C-111/92 - Lange / Finanzamt Fürstenfeldbruck

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EUR-Lex - 61992C0111 - DE

61992C0111

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 1. April 1993. - WILFRIED LANGE GEGEN FINANZAMT FUERSTENFELDBRUCK. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT MUENCHEN - DEUTSCHLAND. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE RICHTLINIE - BEFREIUNG DER UMSAETZE AUS VERBOTENEN AUSFUHREN. - RECHTSSACHE C-111/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-04677


Schlußanträge des Generalanwalts


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Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. In der vorliegenden Rechtssache begehrt das Finanzgericht München eine Vorabentscheidung über die Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 77/388/EWG des Rates; ABl. 1977, L 145, S. 1). Das Finanzgericht hat die beiden folgenden Fragen nach der Mehrwertsteuerpflichtigkeit verbotener Ausfuhren, die unter Verstoß gegen ein in allen Mitgliedstaaten geltendes Embargo erfolgen, zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist Artikel 15 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage dahin auszulegen, daß die darin vorgesehene Steuerbefreiung von Ausfuhrumsätzen zu versagen ist, wenn unter Verletzung nationaler Genehmigungsvorschriften für die Ausfuhr Lieferungen in Staaten ausgeführt werden, für die in keinem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften aufgrund nationaler Embargo-Vorschriften eine Genehmigung in Aussicht gestanden hätte?

2) Bei Bejahung von Frage 1:

Genügt zur Versagung der Steuerbefreiung ein objektiver Verstoß gegen nationale Genehmigungsvorschriften oder muß dem Unternehmer die subjektive Kenntnis von diesem Verstoß für jede Lieferung nachgewiesen werden?

2. Der Kläger betrieb in den Jahren 1985 und 1986 die Ausfuhr von Computersystemen aus Deutschland. Er stellte Anträge auf Ausfuhrgenehmigung gemäß § 17 Absatz 1 der Aussenwirtschaftsverordnung (AWV), in denen er als Endverbleib der Ausfuhren Pakistan bzw. Israel angab. Aufgrund dieser Anträge erteilte das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die beantragten Ausfuhrgenehmigungen. Die Waren gingen nach Belgrad bzw. Wien, wurden dann jedoch nicht zu den angemeldeten Bestimmungsorten, sondern nach Bulgarien, Ungarn, in die UdSSR und die Tschechoslowakei weiterversandt. Aus dem Vorlagebeschluß ist nicht ersichtlich, ob diese Umleitungen mit Kenntnis des Klägers erfolgten.

3. Zur fraglichen Zeit waren Exporte solcher Computersysteme in Länder des früheren Ostblocks aufgrund von Absprachen im Rahmen des COCOM (Co -ordinating Committee for Multilateral Export Controls)(1) in allen Mitgliedstaaten verboten. Alle Mitgliedstaaten sind Mitglieder des COCOM, mit Ausnahme Irlands, das sich jedoch an die COCOM-Absprachen hält. In Deutschland wurden die entsprechenden Beschränkungen in § 5 und der Anlage AL der AWV in das nationale Recht umgesetzt; hiernach bedarf die Ausfuhr der in dieser Anlage genannten Waren der Genehmigung. Fehlt eine solche Genehmigung, ist die Ausfuhr der Waren zu den genannten Bestimmungsorten verboten und nach den §§ 33 Absatz 1 und 34 Absatz 1 in Verbindung mit § 70 Absatz 1 Nr. 1 AWV strafbar.

4. Der Kläger machte geltend, die betreffenden Umsätze seien gemäß § 4 Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes von 1980 (UStG), durch den Artikel 15 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie durchgeführt wurde, mehrwertsteuerfrei; er machte den Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Absatz 3 Nr. 1 Buchstabe a UStG geltend. Der Beklagte vertrat den Standpunkt, da die betreffenden Ausfuhren verboten seien, könne der Kläger nicht in den Genuß dieser Befreiung kommen; die Umsätze seien mehrwertsteuerpflichtig. Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Klage beim Finanzgericht.

