C-60/90 - Polysar Investments Netherlands / Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen

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EUR-Lex - 61990C0060 - DE

61990C0060

Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 24. April 1991. - POLYSAR INVESTMENTS NETHERLANDS BV GEGEN INSPECTEUR DER INVOERRECHTEN EN ACCIJNZEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GERECHTSHOF ARNHEM - NIEDERLANDE. - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 4 UND 13 TEIL B BUCHSTABE D NR. 5 DER SECHSTEN RICHTLINIE - STEUERPFLICHTIGER - TAETIGKEITEN EINER HOLDINGGESELLSCHAFT. - RECHTSSACHE C-60/90.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-03111
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00227
Finnische Sonderausgabe Seite I-00239


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Polysar Investments Netherlands BV (im folgenden: Polysar) ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts und gehört zum Weltkonzern Polysar. Wie das Vorlageurteil ausführt, übt Polysar keinerlei "Handelstätigkeit" aus und fungiert ausschließlich als Holding-Gesellschaft, die an einer grossen Zahl ausländischer, im Bereich der Erzeugung und des Vertriebs von synthetischem Kautschuk und ähnlichen Erzeugnissen tätiger Gesellschaften beteiligt ist. Polysar ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Polysar Holdings Ltd., einer Holding-Gesellschaft mit Sitz in Kanada, die ihrerseits eine 100%ige Tochtergesellschaft der ebenfalls in Kanada ansässigen Polysar Ltd. ist. Ein Teil der Aktien der letztgenannten Gesellschaft werden an der kanadischen Börse gehandelt, ein anderer Teil befindet sich im Besitz einer Reihe von Banken und der "Canada Development Corporation".

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Gründung der Gesellschaft Polysar in den Niederlanden durch das sogenannte "Holding-Privileg" veranlasst wurde. In den Niederlanden werden Gewinne aus ausländischen Beteiligungen unter bestimmten Voraussetzungen von der Körperschaftssteuer freigestellt, wenn diese Gewinne bereits im Ausland besteuert wurden. In der vorliegenden Rechtssache geht es indessen um das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, und zwar um zwei Hauptfragen: erstens, ob bei einer Gesellschaft, die lediglich mit dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften zusammenhängende Tätigkeiten ausübt, von einem "Steuerpflichtigen" im Sinne der Sechsten Richtlinie (1) gesprochen werden kann, und zweitens, wenn eine solche Gesellschaft tatsächlich als Steuerpflichtiger anzusehen ist, ob die von ihr ausgeuebten Tätigkeiten als von der Mehrwertsteuer befreite Umsätze zu behandeln sind und ob die Gesellschaft auf Grund dieser Tätigkeiten den Abzug der von ihr gezahlten Mehrwertsteuer beanspruchen kann.

2. Der Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen. Polysar bezahlte für verschiedene ihr erbrachte Dienstleistungen (Beratungen insbesondere durch Buchprüfer) einen bestimmten Betrag an Mehrwertsteuer. Polysar beantragte für die Jahre 1981 bis 1985 die Rückzahlung der Mehrwertsteuer und erhielt diese erstattet. Der Inspektor für Umsatzsteuer erließ indessen über diese Mehrwertsteuer einen Nacherhebungsbescheid, dessen Begründetheit Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.

3. Das vorlegende Gericht stellt folgende Fragen:

1) a) Ist eine Holding-Gesellschaft, die lediglich mit dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften in Zusammenhang stehende Tätigkeiten ausübt, als Steuerpflichtiger im Sinne der Artikel 4 und 17 der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer anzusehen?

b) Liegt, wenn die vorhergehende Frage zu verneinen ist, Steuerpflicht gleichwohl vor, wenn die

Holding-Gesellschaft Glied und integrierender Teil eines Weltkonzerns ist, der im allgemeinen nach aussen hin unter ein und demselben Namen, dem Konzernnamen, auftritt?

2) a) Stellen, wenn eine Holding-Gesellschaft als Steuerpflichtiger zu betrachten ist, die von ihr als solche ausgeuebten Tätigkeiten Umsätze im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der genannten Richtlinie dar, so daß sie als von der Mehrwertsteuer befreite Dienstleistungen anzusehen sind und die von Dritten insoweit in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht dem Vorsteuerabzug unterliegt?

b) Hat die Antwort, wenn die Fragen zu 2 a zu bejahen sind, anders zu lauten, wenn der Konzern, zu dem die Holding-Gesellschaft gehört, als solcher ausschließlich nach Gemeinschaftskriterien steuerpflichtige Leistungen im Sinne der genannten Richtlinien erbringt?

