SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 10. April 2003(1)
Rechtssache C-169/02 Dansk Postordreforening
gegenSkatteministeriet
(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret)
„Mehrwertsteuer-Befreiungen – Dienstleistungen öffentlicher Postdienste“
I ─ Einleitung
1. In dieser Rechtssache hat das dänische Østre Landsret zwei Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ─ Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (nachstehend: Sechste Richtlinie)
(2)
vorgelegt.
2. Im Einzelnen beziehen sich diese Fragen auf die Regelung des Artikels 13 Teil A der Sechsten Richtlinie, der Befreiungen von
der Mehrwertsteuer für bestimmte Tätigkeiten von öffentlichem Interesse vorsieht. Befreit werden u. a. die von den öffentlichen
Posteinrichtungen erbrachten Dienstleistungen und die dazu gehörenden Lieferungen von Gegenständen. Das Østre Landsret möchte
wissen, ob die Sechste Richtlinie es verbietet, dass ein Mitgliedstaat Mehrwertsteuer auf Nachnahmesendungen von Briefen und
Paketen durch die öffentlichen Posteinrichtungen an Private erhebt.
3. Ein wichtiger Gesichtspunkt in dieser Rechtssache ist der Umstand, dass mit der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der
Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (nachstehend: Postrichtlinie)
(3)
Vorschriften über den postalischen Universaldienst sowie über die Abgrenzung von Diensten geschaffen worden sind, die für
bestimmte Unternehmen oder Einrichtungen reserviert werden können. Fraglich ist, welche Bedeutung die Regelungen dieser Richtlinie
für die Auslegung von Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie haben.
II ─ Rechtlicher Rahmen
A ─ Europäisches Recht
4. Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie bestimmt unter der Überschrift
Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten, soweit hier von Belang:
(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung
einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen
und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
a) die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen und die dazu gehörenden Lieferungen von Gegenständen
mit Ausnahme der Personenbeförderung und des Fernmeldewesens ...
5. Artikel 3 der Richtlinie 97/67/EG lautet wie folgt:
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig flächendeckend postalische
Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet.
(2) Zu diesem Zweck sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die Dichte der Abhol- und Zugangspunkte den Bedürfnissen der Nutzer
entspricht.
(3) Sie tragen dafür Sorge, dass der (die) Anbieter der Universaldienstleitungen an allen Arbeitstagen, mindestens aber an fünf
Tagen pro Woche, sofern keine von der nationalen Regulierungsbehörde anerkannten besonderen Umstände oder außergewöhnlichen
geografischen Gegebenheiten vorliegen, mindestens folgende Leistungen gewährleisten:
─eine Abholung;
─eine Hauszustellung an jede natürliche oder juristische Person oder, ausnahmsweise, unter von der nationalen Regulierungsbehörde
zu beurteilenden Bedingungen, eine Zustellung an geeignete Einrichtungen.
Jede Ausnahme oder Abweichung, die von einer nationalen Regulierungsbehörde gemäß diesem Absatz gewährt wird, ist der Kommission
und allen nationalen Regulierungsbehörden mitzuteilen.
(4) Jeder Mitgliedstaat erlässt die erforderlichen Maßnahmen, damit der Universaldienst mindestens folgendes Angebot umfasst:
─Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg;
─Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 10 kg;
─die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen.
...
(7) Der in diesem Artikel definierte Universaldienst umfasst sowohl Inlandsleistungen als auch grenzüberschreitende Leistungen.
6. Artikel 7 bestimmt:
(1) Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, kann jeder Mitgliedstaat folgende Dienste für den
(die) Anbieter von Universaldienstleistungen reservieren: Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Inlandsbriefsendungen,
entweder als beschleunigte Sendungen oder normale Sendungen, mit einem Gewicht von weniger als 350 g und zu einem Preis unter
dem Fünffachen des öffentlichen Tarifs für eine Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der, soweit vorhanden, schnellsten
Kategorie der Standardsendungen. ...
(2) Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, können die grenzüberschreitende Post und Direktwerbung
innerhalb der Preis- und Gewichtsgrenzen des Absatzes 1 weiterhin reserviert werden. ...
7. Artikel 9 lautet:
(1) Für nichtreservierte Dienste, die nicht zum Universaldienst gemäß Artikel 3 gehören, können die Mitgliedstaaten Allgemeingenehmigungen
einführen, soweit diese erforderlich sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen zu gewährleisten.
(2) Für nichtreservierte Dienste, die zum Universaldienst gemäß Artikel 3 gehören, können die Mitgliedstaaten Genehmigungsverfahren
einschließlich Einzelgenehmigungen einführen, soweit diese erforderlich sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen zu gewährleisten
und den Universaldienst zu sichern. ...
B ─ Nationales Recht
8. Kapitel 2 des dänischen Gesetzes über Postunternehmen
(4)
legt Vorschriften über die Beförderungspflicht und das Monopol fest. Das Gesetz bestimmt in § 2: Der Staat ist verpflichtet, für folgende Sendungen eine landesweite Postbeförderung sicherzustellen:
1. adressierte Briefe ...,
2. andere adressierte Sendungen mit einheitlichem, gedrucktem Inhalt, ohne Verpackung, z. B. Kataloge und Broschüren,
3. Tages-, Wochen- und Monatszeitungen sowie Zeitschriften,
4. adressierte Pakete,
5. Blindensendungen.
9. Das Gesetz bestimmt in § 3: Dem Staat steht das Monopol für den Postversand inländischer adressierter Briefe zu; hierunter fallen:
─adressierte Sendungen ungeachtet ihres Inhalts, wenn dieser sich in einem Umschlag oder in einer gleichartigen Verpackung
befindet,
─adressierte schriftliche Mitteilungen, darunter Postkarten, mit individuellem Inhalt.
2. Das Monopol erstreckt sich nicht auf den Postversand adressierter Kataloge, Broschüren, Blätter oder andere Sendungen mit
einheitlichem, gedrucktem Inhalt, die sich in einer durchsichtigen Verpackung befinden.
3. Dem Staat steht ferner das Monopol für den Postversand adressierter Briefe innerhalb des dänischen Hoheitsgebiets zu, die
von Absendern in Dänemark ins Ausland oder aus dem Ausland an Adressaten in Dänemark versandt werden.
4. Der Verkehrsminister kann Vorschriften zur Einschränkung oder Aufhebung des Monopols für den Postversand adressierter Briefe,
die von Absendern in Dänemark ins Ausland versandt werden, innerhalb des dänischen Hoheitsgebiet erlassen.
5. Das Monopol für den Postversand adressierter Briefe umfasst deren Einsammlung, Beförderung und Verteilung.
6. Der Minister erlässt Vorschriften über die Gewichts- und Preisgrenzen sowie die Abmessungen für die in Absatz 1 und Absatz
3 genannten Sendungen.
7. Kurierpost fällt nicht unter das Monopol.
10. Das Monopol und die Beförderungspflicht sind im Wege der Konzession nach Kapitel 2 des Gesetzes auf Post Danmark übertragen
worden.
