C-208/91 - Beaulande / Directeur des services fiscaux de Nantes

Printed via the EU tax law app / web

EUR-Lex - 61991C0208 - DE

61991C0208

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 17/09/1992. - RAYMOND BEAULANDE GEGEN DIRECTEUR DES SERVICES FISCAUX DE NANTES. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE NANTES - FRANKREICH. - AUSLEGUNG VON ARTIKEL 33 DER SECHSTEN MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE. - RECHTSSACHE C-208/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-06709


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Mit seiner Vorlagefrage ersucht Sie das Tribunal de grande instance Nantes, zu entscheiden, ob Eintragungsgebühren, die auf Baugrundstücke erhoben werden, falls diese entgegen einer eingegangenen Verpflichtung nicht innerhalb von vier Jahren nach Erwerb bebaut wurden, den Charakter von Umsatzsteuern im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie des Rates (im folgenden: Sechste Richtlinie)(1) haben und infolgedessen mit der geltenden Mehrwertsteuerregelung unvereinbar sind.

2. Der Sachverhalt lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen. Herr Beaulande, von Beruf Bauunternehmer und als solcher unter die Mehrwertsteuerregelung fallend, erwarb am 16. Januar 1980 ein in Nantes belegenes Haus mit der Verpflichtung, es abzureissen und an der gleichen Stelle innerhalb von vier Jahren ein Wohngebäude zu errichten.

3. Da das Gelände nicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit bebaut worden war, stellte die Steuerbehörde, nachdem sie einen Antrag des Betroffenen auf Fristverlängerung abgelehnt hatte, diesem am 26. Februar 1985 einen Berichtigungsbescheid über 221 700 FF (Eintragungsgebühr) und 73 091 FF (Zusatzgebühr in Höhe von 6 %) zu; diese Beträge wurden eingezogen.

4. Herr Beaulande erkannte diese Änderung seiner Besteuerung nicht an und legte bei der zuständigen Finanzbehörde eine Beschwerde ein, die mit Entscheidung vom 2. Juni 1989 zurückgewiesen wurde.

5. Hieraufhin erhob er am 14. September 1989 vor dem Tribunal de grande instance Nantes Klage gegen den Leiter der Finanzdirektion Loire Atlantique und machte drei Klagegründe geltend. Dieses Gericht verwarf die beiden ersten, die lediglich das innerstaatliche Recht betrafen, und legte hinsichtlich des dritten Klagegrundes dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vor, die im wesentlichen auf eine Definition der von der Finanzverwaltung geforderten Eintragungsgebühr im Hinblick auf den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Umsatzsteuer abzielt.

6. Die einschlägigen innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, auf die ich mich, soweit erforderlich, beziehen werde, sind im Sitzungsbericht aufgeführt.

7. Im französischen Recht hat sich das System der Besteuerung von Immobilien in zunehmendem Masse von den herkömmlichen Eintragungsgebühren gelöst, die ursprünglich dazu bestimmt waren, sämtliche Veräusserungen von unbeweglichen Sachen zu erfassen(2). Die städtebauliche Entwicklung und das Aufkommen eines wichtigen Wirtschaftszweigs, des Bauwesens, haben den französischen Gesetzgeber dazu veranlasst(3), Wirtschaftsteilnehmer, die in der vom Erwerb eines unbebauten Grundstücks bis zum ersten Verkauf des fertiggestellten Gebäudes reichenden Phase rechtsgeschäftlich tätig werden, einer neutralen Abgabe, nämlich der Mehrwertsteuer, zu unterwerfen.

8. Die früheren Eintragungsgebühren sind indessen nicht gänzlich verschwunden; vielmehr beruht die gegenwärtige Regelung auf einer Alternativlösung. Zwar bezieht Artikel 257-7 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch; im folgenden: CGI) "Rechtsgeschäfte, die der Herstellung oder Lieferung von Immobilien dienen", in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ein; der Händler oder Bauunternehmer kann sich jedoch wahlweise für die Anwendung der "taxe de publicité foncière" (Publizitätssteuer in Grundstückssachen; im folgenden: Publizitätssteuer) oder der Eintragungsgebühr zum Satz von 0,60 % entscheiden (Artikel 692 CGI).

9. Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger dafür entschieden, sich der auf Immobilien erhobenen Mehrwertsteuer zu unterwerfen, hatte diese Steuer zum geltenden Satz entrichtet und war gemäß Artikel 691 II 1 CGI(4) vorbehaltlich der Verpflichtung, innerhalb von vier Jahren zu bauen, von der Entrichtung der Eintragungsgebühr befreit worden.

10. Da Herr Beaulande dieser Verpflichtung nicht nachgekommen und somit nicht in der Lage war, die Durchführung der vorgesehenen Arbeiten nachzuweisen (Artikel 691 II 1 CGI), wurde er aufgrund von Artikel 1840 G ter CGI zur Entrichtung der genannten Beträge aufgefordert. Nach Artikel 291 des Anhangs II CGI konnte jedoch die beim Kauf gezahlte, noch nicht abgezogene Mehrwertsteuer auf die geforderte Eintragungsgebühr angerechnet werden.

11. Wie man sieht, nimmt das nationale Recht keine Kumulierung von Mehrwertsteuer und Eintragungsgebühr vor. Kommt der Bauherr seiner Verpflichtung nach, innerhalb der festgesetzten Frist zu bauen, so unterliegt er einzig und allein der Mehrwertsteuer und ist von der Eintragungsgebühr befreit. Im umgekehrten Fall wird er zur Zahlung dieser ° um eine Zusatzgebühr von 6 % erhöhten ° Gebühr aufgefordert, wobei darauf hinzuweisen ist, daß eine etwa entrichtete Mehrwertsteuer, die er noch nicht abziehen konnte, auf diesen Betrag angerechnet würde. Der geschäftliche Vorgang wird also gewissermassen rückwirkend den Vorschriften über die Grunderwerbsteuer unterworfen. Die beiden Steuern werden somit nicht kumulativ, sondern alternativ angewendet.

12. Artikel 33 der Richtlinie, auf den sich das vorlegende Gericht bezieht, lautet wie folgt:

"Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen hindern die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen."

13. Sie hatten in ungefähr zehn Fällen Anlaß, die Vereinbarkeit innerstaatlicher Steuern mit der Sechsten Richtlinie, genauer gesagt mit deren Artikel 33, zu prüfen(5).

14. Die Entscheidungen die Sie in diesen Fällen erlassen haben, stecken sozusagen die Diskussion ab. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist sich dessen wohl bewusst, wenn er bemerkt, Ihre Rechtsprechung zeige, daß Sie "diese Bestimmung [Artikel 33] in einer sehr überraschenden, in vielfacher Hinsicht zu Kritik Anlaß gebenden Weise ausgelegt haben"(6).

15. Bevor ich mich den ausschlaggebenden Merkmalen des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs der Umsatzsteuer zuwende, im Hinblick auf den die Gültigkeit der streitigen Abgabe zu prüfen sein wird, halte ich es für angezeigt, den allgemeinen Aufbau des gemeinschaftsrechtlichen Umsatzsteuersystems in Erinnerung zu rufen.

16. In der Tat bildet diese ursprüngliche Ratio legis die wesentliche Grundlage meiner Auslegung.

17. Wir müssen auf die Erste Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 (im folgenden: Erste Richtlinie)(7) zurückgreifen, um das allgemeine operative Ziel zu erfassen, das zur Ausarbeitung eines harmonisierten Steuersystems mit dem Ziel der Gewährleistung von Wettbewerbsneutralität geführt hat.

18. Das der Vorschrift zu entnehmende langfristige Bestreben geht dahin, "eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern vorzunehmen, um so weit als möglich die Faktoren auszuschalten, die geeignet sind, die Wettbewerbsbedingungen sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene zu verfälschen"(8).

19. Die zur Erreichung dieses Ziels getroffenen Maßnahmen bestehen in der Schaffung eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das notwendig die "Beseitigung der kumulativen Mehrphasensteuersysteme"(9) umfasst.

