Rechtssache C-210/06
Cartesio Oktató és Szolgáltató bt
(Vorabentscheidungsersuchen des Szegedi Ítélőtábla)
„Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat als den Gründungsmitgliedstaat − Antrag auf Änderung der Angabe zum Sitz im Handelsregister − Ablehnung − Berufung gegen eine Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts − Art. 234 EG − Vorabentscheidungsersuchen − Zulässigkeit – Begriff ‚Gericht‘ − Begriff ‚einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können‘ − Berufung gegen die Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird – Befugnis des Berufungsgerichts, diese Entscheidung aufzuheben – Niederlassungsfreiheit − Art. 43 EG und 48 EG“
Leitsätze des Urteils
1. Vorabentscheidungsverfahren – Anrufung des Gerichtshofs – Einzelstaatliches Gericht im Sinne von Art. 234 EG – Begriff
(Art. 234 EG)
2. Vorabentscheidungsverfahren – Zulässigkeit – Grenzen
(Art. 234 EG)
3. Vorabentscheidungsverfahren – Anrufung des Gerichtshofs – Vorlagepflicht
(Art. 234 Abs. 3 EG)
4. Vorabentscheidungsverfahren – Anrufung des Gerichtshofs – Befugnisse der nationalen Gerichte
(Art. 234 EG)
5. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit
(Art. 43 EG und 48 EG)
1. Ein Gericht, bei dem eine Berufung gegen die Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts anhängig ist, das einen Antrag auf Änderung einer Angabe in diesem Register abgelehnt hat, ist als Gericht anzusehen, das nach Art. 234 EG zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist, obwohl weder die Entscheidung des Handelsregistergerichts in einem streitigen Verfahren ergeht noch die Prüfung der Berufung durch das vorlegende Gericht in einem solchen erfolgt.
Handelt ein mit der Führung eines Registers betrautes Gericht als Verwaltungsbehörde, ohne dass es gleichzeitig einen Rechtsstreit zu entscheiden hat, kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass es eine Rechtsprechungstätigkeit ausübt; dagegen ist bei einem Gericht, das mit einer Berufung gegen die Entscheidung eines vorinstanzlichen Gerichts befasst ist, das mit der Führung eines Registers betraut ist und einem solchen Eintragungsantrag nicht stattgeben will, ein Rechtsstreit anhängig, und es übt eine Rechtsprechungstätigkeit aus, weil diese Berufung die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, der ein Recht des Antragstellers verletzen soll. Daher ist das Berufungsgericht in einem solchen Fall grundsätzlich als Gericht im Sinne von Art. 234 EG anzusehen, das zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist.
(vgl. Randnrn. 57-59, 63, Tenor 1)
2. Es spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.
Diese Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit wird bei einer die Qualifizierung eines Gerichts als Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, betreffenden Vorlagefrage nicht dadurch widerlegt, dass dieses Gericht seine Frage dem Gerichtshof bereits zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Es wäre mit dem Geist der Zusammenarbeit, der den Beziehungen zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof zugrunde liegen soll, und dem Gebot der Verfahrensökonomie unvereinbar, wenn das nationale Gericht zunächst allein die Frage, ob es zu den in Art. 234 Abs. 3 EG genannten Gerichten gehört, zur Vorabentscheidung vorlegen müsste, um dann gegebenenfalls mit einem zweiten Vorabentscheidungsersuchen Fragen zu den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vorzulegen, auf die es für die Begründetheit der bei ihm anhängigen Klage ankommt.
Diese Vermutung der Entscheidungserheblichkeit ist auch nicht in einer Situation der Ungewissheit über die hypothetische Natur des Rechtsstreits widerlegt. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn es die dem Gerichtshof für eine Entscheidung über die etwaige Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung über die Berufung gegen eine Entscheidung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, mit Art. 234 EG zur Verfügung stehenden Informationen nicht erlauben, festzustellen, dass gegen diese Entscheidung keine Berufung eingelegt worden ist oder mehr eingelegt werden kann, so dass die Entscheidung rechtskräftig geworden ist und die Frage zur Unvereinbarkeit in der Tat hypothetisch wäre.
(vgl. Randnrn. 67, 70, 73, 83-86)
3. Ein Gericht, dessen in einem Rechtsstreit ergangene Entscheidungen Gegenstand einer Revision sein können, kann auch dann nicht als Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG angesehen werden, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, wenn das Verfahren, in dem über den Rechtsstreit entschieden werden muss, Beschränkungen hinsichtlich der Art der Rechtsmittelgründe vorsieht, die vor diesem Gericht geltend gemacht werden können, nämlich, dass eine Rechtsverletzung gerügt werden muss.
Solche Beschränkungen führen nämlich ebenso wenig wie die fehlende aufschiebende Wirkung der Revision dazu, dass den Parteien, die vor einem Gericht aufgetreten sind, dessen Entscheidungen mit einer solchen Revision angegriffen werden können, die Möglichkeit genommen wird, ihr Recht, gegen die Entscheidung dieses über den Rechtsstreit befindenden Gerichts ein solches Rechtsmittel einzulegen, wirksam auszuüben. Diese Beschränkungen und die fehlende aufschiebende Wirkung bedeuten daher nicht, dass dieses Gericht als ein Gericht zu betrachten ist, gegen dessen Entscheidungen kein Rechtsmittel eingelegt werden kann.
(vgl. Randnrn. 77-79, Tenor 2)
4. Art. 234 Abs. 2 EG ist bei nationalen Rechtsvorschriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wird, Rechtsmittel einzulegen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Ausgangsverfahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorlageentscheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist, dahin auszulegen, dass die mit dieser Vertragsbestimmung den nationalen Gerichten eingeräumte Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nicht durch die Anwendung dieser Rechtsvorschriften in Frage gestellt werden darf, nach denen das Rechtsmittelgericht die Entscheidung, mit der die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof beschlossen wird, abändern, außer Kraft setzen und dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, aufgeben kann, das nationale Verfahren, das ausgesetzt worden war, fortzusetzen.
Denn Art. 234 EG schließt im Hinblick auf ein Gericht, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zwar nicht aus, dass gegen die Entscheidungen, mit denen dieses Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht, die normalen Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts gegeben sind; die Entscheidung über ein solches Rechtsmittel kann jedoch nicht die dem vorlegenden Gericht durch Art. 234 EG eingeräumte Befugnis einschränken, den Gerichtshof anzurufen, wenn es meint, dass eine bei ihm anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, die eine Entscheidung des Gerichtshofs erfordern.
