C-312/91 - Metalsa

Printed via the EU tax law app / web

EUR-Lex - 61991C0312 - DE

61991C0312

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 22. April 1993. - BESCHLAGNAHME GEGENUEBER METALSA SRL, STRAFVERFAHREN GEGEN GAETANO LO PRESTI. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNALE DI MILANO - ITALIEN. - FREIHANDELSABKOMMEN EWG-OESTERREICH - STEUERLICHES DISKRIMINIERUNGSVERBOT. - RECHTSSACHE C-312/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-03751


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. In dieser Rechtssache ersucht der Giudice per le indagini preliminari beim Tribunale Mailand um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 18 des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich, das für die Gemeinschaft durch die Ratsverordnung (EWG) Nr. 2836/72 vom 19. Dezember 1972 (ABl. vom 31. Dezember 1972, L 300, S. 1) geschlossen und gebilligt wurde (nachstehend: Abkommen)

2. Die dem Gericht vorgelegte Frage lautet wie folgt:

Ist im Rahmen des Abkommens EWG°Österreich eine nationale Regelung, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Einfuhrmehrwertsteuer strenger bestraft als Verstösse gegen Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Veräusserung von Gegenständen im Inland mit Artikel 18 dieses Abkommens vereinbar, wenn der Unterschied in der Bestrafung auch angesichts der Antwort auf eine vergleichbare Frage im Gemeinschaftsrahmen in dem zu Artikel 95 EWG-Vertrag ergangenen Urteil vom 25. Februar 1988 (Rechtssache 299/86, Drexl, Slg. 1988, 1213) ausser Verhältnis zu dem Unterschied zwischen beiden Arten von Verstössen steht?

3. Das Ausgangsverfahren betrifft eine Entscheidung vom 3. Juli 1991, mit der die italienische Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme von Aluminiumbarren mit einem Gewicht von 205 885 kg, die die Metalsa Srl aus Österreich eingeführt hatte, mit der Begründung angeordnet hatte, daß Metalsa die Einfuhrmehrwertsteuer nicht gezahlt und damit gegen bestimmte Vorschriften des italienischen Rechts über die Zahlung der Mehrwertsteuer verstossen habe. Die Beschlagnahme der Aluminiumbarren ist eine vorbeugende Maßnahme. Gemäß Artikel 301 des Präsidialdekrets Nr. 43 von 1973 werden die Aluminiumbarren eingezogen, wenn rechtskräftig feststeht, daß Metalsa gegen die Vorschriften des italienischen Rechts über die Zahlung der Mehrwertsteuer verstossen hat.

4. Mit Entscheidung vom 13. Juli 1991 wies die Staatsanwaltschaft den Antrag von Metalsa ab, die beschlagnahmten Aluminiumbarren freizugeben. Diese Entscheidung focht Metalsa beim Giudice per le indagini preliminari des Tribunale Mailand an und beantragte die Freigabe. In Zusammenhang mit diesem Antrag ist der vorliegende Vorlagebeschluß ergangen.

5. Das italienische Recht unterscheidet zwischen Zuwiderhandlungen bei der Zahlung der Einfuhrmehrwertsteuer und Verstössen bei der Zahlung von Mehrwertsteuer auf inländische Umsätze. Gemäß Artikel 70 des Präsidialdekrets Nr. 633 von 1972 werden Verstösse bei der Zahlung von Abgaben einschließlich der Mehrwertsteuer auf Einfuhren mit den Strafen geahndet, die in den Zollvorschriften im Zusammenhang mit zollrechtlichen Pflichten festgelegt sind. Eine dieser Strafen ist die Einziehung. Demgegenüber ziehen Zuwiderhandlungen bei der Zahlung von Mehrwertsteuer auf inländische Umsätze im allgemeinen weniger schwere Strafen nach sich als diejenigen, die sich bei Anwendung der Zollvorschriften ergeben. Die Einziehung ist hierbei nicht vorgesehen.

6. In der Rechtssache Drexl (a. a. O.), die Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten betraf, hat der Gerichtshof dieses System unterschiedlicher Strafen untersucht. Im Urteilstenor (Nr. 2) dieses Urteils hat er festgestellt:

"Nationale Rechtsvorschriften, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr strenger bestrafen als Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen im Inland, sind nicht mit Artikel 95 EWG-Vertrag vereinbar, wenn dieser Unterschied ausser Verhältnis zu der Verschiedenartigkeit der beiden Kategorien von Verstössen steht."

Artikel 95 Absatz 1 EWG-Vertrag bestimmt bekanntlich:

"Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben."