20. Da die Systeme der Mitgliedstaaten jedoch sehr stark voneinander abweichen und somit in sensiblen wirtschaftlichen und finanziellen Bereichen die nationalen Rechtsvorschriften nicht gefährdet werden sollten, konnte nur eine schrittweise Abschaffung dieser kumulativen Mehrphasensteuern ins Auge gefasst werden: Die Sechste Richtlinie ist daher nur ein Schritt in die Richtung der angestrebten Angleichung.

21. In dieser Hinsicht stellt Artikel 33 eine Ausnahme innerhalb des geschaffenen Systems dar, dessen Aufgabe es ist, die verschiedenen Phasen der Herstellung und des Inverkehrbringens von Dienstleistungen und Waren einheitlich zu erfassen. Diese Ausnahme, deren Grenzen der Gemeinschaftsgesetzgeber festgesetzt hat, ermöglicht die Doppelbesteuerung eines Gegenstands unter der Voraussetzung, daß die Steuer, die zu der Mehrwertsteuer hinzutritt, nicht die Natur einer Umsatzsteuer aufweist. Sie darf also keine "Verdoppelung" dieser Steuer sein.

22. Zwar kommt der Grundsatz des Verbots der Kumulierung der Mehrwertsteuer mit anderen umsatzsteuerartigen Abgaben in diesem Artikel klar zum Ausdruck, doch ist die Aufzählung der Steuer, die zu der Mehrwertsteuer hinzutreten dürfen, nicht erschöpfend. Lassen Sie mich lediglich festhalten, daß die Eintragungsgebühr in diese Aufzählung einbezogen ist und daß ohne Rücksicht auf formale Gesichtspunkte und auf Bezeichnungen für jede Steuer im Hinblick auf deren innere Merkmale zu prüfen ist, ob sie einer Umsatzsteuer gleichzustellen ist.

23. Zum Abschluß der Betrachtung des normativen Umfelds von Artikel 33 ist endlich noch anzumerken, daß Sie es in allen und vor allem den ersten Urteilen für notwendig gehalten haben, die Stellung dieses Artikels im Gesamtsystem der Mehrwertsteuer zu bestimmen.

24. Im Urteil Rousseau Wilmot(10) haben Sie den Grundsatz aufgestellt, daß diese Bestimmung nicht zu einer doppelten Belastung mit Mehrwertsteuer führen darf, und haben wie folgt entschieden:

"Artikel 33 der Sechsten Richtlinie belässt den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Beibehaltung oder Einführung bestimmter indirekter Abgaben ... Er soll verhindern, daß das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems durch steuerliche Maßnahmen eines Mitgliedstaats beeinträchtigt wird, die den Waren- und Dienstleistungsverkehr belasten und kommerzielle Umsätze in der die Mehrwertsteuer kennzeichnenden Art und Weise erfassen."(11)

25. Ebenso wird im Urteil Bergandi(12) klar ausgeführt, daß das angestrebte Ziel der Wegfall der Umsatzsteuern ist, so daß Artikel 33 nicht das geschaffene Rechtssystem wieder in Frage stellen kann, indem er solche Steuern bestehen lässt(13).

26. Zuletzt hat das Urteil Wisselink(14) in seinen nachstehend wiedergegebenen Ausführungen treffend die Ratio legis zusammengefasst, die darin besteht, nicht zuzulassen, daß die Ausnahmevorschrift des Artikels 33 die harmonisierte Mehrwertsteuerregelung untergräbt:

"Somit wurde es den Mitgliedstaaten verboten, Umsatzsteuern nach dem kumulativen Mehrphasensystem ganz oder teilweise aufrechtzuerhalten und ganz oder teilweise neu einzuführen. Wäre es den Mitgliedstaaten erlaubt gewesen, neben der Mehrwertsteuer noch andere Formen von Umsatzsteuern einzuführen, wären die dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Ziele in Gefahr gewesen."(15)

