C-127/86 - Ledoux

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EUR-Lex - 61986C0127 - DE

61986C0127

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 9. Februar 1988. - MINISTERE PUBLIC UND FINANZMINISTER DES KOENIGREICHS BELGIEN GEGEN YVES LEDOUX. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER COUR D'APPEL LUETTICH. - MEHRWERTSTEUER - VORUEBERGEHENDE EINFUHR EINES FAHRZEUGS ZU BERUFLICHEM UND PRIVATEM GEBRAUCH. - RECHTSSACHE 127/86.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 03741


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Herr Ledoux, Angeklagter des Ausgangsverfahrens, wird beschuldigt, ein in Frankreich zugelassenes, seinem Arbeitgeber - einer französischen Gesellschaft - gehörendes Kraftfahrzeug in Steuerhinterziehungsabsicht nach Belgien eingeführt zu haben, indem er es am 22 . Februar 1983 ausserhalb der Fahrstrecke zwischen seinem Wohnsitz und seiner Arbeitsstätte, also zu privaten Zwecken, benutzt habe . Aus den Akten geht hervor, daß ihm das Fahrzeug im Rahmen seines Arbeitsvertrags zur Verfügung gestellt worden war und daß er berechtigt war, es für berufliche wie für private Zwecke zu nutzen .

2 . Anscheinend bestand in Belgien zum Zeitpunkt des Geschehens eine - inzwischen durch ein Rundschreiben der belgischen Zoll - und Verbrauchsteuerverwaltung bekräftigte - Übung, wonach ein Grenzgänger mit gewöhnlichem Wohnsitz in Belgien ein Kraftfahrzeug, das ihm von seinem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden war, auf dem belgischen Teil der Fahrstrecke zwischen seinem ausländischen Arbeitsplatz und seinem Wohnort benutzen durfte . Diese Praxis erstreckte sich jedoch nicht auf die gelegentliche Nutzung eines solchen Wagens für private Zwecke .

3 . Die Frage, die die Cour d' appel Lüttich, die mit dem Ausgangsverfahren befasst wurde, nachdem das Tribunal correctionnel Neufchâteau Herrn Ledoux freigesprochen hatte, dem Gerichtshof vorgelegt hat, läuft im wesentlichen darauf hinaus, ob die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts insbesondere auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer es einem Mitgliedstaat gestatten, die bei Einfuhren fällige Mehrwertsteuer zu erheben, wenn eine Person mit Wohnsitz in diesem Staat im Rahmen der Erfuellung ihres Arbeitsvertrags und in ihrer Freizeit ein Kraftfahrzeug benutzt, das ihr von ihrem in einem anderen Mitgliedstaat - in dem die Mehrwertsteuer bezahlt worden ist - niedergelassenen Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden ist, wobei das Fahrzeug Eigentum des Arbeitgebers bleibt und nur vorübergehend in das Wohnsitzland des Benutzers eingeführt wird .

4 . Die im Zeitpunkt des maßgeblichen Geschehens anwendbare Vorschrift des Gemeinschaftsrechts war die Sechste Richtlinie ( 77/388 ) des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl . L 145, S . 1 ).

5 . Inzwischen hat der Rat die Richtlinie 83/182 vom 28 . März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel ( ABl . L 105, S . 59 ) erlassen, der die Mitgliedstaaten bis zum 1 . Januar 1984 nachzukommen hatten . Ich kann mich auf diese Vorschrift naturgemäß nur nebenher beziehen und sie lediglich als zusätzliches gedankliches Hilfsmittel im Rahmen der auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Rechts anzustellenden Überlegungen verwenden . Die Richtlinie 83/182 sieht übrigens keine Steuerbefreiung für vorübergehende Einfuhren der vorliegend interessierenden Art vor . Die Kommission hat jedoch dem Rat am 4 . Februar 1987 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 83/182 vorgelegt, dem zufolge eine entsprechend lautende Bestimmung in diese Regelung einzufügen wäre .

6 . Was die Sechste Richtlinie betrifft, so heisst es in ihrem Artikel 2 :

"Der Mehrwertsteuer unterliegen :

1 ) ...

2 ) die Einfuhr von Gegenständen ."

7 . Nach Artikel 10 Absatz 3 treten bei der Einfuhr "der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem ein Gegenstand in das Inland ... gelangt" ( Unterabsatz 1 ), ausser wenn dieser Gegenstand einer die vorübergehende Einfuhr betreffenden Regelung unterliegt ( Unterabsatz 4 ).

