C-51/88 - Hamann / Finanzamt Hamburg-Eimsbüttel

Printed via the EU tax law app / web

EUR-Lex - 61988C0051 - DE

61988C0051

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 21. Februar 1989. - KNUT HAMANN GEGEN FINANZAMT HAMBURG-EIMSBUETTEL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM FINANZGERICHT HAMBURG. - MEHRWERTSTEUER - BEFOERDERUNGSMITTEL - HOCHSEEGEHENDE SEGELJACHT. - RECHTSSACHE 51/88.

Sammlung der Rechtsprechung 1989 Seite 00767


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Dem Kläger, Herrn Hamann, gehörte ein Charterunternehmen, das in der Bundesrepublik Deutschland ansässig war und von Kiel aus tätig wurde . Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Jachten von den Charterern normalerweise ausserhalb der deutschen Hoheitsgewässer, in dänischen und schwedischen Gewässern - wahrscheinlich der Ostsee - und bis nach Norwegen und Finnland, auf Vergnügungsfahrten gesegelt wurden . Ein grosser Teil der Nutzung der Dienstleistung - die Verwendung einer Jacht - fand daher ausserhalb des deutschen Steuererhebungsgebiets in Erhebungsgebieten anderer Länder einschließlich solcher, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sind, statt .

2 . 1981 und 1982 erklärte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen steuerfreie Umsätze von 75 064 DM und 132 943 DM für die Jahre 1980 und 1981 . Der Beklagte, das zuständige Finanzamt, erkannte diese vorbehaltlich einer Nachprüfung an . Bei einer 1983 beim Kläger vorgenommenen Betriebsprüfung berechnete der Betriebsprüfer eine erhöhte Umsatzsteuer von 7 703,22 DM und 15 103,73 DM für die Jahre 1980 und 1981 . Die Erhöhung wurde darauf gestützt, daß es sich bei der vom Kläger erbrachten Dienstleistung um die Vermietung eines Beförderungsmittels und nicht von beweglichen körperlichen Gegenständen handele . Der Beklagte schloß sich dieser Festsetzung an ( sowohl bezueglich der Steuerschuld als auch ihrer Grundlage ) und forderte durch Bescheid vom 7 . Mai 1984 die Zahlung der entsprechenden Steuer . Der Kläger legte gegen den Bescheid Einspruch ein, der jedoch vom Beklagten am 20 . September 1985 zurückgewiesen wurde .

3 . Der Kläger focht dann die letztgenannte Entscheidung vor dem Finanzgericht Hamburg an . Dieses Gericht hat mit Beschluß vom 22 . Dezember 1987, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 17 . Februar 1988, folgende Frage nach der Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie ( Sechste Richtlinie vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( 77/388/EWG, ABl . 1977, L 145, S . 1 ) vorgelegt :

"Ist Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß hochseegehende Segeljachten, deren Mieter diese Jachten zum Zweck der Ausübung des Segelsports nutzen, als Beförderungsmittel im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sind?"

4 . Die Ziele der Richtlinie ergeben sich eindeutig aus ihrer Präambel : Es geht darum, "eine steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ..., welche einheitlich nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmt wird" ( zweite Begründungserwägung ) zu schaffen und - dies ist für die vorliegende Rechtssache von besonderer Bedeutung - Kompetenzkonflikte zwischen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Dienstleistungen zu lösen ( siebte Begründungserwägung ).

5 . Artikel 2 der Richtlinie lautet, soweit einschlägig :

"Der Mehrwertsteuer unterliegen :

1 . Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt ..."

Artikel 3 regelt die territoriale Anwendung der Richtlinie : Nach Artikel 3 Absatz 1 ist unter "Inland" der Anwendungsbereich des EWG-Vertrags zu verstehen, wie er in Artikel 227 für jeden Mitgliedstaat definiert ist . Es ist nicht vorgetragen worden, daß die Anwendung der Richtlinie dadurch berührt werde, daß die Jachten möglicherweise teilweise ausserhalb der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten gesegelt worden seien .

6 . Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie, der die siebte Begründungserwägung umsetzt, lautet :

"Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort ."

7 . Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie sieht bestimmte Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel vor . Insbesondere lautete Buchstabe d ( vor seiner Änderung ):

"Es gilt ... als Ort einer Dienstleistung bestehend aus der Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen - ausser Beförderungsmitteln -, die vom Vermieter von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der dortigen Nutzung ausgeführt werden, der Ort der Nutzung ..."