Darüber hinaus bleibt es einem erstinstanzlichen Gericht in dem Fall, dass es nach Aufhebung eines von ihm erlassenen Urteils durch ein höchstrichterliches Gericht ein zweites Mal mit einer Rechtssache befasst ist, unbenommen, den Gerichtshof nach Art. 234 EG anzurufen, auch wenn eine innerstaatliche Rechtsnorm besteht, die die Gerichte an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten Gerichts bindet.
Bei Anwendung nationaler Rechtsvorschriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, Rechtsmittel einzulegen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Ausgangsverfahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorlageentscheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist, wäre die dem erstinstanzlichen Gericht durch Art. 234 EG eingeräumte selbständige Befugnis, den Gerichtshof anzurufen, in Frage gestellt, wenn das Berufungsgericht dadurch, dass es die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, abändert, außer Kraft setzt und dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, aufgibt, das ausgesetzte Verfahren fortzusetzen, das vorlegende Gericht daran hindern könnte, von der ihm durch den Vertrag eingeräumten Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs Gebrauch zu machen.
Nach Art. 234 EG liegt die Beurteilung der Erheblichkeit und der Erforderlichkeit der Vorabentscheidungsfrage nämlich in der alleinigen Verantwortung des Gerichts, das das Vorabentscheidungsersuchen beschließt, vorbehaltlich der eingeschränkten Überprüfung, die der Gerichtshof vornimmt. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, die Konsequenzen aus dem Urteil über das Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, zu ziehen und gegebenenfalls festzustellen, dass sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten, abzuändern oder zurückzuziehen ist.
Daraus ergibt sich, dass der Gerichtshof in dem Fall, dass gegen die Entscheidung des vorlegenden Gerichts, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, auch im Interesse der Klarheit und der Rechtssicherheit, an die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen worden ist, gebunden ist; diese muss ihre Wirkungen entfalten, solange sie nicht von dem Gericht, das sie erlassen hat, aufgehoben oder geändert worden ist, denn nur dieses Gericht kann eine solche Aufhebung oder Änderung beschließen.
(vgl. Randnrn. 93-98, Tenor 3)
5. Die Art. 43 EG und 48 EG sind beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet wurde, zu behalten.
In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft, nämlich ebenso wie die Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grund auf diese Freiheit berufen kann, gemäß Art. 48 EG eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalem Recht beantwortet werden kann. Nur wenn die Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 48 EG genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit im Sinne des Art. 43 EG gegenübersieht.
Ein Mitgliedstaat kann somit sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Diese Befugnis umfasst die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitgliedstaats vorsieht.
Darüber hinaus haben die in Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG und Art. 293 EG vorgesehenen legislativen und vertraglichen Arbeiten im Bereich des Gesellschaftsrechts bisher nicht die Unterschiede der nationalen Rechtsvorschriften hinsichtlich des Anknüpfungspunkts bei Gesellschaften betroffen, so dass diese nach wie vor bestehen. Zwar enthalten bestimmte Verordnungen, wie die Verordnung Nr. 2137/85 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung, die Verordnung Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft und die Verordnung Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft, die auf der Grundlage von Art. 308 EG erlassen wurden, tatsächlich eine Regelung, wonach die mit ihnen eingeführten neuen Rechtsformen ihren satzungsmäßigen Sitz und damit auch ihren wahren Sitz, die nämlich in demselben Mitgliedstaat gelegen sein müssen, in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können, ohne dass dies zur Auflösung der ursprünglichen juristischen Person und zur Schaffung einer neuen juristischen Person führt; eine solche Verlegung bringt aber dennoch zwangsläufig die Änderung des auf die betreffende Einheit anwendbaren nationalen Rechts mit sich.
Möchte eine Gesellschaft jedoch nur ihren wahren Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen und zugleich eine Gesellschaft des inländischen Rechts bleiben, also ohne dass sich das anwendbare nationale Recht änderte, kann eine entsprechende Anwendung dieser Verordnungen in einem solchen Fall jedenfalls nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen.
(vgl. Randnrn. 109-110, 114-115, 117, 119, Tenor 4)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
16. Dezember 2008(*)
„Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat als den Gründungsmitgliedstaat − Antrag auf Änderung der Angabe zum Sitz im Handelsregister − Ablehnung − Berufung gegen eine Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts − Art. 234 EG − Vorabentscheidungsersuchen − Zulässigkeit – Begriff ‚Gericht‘ − Begriff ‚einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können‘ − Berufung gegen die Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird – Befugnis des Berufungsgerichts, diese Entscheidung aufzuheben – Niederlassungsfreiheit − Art. 43 EG und 48 EG“
In der Rechtssache C-210/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Szegedi Ítélőtábla (Ungarn) mit Entscheidung vom 20. April 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Mai 2006, in dem Verfahren
Cartesio Oktató és Szolgáltató bt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), A. Rosas, K. Lenaerts, A. Ó Caoimh und J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk, P. Kūris, E. Juhász und L. Bay Larsen sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, vertreten durch G. Zettwitz und P. Metzinger, ügyvédek,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch J. Fazekas und P. Szabó als Bevollmächtigte,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Boček als Bevollmächtigten,
– von Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. Collins, SC, und N. Travers, BL,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch E. Ośniecka-Tamecka als Bevollmächtigte,
– der slowenischen Regierung, vertreten durch M. Remic als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Harris als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Mai 2008
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG, 48 EG und 234 EG.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsmittels der Cartesio Oktató és Szolgáltató bt (im Folgenden: Cartesio), einer Gesellschaft mit Sitz in Baja (Ungarn), gegen die Entscheidung, mit der ihr Antrag auf Eintragung der Verlegung ihres Sitzes nach Italien im Handelsregister abgelehnt worden war.
Nationales Recht
Zivilprozessrecht
3 Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes III/1952 über das Verfahren in Zivilsachen (Polgári perrendtartásról szóló 152. évi III. törvény, im Folgenden: Zivilprozessordnung) bestimmt:
„Im zweiten Rechtszug entscheiden:
…
b) über Streitigkeiten, die vor den Bezirksgerichten oder dem Gericht Budapest verhandelt werden, die Regionalgerichte.“
4 Art. 155/A der Zivilprozessordnung sieht vor:
„(1) Das Gericht kann den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach den Vorschriften des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Vorabentscheidung ersuchen.