27. Es wird Ihre Aufgabe sein, dem vorlegenden Gericht bei der Beantwortung seiner Frage die erforderlichen Hinweise zur Auslegung zu geben, damit es entscheiden kann, ob die streitige Steuer die Merkmale einer Umsatzsteuer aufweist. So haben Sie im Urteil Bergandi ausgeführt:

"Der Gerichtshof kann im vorliegenden Verfahren(16) nicht die Merkmale einer nationalen Abgabe am Gemeinschaftsrecht messen (Urteil vom 21. Oktober 1970 in der Rechtssache 20/70, Lesage, Slg. 1970, 861). Er ist jedoch befugt, den Begriff der Steuer, die den Charakter einer Umsatzsteuer hat, auszulegen, um dem nationalen Gericht dessen richtige Anwendung auf die streitige Abgabe zu ermöglichen."(17)

28. Nach dieser Klarstellung ist nunmehr, wo es darum geht, diese Auslegung vorzunehmen, darauf hinzuweisen, daß der Begriff der Umsatzsteuer ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist, der sich in den söben geschilderten Zusammenhang einfügt. So betont das Urteil Wisselink:

"Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ... kommt dem Begriff 'Umsatzsteuer' im Rahmen von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie besondere Bedeutung zu. Der Gerichtshof hat ... festgestellt, daß bei der Ermittlung der Bedeutung von Artikel 33 die Funktion dieser Vorschrift im Rahmen des harmonisierten Umsatzsteuersystems in der Form des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu berücksichtigen ist."(18)

29. Im übrigen kommt es nicht auf die Bezeichnung der innerstaatlichen Steuer an, die zu der Mehrwertsteuer hinzutritt; einzig und allein die Untersuchung ihrer objektiven Merkmale wird eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob sie Umsatzsteuercharakter hat(19).

30. Zählen wir nun diese Merkmale auf.

31. Die Umsatzsteuer entnimmt ihre wesentlichen Elemente der Definition der Mehrwertsteuer. Nach der Definition in Artikel 2 der Ersten Richtlinie erweist sich die Mehrwertsteuer als eine allgemeine, auf den Verbrauch von Gegenständen oder Dienstleistungen erhobene und zu deren Preis genau proportionale Steuer. In Ihrer Rechtsprechung zu Artikel 33 verweisen Sie regelmässig auf den Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems.

32. So beschreiben Sie im Urteil Bergandi unmißverständlich das im Bereich der Umsatzsteuer verfolgte Ziel und geben die folgende prägnante Begriffsbestimmung der Mehrwertsteuer:

"Bei der Prüfung, ob eine Steuer den Charakter einer Umsatzsteuer hat, ist vor allem, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 27. November 1985 in der Rechtssache 295/84 (... Rousseau Wilmot ..., Slg. 1985, 3759) entschieden hat, festzustellen, ob sie das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beeinträchtigt, indem sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr belastet und kommerzielle Umsätze in der die Mehrwertsteuer kennzeichnenden Art und Weise erfasst.

[Das] gemeinsame Mehrwertsteuersystem [beruht] gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Ersten Richtlinie auf dem Grundsatz, daß auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist."(20)

33. Umsatzsteuercharakter haben daher diejenigen Steuern, die, auch ohne mit der Mehrwertsteuer identisch zu sein, dieselben Merkmale aufweisen und dieselben Ziele verfolgen wie diese.

34. In ihren schriftlichen Erklärungen betont die Kommission zu Recht, die streitige Steuer müsse der Mehrwertsteuer nicht in allen Punkten gleichen; es komme vielmehr darauf an, ob sie mit den Worten von Artikel 33 den "Charakter" einer Umsatzsteuer habe(21).

35. Von diesen Feststellungen ausgehend, die Sie bereits in Ihren ersten Entscheidungen getroffen hatten, haben Sie namentlich in Ihren drei letzten Urteilen zu Artikel 33 die Definition der Umsatzsteuer vertieft, indem Sie drei wesentliche Kriterien herausgestellt haben.

