffizienten und der allgemeinen Kosten folgt, weil auf die betroffenen Erzeugnisse keine positiven Steuern erhoben werden . Meines Erachtens sind aber diese Folgen, die sich aufgrund der wirtschaftlichen Analyse zeigen, mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, denn sie variieren je nach den Abzugsterminen, der Grösse und Struktur der betroffenen Erzeuger oder Zwischenhändler, ihren zwischenbetrieblichen Kreditbeziehungen usw . Die Komplexität solcher Auswirkungen verlangt meiner Meinung nach, daß man bei der Prüfung eines Vorteils "zugunsten des Endverbrauchers" im Sinne des Artikels 17 zurückhaltend vorgeht . Soweit jedoch eine Senkung der Selbstkosten geeignet ist, dem Endverbraucher einen, wenn auch veränderlichen, Vorteil zu verschaffen, schlage ich Ihnen vor, die Anwendung des Nullsatzes nur auf die Produktionsfaktoren, die unmittelbar und ausschließlich in die Produktion eines Erzeugnisses eingehen, das rechtmässig dem Nullsatz unterliegt, nicht grundsätzlich auszuschließen .

18 . Da die von der geprüften Regelung aufgestellten Voraussetzungen geklärt worden sind, ist jetzt deren Einhaltung durch die streitigen Maßnahmen zu prüfen .

II - Prüfung der streitigen Nullsätze

A - Die landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren

19 . Wie Sie wissen, handelt es sich um Futtermittel für Nutztiere, also keine Heimtiere, um Arzneimittel, die diesen Tieren oral verabreicht werden, um die meisten Düngemittel, die in Einheiten von mindestens 10 kg geliefert werden, sowie schließlich um Samen oder andere Erzeugnisse, die zum Säen bestimmt sind, um Nahrungsmittel zu erzeugen .

20 . Den Nahrungsmitteln kommt unstreitig ein Nullsatz zugute . Irland führt aus, daß in den landwirtschaftlichen Haushalten praktisch ein Viertel der gesamten Bevölkerung des Staats lebe und daß die Gegenstände, deren Lieferung dem Nullsatz unterliege, unmittelbar in die Erzeugung von Nahrungsmitteln eingingen, die von diesen Haushalten teilweise selbst verbraucht würden . Ich räume ein, daß dieser Eigenverbrauch, den Irland auf 9 % schätzt, um so wahrscheinlicher ist, als es viele kleine Betriebe zu geben scheint . Meines Erachtens würde eine positive Besteuerung für diesen Teil des Endverbrauchs eine Kostenerhöhung bewirken . Der beklagte Staat macht zudem die Gefahr einer Erhöhung der Verkaufspreise durch die Erzeuger geltend, die vor allem versuchen würden, die Liquiditätsverluste auszugleichen, die durch das Warten auf die pauschale Ausgleichszahlung im Falle der Erhebung einer positiven Mehrwertsteuer auf diese Erzeugnisse verursacht würden . Eine solche Wirkung kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden . Und da es sich um Produktionsfaktoren handelt, die meiner Meinung nach unmittelbar und ausschließlich in die Erzeugung von Nahrungsmitteln eingehen, schlage ich Ihnen vor, den mittelbaren Vorteil anzuerkennen, den der Nullsatz dem Endverbraucher wegen des "sensiblen" Charakters der Nahrungsmittelpreise im Einzelhandel verschaffen kann . Ich schlage Ihnen daher vor, festzustellen, daß insoweit keine Vertragsverletzung vorliegt .

B - Elektrizität

21 . Es geht hier um die Anwendung des Nullsatzes auf Elektrizitätslieferungen an andere Empfänger als den Endverbraucher .