11. In dieser Rechtssache geht es um
Nachnahmesendungen. Hierunter ist nach dem Vorlagebeschluss eine Sendung zu verstehen, bei der die Posteinrichtung neben der eigentlichen Dienstleistung
für den Absender als Voraussetzung für die Zustellung des Briefes oder Paketes für den Absender ein Entgelt für den Inhalt
des Briefes oder Paketes einzieht und dafür sorgt, dass dieses Entgelt an den Absender gelangt.
12. Mit Zwischenurteil vom 1. Juni 2001 stellte das Østre Landsret fest, dass Brief- und Paketsendungen per Nachnahme nach dänischem
Postrecht als eine Gesamtleistung anzusehen seien. Zugleich wurde festgestellt, dass Post Danmark nicht zur Beförderung solcher
Briefe und Pakete verpflichtet sei. In dem Urteil wurde weiter entschieden, dass Post Danmark nach dem dänischen Postgesetz
kein Monopol für die Beförderung von Briefen und Paketen per Nachnahme zustehe, da das Monopol als auf Leistungen beschränkt
anzusehen sei, für die eine Beförderungspflicht bestehe.
13. Damit komme ich zur dänischen Mehrwertsteuer-Gesetzgebung für Leistungen der Posteinrichtungen. Mit Gesetz Nr. 442 vom 10.
Juni 1997 u. a. zur Änderung des Mehrwertsteuergesetzes wurde § 13 Absatz 1 Nummer 13 des dänischen Mehrwertsteuergesetzes
wie folgt geändert:
Folgende Waren und Leistungen sind von der Steuer befreit: ... die Einsammlung und Verteilung adressierter Briefe, Pakete
sowie Tages-, Wochen- und Monatszeitungen sowie Zeitschriften durch Post Danmark. Die Befreiung gilt ferner für die Beförderung
adressierter Briefe und Pakete, die als Einschreiben oder mit Wertangabe versandt werden, durch Post Danmark.
14. In der Begründung des Entwurfs des Gesetzes u. a. zur Änderung des Mehrwertsteuergesetzes findet sich Folgendes zu Nachnahmesendungen:
Aufgrund administrativ nach dem Postgesetz vorgenommener Änderungen werden solche Sendungen ab 1. Juli 1996 als eine Gesamtleistung
behandelt, die nicht unter die Beförderungspflicht fällt. Das Mehrwertsteuergesetz enthält aber keine ausreichende Grundlage,
um die Versendung von Briefen und Paketen per Nachnahme als Ganzes der Mehrwertsteuerpflicht zu unterwerfen. Aufgrund des
geänderten Wortlauts werden diese Sendungen vollständig von der Steuerpflicht erfasst, und gleichzeitig wird eine vollständige
Parallelität zwischen der Mehrwertsteuerbefreiung und der Beförderungspflicht von Post Danmark nach dem Gesetz Nr. 89 vom
8. Februar 1995 über Postunternehmen erreicht.
15. Auf dieser Grundlage wird ab 1. Juli 1996 auf den Gesamtwert der Dienstleistung, die in der Beförderung von Briefen und Paketen
per Nachnahme durch Post Danmark besteht, Mehrwertsteuer erhoben, während die Beförderung entsprechender Briefe und Pakete
ohne Nachnahme mehrwertsteuerfrei ist.
16. Ab 1. Januar 2002 ist die Versendung von Paketen zwischen Unternehmen ─ als besonderer Dienst ─ von der Beförderungspflicht
ausgenommen. Infolgedessen wird dieser Dienst als mehrwertsteuerpflichtig angesehen.
III ─ Sachverhalt und Verfahrensrahmen
17. In Dänemark sind die öffentlichen Posteinrichtungen als selbständiges öffentliches Unternehmen unter dem Namen Post Danmark
organisiert. Das Unternehmen bietet u. a. Nachnahmesendungen für Briefe und Pakete an. Es hat ungefähr 1 100 öffentliche Postämter
im ganzen Land, die zum Teil von ihm selbst und zum Teil gemeinsam mit örtlichen Unternehmen (Postagenturen in Läden usw.)
betrieben werden. In der Praxis wird ein Großteil der Nachnahmesendungen für Private im Postamt abgeholt, weil der Empfänger
bei der Zustellung der Sendung nicht zu Hause war.
18. Obwohl Post Danmark Paketdienstleistungen und die Beförderung schwerer Briefe (über 250 g) im Wettbewerb mit anderen Postunternehmen
erbringt, war das Unternehmen über eine Reihe von Jahren tatsächlich der einzige Anbieter von Nachnahmesendungen an private
Haushalte im großen Maßstab und ist es noch heute.
19. Im Bereich Paketsendungen bietet Post Danmark Privatpersonen ein Produkt namens
Privatpakete an; es handelt sich hierbei um Pakete, deren Versand an private Empfänger aufgrund eines gewerblichen Vertrags zwischen Post
Danmark und Handelsunternehmen, darunter Mitglieder des Dansk Postordreforening, angeboten wird. Post Danmark liefert ferner
das Produkt
Postpakete, worunter normale Pakete zu verstehen sind, die im Postamt aufgegeben werden, d. h. typisch private Sendungen.
20. Post Danmark hat nach dänischem Recht eine Beförderungspflicht, wenn ein Brief, ein
Privatpaket oder ein
Postpaket ohne Nachnahme versandt wird. Diese Sendungen sind überdies von der Mehrwertsteuer befreit. Wird ein Brief, ein
Privatpaket oder ein
Postpaket hingegen per Nachnahme versandt, so besteht keine Beförderungspflicht, und für die gesamte Leistung wird Mehrwertsteuer erhoben.
21. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist dem Vorlagebeschluss zufolge ein Verband, dem eine große Zahl von Versandhäusern in
Dänemark angehört. Verbandszweck ist u. a. die Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder gegenüber Post Danmark, Tele Danmark
anderen gemeinschaftlichen Geschäftspartnern, Behörden, Organisationen sowie der Allgemeinheit. Die Verbandsmitglieder versenden
bestellte Waren an private Verbraucher u. a. per Nachnahme.
22. Das Ausgangsverfahren wurde am 3. Mai 1999 anhängig gemacht und betrifft die Frage, ob und, falls ja, inwieweit Artikel 13
Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie einen Mitgliedstaat daran hindert, auf die Versendung von
Briefen und Paketen per Nachnahme an Private durch die öffentlichen Postunternehmen Mehrwertsteuer zu erheben.
23. Das Østre Landsret hat daher mit Beschluss vom 1. Mai 2002, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 6. Mai 2002,
um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Ist Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 77/388/EWG des Rates) dahin auszulegen,
dass
i) ein Mitgliedstaat berechtigt ist, auf Nachnahmesendungen von Briefen und Paketen durch die öffentliche Posteinrichtung Mehrwertsteuer
zu erheben, wenn der Mitgliedstaat diese Sendungen von dem Monopol und der Beförderungspflicht nach der Postgesetzgebung dieses
Mitgliedstaats ausgenommen hat, oder
ii) ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Mehrwertsteuererhebung auf solche Sendungen zu unterlassen?