36. So haben Sie im Urteil Giant(22) ° nachdem Sie zunächst die bereits in Ihren früheren Entscheidungen dargelegten Grundsätze in Erinnerung gerufen hatten, daß neben der Mehrwertsteuer noch andere Steuerregelungen bestehen dürfen, sofern sie deren Funktionieren nicht gefährden ° die Merkmale einer Umsatzsteuer wie folgt aufgezählt:

"Es ist festzustellen, daß eine Steuer der vom nationalen Gericht in der vorliegenden Rechtssache bezeichneten Art nicht die Merkmale einer Umsatzsteuer im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie aufweist.

Sie ist nämlich erstens keine allgemeine Steuer ... Zweitens wird sie nicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben, da sie jährlich den Gesamtbetrag der Einnahmen ... betrifft. Drittens bezieht sie sich nicht auf den bei jedem Umsatz erzielten Mehrwert ..."(23)

37. In zwei weiteren Urteilen vom 31. März 1992 (Dansk Denkavit) und 7. Mai 1992 (Bozzi)(24) haben Sie sich ebenfalls auf diese drei Kriterien gestützt, um feststellen zu können, ob die streitige Steuer eine Umsatzsteuer war, und folgendes ausgeführt:

"Die Mehrwertsteuer wird allgemein auf Umsätze angewandt, bei denen es um Gegenstände oder Dienstleistungen geht; sie ist dem Preis dieser Gegenstände und Dienstleistungen proportional; sie wird auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben ..."(25)

38. Das vorlegende Gericht wird sich also diese Überlegungen zu eigen zu machen und zu prüfen haben, ob die streitige Eintragungsgebühr diesen Kriterien entspricht.

39. Das wird nur der Fall sein, wenn folgendes feststeht:

° die allgemeine Natur der Steuer, d. h. ihre Anwendbarkeit auf alle Rechtsgeschäfte, die die Veräusserung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen betreffen;

° ihre Erhebung in allen Phasen des Verteilungs- oder Herstellungsprozesses;

° schließlich, daß sie lediglich den Mehrwert trifft.

40. Was den ersten Punkt ° die allgemeine Natur der Steuer ° betrifft, so erfassen die Veräusserungsteuern lediglich den Wechsel des Eigentums an unbeweglichen Sachen, nicht aber sämtliche wirtschaftlichen Vorgänge. Die Eintragungsgebühren belasten in begrenztem Umfang den Rechtsverkehr mit unbeweglichen Sachen, die gegen Entgelt veräussert werden und deren Veräusserung eine Reihe zivilrechtlicher Formalitäten auslöst. Veräusserungsteuern sind, um die Definition von J.-C. Scholsem zu übernehmen(26), "analytische Realsteuern, die einzelne Vorgänge ohne Rücksicht auf die Person ihres Urhebers erfassen". Die französische Regierung hat in diesem Zusammenhang betont, die Eintragungsgebühr stelle keine allgemeine Steuer dar.

41. Zum zweiten Punkt ° Erhebung der Steuer in allen Phasen von Produktion und Verteilung ° ist zu bemerken, daß die Veräusserungsteuer lediglich erhoben wird, wenn die unbewegliche Sache in das Vermögen des Endabnehmers übergeht, während die Produktions- und Verteilungsvorgänge unter die Vorschriften über die auf unbewegliche Sachen erhobene Mehrwertsteuer fallen. Die Sache wird also offenbar von dem Zeitpunkt an besteuert, in dem sie den Absatzweg verlässt und Bestandteil eines Privatvermögens wird. Die französische Regierung bemerkt hierzu, diese Besteuerung stehe in Beziehung zu einer Kapitalsteuer, die den gesamten Wert der Sache ohne spätere Abzugsmöglichkeiten erfasse.

42. Drittens scheint es, daß bei der Erhebung von Veräusserungsteuern der Mehrwert unberücksichtigt bleibt; vielmehr wird der gesamte Kapitalwert der Sache zugrunde gelegt.

43. Nach alledem meine ich, daß eine Steuer wie diejenige, um die es hier geht, nicht als Umsatzsteuer bezeichnet werden kann, zumal Sie sich in Ihrem Urteil Kerrutt(27) im Hinblick auf eine deutsche Steuer (die "Grunderwerbsteuer", eine gesetzlich vorgesehene, auf die Übertragung von unbeweglichen Sachen erhobene Steuer), deren Merkmale denjenigen der vorliegend streitigen Steuer sehr ähnlich waren, im gleichen Sinne ausgesprochen haben. Sie haben folgendes ausgeführt:

"Da das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand keine besondere Vorschrift enthält, die die Befugnis der Mitgliedstaaten, andere Verkehrsteuern als die Umsatzsteuern einzuführen, ausschließt oder beschränkt, und damit konkurrierende Abgabenregelungen zulässt, können derartige Steuern auch dann erhoben werden, wenn dies, wie im vorliegenden Fall, zu einer Kumulierung mit der Mehrwertsteuer bei ein und demselben Vorgang führt."(28)

44. In unserem Fall stellt sich aber nicht einmal das Problem der Steuerkumulierung, da, wie dargelegt, die gezahlte und nicht wieder eingezogene Mehrwertsteuer von der Eintragungsgebühr abgezogen werden kann, die fällig wird, wenn auf dem Baugelände nicht innerhalb von vier Jahren gebaut wurde.

45. Aus der Proportionalität der Steuer, von der im Vorlagebeschluß die Rede ist, kann nicht abgeleitet werden, daß die Eintragungsgebühr Umsatzsteuercharakter hat. Zwar besteht kein Zweifel daran, daß die Eintragungsgebühr proportional zum Wert der Sache ist, d. h. zum entrichteten Preis; Sie haben jedoch mehrfach festgestellt, daß dieses Kriterium für sich allein nicht genügt(29).

46. Was schließlich das ° für die vorgelegte Frage im übrigen nicht sehr wichtige ° Vorbringen des Klägers des Ausgangsverfahrens betrifft, das sich nicht auf die Vereinbarkeit der gesamten innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die auf Grundstücke erhobene Mehrwertsteuer mit dem Gemeinschaftsrecht bezieht, sondern auf diejenige der Eintragungsgebühr mit Artikel 33 der Sechsten Richtlinie, so ist zu bemerken, daß für die Begriffsbestimmung des Baugrundstücks ausdrücklich auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwiesen wird (Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b der genannten Richtlinie) und daß der betroffene Mitgliedstaat für die steuerliche Qualifizierung der Sache daher auf die Bauabsicht abstellen kann. Wenn der Konstrukteur nämlich seine wirtschaftliche Tätigkeit als "Erzeuger, Händler oder Dienstleistender" (Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie) nicht innerhalb der Vierjahresfrist ausgeuebt hat, darf angenommen werden, daß die unter der Herrschaft der Rechtsvorschriften über die auf unbewegliche Sachen erhobene Mehrwertsteuer und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen erworbene Sache nicht zu dem genannten Zweck verwendet wird und, da sie nicht in einen wirtschaftlichen Absatzzyklus integriert ist, nicht mehr unter diese Vorschriften fällt, sondern unter die für Privatpersonen geltende Regelung, die ° falls die Mitgliedstaaten nicht von der ihnen durch Artikel 4 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie eröffneten Befugnis Gebrauch machen ° auf der Veräusserungsteuer beruht.

47. Die vorstehenden Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß nach der Ratio legis der Sechsten Richtlinie eine Eintragungsgebühr, die auf den Erwerb eines Baugrundstücks erhoben wird, wenn dieses entgegen der vom Erwerber übernommenen Verpflichtung nicht innerhalb einer gesetzlich festgesetzten Frist von vier Jahren bebaut wird, nicht als Umsatzsteuer im Sinne von Artikel 33 anzusehen ist.

48. Ich beantrage daher, wie folgt für Recht zu erkennen:

Artikel 33 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, daß er der Erhebung von Eintragungsgebühren auf den Erwerb von Baugrundstücken, die nicht innerhalb einer durch innerstaatliche Rechtsvorschriften festgesetzten Frist von vier Jahren bebaut wurden, auch dann nicht entgegensteht, wenn diese Gebühren zu dem Wert des Grundstücks proportional sind.