22 . Irland macht im wesentlichen geltend, daß die Erhebung von Mehrwertsteuer auf die für den privaten Verbrauch bestimmten Lieferungen, die in Irland 41 % des Elektrizitätsverbrauchs ausmachten, von der Mehrwertbesteuerung der zu einem anderen Gebrauch bestimmten Lieferungen nicht getrennt werden könne . Das Ausmaß des privaten Verbrauchs rechtfertige es, sämtliche Lieferungen dem Nullsatz zu unterwerfen . Eine unterschiedliche Besteuerung desselben Erzeugnisses sei undurchführbar und es bestehe zudem kein grosses Interesse, die als mehrwertsteuerpflichtig registrierten Verbraucher zu besteuern, gleichgültig ob die Elektrizität einem positiven Steuersatz oder dem Nullsatz unterliege . Diese letzte Äusserung bezieht sich zweifellos auf das Vorbringen Irlands, wonach selbst bei Anwendung eines positiven Steuersatzes auf die streitigen Lieferungen 80 % des Elektrizitätsverbrauchs in den Genuß entweder eines Nullsatzes oder einer Steuererleichterung kommen würden .

23 . Dieses Vorbringen überzeugt nicht . Der Bereich der Industrie und des Handels kann dem Endverbraucher nicht gleichgestellt werden . Der industrielle Gebrauch wird zwar aufgrund des auf ihn anwendbaren Nullsatzes gegebenenfalls nicht mit der Mehrwertsteuer belastet, die auf die Elektrizität entfällt, die zur Herstellung von dem normalen Steuersatz unterliegenden Enderzeugnissen notwendig ist . Aber abgesehen davon, daß man hier sehr schwer ausmachen kann, auf welchen sozialen Gründen der fragliche Nullsatz beruhen soll, erscheint der Vorteil hier als zu mittelbar und entfernt . Im übrigen kann man zwar der Kommission darin folgen, daß der Nullsatz zulässig ist, wenn er einer Kategorie von Gegenständen oder Verwendern nur mittelbar zugute komme, die grundsätzlich keinen Anspruch auf diese Maßnahme haben, doch kann das nicht gelten, wenn es sich um Elektizitätslieferungen für die gesamte Industrie eines Mitgliedstaats handelt . Und es erscheint keineswegs unmöglich, die Kategorien der Verbraucher eines bestimmten Erzeugnisses zu unterscheiden und sie je nach ihrem Status verschiedenen Mehrwertsteuersätzen zu unterwerfen . Die Anwendungskriterien des Artikels 28 Absatz 2 sind deshalb meines Erachtens im vorliegenden Fall nicht erfuellt . Da aber Irland hierzu hilfsweise vorgetragen hat, daß der Nullsatz für alle Elektrizitätslieferungen nach Artikel 27 gerechtfertigt sein könnte, ist nun diese Vorschrift zu prüfen .

III - Artikel 27 der Sechsten Richtlinie

24 . Es ist zunächst darauf hinzuweisen, daß Artikel 27, der in der Richtlinie im Abschnitt "Vereinfachungsmaßnahmen" steht, eine Bestimmung mit zeitlich unbegrenzter Geltung ist, die ihrem Wesen nach keine Steuerbefreiung zulässt . Zum einen enthalten die Artikel 13 bis 16 nämlich eine gemeinsame und abschließende Liste bleibender Steuerbefreiungen, zum anderen sieht Artikel 27 Absatz 1 Satz 2 ausdrücklich vor, daß die Vereinfachungsmaßnahmen "den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Masse beeinflussen" dürfen ( 20 ). Zwar scheint diese letzte Voraussetzung nicht für die Maßnahmen zu gelten, die Steuerhinterziehungen verhüten sollen, doch möchte ich darauf hinweisen, daß Irland ebenfalls auf dem Vereinfachungscharakter der gerügten Maßnahmen bestanden hat . Daher kann eine Bestimmung mit zeitlich unbegrenzter Geltung, die keine Grundlage für eine bleibende Steuerbefreiung sein kann, grundsätzlich eine vorläufige Steuerbefreiung rechtfertigen . Infolgedessen ist die Anwendung des Nullsatzes auf die an die Industrie gelieferte Elektrizität ausgeschlossen, durch die die Mehrwertsteuerbelastung dieser Lieferung beim Erwerb von Enderzeugnissen durch den Endverbraucher entfällt .

25 . Zudem ist Artikel 28, der die vorläufigen Steuerbefreiungen vorsieht, selbst abschließend . Daher würde man ihn verkennen, wenn man unter mißbräuchlicher Berufung auf Artikel 27 eine nicht vorgesehene vorläufige Steuerbefreiung einführte . Meiner Meinung nach kann daher auf Elektrizitätslieferungen an die Industrie nicht aufgrund des Artikels 27 der Nullsatz angewandt werden . Ich möchte hinzufügen, daß - falls Sie meinen, daß die landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren die Kriterien des Artikels 28 Absatz 2 nicht erfuellen - ihnen wegen des genannten abschließenden Charakters jegliche Rechtfertigung auf der Grundlage des Artikels 27 abzusprechen wäre, wobei darauf hinzuweisen ist, daß der Nullsatz jegliche Besteuerung des Eigenverbrauchs entfallen lässt .

26 . Ich schlage Ihnen daher vor, festzustellen, daß Irland gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag und aus Artikel 28 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 des Rates vom 17 . Mai 1977 verstossen hat, indem es auf Elektrizitätslieferungen an andere Verbraucher als Endverbraucher den Nullsatz anwendet, und die Klage im übrigen abzuweisen . Wegen dieses Antrags auf Teilabweisung schlage ich vor, die Kosten gegeneinander aufzuheben .

(*) Aus dem Französischen übersetzt .

( 1 ) "Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage", ABl . L 145 vom 13 . 6 . 1977, S . 1 .

( 2 ) Von der Klage werden zum einen bestimmte landwirtschaftliche Produktionsfaktoren erfasst ( Futtermittel für andere als Heimtiere, gewisse Düngemittel in Einheiten von mindestens 10 kg, Arzneimittel zur Einnahme durch andere Tiere als Heimtiere, Samen oder andere Erzeugnisse, die zum Säen bestimmt sind, um Lebensmittel zu erzeugen ), zum anderen Elektrizitätslieferungen an andere Verbraucher als Endverbraucher .

( 3 ) Mehrfach geändert, zuletzt durch den Finance Act 1985 .

( 4 ) Richtlinie 67/228 - "Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems", ABl . Nr . 71 vom 14 . 4 . 1967, S . 1303, im folgenden : die Zweite Richtlinie .

( 5 ) Erste Richtlinie 67/227 des Rates vom 11 . April 1967 "zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer", ABl . vom 14 . 4 . 1967; Zweite Richtlinie ( s . o .).

( 6 ) Artikel 2 Absatz 1 der Ersten Richtlinie .

( 7 ) Achte Begründungserwägung der Ersten Richtlinie .

( 8 ) Mit der Dritten, Vierten und Fünften Richtlinie wurde nur das Datum der Einführung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems hinausgeschoben .

( 9 ) Siehe die zweite Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie, Hervorhebung von mir .

( 10 ) Elfte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie .

( 11 ) Neunzehnte und letzte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie ( Hervorhebung von mir ).

( 12 ) Siehe oben, Fußnote 2 .

( 13 ) ABl . C 250 vom 18 . 9 . 1987, S . 2 .

( 14 ) Urteil vom 10 . Dezember 1968 in der Rechtssache 7/68, Slg . 1968, 634 .

( 15 ) Urteil vom 22 . Mai 1985 in der Rechtssache 13/83, Slg . 1985, 1556 .

( 16 ) Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 7 . Februar 1985, Slg . 1985, 1515 .

( 17 ) Urteil vom 14 . Dezember 1979, Regina/Henn und Darby, Slg . 1979, 3795 .

( 18 ) Urteil vom 1 . April 1982, Staatssecretaris van Financiën/Hong-Kong Trade Development Council, Slg . 1982, 1277, Randnr . 9 .

( 19 ) ABl . C 226 vom 28 . 8 . 1984, S . 2 .

( 20 ) Hervorhebung von mir .