(2) Das Gericht entscheidet durch Beschluss über das Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und setzt das Verfahren aus. …
(3) Der Beschluss, mit dem ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wird, kann selbständig mit der Berufung angefochten werden. Keine selbständige Berufung ist gegen den Beschluss gegeben, mit dem ein Antrag auf Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens zurückgewiesen wird.
…“
5 In Art. 233 Abs. 1 der Zivilprozessordnung heißt es:
„Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, können gegen die Entscheidungen der Gerichte des ersten Rechtszugs die Parteien und die Streithelfer Berufung einlegen. …“
6 Art. 233/A der Zivilprozessordnung sieht vor:
„Gegen Beschlüsse, die im zweiten Rechtszug ergehen und gegen die die Berufung nach den Vorschriften, die für das Verfahren im ersten Rechtszug gelten, gegeben ist, … kann Berufung eingelegt werden.“
7 Art. 249/A der Zivilprozessordnung bestimmt:
„Der im zweiten Rechtszug erlassene Beschluss, mit dem ein Antrag auf Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens zurückgewiesen wird (Art. 155/A), kann selbständig mit der Berufung angefochten werden.“
8 In Art. 270 der Zivilprozessordnung heißt es:
„(1) Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, ist für das Revisionsverfahren der Legfelsőbb Bíróság [Oberstes Gericht] zuständig. Die allgemeinen Bestimmungen gelten entsprechend.
(2) Gegen rechtskräftige Endurteile und rechtskräftige Beschlüsse, die das Verfahren abschließen, können die Parteien und die Streithelfer unter Berufung auf einen Rechtsverstoß Revision beim Obersten Gericht einlegen; die Revision steht außerdem jedem, der von der Entscheidung betroffen ist, gegen den Teil der Entscheidung zu, der sich auf ihn bezieht.
…“
9 Art. 271 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bestimmt:
„Die Revision ist nicht gegeben
a) gegen Entscheidungen, die im ersten Rechtszug rechtskräftig geworden sind, es sei denn, das Gesetz sieht die Revision ausdrücklich vor;
b) wenn eine Partei nicht von ihrem Recht auf Einlegung der Berufung Gebrauch gemacht hat und das Gericht des zweiten Rechtszugs das Urteil des ersten Rechtszugs aufgrund einer Berufung der anderen Partei bestätigt.
…“
10 Art. 273 Abs. 3 der Zivilprozessordnung sieht vor:
„Die Einlegung der Revision hemmt nicht die Vollstreckung der Entscheidung; auf Antrag der Partei kann der Legfelsőbb Bíróság jedoch ausnahmsweise die Vollstreckung des Urteils aussetzen. …“
Gesellschaftsrecht
11 Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften (a gazdasági társaságokról szóló 1997. évi CXLIV. törvény) bestimmt:
„Dieses Gesetz regelt die Gründung, die Verfassung und den Betrieb der Handelsgesellschaften mit Sitz in Ungarn, die Rechte, die Pflichten und die Haftung der Gründer und der Gesellschafter (Aktionäre) der Gesellschaft sowie den Formwechsel, die Spaltung … und die Auflösung der Gesellschaft.“
12 Art. 11 dieses Gesetzes sieht vor:
„Der Gesellschaftsvertrag (Gründungsurkunde, Satzung der Gesellschaft) enthält:
a) die Firma und den Sitz der Handelsgesellschaft
…“
13 Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes CXLV/1997 über das Handelsregister, die Publizität der Unternehmen und das gerichtliche Verfahren in Handelssachen (a cégnyilvánosságról és a bírósági cégeljárásról szóló 1997. évi CXLV. törvény, im Folgenden: Handelsregistergesetz) bestimmt:
„Unter einer Gesellschaft ist eine Handelsorganisation … oder ein anderer Rechtsträger mit gewerblichem Charakter … zu verstehen, die, sofern nicht ein Gesetz oder eine Regierungsverordnung etwas anderes bestimmt, mit ihrer Eintragung im Handelsregister zur Ausübung einer auf Gewinnerzielung gerichteten gewerblichen Tätigkeit gegründet werden …“
14 Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes lautet:
„Im Handelsregister dürfen die in Art. 1 aufgeführten Rechtsträger eingetragen sein, deren Eintragung nach den registerrechtlichen Vorschriften vorgeschrieben oder zulässig ist.“
15 Art. 11 des Gesetzes sieht vor:
„(1) Die Eintragung der Unternehmen im Handelsregister erfolgt durch die Bezirksgerichte und das Gericht Budapest als mit der Führung des Handelsregisters betraute Gerichte. …
(2) … für die Eintragung der Unternehmen im Register und für die Durchführung jedes anderen gesetzlich vorgesehenen, die Unternehmen betreffenden Verfahrens sind die Gerichte zuständig, in deren Bezirk sich der Sitz des Unternehmens befindet.
…“
16 Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes bestimmt:
„Die in diesem Gesetz bezeichneten unternehmensbezogenen Daten werden im Handelsregister eingetragen. Für alle Unternehmen erfasst das Register:
…
d) den Sitz der Gesellschaft …“
17 Art. 16 Abs. 1 des Handelsregistergesetzes sieht vor:
„Sitz des Unternehmens ist … der Ort, an dem sich die Hauptverwaltung befindet …“
18 Art. 29 Abs. 1 dieses Gesetzes lautet:
„Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, muss der Antrag auf Eintragung der Änderung unternehmensbezogener Eintragungen innerhalb von dreißig Tagen nach Eintritt der Änderung beim Handelsregistergericht eingereicht werden.“
19 Art. 34 Abs. 1 des Gesetzes bestimmt:
„Wird der Sitz einer Gesellschaft an einen Ort verlegt, der in die Zuständigkeit eines anderen, mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts fällt, ist diese Änderung bei dem Gericht einzutragen, das für den Ort des früheren Sitzes zuständig ist. Das zuletzt genannte Gericht prüft die Anträge, die sich auf Änderungen beziehen, die vor der Änderung des Sitzes eintreten, und bestätigt die Verlegung des Sitzes.“
Internationales Privatrecht
20 Art. 18 des Gesetzesdekrets Nr. 13/1979 über das internationale Privatrecht (a nemzetközi magánjogról szóló 1979. évi 13. törvényerejű rendelet) bestimmt:
„(1) Die Rechtsfähigkeit juristischer Personen, ihre handelsrechtliche Stellung, die aus ihrer Rechtspersönlichkeit abgeleiteten Rechte und die Rechtsbeziehungen zwischen ihren Mitgliedern richten sich nach ihrem Personalstatut.
