Rechtssache C-210/04
Ministero dell’Economia e delle Finanze und Agenzia delle Entrate
gegen
FCE Bank plc
(Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 2 und 9 – Feste Niederlassung – Gebietsfremdes Unternehmen – Rechtsverhältnis – Vereinbarung über die Aufteilung der Kosten – OECD-Doppelbesteuerungsabkommen – Begriff des Steuerpflichtigen – Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen – Verwaltungspraxis“
Schlussanträge des Generalanwalts P. Léger vom 29. September 2005
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 23. März 2006
Leitsätze des Urteils
Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerpflichtige
(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1)
Die Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern sind dahin auszulegen, dass eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt ist und der das Unternehmen Dienstleistungen erbringt, nicht aufgrund der Kosten, mit denen sie wegen der genannten Dienstleistungen belastet wird, als Steuerpflichtiger anzusehen ist.
(vgl. Randnr. 41 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
23. März 2006(*)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Artikel 2 und 9 – Feste Niederlassung – Gebietsfremdes Unternehmen – Rechtsverhältnis – Vereinbarung über die Aufteilung der Kosten – OECD-Doppelbesteuerungsabkommen – Begriff des Steuerpflichtigen – Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen – Verwaltungspraxis“
In der Rechtssache C-210/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 18. Februar 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2004, in dem Verfahren
Ministero dell’Economia e delle Finanze und
Agenzia delle Entrate
gegen
FCE Bank plc
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters J. Makarczyk, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris (Berichterstatter) und G. Arestis,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der FCE Bank plc, vertreten durch B. Gangemi, avvocato,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes, Â. Seiça Neves und R. Laires als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Hill, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und M. Velardo als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. September 2005
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits des Ministero dell’Economia e delle Finanze und der Agenzia delle Entrate (Rom) (im Folgenden: Agenzia) gegen die FCE Bank plc, ein im Vereinigten Königreich niedergelassenes Kreditinstitut (im Folgenden: FCE Bank), auf Erstattung der von ihrer italienischen Niederlassung (im Folgenden: FCE IT) gezahlten Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Die Sechste Richtlinie
3 Artikel 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
...“
4 Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie lautet:
„Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.“
5 Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.“
Die Achte Richtlinie 79/1072/EWG
6 Artikel 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11, im Folgenden: Achte Richtlinie) bestimmt:
„Für die Anwendung dieser Richtlinie gilt als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG, der in dem Zeitraum nach Artikel 7 Absatz 1 erster Unterabsatz Sätze 1 und 2 in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat und der in dem gleichen Zeitraum im Inland keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat ...“
Die Richtlinie 2000/12/EG
7 Artikel 13 der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. L 126, S. 1) über Zweigstellen von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Kreditinstituten bestimmt:
„Die Aufnahmemitgliedstaaten dürfen für Zweigstellen von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstituten keine Zulassung sowie kein Dotationskapital verlangen. ...“
Das OECD-Abkommen
8 Artikel 7 Absatz 2 des von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstellten Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im Folgenden: OECD-Abkommen) bestimmt:
„Übt ein Unternehmen eines Vertragsstaats seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus, so werden … in jedem Vertragsstaat dieser Betriebsstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.“
9 Artikel 7 Absatz 3 dieses Abkommens lautet:
„Bei der Ermittlung der Gewinne einer Betriebsstätte werden die für diese Betriebsstätte entstandenen Aufwendungen, einschließlich der Geschäftsführungs- und allgemeinen Verwaltungskosten, zum Abzug zugelassen, gleichgültig, ob sie in dem Staat, in dem die Betriebsstätte liegt, oder anderswo entstanden sind.“
Nationales Recht
10 Das Gesetz Nr. 329 vom 5. November 1990 zur Ratifizierung des am 21. Oktober 1988 in Pallanza unterzeichneten Abkommens zwischen der Regierung der Italienischen Republik und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Vermeidung der Steuerflucht bei der Einkommensteuer mit dem Austausch von Notifikationen (GURI Nr. 267 vom 15. November 1990, S. 107, Supplemento ordinario) übernimmt in Artikel 7 Absätze 2 und 3 die entsprechenden Regelungen des OECD-Abkommens.