5. Ich werde zunächst die einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie darstellen und mich dann mit den Vorlagefragen beschäftigen. Es sollte jedoch von vornherein bemerkt werden, daß der Fall drei verschiedene Probleme aufwirft. Die erste, von dem nationalen Gericht nicht vorgelegte Frage ist, ob verbotene Ausfuhren der in Rede stehenden Art Umsätze sind, auf die die Richtlinie anwendbar ist. Fallen die Ausfuhren in deren Anwendungsbereich, stellt sich zweitens die Frage, ob sie nicht dennoch nach den Bestimmungen der Richtlinie von der Steuer befreit sind. Schließlich könnte, je nach der Antwort auf diese Fragen, fraglich sein, ob die Kenntnis des Exporteurs von dem Verstoß gegen die Ausfuhrverbote für die Anwendung der Befreiung erheblich ist.

Das Gemeinschaftsrecht

6. Artikel 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1) Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2) die Einfuhr von Gegenständen."

Artikel 3 definiert den Begriff "Inland".

Artikel 15 bestimmt:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

1) Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten ausserhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes versandt oder befördert werden;

2) Lieferungen von Gegenständen, die durch den nicht im Inland ansässigen Abnehmer oder für dessen Rechnung nach Orten ausserhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes versandt oder befördert werden, mit Ausnahme der vom Abnehmer selbst beförderten Gegenstände zur Ausrüstung oder Versorgung von Sportbooten und Sportflugzeugen sowie von sonstigen Beförderungsmitteln, die privaten Zwecken dienen;

..."

Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie bestimmt:

"Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände geschuldet wird oder entrichtet worden ist;

..."

Artikel 17 Absatz 3 bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:

...

b) seiner nach ... Artikel 15 ... befreiten Umsätze;

..."

Der Anwendungsbereich der Richtlinie

7. Die Frage, ob unerlaubte Geschäfte in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen, wurde vom Gerichtshof mehrfach behandelt. In der Rechtssache 264/82 (Einberger/Hauptzollamt Freiburg, Slg. 1984, 1177) erkannte der Gerichtshof für Recht, daß Artikel 2 der Richtlinie dahin auszulegen sei, daß bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln, die nicht "Gegenstand des von den zuständigen Stellen streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke" sind, in die Gemeinschaft keine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht (Randnr. 22 des Urteils). Entsprechend entschied der Gerichtshof in der Rechtssache 269/86 (Mol/Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen, Slg. 1988, 3627) und in der Rechtssache 289/86 (Happy Family/Inspecteur der Omzetbelasting, Slg. 1988, 3655), daß die unerlaubte Lieferung von Betäubungsmitteln auf den inländischen Markt eines Mitgliedstaats nicht der Mehrwertsteuer unterliege, soweit diese Erzeugnisse nicht zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke bestimmt seien. In jüngerer Zeit stellte der Gerichtshof in der Rechtssache C-343/89 (Witzemann, Slg. 1990, I-4477) fest, seine Betrachtungsweise in der Rechtssache Einberger sei bei Falschgeld erst recht geboten, da die Herstellung, der Besitz, die Einfuhr und der Vertrieb von Falschgeld in allen Mitgliedstaaten absolut verboten seien (vgl. Randnrn. 14 und 20).

8. Die Entscheidungen des Gerichtshofes in den Rechtssachen Einberger, Mol, Happy Family und Witzemann beruhen im wesentlichen auf der Überlegung, daß die Richtlinie nicht auf Umsätze anwendbar sein könne, die aufgrund der Art der betroffenen Erzeugnisse in allen Mitgliedstaaten verboten seien. Der Gerichtshof stellte in Randnummer 20 seines Urteils Einberger fest:

"Wie der Gerichtshof bereits in bezug auf die Einfuhrzölle festgestellt hat, [stehen] unerlaubte Einfuhren von Betäubungsmitteln in die Gemeinschaft, die nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen geben können, zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie ... in keinerlei Beziehung ..."

In der Rechtssache 50/80 (Horvath/Hauptzollamt Hamburg-Jonas, Slg. 1981, 385) stellte der Gerichtshof fest, daß nach dem Gemeinsamen Zolltarif im Hinblick auf den Schmuggel eines schädlichen Erzeugnisses, wie Heroin, das zu unerlaubter Verwendung bestimmt sei, kein Zoll erhoben werden könne. Der Gerichtshof stellte in den Randnummern 9 bis 11 des Urteils folgendes fest:

"Zunächst ist zu betonen, daß die ... vorgelegte ... Frage nicht den Fall betrifft, daß ein beliebiges Erzeugnis lediglich als Schmuggelgut eingeführt wird, sondern den Fall des Schmuggels eines schädlichen Erzeugnisses, das zu unerlaubter Verwendung bestimmt war und sogleich nach seiner Entdeckung vernichtet wurde.