(2) Personalstatut der juristischen Personen ist das Recht des Staates, in dem sie eingetragen sind.
(3) Ist die juristische Person nach dem Recht mehrerer Staaten eingetragen worden oder ist nach den Vorschriften des Staates, in dem die Gesellschaft laut Satzung ihren Sitz hat, die Eintragung nicht erforderlich, ist ihr Personalstatut das Recht des Sitzstaats.
(4) Ist in der Satzung der juristischen Person kein Sitz angegeben oder hat die juristische Person mehrere Sitze und ist nach dem Recht eines dieser Staaten die Eintragung nicht erforderlich, ist ihr Personalstatut das Recht des Staates, in dem sich die Hauptverwaltung befindet.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
21 Cartesio wurde am 20. Mai 2004 in der Rechtsform einer „betéti társaság“ (Kommanditgesellschaft) ungarischen Rechts gegründet. Als ihr Sitz wurde Baja (Ungarn) festgelegt. Sie wurde am 11. Juni 2004 im Handelsregister eingetragen.
22 Kommanditist – der nur zur Kapitaleinlage verpflichtet ist − und Komplementär − der unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haftet − der Gesellschaft sind zwei natürliche Personen, die in Ungarn ansässig sind und die ungarische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Gesellschaft ist u. a. in den Bereichen Humanressourcen, Sekretariat, Übersetzung, Unterricht und Bildung tätig.
23 Am 11. November 2005 stellte Cartesio beim Bács-Kiskun Megyei Bíróság (Bezirksgericht Bács-Kiskun) als Cégbíróság (Handelsregistergericht) einen Antrag, die Verlegung ihres Sitzes nach Gallarate (Italien) zu bestätigen und die Sitzangabe im Handelsregister entsprechend zu ändern.
24 Mit Entscheidung vom 24. Januar 2006 wurde dieser Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach geltendem ungarischem Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen könne.
25 Cartesio hat gegen diese Entscheidung Berufung beim Szegedi Ítélőtábla (Regionalgericht Szeged) eingelegt.
26 Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 13. Dezember 2005, SEVIC Systems (C-411/03, Slg. 2005, I-10805), machte Cartesio vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass das ungarische Gesetz insoweit, als es Handelsgesellschaften unterschiedlich behandele, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sich ihr Sitz befinde, gegen die Art. 43 EG und 48 EG verstoße. Aus diesen Artikeln ergebe sich, dass das ungarische Gesetz den ungarischen Gesellschaften nicht vorschreiben könne, Ungarn als Sitzland zu wählen.
27 Cartesio trug weiter vor, das vorlegende Gericht sei verpflichtet, insoweit eine Vorabentscheidungsfrage zu stellen, da es ein letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht sei.
28 Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach ungarischem Recht weder das Verfahren vor den mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichten noch das Verfahren vor den Gerichten, die über Berufungen gegen die Entscheidungen der Handelsregistergerichte befänden, streitigen Charakter habe. Es stelle sich daher die Frage, ob es ein „Gericht“ im Sinne von Art. 234 EG sei.
29 Sollte diese Frage zu bejahen sein, bleibe offen, ob es im Hinblick auf Art. 234 Abs. 3 EG als ein Gericht anzusehen sei, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden könnten.
30 Nach ungarischem Recht seien seine Berufungsentscheidungen zwar rechtskräftig und vollstreckbar, sie könnten jedoch Gegenstand eines außerordentlichen Rechtsmittels, nämlich einer Revision beim Legfelsőbb Bíróság, sein.
31 Da mit der Revision die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleistet werden solle, seien die Möglichkeiten, ein solches Rechtsmittel einzulegen, allerdings beschränkt, insbesondere durch die Zulässigkeitsvoraussetzung, dass eine Rechtsverletzung geltend gemacht werden müsse.
32 Sodann führt das vorlegende Gericht aus, dass in der Lehre und der nationalen Rechtsprechung Fragen zur Vereinbarkeit der Bestimmungen in Art. 155/A und 249/A der Zivilprozessordnung über die Rechtsmittel gegen Entscheidungen, mit denen ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof gerichtet wird, mit Art. 234 EG aufgeworfen worden seien.
33 Diese Bestimmungen könnten zur Folge haben, dass ein Berufungsgericht ein Gericht, das beschlossen habe, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, daran hindere, obwohl die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof für die Entscheidung des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei.
34 Zum Kern des Ausgangsverfahrens führt das vorlegende Gericht unter Bezugnahme auf das Urteil vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (81/87, Slg. 1988, 5483), aus, dass die in den Art. 43 EG und 48 EG vorgesehene Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet und in diesem eingetragen sei, nicht das Recht gewähre, ihre Hauptverwaltung und damit ihre Hauptniederlassung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Rechtspersönlichkeit und ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu behalten, wenn sich die zuständigen Behörden dem widersetzten.
35 Der Gerichtshof, so das vorlegende Gericht, könnte diesen Grundsatz jedoch in seiner späteren Rechtsprechung modifiziert haben.
36 In diesem Zusammenhang weist es auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hin, wonach Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften alle Maßnahmen seien, die die Ausübung dieser Freiheit verböten, behinderten oder weniger attraktiv machten, und bezieht sich dabei insbesondere auf das Urteil vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Randnrn. 11 und 12).
37 Außerdem habe der Gerichtshof im Urteil SEVIC Systems entschieden, dass die Art. 43 EG und 48 EG dem entgegenstünden, dass in einem Mitgliedstaat die Eintragung einer Verschmelzung durch Auflösung ohne Abwicklung einer Gesellschaft und durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf eine andere Gesellschaft im nationalen Handelsregister generell verweigert werde, wenn eine der beiden Gesellschaften ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, während eine solche Eintragung, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien, möglich sei, wenn beide an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ihren Sitz im erstgenannten Mitgliedstaat hätten.
38 Es sei ferner ein in der Rechtsprechung des Gerichtshofs fest verankerter Grundsatz, dass die nationalen Rechtsordnungen die Gesellschaften nicht unterschiedlich behandeln dürften, je nach der Staatsangehörigkeit desjenigen, der ihre Eintragung im Handelsregister beantrage.