Der Grund für diese Ausnahme bei der Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen ist zweifellos, eine Handels - und Wettbewerbsverzerrung zu verhindern . Um das vom Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung angeführte Beispiel aufzugreifen : Würde sich der Mehrwertsteuersatz bei der Vermietung eines Fernsehers in der Bundesrepublik und in Dänemark stark unterscheiden, könnte eine Besteuerung der Vermietung in dem Mitgliedstaat, von dem aus die Gegenstände geliefert werden, zu einer beträchtlichen Verzerrung führen .

8 . Diese Ausnahme für die Vermietung von beweglichen körperlichen Gegenständen bezieht sich jedoch ausdrücklich nicht auf "Beförderungsmittel", so daß die Vermietung von Beförderungsmitteln ( ausser zu rein internen Zwecken ) unter die allgemeine Regel des Artikels 9 Absatz 1 fällt . Sind Jachten Beförderungsmittel, so ist davon auszugehen, daß sie dort gechartert werden, wo der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat .

9 . Der Sinn der Nichtanwendbarkeit der Ausnahme auf Beförderungsmittel ist im Normalfall auch hier ohne weiteres klar, da nämlich Beförderungsmittel wie Personenwagen, Lieferwagen oder sogar Fahrräder oder Pferde über nationale Grenzen hinweg benutzt werden können, wäre eine Besteuerung der Vermietung von solchen Beförderungsmitteln am "Ort der Nutzung" völlig unpraktikabel .

10 . Bevor ich auf die Frage eingehe, ob Jachten Beförderungsmittel sind, möchte ich bemerken, daß es sehr zweifelhaft ist, ob, selbst wenn Jachten als Beförderungsmittel anzusehen sind, der vorliegende Fall unter die Ausnahme des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe d fiele, wonach bewegliche Gegenstände vom Vermieter von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der dortigen Nutzung ausgeführt werden müssen, um unter die Ausnahme zu fallen . Auch wenn diese Frage vom vorlegenden Gericht nicht gestellt worden ist, so sind die Jachten doch offensichtlich vom Vermieter, Herrn Hamann, nicht zum Zwecke der Nutzung in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführt worden; das Chartern der Jachten fiele daher auch dann nicht unter die Ausnahme, wenn diese als bewegliche Gegenstände anzusehen wären . Der Grund dafür, daß das vorlegende Gericht diese Frage nicht gestellt hat, liegt wohl darin, daß das deutsche Recht, das deutsche Umsatzsteuergesetz von 1980, das vorhin erwähnte Erfordernis nicht enthält; es bestimmt in § 3 a Absatz 2 Nr . 4 lediglich, daß die Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände - ausgenommen Beförderungsmittel - dort ausgeführt wird, wo die Gegenstände genutzt werden .

11 . Auch wenn die Vorlage in diesem Fall wahrscheinlich nicht unbedingt erforderlich war, um die Streitigkeit zu entscheiden, steht es doch fest, daß der Gerichtshof die vorgelegte Frage beantworten muß, und ich wende mich nun dieser Frage zu . Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht im wesentlichen geltend, daß Jachten, die zum Vergnügen gesegelt würden, keine Beförderungsmittel seien, da die Beförderung nicht den Hauptzweck der Nutzung darstelle . Dies wird vom Finanzamt, von der Bundesregierung und der Kommission bestritten, die im wesentlichen der Meinung sind, der Begriff "Beförderungsmittel" müsse weiter ausgelegt werden, dahingehend, daß er alle Beförderungsmittel erfasse, selbst wenn sie nicht hauptsächlich als Mittel zur Beförderung genutzt würden .

12 . Auf den ersten Blick scheint der Begriff "Beförderungsmittel" entweder in dem von Herrn Hamann vorgeschlagenen Sinne oder im weiteren Sinne auszulegen zu sein . Einerseits könnte man der Auffassung sein, wesentliches Kriterium eines Beförderungsmittels sei sein funktionaler Zweck; die Beförderung der Segler und die Ladung der Jacht seien im Verhältnis zum Zweck des Segelns, der in erster Linie die Erholung sei, nebensächlich . Danach ist ein Segelboot in erster Linie ein Freizeitgerät und kein Beförderungsmittel . Andererseits könnte man sagen, daß, auch wenn die Gründe für das Segeln allein die Erholung und der Sport seien, dennoch eine Beförderung, aus welchem Grund auch immer, stattfinde, und ein Boot daher ein Beförderungsmittel sei, zu welchem Zweck es auch immer genutzt werde . Tatsächlich werden diese beiden Meinungen anscheinend in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte vertreten .