Weiterhin ist zu bemerken, daß ein Erzeugnis wie Heroin nicht allein deshalb beschlagnahmt und vernichtet wird, weil der Importeur die Zollförmlichkeiten nicht beachtet hat, sondern vor allem, weil es ein Betäubungsmittel ist, dessen Schädlichkeit anerkannt ist und dessen Einfuhr und Vertrieb in allen Mitgliedstaaten verboten sind, wobei lediglich ein streng überwachter und beschränkter Handel ausgenommen ist, der der erlaubten Verwendung zu pharmazeutischen und medizinischen Zwecken dient.

Wenn bei dieser Sachlage die Einteilung des Gemeinsamen Zolltarifs ein solches Erzeugnis erfasst ..., so kann sich dies nur auf die Einfuhr zu einer erlaubten Verwendung beziehen. Denn ein Wertzoll kann nicht auf Waren erhoben werden, die nach ihrer Natur in keinem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden dürfen, sondern von den zuständigen Behörden nach ihrer Entdeckung zu beschlagnahmen und aus dem Verkehr zu ziehen sind."

Die Ausführungen des Gerichtshofes zum Anwendungsbereich des Gemeinsamen Zolltarifs gelten auch für den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie, vgl. Einberger, a. a. O., Randnrn. 17 bis 20, und Witzemann, a. a. O.. Randnr. 18. Sowohl bei Zöllen als auch bei der Mehrwertsteuer ist also die Rechtswidrigkeit an sich nicht unbedingt dafür ausreichend, daß ein Umsatz aus dem Anwendungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften fällt. Einfuhr- und Inlandsumsätze fallen nur dann nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie, wenn sie in allen Mitgliedstaaten aus Gründen der besonderen Merkmale der Erzeugnisse systematisch verboten sind (vgl. das Urteil Mol, zitiert in Nr. 7, Randnr. 18).

9. Die angezogenen Urteile betrafen Verbote der Einfuhr oder des Inlandvertriebs, während die vorliegende Rechtssache Ausfuhren betrifft. Es ergibt sich also die Frage, ob zwischen diesen beiden Fallgestaltungen unterschieden werden sollte. Die praktischen Auswirkungen des Ausschlusses eines Exportgeschäfts vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind tatsächlich andere. Im Gegensatz zu Einfuhren und Lieferungen im Inland sind Exporte grundsätzlich von der Mehrwertsteuer befreit, vgl. Artikel 15 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie, zitiert in Punkt 6. Zwischen einem Ausfuhrgeschäft, das nach Artikel 15 von der Steuer befreit ist, und einem Geschäft, das nicht steuerbar ist, weil es nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, besteht ein bedeutender Unterschied. Wie wir gesehen haben, sieht Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b vor, daß bestimmte Umsätze, die von der Mehrwertsteuer befreit sind, dennoch das Recht auf Vorsteuerabzug begründen, d. h. das Recht, die Mehrwertsteuer abzuziehen, die im Zusammenhang mit den Gegenständen und Dienstleistungen steht, die für die Zwecke dieser Umsätze verwendet werden. Insbesondere geben die in Artikel 15 Absätze 1 und 2 der Richtlinie vorgesehenen Befreiungen das Recht auf Vorsteuerabzug. Eine unerlaubte Einfuhr oder eine unerlaubte Lieferung im Inland, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ist also anders als eine rechtmässige Einfuhr oder Lieferung von der Mehrwertsteuer befreit. Hingegen würde eine unerlaubte Ausfuhr, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, keinen Vorteil gegenüber einer rechtmässigen Ausfuhr genießen: Sie würde im Gegenteil benachteiligt, da sie im Gegensatz zur letzteren kein Recht des Ausführers entstehen lassen würde, einen entsprechenden Vorsteuerabzug vorzunehmen (obwohl die Ausfuhren selbst nicht besteuert würden).

