C-10/87 - The Queen / Customs and Excise, ex parte Tattersalls Ltd

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EUR-Lex - 61987C0010 - DE

61987C0010

Schlussanträge des Generalanwalts Vilaça vom 24. März 1988. - THE QUEEN GEGEN COMMISSIONERS OF CUSTOMS AND EXCISE, EX PARTE TATTERSALLS LTD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER HIGH COURT OF JUSTICE, QUEEN'S BENCH DIVISION. - MEHRWERTSTEUER - BEFREIUNG VORUEBERGEHENDER EINFUHREN. - RECHTSSACHE 10/87.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 03281


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . I - Der High Court of Justice, Queen' s Bench Devision, in London ersucht um die Auslegung einiger Bestimmungen der Siebzehnten Richtlinie 85/362/EWG des Rates vom 16 . Juli 1985 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Mehrwertsteuerbefreiung der vorübergehenden Einfuhr anderer Gegenstände als Beförderungsmittel ( 1 ).

2 . Die Fragen gehen im wesentlichen dahin, ob ein in Irland gemäß den irischen Rechtsvorschriften mehrwertsteuerfrei gekauftes Pferd bei nachfolgender vorübergehender Einfuhr ins Vereinigte Königreich von der britischen Mehrwertsteuer befreit werden muß oder nicht .

3 . Der Rechtsstreit vor dem innerstaatlichen Gericht geht zurück auf eine Klage eines englischen Auktionshauses für Vollblutpferde, der Tattersalls Ltd mit Sitz in Suffolk . Die Klägerin greift die Auslegung der Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b der Siebzehnten Richtlinie an, auf Grund deren die Commissioners of Customs and Excise in Vollzug des Artikels 5 der Valü Added Tax ( Temporarily Imported Goods ) Relief Order 1985 ( 2 ) die mehrwertsteuerfreie vorübergehende Einfuhr von Rennpferden, die zur Ausbildung oder zur Teilnahme an Rennen für höchstens zwei Jahre aus Irland eingeführt werden, zulassen, obwohl der Verkauf dieser Pferde in Irland mehrwertsteuerfrei ist .

4 . Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten über die Frage, ob Gegenstände ( vorliegend Rennpferde ), die nach den Rechtsvorschriften des Ausfuhrmitgliedstaats von der Mehrwertsteuer befreit sind, als "in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen erworben" ( siehe die zitierten Artikel ) angesehen und in den Einfuhrmitgliedstaat unter Befreiung von der Mehrwertsteuer vorübergehend eingeführt werden können .

5 . Mit dieser Auslegungsfrage befasst, hat der High Court beschlossen, dem Gerichtshof die im Sitzungsbericht wiedergegebenen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen .

6 . II - Allein die Tattersalls Ltd, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, vertritt die Auffassung, daß Gegenstände nur dann als "in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen erworben" angesehen werden könnten, wenn die Steuer beim Erwerb dieser Gegenstände entrichtet worden sei . Sei dies nicht geschehen, so sei der Erwerb nicht in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungen erfolgt .

7 . Offensichtlich spricht der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften für eine andere Auslegung .

8 . Obwohl die Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b im Wortlaut nicht völlig übereinstimmen, machen sie die Befreiung von den gleichen Voraussetzungen abhängig ( 3 ):

a ) Die Gegenstände müssen in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen erworben worden sein;

b ) anläßlich der Ausfuhr dürfen sie nicht von der Mehrwertsteuer befreit worden sein .

9 . Nun lässt sich nicht behaupten, der in Irland nach den dortigen Rechtsvorschriften mehrwertsteuerfreie Erwerb eines Rennpferdes sei nicht in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften geschehen . Diese letzteren stehen ihrerseits mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang, nach dessen Bestimmungen während der Übergangszeit Befreiungen unter den Voraussetzungen des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17 . Mai 1977 ( 4 ) in Verbindung mit Nr . 4 ihres Anhangs F zulässig sind; diese Voraussetzungen sind in Irland erfuellt .

10 . Diese Befreiung ist also ein rechtsgültiger Bestandteil der für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen .

11 . Eine sachgerechte Auslegung wird uns zu dem Schluß führen müssen, daß der Gesetzgeber, hätte er die vorübergehende Befreiung nur für den Fall eines im Ausfuhrstaat der Mehrwertsteuer unterworfenen Erwerbs zulassen wollen, dies ganz anders ausgedrückt hätte ( indem er zum Beispiel verlangt hätte, daß die Mehrwertsteuer entrichtet sei oder daß der Erwerb der Mehrwertsteuer unterlegen habe ). Wenn er das nicht getan hat, so gerade darum, weil er eine andere Lösung wollte .

12 . Ferner dürfen wir nicht übersehen, daß wir uns auf dem Gebiet des Steuerrechts befinden, das die den Anwendungsbereich der Steuer bestimmenden, gewöhnlich als Normen über den Steuertatbestand bezeichneten Vorschriften enthält, in deren Bereich ein Teil der Steuerrechtslehre - im Namen des Grundsatzes nullum vectigal sine lege oder als Ausfluß des Grundsatzes der Gesetzmässigkeit oder der Bestimmtheit der Steuer - nicht nur die analoge Anwendung, sondern auch die ausdehnende Auslegung für unzulässig erklärt .

13 . Auch wer diese Lehre ablehnt - und ausserdem davon ausgeht, daß einige überlieferte Grundsätze des innerstaatlichen Steuerrechts nicht unverändert in das Steuerrecht der Gemeinschaft übernommen werden können -, wird einräumen müssen, daß selbst die Anhänger der "weitherzigsten" Lehre der Ansicht sind, daß die ausdehnende Auslegung vom Wortsinn der Rechtsnorm nicht gänzlich absehen darf .

14 . Die Anhänger dessen, was üblicherweise die in Deutschland vertretene Andeutungstheorie genannt wird ( 5 ), nehmen im allgemeinen an, daß die ausdehnende Auslegung ihre Grenze im "möglichen Sinn" des Gesetzeswortlauts findet und daher nur dazu führen kann, daß der Norm ein Sinn gegeben wird, der zwar in ihrem Wortlaut keinen vollkommenen und zutreffenden Ausdruck gefunden hat, ihm aber doch in einem gewissen Masse, wenn auch in wenig glücklicher Weise, entspricht ( 6 ).

15 . Die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens vorgeschlagene Auslegung scheint nun aber insofern berichtigender, ja teilweise sogar ändernder Art zu sein ( 7 ), als sie zum Ausschluß einer Befreiung führt, die der Wortlaut der Norm ausdrücklich vorsieht .

16 . Können wir im vorliegenden Falle wie die deutsche Rechtsprechung in einigen Entscheidungen ( 8 ) zu einer offensichtlich dem Buchstaben der Norm entgegengesetzten Auslegung Zuflucht nehmen, um "ein absurdes und wirtschaftlich nicht zu vertretendes Ergebnis" zu vermeiden?

17 . Oder müssen wir, selbst wenn wir nicht so radikal sein wollen, doch einräumen, daß, wer das rationale oder teleologische Element der Auslegung berücksichtigt, also den Sinn und Zweck der Rechtsnormen oder ihren Platz in der Struktur des Steuersystems, eine andere Auslegung wählen muß als die sich prima facie aus dem Wortsinn der Vorschrift ergebende, die somit den Willen des Gesetzgebers schlecht ausgedrückt hätte?

18 . Gerade diesen Schluß will die Klägerin mit Hilfe einer ihr zufolge notwendigen Zergliederung der Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b in zwei Teile ziehen .

19 . Danach verlangt Artikel 10 Buchstabe c, daß beide von ihm aufgestellten Voraussetzungen erfuellt sein müssen, damit die steuerfreie vorübergehende Einfuhr bewilligt werden kann . Die zweite Voraussetzung ( keine Mehrwertsteuerbefreiung anläßlich der Ausfuhr ) habe aber nur dann einen Sinn, wenn die erste Voraussetzung einen Eigentümer betreffe, der die Mehrwertsteuer beim Kauf der Gegenstände im Ausfuhrmitgliedstaat entrichtet habe . Sei der Kauf steuerfrei gewesen, könne von einer Mehrwertsteuer, von der der Eigentümer anläßlich der Ausfuhr befreit werden könnte, keine Rede mehr sein .

