C-185/89 - Staatssecretaris van Financiën / Velker International Oil Company

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EUR-Lex - 61989C0185 - DE

61989C0185

Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 2. Mai 1990. - STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN GEGEN VELKER INTERNATIONAL OIL COMPANY LTD NV. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - MWST - SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE - STEUERBEFREIUNG. - RECHTSSACHE C-185/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-02561


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

A - Sachverhalt

1 . Auf Anfrage des Hoge Raad der Nederlanden soll der Gerichtshof in dem Verfahren, zu dem ich heute Stellung nehme, den Artikel 15 Nr . 4 a der Richtlinie 77/388/EWG "zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage" ( 1 ) auslegen, d . h . die Vorschrift, der zufolge die Mitgliedstaaten von der Steuer befreien "Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen" bestimmter Art .

2 . Diese Auslegung wird für notwendig erachtet im Hinblick auf die Lieferung von zwei Partien Bunkeröl durch die Beklagte des Ausgangsverfahrens an die Firma Forsythe International BV in Den Haag, auf die von der Beklagten keine Mehrwertsteuer berechnet worden ist . Bei den Lieferungen - das muß man wissen - lag die Besonderheit darin,

- daß eine Partie von der Firma Olie Verwerking Amsterdam stammte, von ihr an die Firma Verhöven Rotterdam verkauft wurde, von dieser Firma an die Beklagte weiterveräussert wurde und dann direkt von der Firma Olie an die Firma Forsythe geliefert wurde;

- daß die andere Partie von der Beklagten bei der Firma Verhöven gekauft und ebenfalls direkt an die Firma Forsythe geliefert wurde und

- daß beide Partien in ein von der Firma Forsythe bei einer Lagergesellschaft gemietetes Lager gebracht wurden und daraus dann im Auftrag der Firma Forsythe, die nicht selbst Schiffe betreibt, auf auslaufende Seeschiffe geliefert wurden .

3 . Der zuständige Mehrwertsteuer-Inspecteur hält die Anwendung des Nullsatzes durch die Beklagte, also die Nichtberechnung von Mehrwertsteuer, nicht für gerechtfertigt . Nach seiner Meinung kann unter "Versorgung von Schiffen" im Sinne des niederländischen Gesetzes vom 28 . Dezember 1978 nur eine Lieferung verstanden werden, die mit der Versorgung des Schiffes zusammenfällt, d . h . eine Lieferung an Bord, der dann unmittelbar die Ausfuhr folgt . Das ist auch die Auffassung des Staatssecretaris van Financiën, des Klägers im Ausgangsverfahren . Er meint gleichfalls, von Artikel 15 Nr . 4 a der Mehrwertsteuerrichtlinie, der durch das erwähnte Gesetz vom 28 . Dezember 1978 in das niederländische Recht übernommen worden sei, würden nicht Lieferungen an jeden erfasst, der eine Ware zur Versorgung von Schiffen bestimme; dies sei nämlich zu weit von der tatsächlichen Versorgung entfernt und schließe insbesondere nicht aus, daß die Zweckbestimmung bis zur Lieferung an Bord noch geändert werde . Ausserdem hebt der Kläger des Ausgangsverfahrens hervor, es sei die Ausweitung der Steuerbefreiung auf der eigentlichen Versorgung vorausgehende Lieferungen von der vorherigen Konsultierung des Beratenden Ausschusses gemäß Artikel 16 Absatz 2 der Richtlinie abhängig, zu der es jedoch von seiten der Niederlande nicht gekommen sei .

4 . Weil die Vorschrift des Artikels 15 Nr . 4 a der Mehrwertsteuerrichtlinie offenbar unverändert in das niederländische Recht übernommen worden ist, kam das mit der Sache befasste Gericht angesichts des aufgezeigten Streits zu der Meinung, es sei angebracht, das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen und durch den Gerichtshof klären zu lassen, wie der Artikel 15 Nr . 4 a der Mehrwertsteuerrichtlinie zu verstehen ist; genauer : ob er nur Lieferungen erfasst, die mit der Versorgung zusammenfallen ( also Lieferungen an Bord von Seeschiffen ), oder ob er in einem weiteren Sinn zu verstehen ist und letzterenfalls, ob er nur für Lieferungen an Unternehmer gilt, die die Gegenstände später zur Versorgung von Schiffen verwenden, oder auch für Lieferungen auf einer vorangehenden Handelsstufe .

5 . Dazu ist meines Erachtens folgende Stellungnahme angebracht .

B - Stellungnahme

6 . 1 . Der eigentlichen Behandlung des Themas sind meines Erachtens zwei Vorbemerkungen vorauszuschicken, zu denen im Verfahren gemachte Ausführungen Anlaß geben .

7 . a ) Wie Sie sich erinnern, hat die Kommission unter anderem schriftliche Ausführungen zu dem Begriff "Lieferung von Gegenständen" im Sinne des Artikels 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie gemacht . Dies geschah im Hinblick darauf, daß das jetzt interessierende Bunkeröl direkt von den Firmen Olieverwerking und Verhöven an die Firma Forsythe geliefert und offenbar in dem von dieser gemieteten Lager mit anderem Öl vermischt worden ist . Danach konnte sich, weil die Ware nicht unmittelbar in den Besitz der Beklagten gelangt ist, die Frage stellen, ob sie wie ein Eigentümer darüber verfügen konnte und deshalb von einer Lieferung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie zu sprechen war .

8 . Ich meine, daß wir uns diesbezuegliche Ausführungen bei der Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens sparen können . Dahin gehende Fragen sind nämlich vom vorlegenden Gericht nicht aufgeworfen worden, und dies kann nur so verstanden werden, daß es insofern keine Probleme sah ( wahrscheinlich, weil es zu einer Wertung kam, die mit der von der Kommission uns gegenüber vorgetragenen übereinstimmt ).

9 . b ) Ich meine auch, daß wir bei der Behandlung des uns unterbreiteten Problems den Umstand ausser Betracht zu lassen haben, daß das fragliche Öl anscheinend in dem von der Firma Forsythe gemieteten Lager nicht derart getrennt gehalten wurde, daß seine Bestimmung stets verfolgt werden konnte .

10 . Dazu wurde nämlich im Vorlageurteil ausdrücklich erklärt, dieses Element - von dem offenbar früher nicht die Rede war - könne in dem beim Hoge Raad anhängigen Verfahren nicht vorgetragen werden . Der Hoge Raad kann es also nicht berücksichtigen, und deshalb ist es auch für uns nicht sinnvoll, darauf im Zusammenhang mit der von uns vorzunehmenden Ausdeutung der Mehrwertsteuerrichtlinie weiter einzugehen .

11 . 2 . Was das eigentliche uns unterbreitete Problem angeht, so hat sich herausgestellt, daß nicht nur die Parteien des Ausgangsverfahrens unterschiedliche Standpunkte vertreten, sondern daß auch diejenigen, die sich darüber hinaus am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt haben, nicht einhelliger Meinung sind . Auf der einen Seite haben wir die Auffassung, die von der niederländischen, portugiesischen und britischen Regierung vertreten wird, d . h . den Vorschlag, die erste uns gestellte Frage zu bejahen und von einer Lieferung zur Versorgung von Schiffen nur zu sprechen, wenn die Lieferung auf das Schiff erfolgt . In ihrer Nähe liegt der Standpunkt der Kommission, die jedenfalls für eine enge Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 a in dem Sinne eintritt, daß nur Lieferungen an Betreiber von Schiffen in Frage kommen ( was eine Zwischenlagerung vor dem Verbringen an Bord nicht ausschließe ).

12 . Auf der anderen Seite ist die von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vertretene Ansicht, nach der eine weite Auslegung des Artikels 15 im Sinne der zweiten uns gestellten Frage sachgerecht sein soll, von Artikel 15 Nr . 4 a also auch erfasst werden Lieferungen auf vorhergehenden Handelsstufen, wenn nur die Zweckbestimmung ( Versorgung von Seeschiffen ) eindeutig feststeht . Letzteres scheint im übrigen auch - was freilich nicht den im Verfahren vorgetragenen Stellungnahmen zu entnehmen ist - die Praxis in gewissen anderen Mitgliedstaaten ( Dänemark, Griechenland, Italien und Frankreich ) zu sein ( wobei für Frankreich allerdings - wenn ich recht sehe - eine Einschränkung dahin gilt, daß nur die letzte Vorlieferung vor der Lieferung an den Schiffsbetreiber in Betracht kommt ).

13 . a ) Prüft man angesichts dieser Sachlage, ob der bisherigen Rechtsprechung wichtige Anhaltspunkte für die Lösung des aufgezeigten Problems zu entnehmen sind, so ergibt sich recht schnell, daß die wenigen in Betracht kommenden Urteile nichts Entscheidendes dazu besagen .

14 . aa ) Zwar ist bemerkenswert, daß im Urteil der Rechtssache 348/87 ( 2 ) betont wurde, die zur Umschreibung von Steuerbefreiungen verwendeten Wendungen seien streng auszulegen . Es darf aber nicht übersehen werden, daß es in diesem Fall um den eindeutigen Tatbestand des Artikels 13 A Absatz 1 Buchstabe f ( Dienstleistungen von Zusammenschlüssen von Personen an ihre Mitglieder ) ging . Hier waren also die Leistungsadressaten präzise benannt, und es war deshalb nicht möglich, Geschäfte auf einer vorhergehenden Wirtschaftsstufe zu erfassen ( nämlich Dienstleistungen einer Stiftung für eine andere Stiftung, die nicht Mitglied der ersteren war ).

15 . bb ) Ähnlich verhielt es sich in der Rechtssache 107/84 ( 3 ), in der es auch um eine Steuerbefreiung nach Artikel 13 A Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie ging ( nämlich diejenige, die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführte Dienstleistungen betrifft ). Wenn hier betont wurde - im Sinne einer strengen Auslegung -, davon würden nicht erfasst Dienstleistungen, die andere Unternehmen für die Post erbringen ( es sei also nicht eine Erstreckung auf Tätigkeiten möglich, die denselben Zwecken dienten, aber von anderen Stellen ausgeführt werden ), so darf nicht übersehen werden, daß dafür einfach die Tatsache maßgeblich war, daß in der genannten Bestimmung die für die Befreiung in Betracht kommende Einrichtung ausdrücklich bezeichnet wird .

16 . cc ) Andererseits ist nicht ohne Interesse, daß im Urteil der Rechtssache 415/85 ( 4 ) ( und ähnlich in dem der Rechtssache 416/85 ( 5 )) in bezug auf Steuerbefreiungen aus sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher gemäß Artikel 17 der Richtlinie 67/228 ( 6 ) keine restriktive Auslegung für richtig gehalten wurde, vielmehr auch Leistungen auf vorhergehenden Stufen als in Betracht kommend angesehen wurden, wenn diese so nahe bei den Verbrauchern liegen, daß ihnen diese Leistungen zugute kommen .

17 . b ) Einzuräumen ist weiter ( nicht zuletzt im Anschluß an das zuletztgenannte Urteil ), daß der Wortlaut der jetzt interessierenden Bestimmung - wie die Bundesregierung mit Recht betont hat - eine enge Auslegung keineswegs zwingend nahelegt .

18 . Das lässt sich schon nach der englischen Fassung (" supply of goods for the fueling and provisioning of vessels ") und nach der deutschen Fassung (" Lieferung von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen ") sagen, die beide nicht ergeben, es müsse sich um eine direkte Versorgung handeln . Noch deutlicher sind die niederländische, italienische, französische und portugiesische Fassung, die auf die Zweckbestimmung abstellen (" levering van göderen, bestemd voor de bevoorrading van de navolgende schepen"; "cessioni di beni destinati al refornimento e al vettovagliamento di navi"; "livraisons des biens destinés à l' avitaillement des bateaux"; "entragas de bens destinados ao abastecimento de bacos ").

19 . Stellt man dem gegenüber Vorschriften der Richtlinie, die präzise die Empfänger von Lieferungen und Leistungen bezeichnen ( wie etwa Artikel 13 A Absatz 1 Buchstaben f und l : Dienstleistungen von Personenzusammenschlüssen und Einrichtungen an ihre Mitglieder; Artikel 15 Nr . 11 : Lieferungen von Gold an Zentralbanken; Artikel 15 Nr . 12 : Lieferungen von Gegenständen an zugelassene Körperschaften ), so ist die Annahme nicht abwegig, als von Artikel 15 Nr . 4 erfasst seien auch anzusehen der eigentlichen Versorgung von Schiffen vorausgehende Lieferungen, soweit sie die genannte Zweckbestimmung aufweisen .

20 . Anzuerkennen ist ausserdem ( auch darauf hat die Bundesregierung hingewiesen ), daß vom erkennbaren Zweck der Befreiungsvorschrift her gesehen ( es geht dabei nicht um die Einräumung finanzieller Vorteile, sondern offensichtlich um steuertechnische Erleichterungen ) einiges dafür spricht, auch der unmittelbaren Versorgung vorausgehende Geschäfte unter Artikel 15 Nr . 4 zu subsumieren, weil die Unternehmen, die sie tätigen, über den Vorsteuerabzug ohnehin von jeder Steuerbelastung freigestellt sind . Ihnen von vornherein Besteuerungsvorgänge zu ersparen, wenn der Endabnehmer eine Steuer nicht zu tragen hat, erscheint in der Tat nicht abwegig .

21 . c ) Für meine Begriffe ist ferner klar, daß zwei Argumente, die von den Verfechtern einer engen Auslegung ins Feld geführt wurden, schwerlich geeignet sind, diesen Standpunkt zu untermauern .

22 . aa ) Es ist dies einmal der Hinweis darauf, daß in einem Unterabsatz zu der jetzt interessierenden Vorschrift festgehalten wird, die Mitgliedstaaten könnten "den Anwendungsbereich dieser Steuerbefreiung bis zur Einführung gemeinschaftlicher Steuerregeln auf diesem Gebiet beschränken ". Nach meiner Auffassung legt dies den Gedanken einer engen Auslegung keineswegs zwingend nahe; vielmehr lässt sich eher der umgekehrte Standpunkt vertreten, also sagen, wenn die Einführung einer Beschränkungsmöglichkeit für angebracht gehalten wurde, müsse davon ausgegangen werden, daß die Vorschrift an sich in einem weiten Sinne zu verstehen sei .

23 . Freilich braucht dies nicht - um das jetzt schon im Hinblick auf ein anderes, im Verfahren vorgetragenes Argument zu sagen - zu bedeuten, daß der genannte Zusatz eindeutig für eine sehr weite Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 im Sinne der zweiten, uns gestellten Frage spricht, also den von der Bundesregierung eingenommenen Standpunkt erhärtet ( die bekanntlich gemeint hat, der genannte Zusatz erscheine bei einer engeren Auslegung sinnlos ). Denn auch wenn davon auszugehen ist, daß der Artikel 15 Nr . 4 nur Lieferungen an Schiffsbetreiber erfasst, kann man sich Beschränkungsmöglichkeiten durchaus vorstellen, etwa im Hinblick auf die für eine Befreiung in Betracht kommenden Gegenstände oder dergestalt, daß nur Lieferungen unmittelbar an Bord ( unter Ausschluß der vorhergehenden Lagerhaltung ) in Betracht kommen . Der Zusatz zu der Nr . 4 des Artikels 15 hat also sehr wohl auch bei einer engeren als der von der Bundesregierung empfohlenen Auslegung einen Sinn .

24 . bb ) Zum anderen geht es um den Hinweis auf den Artikel 16 Absatz 2 ( wonach die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Konsultation des in Artikel 29 vorgesehenen Beratenden Ausschusses u . a . die Lieferungen von Gegenständen an einen Steuerpflichtigen, der diese auszuführen beabsichtigt, von der Steuer befreien können ).

25 . Sicherlich kann von dieser Bestimmung nicht gesagt werden, sie sei bei einer weiten Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 überfluessig .

26 . Nach ihrem Wortlaut scheint sie nämlich gar nicht ohne weiteres auf Vorgänge wie die in Artikel 15 Nr . 4 beschriebenen zu passen, sondern - wie die Bundesregierung mit Recht ausgeführt hat - in erster Linie auf Exportgeschäfte im eigentlichen Sinne zugeschnitten zu sein ( 7 ). Für sie aber ist sie in jedem Falle relevant, d . h ., sie hat auch Bedeutung, wenn der dem Export gleichgestellte Vorgang der Vorsorgung von Schiffen in einem weiten Sinne verstanden werden müsste und dafür folglich eine Anwendung von Artikel 16 Absatz 2 nicht in Betracht käme .

27 . d ) Wenn letztlich indessen - wie ich glaube - doch nichts anderes übrigbleibt, als sich der Auffassung derer anzuschließen, die für eine enge Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 der Mehrwertsteuerrichtlinie eintreten, so sind dafür die folgenden Überlegungen von Bedeutung :

28 . aa ) So ist schon wichtig, daß die Richtlinie von dem Prinzip beherrscht wird, jeden Geschäftsvorgang im Inland der Steuer zu unterwerfen . Dies impliziert, daß - soweit Befreiungen vorgesehen sind - eine ausdehnende Anwendung auf mehrere Wirtschaftsstufen nur beim Vorliegen ganz zwingender Gründe gerechtfertigt erscheint . Fraglich aber ist, ob dafür die von der Bundesregierung ins Feld geführte Idee der Verwaltungsvereinfachung ausreichend ist ( d . h . die Vermeidung von Steuerberechnung, Steuerabführung und Vorsteuerabzug durch Wirtschaftsteilnehmer, die letztlich ohnehin - soweit sie keine Endverbraucher sind - nicht belastet werden ). Dies zumal da auch feststeht - davon wird noch zu sprechen sein -, daß mit der von der Bundesregierung empfohlenen Auslegung in anderer Weise auch eine Belastung der Verwaltung verbunden sein dürfte .

29 . bb ) Wesentlich ist weiter - dies bezieht sich auf das System des Artikels 15 insgesamt -, daß Lieferungen zur Versorgung von Schiffen ( wie dem Titel des Artikels 15 zu entnehmen ist ) Ausfuhrumsätzen gleichgestellt sind, weil nämlich der Verbrauch im Ausland zu erwarten ist . Wenn aber für die in den ersten Ziffern des Artikels 15 behandelten eigentlichen Exportsachverhalte die Einhaltung eines strengen Kriteriums ( Versendung nach Orten ausserhalb der Gemeinschaft ) maßgeblich ist, kann es nur als sachgerecht und systemkonform angesehen werden, bei gleichgestellten Vorgängen einen ähnlich strengen Maßstab anzuwenden und auf einen sehr engen Zusammenhang zwischen Lieferung und Versorgung Wert zu legen .

30 . cc ) Nicht von der Hand zu weisen ist ferner eine sich auf den Artikel 16 Absatz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie beziehende Überlegung . Wenn schon bei Exportgeschäften - so kann in der Tat gesagt werden - eine Ausweitung der Steuerbefreiung auf Personen, die eine Ausfuhr nur beabsichtigen, allein nach Konsultierung des Beratenden Ausschusses möglich ist, erscheint nicht recht einleuchtend, bei gleichgestellten Geschäften im Sinne des Artikels 15 Nr . 4 ein entsprechendes Ergebnis ( Ausdehnung auf vorhergehende Wirtschaftsstufen ) durch eine weite Interpretation der Wendung "Lieferung zur Versorgung" zu erreichen . Vielmehr liegt es eher nahe - auch wenn einzuräumen ist, daß der Artikel 16 Absatz 2 auf gleichgestellte Geschäfte nicht unmittelbar zugeschnitten ist -, im Wege seiner analogen Anwendung zu einer Befreiung von Geschäften zu gelangen, die der eigentlichen Lieferung zur Versorgung von Schiffen vorausgehen .

31 . dd ) Nicht zuletzt hat meines Erachtens Gewicht bei der Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 der Hinweis auf den ersten Absatz, in dem von dem Erfordernis einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen und der Notwendigkeit der Verhütung von Steuerhinterziehungen und etwaigen Mißbräuchen die Rede ist .

32 . Daß damit schwerlich in Einklang zu bringen ist eine - als Regel gedachte - großzuegige Anwendung der Nr . 4 von Artikel 15 durch Einbeziehung von der eigentlichen Versorgungslieferung vorhergehenden Lieferungen, springt ohne weiteres ins Auge . Möglich erscheint nämlich bei einer derartigen Anwendung ( d . h ., wenn auf die Zweckbestimmung durch Vorlieferanten abgestellt wird ), daß diese später geändert wird und die gelieferten Gegenstände auf den Inlandsmarkt gelangen . Auf diese Weise können Wettbewerbsverzerrungen zustande kommen, und es ist bei späterer Aufdeckung eines solchen Sachverhaltes eine nachträgliche Korrektur des Besteuerungsvorgangs notwendig ( was nicht gerade als Verwaltungsvereinfachung angesehen werden kann ). Sollen derartige Unkorrektheiten aber von vornherein ausgeschlossen werden, so sind bestimmte Überwachungsmaßnahmen notwendig, die ( abgesehen davon, daß sie eine Behinderung des Handels mit sich bringen können ), auch nicht gerade auf eine Verwaltungsvereinfachung hinauslaufen .

33 . Was demgegenüber vom Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde, gibt wohl schwerlich Anlaß zu einer anderen Wertung . Nicht zu erkennen ist nämlich, daß die von ihr angewandte Praxis ( der Einsatz von Computern zu Kontrollzwecken spielt offenbar u . a . eine Rolle ) ohne weiteres verallgemeinert werden könnte . Ganz undenkbar aber - um das noch zu sagen - erscheint die Annahme, in dem jetzt interessierenden Teil des ersten Absatzes von Artikel 15 sei so etwas wie die Einräumung eines Spielraums für die Mitgliedstaaten je nach den bestehenden Verwaltungsmöglichkeiten zu sehen . Richtigerweise hat man davon auszugehen, daß für den jetzt interessierenden Befreiungstatbestand die in der Nr . 4 verwendete Formulierung maßgeblich ist, die grundsätzlich gemeinschaftseinheitlich verstanden werden muß . Abweichungen davon sind nur denkbar gemäß der zu der Nr . 4 gemachten, bereits erwähnten Ergänzungsbemerkung . Sie darüber hinaus mit Hilfe des Einleitungssatzes von Artikel 15 zuzulassen wäre dagegen systemwidrig und würde eine Verkennung des Sinnes dieses Satzes, der sich auch in anderen Vorschriften der Richtlinie findet, bedeuten .

34 . e ) Wenn demnach festzuhalten ist, daß die von der Bundesregierung empfohlene weite Auslegung des Artikels 15 Nr . 4 nicht als zutreffend anerkannt werden kann ( und ein entsprechendes Ergebnis allenfalls durch eine analoge Anwendung von Artikel 16 Absatz 2 zu erzielen ist ), so ist für mich andererseits auch klar, daß kein zwingender Anlaß besteht, die sehr enge, von den Regierungen der Niederlande, Großbritanniens und Portugals empfohlene Auslegung gutzuheissen, eine Lieferung zur Versorgung von Schiffen also nur anzunehmen, wenn die Lieferung direkt auf das Schiff erfolgt . Dafür gibt der Wortlaut der auszulegenden Vorschrift nichts her ( daß der von der niederländischen Regierung erwähnte Kommissionsvorschlag, der vom Rat noch nicht angenommen worden ist, ohne Relevanz ist, ist offensichtlich ). Gegen diese Ansicht lässt sich namentlich auch auf den Begriff "Lieferung" verweisen ( gemäß Artikel 5 bedeutet er die Begründung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen ); danach liegt es sicher nahe, auf die Einräumung der Verfügungsgewalt an denjenigen abzustellen, der die Gegenstände zur Versorgung von Schiffen verwendet, also an den Schiffsbetreiber, was eine Zwischenlagerung durch ihn vor Verbringung auf das Schiff nicht ausschließt .

35 . Dem lässt sich allenfalls noch hinzufügen, daß etwaigen Bedenken bezueglich einer Mißbrauchsgefahr ( die für die Befürworter einer sehr engen Auslegung ausschlaggebend sind ) Rechnung getragen werden kann durch einen Rückgriff auf die zu Artikel 15 Nr . 4 gemachte ergänzende Bemerkung; d . h ., es bleibt Mitgliedstaaten, die sehr strenge Anforderungen an die Anwendung von Artikel 15 Nr . 4 für unerläßlich halten, unbenommen, eine Beschränkung der Steuerbefreiung mit Hilfe der erwähnten zusätzlichen Bemerkung herbeizuführen .

C - Schlussantrag

36 . 3 . Nach alledem schlage ich vor, auf die Anfrage des Hoge Raad so zu antworten :

"Artikel 15 Nr . 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, daß als Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung der in dieser Vorschrift umschriebenen Schiffe Lieferungen an den Unternehmer anzusehen sind, der die Gegenstände später zur Versorgung von Schiffen verwendet . Dabei ist es nicht notwendig, daß die Lieferung mit der Versorgung zusammenfällt, also unmittelbar auf das Schiff erfolgt ."

(*) Originalsprache : Deutsch .

( 1 ) ABl . 1977, L 145, S . 1 .

( 2 ) Urteil vom 15 . Juni 1989 in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvöring Financiële Acties, Slg . 1989, 1737 .

( 3 ) Urteil vom 11 . Juli 1985 in der Rechtssache 107/84, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg . 1985, 2663 .

( 4 ) Urteil vom 21 . Juni 1988 in der Rechtssache 415/85, Kommission/Irland, Slg . 1988, 3115 .

( 5 ) Urteil vom 21 . Juni 1988 in der Rechtssache 416/85, Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Slg . 1988, 3148 .

( 6 ) ABl . 1967, L 71, S . 1303 .

( 7 ) Siehe die Überschriften der Artikel 15 und 16 .