2. Für den Fall, dass weder Frage 1 i noch 1 ii eindeutig bejaht werden kann: Nach welchen Kriterien ist zu entscheiden, ob ein
Mitgliedstaat unter den in Frage 1 i beschriebenen Umständen berechtigt ist, Mehrwertsteuer auf Nachnahmesendungen von Briefen
oder Paketen an Private zu erheben, oder verpflichtet ist, die Erhebung von Mehrwertsteuer auf derartige Sendungen zu unterlassen?
24. In dieser Rechtssache sind beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen vom Kläger und vom Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie
von der Kommission und der italienischen Regierung eingereicht worden. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
IV ─ Näheres zum maßgebenden Gemeinschaftsrecht
A ─ Inhalt der Sechsten Richtlinie und insbesondere des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a
25. Die Hauptregel der Sechsten Richtlinie ist die, dass auf jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführt,
Mehrwertsteuer erhoben wird (Artikel 2). Abschnitt X, zu dem Artikel 13 gehört, sieht insbesondere Mehrwertsteuerbefreiungen
für bestimmte Arten von Umsätzen vor. Eine in der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung stellt eine Ausnahme von der Hauptregel
des Artikels 2 der Richtlinie dar. Eine solche Ausnahme kann nur dann dem Gemeinschaftsrecht entsprechen, wenn sie in Bestimmungen
dieser Richtlinie ausdrücklich zugelassen worden ist.
26. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a legt eine Mehrwertsteuerbefreiung für die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten
Dienstleistungen und die dazu gehörenden Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme der Personenbeförderung und des Fernmeldewesens
fest. Der Artikel ist sehr weit formuliert, und die Richtlinie definiert die Begriffe
öffentliche Posteinrichtungen und
ausgeführte Dienstleistungen im Sinne des Artikels nicht näher.
27. Der Gerichtshof hat deshalb zu entscheiden, welche ausgeführten Dienstleistungen der öffentlichen Posteinrichtungen unter
die Mehrwertsteuerbefreiungen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a fallen. Aus der Vielzahl von Urteilen zur Sechsten
Richtlinie und insbesondere zu Artikel 13 Teil A geht hervor, dass trotz des Detailreichtums der Richtlinie die Tragweite
der Ausnahmen nicht für sich selbst spricht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes gibt eine Richtschnur an die Hand, mit deren
Hilfe Inhalt und Zweck der Begriffe des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestimmt werden können.
28. Zunächst eine Vorbemerkung: Die Befreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie gelten für wirtschaftliche Tätigkeiten,
die auf bestimmte Ziele gerichtet sind. Die Umschreibung dieser Tätigkeiten erfolgt aber nicht immer anhand rein materieller
oder funktionaler Begriffe. In den meisten Bestimmungen ─ darunter die Ausnahme in Buchstabe a ─ wird auch festlegt, wie der
befreite Umsatz vonstatten gehen muss.
29. Die Wendungen, die gebraucht werden, um die in Artikel 13 festgelegten Befreiungen zu umschreiben, müssen eng ausgelegt werden.
In der Rechtsprechung werden hierfür vier Gründe angeführt. Erstens befreit Artikel 13 nicht alle dem Gemeinwohl dienenden
Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer, sondern nur diejenigen, die einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben werden
(5)
. Zweitens ist eine enge Auslegung erforderlich, weil es um eine Ausnahme von der Hauptregel geht, dass auf jede Dienstleistung,
die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, Mehrwertsteuer erhoben wird
(6)
. Drittens müssen die Vorschriften eng ausgelegt werden, um die Gleichheit der Besteuerung sicherzustellen. Damit wird einer
Wettbewerbsverfälschung vorgebeugt
(7)
. Viertens ist der Grundsatz der Steuerneutralität zu beachten.
30. Mit diesem Grundsatz will der Gemeinschaftsgesetzgeber eine vollständig neutrale Steuerbelastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten
ohne Rücksicht auf den Zweck oder das Ergebnis dieser Tätigkeiten sicherstellen, vorausgesetzt, die Tätigkeiten sind an sich
der Mehrwertsteuerbelastung unterworfen. In diesem Zusammenhang ist das Urteil Gregg von Bedeutung
(8)
. Darin hat der Gerichtshof die Umsätze von Einrichtungen oder Organisationen weit ausgelegt. Der Gerichtshof hat sich u. a.
auf den Grundsatz der Neutralität der Besteuerung gestützt. Unternehmer, die die gleichen Umsätze ausführen, dürfen bei der
Mehrwertsteuererhebung nicht aufgrund ihrer Rechtsform unterschiedlich behandelt werden.
31. Übrigens sind die beiden Grundsätze, Gleichheit und Neutralität der steuerlichen Belastung, vergleichbare Begriffe; sie werden
allerdings in unterschiedlichem Kontext gebraucht. Der erste Begriff wird in einem zwischenstaatlichen Kontext verwendet,
der zweite weist auf eine inländische Angelegenheit hin.
32. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Befreiungen autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts, die im allgemeinen Rahmen des
mit der Sechsten Richtlinie eingeführten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu sehen sind und die bezwecken, eine unterschiedliche
Anwendung dieses Systems in den Mitgliedstaaten zu verhindern
(9)
.
33. Im Urteil Kommission/Deutschland vom 11. Juli 1985 wurde der Begriff der Posteinrichtungen definiert. Diesem Urteil ist zu
entnehmen, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nur auf öffentliche Posteinrichtungen anzuwenden
ist. Darunter versteht der Gerichtshof eine öffentlich-rechtliche Einrichtung oder einen besonderen Konzessionsinhaber, dem
ein Mitgliedstaat die postalischen Tätigkeiten übertragen hat. Andere gewerbliche Unternehmen sind von der Mehrwertsteuerbefreiung
ausgenommen, auch wenn ihre Tätigkeiten demselben Zweck dienen
(10)
.
34. Ich mache darauf aufmerksam, dass dieses Urteil vor dem Erlass der Postrichtlinie und der damit zusammenhängenden Änderung
der Verhältnisse im Postsektor ergangen ist. Der Gerichtshof konnte daher auch den Begriff
öffentliche Posteinrichtung nicht im Licht der Regelung der Richtlinie beurteilen. Hierauf komme ich bei meiner Beurteilung zurück.
35. Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen große Unterschiede in der Art und Weise, in der Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe
a der Sechsten Richtlinie umgesetzt wurde. So gilt in Deutschland die Befreiung für Sendungen bis 2 000 g und umfasst auch
Nachnahmesendungen. In Österreich sind Universaldienste bis 2 kg und Pakete bis 20 kg von der Mehrwertsteuer befreit. Diese
Dienstleistungen werden von der Österreichischen Post Aktiengesellschaft erbracht. Nachnahmesendungen gehören nach österreichischem
Recht zu den Universaldiensten und sind von der Mehrwertsteuer befreit. In Belgien und Frankreich sind die von der öffentlichen
Posteinrichtung ausgeführten Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreit; darunter fallen auch Nachnahmesendungen. Demgegenüber
sind in Finnland und Schweden alle Postdienstleistungen der Mehrwertsteuer unterworfen.