20 . Dies ist eine sicherlich geschickte, aber trügerische Argumentation .

21 . Gewiß ist es im Rahmen des allgemeinen Systems der Mehrwertsteuer die Regel, daß die steuerbaren Umsätze auch der Steuer unterliegen ( Artikel 2 der Sechsten Richtlinie ), während ihre Befreiung die Ausnahme ist; deshalb ist auch die Behauptung haltbar, daß in den von Artikel 10 Buchstabe c erfassten Fällen der im Ausfuhrmitgliedstaat getätigte Umsatz in der Regel der Mehrwertsteuer unterworfen sein wird .

22 . Da aber das Gemeinschaftsrecht die Befreiungen zwingend vorsieht, ist diese Sachlage nicht der einzige Fall des Erwerbs von Gegenständen "in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen ".

23 . Daß die beiden Teile der Bestimmung durch das Bindewort "und" miteinander verknüpft sind, bedeutet daher, daß eine etwaige Befreiung im Ausfuhrmitgliedstaat nicht durch die Ausfuhr der Gegenstände veranlasst sein darf ( zweite Voraussetzung ). Dies allein beweist schon, daß die Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungen im Sinne des ersten Teils der Vorschrift den Fall der Steuerfreiheit umfasst, da andernfalls nicht zu verstehen wäre, warum die im zweiten Teil vorgesehene Voraussetzung auf die Befreiung wegen der Ausfuhr beschränkt wurde . Das heisst : Besagte schon der erste Teil, daß die Mehrwertsteuerbefreiung bei vorübergehender Einfuhr nicht für ein im Ausfuhrmitgliedstaat rechtmässig von dieser Steuer befreites Geschäft gewährt werde, so wäre es nicht erforderlich, noch eine weitere Voraussetzung aufzustellen, derzufolge diese Befreiung nur dann nicht gewährt wird, wenn die Gegenstände anläßlich ihrer Ausfuhr von der Mehrwertsteuer befreit worden waren .

24 . Im Zusammenhang mit dem ersten Teil gelesen, besagt der zweite Teil der Vorschrift also, daß dem Eigentümer, der die Mehrwertsteuer beim Erwerb aus irgendeinem Rechtsgrund entrichtet hat, die mehrwertsteuerfreie vorübergehende Einfuhr dann nicht zugute kommen kann, wenn ihm anläßlich der Ausfuhr Befreiung gewährt wurde, und daß, wenn er die Steuer wegen einer Befreiung nicht bezahlt hat, diese Befreiung nicht anläßlich der Ausfuhr gewährt worden sein darf . Das heisst : Auf keinen Fall darf eine Befreiung der Gegenstände anläßlich der Ausfuhr gewährt worden sein .

25 . Die in Artikel 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b gebrauchte Wendung scheint die Richtigkeit der hier vorgeschlagenen Auslegung zu bestätigen . Denn nach dieser Bestimmung wird die Befreiung sowohl dann nicht bewilligt, wenn die Gegenstände nicht in Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungen erworben wurden, als auch dann, wenn diese Bestimmungen eingehalten, die Gegenstände aber anläßlich der Ausfuhr von der Mehrwertsteuer befreit wurden .

26 . Ganz offensichtlich handelt es sich hier um zwei verschiedene Fälle, in denen die steuerfreie vorläufige Einfuhr nicht bewilligt werden darf - nämlich Nichteinhaltung der Mehrwertsteuervorschriften oder Befreiung anläßlich der Ausfuhr -, nicht um zwei Abschnitte des gleichen Geschehens, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens anzunehmen scheint .

27 . Gerade von dieser Annahme ausgehend und auf Artikel 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b abstellend hat aber die Klägerin in der Sitzung ihre Auffassung bekräftigt und erneut darauf bestanden, daß die beiden Teile der Vorschrift nur dann einen kohärenten Sinn ergäben, wenn sie in Verbindung miteinander ausgelegt würden .