11 Artikel 1 des grundlegenden Gesetzes über die Mehrwertsteuer, des Dekrets Nr. 633 des Präsidenten der Republik vom 26. Oktober 1972 (GURI Nr. 292 vom 11. November 1972, S. 2, Supplemento ordinario) lautet:
„Die Mehrwertsteuer fällt auf alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die im Inland in Ausübung eines Betriebes, eines Gewerbes oder eines Berufes ausgeführt werden, und unabhängig von der Person des Einführenden auf Einfuhren an.“
12 Artikel 3 dieses Gesetzes bestimmt:
„Dienstleistungen sind die Leistungen, die gegen eine Gegenleistung im Rahmen eines Werk-, Werklieferungs-, Beförderungs-, Geschäftsbesorgungs-, Speditions-, Agentur-, Mäkler- oder Verwahrungsvertrags und im Allgemeinen im Rahmen von Handlungs- oder Unterlassungs- oder Gestattungspflichten unabhängig von deren Grundlage erbracht werden.“
13 Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes bestimmt, dass Dienstleistungen „als im Inland erbracht gelten, wenn sie von Personen mit Sitz im Inland oder dort ansässigen Personen ohne Sitz im Ausland sowie von festen Niederlassungen von Personen in Italien erbracht werden, die im Ausland ihren Sitz haben oder ansässig sind“.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 FCE IT ist eine Niederlassung in Italien der im Vereinigten Königreich niedergelassenen Gesellschaft FCE Bank, deren Unternehmensgegenstand die Erbringung mehrwertsteuerfreier Tätigkeiten im Finanzbereich ist.
15 FCE IT erhielt von der FCE Bank Dienstleistungen in den Bereichen Beratung, Management, Personalaus- und -fortbildung, Datenverarbeitung sowie Bereitstellung und Betreuung von Anwendersoftware. Sie beantragte, gestützt auf Rechnungen, die sie sich selbst ausstellte (ein „autofatturazione“ genannter Vorgang), die Erstattung der Mehrwertsteuer für diese Leistungen für die Jahre 1996 bis 1999.
16 Nach der stillschweigenden Ablehnung dieses Antrags durch die Verwaltung rief FCE IT die Commissione tributaria provinciale Rom an, die dem Antrag stattgab. Die Agenzia legte gegen dieses Urteil Berufung ein, mit der sie geltend machte, dass der Antrag für die Jahre 1996 und 1997 verjährt sei und dass der Erstattungsantrag für die Jahre 1998 und 1999 nicht begründet sei.
17 Mit Urteil vom 29. März/25. Mai 2002 wies die Commissione tributaria regionale del Lazio die Berufung unter Hinweis darauf zurück, dass die Verjährung bei einer im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erbrachten Zahlung nicht anwendbar sei und dass keine „Dienstleistung“ vorliege, wenn es sich um Umsätze handele, die ohne Gegenleistung vom Stammbetrieb zugunsten seiner Niederlassung erbracht worden seien, denn es fehle an der sachlichen Voraussetzung für die Mehrwertsteuer. Bei der Belastung von FCE IT mit den Dienstleistungskosten der FCE Bank handele es sich um eine Kostenzuweisung innerhalb eines Unternehmens.
18 Das Ministero dell'Economia e delle Finanze legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde bei der Corte suprema di cassazione ein. Als Kassationsbeschwerdegrund brachte es vor, dass die Dienstleistungen, die die FCE Bank erbracht habe, aufgrund der subjektiven Steuerautonomie von FCE IT der Mehrwertsteuer unterlägen. Daher seien die Zahlungen an den Stammbetrieb als Gegenleistung anzusehen und stellten damit eine Besteuerungsgrundlage dar.
19 Im Gegensatz dazu vertritt die FCE Bank die Ansicht, FCE IT habe keine Rechtspersönlichkeit und stelle deshalb nur einen Anknüpfungspunkt für die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Tätigkeiten in Bezug auf den Unternehmensgegenstand dar. Außerdem falle bei Leistungen, die zwischen zwei Einheiten erbracht würden, die zusammen ein Steuerpflichtiger seien, keine Mehrwertsteuer an.
20 Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass die Filiale eines Unternehmens mit Sitz in einem anderen Staat (innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union), die die Eigenschaften einer Fertigungsstätte hat, als selbständiger Steuerpflichtiger angesehen werden kann und damit ein Rechtsverhältnis zwischen den beiden Einheiten vorstellbar ist, das dazu führt, dass die Erbringung von Dienstleistungen durch den Stammbetrieb der Mehrwertsteuer unterliegt? Kann zur Bestimmung dieses Rechtsverhältnisses das Arm’s-Length-Kriterium des Artikels 7 Absätze 2 und 3 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und des Abkommens vom 21. Oktober 1988 zwischen Italien und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland herangezogen werden? Ist im Fall eines Cost-Sharing-Agreement betreffend die Erbringung von Dienstleistungen für die Niederlassung ein Rechtsverhältnis vorstellbar? Welche Voraussetzungen gelten bejahendenfalls für das Bestehen eines solchen Rechtsverhältnisses? Bestimmt sich der Begriff des Rechtsverhältnisses nach dem nationalen Recht oder nach dem Gemeinschaftsrecht?