B ─ Inhalt der Postrichtlinie
36. Die Postrichtlinie enthält u. a. Vorschriften über den Mindestumfang des Universaldienstes und den Höchstumfang des reservierten
Sektors, Voraussetzungen für die Zuweisung nichtreservierter Dienste und den Zugang zum Postnetz, Vorschriften über Tarifierungsgrundsätze
und Transparenz der Rechnungslegung, die Qualität der Dienste und die Harmonisierung der technischen Normen. Mit diesen Vorschriften,
in denen vor allem Grundsätze und Grenzen festgelegt sind, wurde ein gemeinschaftlicher Rahmen geschaffen, an den die Mitgliedstaaten
ihre Vorschriften anzupassen haben.
37. Die wichtigsten Ziele der Postrichtlinie sind die Verbesserung der Qualität der europäischen Postdienste und die Vollendung
des Binnenmarktes für Postdienste. Die wichtigsten Ausgangspunkte sind eine schrittweise kontrollierte Öffnung des Marktes
für den Wettbewerb und die Sicherstellung der Erbringung eines an Mindesterfordernisse gebundenen Universalpostdienstes in
der gesamten Europäischen Union.
38. Der elften und der zwölften Begründungserwägung der Postrichtlinie ist zu entnehmen, dass der Universaldienst ein Mindestangebot
an Diensten einer bestimmten Qualität umfasst, die allen Nutzern zur Verfügung stehen müssen. Auch Personen, die in abgelegenen
Gebieten wohnen, müssen mindestens an fünf Tagen in der Woche die Möglichkeit haben, Post zu versenden und zu empfangen.
39. Die Mitgliedstaaten können bestimmte Dienste für den (die) Anbieter des Universaldienstes reservieren, soweit dies für die
Aufrechterhaltung des Universaldienstes erforderlich ist. Diese reservierten Dienste können aus ausschließlichen oder besonderen
Rechten bestehe. Ausschließliche Rechte sind Rechte, die von einem Mitgliedstaat im Gesetzes- oder Verwaltungswege vergeben
werden und mit denen die Erbringung von Postdiensten für ein Unternehmen reserviert wird; damit erhält dieses Unternehmen
für ein bestimmtes geografisches Gebiet das Monopol für die Erbringung eines Postdienstes oder für eine Tätigkeit. Besondere
Rechte sind solche, die von einem Mitgliedstaat im Gesetzes- oder Verwaltungswege an eine bestimmte Anzahl von Unternehmen
vergeben werden, wobei für ein bestimmtes geografisches Gebiet u. a. die Zahl der Unternehmen, denen die Erlaubnis zur Erbringung
eines Postdienstes erteilt wurde, auf zwei oder mehr beschränkt werden kann
(11)
.
40. In Artikel 7 der Postrichtlinie sind einige Beschränkungen für die Dienste aufgeführt, die von den Mitgliedstaaten reserviert
werden können. Nur solche Dienste, die innerhalb einer bestimmten Preis- und Gewichtskategorie bleiben, dürfen reserviert
werden. Der Dokumentenaustausch ist überhaupt nicht reservierbar
(12)
.
41. Zur Verdeutlichung sei hervorgehoben, dass Universaldienste und reservierte Dienste nicht zusammenfallen müssen. Nur eine
kleine Gruppe von Universaldiensten kann für einen oder mehrere Anbieter mit Hilfe ausschließlicher oder besonderer Rechte
reserviert werden. Wenn ein Dienst nicht reservierbar ist, sondern zum Universaldienst gehört, kann ein Mitgliedstaat einem
Unternehmen Einzelgenehmigungen erteilen. Damit werden einem Unternehmen spezifische Rechte verliehen und die Tätigkeiten
bestimmten Verpflichtungen unterworfen. Dieses Unternehmen erhält aber damit keine Marktposition, die es von anderen Unternehmen
unterscheidet; eine Beschränkung der Zahl der Unternehmen, die eine Genehmigung erhalten können, ist nicht möglich.
42. Falls ein Dienst nicht reservierbar ist und nicht zum Universaldienst gehört, kann der Mitgliedstaat allgemeine Vorschriften
erlassen, um Grundanforderungen sicherzustellen. Grundanforderungen sind im allgemeinen Interesse liegende Gründe nichtwirtschaftlicher
Art, die einen Mitgliedstaat veranlassen können, für die Erbringung von Postdiensten Bedingungen vorzuschreiben. Es geht hierbei
u. a. um die Vertraulichkeit der Briefpost und das sichere Funktionieren des Postnetzes bei der Beförderung gefährlicher Stoffe.
Mit dieser Regelung führt die Richtlinie eine Teilharmonisierung ein.
43. Diese Teilharmonisierung verleiht den Mitgliedstaaten eine beschränkte Befugnis, Maßnahmen zu erlassen, die sich als Wettbewerbsstörungen
erweisen können. Die Mitgliedstaaten dürfen Anbieter von Postdiensten unterschiedlich behandeln, indem sie einem oder mehreren
Anbietern ausschließliche oder besondere Rechte übertragen. Weil bestimmte Dienste reserviert werden können, führt dies unvermeidlich
zu Beschränkungen bei der Erbringung solcher Dienste durch andere in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässige und durch in
anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen.
44. Es steht übrigens den Mitgliedstaaten frei, Maßnahmen einzuführen, die eine stärkere Liberalisierung bewirken als die Vorschriften
der Postrichtlinie; sie müssen aber mit dem EG-Vertrag vereinbar sein.
V ─ Erklärungen der Verfahrensbeteiligten
45. Im Folgenden werden die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten wiedergegeben, soweit sie hier von Belang sind.
46. Das Skatteministeriet (nachstehend: Finanzministerium) hat in seinen Erklärungen ausgeführt, dass es bei der Beurteilung
der Frage, welche ausgeführten Dienstleistungen unter die Befreiung fielen, auf den Zweck des Artikels 13 Teil A Absatz 1
ankomme. Die Mitgliedstaaten hätten somit das Recht, zu entscheiden, ob die von den nationalen Posteinrichtungen ausgeführten
Dienstleistungen dem
Gemeinwohl dienten. Die Dienste, die einer solchen Prüfung standhielten, seien gemäß Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten
Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit. Universaldienste, die von nationalen Posteinrichtungen erbracht würden, dienten
dem Gemeinwohl, während Dienste, die von nationalen Posteinrichtungen auf freiwilliger Basis und somit grundsätzlich im Wettbewerb
mit anderen bestehenden oder potenziellen Unternehmen erbracht würden, nicht unter die Mehrwertsteuerbefreiung fallen könnten.
47. In diesem Zusammenhang unterstreicht das Finanzministerium, dass, falls für nationale Posteinrichtungen für Dienste, die in
freiem Wettbewerb mit anderen tatsächlichen oder potenziellen Anbietern vergleichbarer Dienste erbracht würden, eine Mehrwertsteuerbefreiung
gelte, eine Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie widersprechende Wettbewerbsverzerrung eintreten würde. Nach diesem
Artikel würden Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Steuerpflichtige behandelt, wenn ihre Tätigkeiten oder Leistungen
bei Steuerbefreiung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würden.