13 . Meiner Meinung nach gibt es eine klare Antwort auf die Auslegungsfrage, wie sie sich im Kontext der Sechsten Richtlinie stellt . Wie ich bereits ausgeführt habe, weist zunächst die den Bestimmungen zugrundeliegende Absicht auf eine weite Auslegung des Begriffs hin . Wegen der praktischen Schwierigkeiten der Besteuerung solcher Dienstleistungen bestuende nämlich bei engerer Auslegung die Gefahr, daß solche Dienstleistungen einer Besteuerung völlig entgingen . Darüber hinaus ist jede Ausnahme von der Richtlinie eng auszulegen, was für eine weite Auslegung des streitigen Begriffs spricht . Eine solche Auslegung wird auch einigermassen durch die sprachliche Fassung der Bestimmung selbst gestützt : Während in der deutschen Fassung des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe d der Begriff "ausser Beförderungsmitteln" verwendet wird, fügen die anderen Sprachfassungen ein weiteres umfassendes Adjektiv hinzu : die englische "all", die französische "tout" usw ., woraus hervorgeht, daß der Begriff im weitesten Sinne gemeint ist .

14 . Nicht weniger bedeutsam ist die Tatsache, daß, wie die Kommission hervorgehoben hat, Artikel 15 Nr . 2 der Richtlinie ausdrücklich auf "Sportboote und Sportflugzeuge sowie sonstige Beförderungsmittel, die privaten Zwecken dienen" Bezug nimmt und damit, wenn auch in anderem Zusammenhang, Sportboote, wozu auch gecharterte Segeljachten gehören, in den Begriff "Beförderungsmittel" einbezieht . Ich halte den kleinen Formulierungsunterschied in der englischen Sprachfassung - "means" statt "forms" - nicht für wichtig, und andere Sprachfassungen verwenden an beiden Stellen die gleichen Worte .

15 . Spätere Rechtsvorschriften auf demselben Gebiet, die zum Vergleich herangezogen werden können, sind ebenfalls aufschlußreich . Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie vom 28 . März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel ( 83/182/EWG, ABl . 1983, L 105, S . 59 ) erstreckt den Anwendungsbereich der Richtlinie ( und zwar durch Einbeziehung in den Begriff "bestimmte Verkehrsmittel ") u . a . auf "Wassersportfahrzeuge ". An dieser Stelle besteht ein kleiner Unterschied im Wortlaut zu den anderen Sprachfassungen . Statt "Beförderungsmitteln" verwendet die deutsche Fassung "Verkehrsmittel ". Die französische Fassung verwendet weiterhin "moyens de transport ". Die sprachlichen Unterschiede sind jedoch wiederum nicht wesentlich, und es ist offensichtlich, daß der Begriff, wie er vom Gemeinschaftsgesetzgeber aufgefasst worden ist, derselbe bleibt, da die Richtlinie selbst sich in das allgemeine Mehrwertsteuersystem einfügen soll .

16 . Betrachte ich diese Punkte zusammen, so veranlasst mich dies zu der Schlußfolgerung, daß Sportboote ( einschließlich gecharterter Jachten ) von dem Begriff "Beförderungsmittel" miterfasst werden sollten .

17 . Bei dieser Schlußfolgerung berücksichtige ich nicht, daß Artikel 9 der Sechsten Richtlinie durch die Zehnte Mehrwertsteuerrichtlinie ( 84/386/EWG, ABl . 1984, L 208, S . 58 ) geändert worden ist, da diese Richtlinie am 31 . Juli 1984 erlassen wurde und bis zum 1 . Juli 1985 durchgeführt werden sollte und daher diesen Fall nicht berührt . Die letzte Begründungserwägung dieser Richtlinie stellt klar, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber eine strikte Anwendung der allgemeinen Regel des Artikels 9 Absatz 1 sicherstellen wollte :

"Bei der Vermietung von Beförderungsmitteln ist aus Kontrollgründen der genannte Artikel 9 Absatz 1 strikt anzuwenden und somit als Ort der Dienstleistung der Ort des Dienstleistenden anzusehen ."

18 . Daher ist dem vorlegenden Gericht meiner Meinung nach wie folgt zu antworten :

"Hochseegehende Segeljachten, die zum Zweck des Segelsports vermietet werden, sind als Beförderungsmittel im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern anzusehen ."

(*) Originalsprache : Englisch .