2. Kann die Belastung der Filiale mit den Kosten solcher Dienstleistungen unabhängig von ihrem Umfang und von der Erzielung eines Unternehmensgewinns als Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Richtlinie angesehen werden und, wenn ja, in welchem Umfang?
3. Verstößt, falls die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Stammbetrieb und Filiale grundsätzlich als mehrwertsteuerfrei anzusehen ist, weil der Empfänger nicht selbständig und deshalb kein Rechtsverhältnis zwischen den beiden Einheiten vorstellbar ist, eine nationale Verwaltungspraxis, nach der die Leistung dann als steuerbar angesehen wird, wenn der Stammbetrieb in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig ist, gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 43 EG?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Artikel 234 EG eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten Aufgabe des Gerichtshofes, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben (Urteile vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-334/95, Krüger, Slg. 1997, I-4517, Randnr. 22, und vom 28. November 2000 in der Rechtssache C-88/99, Roquette Frères, Slg. 2000, I-10465, Randnr. 18). Dementsprechend hat der Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile Krüger, Randnr. 23, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-62/00, Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 32).
22 Hier ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, inwieweit die Dienstleistungen, die ein im Vereinigten Königreich niedergelassenes Unternehmen gegenüber seiner italienischen Niederlassung erbracht hat, in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen. Daraus folgt, dass es nicht sachdienlich ist, über den Fall zu entscheiden, dass sich der Sitz des Unternehmens in einem Staat außerhalb der Europäischen Union befindet.
23 Ferner steht außer Zweifel, dass FCE IT, eine Niederlassung der FCE Bank, keine eigene Rechtspersönlichkeit hat und folglich eine Zweigniederlassung von dieser ist.
24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt ist und der das Unternehmen Dienstleistungen erbringt, aufgrund der Kosten, mit denen sie wegen der genannten Dienstleistungen belastet wird, als Steuerpflichtiger anzusehen ist.
Vorbringen der Beteiligten
25 Die FCE Bank, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind der Ansicht, dass die innerhalb ein und derselben juristischen Einheit erbrachten Dienstleistungen keine der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen seien.
26 Nach Ansicht der FCE Bank kann zwischen ihr selbst und FCE IT kein Rechtsverhältnis bestehen, da sie zusammen nur ein Steuerpflichtiger seien. Folglich könne es auch keine entgeltlichen Dienstleistungen zwischen den beiden Niederlassungen geben, die sich in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten befänden. Tatsächlich werde ihr die Ausführung interner Tätigkeiten, die im eigenen Interesse des Unternehmens mit dem Ziel der einheitlichen Behandlung der Buchführungs-, Marketing- und anderer Daten durchgeführt würden, nicht vergütet.
27 Nach Ansicht der Kommission können Dienstleistungen zwischen einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Stammbetrieb und einem nicht als selbständige juristische Einheit eingetragenen Subjekt, das eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ist, nicht als der Mehrwertsteuer unterliegende Umsätze betrachtet werden.
28 Die italienische Regierung trägt vor, obwohl der Stammbetrieb und seine Niederlassung zivilrechtlich zur selben juristischen Person gehörten und dies eine Zwangsvollstreckung der Verpflichtungen, die Gegenstand der steuerbaren Umsätze sind, behindern könnte, schließe dies nicht aus, dass sie allgemein steuerlich und insbesondere für die Zwecke der Mehrwertsteuer verschiedene Steuerpflichtige seien.
29 Angesichts des Wortlauts von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie, wonach Dienstleistungen der Mehrwertsteuer nur unterliegen, wenn sie entgeltlich sind, könne nur die etwaige Unentgeltlichkeit der Dienstleistungen es gestatten, diese Umsätze vom Anwendungsbereich dieser Steuer auszunehmen. Demzufolge bestimmten sich die Voraussetzungen für eine Rechtsbeziehung, die dazu führen könne, dass ein steuerbarer Umsatz vorliege, nach den von der Sechsten Richtlinie anerkannten Grundsätzen.
30 Ferner sei nach dem Wortlaut der Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie und 1 der Achten Richtlinie eine feste Niederlassung im Aufnahmemitgliedstaat als ein selbständiger Steuerpflichtiger zu betrachten, was die Möglichkeit ausschließe, dass auf eine Mehrwertsteuererstattung an den Stammbetrieb entschieden werden könne.
31 Nach Ansicht der portugiesischen Regierung stellt sich die Mehrwertsteuer trotz ihres hohen Harmonisierungsgrads als eine nationale Steuer der Mitgliedstaaten dar; diesen stehe es daher frei, den in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Niederlassungen die Rechtsstellung eines Steuerpflichtigen zuzuweisen. Weiter sei eine feste Niederlassung, die über die Arbeitskräfte und die technischen Voraussetzungen für die Durchführung steuerbarer Umsätze verfüge, eine Vermögensrealität und ein Mittelpunkt von Interessen, der so selbständig sei, dass ihm selbst Beziehungen sowie Rechte und Pflichten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zugeordnet werden könnten.
Würdigung durch den Gerichtshof
32 Zum einen ist daran zu erinnern, dass Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt, dass insbesondere Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer unterliegen.
33 Zum anderen definiert Artikel 4 der Sechsten Richtlinie den Begriff „Steuerpflichtiger“. Darunter fallen die Personen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit „selbständig“ ausüben. Artikel 4 Absatz 4 erläutert, dass der Begriff „selbständig“ Personen von der Besteuerung ausschließt, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch ein Rechtsverhältnis gebunden sind, das insbesondere hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft (vgl. Urteil vom 6. November 2003 in den Rechtssachen C-78/02 bis C-80/02, Karageorgou u. a., Slg. 2003, I-13295, Randnr. 35).
34 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass eine Leistung nur dann steuerbar ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (vgl. Urteile vom 3. März 1994 in der Rechtssache C-16/93, Tolsma, Slg. 1994, I-743, Randnr. 14, und vom 21. März 2002 in der Rechtssache C-174/00, Kennemer Golf, Slg. 2002, I-3293, Randnr. 39).
35 Zur Klärung der Frage, ob ein solches Rechtsverhältnis zwischen einem gebietsfremden Unternehmen und einer seiner Niederlassungen besteht, so dass die erbrachten Leistungen der Mehrwertsteuer unterlägen, ist zu untersuchen, ob FCE IT einer selbständigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht. Hierzu ist zu prüfen, ob eine Zweigniederlassung wie FCE IT als selbständige Bank betrachtet werden kann, insbesondere ob sie das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit trägt.
36 Wie der Generalanwalt in Nummer 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, trägt die Zweigniederlassung nicht selbst die wirtschaftlichen Risiken, die mit der Tätigkeit eines Kreditinstituts verbunden sind, wie dies z. B. bei Nichtrückzahlung eines Darlehens durch einen Kunden der Fall ist. Das Risiko lastet auf der Bank als juristischer Person, deren finanzielle Stabilität und Zahlungsfähigkeit deshalb im Herkunftsmitgliedstaat überwacht wird.
37 Denn als Zweigniederlassung verfügt FCE IT über kein Dotationskapital. Infolgedessen ruht das mit der Wirtschaftstätigkeit verbundene Risiko vollständig auf der FCE Bank. FCE IT ist demnach von dieser abhängig, mit der zusammen sie einen einzigen Steuerpflichtigen bildet.
38 Diese Überlegung wird nicht durch Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie in Frage gestellt. Diese Vorschrift bestimmt den Steuerpflichtigen bei Transaktionen zwischen einer Zweigniederlassung und Dritten. Sie betrifft daher nicht einen Fall wie den vorliegenden, der Transaktionen zwischen einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen und einer seiner in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Zweigniederlassungen betrifft.
39 Zum OECD-Abkommen ist festzustellen, dass es nicht einschlägig ist, da es direkte Steuern betrifft, während es sich bei der Mehrwertsteuer um eine indirekte Steuer handelt.
40 Schließlich ist zum Vorliegen einer Vereinbarung über die Aufteilung der Kosten zu sagen, dass es sich ebenfalls um für die vorliegende Rechtssache nicht relevante Umstände handelt, da eine solche Vereinbarung nicht zwischen unabhängigen Parteien ausgehandelt wurde.
41 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt ist und der das Unternehmen Dienstleistungen erbringt, nicht aufgrund der Kosten, mit denen sie wegen der genannten Dienstleistungen belastet wird, als Steuerpflichtiger anzusehen ist.
Zur zweiten Frage
42 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 2 der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, dass es sich bei der Belastung mit den Kosten der Dienstleistungen, die der Zweigniederlassung durch das gebietsfremde Unternehmen erbracht worden sind, unabhängig vom Umfang der Belastung und von der Erzielung eines Unternehmensgewinns um eine Gegenleistung handelt.
43 Nach Randnummer 37 dieses Urteils ist die betreffende Zweigniederlassung nicht vom Unternehmen unabhängig. Die zweite Frage braucht daher nicht beantwortet zu werden.
Zur dritten Frage
44 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationale Verwaltungspraxis, nach der eine Dienstleistung, die ein Stammbetrieb einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Zweigniederlassung erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt, gegen die Niederlassungsfreiheit nach Artikel 43 EG verstößt.
Vorbringen der Beteiligten
45 Nach Ansicht der FCE Bank, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission verstößt die italienische Verwaltungspraxis gegen die durch Artikel 43 EG garantierte Niederlassungsfreiheit.
46 Die FCE Bank ist der Ansicht, dass die betreffende nationale Verwaltungspraxis die Mehrwertsteuer konsolidiere, die nicht abzugsfähig würde. Sie verursache zusätzliche und endgültige Kosten, die eine italienische Bank nicht zu tragen hätte, die ihren Zweigniederlassungen im italienischen Hoheitsgebiet die gleichen Dienstleistungen gewähren würde, und sie könne nicht als geeignete Maßnahme betrachtet werden, um die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten.
47 Die Regierung des Vereinigten Königreichs teilt die Position der Kommission, nach der die italienische Verwaltungspraxis gegen den dem Recht auf Niederlassung innewohnenden Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstößt, wenn die steuerliche Behandlung im Bereich der Mehrwertsteuer für die Filiale einer ausländischen Bank teurer ist als für die einer nationalen Bank – ohne dass es zudem andere objektive Unterschiede zwischen diesen beiden Arten von Filialen gäbe. Die Mehrwertsteuerpflichtigkeit von Leistungen zwischen einem Stammbetrieb und einer nationalen oder ausländischen Filiale stelle eine Behinderung der Freiheit der Niederlassung in Form einer Zweigniederlassung dar, was nicht durch irgendein „Allgemeininteresse“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes gerechtfertigt sein könne (in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, und vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37).
48 Die italienische Regierung hat zu diesem Punkt nichts vorgebracht, da sie der Meinung ist, dass die feste Niederlassung ein selbständiger Mehrwertsteuerpflichtiger sei.
49 Nach Ansicht der portugiesischen Regierung ergibt sich aus den grundlegenden Zielen und Vorschriften des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, dass es sich nicht um einen Bereich handelt, der ausschließlich von nationalen Verwaltungspraktiken abhängt. Es sei daher nicht erforderlich, auf die dritte Frage über das Niederlassungsrecht nach den Artikeln 43 EG bis 48 EG zu antworten.
Würdigung durch den Gerichtshof
50 Wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen in Nummer 74 hervorhob, befreit die Feststellung, dass eine nationale Rechtsvorschrift oder Praxis mit der Sechsten Richtlinie unvereinbar ist, davon, zu prüfen, ob die fundamentalen Freiheiten des Vertrages, darunter die Niederlassungsfreiheit, verletzt worden sind.
51 In Randnummer 37 dieses Urteils ist festgestellt worden, dass die Zweigniederlassung eines gebietsfremden Unternehmens nicht selbständig ist und folglich zwischen beiden kein Rechtsverhältnis besteht. Beide zusammen sind als ein und derselbe Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie anzusehen. FCE IT ist daher nur ein Teil der FCE Bank.
52 Nach alledem ist die italienische Verwaltungspraxis mit der Sechsten Richtlinie unvereinbar, ohne dass über einen Verstoß gegen Artikel 43 EG entschieden zu werden braucht.
Kosten
53 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Artikel 2 Nummer 1 und 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt ist und der das Unternehmen Dienstleistungen erbringt, nicht aufgrund der Kosten, mit denen sie wegen der genannten Dienstleistungen belastet wird, als Steuerpflichtiger anzusehen ist.
Unterschriften.
* Verfahrenssprache: Italienisch.