7. Das Urteil Drexl muß daher so verstanden werden, daß es nur für Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten gilt(1). Metalsa ist demgegenüber der Auffassung, daß eine ähnliche Regelung auf Einfuhren aus Österreich auf der Grundlage des Artikels 18 Absatz 1 des Abkommens anzuwenden sei; dieser lautet:

"Die Vertragsparteien wenden keine Maßnahmen oder Praktiken interner steuerlicher Art an, die unmittelbar oder mittelbar eine diskriminierende Behandlung der Erzeugnisse einer Vertragspartei und gleichartige Ursprungserzeugnisse der anderen Vertragspartei bewirken."

8. Nach Auffassung von Metalsa rechtfertigen Geist und Zielsetzungen des Abkommens eine ähnliche Auslegung des Artikels 18 des Übereinkommens, wie sie der Gerichtshof in bezug auf Artikel 95 EWG-Vertrag im Urteil Drexl vertreten hat. Da Artikel 18 sich auf jede diskriminierende Maßnahme oder Praktik interner steuerlicher Art beziehe, erfasse er auch diskriminierende Strafvorschriften. Diesem Vorbringen von Metalsa treten die Kommission und die italienische Regierung entgegen.

9. Vor der Beantwortung der Vorlagefrage dürfte es hilfreich sein, Charakter und Geltungsbereich des Abkommens kurz darzustellen und die allgemeinen Kriterien anzuführen, die der Gerichtshof bei der Auslegung internationaler Abkommen der Gemeinschaft heranzieht.

10. In seinen materiellen Vorschriften gleicht das Abkommen zum Teil dem EWG-Vertrag. Die Artikel 3 bis 7 des Abkommens regeln die Beseitigung von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung im Handel zwischen der Gemeinschaft und Österreich. Artikel 13 beseitigt mengenmässige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung. Ergänzt werden diese Vorschriften durch Artikel 18, der wie ausgeführt steuerliche Maßnahmen oder Praktiken diskriminierender Natur verbietet. Artikel 19 regelt die Abschaffung aller Zahlungsbeschränkungen im Zusammenhang mit dem Warenverkehr. Artikel 22 legt fest, daß sich die Vertragsparteien aller Maßnahmen enthalten, die geeignet sind, die Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens zu gefährden, und daß sie alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfuellung der Verpflichtungen aus diesem Abkommen treffen. Die Artikel 23 und 25 enthalten Vorschriften über Wettbewerb, öffentliche Beihilfen und Dumping.

11. Sowohl Artikel 95 EWG-Vertrag als auch Artikel 18 des Abkommens legen den Grundsatz steuerlicher Gleichbehandlung fest. Der Wortlaut des Artikels 18 Absatz 1 des Abkommens erweckt sogar mit der Formulierung "keine Maßnahmen oder Praktiken interner steuerlicher Art" den Eindruck, als gehe er weiter als der Wortlaut des Artikels 95 Absatz 1 EWG-Vertrag. In der Sache hingegen verbieten beide Vorschriften in gleicher Weise jede Form unmittelbarer oder mittelbarer steuerlicher Diskriminierung.

12. Die scheinbare Ähnlichkeit der beiden Vorschriften sollte indessen nicht davon ablenken, daß der EWG-Vertrag und das Abkommen grundlegend verschiedene Ziele verfolgen.

13. Das auf der Grundlage von Artikel 113 EWG-Vertrag geschlossene Abkommen soll nach seiner Präambel die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und Österreich festigen und ausweiten und unter Wahrung gerechter Wettbewerbsbedingungen die harmonische Entwicklung ihres Handels sicherstellen. Zu diesem Zweck sind die Vertragsparteien überein gekommen, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens über die Errichtung von Freihandelszonen die Hemmnisse annähernd für ihren gesamten Handel schrittweise zu beseitigen.

14. Gemäß Artikel XXIV Absatz 8 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) ist unter Freihandelszone zu verstehen

"eine Gruppe von zwei oder mehr Zollgebieten, zwischen denen die Zölle und beschränkenden Handelsvorschriften ... für annähernd den gesamten Handel mit den aus den teilnehmenden Gebieten der Zone stammenden Waren beseitigt werden".

15. Demgegenüber will der EWG-Vertrag nicht nur eine Freihandelszone im Sinne dieses Abkommens schaffen, sondern strebt eine wirtschaftliche Integration an, die in einen Binnenmarkt mündet und gemeinsam mit den übrigen Gemeinschaftsverträgen das Ziel verfolgt, zu konkreten Fortschritten auf dem Wege zur Europäischen Union beizutragen (vgl. Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991 zum Entwurf eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und den Ländern der europäischen Freihandelsassoziation über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums, Slg. 1991, I-6079, Randnr. 17).

16. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine Vorschrift in einem von der Gemeinschaft abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag in ihrem Sinnzusammenhang und unter Beuecksichtigung der Zwecke des Vertrages auszulegen (vgl. Gutachten 1/91, Randnr. 14). So reicht der Umstand, daß ein von der Gemeinschaft abgeschlossenes Freihandelsabkommen ähnliche Ausdrücke verwendet wie ein Artikel des EWG-Vertrags, nicht aus, die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu diesem Artikel auf die Vorschriften des Abkommens zu übertragen (vgl. Rechtssache 270/80, Polydor, Slg. 1982, 329). In dieser Rechtssache hatte es der Gerichtshof mit der Auslegung der Artikel 14 und 23 des Freihandelsabkommens vom 22. Juli 1972 zwischen der EWG und Portugal, das damals noch Mitglied der EFTA war, zu tun. Artikel 14 und 23 dieses Abkommens entsprachen Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag. Der Gerichtshof entschied, daß trotz dieser Ähnlichkeit bestimmte Beschränkungen des freien Handels zum Schutze des industriellen und gewerblichen Eigentums im Rahmen der Freihandelsvereinbarungen dieses Abkommens gerechtfertigt seien, obwohl ähnliche Beschränkungen im Rahmen des EWG-Vertrags nicht gerechtfertigt gewesen wären.

17. Eine Vorschrift in einem völkerrechtlichen Vertrag ist indessen ähnlich wie die entsprechende Vorschrift des EWG-Vertrags auszulegen, wenn die Ziele dieses Abkommens es verlangen (vgl. Rechtssache 17/81, Pabst & Richarz, Slg. 1982, 1331, und Rechtssache C-163/90, Legros, Slg. 1992, I-4625(2). Im Urteil Pabst & Richarz legte der Gerichtshof Artikel 95 EWG-Vertrag und Artikel 53 Absatz 1 des Assoziationsabkommens zwischen der Gemeinschaft und Griechenland von 1961 ähnlich aus. Der Gerichtshof stellte fest, Artikel 53 Absatz 1 gehöre zu einer Gruppe von Vorschriften, deren Zweck es sei, den Beitritt Griechenlands zur Gemeinschaft vorzubereiten, und Artikel 53 Absatz 1 stehe sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach Zweck und Natur des Assoziationsabkommens einer innerstaatlichen Entlastungsregelung wie der in diesem Verfahren angesprochenen entgegen, die eine günstigere steuerliche Behandlung einheimischer Branntweine als der aus Griechenland eingeführten festlegt.

18. Im Urteil Legros hatte es der Gerichtshof u. a. mit der Auslegung von Artikel 6 des 1972 abgeschlossenen Freihandelsabkommens zwischen der Gemeinschaft und Schweden zu tun, der die Erhebung zollähnlicher Abgaben im Handel zwischen den Vertragsparteien untersagt. Der Gerichtshof entschied, daß unter den besonderen Umständen des Falles Artikel 6 des Abkommens wie die entsprechenden Vorschriften des Vertrages auszulegen sei. Er stellte fest, daß die Abschaffung von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung auf Einfuhren angesichts der Zielsetzung, Hindernisse des Handels zwischen der Gemeinschaft und Schweden abzubauen, eine entscheidende Rolle spiele. Demgemäß kam er zu dem Ergebnis, daß die Wirksamkeit dieses Abkommens im Kern gefährdet sei, wenn der Begriff der Abgaben gleicher Wirkung im Zusammenhang des Abkommens mit Schweden enger ausgelegt werde als im Zusammenhang des EWG-Vertrags (vgl. Randnr. 26).

19. In der Rechtssache 104/81 (Kupferberg, Slg. 1982, 3641) untersuchte der Gerichtshof, ob Artikel 21 Absatz 1 des Freihandelsabkommens zwischen der EWG und Portugal ein ähnliches Verbot wie Artikel 95 EWG-Vertrag enthalte. Artikel 21 Absatz 1 dieses Abkommens entspricht wörtlich Artikel 18 Absatz 1 des Abkommens zwischen der EWG und Österreich, um das es in diesem Verfahren geht. Der Gerichtshof stellte in den Randnummern 29 bis 31 des Urteils fest:

"Artikel 21 des Abkommens und Artikel 95 EWG-Vertrag verfolgen zwar insoweit den gleichen Zweck, als sie auf die Beseitigung steuerlicher Diskriminierung gerichtet sind. Gleichwohl muß jede dieser beiden Vorschriften, die übrigens einen unterschiedlichen Wortlaut haben, in ihrem jeweiligen Rahmen gesehen und ausgelegt werden.