39 Schließlich sähen die Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) (ABl. L 199, S. 1) und die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294, S. 1) für die mit ihnen geschaffenen Arten von Gemeinschaftsunternehmen flexiblere und weniger kostenträchtige Bestimmungen vor, die es ihnen erlaubten, ihren Sitz oder ihre Niederlassung ohne vorherige Liquidation in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
40 Da das Szegedi Ítélőtábla der Auffassung ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist ein Gericht des zweiten Rechtszugs, das über ein Rechtsmittel gegen den Beschluss eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts in einem Verfahren betreffend die Änderung von Registereintragungen zu entscheiden hat, befugt, ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne von Art. 234 EG einzureichen, wenn weder das Verfahren, in dem der Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts ergeht, noch das Rechtsmittelverfahren streitigen Charakter haben?
2. Falls das Gericht des zweiten Rechtszugs unter den Begriff des Gerichts fällt, das nach Art. 234 EG zur Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage befugt ist, handelt es sich dann bei diesem Gericht um ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht, das gemäß Art. 234 EG bei Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet ist, den Gerichtshof anzurufen?
3. Kann und darf die – unmittelbar aus Art. 234 EG abgeleitete – Befugnis der ungarischen Gerichte zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen durch eine einzelstaatliche Bestimmung eingeschränkt werden, aufgrund deren gegen einen Vorlagebeschluss Rechtsmittel nach nationalen Rechtsvorschriften eingelegt werden kann, wenn das mit dem Rechtsmittel befasste höhere nationale Gericht diesen Beschluss abändern, das Vorabentscheidungsersuchen außer Kraft setzen und das Gericht, das den Vorlagebeschluss erlassen hat, anweisen kann, das ausgesetzte nationale Verfahren fortzusetzen?
4. a) Handelt es sich bei der Absicht einer in Ungarn nach ungarischem Gesellschaftsrecht gegründeten und im ungarischen Handelsregister eingetragenen Gesellschaft, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu verlegen, um eine Frage, deren Regelung unter das Gemeinschaftsrecht fällt, oder ist mangels Harmonisierung der Rechtsvorschriften ausschließlich das nationale Recht anwendbar?
b) Kann sich eine ungarische Gesellschaft bei der Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unmittelbar auf das Gemeinschaftsrecht (hier die Art. 43 EG und 48 EG) berufen? Wenn ja, kann die Sitzverlegung – sei es durch den Herkunftsstaat, sei es durch den Aufnahmestaat – von einer Bedingung oder einer Genehmigung abhängig gemacht werden?
c) Sind die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung oder Praxis mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, wonach Handelsgesellschaften in Bezug auf die Ausübung ihrer Rechte unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind?
d) Sind die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung oder Praxis mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, wonach es einer Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats verwehrt ist, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu verlegen?
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
41 Mit Schriftsatz, der am 9. September 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Irland beantragt, der Gerichtshof möge nach Art. 61 der Verfahrensordnung in Bezug auf die vierte Vorlagefrage die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen.
42 Diesen Antrag stützt Irland darauf, dass die Vorlageentscheidung, anders als der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen meine, nicht dahin zu verstehen sei, dass sich die vierte Frage auf die Verlegung des Gesellschaftssitzes beziehe, der nach ungarischem Recht als Ort der Hauptverwaltung und damit als tatsächlicher Sitz der Gesellschaft definiert sei.
43 Aus der Vorlageentscheidung in der englischen Übersetzung gehe vielmehr hervor, dass diese Frage die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes betreffe.
44 Daher sei eine der tatsächlichen Prämissen, auf denen die Würdigung des Generalanwalts beruhe, unrichtig.
45 Sollte sich der Gerichtshof jedoch auf diese Prämisse stützen wollen, müsse er die mündliche Verhandlung wiedereröffnen, um den am vorliegenden Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich auf der Grundlage dieser Prämisse zu äußern.
46 Nach der Rechtsprechung kann der Gerichtshof gemäß Art. 61 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auf Antrag der Parteien die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. insbesondere Urteil vom 26. Juni 2008, Burda, C-284/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Insoweit ist erstens festzustellen, dass sich der Vorlageentscheidung als Ganzes entnehmen lässt, dass die vierte Frage nicht die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gesellschaft, sondern die Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes betrifft.
48 So ergibt sich, wie in der Vorlageentscheidung ausgeführt, aus den ungarischen Rechtsvorschriften über die Eintragung von Gesellschaften, dass der Sitz einer Gesellschaft im Sinne dieser Vorschriften als der Ort, an dem sich die Hauptverwaltung befindet, definiert ist.
49 Darüber hinaus hat das vorlegende Gericht das Ausgangsverfahren in den Kontext des dem Urteil Daily Mail and General Trust zugrunde liegenden Falles gestellt, den es dahin gehend beschreibt, dass eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet und in diesem Mitgliedstaat eingetragen ist, ihre Hauptverwaltung und damit ihre Hauptniederlassung unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit und ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit in einen anderen Mitgliedstaat verlegen will, die zuständigen Behörden sich dem jedoch widersetzen. Es sieht sich insbesondere vor die Frage gestellt, ob der in diesem Urteil aufgestellte Grundsatz, dass die Art. 43 EG und 48 EG den Gesellschaften nicht das Recht auf eine solche Verlegung ihrer Hauptverwaltung unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit, wie sie ihnen im Staat ihrer Gründung verliehen wurde, durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs modifiziert wurde.
50 Zweitens wurde Irland, wie auch die anderen Beteiligten, vom Gerichtshof ausdrücklich dazu aufgefordert, in seinen mündlichen Ausführungen davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren aufgeworfene Frage die Verlegung des tatsächlichen Sitzes der betroffenen Gesellschaft, d. h. des Ortes, an dem sich die Geschäftsleitung befindet, in einen anderen Mitgliedstaat betrifft.
51 Zwar ist Irland in seinen Ausführungen dennoch davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft in Rede steht, es hat aber, wenn auch nur kurz, seine Auffassung zur Hypothese, dass das Ausgangsverfahren die Verlegung des tatsächlichen Sitzes der Gesellschaft betrifft, dargelegt, die es im Übrigen in seinem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wiederholt hat.