48. Es komme hinzu, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie im Licht der weitgehenden Liberalisierung
ausgelegt werden müsse, die auf dem Gebiet der Posteinrichtungen seit dem Erlass der Sechsten Richtlinie erfolgt sei. Es sei
nie bezweckt worden, solche Dienste von der Steuer zu befreien, die von nationalen Posteinrichtungen in freiem Wettbewerb
mit den üblichen gewerblichen Unternehmen etwa im Kurier- und Paketdienst erbracht würden. Die Bestimmung müsse als im Hinblick
auf Pflichtpostdienste eingeführt gelten, die für die Bürger in den Mitgliedstaaten von allgemeinem Interesse seien.
49. Das Finanzministerium kommt somit zu dem Schluss, dass nur Universaldienste unter die Befreiung des Artikels 13 Teil A Absatz
1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie fallen. Dienste wie Nachnahmesendungen von Briefen und Paketen, die im freien Wettbewerb
mit üblichen gewerblichen Unternehmen erbracht würden, fielen nicht unter die Befreiung.
50. Die Kommission ist derselben Auffassung wie das Finanzministerium. Nachnahmesendungen könnten nicht von der Mehrwertsteuer
befreit werden. Sie gelangt aber auf einem anderen Weg zu diesem Ergebnis.
51. Da in der Sechsten Richtlinie eine Reihe von Begriffen nicht definiert werde, müsse bei der Auslegung auf andere Regelungen
abgestellt werden
(13)
.
52. Daraus, dass die Postrichtlinie ein Mindestpaket an Diensten vorschreibe (die Universaldienste), die für die Mitgliedstaaten
die Pflicht bedeuteten, sie allen Verbrauchern anzubieten, schließt die Kommission, dass diese Dienste im Allgemeininteresse
erbracht würden. Sie verweist darauf, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, bestimmte Dienste zu reservieren. Das sei
keine Verpflichtung. Wenn ein Postdienst nicht für einen Anbieter reserviert werde, aber von der Mehrwertsteuer befreit sei,
führe dies zu einer steuerlichen Diskriminierung zwischen verschiedenen Dienstleistenden. Der Grundsatz der Steuerneutralität
sei gefährdet, wenn ein Postdienst nicht reserviert sei, bestimmte Dienstleistende jedoch steuerlich unterschiedlich behandelt
würden. Ein Dienst dürfe daher nur dann befreit werden, wenn er reserviert sei. In dieser Weise werde der Grundsatz der Steuerneutralität
gewahrt.
53. Weil es den Mitgliedstaaten freistehe, Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, die eine stärkere Liberalisierung herbeiführten
als die Vorschriften der Postrichtlinie, könne die Tragweite der Befreiung von Staat zu Staat unterschiedlich sein. Die Kommission
betrachtet das aber nicht als Problem, weil diese Möglichkeit ausdrücklich in der Richtlinie anerkannt werde.
54. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a wie folgt auszulegen sei. Ein Mitgliedstaat
sei verpflichtet, den Postdienst von der Mehrwertsteuer zu befreien, wenn die Dienste reserviert seien. Nachnahmesendungen
von Briefen und Paketen seien in Dänemark nicht von dem Mitgliedstaat reserviert, was zur Folge habe, dass keine Befreiung
von der Mehrwertsteuer stattfinden dürfe.
55. Der Dansk Postordreforening teilt nicht die Auffassung des Finanzministeriums und der Kommission. Nach seiner Meinung spielt
die Überschrift des Artikels 13 Teil A,
Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten, bei der Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 keine Rolle. Die Überschrift und der Wortlaut der Bestimmung könnte nämlich
nur so aufgefasst werden, dass der Gesetzgeber die Dienstleistungen der Posteinrichtung als dem Gemeinwohl dienend betrachte.
Zwischen den von der Posteinrichtung angebotenen Diensten könnten deshalb nicht die dem Gemeinwohl dienenden und die nicht
dem Gemeinwohl dienenden unterschieden werden. Die Begriffe
Gemeinwohl und
von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführte Dienstleistungen in Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie seien gemeinschaftsrechtliche Begriffe, und es sei nicht Sache des einzelnen
Mitgliedstaats, diese Begriffe willkürlich zu beschränken.
56. Der Dansk Postordreforening ist daher nicht mit dem Standpunkt des Finanzministeriums einverstanden, dass die Mitgliedstaaten
das Recht hätten, zu entscheiden, ob die von den nationalen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen dem
Gemeinwohl dienten. Die Mitgliedstaaten könnten nur Maßnahmen zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen
ergreifen.
57. Der Dansk Postordreforening ist weiter der Meinung, dass es dem Wortlaut der Sechsten Richtlinie widerspreche, zwischen Universaldiensten
und auf freiwilliger Grundlage verrichteten Diensten zu unterscheiden. Es lasse sich argumentieren, dass die Bestimmungen
nicht für alle Dienstleistungen der Post, sondern nur für die klassischen Postdienstleistungen gedacht seien. Mit einer solchen
Auslegung gehe man indessen an der klaren Fassung der Bestimmung vorbei, die lediglich eine Ausnahme für die Personenbeförderung
und das Fernmeldewesen vorsehe.
58. Der Dansk Postordreforening führt noch zwei besondere Gründe dafür an, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten
Richtlinie nicht restriktiv ausgelegt werden dürfe:
─In Artikel 13 Teil A Absatz 2 würden bestimmte Dienstleistungen und Lieferungen von Waren von der Befreiung ausgenommen. Artikel
13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a werde aber in der erstgenannten Vorschrift nicht genannt. Daraus sei a contrario zu schließen,
dass kein Grund bestehe, Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a restriktiv auszulegen.
─Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bezwecke, die Posteinrichtung besser funktionieren zu lassen
und die Versendung im Postwege preisgünstiger zu machen. Die Erhebung von Mehrwertsteuer auf Brief- und Paketsendungen per
Nachnahme widerspreche diesem Zweck. Es bestehe daher kein Grund für eine restriktive Auslegung der Vorschrift, mit der für
einige Postsendungen doch Mehrwertsteuer erhoben werden könnte.
59. Die Absicht, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, kann nach Meinung des Dansk Postordreforening ebenso wenig dazu führen,
dass es nach der Sechsten Richtlinie zulässig wäre, für Sendungen an Private Mehrwertsteuer auf die betreffenden Dienste zu
erheben. Der Gemeinschaftsgesetzgeber habe dem Ziel, nämlich einem besser funktionierenden Markt für Postdienstleistungen,
den Vorrang vor dem Ziel der Verhinderung einer Wettbewerbsverzerrung eingeräumt. Obwohl seit Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie
mehr Wettbewerb auf dem Markt für Postleistungen herrsche, könne dies für den Gerichtshof kein Grund sein, die Bestimmung
anders auszulegen. Es sei Sache des Rates und des Parlaments, zu entscheiden, ob durch die veränderten Marktbedingungen die
Sechste Richtlinie geändert werden müsse.
60. Die italienische Regierung ist mit dem Dansk Postordreforening der Ansicht, dass Nachnahmesendungen von der Mehrwertsteuer
befreit werden müssten. Diese Dienste dürften aber von der Mehrwertsteuer nur für den Betrag befreit werden, der dem Einstandspreis
der öffentlichen Posteinrichtung entspreche. Wenn ein privatrechtlicher Anbieter diese Dienste ebenfalls anbiete, müsse Mehrwertsteuer
nur auf den Teilbetrag erhoben werden, der über dem Einstandspreis der öffentlichen Posteinrichtung liege. Diese Auslegung
entspreche dem Ziel der Sechsten Richtlinie.