Wie der Gerichtshof bereits ... ausgeführt hat, haben der EWG-Vertrag und das Freihandelsabkommen unterschiedliche Zielsetzungen. Deshalb kann die Auslegung, die Artikel 95 EWG-Vertrag bereits gegeben worden ist, nicht einfach analog auf das Freihandelsabkommen übertragen werden.

[Die] Frage ist somit dahin zu beantworten, daß Artikel 21 Absatz 1 nach seinem Wortlaut und unter Berücksichtigung seiner Zielsetzung im Rahmen des durch das Abkommen errichteten Freihandelssystems ausgelegt werden muß."

20. Damit ist klar, daß der Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung nach Artikel 18 Absatz 1 des Abkommens EWG°Österreich unter Berücksichtigung der Zielsetzungen dieses Abkommens auszulegen ist. Da diese Zielsetzungen begrenzter sind als die Zielsetzungen des EWG-Vertrags, mag es Formen steuerlicher Diskriminierung geben, die zwar nach Artikel 95, nicht hingegen nach Artikel 18 verboten sind. Wir müssen daher die Auslegung des Artikels 95 durch den Gerichtshof im Urteil Drexl betrachten und prüfen, ob diese Auslegung auf Artikel 18 Absatz 1 des Abkommens übertragen werden kann, wenn man diesen unter Berücksichtigung seiner Zielsetzungen auslegt. Hier ist zunächst festzuhalten, daß Artikel 18 Absatz 1 als unmittelbar wirkende Vorschrift zu betrachten ist. Im Urteil Kupferberg entschied der Gerichtshof, daß Artikel 21 Absatz 1 des Freihandelsabkommens EWG°Portugal ein unbedingtes Verbot der Diskriminierung in steuerlicher Hinsicht enthalte und folglich in der ganzen Gemeinschaft unmittelbare Wirkung entfalte. Das gleiche gilt in bezug auf Artikel 18 Absatz 1 des Abkommens EWG°Österreich, der mit Artikel 21 Absatz 1 des im Urteil Kupferberg angesprochenen Abkommens übereinstimmt.

21. Im Urteil Drexl untersuchte der Gerichtshof die Frage, ob ein System von Strafmaßnahmen, nach dem Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Einfuhrmehrwertsteuer strenger bestraft werden als Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei inländischen Umsätzen, gegen Artikel 95 EWG-Vertrag, den Grundsatz der Gleichbehandlung und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstosse. In den Randnummern 22 bis 25 des Urteils stellte der Gerichtshof hierzu fest:

"[Die] beiden in Rede stehenden Arten von Verstössen [unterscheiden sich] durch verschiedene Umstände ..., die sowohl die Tatbestandsmerkmale des Verstosses als auch seine mehr oder weniger leichte Aufdeckung betreffen. Die Mehrwertsteuer bei Einfuhr wird nämlich erhoben, sowie der Gegenstand körperlich in das Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats gelangt, nicht aber aufgrund eines Geschäfts. Diese Unterschiede bringen es namentlich mit sich, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, beide Kategorien von Verstössen ein und derselben Regelung zu unterwerfen.

Diese Unterschiede können jedoch einen offensichtlich unverhältnismässigen Unterschied in der Strenge der für die beiden Kategorien von Verstössen vorgesehenen Sanktionen nicht rechtfertigen. Ein solches Mißverhältnis besteht, wenn die für Verstösse bei der Einfuhr geltende Sanktion regelmässig Gefängnisstrafen und die Einziehung der Waren nach den Vorschriften zur Bekämpfung des Bannbruchs umfasst, während bei einem Verstoß gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf Inlandsgeschäfte vergleichbare Sanktionen nicht vorgesehen sind oder nicht allgemein verhängt werden. Eine solche Rechtslage könnte nämlich den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft beeinträchtigen und wäre deshalb mit Artikel 95 EWG-Vertrag unvereinbar.

Wie der Gerichtshof nämlich in seinem Urteil vom 5. Mai 1982 in der Rechtssache 15/81 (Gaston Schul, Slg. 1982, 1409) ausgeführt hat, muß die Auslegung von Artikel 95 den in den Artikeln 2 und 3 zum Ausdruck gebrachten Zielen des Vertrages Rechnung tragen, zu denen an erster Stelle die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes gehört, in dem alle Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarkts möglichst nahe kommen, beseitigt sind ...