52 Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Ansicht, dass er über alle erforderlichen Angaben verfügt, um die Vorlagefragen beantworten zu können, und dass die Rechtssache nicht auf der Grundlage eines zwischen den Parteien nicht erörterten Vorbringens entschieden werden muss.
53 Es besteht daher keine Veranlassung, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
54 Mit dieser Frage wird der Gerichtshof danach gefragt, ob ein Gericht wie das vorlegende, bei dem eine Berufung gegen die Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts anhängig ist, mit der ein Antrag auf Änderung einer Angabe in diesem Register abgelehnt wird, als ein nach Art. 234 EG zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugtes Gericht anzusehen ist, obwohl weder die Entscheidung des Handelregistergerichts in einem streitigen Verfahren ergeht, noch die Prüfung der Berufung gegen diese Entscheidung durch das vorlegende Gericht in einem solchen erfolgt.
55 Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof zur Beurteilung der rein gemeinschaftsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein Gericht im Sinne von Art. 234 EG handelt, auf eine Reihe von Gesichtspunkten ab, wie gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch diese Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (vgl. insbesondere Urteil vom 27. April 2006, Standesamt Stadt Niebüll, C-96/04, Slg. 2006, I-3561, Randnr. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).
56 Was den streitigen Charakter des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht angeht, hängt die Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 234 EG jedoch nicht davon ab, ob dieses Verfahren streitigen Charakter hat. Aus diesem Artikel ergibt sich aber, dass die nationalen Gerichte den Gerichtshof nur anrufen können, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 15. Januar 2002, Lutz u. a., C-182/00, Slg. 2002, I-547, Randnr. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Handelt ein mit der Führung eines Registers betrautes Gericht als Verwaltungsbehörde, ohne dass es gleichzeitig einen Rechtsstreit zu entscheiden hat, kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass es eine Rechtsprechungstätigkeit ausübt. Das ist z. B. der Fall, wenn es über den Antrag auf Eintragung einer Gesellschaft im Register in einem Verfahren entscheidet, das nicht die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, von dem geltend gemacht wird, dass er ein Recht des Antragstellers verletze (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil Lutz u. a., Randnr. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).
58 Dagegen ist bei einem Gericht, das mit einer Berufung gegen die Entscheidung eines vorinstanzlichen Gerichts befasst ist, das mit der Führung eines Registers betraut ist und einem solchen Eintragungsantrag nicht stattgeben will, ein Rechtsstreit anhängig, und es übt eine Rechtsprechungstätigkeit aus, weil diese Berufung die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, der ein Recht des Antragstellers verletzen soll.
59 Daher ist das Berufungsgericht in einem solchen Fall grundsätzlich als Gericht im Sinne von Art. 234 EG anzusehen, das zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist (vgl. zu diesen Fallkonstellationen insbesondere Urteil vom 15. Mai 2003, Salzmann, C-300/01, Slg. 2003, I-4899, Urteil SEVIC Systems und Urteil vom 11. Oktober 2007, Möllendorf u. a., C-117/06, Slg. 2007, I-8361).
60 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren als Berufungsgericht über die Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung befindet, mit der ein mit der Führung des Handelsregisters betrautes vorinstanzliches Gericht den Antrag einer Gesellschaft auf Eintragung der Verlegung ihres Sitzes in diesem Register, was die Änderung einer Registereintragung erfordert, abgelehnt hat.
61 Demnach ist im Ausgangsverfahren beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit anhängig, und es übt eine Rechtsprechungstätigkeit aus, obwohl das Verfahren keinen streitigen Charakter hat.
62 Das vorlegende Gericht ist daher in Anbetracht der in den Randnrn. 55 und 56 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung als „Gericht“ im Sinne von Art. 234 EG anzusehen.
63 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass ein Gericht wie das vorlegende, bei dem eine Berufung gegen die Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts anhängig ist, das einen Antrag auf Änderung einer Angabe in diesem Register abgelehnt hat, als Gericht anzusehen ist, das nach Art. 234 EG zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist, obwohl weder die Entscheidung des Handelsregistergerichts in einem streitigen Verfahren ergeht, noch die Prüfung der Berufung durch das vorlegende Gericht in einem solchen erfolgt.
Zur zweiten Frage
64 Mit dieser Frage wird der Gerichtshof danach gefragt, ob ein Gericht wie das vorlegende, dessen in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens ergangene Entscheidungen Gegenstand einer Revision sein können, als Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG anzusehen ist, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.
Zur Zulässigkeit
65 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt vor, diese Frage sei unzulässig, da sie offensichtlich insoweit nicht entscheidungserheblich sei, als das Vorabentscheidungsersuchen dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden sei, so dass es irrelevant sei, ob die Vorlage zwingend sei oder nicht.
66 Dieser Einwand ist zurückzuweisen.
67 Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a., C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
68 Wie in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat Cartesio vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht, dass dieses verpflichtet sei, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, weil es als ein Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG anzusehen sei, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden könnten.
69 Wegen seiner Zweifel hinsichtlich dieses Vorbringens hat das vorlegende Gericht beschlossen, dem Gerichtshof eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.
70 Es wäre jedoch mit dem Geist der Zusammenarbeit, der den Beziehungen zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof zugrunde liegen soll, und dem Gebot der Verfahrensökonomie unvereinbar, wenn das nationale Gericht zunächst allein die Frage, ob es zu den in Art. 234 Abs. 3 EG genannten Gerichten gehört, zur Vorabentscheidung vorlegen müsste, um dann gegebenenfalls mit einem zweiten Vorabentscheidungsersuchen Fragen zu den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vorzulegen, auf die es für die Begründetheit der bei ihm anhängigen Klage ankommt.
71 Außerdem hat der Gerichtshof bereits eine Frage zur Art des vorlegenden Gerichts im Hinblick auf Art. 234 Abs. 3 EG in einem Zusammenhang beantwortet, der eindeutige Ähnlichkeiten mit dem hier vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufweist, ohne dass er die Zulässigkeit dieser Frage bezweifelt hätte (Urteil vom 4. Juni 2002, Lyckeskog, C-99/00, Slg. 2002, I-4839).
72 Unter diesen Umständen erweist sich nicht oder ist zumindest nicht offensichtlich, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.