8 . Anders als bei der "Lieferung eines Gegenstands" innerhalb eines Landes, als welche "die Übertragung der Befähigung (( gilt )), wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen" ( Artikel 5 Absatz 1 ), wird die Mehrwertsteuer also grundsätzlich aufgrund der blossen Tatsache der Einfuhr fällig, d . h . des Verbringens des Gegenstands in das Gebiet eines Landes . Es wird kein Unterschied je nach der Eigenschaft des Importeurs gemacht, also danach, ob er Eigentümer oder nur Benutzer des eingeführten Gegenstands ist . Nach Artikel 21 Absatz 2 ist/sind Steuerschuldner bei der Einfuhr "die Person oder Personen, die vom Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bezeichnet oder anerkannt wird oder werden ".

9 . Indessen erschien auch den Verfassern der Sechsten Richtlinie die Anknüpfung an die blosse materielle Tatsache der Einfuhr offensichtlich zu starr, denn sie haben in Artikel 14 Befreiungen von der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr vorgesehen . Namentlich heisst es in Absatz 1 dieses Artikels :

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer :

...

c ) die Einfuhr von Gegenständen, die für ein Verfahren der vorübergehenden Einfuhr angemeldet worden sind, für die auf Grund dieses Verfahrens eine Zollbefreiung gilt oder, wenn sie aus einem Drittland eingeführt worden wären, gelten würde;

..."

10 . Nach Absatz 2 können die Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten gemeinschaftsrechtlicher Steuerregeln zur genaueren Beschreibung des Geltungsbereichs dieser Steuerbefreiungen und der praktischen Einzelheiten ihrer Durchführung

"die geltenden einzelstaatlichen Vorschriften im Rahmen der vorstehenden Bestimmungen beibehalten;

- diese Vorschriften anpassen, um die Wettbewerbsverzerrungen und insbesondere die Nicht - oder Doppelbesteuerung im Mehrwertsteuerbereich innerhalb der Gemeinschaft zu verringern;

- die Verwaltungsverfahren anwenden, die ihnen zur Erzielung der Steuerbefreiung am geeignetsten erscheinen ".

11 . Der Gerichtshof hatte diese Bestimmungen in drei Fällen auszulegen, nämlich in seinen Urteilen in den Rechtssachen Carciati ( 1 ), Abbink ( 2 ) und Profant ( 3 ).

12 . In der Rechtssache Carciati ging es um einen Sachverhalt, der sich von demjenigen des Herrn Ledoux insofern sehr stark unterschied, als das Fahrzeug nicht jeden Tag erneut in den Mitgliedstaat eingeführt wurde, in dem das Unternehmen, dem es gehörte, seinen Sitz hatte, sondern anscheinend fast ständig im Wohnsitzland des Benutzers gebraucht wurde .

13 . In der Rechtssache Abbink fuhr der Betroffene ebenfalls nicht täglich hin und her . Ausserdem hat der Gerichtshof in diesen beiden Rechtssachen das Problem lediglich im Licht der Vertragsgrundsätze über den freien Warenverkehr untersucht, wozu ihn im übrigen der Wortlaut der Vorlagefragen aufforderte .

14 . In seinem Urteil in der Rechtssache Profant, der jüngsten einschlägigen Entscheidung, hat der Gerichtshof die Frage der Steuerbefreiungen in einen breiteren Zusammenhang gestellt .

15 . Das Urteil stellt zunächst fest, daß nach Artikel 14 die Beibehaltung der betreffenden einzelstaatlichen Vorschriften "im Rahmen" der von den Gemeinschaftsregeln vorgesehenen Befreiungen zu erfolgen hat und daß jene Vorschriften anzupassen sind, um die Doppelbesteuerung im Mehrwertsteuerbereich innerhalb der Gemeinschaft zu verringern . Anschließend wird ausgeführt, daß diese Erfordernisse ihrerseits unter dem Blickwinkel eines der Harmonisierungsziele im Mehrwertsteuerbereich zu sehen seien, nämlich - wie es in einer der Begründungserwägungen der Sechsten Richtlinie heisst - die effektive Freizuegigkeit der Personen und die effektive Liberalisierung des Güterverkehrs sowie die Verflechtung der Volkswirtschaften weiter zu verfolgen .