Der Begriff "Steuerpflichtiger"

4. Bei der Beantwortung der Frage 1 a möchte ich von der Zielsetzung und den Merkmalen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ausgehen. Die Zielsetzung des durch die Sechste Richtlinie eingeführten Systems ist vom Gerichtshof bereits wiederholt verdeutlicht worden: Es muß sichergestellt werden, daß alle wirtschaftlichen Tätigkeiten in steuerlicher Hinsicht völlig neutral behandelt werden, und zwar mittels Erhebung einer genau im Preis der Lieferungen und Dienstleistungen entsprechenden Verbrauchsteuer, die lediglich unter Abzug des Betrags an Mehrwertsteuer geschuldet wird, mit dem die Kostenelemente des Preises der Gegenstände und Dienste bereits belastet sind. Dieses Abzugsrecht steht nur

Steuerpflichtigen zu, so daß die Steuerlast letztlich den Endverbraucher trifft (2).

Artikel 4 der Sechsten Richtlinie, der festlegt, wer als "Steuerpflichtiger" anzusehen ist, bestimmt:

"1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.

..."

In Übereinstimmung mit dem Ziel der Sechsten Richtlinie, die durch eine weite Definition des Begriffs "Steuerpflichtiger" (3) eine stärkere steuerliche Neutralität sicherzustellen sucht, wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofes wiederholt betont, daß Artikel 4 der Richtlinie der Mehrwertsteuer einen sehr weiten Anwendungsbereich zuerkennt, der sämtliche Stadien der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen umfasst (4).

5. Nach Ansicht von Polysar kann aufgrund des Wortlauts des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie und der weiten Auslegung des Begriffs des Steuerpflichtigen durch den Gerichtshof kein Zweifel bezueglich ihrer Eigenschaft als Steuerpflichtiger bestehen, weil sie selbständig einen Betrieb führe und (über ihre Beteiligungen an Tochtergesellschaften) ein Geschäft betreibe, um damit nachhaltig Einnahmen (in Form von Dividenden) zu erzielen.

Der Standpunkt von Polysar geht davon aus, daß die blosse Anlage von Geld bereits eine "wirtschaftliche Tätigkeit" darstellt, was sich meines Erachtens aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere aus den Urteilen Rompelman (5) und Van Tiem (6), so nicht ableiten lässt. In diesen beiden Rechtssachen ging es nicht nur um eine Geldanlage, mit anderen Worten um den Erwerb eines Gegenstands (konkret ein zukünftiges Wohnungseigentumsrecht bzw. ein Baugrundstück), denn der erworbene Gegenstand wurde sodann gegen Entgelt einem Dritten zur Verfügung gestellt (konkret durch das Vermieten der Wohnung bzw. die Einräumung eines Erbbaurechts an dem Baugrundstück). Der blosse Erwerb einer Beteiligung an einer Gesellschaft schließt eine solche Zurverfügungstellung nicht ein. Die später etwa an den Anteilseigner

gezahlten Dividenden sind mit anderen Worten nicht als aus der "Nutzung" eines Gegenstands erzielte "nachhaltige Einnahmen" zu betrachten; sie sind lediglich etwaige, dem Inhaber gebührende Früchte eines Gegenstands, die aus dem blossen Innehaben des Gegenstandes entstehen. Entscheidet man anders, so müsste auch jeder Inhaber einer Aktie oder einer Obligation als Steuerpflichtiger behandelt werden.

Anderes hat lediglich zu gelten, wenn eine Gesellschaft Geschäfte mit Aktien tätigt, die weiter gehen als die Tätigkeiten eines gewöhnlichen Anlegers im Rahmen einer normalen Vermögensverwaltung, wenn zum Beispiel keine Gesellschaft regelmässig Aktien kauft und verkauft in der Absicht, mit diesen Geschäften wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. In einem solchen Fall können die wiederholt durchgeführten Kauf- und Verkaufsgeschäfte als wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen werden. Bei einer Holding-Gesellschaft wie Polysar, die "Glied" eines Konzerns von Gesellschaften ist und Anteile von Tochtergesellschaften mit dem Ziel erworben hat, diese zu behalten, liegt aber eine solche Situation nicht vor.