73 Die für Vorabentscheidungsersuchen sprechende Vermutung der Entscheidungserheblichkeit wird daher in Bezug auf die erste Frage durch den Einwand der Kommission nicht widerlegt (vgl. insbesondere Urteil van der Weerd u. a., Randnrn. 22 und 23).
74 Die zweite Vorlagefrage ist somit zulässig.
Antwort auf die zweite Frage
75 Diese Frage geht dahin, ob das vorlegende Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG als ein „einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“, anzusehen ist. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass diese Frage im Hinblick auf den in den Randnrn. 30 und 31 des vorliegenden Urteils angeführten Umstand, dass Berufungsentscheidungen dieses Gerichts nach ungarischem Recht zwar Gegenstand eines außerordentlichen Rechtsmittels sein können, nämlich einer Revision vor dem Legfelsőbb Bíróság, die die Einheit der Rechtsprechung gewährleisten soll, dass die Möglichkeiten zur Einlegung eines solchen Rechtsmittels jedoch beschränkt sind, insbesondere durch die Zulässigkeitsvoraussetzung, dass eine Rechtsverletzung geltend gemacht werden muss, sowie im Hinblick auf die ebenfalls in der Vorlageentscheidung angeführte Tatsache gestellt wird, dass die Einlegung einer Revision nach ungarischem Recht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat.
76 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Entscheidungen eines nationalen Rechtsmittelgerichts, die von den Parteien bei einem obersten Gericht angefochten werden können, nicht von einem „einzelstaatlichen Gericht …, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“, wie es in Art. 234 EG heißt, stammen. Der Umstand, dass eine solche Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht in der Sache geprüft werden kann, bewirkt nicht, dass den Parteien das Rechtsmittel entzogen wird (Urteil Lyckeskog, Randnr. 16).
77 Dies gilt umso mehr für ein Verfahren wie das, in dem über den Ausgangsrechtsstreit entschieden werden muss, weil es keine solche vorherige Zulassungserklärung durch das oberste Gericht kennt, sondern lediglich Beschränkungen insbesondere hinsichtlich der Art der Rechtsmittelgründe vorsieht, die vor diesem Gericht geltend gemacht werden können, nämlich, dass eine Rechtsverletzung gerügt werden muss.
78 Solche Beschränkungen führen ebenso wenig wie die fehlende aufschiebende Wirkung der Revision vor dem Legfelsőbb Bíróság dazu, dass den Parteien, die vor einem Gericht aufgetreten sind, dessen Entscheidungen mit einer solchen Revision angegriffen werden können, die Möglichkeit genommen wird, ihr Recht, gegen die Entscheidung dieses über einen Rechtsstreit wie den des Ausgangsverfahrens befindenden Gerichts ein solches Rechtsmittel einzulegen, wirksam auszuüben. Diese Beschränkungen und die fehlende aufschiebende Wirkung bedeuten daher nicht, dass dieses Gericht als ein Gericht zu betrachten ist, gegen dessen Entscheidungen kein Rechtsmittel eingelegt werden kann.
79 Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass ein Gericht wie das vorlegende, dessen in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens ergangene Entscheidungen Gegenstand einer Revision sein können, nicht als Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG angesehen werden kann, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.
Zur dritten Frage
Zur Zulässigkeit
80 Irland macht geltend, die Frage sei insoweit hypothetisch und damit unzulässig, als eine Antwort auf diese Frage dem vorlegenden Gericht nicht zweckdienlich sein könne, weil gegen die Vorlageentscheidung keine Revision eingelegt worden sei.
81 Auch die Kommission fordert den Gerichtshof auf, festzustellen, dass diese Frage wegen ihres hypothetischen Charakters nicht zu beantworten sei, weil die Vorlageentscheidung rechtskräftig geworden und beim Gerichtshof eingegangen sei.
82 Diesen Einwänden kann nicht gefolgt werden.
83 Die für Vorabentscheidungsersuchen sprechende Vermutung der Entscheidungserheblichkeit kann zwar, wie in Randnr. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt, unter bestimmten Umständen widerlegt werden, insbesondere wenn der Gerichtshof feststellt, dass das Problem hypothetischer Natur ist.
84 Irland und die Kommission tragen vor, das mit der dritten Frage aufgeworfene Problem der etwaigen Unvereinbarkeit der nationalen Vorschriften über die Berufung gegen eine Entscheidung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, mit Art. 234 Abs. 2 EG sei hypothetischer Natur, weil hier keine Berufung gegen die Vorlageentscheidung eingelegt worden sei, so dass sie rechtskräftig geworden sei.
85 Weder diese Entscheidung noch die dem Gerichtshof übermittelten Akten lassen jedoch die Feststellung zu, dass gegen diese Entscheidung keine Berufung eingelegt worden ist oder mehr eingelegt werden könnte.
86 In Anbetracht der in Randnr. 67 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist in einer solchen Situation der Ungewissheit, da die Richtigkeit der Bestimmung des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens der Vorlagefrage in der Verantwortung des nationalen Richters liegt, die für die vorliegende Vorlagefrage sprechende Vermutung der Entscheidungserheblichkeit nicht widerlegt.
87 Die dritte Vorlagefrage ist daher zulässig.
Antwort auf die dritte Frage
88 Nach Art. 234 EG sind die nationalen Gerichte zur Vorlage berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet, wenn sie von Amts wegen oder auf Anregung der Parteien feststellen, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine der in Art. 234 Abs. 1 genannten Fragen ankommt. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof haben, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, über die diese Gerichte im konkreten Fall entscheiden müssen (Urteil vom 16. Januar 1974, Rheinmühlen-Düsseldorf, 166/73, Slg. 1974, 33, Randnr. 3).
89 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich auch, dass Art. 234 EG im Hinblick auf ein Gericht, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht ausschließt, dass gegen die Entscheidungen, mit denen ein solches Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht, die normalen Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts gegeben sind. Der Gerichtshof ist jedoch im Interesse der Klarheit und der Rechtssicherheit an die Vorlageentscheidung gebunden; diese muss ihre Wirkungen entfalten, solange sie nicht aufgehoben ist (Urteil vom 12. Februar 1974, Rheinmühlen-Düsseldorf, 146/73, Slg. 1974, 139, Randnr. 3).
90 Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass das System, das mit Art. 234 EG geschaffen wurde, um die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch ein Verfahren einführt, das der Parteiherrschaft entzogen ist (Urteil vom 12. Februar 2008, Kempter, C-2/06, Slg. 2008, I-411, Randnr. 41).