10. Der in den vorgenannten Urteilen im Hinblick auf unerlaubte Geschäfte aufgestellte Grundsatz ist nicht auf Einfuhr- oder Inlandsumsätze beschränkt: Die unerlaubte Ausfuhr von Waren, die mit Ausnahme eines streng überwachten Vertriebs keine rechtmässige Verwendung haben, würde ebensowenig mit den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie zu tun haben wie die unerlaubte Einfuhr oder der unerlaubte Inlandshandel mit solchen Erzeugnissen. Obwohl Ausfuhren grundsätzlich überhaupt nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, eröffnen Ausfuhrgeschäfte, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wie wir gesehen haben, ein Recht auf einen entsprechenden Vorsteuerabzug. Dieses Recht würde also im Fall der unerlaubten Ausfuhr von Erzeugnissen wie Falschgeld oder verbotenen Betäubungsmitteln, die nach ihrem Wesen in allen Mitgliedstaaten einem vollständigen Verkehrsverbot unterliegen, nicht entstehen.

11. Meines Erachtens besteht jedoch kein zwingender Grund, die Art der Geschäfte, die ausserhalb des Anwendungsbereichs der Sechsten Richtlinie liegen können, auszudehnen, selbst wenn die in Frage stehenden Geschäfte Ausfuhren und nicht Einfuhren oder den Inlandshandel betreffen. In allen Fällen gilt der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität, wonach der rechtmässige und der illegale Handel in steuerlicher Hinsicht soweit als möglich gleichbehandelt werden sollten. Von diesem Grundsatz gelten nur begrenzte Ausnahmen in den Fällen, in denen aufgrund der Art der in Frage stehenden Erzeugnisse kein Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor besteht, vgl. die Randnummern 17 und 18 des Urteils Mol, zitiert in Nr. 7.

12. Wie die Kommission ausführt, besteht ein Unterschied zwischen dem Verbot in der vorliegenden Rechtssache und den Verboten, um die es in den früheren Entscheidungen über illegale Umsätze ging, in dem Sinne, daß diese Entscheidungen Erzeugnisse betrafen, deren Handel ihrem Wesen nach illegal war, während es in der vorliegenden Rechtssache um Erzeugnisse geht, die normalerweise rechtmässig gehandelt werden. Es besteht also kein vollständiges Verbot der Ausfuhr solcher Waren in Drittländer, obwohl im vorliegenden Fall ein Verbot ihrer Ausfuhr nach bestimmten festgelegten Bestimmungsorten bestand. Meines Erachtens besteht kein Grund, die in den früheren Urteilen angenommene Ausnahme auf einen Fall auszudehnen, in dem die Ausfuhr eines Erzeugnisses nach bestimmten Bestimmungsorten verboten ist, selbst wenn das betreffende Verbot von allen Mitgliedstaaten übereinstimmend festgelegt wurde. Wenn also Waren grundsätzlich rechtmässig sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Gemeinschaft gehandelt werden dürfen, ist die Ausfuhr der Waren nach einem verbotenen Bestimmungsort nicht an sich ein Umsatz, der ausserhalb des Systems der Richtlinie liegt.

13. Wie schon erwähnt, führt die Annahme, daß die betreffenden Umsätze in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen, dazu, daß der Exporteur den entsprechenden Vorsteuerabzug von seiner gesamten Mehrwertsteuerschuld vornehmen kann. Auf den ersten Blick erscheint es anomal, daß ein Händler, der unter Verstoß gegen ein Ausfuhrembargo eine Ausfuhr vorgenommen hat, in den Genuß eines solchen Abzugsrechts gelangen sollte. Wie die Mehrwertsteuerbefreiung für Exporte kann dieses Recht jedoch mit dem Ziel der Gemeinschaftsbestimmungen erklärt werden, Verbraucher in Drittstaaten nicht mit der Mehrwertsteuer, die ausschließlich von Verbrauchern in der Gemeinschaft getragen werden soll, zu belasten. Wenn hinsichtlich eines bestimmten Umsatzes kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden kann, wird die Steuer normalerweise als Teil des Kaufpreises auf den Verbraucher abgewälzt. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist nicht als eine Vergünstigung für den Exporteur anzusehen, sondern nur als eine Folge des Grundsatzes, daß ein Staat Waren, deren Bestimmung ausserhalb seines Hoheitsgebietes liegt, nicht zu besteuern hat. Zwar trifft es zu, daß bei Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Fall einer illegalen Ausfuhr die Belastung in der Praxis den Exporteur treffen wird. Es bleibt jedoch dabei, daß Mehrwertsteuer nicht auf Waren zu erheben ist, die die Gemeinschaft verlassen. Ein Exporteur, der gegen die Exportbeschränkungen eines Mitgliedstaats verstossen hat, kann in jedem Fall durch Sanktionen nach nationalem Recht angemessen bestraft werden, ohne daß es erforderlich wäre, über eine erhöhte Mehrwertsteuerbelastung zusätzliche Sanktionen anzuwenden.