6. Damit bleibt noch das Problem, ob eine Steuerpflicht aufgrund der anderen Tätigkeiten einer Holding-Gesellschaft abgeleitet werden kann. Das vorlegende Gericht hat darauf hingewiesen, daß Polysar keine anderen als die mit dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften verbundenen Tätigkeiten ausübe. Mir scheint, daß solche Betätigungen, die mit der Ausübung der mit dem Anteil verbundenen Befugnisse zusammenhängen, keine "wirtschaftlichen Tätigkeiten" im Sinne der Sechsten Richtlinie sind. Zur Ausübung dieser Befugnisse gehören zum Beispiel die Teilnahme an der Hauptversammlung der Aktionäre der Tochtergesellschaft, die Stimmabgabe in dieser Versammlung, die Möglichkeit der Beeinflussung der Politik der Gesellschaft durch Ausübung dieses Stimmrechts, gegebenenfalls die Teilnahme an der Bestimmung von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern

und/oder am Gewinnverteilungsbeschluß der Tochtergesellschaft, ferner das Einziehen der von der Tochter etwa ausgeschütteten Dividende oder die Ausübung eines mit der Aktie verbundenen Vorzugs- oder Optionsrechts.

Neben den vorstehend genannten Tätigkeiten, die eine Holding-Gesellschaft als Anteilseigner anderer Gesellschaften ausübt, gibt es andere Tätigkeiten, die sie selbst wie andere Gesellschaften auch mit Hilfe ihrer Organe ausübt und die, soweit sie im internen Bereich der Gesellschaft (in ihren Beziehungen zu ihren Aktionären und Gesellschaftsorganen) stattfinden, ebensowenig als "wirtschaftliche Tätigkeiten" im Sinne der Sechsten Richtlinie behandelt werden können. Hierunter fällt die Verwaltung der Holding-Gesellschaft, die Aufstellung ihrer Bilanz, die Planung ihrer Hauptversammlung, der Beschluß über die Gewinnverwendung und der Beschluß (und die etwaige Ausschüttung) der Dividende.

Ebensowenig kann meines Erachtens von selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 die Rede sein bei Tätigkeiten, die die Holding-Gesellschaft oder in ihrem Namen handelnde Personen in der Eigenschaft als Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied ausüben. Ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied handelt ja nie im eigenen Namen, sondern bindet lediglich die (Tochter-)Gesellschaft, deren Organ es ist; wenn es mit anderen Worten im Rahmen seiner Satzungssaufgaben handelt, kann von einem "selbständigen" Auftreten nicht gesprochen werden. Seine Tätigkeit ist in dieser Hinsicht eher der eines Lohn- und Gehaltsempfängers vergleichbar, die Artikel 4 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie ausdrücklich als nicht "selbständig" bezeichnet.

7. Die Antwort auf Frage 1 a muß demnach lauten, daß eine Holding-Gesellschaft, die lediglich die mit dem Halten von Beteiligungen

an Tochtergesellschaften und mit der Ausübung der damit verbundenen Rechte zusammenhängende, den internen Gesellschaftsrahmen (der Holding- oder Tochtergesellschaft) nicht überschreitenden Tätigkeiten ausübt, keine "wirtschaftlichen Tätigkeiten" im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ausübt und daher nicht als Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Richtlinie betrachtet werden kann.

8. Muß - so die Frage 1 b - die Antwort anders lauten, wenn die Holding-Gesellschaft Glied und integrierender Teil eines Weltkonzerns ist, der gewöhnlich nach aussen hin unter einem Namen, dem Konzernnamen, auftritt?

Diese Frage scheint ihren Sinn aus dem Wortlaut des Artikels 4 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie zu beziehen, der wie folgt lautet:

"Vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln." (7)

9. Diese Vorschrift gestattet es, zwei oder mehr Einheiten, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbunden sind, bei der Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, obwohl sie rechtlich unabhängig sind und daher jede für sich als Steuerpflichtiger betrachtet werden könnten. Die

Frage geht daher dahin, ob diese Möglichkeit es einem Mitgliedstaat erlaubt, zwei eng miteinander verbundene Einheiten als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn feststeht, daß eine der Einheiten keine "wirtschaftlichen Tätigkeiten" im Sinne des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie ausübt. Meines Erachtens muß man diese Frage verneinen. Ich stimme nämlich mit der Kommission darin überein, daß es bei der Prüfung, ob Steuerpflicht besteht, auf die Tätigkeiten jeder der rechtlichen Einheiten im einzelnen ankommt und nicht auf die Tätigkeiten des Konzerns als Ganzen. Artikel 4 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie weicht von diesem Grundsatz nicht ab: Es ist eine Vereinfachungsregelung, die es einer Finanzverwaltung erlaubt, zwei oder mehr rechtlich selbständige Einheiten, die auf eigene Rechnung wirtschaftliche Tätigkeiten verrichten, wegen ihrer finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Verbundenheit bei der Anwendung der Mehrwertsteuer als eine Einheit zu behandeln, so daß die Umsätze zwischen den beiden Einheiten kein Anlaß für die Erhebung oder Verrechnung von Mehrwertsteuer sind.