28 . Der Tattersalls Ltd zufolge betrifft der zweite Teil der Vorschrift die Fälle, in denen die Mehrwertsteuer beim Erwerb im Ausfuhrmitgliedstaat in Übereinstimmung mit den dort für die Anwendung dieser Steuer geltenden Bestimmungen entrichtet, in einem zweiten Geschehensabschnitt aber bei der Ausfuhr erstattet wird .

29 . Der erste Teil der Vorschrift bezieht sich dann nach Ansicht der Klägerin auf die Fälle, in denen beim Erwerb keine Mehrwertsteuer gezahlt wird, weil das Geschäft von ihr befreit ist : In diesen Fällen könne dem Einführer bei der vorübergehenden Einfuhr keine neuerliche Befreiung zuteil werden .

30 . Die Rechtsausführungen der Tattersalls Ltd enthalten einen Irrtum - und das Vereinigte Königreich zeigt ihn zutreffend auf .

31 . Er liegt darin, daß die Klägerin grundsätzlich annimmt, die Mehrwertsteuer werde zunächst entrichtet und sodann bei der Ausfuhr wieder erstattet .

32 . Dies entspricht aber nicht dem allgemeinen System : Die zur Ausfuhr bestimmten Gegensätze bilden vielmehr, wie Artikel 15 der Sechsten Richtlinie zu entnehmen ist, eine eigene Gruppe von Gegenständen, deren Erwerb mehrwertsteuerfrei ist . Denn nach den Nrn . 1 und 2 dieses Artikels sind Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer bzw . den Abnehmer nach Orten ausserhalb des Gebiets des Ausfuhrstaates versandt oder befördert werden, von der Mehrwertsteuer befreit .

33 . Artikel 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b der Siebzehnten Richtlinie ist also ( ebenso wie ihr Artikel 10 Buchstabe c ) nach einer anderen Logik aufgebaut, als die Klägerin annimmt; seine Logik beruht auf dem folgenden Gedanken : Ist der Gegenstand nicht zur Ausfuhr bestimmt, so entrichtet der Erwerber die Mehrwertsteuer, wenn sie geschuldet ist; die Befreiung anläßlich der Ausfuhr tritt nur ein, wenn die Ausfuhr endgültig ist, da es keinen Sinn hat, in diesem Falle die Vorschriften über die vorübergehende steuerfreie Einfuhr in den Einfuhrstaat anzuwenden .

34 . Dies ist der einzige Fall einer Befreiung im Ausfuhrmitgliedstaat, den die Artikel 10 und 11 von der mehrwertsteuerfreien vorübergehenden Einfuhr in das Gebiet des Einfuhrstaates ausschließen wollen . Dem Gesetzgeber war gewiß nicht unbekannt, daß es ausser der Befreiung anläßlich der Ausfuhr noch weitere Befreiungsfälle gibt : Wenn er nur die erstere von der vorübergehenden Einfuhr nach der Siebzehnten Richtlinie ausgeschlossen hat, so deswegen, weil er wollte oder annahm, daß diese Befreiungsregelung mit den übrigen Befreiungsfällen vereinbar sei .

35 . Letzten Endes läuft die in der Siebzehnten Richtlinie vorgesehene Regelung darauf hinaus, daß die Gegenstände für die Zeit der vorübergehenden Einfuhr den Mehrwertsteuervorschriften des Ausfuhrstaates unterworfen bleiben, mögen diese die tatsächliche Entrichtung der Steuer oder eine Befreiung vorsehen und mag der Mehrwertsteuersatz im Ausfuhrstaat ebenso hoch sein wie der im Einfuhrstaat geltende oder höher oder ( auch viel ) niedriger .

36 . Die Befreiungsvorschriften der Artikel 10 und 11 der Siebzehnten Richtlinie haben ihren Grund nicht darin, daß die Mehrwertsteuer im Ausfuhrstaat gezahlt wurde ( hier liegt der fundamentale Irrtum der Klägerin ), sondern darin, daß es sich um eine nur vorübergehende Einfuhr handelt, und dieser Grund greift sowohl dann, wenn der Erwerb des Gegenstands im Ausfuhrstaat der Mehrwertsteuer unterworfen war, als auch dann, wenn dies wegen einer nicht auf der endgültigen Ausfuhr beruhenden Befreiung nicht der Fall war ( zum Beispiel, weil es sich wie vorliegend um eine Befreiung nach Artikel 28 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie handelt ) oder wenn der Gegenstand im Wege der Erbfolge oder Schenkung oder durch einen Nichtsteuerpflichtigen erworben wird ( 9 ). Die gegenteilige Auffassung, die die Klägerin in der Sitzung daraus hergeleitet hat, daß der Eigentümer einer Stute ein von dieser stammendes Fohlen vorübergehend ausführen könne, um es in einem anderen Mitgliedstaat ausbilden oder in Rennen laufen zu lassen, ist leicht gegen die Klägerin zu kehren : Nach ihrer Auslegung könnte dieses Fohlen, ausser wenn es im Ausfuhrstaat schon wegen seiner Geburt der Steuer unterläge, in keinem anderen Mitgliedstaat an einem Rennen teilnehmen, ohne daß die dort geltende Mehrwertsteuer zu zahlen wäre .

37 . Wie mehrere Verfahrensbeteiligte bemerkt haben, findet sich die Begründung für diese Regelung der Steuerfreiheit der vorübergehenden Einfuhr in der Präambel der Siebzehnten Richtlinie : "Die Verminderung der steuerlichen Hindernisse im Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft ist wichtig, um die Erbringung von Dienstleistungen zu erleichtern und damit den Binnenmarkt weiterzuentwickeln und zu stärken" ( erste Begründungserwägung ) und weiter : "Zur Verwirklichung dieses Ziels kann dadurch beigetragen werden, daß für Gegenstände, die vorübergehend aus dem Mitgliedstaat in einen anderen eingeführt werden, eine möglichst weitgehende Befreiung von der Mehrwertsteuer gewährt wird" ( zweite Begründungserwägung ).

38 . Ich verkenne nicht, daß das System der Siebzehnten Richtlinie den in Anhang F der Sechsten Richtlinie vorgesehenen vorübergehenden Befreiungen nicht Rechnung trägt und daß in diesen Fällen die Anwendung jenes Systems Verzerrungen im Warenverkehr und im Wettbewerb mit sich bringt, die auf die Unterschiede zwischen den Steuervorschriften der Mitgliedstaaten zurückzuführen sind ( 10 ). Aber die Lösung wird doch nicht darin bestehen, der Siebzehnten Richtlinie eine Auslegung zuteil werden zu lassen, die ihrerseits unerwünschte Folgen haben würde, sondern in der Abschaffung einer ( ursprünglich als zeitlich begrenzt vorgesehenen ) Bestimmung, die es Irland erlaubt, abweichend vom allgemeinen System der Sechsten Richtlinie den Erwerb von Vollblutpferden von der Mehrwertsteuer zu befreien .

39 . Nun hat die Kommission dem Rat schon am 4 . Dezember 1984 einen Vorschlag für eine Achtzehnte Richtlinie über die Mehrwertsteuer vorgelegt ( 11 ), der Vollblutpferde und Windhunde aus Anhang F der Sechsten Richtlinie strich . Der Rat hat jedoch den Vorschlag nicht angenommen, weshalb die Ausnahmevorschrift fortbesteht . Die von der Tattersalls Ltd verfochtene Auslegung stellt im Grunde einen Versuch dar, für Sachverhalte wie den vorliegenden die praktischen Wirkungen der Unterlassung des Rates durch einen Vorgriff auf dessen Gesetzgebungsgewalt zu korrigieren . Ein solches Vorgehen ist unzulässig, so daß wir beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts eine Wettbewerbsverzerrung hinnehmen müssen, die so störend wirkt und so unvermeidlich ist wie die sich aus der Uneinheitlichkeit der Steuersätze in den Mitgliedstaaten ergebende .

40 . Gegen dieses Ergebnis lässt sich nicht einwenden, daß nach Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten ihre einzelstaatlichen Vorschriften anpassen können, um bis zum Inkrafttreten der gemeinschaftsrechtlichen Steuerregeln, die nach Unterabsatz 1 des gleichen Absatzes den Geltungsbereich der in Artikel 14 Absatz 1 geregelten Steuerbefreiungen genauer umschreiben sollen, die Wettbewerbsverzerrungen zu verringern . Gerade in Anwendung dieses Absatzes 2 hat ja die Siebzehnte Richtlinie im Bereich der vorübergehenden Einfuhr die in Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe c vorgesehene Befreiung gemeinschaftsrechtlich geregelt . Daher lässt sich aus Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 nichts gegen die ausdrücklichen Bestimmungen der Siebzehnten Richtlinie, des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie und des Anhangs F dieser letzteren herleiten .

41 . Die sich aus diesem System ergebenden Fälle von Verzerrungen werden übrigens durch die Voraussetzungen begrenzt, die die Siebzehnte Richtlinie für die Anwendung der mehrwertsteuerfreien vorübergehenden Einfuhr aufstellt . Denn die Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b sind Bestandteil einer Reihe von Voraussetzungen, die den Anwendungsbereich dieser Regelung umschreiben und im Fall des Artikels 11, das heisst in dem Fall, daß die Gegenstände einer im Einfuhrmitgliedstaat ansässigen Person gehören, besonders einschränkend sind . Gerade dieser Fall scheint ja die Tattersalls Ltd besonders zu beunruhigen, weil er eine für sie schädliche Verzerrung mit sich bringt . Eine der für diesen Fall aufgestellten Voraussetzungen ist zum Beispiel die, daß die steuerfreie vorübergehende Einfuhr nicht bewilligt wird, wenn der Einführer kein Steuerpflichtiger ist ( 12 ).

42 . Nachdem wir die von der Klägerin vertretene Auslegung des ersten Teils der Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b verworfen haben, können wir den Sinn dieser Vorschriften nur darin finden, daß der Eigentümer des vorübergehend eingeführten Gegenstands die für die Anwendung der Mehrwertsteuer im Ausfuhrmitgliedstaat geltenden Bestimmungen eingehalten haben muß, um in den Genuß der Mehrwertsteuerbefreiung zu kommen . Der Zweck der Vorschrift besteht also - wie die Kommission hervorgehoben hat - darin, zu vermeiden, daß die Befreiung jemandem gewährt wird, der durch Steuerhinterziehung oder -flucht gegen die auf den Erwerb der Gegenstände anwendbaren Steuervorschriften verstossen hat .

43 . Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dies nicht dazu, daß die für den Einfuhrmitgliedstaat bestehende Notwendigkeit, die Erfuellung dieser Voraussetzung zu prüfen, die Bestimmung unanwendbar oder zu einer unerfuellbaren Forderung werden lässt .

44 . Denn einerseits ist zweifelhaft, ob die in der Übereinstimmung mit den für die Anwendung der Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungen bestehende Voraussetzung, wie sie im ersten Teil der in Rede stehenden Vorschriften aufgestellt wird, auf etwas anderes als den letzten Erwerb zu beziehen ist, also auf den Erwerb durch die Person, die den Gegenstand vorübergehend aus - oder einführt . Dem vernünftig verstandenen Wortlaut der Richtlinie ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die Prüfung, ob der Veräusserer oder die aufeinanderfolgenden Eigentümer des Gegenstands die Mehrwertsteuervorschriften eingehalten haben, offenbar nicht verlangen wollte .

45 . Auf jeden Fall ist nicht ersichtlich, daß die erwähnte Prüfung besondere Schwierigkeiten bereitete .

46 . Der Nachweis, daß die Mehrwertsteuervorschriften beim Erwerb eingehalten wurden, kann ohne weiteres verlangt werden, zumal die vorübergehende Einfuhr in der Regel von der Person vorgenommen wird, die den Gegenstand erwirbt oder schon zu eigen hatte .

47 . Ferner sieht das Gemeinschaftsrecht im Zweifelsfalle Verfahren für die Zusammenarbeit und gegenseitige Amtshilfe der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten vor, um Praktiken der Steuerhinterziehung und Steuerflucht zu bekämpfen . Seit der Richtlinie 79/1070/EWG des Rates vom 6 . Dezeber 1979 ( 13 ), die die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19 . Dezember 1977 ( 14 ) ändert, gelten die Pflichten zur Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch, die eine korrekte Feststellung und Erhebung der Steuern ermöglichen, auch für die Mehrwertsteuer .

48 . III - Nach alledem schlage ich Ihnen folgende Antwort auf die Fragen des High Court vor :

"Die Vorschriften der Artikel 10 Buchstabe c und 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b der Siebzehnten Richtlinie über die Mehrwertsteuer sind so auszulegen, daß die Regelung der steuerfreien vorübergehenden Einfuhr Gegenständen, deren Erwerb im Ausfuhrmitgliedstaat rechtmässig von der Mehrwertsteuer befreit war, insoweit zugute kommt, als diese Befreiung nicht anläßlich der Ausfuhr der Gegenstände gewährt wurde ."

(*) Aus dem Portugiesischen übersetzt .

( 1 ) ABl . L 192 vom 24 . 7 . 1985, S . 20 .

( 2 ) Seit dem 1 . Januar 1987 durch eine 1986 ergangene Vorschrift gleichen Inhalts ersetzt .

( 3 ) Dieser Unterschied ergibt sich daraus, daß im einen Fall ( dem des Artikels 10 ) die einzelnen Voraussetzungen positiv als Voraussetzungen für die Bewilligung der Befreiung ausgedrückt sind, im anderen negativ als Voraussetzungen für ihre Versagung . Die englische Fassung gebraucht ferner zwei verschiedene Ausdrücke in Artikel 10 Buchstabe c (" subject to the rules ") und Artikel 11 Unterabsatz 2 Buchstabe b (" pursuant to the rules "). Diesem terminologischen Unterschied kommt keinerlei Bedeutung zu, umal er in den übrigen sprachlichen Fassungen ( wie etwa der französischen und der italienischen ) völlig fehlt .

( 4 ) ABl . L 145 vom 13 . 6 . 1977, S . 1 .

( 5 ) Siehe die Zitate bei Englisch, K ., Einführung in das juristische Denken, 4 . Aufl ., Kohlhammer-Verlag, 1968, S . 82, 104 f ., 145, 149 ( portugiesische Übersetzung der 3 . Aufl .: Introdussäo ao Pensamento Juridico, Gulbenkian, 1965, S . 119, 162 ff ., 239 und 243 ).

( 6 ) Siehe Cardoso da Costa, J . M ., Curso de Direito Fiscal, Almedina, 1970, S . 191, Anm . 1, bis 193, Anm . 2 .

( 7 ) Siehe Oliveira Ascensao, J ., O Direito - Introdussäo e Teoria Geral, Gulbenkian, 1980, S . 373 ff .

( 8 ) Siehe die Zitate bei Kruse, Steuerrecht, I, München, 1973, Paragraph 8 .

( 9 ) Dies ergibt sich daraus, daß "die für die Anwendung der Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungen" ( insbesondere Artikel 2 der Sechsten Richtlinie, dessen Umsetzung in die einzelstaatlichen Rechtsordnungen zwingendes Recht ist ) die Erhebung der Steuer auf unentgeltliche oder von Nichtsteuerpflichtigen geschlossene Geschäfte ausschließen .

( 10 ) Im vorliegenden Fall würden diese Verzerrungen nicht bestehen, wenn etwa das Vereinigte Königreich die gleiche Befreiung nach Artikel 28 der Sechsten Richtlinie bewilligen könnte .

( 11 ) ABl . C 347 vom 29 . 12 . 1984, S . 3 .

( 12 ) Die amtliche portugiesische Übersetzung der Richtlinie ( Sonderausgabe, Band 9, Heft 2, S . 9 ), die schon insofern fehlerhaft ist, als sie den gesamten Buchstaben c von Artikel 10 auslässt und am Anfang von Artikel 11 Absatz 2 "só" statt "näo" enthält, wird hier völlig unverständlich und gibt den Sinn der Norm nicht richtig wieder .

( 13 ) ABl . L 331 vom 27 . 12 . 1979, S . 8 .

( 14 ) Abl . L 336 vom 27 . 12 . 1977, S . 15 .