16 . Weiter heisst es in diesem Urteil : "Diese Erwägungen zeigen, daß die Handhabung der Ausnahmen gemäß Artikel 14 der Sechsten Richtlinie nicht völlig im Ermessen der Behörden der Mitgliedstaaten liegt, da diese die mit der Harmonisierung im Mehrwertsteuerbereich verfolgten grundlegenden Ziele wie unter anderem die Förderung der Freizuegigkeit und des freien Warenverkehrs sowie das Verbot der Doppelbesteuerung beachten müssen . Wenn die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats ihre nationalen Rechtsvorschriften über die Mehrwertsteuerbefreiung auf Kraftfahrzeuge anwenden, die von Studenten aus einem anderen Mitgliedstaat benutzt werden, sind sie infolgedessen verpflichtet, den Begriff der vorübergehenden Einfuhr so auszulegen, daß die Freiheit der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten, im Mitgliedstaat ihrer Wahl zu studieren, nicht durch eine Doppelbesteuerung der betreffenden Fahrzeuge beeinträchtigt wird" ( Randnrn . 24 bis 26 ). Der Gerichtshof leitet hieraus ab, daß die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in einem solchen Fall der Erhebung von Mehrwertsteuer bei der Einfuhr entgegenstehen .

17 . Meiner Meinung nach lässt sich die logische Struktur des Urteils Profant auf das uns beschäftigende Problem übertragen . Zwar trifft es zu, daß Herr Profant, anders als Herr Ledoux, seinen Hauptwohnsitz nicht im Einfuhrstaat hatte . Ebenso trifft zu, daß der Gerichtshof ausdrücklich hinzugefügt hat, das Ergebnis wäre anders, wenn der - inzwischen verheiratete - Betroffene "sich in dem Aufnahmemitgliedstaat in der offenkundigen Absicht niederließe, nicht mehr in den Heimatstaat zurückzukehren" ( Randnr . 27 ). In einem solchen Falle wäre die Einfuhr ja nicht mehr vorübergehender Natur, sondern hätte endgültigen Charakter .

18 . Es lässt sich jedoch die Ansicht vertreten, daß im vorliegenden Fall die Tatsache, daß die Einfuhr in das Wohnsitzland von Herrn Ledoux erfolgt, ihr nicht ihren vorübergehenden Charakter nimmt, da das Kraftfahrzeug nach wie vor dem in Nachbarstaat ansässigen Arbeitgeber gehört, regelmässig in das Hoheitsgebiet dieses Staats reexportiert wird und spätestens bei Beendigung des Arbeitsvertrags von Herrn Ledoux endgültig dorthin zurückkehren soll .

19 . Da die Einfuhr des Gegenstands - unabhängig von der Eigenschaft des Importeurs - den Tatbestand darstellt, der die Mehrwertsteuerpflicht auslöst, sollte allein ihre vorübergehende Natur grundsätzlich ausreichen, um eine Befreiung zu rechtfertigen .

20 . Unter dem Blickwinkel der Verwirklichung eines Marktes, "der mit einem echten Binnenmarkt vergleichbare Merkmale aufweist" ( vierte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie ), wäre eine Doppelbesteuerung in derartigen Fällen in der Tat geradezu unannehmbar . Eine Doppelbesteuerung besteht jedoch grundsätzlich sogar in solchen Fällen fort, in denen wie vorliegend gemäß den Urteilen in den Rechtssachen Schul I ( 4 ) und II ( 5 ) im Einfuhrland praktisch überhaupt keine Mehrwertsteuer erhoben werden könnte, weil der dort geltende Mehrwertsteuersatz niedriger ist als der im Ausfuhrland anwendbare .

21 . Dagegen könnte von einer Doppelbesteuerung nicht die Rede sein und wäre ein Befreiung durch das Land der vorübergehenden Einfuhr nicht gerechtfertigt, wenn die Mehrwertsteuer im Ausfuhrland nicht entrichtet oder wenn sie erstattet worden wäre .

22 . Zu Recht knüpfen daher sowohl die vorerwähnte Richtlinie 83/182 ( letzte Begründungserwägung und Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c ) als auch die Richtlinie 85/362, die die vorübergehende Einfuhr von anderen Gegenständen als Beförderungsmitteln betrifft ( Siebzehnte Richtlinie des Rates vom 16 . Juli 1985, ABl . L 192, S . 20; Artikel 10 Buchstabe c ) die Befreiung ausdrücklich an die Bedingung, daß auf die Gegenstände im Mitgliedstaat der Ausfuhr Mehrwertsteuer erhoben und daß für sie anläßlich ihrer Ausfuhr keine Befreiung von dieser Steuer gewährt wurde .