91 Die Vorlage zur Vorabentscheidung beruht nämlich auf einem Dialog des einen mit dem anderen Gericht, dessen Aufnahme ausschließlich von der Beurteilung der Erheblichkeit und der Notwendigkeit der Vorlage durch das nationale Gericht abhängt (Urteil Kempter, Randnr. 42).
92 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, selbständig mit der Berufung angefochten werden kann, wobei das Ausgangsverfahren jedoch insgesamt bei dem Gericht anhängig bleibt, das diese Entscheidung erlassen hat, und bis zur Verkündung des Urteils durch den Gerichtshof ausgesetzt wird. Das so angerufene Berufungsgericht kann nach ungarischem Recht die Entscheidung abändern, das Vorabentscheidungsersuchen außer Kraft setzen und dem erstinstanzlichen Richter aufgeben, das ausgesetzte nationale Verfahren fortzusetzen.
93 Wie sich aus der in den Randnrn. 88 und 89 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, schließt Art. 234 EG im Hinblick auf ein Gericht, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht aus, dass gegen die Entscheidungen, mit denen dieses Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht, die normalen Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts gegeben sind. Die Entscheidung über ein solches Rechtsmittel kann jedoch nicht die dem vorlegenden Gericht durch Art. 234 EG eingeräumte Befugnis einschränken, den Gerichtshof anzurufen, wenn es meint, dass eine bei ihm anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, die eine Entscheidung des Gerichtshofs erfordern.
94 Darüber hinaus hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es einem erstinstanzlichen Gericht in dem Fall, dass es nach Aufhebung eines von ihm erlassenen Urteils durch ein höchstrichterliches Gericht ein zweites Mal mit einer Rechtssache befasst ist, unbenommen bleibt, den Gerichtshof nach Art. 234 EG anzurufen, auch wenn eine innerstaatliche Rechtsnorm besteht, die die Gerichte an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten Gerichts bindet (Urteil vom 12. Februar 1974, Rheinmühlen-Düsseldorf).
95 Bei Anwendung nationaler Rechtsvorschriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, Rechtsmittel einzulegen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Ausgangsverfahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorlageentscheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist, wäre die dem erstinstanzlichen Gericht durch Art. 234 EG eingeräumte selbständige Befugnis, den Gerichtshof anzurufen, in Frage gestellt, wenn das Berufungsgericht dadurch, dass es die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, abändert, außer Kraft setzt und dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, aufgibt, das ausgesetzte Verfahren fortzusetzen, das vorlegende Gericht daran hindern könnte, von der ihm durch den Vertrag eingeräumten Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs Gebrauch zu machen.
96 Nach Art. 234 EG liegt die Beurteilung der Erheblichkeit und der Erforderlichkeit der Vorabentscheidungsfrage nämlich in der alleinigen Verantwortung des Gerichts, das das Vorabentscheidungsersuchen beschließt, vorbehaltlich der eingeschränkten Überprüfung, die der Gerichtshof nach der in Randnr. 67 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung vornimmt. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, die Konsequenzen aus dem Urteil über das Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen wird, zu ziehen und gegebenenfalls festzustellen, dass sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten, abzuändern oder zurückzuziehen ist.
97 Daraus ergibt sich, dass der Gerichtshof in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, auch im Interesse der Klarheit und der Rechtssicherheit, an die Entscheidung, mit der das Vorabentscheidungsersuchen beschlossen worden ist, gebunden ist; diese muss ihre Wirkungen entfalten, solange sie nicht von dem Gericht, das sie erlassen hat, aufgehoben oder geändert worden ist, denn nur dieses Gericht kann eine solche Aufhebung oder Änderung beschließen.
98 Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 234 Abs. 2 EG bei nationalen Rechtsvorschriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wird, Rechtsmittel einzulegen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Ausgangsverfahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorlageentscheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist, dahin auszulegen ist, dass die mit dieser Vertragsbestimmung den nationalen Gerichten eingeräumte Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nicht durch die Anwendung dieser Rechtsvorschriften in Frage gestellt werden darf, nach denen das Rechtsmittelgericht die Entscheidung, mit der die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof beschlossen wird, abändern, außer Kraft setzen und dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, aufgeben kann, das nationale Verfahren, das ausgesetzt worden war, fortzusetzen.
Zur vierten Frage
99 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es einer nach dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft, die dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats unterliegt, nach dessen Recht sie gegründet wurde, behält.
100 Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass Cartesio, eine nach ungarischem Recht gegründete Gesellschaft, die bei ihrer Gründung ihren Sitz in Ungarn genommen hat, diesen nach Italien verlegt hat, dabei aber ihre Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts behalten möchte.
101 Nach dem Gesetz über die Handelsregistereintragung befindet sich der Sitz einer Gesellschaft ungarischen Rechts an dem Ort, an dem sich die Hauptverwaltung befindet.
102 Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Antrag von Cartesio auf Eintragung der Änderung ihres Sitzes im Handelsregister vom Handelsregistergericht abgelehnt worden sei, weil eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach ungarischem Recht nicht ihren Sitz, wie er in dem genannten Gesetz definiert sei, ins Ausland verlegen und zugleich das ungarische Recht als Personalstatut behalten könne.
103 Eine solche Verlegung erfordere, dass die Gesellschaft zunächst zu bestehen aufhöre und dann nach dem Recht des Landes, in das der Sitz verlegt werden solle, neu gegründet werde.
104 In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof in Randnr. 19 des Urteils Daily Mail and General Trust ausgeführt, dass eine aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründete Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, keine Realität hat.
105 In Randnr. 20 des genannten Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, dass hinsichtlich dessen, was für die Gründung einer Gesellschaft an Verknüpfung mit dem nationalen Gebiet erforderlich ist, wie hinsichtlich der Möglichkeit einer nach einem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft, diese Verknüpfung nachträglich zu ändern, erhebliche Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten bestehen. In einigen Mitgliedstaaten muss nicht nur der satzungsmäßige, sondern auch der wahre Sitz, also die Hauptverwaltung der Gesellschaft, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegen; die Verlegung der Geschäftsleitung aus diesem Gebiet hinaus setzt somit die Liquidierung der Gesellschaft mit allen Folgen voraus, die eine solche Liquidierung auf gesellschaftsrechtlichem Gebiet mit sich bringt. