C-186/89 - Van Tiem / Staatssecretaris van Financiën

Printed via the EU tax law app / web

EUR-Lex - 61989C0186 - DE

61989C0186

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 25/09/1990. - W. M. VAN TIEM GEGEN STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - MEHRWERTSTEUERBERICHTIGUNG - SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE. - RECHTSSACHE C-186/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-04363


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Die Rechtsfrage, die Ihnen der Hoge Raad der Nederlanden vorlegt, betrifft die Artikel 4 und 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie (1). Sie haben sich darüber auszusprechen, ob die Einräumung eines dinglichen Rechts (vorliegend eines Erbbaurechts) an einer unbeweglichen Sache für eine bestimmte Zeitspanne und gegen eine in regelmässigen Zeitabständen zu zahlende Vergütung als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden kann, so daß derjenige, der das dingliche Recht einräumt, als Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 4 der Richtlinie zu gelten hat, selbst wenn dieses Rechtsgeschäft als Lieferung im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie zu betrachten ist.

Sachverhalt

2. Ich beginne meine Ausführungen mit einem kurzen Überblick über den Sachverhalt, von dem das vorlegende Gericht ausgeht. Herr Van Tiem kaufte am 29. September 1980 ein Baugrundstück. Wegen der Lieferung wurden ihm 10 677,97 HFL Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Unmittelbar nach dem Kauf räumte Van Tiem der Tiem' s Electro Technisch Installatiebureau BV für einen Zeitraum von achtzehn Jahren gegen eine jährliche Zahlung von 3 000 HFL (einschließlich Umsatzsteuer) ein Erbbaurecht an dem Grundstück ein. Am 20. Oktober 1980 stellte er bei der niederländischen Steuerbehörde den Antrag, ihn mit Wirkung vom 29. September 1980 von der Befreiung auszunehmen, die nach den niederländischen Rechtsvorschriften für den Fall der Einräumung eines Erbbaurechts vorgesehen war (2). Dem Antrag wurde in der Annahme stattgegeben, er beziehe sich auf die Vermietung der betroffenen unbeweglichen Sache. Einige Zeit später reichte Van Tiem eine Umsatzsteuererklärung ein, in der er mit dem beim Kauf bezahlten Betrag aufrechnete. Der Ausgangsrechtsstreit beruht darauf, daß die niederländische Steuerbehörde diese Aufrechnung ablehnte.

Nach der - 1978 im Rahmen der Umsetzung der Sechsten Richtlinie geänderten - niederländischen Wet op de omzetbelasting 1968 (Gesetz über die Umsatzsteuer) war Van Tiem aufrechnungsberechtigt, wenn er sowohl beim Ankauf des Grundstücks als auch bei der Begründung des Erbbaurechts als "Unternehmer" gehandelt hatte. Die Steuerbehörde vertritt im Ausgangsverfahren die Auffassung, dies sei nicht der Fall. Der grösseren Klarheit wegen möchte ich hier noch hinzufügen, daß Van Tiem für den Nachweis seiner Eigenschaft als "Unternehmer" lediglich die vorerwähnten Rechtsgeschäfte ins Feld führen kann, nicht dagegen irgendeine sonstige Tätigkeit.

3. Der Streit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens betrifft nicht (so sehr) die Frage, ob Van Tiem wegen des Grundstückskaufs als Unternehmer anzusehen ist, sondern die Frage, ob er wegen der Einräumung des Erbbaurechts als Unternehmer betrachtet werden kann. Die Kassationsbeschwerde, die Van Tiem im Ausgangsverfahren eingelegt hat, stützt sich auf Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b der Wet op de omzetbelasting, der wie folgt lautet:

"Wo in diesem Gesetz von Betrieb gesprochen wird, sind darunter ebenfalls zu verstehen:

a) ...

b) die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen."

Van Tiem macht insbesondere geltend, die Einräumung des vorstehend näher umschriebenen Erbbaurechts sei als Nutzung eines körperlichen Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen anzusehen, so daß er als Unternehmer zu gelten habe und ihm ein Aufrechnungsrecht zustehe.

Die Vorlagefragen

4. Der obengenannte Artikel 7 Absatz 2 der Wet op de omzetbelasting war zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie, genauer gesagt von deren Artikel 4 Absatz 2, bestimmt. Aus diesem Grund hat der Hoge Raad dem Gerichtshof drei Fragen zur Auslegung der Sechsten Richtlinie vorgelegt. Sie lauten wie folgt:

"1) Ist Artikel 4 Absatz 2 letzter Satz der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, daß es als Nutzung eines körperlichen Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, wenn der Eigentümer einer unbeweglichen Sache diese einem anderen während eines bestimmten Zeitraums gegen eine regelmässig zu zahlende Vergütung in der Weise zum Gebrauch überlässt, daß er dem Betroffenen für diesen Zeitraum und gegen diese Vergütung ein dingliches Nutzungsrecht - wie das Erbbaurecht - an der unbeweglichen Sache einräumt?

2) Ist, sofern ein Mitgliedstaat von der durch Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die in dieser Vorschrift genannten dinglichen Nutzungsrechte als körperliche Gegenstände zu behandeln, Absatz 1 dieses Artikels dahin auszulegen, daß der in ihm enthaltene Begriff 'Übertragung' auch die Begründung eines solchen Rechts umfasst?

3) Ist die erste Frage anders zu beantworten, wenn und soweit die zweite Frage bejaht wird?"

5. Die Vorlagefragen stehen in Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wie er in der Sechsten Richtlinie näher bestimmt wird. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt". Aus dieser Bestimmung ist ersichtlich, daß die Steuerpflicht eine steuerpflichtige Person und einen steuerbaren Umsatz voraussetzt. Der erstgenannte Begriff wird in Artikel 4, der zweite in den Artikeln 5 bis 7 der Sechsten Richtlinie näher bestimmt. Bei der ersten Vorlagefrage geht es um die Auslegung des Begriffs "Steuerpflichtiger", der dem vom niederländischen Umsatzsteuergesetz verwendeten Begriff "Unternehmer" entspricht. Bei der zweiten und der dritten Vorlagefrage handelt es sich darum, ob die Definition des Begriffs "Lieferung eines Gegenstands" (eines der in der Richtlinie genannten steuerbaren Umsätze) Einfluß auf die Beurteilung der Eigenschaft als Steuerpflichtiger haben kann.

Die erste Frage

6. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, gleichgültig, zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Der Begriff "wirtschaftliche Tätigkeit" wird in Absatz 2 desselben Artikels näher bestimmt, mit dem, wie bereits gesagt, Artikel 7 Absatz 2 der Wet op de omzetbelasting übereinstimmt. Unter diesen Begriff fallen

"alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden ... Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst."

Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, daß Van Tiem mit den oben beschriebenen Rechtsgeschäften eine selbständige Tätigkeit ausgeuebt hat und im Hinblick auf diese Tätigkeit als Händler oder Dienstleistender anzusehen ist. Die zu beantwortende Frage ist daher, ob der Kauf des Grundstücks und die Begründung des Erbbaurechts zusammen oder jeweils für sich als wirtschaftliche Tätigkeit zu gelten haben.

7. Welche Anknüpfungspunkte gibt es hierzu in der Rechtsprechung? Zunächst einmal hat der Gerichtshof mehrfach betont, daß Artikel 4 der Sechsten Richtlinie der Mehrwertsteuer ein sehr weites Anwendungsgebiet zuerkennt (3). In der Tat zielt das Mehrwertsteuersystem darauf ab, durch eine möglichst allgemeine Besteuerung aller Stadien der Erzeugung, der Verteilung und der Dienstleistungen eine vollständige Neutralität zu gewährleisten; der Begriff "wirtschaftliche Tätigkeit" muß im Hinblick auf diesen Neutralitätsgrundsatz daher denn auch weit ausgelegt werden (4).

In diesem Lichte ist auch der letzte Satz von Artikel 4 Absatz 2 zu lesen, der als Beispiel für eine wirtschaftliche Tätigkeit "die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen" nennt. Das Urteil Rompelman (5), das in Zusammenhang mit einem Sachverhalt ergangen war, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem hier vorliegenden aufwies, enthält einige interessante Hinweise für die Auslegung dieses Passus.

8. Im Fall Rompelman ging es um den Erwerb eines Anspruchs auf Übertragung eines künftigen Teilerbbaurechts an einem noch zu errichtenden Gebäude in der Absicht, den erworbenen Gegenstand später zu vermieten. Genau wie in dem Fall, der zu dem vorliegenden Ausgangsrechtsstreit geführt hat, wurde für die Lieferung der unbeweglichen Sache Umsatzsteuer bezahlt und die Aufrechnung mit dieser Steuer im Anschluß hieran von der Steuerbehörde abgelehnt. Der Gerichtshof war ersucht worden, sich darüber auszusprechen, ob der Erwerb eines derartigen Anspruchs als wirtschaftliche Tätigkeit (genauer gesagt, als Nutzung einer unbeweglichen Sache) im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie angesehen werden könne, so daß ein Recht auf Vorsteuerabzug (und auf Aufrechnung) gegeben sei. Der Gerichtshof bejahte diese Frage anhand einer Untersuchung der Grundmerkmale des Mehrwertsteuersystems.

In seinem Urteil hat er darauf hingewiesen, daß die Regelung über den Vorsteuerabzug das Ziel verfolge, den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu befreien; auf diese Weise werde die völlig neutrale steuerliche Behandlung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleistet (6). Was im besonderen die Frage angeht, in welchem Zeitpunkt die Nutzung eines Grundstücks beginnt, so hat der Gerichtshof ausgeführt, daß die wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie in verschiedenen aufeinanderfolgenden Handlungen wie dem Kauf eines Grundstücks bestehen könne; derartige vorbereitende Tätigkeiten seien bereits der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen (7). Diese Auffassung wurde wie folgt näher dargelegt:

"... Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer hinsichtlich der Abgabenbelastung des Unternehmens ((verlangt)), daß schon die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens oder zu dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen werden. Es würde dem genannten Grundsatz zuwiderlaufen, wenn als Beginn der wirtschaftlichen Tätigkeit erst der Zeitpunkt angesetzt würde, von dem an das Grundstück tatsächlich genutzt wird, d. h. die zu versteuernden Einkünfte entstehen. Bei jeder anderen Auslegung des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie würde der Wirtschaftsteilnehmer mit den Mehrwertsteuerkosten belastet, ohne daß er sie ... abziehen könnte, und es würde willkürlich zwischen Investitionsausgaben vor und während der tatsächlichen Nutzung eines Grundstücks unterschieden. Selbst wenn vorgesehen wäre, daß die für die vorbereitenden Handlungen gezahlte Vorsteuer nach Aufnahme der tatsächlichen Nutzung eines Grundstücks erstattet wird, würde auf dem Gegenstand wegen des manchmal sehr langen Zeitraums zwischen den ersten Investitionsausgaben und der tatsächlichen Nutzung eine finanzielle Belastung ruhen. Wer solche in engem Zusammenhang mit der künftigen Nutzung eines Grundstücks stehenden und für diese erforderlichen Investitionshandlungen vornimmt, ist daher als Steuerpflichtiger im Sinne des Artikels 4 anzusehen." (8)

9. Dem Urteil Rompelman sind folgende Gedanken zu entnehmen. Erstens: Der Kauf einer unbeweglichen Sache mit der Absicht, diese später (zum Beispiel im Wege der Vermietung) zu nutzen, ist bereits als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, so daß der Käufer schon zu diesem Zeitpunkt die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen und das Recht auf Vorsteuerabzug bei der Lieferung der Sache erwirbt. Zweitens: Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer bedeutet, daß die in Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten in verschiedenen aufeinanderfolgenden Handlungen bestehen können. Hieraus folgt, daß das Anlagegeschäft (Ankauf der Sache) und die spätere Nutzung nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, so daß der Betroffene ein Recht darauf hat, im Rahmen der Nutzung mit der aus Anlaß des Anlagegeschäfts entrichteten Steuer aufzurechnen.

10. Das Urteil Rompelman befasst sich nicht ausdrücklich mit der Definition des Begriffs "Nutzung" einer unbeweglichen Sache. Es lässt jedoch keinen Zweifel daran bestehen, daß die Vermietung einer unbeweglichen Sache als Nutzung dieser Sache anzusehen ist. Im Tenor des Urteils wird nämlich festgestellt, daß der Erwerb eines Anspruchs auf Übertragung eines Teilerbbaurechts an einem noch zu errichtenden Gebäude in der Absicht, den erworbenen Gegenstand zu gegebener Zeit zu vermieten, als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 anzusehen ist, und zwar vom Zeitpunkt des Kaufs der Sache an. Daß die Vermietung stillschweigend, aber mit Sicherheit als Nutzung betrachtet wird, geht auch aus dem Passus des Urteils hervor, der sich mit der in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung von der wegen der Vermietung erhobenen Mehrwertsteuer befasst. Das Urteil erwähnt beiläufig, daß der Vermieter im Fall Rompelman von dem ihm durch Artikel 13 Teil C eingeräumten Recht Gebrauch gemacht habe, für die Besteuerung der Vermietung zu optieren, und folgert hieraus, daß der Käufer einer unbeweglichen Sache, der diese später vermietet, vom Zeitpunkt des Kaufs an als Steuerpflichtiger anzusehen sei (9).

Im vorliegenden Ausgangsrechtsstreit geht es nicht um die Vermietung der Sache, sondern um die Einräumung eines Erbbaurechts an ihr. Es gibt aber keinen Grund dafür, die Einräumung einer solchen Gebrauchsbefugnis nicht ebenfalls als Nutzung der Sache anzusehen. Ebenso wie mit der Vermietung strebt der Eigentümer mit der Einräumung eines Erbbaurechts an, aus der Sache Einnahmen zu erzielen. Es würde daher dem Grundsatz der Neutralität der Besteuerung widersprechen, den Begriff "Nutzung" einer Sache auf deren Vermietung zu beschränken und damit einer bestimmten Art von Rechtsgeschäften gegenüber anderen Rechtsgeschäften einen Vorteil einzuräumen (10). Wie die Regierungen der Niederlande und des Vereinigten Königreichs zu Recht ausgeführt haben, muß der Begriff der "Nutzung" daher so verstanden werden, daß er sich auf alle Geschäfte ohne Rücksicht auf deren Rechtsform bezieht, mit denen die Erzielung von Einnahmen aus der in Rede stehenden Sache angestrebt wird. Die Einräumung eines Erbbaurechts an einem Baugrundstück für einen Zeitraum von achtzehn Jahren bezweckt zweifellos auch die "nachhaltige" Erzielung von Einnahmen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie.

11. In dem Urteil des Gerechtshof Arnheim, gegen das Van Tiem ein Rechtsmittel beim Hoge Raad eingelegt hat, heisst es indessen, daß im Fall eines Erbbaurechts von einer "Nutzung" der Sache durch den Eigentümer keine Rede sein könne, da derjenige, dem das Erbbaurecht eingeräumt werde, nach niederländischem Recht die Verfügungsgewalt über die Sache erlange, so daß diese vom Erbbauberechtigten und nicht vom Eigentümer genutzt werde. Diese Auffassung scheint mir nach Gemeinschaftsrecht unzutreffend zu sein. Daß der Erbbauberechtigte (nach innerstaatlichem Recht) über die unbewegliche Sache "verfügen" kann, zum Beispiel indem er Bauwerke auf ihr errichtet, ändert nichts daran, daß der Eigentümer der unbeweglichen Sache diese durch die Einräumung eines Erbbaurechts im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie nutzt: Der Eigentümer tritt ja sein Gebrauchsrecht an der Sache für eine bestimmte Zeit gegen eine regelmässig zu zahlende Vergütung ab. In diesem Sinne "nutzt" er die Sache. Der Ausdruck "Nutzung" ist mit anderen Worten ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff, womit gesagt ist, daß das (bürgerliche) innerstaatliche Recht bei der Anwendung der Mehrwertsteuer nicht dazu führen kann, daß je nach der Art der Verfügungsgewalt, die der Inhaber des Nutzungsrechts nach den innerstaatlichen Vorschriften erwirbt, bestimmte Nutzungsformen als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sind, andere dagegen nicht. Die Auffassung des Gerechtshof hätte gerade zur Folge, daß der gemeinschaftsrechtliche Begriff "Nutzung" an einen von ihm nach Ziel und Inhalt verschiedenen innerstaatlichen Rechtsbegriff geknüpft und damit der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gefährdet würde (11).

12. Schließlich ist im Hinblick auf die erste Vorlagefrage noch auf einen Punkt einzugehen, den die Kommission aufgeworfen hat: Hängt die Eigenschaft als Steuerpflichtiger davon ab, daß die wirtschaftliche Tätigkeit regelmässig ausgeuebt wird? Diese Bedingung fand sich in der Zweiten Richtlinie (12), fehlt jedoch in Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie. Wie die Kommission jedoch mit Recht bemerkt, ist davon auszugehen, daß diese Bedingung grundsätzlich nach wie vor gilt. Artikel 4 Absatz 3 gestattet es nämlich den Mitgliedstaaten, Personen als Steuerpflichtige zu betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben. Eine solche Bestimmung hätte keinen Sinn, wenn bereits die in Absatz 1 aufgestellte Regel auf gelegentlich ausgeuebte wirtschaftliche Tätigkeiten anwendbar wäre.

Weiterhin bemerkt die Kommission auch zu Recht, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Artikel 4 Absatz 3 anstrebt, die Neutralität der Besteuerung dadurch besser zu gewährleisten, daß der Begriff "Steuerpflichtiger" auf Personen erstreckt wird, die gelegentlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dasselbe Ziel liegt auch Artikel 4 Absatz 2 letzter Satz zugrunde: Die Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ist als "wirtschaftliche Tätigkeit" anzusehen, die die Eigenschaft als Steuerpflichtiger begründet. Ich stimme mit der Kommission darin überein, daß die Regelmässigkeit in einem solchen Fall aus der Absicht abgeleitet werden kann, aus einem Gegenstand in nachhaltiger Weise Einnahmen zu erzielen, mit anderen Worten, daß die Nachhaltigkeit zugleich die Regelmässigkeit einschließt.

Die zweite und die dritte Frage

13. Wie bereits dargelegt, wird der Begriff "steuerbarer Umsatz" in den Artikeln 5 bis 7 der Sechsten Richtlinie näher bestimmt. Die zuerst genannte Art der steuerbaren Umsätze ist die Lieferung eines Gegenstands, die in Artikel 5 Absatz 1 definiert wird als

"die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen".

In Absatz 3 Buchstabe b wird den Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt, als körperliche Gegenstände zu behandeln:

"dingliche Rechte, die ihrem Inhaber ein Nutzungsrecht an Grundstücken geben".

Die Niederlande haben in Artikel 3 Absatz 2 der Wet op de omzetbelasting von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. In diesem Zusammenhang wünscht der Hoge Raad mit seiner zweiten Frage zu erfahren, ob Artikel 5 Absatz 1 dahin auszulegen ist, daß der Begriff "Lieferung eines Gegenstands" auch die Begründung eines dinglichen Nutzungsrechts an diesem Gegenstand umfasst.

14. Der Begriff "Lieferung" spielte eine Rolle in dem kürzlich ergangenen Urteil Safe (13), in dem der Gerichtshof klargestellt hat, daß sich dieser Begriff nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das nationale Recht vorgesehenen Formen bezieht, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand praktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (14). Ob eine Übertragung der Befugnis vorliegt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen (es geht hierbei um die tatsächliche Verfügungsmacht, die weiter gehen kann als der juristische Eigentumsbegriff), haben die innerstaatlichen Gerichte von Fall zu Fall anhand der konkreten Umstände zu entscheiden (15).