Diese Regelung bezweckt dagegen nicht, wie mir scheint, die Voraussetzungen der Steuerpflicht gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie zu ändern. Selbst wenn dies übrigens doch der Zweck des erwähnten Artikels 4 Absatz 4 Unterabsatz 2 sein sollte, gilt die Regelung doch nur für Personen, die sämtlich "im Inland" ansässig sind, das heisst Personen (dies ergibt sich u. a. aus Artikel 3 Absatz 1 und

Artikel 7 der Richtlinie), die sämtlich in ein und demselben Mitgliedstaat ansässig sind (8).

Das Recht auf Vorsteuerabzug

10. Geht man davon aus, wie ich das vorstehend getan habe, daß eine Gesellschaft wie Polysar nicht als Steuerpflichtiger zu behandeln ist, dann wird die zweite Frage gegenstandslos, da das Recht auf Vorsteuerabzug lediglich Steuerpflichtigen zusteht. Ich halte es jedoch für zweckmässig, diese zweite Frage zu behandeln. Das System der Sechsten Richtlinie bringt es ja mit sich, daß eine Gesellschaft wie Polysar die Eigenschaft als Steuerpflichtiger auf ziemlich einfache Weise erwerben kann, indem sie nämlich eine Reihe von Handlungen vornimmt, die als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie anzusehen sind. Zum Beispiel könnte Polysar die Eigenschaft als Steuerpflichtiger dadurch erwerben, daß sie anderen Gesellschaften des Konzerns eine Reihe von Dienstleistungen in Form von Buchführungs- oder Beratungsdiensten erbringt (die, wie ich oben unter Nummer 6 ausgeführt habe, über die normale Erfuellung einer satzungsmässigen Aufgabe hinausgingen, die ihr in einer Tochtergesellschaft hätte übertragen werden könne) oder anderen Gesellschaften des Konzerns Kredite zur Verfügung stellt.

11. Mit Frage 2 a will das vorlegende Gericht in Erfahrung bringen, ob Tätigkeiten, die eine Holding-Gesellschaft "als solche" ausübt (und damit ausschließlich anderer Tätigkeiten, von denen ich in Nummer 10 hypothetisch angenommen habe, daß sie von Polysar ausgeuebt würden, um die Eigenschaft als Steuerpflichtiger zu erlangen), als steuerbefreite Umsätze gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie angesehen werden können.

Um diese Frage richtig zu verstehen, sollte zunächst das System der Sechsten Richtlinie bezueglich des Rechts auf Vorsteuerabzug in Erinnerung gerufen werden. Die allgemeine Regel betreffend das Recht auf Vorsteuerabzug ist in Arikel 17 Absatz 2 festgelegt und lautet: Ein Steuerpflichtiger ist befugt, die von ihm für Lieferungen und Dienstleistungen gezahlte Mehrwertsteuer abzuziehen, wenn und soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Das bedeutet, daß Umsätze, die unentgeltlich erfolgen, kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen lassen, weil gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie der Mehrwertsteuer nur gegen Entgelt ausgeführte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen unterliegen (9). Dasselbe gilt für (grundsätzlich steuerpflichtige) Umsätze, die nach der Richtlinie von der Mehrwertsteuer freigestellt sind.

Eine Holding-Gesellschaft wie Polysar scheint mir nun "als solche" (vgl. oben) keine Tätigkeiten auszuüben, die gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie als steuerpflichtige Umsätze angesehen werden könnten (abgesehen von der nachstehend in Nummer 13 behandelten Frage, ob diese

Umsätze, wenn es doch steuerpflichtige Umsätze sein sollten, quod non, als steuerbefreite Umsätze zu behandeln sind). Wie vorstehend ausgeführt neige ich der Meinung zu, daß Tätigkeiten, die eine Holding-Gesellschaft als Anteilseigner oder Leiter ihrer Tochtergesellschaft(en) ausübt oder die zum internen Bereich der Gesellschaft gehören, unter anderem in ihren Beziehungen zu ihren eigenen Anteilseignern, auf keinen Fall als "wirtschaftliche Tätigkeiten" im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie anzusehen sind. Nun, solche Umsätze können ebensowenig als Umsätze betrachtet werden, die in den Wirkungsbereich der Mehrwertsteuerregelung fallen und daher grundsätzlich steuerpflichtig sind, mit anderen Worten nicht als Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie.