23 . Ferner muß dargetan sein, daß das Fahrzeug dem Arbeitnehmer tatsächlich von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden ist, daß also kein Fall von Betrug vorliegt wie etwa eine fiktive Zulassung des Fahrzeugs im Nachbarland trotz der Tatsache, daß das Fahrzeug in Wahrheit dem Benutzer gehört . Der Beweis dafür, daß das Fahrzeug Eigentum des Arbeitgebers ist, kann aber verwaltungstechnisch ziemlich einfach erbracht werden .

24 . Mir erscheint übrigens aufschlußreich, daß Artikel 10 Buchstabe d der Richtlinie 85/362 des Rates für die vorübergehende Einfuhr von anderen Gegenständen als Beförderungsmitteln verlangt, daß die betroffenen Gegenstände "einer ausserhalb des Gebiets des Einfuhrmitgliedstaats ansässigen Person gehören ".

25 . Es muß auch festgehalten werden, daß die Richtlinie 83/182 nicht sämtliche vorstellbaren und möglichen Fälle der vorübergehenden Einfuhr von Kraftfahrzeugen geregelt hat und sicherlich nicht den Schlusspunkt der Entwicklung auf diesem Sachgebiet bildet . Als Beleg hierfür verweise ich auf ihren Artikel 9 Absatz 1, wonach die Mitgliedstaaten freizuegigere Regelungen beibehalten und/oder treffen können, als sie in dieser Richtlinie ausdrücklich vorgesehen sind, sowie auf den Vorschlag der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie, von dem bereits zu Beginn die Rede war .

26 . Es besteht also kein zwingender, in den Erfordernissen der gemeinschaftsrechtlichen Mehrwertsteuerregelung wurzelnder Grund dafür, in derartigen Fällen die Befreiung bei der vorübergehenden Einfuhr von Kraftfahrzeugen davon abhängig zu machen, daß der Benutzer seinen gewöhnlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Einfuhr hat .

27 . In zweiter Linie ist daran zu erinnern, daß die Mitgliedstaaten die in Artikel 14 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen "unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen" vorzunehmen und hierbei das grundlegende Ziel der Förderung der Freizuegigkeit zu beachten haben .

28 . Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, daß die Verordnung Nr . 1612/68 des Rates vom 15 . Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( ABl . L 257, S . 2 ) in der dritten und vierten Begründungserwägung die Freizuegigkeit ausdrücklich bezeichnet als

"ein Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Familien", das "gleichermassen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern (( zusteht )), die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben ".

In der anschließenden fünften Begründungserwägung heisst es :

"Damit das Recht auf Freizuegigkeit nach objektiven Maßstäben in Freiheit und Menschenwürde wahrgenommen werden kann, muß sich die Gleichbehandlung tatsächlich und rechtlich auf alles erstrecken, was mit der eigentlichen Ausübung einer Tätigkeit im Lohn - oder Gehaltsverhältnis ... im Zusammenhang steht; ferner müssen alle Hindernisse beseitigt werden, die sich der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstellen ..."

29 . Im übrigen sind die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 des Vertrages allgemein gehalten, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erfuellung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem Vertrag oder aus den Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben, dieser die Erfuellung ihrer Aufgabe zu erleichtern und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten .

30 . Ein Mitgliedstaat verletzt diese allgemeine Pflicht zur Zusammenarbeit, wenn er durch eine innerstaatliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung oder Schaffung eines Hindernisses für die Freizuegigkeit derjenigen Arbeitnehmer beiträgt, die zwar in seinem Hoheitsgebiet ansässig sind, ihre Tätigkeit jedoch in einem anderen Mitgliedstaat ausüben .

31 . Dies tut aber ein Mitgliedstaat, der durch eine doppelte Belastung mit Mehrwertsteuern einen Grenzgänger praktisch nötigt, auf bestimmte Vergünstigungen zu verzichten, die ihm sein Arbeitgeber gewährt hat, und dies aus dem alleinigen Grund, daß der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des genannten Staates hat . Der Arbeitnehmer wird auf diese Weise hinsichtlich der Arbeitsbedingungen gegenüber denjenigen seiner Kollegen benachteiligt, die ihren Wohnsitz im Lande ihres Arbeitgebers haben und die gleichen Vergünstigungen in natura genießen . Dergestalt verringert sich der Reiz, den für ihn die Ausübung einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem seines Wohnorts haben könnte, wodurch die Ausübung seines Rechts auf Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft unmittelbar beeinträchtigt wird .