Geht es um die Begründung eines dinglichen Nutzungsrechts an einer unbeweglichen Sache, so ist die Lage etwas anders, wenn ein Mitgliedstaat von der durch Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b gebotenen Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht hat. Entscheiden sich die Mitgliedstaaten (freiwillig) für die Gleichstellung von dinglichen Nutzungsrechten an unbeweglichen Sachen mit körperlichen Gegenständen, so wollen sie damit Rechtsgeschäfte (nämlich die Begründung eines dinglichen Nutzungsrechts an einer unbeweglichen Sache), die in wirtschaftlicher Hinsicht der Lieferung einer unbeweglichen Sache gleichwertig sind, hinsichtlich der Erhebung der Umsatzsteuer einer solchen Lieferung gleichstellen. Artikel 5 unterscheidet hierbei nicht nach der Art des Nutzungsrechts (sofern es nur ein dingliches Nutzungsrecht ist) oder nach dem Umfang der Verfügungsmacht, die das Recht an der unbeweglichen Sache verleiht. Die Begründung des dinglichen Nutzungsrechts wird mit anderen Worten infolge der (fakultativen) Gleichstellung von vornherein als Lieferung qualifiziert, ohne daß es erforderlich wäre, gemäß den Hinweisen des Urteils Safe die Befugnisse in Betracht zu ziehen, die das Nutzungsrecht in bezug auf den betroffenen Gegenstand verleiht.

Der Vollständigkeit halber möchte ich hinzufügen, daß die Hinweise des Urteils Safe sehr wohl zu beachten sind, wenn das begründete dingliche Recht ein dingliches Recht an einem anderen dinglichen Recht ist (zum Beispiel ein Nießbrauch oder eine Hypothek an einem Erbbaurecht), so daß der Inhaber des Rechts über das letztgenannte Recht nicht wie ein Eigentümer verfügen kann. In einem solchen Fall - der mir hier nicht vorzuliegen scheint - könnte der Inhaber nämlich nicht im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie wie ein Eigentümer über ein einem körperlichen Gegenstand gleichgestelltes dingliches Nutzungsrecht verfügen.

15. Mit seiner dritten Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob, falls die Begründung eines Erbbaurechts aufgrund der auf die zweite Frage zu gebenden Antwort als Lieferung anzusehen ist, nach wie vor angenommen werden kann, daß der Eigentümer der Sache diese nutzt und infolgedessen als Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist. Kommission und niederländische Regierung vertreten die Ansicht, die Frage, ob die Begründung eines Erbbaurechts als "Lieferung" im Sinne von Artikel 5 angesehen werden müsse, sei von der Frage unabhängig, ob eine Person gemäß den in Artikel 4 aufgezählten Kriterien als steuerpflichtig zu gelten habe. Auch ich bin der Meinung, daß beide Fragen unabhängig voneinander beantwortet werden müssen, und zwar aus folgenden Gründen.

Ob jemand Steuerpflichtiger ist, muß ausschließlich anhand der in Artikel 4 genannten Kriterien beurteilt werden. Bei der Erörterung der ersten Frage hat sich gezeigt, daß die Einräumung eines Erbbaurechts sehr wohl als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 (mit anderen Worten, als eine die Eigenschaft als Steuerpflichtiger begründende Tätigkeit) angesehen werden kann. Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt - ganz im Gegenteil -, daß ein Mitgliedstaat von der ihm durch Artikel 5 Absatz 3 gewährten Befugnis Gebrauch gemacht hat, die Begründung bestimmter dinglicher Rechte als körperlichen Gegenstand zu behandeln (was zur Folge hätte, daß die Begründung eines Erbbaurechts als Lieferung eines Gegenstands im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 anzusehen wäre). Zwar ist diese Wahlmöglichkeit von Bedeutung für die Abgrenzung des Begriffs "steuerbarer Umsatz" und kann auch von Bedeutung sein für die Besteuerung des Rechtsgeschäfts, weil die für die Lieferung von Gegenständen geltenden Regeln von den für Dienstleistungen geltenden abweichen (16); sie ist jedoch nicht dazu bestimmt, einen Einfluß auf die Definition des Begriffs "Steuerpflichtiger" auszuüben. Die mit der Sechsten Richtlinie angestrebte Harmonisierung wäre ja gefährdet, wenn der Anwendungsbereich des Artikels 4 von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sein könnte, je nachdem, ob von der durch Artikel 5 Absatz 3 gebotenen Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht wird.

Ergebnis

16. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen schlage ich Ihnen vor, die Vorlagefragen des Hoge Raad wie folgt zu beantworten:

"1) Es ist als Nutzung eines körperlichen Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 letzter Satz der Sechsten Richtlinie anzusehen, wenn der Eigentümer einer unbeweglichen Sache diese einem anderen während eines Zeitraums von achtzehn Jahren gegen eine regelmässig zu zahlende Vergütung zum Gebrauch überlässt.

2) Hat ein Mitgliedstaat von der durch Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eingeräumten Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht, dingliche Nutzungsrechte an unbeweglichen Sachen als körperliche Gegenstände zu behandeln, so ist die Begründung eines solchen Nutzungsrechts wie die Lieferung einer unbeweglichen Sache zu besteuern.

3) Die Antwort auf Frage 2 hat keinen Einfluß auf die Antwort auf Frage 1."

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie).

(2) Dieser Antrag wurde offensichtlich gestellt, um aufgrund des obengenannten Rechtsgeschäfts die Eigenschaft als "Steuerpflichtiger" (Näheres hierzu weiter unten) und damit das Recht auf Verrechnung der beim Kauf bezahlten Umsatzsteuer zu erlangen.

(3) Siehe zum Beispiel das Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471, Randnrn. 6 bis 8.

(4) Siehe das in der vorigen Fußnote zitierte Urteil sowie die Schlussanträge von Generalanwalt C. O. Lenz in dieser Rechtssache, insbesondere Nrn. 19 bis 21. Siehe ferner das Urteil vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvöring Financiële Acties/Staatssecretaris van Financiën, Slg. 1989, 1737, Randnrn. 10 bis 13.

(5) Urteil vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman/Minister van Financiën, Slg. 1985, 655.

(6) Randnr. 19.

(7) Randnr. 22.

(8) Randnr. 23.

(9) Randnr. 21.

(10) Übrigens ist zu bemerken, daß die niederländische Steuerbehörde dem Antrag von Van Tiem, ihn von der Befreiung von der Umsatzsteuer wegen der Einräumung eines Erbbaurechts auszunehmen, mit der Begründung stattgegeben hat, dieser Antrag beziehe sich auf die Vermietung einer unbeweglichen Sache (siehe oben Nr. 2).

(11) Entsprechende Überlegungen hat der Gerichtshof hinsichtlich des Begriffs "Werkvertrag" im Sinne der Artikel 5 der Zweiten und der Sechsten Richtlinie (siehe das Urteil vom 14. Mai 1985 in der Rechtssache 139/84, Van Dijk' s Bökhuis, Slg. 1985, 1405, insbesondere Randnrn. 15 bis 17) sowie des Begriffs "Lieferung" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie (Urteil vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe BV, Slg. 1990, I-285, insbesondere Randnrn. 6 bis 9) angestellt; Näheres hierzu unter Nr. 14.

(12) Siehe Artikel 4 der Richtlinie 67/228/EWG vom 11. April 1967 (ABl. Nr. 71, S. 1303).

(13) Urteil vom 8. Februar 1990 (bereits oben in Fußnote 11 erwähnt).

(14) Randnr. 7.

(15) Randnrn. 10 bis 12.

(16) Siehe zum Beispiel die Artikel 8 und 9 (Ort des steuerbaren Umsatzes) und 11 (Besteuerungsgrundlage).