14. Die in der vorliegenden Rechtssache streitigen Umsätze fallen demgemäß in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie. Es ist somit zu prüfen, ob die in Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehene Befreiung auch für Ausfuhren gilt, die unter Verstoß gegen ein in der gesamten Gemeinschaft geltendes Embargo verstossen.

Die Mehrwertsteuerbefreiung für Ausfuhren

15. Wie schon erwähnt, vertritt das beklagte Finanzamt den Standpunkt, auf die in Frage stehenden Umsätze müsse ungeachtet der in Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Befreiung für Ausfuhren Mehrwertsteuer erhoben werden. Die Kommission hingegen macht geltend, solche Umsätze fielen unter die Befreiung. Ich halte diese Auffassung für zutreffend. Hat man einmal akzeptiert, daß die fraglichen Umsätze in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen müssen, so lässt sich im Hinblick auf die klaren Bestimmungen des Artikels 15 Absatz 1 kaum mehr vertreten, daß die Befreiung für sie nicht gilt. Wie die Kommission ausführt, würde die Befreiung in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität stehen, einem Grundsatz, von dem, wie wir gesehen haben, nur sehr begrenzte Ausnahmen bestehen, siehe Nr. 11. Die Annahme der Steuerbefreiung für die im vorliegenden Fall streitigen illegalen Umsätze bedeutet natürlich, sie genauso wie rechtmässige Ausfuhren zu behandeln. Im übrigen besteht weder im Wortlaut noch in den Zielsetzungen der Richtlinie eine Grundlage für eine abweichende Behandlung illegaler Ausfuhren.

16. Mit der Verweigerung der Befreiung solcher Umsätze würde deshalb das Mehrwertsteuersystem für einen ihm fremden Zweck eingesetzt, nämlich zur Bestrafung eines Verstosses gegen nationale Ausfuhrbeschränkungen. Es ist grundsätzlich falsch, das von der Gemeinschaft harmonisierte Steuerrecht zur Auferlegung solcher Sanktionen einzusetzen, die vorrangig eine Angelegenheit des Strafrechts des betroffenen Mitgliedstaats sind. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt betont, daß seine Entscheidungen über die Anwendung steuerlicher Bestimmungen auf illegale Geschäfte in keiner Weise die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten berührten, Verstösse gegen ihre nationalen Vorschriften zu verfolgen oder zu bestrafen, vgl. zum Beispiel das Urteil Witzemann, zitiert in Nr. 7, Randnummer 22. Der Einsatz des Steuerrechts zum Zweck der Auferlegung von Sanktionen untergräbt nicht nur die ordnungsgemässe Anwendung des Steuerrechts; man kann ihn auch als eine verzerrende Anwendung des Strafrechts ansehen, da er zur Auferlegung von Sanktionen führen kann, die zu den von den Strafgerichten verhängten hinzukommen. Ausserdem verstösst er gegen den Grundsatz, daß Sanktionen nur dann verhängt werden dürfen, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruhen, vgl. Rechtssache 117/83 (Könecke/BALM, Slg. 1984, 3291, Randnr. 11).

17. Selbst wenn man die Besteuerung nicht als eine Sanktion betrachtet, so erfordert doch ein vergleichbarer Grundsatz des Steuerrechts, daß eine Steuer nicht ohne eine besondere Rechtsgrundlage erhoben werden darf. Wie wir gesehen haben, findet sich in der Sechsten Richtlinie keine Grundlage, um Waren zu besteuern, die nach Orten ausserhalb des Gemeinschaftsgebiets ausgeführt werden; im Gegenteil bestimmt die Richtlinie deutlich, daß solche Waren von der Steuer befreit sind.