VI ─ Beurteilung
A ─ Einleitung
61. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist eine der Ausnahmen von der Hauptregel, dass für jede von
einem Steuerpflichtigen erbrachte Dienstleistung Mehrwertsteuer zu entrichten ist. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a
enthält für alle Mitgliedstaaten die Pflicht, Befreiungen für die durch öffentliche Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen
zu gewähren
(14)
. Wenn ein Umsatz in den Bereich einer Ausnahme fällt, müssen die Mitgliedstaaten die Ausnahme anwenden.
62. Artikel 13 Teil A Absatz 2, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, bestimmte Befreiungen zu beschränken, spielt in dieser Rechtssache
keine Rolle, weil in dieser Vorschrift Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nicht genannt wird.
Die Aufzählung in Absatz 2 ist abschließend.
63. Es bedarf somit nur eines Blickes auf den Wortlaut des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a. Der Überschrift von Artikel
13 Teil A kommt meines Erachtens keine selbständige Bedeutung zu. Die Überschrift eines Artikels gehört nicht zum normativen
Teil einer Regelung. Ebenso wie der Titel der ganzen Regelung oder eines Teils davon umschreibt der Titel (die Überschrift)
eines Artikels den Gegenstand dessen, was folgt. Eine Überschrift hat Erläuterungswert. Gleichwohl kann aus der Überschrift
einer Bestimmung die Zielsetzung des Gesetzgebers abgeleitet werden. In diesem Sinne kann die Überschrift bei der Beurteilung
durch den Gerichtshof eine Rolle spielen. So verstehe ich auch den Begriff des Gemeinwohls in der Überschrift von Artikel
13 Teil A. Der Begriff bewirkt daher keine unmittelbare Begrenzung, bestimmt aber gleichwohl die Auslegung der in Artikel
13 festgelegten Befreiungen
(15)
. Die Überschrift hat in der vorliegenden Rechtssache nur die Bedeutung, dass, wenn es sich um eine von öffentlichen Posteinrichtungen
ausgeführte Dienstleistung handelt, das Gemeinwohl zu bejahen ist.
64. Nach der Feststellung, dass die Überschrift keine selbständige Bedeutung hat, komme ich nun zum eigentlichen Inhalt des Artikels.
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie formuliert zwei Kriterien, nämlich
ausgeführte Dienstleistungen und
öffentliche Posteinrichtungen. Der erste Begriff ist sehr weit und umfasst alle Dienstleistungen der öffentlichen Posteinrichtung. Seine Abgrenzung erfährt
er denn auch mit dem zweiten Kriterium
öffentliche Posteinrichtung.
65. Der Rechtsprechung zur Sechsten Richtlinie ist zu entnehmen, dass die Wendungen, die zur Umschreibung der in Artikel 13 festgelegten
Befreiungen verwendet werden, eng auszulegen sind. Dafür gibt es vier Gründe. Erstens befreit Artikel 13 nicht alle dem Gemeinwohl
dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer, sondern nur diejenigen, die in ihm einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben
sind
(16)
. Zweitens ist eine restriktive Auslegung erforderlich, weil es um eine Ausnahme von der Hauptregel geht, dass auf jede Dienstleistung,
die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, Mehrwertsteuer erhoben wird
(17)
. Drittens müssen die Bestimmungen eng ausgelegt werden, um die Gleichheit der Besteuerung sicherzustellen. Damit wird einer
Verfälschung des Wettbewerbs vorgebeugt
(18)
. Viertens ist der Grundsatz der Steuerneutralität zu beachten
(19)
.
B ─ Die reservierten Dienste
66. Das Urteil Kommission/Deutschland von 1985
(20)
, in dem der Begriff der öffentlichen Posteinrichtungen definiert wurde, ist für mich der Ausgangspunkt für den Inhalt dieses
Begriffes, aber damit sind die Fragen des vorlegenden Gerichts noch nicht beantwortet. Denn der Begriff
öffentliche Posteinrichtung muss auch im Licht der Postrichtlinie von 1997 betrachtet werden. Diese Richtlinie ist später in Kraft getreten als die Sechste
Richtlinie, und mit ihr ist die Öffnung des Postmarktes in Gang gesetzt und sind den Mitgliedstaaten minimal harmonisierte
Vorschriften über Universaldienste auferlegt worden. Seither ist der Postsektor beträchtlich geändert und teilweise liberalisiert
worden.
67. Die Postrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen Universaldienst sicherzustellen, der allen Nutzern Dienstleistungen
von hoher Qualität bietet. Ein Mitgliedstaat ist befugt, bestimmte Dienste für ein oder mehrere Unternehmen zu reservieren.
Die Mitgliedstaaten erhalten diese Befugnis zur Aufrechterhaltung des Universaldienstes.
68. Die Mitgliedstaaten verfügen hierbei über einen weiten Ermessensspielraum. Die Ermessensbefugnis umfasst nicht nur die Festlegung
des Umfangs der reservierten Dienste ─ in den von der Richtlinie festgelegten Grenzen ─, sondern die Mitgliedstaaten sind
auch frei bei der Festlegung, für wen die Dienste reserviert werden. Das kann ein öffentlicher Versorgungsdienst sein, aber
auch ein gewerbliches Unternehmen. Es kommt hinzu, dass sie die Postdienste für eine oder mehrere Dienste oder Unternehmen
reservieren können.
69. Der Inhalt des Begriffes des öffentlichen Versorgungsdienstes (
service public) kann aus dem Urteil Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich/Kommission hergeleitet werden. Nach diesem Urteil ist
als öffentliche Einrichtung jedes Unternehmen anzusehen, auf das die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar über die
Mehrheit des Kapitals, die Mehrheit der Stimmrechte oder entsprechende Vorschriften einen beherrschenden Einfluss ausüben
kann
(21)
. Im Zusammenhang mit der Post ging es dabei um die traditionellen (staatlichen) Posteinrichtungen in den Mitgliedstaaten,
wobei es nicht darauf ankommt, ob diese eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsform haben.
70. Seit diesem Urteil haben sich aber die öffentlichen Dienstleistungen ─ im Postsektor, aber auch in anderen Sektoren ─ in ihrem
Charakter tief greifend verändert. Es sind nicht mehr immer Organe der öffentlichen Hand selbst oder Organe, an denen die
öffentliche Hand beteiligt ist, die die öffentlichen Dienstleistungen anbieten. Auch privatrechtliche Unternehmen mit vollständig
gewerblicher Ausrichtung können diese Dienstleistungen übernehmen. Bei der Frage, ob es sich um einen öffentlichen Versorgungsdienst
handelt, geht es nicht mehr um den Einfluss der öffentlichen Hand am Unternehmen selbst, sondern um den Einfluss der öffentlichen
Hand auf die Tätigkeiten des Unternehmens. Die öffentliche Hand garantiert mit anderen Worten bei einem öffentlichen Versorgungsdienst,
dass ein Dienst erbracht wird, erbringt ihn aber nicht notwendig selbst oder mit Hilfe eines mit ihr verbundenen Unternehmens.