(*) Originalsprache: Französisch.

(1) ° Sechste Richtlinie 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

(2) ° Die Begriffe Veräusserungssteuer ( droits de mutation ) und Eintragungsgebühr ( droits d' enregistrement ) werden unterschiedslos zur Bezeichnung der den rechtsgeschäftlichen Immobilienverkehr betreffenden Steuer verwendet; jedoch ist der Begriff der Veräusserungssteuer allgemeinerer Natur.

(3) ° Siehe insbesondere die Gesetze Nr. 405 vom 10. April 1954 und Nr. 254 vom 15. März 1963.

(4) ° Artikel 691 CGI:

I. Von der Publizitätssteuer oder der Eintragungsgebühr befreit ist, falls er der MWSt. unterliegt, der Erwerb:

1 von unbebauten oder mit zum Abriß bestimmten Gebäuden bebauten Grundstücken;

...

II. Diese Freistellung erfolgt unter der Bedingung:

1 daß sich der Erwerber im Kaufvertrag verpflichtet, innerhalb von vier Jahren, vom Vertragsdatum an gerechnet, die zur Errichtung eines Gebäudes oder einer Gruppe von Gebäuden ... erforderlichen Arbeiten durchzuführen ...;

1 bis daß ein Zeugnis des Stadtplanungsamts vorgelegt wird, das das Gelände als baureif ausweist;

2 daß der Erwerber nach Ablauf der Vierjahresfrist vorbehaltlich der Bestimmungen unter IV die Durchführung der unter 1 bezeichneten Arbeiten und die Zweckbestimmung der errichteten oder fertiggestellten Räumlichkeiten nachweist ...

(5) ° Siehe die Urteile vom 27. November 1985 in der Rechtssache 295/84 (Rousseau Wilmot, Slg. 1985, 3759); vom 8. Juli 1986 in der Rechtssache 73/85 (Kerrutt, Slg. 1986, 2219); vom 4. Februar 1988 in der Rechtssache 391/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1988, 579); vom 3. März 1988 in der Rechtssache 252/86 (Bergandi, Slg. 1988, 1343); vom 15. März 1989 in den verbundenen Rechtssachen 317/86, 48/87, 49/87, 285/87, 363/87 bis 367/87, 65/88 und 78/88 bis 80/88 (Lambert, Slg. 1989, 787); vom 13. Juli 1989 in den verbundenen Rechtssachen 93/88 und 94/88 (Wisselink, Slg. 1989, 2671); vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-109/90 (Giant, Slg. 1991, I-1385); vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-200/90 (Dansk Denkavit, Slg. 1992, I-2217); schließlich vom 7. Mai 1992 in der Rechtssache C-347/90 (Bozzi, Slg. 1992, I-2947).

(6) ° Schriftliche Erklärungen von Herrn Beaulande, S. 11.

(7) ° Richtlinie 67/227/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1301).

(8) ° Dritte Begründungserwägung der Ersten Richtlinie.

(9) ° Vierte Begründungserwägung.

(10) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(11) ° Randnr. 16 des Urteils.

(12) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(13) ° Siehe Randnrn. 9 und 10.

(14) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(15) ° Randnr. 8 des Urteils.

(16) ° Es handelte sich ebenfalls um eine Vorlagesache.

(17) ° Randnr. 13.

(18) ° Randnr. 16.

(19) ° Siehe Randnr. 10 des Urteils im Fall Wisselink.

(20) ° Randnrn. 14 und 15 (Hervorhebungen durch mich).

(21) ° Punkt 7 der Erklärungen der Kommission.

(22) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(23) ° Randnrn. 13 und 14.

(24) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(25) ° Randnr. 11 des Urteils Dansk Denkavit; Randnr. 12 des Urteils Bozzi.

(26) ° J.-C. Scholsem, La TVA européenne face au phénomène immobilier, Lüttich 1976, S. 371.

(27) ° Siehe oben, Fußnote 5.

(28) ° Randnr. 22.

(29) ° Siehe Randnr. 20 des Urteils Wisselink.