12. Aus dem Vorstehenden folgt, daß eine Holding-Gesellschaft wie Polysar für die Umsätze, die sie als solche tätigt, kein Recht auf Vorsteuerabzug auf der Grundlage der allgemeinen Regel des Artikels 17 Absatz 2 der Richtlinie erwirbt, weil sie keine steuerpflichtigen Umsätze tätigt.

Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel der Nichtabzugsfähigkeit ist jedoch in Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c festgelegt. Nach dieser Vorschrift wird einem Steuerpflichtigen (d. h. bei der hier angenommenen Fallgestaltung - vgl. oben, Nummer 10 - auch einer Holding-Gesellschaft wie Polysar) ausnahmsweise doch ein Recht auf Vorsteuerabzug für eine Reihe von (grundsätzlich steuerpflichtigen, aber) freigestellten Umsätzen unter der Voraussetzung gewährt, daß der Leistungsempfänger ausserhalb der Gemeinschaft ansässig ist. Darunter fallen die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie angeführten Umsätze, worauf sich die Frage 2 a des vorlegenden Gerichts bezieht.

Auch bei diesem besonderen Abzugsrecht neige ich der Meinung zu, daß Polysar für die Umsätze, die sie als solche, das heisst als Holding-Gesellschaft, tätigt, dieses Recht nicht beanspruchen kann und zwar aus dem gleichen Grund, weil diese Tätigkeiten nämlich keine wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinn von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sind und daher auch keine grundsätzlich steuerpflichtigen (und damit auch keine freistellbaren) Umsätze darstellen.

13. Für den Fall, daß der Gerichtshof doch der Auffassung sein sollte, daß die Tätigkeiten, die eine Holding-Gesellschaft wie Polysar ausübt, als grundsätzlich steuerpflichtige Umsätze anzusehen sind, muß ich noch prüfen, ob diese Tätigkeiten unter den in der Frage 2 a angesprochenen Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 (oder auch unter Buchstabe d allgemein) fallen können und ob dann bei solchen Umsätzen gegebenenfalls ein besonderes Abzugsrecht gemäß Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c besteht.

Ich glaube nicht, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe d selbst bei dieser Fallgestaltung auf die Tätigkeiten einer Holding-Gesellschaft wie Polysar Anwendung finden kann. Ich habe genauer gesagt den Eindruck, daß die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 3 erfolgte Freistellung der "Umsätze - einschließlich der Vermittlung - im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr ..." sich nicht auf Zahlungsvorgänge beziehen, die im internen Bereich einer Gesellschaft stattfinden (wie z. B. die Auszahlung einer Dividende durch eine Holding-Gesellschaft an ihren oder ihre Anteilseigner). Das gleiche gilt für die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 vorgesehene Freistellung für "Umsätze ..., die sich auf Aktien ... beziehen", die

mir keine Beziehung zur Ausübung der mit dem Anteil verbundenen Rechte durch den Anteilseigner zu haben scheint (10). Die letztgenannte Tätigkeit kann aber ebensowenig unter den Ausdruck "Verwahrung und Verwaltung" subsumiert werden (diese Tätigkeit ist von der Freistellung in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 ausgenommen und daher ein steuerpflichtiger Umsatz), der sich meines Erachtens auf Verwahrung und Verwaltung von Aktien einer anderen Person bezieht (11).

Auch wenn man im übrigen annimmt, daß die genannten Tätigkeiten doch steuerpflichtige Umsätze sind, die unter die Freistellung des Artikels 13 Teil B Buchstabe d fallen, denke ich doch nicht, daß sie ein besonderes Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c begründen. Dieses besondere Abzugsrecht wird lediglich eingeräumt, wenn die Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen, für die Mehrwertsteuer entrichtet wird, im Sinne des Artikels 17 Absatz 3 Satz 1 für die freigestellten Tätigkeiten "verwendet werden". Ich habe nun den Eindruck, daß wegen des besonderen Charakters des durch Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c eingeräumten Abzugsrechts diese Vorschrift so ausgelegt werden muß, daß das Recht auf Vorsteuerabzug nur entsteht, wenn und soweit die Lieferungen und Dienstleistungen unmittelbar für einen der in Artikel 13 Teil B Buchstabe d genannten Umsätze verwendet werden. Eine

andere Auslegung würde zu komplexen Zurechnungsproblemen führen und offenkundig die Gefahr mißbräuchlicher Anwendung heraufbeschwören.

14. Bei Frage 2 b kann ich mich kurzfassen. Die Beantwortung diese Frage folgt aus dem, was vorstehend zur Frage 1 a festgestellt wurde. Artikel 4 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie eröffnet den Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen die Möglichkeit, zwei oder mehr rechtlich selbständige Einheiten, die wirtschaftliche Tätigkeiten auf eigene Rechnung ausüben, als einen einzigen Steuerpflichtigen zu behandeln. Diese Befugnis bewirkt allerdings keine wie immer geartete Erweiterung der vorstehend untersuchten allgemeinen und besonderen Regeln des Vorsteuerabzugs.

Schlussanträge

15. Ich schlage daher aufgrund der vorstehenden Erwägungen vor, die Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

Frage 1 a

Eine Holding-Gesellschaft, die lediglich mit dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften und der Ausübung der damit verbundenen Rechte zusammenhängende Tätigkeiten ausübt, die über den internen Gesellschaftsbereich nicht hinausgehen, kann nicht als Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden.

Frage 2 a

Ist eine Holding-Gesellschaft dennoch wegen anderer als der vorstehend in der Antwort auf Frage 1 a angeführten Tätigkeiten als Steuerpflichtiger anzusehen, so sind die in der Antwort auf Frage 1 a genannten Tätigkeiten gleichwohl keine Umsätze im Sinne von Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie und die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d vorgesehenen Freistellungen gelten ebensowenig für diese Tätigkeiten. Solche Tätigkeiten lassen daher auch kein besonderes Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie entstehen.

Fragen 1 b und 2 b

Für die Antwort auf die Fragen 1 a und 2 a ist es ohne Bedeutung, daß die Holding-Gesellschaft ein integrierender Teil eines Weltkonzerns ist, der im allgemeinen nach aussen hin unter ein und demselben Namen, dem Konzernnamen, auftritt und dessen andere Gesellschaften als Steuerpflichtige zu betrachten sind und steuerpflichtige Leistungen erbringen.

(*) Originalsprache: Niederländisch.

(1) Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

(2) Vgl. z. B. das Urteil vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnrn. 16 bis 19.

(3) Vgl. z. B. die fünfte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie.

(4) Vgl. zuletzt das Urteil vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C-186/89, Van Tiem, Slg. 1990, I-4363, mit Bezugnahme auf die Urteile vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1485, Randnr. 7, und vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvöring Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 10.

(5) A. a. O. (oben Fußnote 2).

(6) A. a. O. (oben Fußnote 4).

(7) Bei der "Konsultation nach Artikel 29" handelt es sich um die Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer. Nach den Ausführungen der niederländischen Regierung und der Kommission hat diese Konsultation im Fall der Niederlande stattgefunden.

(8) Aus den im Vorlageurteil dargestellten Tatsachen ergibt sich, daß der Polysar-Konzern in den Niederlanden neben Polysar noch über zwei Betriebsgesellschaften verfügt. Sollte der Gerichtshof der Meinung sein, daß eine Gesellschaft wie Polysar doch "wirtschaftliche Tätigkeiten selbständig" im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie ausübt, ist es Sache der zuständigen innerstaatlichen Stellen, festzustellen, ob Polysar mit diesen Gesellschaften "durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng ... verbunden" ist, so daß sie mit ihnen eine Besteuerungseinheit bildet.

(9) Vgl. in diesem Zusammenhang übrigens das noch zur Zweiten Richtlinie ergangene Urteil vom 1. April 1982 in der Rechtssache 89/91, Hong Kong Trade, Slg. 1982, 1277, in dem aus dem Umstand, daß eine Person nur unentgeltliche Umsätze tätigt (und daher kein Recht auf Vorsteuerabzug hat), zugleich abgeleitet wird, daß die Person kein Steuerpflichtiger ist.

(10) In die gleiche Richtung weisen auch die englische, die französische und die italienische Fassung der Richtlinie, die von "transactions ... in shares", "opérations ... portant sur les actions" und "operazioni ... relative ad azioni" sprechen.

(11) So auch Wachweger, D., u. a., "Die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer, 3. Teil: Artikel 13 bis 16", Umsatzsteuer-Rundschau 1977, S. 141, 146 f.