18. Lieferungen von Gegenständen, die unter Artikel 15 Absatz 1 oder Absatz 2 der Richtlinie fallen, sind somit von der Mehrwertsteuer befreit, selbst wenn die Lieferung unter Verstoß gegen nationale Ausfuhrbeschränkungen erfolgt. Es macht meines Erachtens keinen Unterschied, daß die Illegalität im vorliegenden Fall im Verstoß gegen Ausfuhrverbote bestand, die von allen Mitgliedstaaten übereinstimmend aufgestellt wurden, so daß die Ausfuhren in jedem Mitgliedstaat verboten gewesen wären. Selbst wenn das Verbot auf Gemeinschaftsrecht beruhte, wäre dies für sich gesehen kein ausreichender Grund, die Befreiung der unter Verstoß gegen dieses Verbot vorgenommenen Ausfuhren zu verweigern, da das Gemeinschaftsrecht keine Bestimmung über die Verweigerung unter solchen Umständen enthält. Die erste Frage des Finanzgerichts ist demgemäß zu verneinen.

Kenntnis des Verstosses

19. Angesichts dieses Ergebnisses braucht nicht untersucht zu werden, ob dem Exporteur Kenntnis von dem betreffenden Verstoß nachgewiesen werden muß. Selbst wenn die Kenntnis des Exporteurs nämlich hinreichend wäre, um den Verstoß gegen das Ausfuhrverbot als eine Straftat nach nationalem Recht anzusehen, wäre dies meines Erachtens nicht hinreichend, um eine Befreiung des Umsatzes gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie zu verweigern.

20. Würde die erste Vorlagefrage hingegen bejaht, so müsste geprüft werden, ob die Befreiung auch dann verweigert werden könnte, wenn der Verstoß gegen die Ausfuhrbeschränkungen ohne Kenntnis des Exporteurs erfolgte. Das wäre etwa der Fall, wenn die Waren zu einem nach dem anwendbaren nationalen Recht zulässigen Bestimmungsort aufgegeben, jedoch von einem Dritten während des Transports umgeleitet worden wären. Ein Verstoß gegen nationales Recht würde dann von letzterem begangen worden sein und nicht von dem Exporteur, der die Mehrwertsteuer zu entrichten hat.

21. Es ist nicht ersichtlich, wie eine Mehrwertsteuerbefreiung in einem solchen Fall verweigert werden könnte. Wie die Kommission ausführt, würde die Verweigerung einer Befreiung bewirken, daß für einen Verstoß gegen das Ausfuhrverbot eine Sanktion auferlegt wird. Wie schon ausgeführt, wäre ein solcher Einsatz des Mehrwertsteuersystems nicht zulässig, vgl. Nrn. 15 und 16. Selbst wenn die Befreiungsvorschriften der Sechsten Richtlinie zu einem solchen Zweck eingesetzt werden könnten, müsste eine solche Strafe meines Erachtens aber mit dem im Gemeinschaftsrecht niedergelegten Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Einklang stehen.

22. Im Fall einer mengenmässigen Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels oder einer Durchfuhrbeschränkung durch einen Mitgliedstaat gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag steht fest, daß sowohl die Beschränkung als auch jegliche Sanktion, die wegen deren Verletzung auferlegt wird, in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen muß, vgl. Rechtssache C-367/89 (Aimé Richard, Slg. 1991, I-4621, Randnrn. 21 bis 24). Zwar betraf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Aimé Richard die Vorschriften über die Durchfuhr von Waren und nicht die über Ausfuhren aus der Gemeinschaft in Drittländer(2). Für solche Ausfuhren gilt die gemeinsame Handelspolitik der Gemeinschaft und insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung (ABl. 1969, L 324, S. 25), zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 3918/91 des Rates (ABl. 1991, L 372, S. 31). Artikel 1 der Verordnung Nr. 2603/69 sieht vor, daß die Ausfuhren nach Drittländern frei sind, d. h. keinen mengenmässigen Beschränkungen unterworfen, mit Ausnahme derjenigen, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften dieser Verordnung Anwendung finden. In Abschnitt 3.1 ihrer schriftlichen Erklärungen scheint die Kommission zu vertreten, daß ein Mitgliedstaat dennoch unter bestimmten Umständen aufgrund von Artikel 36 EWG-Vertrag berechtigt ist, die Ausfuhr von Erzeugnissen nach Drittländern zu verhindern. Es ist jedoch offensichtlich, daß Artikel 36 nur im Hinblick auf eine Beschränkung des Handels innerhalb der Gemeinschaft oder der Durchfuhr durch die Gemeinschaft geltend gemacht werden kann. Andererseits ist es den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 2603/69 erlaubt, Ausfuhren nach Drittländern aus den in Artikel 36 EWG-Vertrag aufgeführten Gründen mengenmässig zu beschränken, insbesondere aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

23. Im Lichte des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache C-62/88 (Griechenland/Rat, Slg. 1990, I-1527) besteht meines Erachtens kein Zweifel, daß der Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik der Gemeinschaft alle Maßnahmen einschließt, die den Handel zwischen der Gemeinschaft und Drittländern zum Gegenstand haben (mit Ausnahme der nach den Artikeln 223 und 224 EWG-Vertrag ausgeschlossenen Bereiche), selbst wenn solche Maßnahmen ein Ziel verfolgen, das an sich nicht den Handel betrifft, wie den Gesundheitsschutz oder die öffentliche Sicherheit, siehe Randnummern 16 bis 18 des Urteils und vgl. auch die Verordnung (EWG) Nr. 428/89 des Rates vom 20. Februar 1989 betreffend die Ausfuhr bestimmter chemischer Erzeugnisse (ABl. 1989, L 50, S. 1), eine Maßnahme aufgrund von Artikel 113 EWG-Vertrag zur Kontrolle der Ausfuhr von Erzeugnissen, die zur Produktion chemischer Waffen dienen könnten.

24. Bei der Regelung der Ausfuhren in Drittstaaten aus diesen Gründen üben die Mitgliedstaaten demgemäß Befugnisse aufgrund des Artikels 11 der Verordnung Nr. 2603/69 aus, und es ist davon auszugehen, daß mit dem Erlaß der fraglichen Beschränkungen der Ausfuhr von Computermaterial in Länder des früheren Ostblocks Deutschland somit gemäß dieser Bestimmung gehandelt hat. Wie im Fall einer Beschränkung nach Artikel 36 EWG-Vertrag muß deshalb jede wegen eines Verstosses gegen die Beschränkung auferlegte Sanktion im Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen (obwohl, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Aimé Richard ausführte, nicht anzunehmen ist, daß der Grundsatz der Verhältnismässigkeit in bezug auf Artikel 11 der Verordnung die gleiche Wirkung zeitigt wie in bezug auf Artikel 36 EWG-Vertrag, vgl. Punkt 29 der Schlussanträge). Unter diesen Umständen wären bei einer Entscheidung über die Gewährung oder die Verweigerung der Mehrwertsteuerbefreiung gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie alle Umstände des Falles zu berücksichtigen, einschließlich des Grades der Verantwortlichkeit des steuerpflichtigen Exporteurs für den Verstoß, vgl. Aimé Richard, a. a. O., Randnummer 25. Bei meinem Standpunkt ergibt sich diese Frage jedoch nicht, da es meines Erachtens nicht zulässig ist, eine Ausnahme von der Befreiung des Artikels 15 Absatz 1 zu machen, um nationale Beschränkungen der Ausfuhr von Gegenständen in Drittländer durchzusetzen.

Antrag

25. Die Vorlagefragen des Finanzgerichts München sollten demgemäß wie folgt beantwortet werden:

Artikel 15 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates ist dahin auszulegen, daß die Mehrwertsteuer auf die Ausfuhr von Gegenständen durch den Verkäufer in ein Drittland auch dann nicht erhoben werden darf, wenn die Ausfuhr unter Verstoß gegen ein Ausfuhrverbot für diese Gegenstände nach diesem Bestimmungsort erfolgt und ein entsprechendes Verbot im nationalen Recht aller Mitgliedstaaten vorgesehen ist.

(*) Originalsprache: Englisch.

(1) ° Siehe zu COCOM-Beschränkungen und Gemeinschaftsrecht: Inge Goväre und Piet Eeckhout On dual use goods and dualist case law: the Aimé Richardt judgement on export controls , in: Common Market Law Review 29 (1992), S. 941 bis 965.

(2) ° Zum Verhältnis zwischen den Vorschriften über die Durchfuhr durch die Gemeinschaft und über die Ausfuhr aus der Gemeinschaft vgl. die Erörterung in Goväre und Eeckhout, zitiert in Anmerkung 1, S. 944 bis 953.