32 . Diese Überlegungen gelten auch dann, wenn der Arbeitgeber die Benutzung des Kraftfahrzeugs auch zu privaten Zwecken gestattet . Denn in einem solchen Fall kann man davon ausgehen, daß die in Rede stehende Vergünstigung in natura mitunter dadurch ausgeglichen wird, daß Lohn oder Gehalt des Betroffenen ein wenig niedriger bemessen ist als bei den Arbeitnehmern, denen die Vergünstigung nicht zugute kommt .

33 . Zu Recht betont die Kommission auf Seite 10 ihrer schriftlichen Erklärungen, daß "ein Teil des dem in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Arbeitnehmer gewährten Entgelts durch die Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates unwirksam gemacht würde, obwohl im Beschäftigungsland Ansässige und Nichtansässige völlig gleich entlohnt werden, wie es Artikel 48 des Vertrages vorschreibt und Artikel 7 der Verordnung Nr . 1612/68 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft näher regelt ".

34 . In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Interesse, daß diejenigen, die aufgrund von Artikel 4 der Richtlinie 83/182 wegen beruflicher Nutzung des ihnen gehörenden Personenfahrzeugs Steuerbefreiung genießen, dieser Befreiung nicht verlustig gehen, wenn sie am Ende ihres Arbeitstages das Fahrzeug privat nutzen ( z . B . um sich in ein Restaurant oder an den Strand zu begeben ). Ich meine daher, daß es keinen schwerwiegenden Grund dafür gibt, einem Arbeitnehmer in der Situation von Herrn Ledoux das Recht zu verweigern, das ihm von seinem Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrags zur Verfügung gestellte Fahrzeug auch privat zu nutzen .

35 . Wie wir gesehen haben, waren sich die belgischen Behörden der Probleme völlig bewusst, die entstehen, wenn ein Grenzgänger ein ihm von seinem Arbeitgeber für die Fahrten zwischen Wohnsitz und Arbeitsort zur Verfügung gestelltes Fahrzeug benutzt, haben sie doch eine solche Nutzung vom 1 . Mai 1984 an versuchsweise zunächst geduldet und dann offiziell gestattet . Das Rundschreiben der belgischen Zollverwaltung vom 1 . Mai 1984 ist übrigens insofern verdienstvoll, als es auch den Fall ins Auge fasst, daß mehrere Arbeitnehmer in ihr Wohnsitzland mit einem gemeinsamen Fahrzeug zurückkehren, das die Nacht über in diesem Land verbleibt .

36 . Aus den vorstehend dargelegten Gründen bin ich jedoch der Auffassung, daß diese Regelung endgültig und nicht nur versuchsweise ( mit der Möglichkeit, sie ohne Vorankündigung zu beenden; siehe Seite 7 des Rundschreibens vom 1 . Mai 1984 ) hätte getroffen werden müssen und daß die Befreiung nicht rückgängig gemacht werden darf, wenn das Fahrzeug auch für private Zwecke genutzt wird .

37 . Nach alledem schlage ich vor, die Vorlagefrage der Cour d' appel Lüttich wie folgt zu beantworten :

"Die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, namentlich auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, hindern einen Mitgliedstaat daran, bei der vorübergehenden Einfuhr eines Kraftfahrzeugs, das einem in einem anderen Mitgliedstaat, in dem Mehrwertsteuer entrichtet wurde, niedergelassenen Arbeitgeber gehört, Mehrwertsteuer zu erheben, wenn das Fahrzeug von einem im erstgenannten Mitgliedstaat wohnhaften Arbeitnehmer im Rahmen der Erfuellung seines Arbeitsvertrags und in seiner Freizeit genutzt wird ."

(*) Aus dem Französischen übersetzt .

( 1 ) Urteil vom 9 . Oktober 1980 in der Rechtssache 823/79, Carciati, Slg . 1980, 2773 .

( 2 ) Urteil vom 11 . Dezember 1984 in der Rechtssache 134/83, Abbink, Slg . 1984, 4097 .

( 3 ) Urteil vom 3 . Oktober 1985 in der Rechtssache 249/84, Profant, Slg . 1985, 3237 .

( 4 ) Urteil vom 5 . Mai 1982 in der Rechtssache 15/81, Schul/Inspecteur der invoerrechten en accijnzen, Slg . 1982, 1409 .

( 5 ) Urteil vom 21 . Mai 1985 in der Rechtssache 47/83, Staatssecretaris van Financiën/Schul, Slg . 1985, 1491 .