Somit ist die ... Frage dahin zu beantworten, daß nationale Rechtsvorschriften, die Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr strenger bestrafen als Verstösse gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Gegenständen im Inland, nicht mit Artikel 95 EWG-Vertrag vereinbar sind, wenn dieser Unterschied ausser Verhältnis zu der Verschiedenartigkeit der beiden Kategorien von Verstössen steht."

22. In der Rechtssache Drexl hat der Gerichtshof also anerkannt, daß Unterschiede zwischen den Verstössen bei der Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer und bei der Zahlung der gleichen Steuer bei internen Umsätzen bestehen, und daß die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei sind, für die beiden Arten von Zuwiderhandlungen unterschiedliche Strafmaßnahmen anzuordnen. Allerdings hat der Gerichtshof entschieden, daß der Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung nach Artikel 95 EWG-Vertrag soweit ausgelegt werden müsse, daß nicht für vergleichbare Verstösse offensichtlich ausser Verhältnis stehende Strafen verhängt werden könnten. Er hat Artikel 95 weit und unter Berücksichtigung der Zwecke des Vertrages, insbesondere des Ziels der Errichtung eines Binnenmarkts, ausgelegt.

23. Es ist darauf hinzuweisen, daß es dem Gerichtshof in der Rechtssache Drexl mehr um die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung als um die des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit ging. Er hat dort geprüft, ob ein ausser Verhältnis stehender Unterschied zwischen den Strafmaßnahmen bei Verstössen gegen die Vorschriften über die Einfuhrumsatzsteuer und Verstössen gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei internen Umsätzen dahin führen könne, den freien Warenverkehr zu beeinträchtigen. Nicht nachgegangen ist er der Frage, ob Strafmaßnahmen bei Verstössen gegen die Pflicht zur Zahlung der Mehrwertsteuer bei Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten für sich genommen zur Schwere der Zuwiderhandlungen so ausser Verhältnis stehen, daß sie eine Beeinträchtigung der vom Gemeinschaftsrecht garantierten Freiheiten darstellen.

24. Die Kommission und die italienische Regierung stehen auf dem Standpunkt, daß die Auslegung des Artikels 95 durch den Gerichtshof in der Rechtssache Drexl nicht auf Artikel 18 des Freihandelsabkommens übertragen werden könne. Sie legen zunächst dar, daß Artikel 18 lediglich eine grundlegende Diskriminierung im Steuerbereich verbiete und die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Strafverfolgung nicht berühre. Ferner macht die italienische Regierung geltend, daß selbst für den Fall, daß Artikel 18 die Diskriminierung im Bereich des Strafrechts verbiete, ein Verstoß gegen dieses Verbot nicht vorliege, wenn die betreffenden Zuwiderhandlungen verschieden seien.

25. Zu dem ersten Argument legt die Kommission dar, daß der Gerichtshof in der Rechtssache Drexl den Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung weit und unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Vertrages ausgelegt habe. Dieser Grundsatz dürfe nicht so extensiv ausgelegt werden, wenn es um ein Freihandelsabkommen gehe, dessen Tragweite und Ziele viel beschränkter seien. Unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abkommens bezwecke Artikel 18, eine Diskriminierung bei allen Maßnahmen und Praktiken der Besteuerung und der Erhebung der Mehrwertsteuer zu verbieten. Artikel 18 erfasse daher die Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer, ihren Satz sowie die Modalitäten der Zahlung und der Erhebung der Steuer, die Einfluß auf den freien Verkehr der Waren haben könnten, die aus dem Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten stammten. Folglich gelte die Einengung der Strafgewalt der Mitgliedstaaten nur für den Rahmen der Gemeinschaft, in der ein Binnenmarkt und eine Europäische Union errichtet werden sollten, und nicht im Rahmen eines Freihandelsabkommens. Die italienische Regierung steht auf dem gleichen Standpunkt.

26. Zu dem zweiten Punkt erklärt die italienische Regierung, selbst wenn man das Verbot der steuerlichen Diskriminierung des Artikels 18 auf Strafmaßnahmen ausdehne, betreffe es nur den Fall, daß unterschiedliche Strafen für vergleichbare Zuwiderhandlungen verhängt würden. Die Zuwiderhandlungen bei der Mehrwertsteuer auf Einfuhren seien indessen andere Verstösse als die bei der Mehrwertsteuer auf inländische Umsätze. Die Verhängung unterschiedlicher Strafen für diese beiden Arten von Verstössen stelle daher keine steuerliche Diskriminierung dar, so daß das System unterschiedlicher Strafandrohungen des italienischen Rechts nicht gegen Artikel 18 des Abkommens verstosse.

27. Meines Erachtens zwingt Artikel 18 des Abkommens nicht zu einem Vergleich zwischen den Strafen, die die Mitgliedstaaten für steuerliche Verstösse bei Einfuhren aus Österreich verhängen, und den Strafen, die bei steuerlichen Verstössen bei internen Umsätzen oder bei Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten drohen. Das Recht auf Freihandel nach dem Abkommen ist beschränkter als die Rechte nach den Vorschriften des Vertrages über den freien Warenverkehr; insoweit halte ich das Vorbringen der Kommission und der italienischen Regierung für überzeugend. Ferner ergibt sich eindeutig aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Kupferberg, daß alle Formen der Diskriminierung, die nach Artikel 95 EWG-Vertrag verboten sind, nicht zwingend auch durch Artikel 18 des Abkommens verboten werden. Sogar der Begriff des "gleichartigen Erzeugnisses" in Artikel 18 ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Abkommens verhältnismässig eng zu verstehen (vgl. Randnrn. 41 und 42 des Urteils Kupferberg). Es würde der Rechtsprechung des Gerichtshofes widersprechen, wenn man Artikel 18 so weit auslegen würde, daß ein Vergleich zwischen den Strafmaßnahmen bei Einfuhren aus Österreich und den Strafmaßnahmen bei internen oder gemeinschaftsinternen Umsätzen erforderlich würde.

28. Ich schließe daraus, daß die Auslegung des Artikels 95 EWG-Vertrag durch den Gerichtshof in der Rechtssache Drexl nicht auf Artikel 18 Absatz 1 des Abkommens übertragen werden kann. Gleichwohl bin ich der Auffassung, daß die Mitgliedstaaten bei der Verhängung von Strafsanktionen bei Einfuhren aus Österreich verpflichtet sind, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Diese Verpflichtung ergibt sich nicht aus Artikel 18, der lediglich die Diskriminierung untersagt, sondern vielmehr aus Artikel 13 des Abkommens.

29. Nach Artikel 13 des Abkommens sind mengenmässige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung im Warenverkehr zwischen den Parteien des Abkommens verboten. Dieser Artikel lautet:

"(1) Im Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Österreich werden keine neuen mengenmässigen Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung eingeführt.

(2) Die mengenmässigen Einfuhrbeschränkungen werden am 1. Januar 1973 und die Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen spätestens bis zum 1. Januar 1975 beseitigt."

Meines Erachtens wäre eine Strafe, die im Zusammenhang mit Einfuhren aus Österreich verhängt wird und so ausser Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht, daß sie zu einer Beeinträchtigung des Rechts auf Freihandel nach dem Abkommen führen könnte, eine gegen Artikel 13 des Abkommens verstossende Maßnahme gleicher Wirkung. Artikel 13 ist als mit unmittelbarer Wirkung ausgestattet anzusehen, wie auch den Schlussanträgen des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache C-207/91 (Eurim-Pharm, a. a. O., Fußnote 2, Randnr. 14) zu entnehmen ist.

30. Das Strafrecht ist allerdings ein Bereich, der grundsätzlich der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterliegt. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich indessen eindeutig, daß Strafsanktionen, die nach nationalem Recht verhängt werden, nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit durch ihre Schwere die Ausübung der Grundrechte des EWG-Vertrags nicht beeinträchtigen dürfen. Dies ist z. B. bezueglich des freien Warenverkehrs aus dem Urteil in der Rechtssache 41/76 (Donckerwolcke, Slg. 1976, 1921) und in der Rechtssache 52/77 (Cayrol, Slg. 1977, 2261) sowie bezueglich der Freizuegigkeit dem Urteil in der Rechtssache 157/79 (Pieck, Slg. 1980, 2171) zu entnehmen. In der Rechtssache 203/80 (Casati, Slg. 1981, 2595) hat der Gerichtshof in Randnummer 27 des Urteils folgendes festgestellt:

"Für die Strafgesetzgebung und die Strafverfahrensvorschriften bleiben grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt das Gemeinschaftsrecht jedoch auch auf diesem Gebiet hinsichtlich derjenigen Kontrollmaßnahmen Schranken, deren Aufrechterhaltung den Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen des freien Waren- und Personenverkehrs gestattet ist: Die administrativen oder strafrechtlichen Maßnahmen dürfen nicht über den Rahmen des unbedingt Erforderlichen hinausgehen, die Kontrollmodalitäten dürfen nicht so beschaffen sein, daß sie die vom Vertrag gewollte Freiheit einschränken und es darf daran keine Sanktion geknüpft sein, die so ausser Verhältnis zur Schwere der Tat steht, daß sie sich als eine Behinderung der Freiheit erweist."