71. Ich verknüpfe diesen Punkt mit Artikel 86 Absatz 1 EG. Der Begriff des öffentlichen Versorgungsdienstes beschränkt sich nicht
auf ein öffentliches Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift, sondern umfasst auch Unternehmen, denen die öffentliche Hand
besondere oder ausschließliche Rechte überträgt. Diese Rechte sind notwendig, um die diesen Unternehmen übertragene besondere
öffentliche Aufgabe erfüllen zu können.
72. Damit kehre ich zur Postrichtlinie zurück. Wie gesagt können Dienste, die unter den Universaldienst fallen, auch für Unternehmen
mit vollständig gewerblicher Ausrichtung reserviert werden. Diese Unternehmen erhalten damit nicht nur das Recht, die Dienstleistung
auszuführen, sondern werden auch verpflichtet, die Post entsprechend der Richtlinie zuzustellen und abzuholen. Der Bürger
erhält damit gegen dieses Unternehmen einen Anspruch auf Ausführung dieser Dienstleistung.
73. Fraglich ist nun, ob diese gewerblichen Unternehmen damit den Charakter einer öffentlichen Posteinrichtung im Sinne der Sechsten
Richtlinie erhalten. Nach dem bisher Ausgeführten kann diese Frage nur bejaht werden. Diese Unternehmen werden nämlich auf
der Grundlage des öffentlichen Rechts mit einer bestimmten Aufgabe betraut. Ihr (unter Umständen geteiltes) Monopol für die
Dienstleistungen hängt unmittelbar mit der öffentlichen Aufgabe zusammen, die sie erfüllen. Außerdem macht es für die Erfüllung
der Aufgabe keinen Unterschied, wer mit der Aufgabe betraut worden ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz
der Steuerneutralität, dem zufolge Unternehmen, die die gleichen Umsätze tätigen, nicht bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich
behandelt werden dürfen
(22)
. Als ergänzendes Argument führe ich noch an, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, gleichzeitig sowohl einen öffentlichen
Versorgungsdienst als auch ein gewerbliches Unternehmen mit der Ausführung ─ eines Teils ─ des Universaldienstes zu betrauen.
Dann steht eine ungleiche steuerliche Behandlung beider überhaupt nicht in Frage.
74. Eine andere Auffassung würde darüber hinaus mit Ziel und Tragweite der Postrichtlinie und der Mehrwertsteuerbefreiung in Widerspruch
geraten. Denn die Erbringung des Universaldienstes und insbesondere der reservierten Dienstleistung darf so wenig wie möglich
Beschränkungen unterworfen werden. Der Befreiung würde jede Bedeutung genommen, wenn in einem Mitgliedstaat die Besorgung
der Post nicht mehr von einem öffentlichen Unternehmen im Sinne des Urteils Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich/Kommission
(23)
ausgeführt würde. Es ist aber gerade das Ziel der Postrichtlinie, zu einer Liberalisierung des Postsektors zu gelangen. Auch
reservierte Dienstleistungen müssten so weit wie möglich gewerblichen Unternehmen zugewiesen werden. Es spricht für sich,
dass eine ungünstigere steuerliche Behandlung gewerblicher Unternehmen gegenüber öffentlichen Unternehmen die Liberalisierung
nicht fördert.
75. Die Befreiung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a bezweckt gerade, bestimmte Tätigkeiten im Sinne des Gemeinwohls
günstiger zu behandeln. Es würde nicht dazu passen, auf diese Dienste Mehrwertsteuer zu erheben. Das wirkt sich hindernd aus.
Ein Unternehmen, das reservierte Dienste erbringt, tritt an die Stelle des klassischen (staatlichen) Postdienstes, wie er
vor dem Inkrafttreten der Postrichtlinie bestand. Als Folge der Postrichtlinie und der mit ihr einhergehenden Liberalisierung
des Postsektors erhält der Begriff
öffentliche Posteinrichtung der Sechsten Richtlinie einen anderen Inhalt.
76. Ich fasse zusammen: Ein Unternehmen, für das ein Postdienst nach Maßgabe der Postrichtlinie reserviert ist, muss als
öffentliche Posteinrichtung im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a behandelt werden, jedenfalls soweit es die Ausführung von Diensten betrifft,
die reserviert sind. Weder die Rechtsform noch die Zielsetzung des Unternehmens sind dabei von Bedeutung.
77. Das bedeutet, dass mehr Lieferanten von der Mehrwertsteuerbefreiung profitieren können, nämlich wenn ein Mitgliedstaat mehr
Lieferanten besondere Rechte zuerkennt. Das widerspricht zwar der Linie des Urteils Kommission/Deutschland, in dem entschieden
worden ist, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a nur auf eine öffentlich-rechtliche Einrichtung oder einen besonderen
Konzessionsinhaber, dem ein Mitgliedstaat die postalischen Tätigkeiten übertragen hat, anzuwenden ist
(24)
. Dieses Urteil ist aber, wie gesagt, vor dem Erlass der Postrichtlinie ergangen; die Auslegung des Begriffes
öffentliche Posteinrichtung durch den Gerichtshof kann daher durch neue Entwicklungen des Postsektors nicht beeinflusst werden.
78. Eine weitere Konsequenz der Auffassung, dass die reservierten Dienste von der Mehrwertsteuer befreit sind, ist die, dass Unterschiede
zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuerbefreiung entstanden sind. Diese Unterschiede sind indessen
die unvermeidliche Folge der Tatsache, dass die Postrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, bestimmte Dienstleistungen
zu reservieren, aber es ihnen außerdem überlässt, festzulegen, welche Dienste innerhalb des gegebenen Spielraums hierfür in
Frage kommen.
C ─ Die nichtreservierten Dienste
79. Damit komme ich zu den Diensten, die nicht reserviert werden, die aber zum Universaldienst gehören. Die Mitgliedstaaten müssen
sicherstellen, dass auch diese gegen einen bezahlbaren Preis beansprucht werden können, wie sich aus Artikel 3 der Postrichtlinie
ergibt. Anders als bei den reservierten Diensten wird diese Erbringung aber nicht dadurch sichergestellt, dass ein oder mehrere
Unternehmen die Dienstleistung ausschließlich zu erbringen haben. Es wird den Marktteilnehmern überlassen, diese Aufgabe unter
normalen Wettbewerbsbedingungen zu erfüllen. Eine Folge der Postrichtlinie ist somit, dass dieser Teil des Postsektors liberalisiert
ist. Die Mitgliedstaaten können nur individuelle Genehmigungen erteilen, mit denen bestimmte Rechte verliehen werden und das
Unternehmen spezifischen Verpflichtungen unterworfen wird. Da diese Dienste nicht mit Hilfe von Rechten reserviert werden,
sind auch neue Unternehmen in der Lage, diesen Markt zu betreten. Neue Unternehmen bieten ergänzende Dienste wie eine schnellere
Besorgung der Post an. Diese Dienste haben deshalb keinen öffentlichen Charakter, sondern sind gewerbliche Tätigkeiten, bei
denen in Bezug auf Preis, Qualität und mehr Vielfalt innerhalb der Dienstleistungen konkurriert werden kann.
80. Bei den Genehmigungen können zwar bestimmte öffentliche Randbedingungen gestellt werden, damit erledigen aber diese Unternehmen
noch keine öffentliche Aufgabe. Sie sind somit auch keine öffentliche Einrichtung im Sinne der Sechsten Richtlinie.
81. Die letzte Gruppe von Dienstleistungen sind solche, die nicht reserviert werden können und keine Universaldienste sind. Für
diese Gruppe gilt, dass die Dienste gewerbliche Tätigkeiten darstellen, die im freien Wettbewerb erbracht werden.
82. Sobald eine öffentliche Posteinrichtung auch andere als reservierte Dienstleistungen erbringt, stellt sich logischerweise
die Frage, ob auch diese Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreit werden können. In der Sechsten Richtlinie heißt es,
dass die von öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen von der Steuer befreit sind. Ich meine, dass ein
Unternehmen den Charakter einer öffentlichen Posteinrichtung nur für die Dienstleistungen hat, die im Rahmen seines öffentlichen
Auftrags liegen. Diese öffentliche Aufgabe ergibt sich aus den ihm übertragenen ausschließlichen oder besonderen Rechten.
Kurzum, das Unternehmen tritt als öffentliche Posteinrichtung nur durch Ausführung reservierter Dienste in Erscheinung. Bei
den anderen von ihm erbrachten Dienstleistungen ist es als normaler Marktteilnehmer zu betrachten, der unter gleichen Bedingungen
mit anderen Marktbeteiligten im Wettbewerb steht. Es wäre deshalb unrichtig, wenn es ─ anders als seine Konkurrenten ─ von
der Mehrwertsteuer befreit wäre. Ergänzend weise ich noch darauf hin, dass Postunternehmen häufig auch Dienstleistungen erbringen,
die außerhalb des Bereichs des Zustellens und Einsammelns von Post liegen, wie etwa der Verkauf von Büroartikeln oder Internetpaketen.
Bei solchen Diensten kommt eine Mehrwertsteuerbefreiung überhaupt nicht in Frage.
83. Es würde auch unlauteren Wettbewerb bedeuten, wenn diese Dienste unter die Befreiung fielen. Das steht im Widerspruch zur
Postrichtlinie und zur Sechsten Richtlinie. Denn die Postrichtlinie hat gerade zum Ziel, den Teil des Postmarktes zu liberalisieren,
der nicht reserviert ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Sechste Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der
Grundsatz der Steuerneutralität nicht beeinträchtigt wird, so dass eine völlig neutrale Steuerbelastung aller wirtschaftlichen
Tätigkeiten gewährleistet ist. Unternehmer, die die gleichen Tätigkeiten verrichten, dürfen nicht aufgrund ihrer Rechtsform
bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden.
84. Was bedeutet dies alles für das Ausgangsverfahren? Post Danmark ist eine öffentliche Posteinrichtung. Eine Reihe von Diensten
sind nach dänischem Recht für Post Danmark reserviert; die Nachnahmesendungen von Briefen und Paketen gehören indessen nicht
dazu. Die reservierten Dienste sind gesetzlich von der Mehrwertsteuer befreit, was mit der Postrichtlinie und der Sechsten
Richtlinie im Einklang steht. Sendungen per Nachnahme sind aber nicht reserviert, was dazu führt, dass diese Sendungen nicht
unter die Mehrwertsteuerbefreiung fallen.
VII ─ Ergebnis
85. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Østre Landsret vorgelegten Fragen wie folgt
zu beantworten:Ein Mitgliedstaat ist verpflichtet, Dienste, die nicht gemäß Artikel 7 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der
Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität reserviert sind, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Der Begriff
öffentliche Posteinrichtungen im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ─ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass darunter auch Unternehmen mit gewerblicher Zielsetzung fallen, soweit für diese
Unternehmen aufgrund von Artikel 7 der Richtlinie 97/67/EG Dienste reserviert sind.
1 –
Originalsprache: Niederländisch.
2 –
ABl. L 145, S. 1.
3 –
ABl. 1998, L 15, S. 14.
4 –
Gesetz Nr. 89 vom 8. Februar 1995.
5 –
Urteil vom 12. November 1998 in der Rechtssache
C-149/97 (Institute of the Motor Industry, Slg. 1998, I-7053, Randnrn. 17
und 18).
6 –
Urteil vom 20. Juni 2002 in der Rechtssache
C-287/00 (Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-5811, Randnrn. 30 bis 43).
7 –
Vgl. meine Schlussanträge vom 14. November 2002 zum Urteil vom 3. April 2003 in der Rechtssache
C-144/00 (Hoffmann, Slg. 2003,
I-0000).
8 –
Urteil vom 7. September 1999 in der Rechtssache
C-216/97 (Gregg, Slg. 1999, I-4947).
9 –
Vgl. insbesondere Urteile vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache
C-348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties [SUFA], Slg.
1989, 1737, Randnr. 11), vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache
C-349/96 (CPP, Slg. 1999, I-973, Randnr. 15) und vom 8. März
2001 in der Rechtssache
C-240/99 (Skandia, Slg. 2001, I-1951, Randnr. 23).
10 –
Urteil vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 107/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655, Randnr. 17).
11 –
Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Durchführungsvorschriften auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter
Verwaltungsvorschriften in Bezug auf Postdienste (ABl. 1998, C 39, S. 2 bis 18).
12 –
Dokumentenaustausch bedeutet die Bereitstellung von Mitteln einschließlich der Bereitstellung von eigens dafür vorgesehenen
Räumlichkeiten und der Beförderung durch Dritte, die eine Selbstzustellung durch wechselseitigen Austausch von Postsendungen
zwischen den diese Dienste in Anspruch nehmenden Nutzern erlauben.
13 –
Urteil vom 25. Februar 1999 (Card Protection Plan Ltd [CPP], zitiert in Fußnote 9, Randnr. 18). In diesem Urteil hat der Gerichtshof
entschieden, dass kein Grund bestehe, den Begriff
Versicherung anders auszulegen, je nachdem, ob er in Versicherungsrichtlinien oder in der Sechsten Richtlinie verwendet werde.
14 –
Vgl. Urteil vom 11. Juli 1985 (Kommission/Deutschland, zitiert in Fußnote 10, Randnr. 17).
15 –
Vgl. meine Schlussanträge vom 14. November 2002 (zitiert in Fußnote 7).
16 –
Urteil vom 12. November 1998 in der Rechtssache
C-149/97 (zitiert in Fußnote 5, Randnrn. 17 und 18).
17 –
Urteil vom 20. Juni 2002 (zitiert in Fußnote 6, Randnrn. 30 bis 43).
18 –
Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Hoffmann (zitiert in Fußnote 7).
19 –
Vgl. Urteil Gregg (zitiert in Fußnote 8).
20 –
Zitiert in Fußnote 10, Randnr. 17.
21 –
Urteil vom 6. Juli 1982 in den Rechtssachen 188/80 bis 190/80 (Slg. 1982, 2545, Randnr. 25).
22 –
Urteil Gregg (zitiert in Fußnote 8).
23 –
Zitiert in Fußnote 20.
24 –
Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fußnote 10, Randnr. 17).