Diese Ausführungen sind in Randnummer 18 des Urteils Drexl bestätigt worden, auch wenn sich der Gerichtshof, wie ich bereits ausgeführt habe, in dieser Sache der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und nicht der des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit als solchem gewidmet hat.

31. Somit ist klar, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein von den Mitgliedstaaten angewandtes Sanktionssystem nicht so ausser Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen darf, daß es ein Hindernis für die Ausübung eines vom Vertrag garantierten Freiheitsrechts wird. Meines Erachtens sollten ähnliche Erwägungen auch für die von der Gemeinschaft abgeschlossenen internationalen Übereinkommen gelten.

32. Gemäß Artikel 228 Absatz 3 EWG-Vertrag sind die von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Abkommen für deren Organe und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Wie der Gerichtshof in der Rechtssache 181/73 (Hägeman, Slg. 1974, 449) entschieden hat, sind die Vorschriften dieser Abkommen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts. Diese Vorschriften können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes auch unmittelbare Wirkung zeitigen (vgl. z. B. die Rechtssachen Kupferberg, a. a. O., Nr. 19, 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 14, und C-192/89, S. Z. Servince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 15). Hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen werden sie daher wie Vorschriften des EWG-Vertrags und andere verbindliche Gemeinschaftsakte behandelt; ferner kann die Gemeinschaft bei Verletzung dieser Vorschriften durch die Mitgliedstaaten haftbar gemacht werden. Mithin ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts darstellt, auch auf die von der Gemeinschaft abgeschlossenen internationalen Abkommen anzuwenden und kann daher als Mittel zur Auslegung von Vorschriften dieser Abkommen herangezogen werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit bei einem von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Abkommen einerseits und beim EWG-Vertrag andererseits zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.

33. Die These der Kommission, daß die Beschränkungen der Strafgewalt der Mitgliedstaaten nur im Rahmen der Gemeinschaft, nicht aber im Rahmen eines Freihandelsabkommens gelten, halte ich nicht für annehmbar.

34. Folgte man dem Standpunkt der Kommission, so wären die Mitgliedstaaten frei, alle Arten von Strafmaßnahmen bei Verstössen gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei Einfuhren von Waren aus Österreich zu verhängen, auch wenn diese Strafmaßnahmen eine ausser Verhältnis stehende Beeinträchtigung der Ausübung des Freihandelsrechts wären und gegen die Zielsetzungen des Abkommens verstossen würden. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Mitgliedstaat eine selbst unwissentlich unterlassene Zahlung der Mehrwertsteuer mit dem vollem Satz der Mehrwertsteuer für die Einfuhr von Waren aus Österreich belegen würde und zugleich die Einziehung der Ware anordnen und eine Strafe in Höhe des zehnfachen Warenwerts anordnen würde. Meines Erachtens würde die Verhängung solcher Strafmaßnahmen gegen Artikel 13 des Abkommens verstossen, da das Risiko, den geltenden Vorschriften nicht zu entsprechen und damit solchen Strafmaßnahmen ausgesetzt zu sein, geeignet wäre, die Einfuhr von Waren aus Österreich zu bremsen; dies würde den Zielsetzungen des Abkommens zuwiderlaufen. Wenn anerkannt würde, daß der Grundsatz der Verhältnismässigkeit unter diesen Umständen nicht anwendbar wäre, würde den Personen, die aufgrund eines zwischen der Gemeinschaft und einem Drittstaat geschlossenen Abkommens ein Recht erworben hätten, wie etwa das Recht, ohne andere als die im Abkommen zugelassenen Einschränkungen Einfuhren zu tätigen, der Schutz durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts entzogen. Hierfür sehe ich keinen Grund.

35. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gilt m. E. allgemein für jede Vorschrift über den Handel zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten. Mengenmässige Beschränkungen der Ausfuhren in einen Drittstaat, die das Gemeinschaftsrecht unter den gleichen Voraussetzungen wie die des Artikels 36 EWG-Vertrag zulässt, sowie Strafmaßnahmen bei Verletzung dieser Beschränkungen müssen folglich im Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen (vgl. meine am 1. April 1993 vorgetragenen Schlussanträge in der Rechtssache C-367/89, Aimé Richardt, Slg. 1991, I-4621, und in der Rechtssache C-111/92, Lange, Nrn. 21 bis 24). Ausserdem hat der Gerichtshof anerkannt, daß Schutzmaßnahmen in Gemeinschaftsverordnungen zur Einschränkung des Handels mit Drittstaaten dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit unterliegen (vgl. Rechtssachen C-26/90, Wünsche, Slg. 1991, I-4961, Randnrn. 12 und 13, sowie 112/80, Dürbeck, Slg. 1981, 1095, Randnr. 40). Da der Grundsatz der Verhältnismässigkeit allgemein auf den Handel mit Drittstaaten Anwendung findet, muß er erst recht auch auf ein von der Gemeinschaft abgeschlossenes Abkommen zur Schaffung einer Freihandelszone angewandt werden.

36. Meines Erachtens verstösst es daher gegen das Abkommen, wenn ein Mitgliedstaat für einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Mehrwertsteuer bei Einfuhren aus Österreich eine Strafe verhängt, die so ausser Verhältnis zur Schwere des Verstosses steht, daß sie eine Beeinträchtigung des Rechts auf Freihandel nach dem Abkommen darstellt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, im konkreten Fall zu entscheiden, ob eine Strafmaßnahme unverhältnismässig ist. Gleichwohl kann man in diesem Bereich zwei Grundsätze festhalten. Zunächst ist es klar, daß das Recht auf Freihandel aufgrund eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittstaat beschränkter ist als die vom EWG-Vertrag garantierten Freiheitsrechte. Mithin ist ein nationales Sanktionssystem, das so unverhältnismässig ist, daß es die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes behindert, nicht notwendig so unverhältnismässig, daß es eine Beeinträchtigung der Ausübung des Rechts auf Freihandel darstellt. Die Befugnis der Mitgliedstaaten kann mithin im Falle eines internationalen Abkommens weiter gespannt sein als im Fall des EWG-Vertrags. Zweitens müssten, wenn die Strafe in der Einziehung der eingeführten Waren besteht, m. E. Punkte wie der Kenntnisstand des Eigentümers der beschlagnahmten Waren und deren Wert berücksichtigt werden (vgl. Urteil Aimé Richardt, Randnr. 25).

Ergebnis

37. Nach meiner Auffassung ist daher auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage wie folgt zu antworten:

Artikel 18 Absatz 1 des Freihandelsabkommens zwischen der EWG und Österreich erfordert keinen Vergleich zwischen den Sanktionen, die von den Mitgliedstaaten für ein Steuervergehen bei der Einfuhr aus Österreich verhängt werden, und den Sanktionen für Steuervergehen bei internen Umsätzen oder Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten. Ein Mitgliedstaat darf indessen für einen Verstoß bei der Zahlung der Mehrwertsteuer auf Einfuhren aus Österreich keine Strafe verhängen, die so ausser Verhältnis zur Schwere des Verstosses steht, daß sie eine Beeinträchtigung der Ausübung des Rechts auf Freihandel nach diesem Abkommen darstellt.

(*) Originalsprache: Englisch.

(1) ° Siehe auch die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 17. Februar 1993 in der Rechtssache C-276/91 (Urteil vom 2. August 1993, Kommission/Frankreich, Slg. 1993, I-4413). Es ist darauf hinzuweisen, daß eine neue Regelung der Zahlung der Mehrwertsteuer mit Wirkung vom 1. Januar 1993 eingeführt worden ist. Aufgrund dieser Regelung wird die Mehrwertsteuer nicht mehr auf die innergemeinschaftlichen Einfuhren, sondern auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Waren erhoben. Vgl. die Richtlinie 91/680/EWG des Rates zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Abänderung zwecks Beseitigung der Steuergrenzen der Richtlinie 77/388/EWG (ABl. 1991, L 376, S. 1) und insbesondere den neuen Artikel 28a der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 92/111 des Rates (ABl. 1992, L 384, S. 47).

(2) ° Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 18. Februar 1993 in der Rechtssache C-207/91 (Eurim Pharm, Slg. 1993, I-3723, I-3733). Diese Rechtssache befasst sich mit der Auslegung der Artikel 13 und 20 des Freihandelsabkommens zwischen der Gemeinschaft und Österreich, die jeweils den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag entsprechen. Vgl. auch die Rechtssache 65/79 (Procureur de la République/Chatain, Slg. 1980, 1345).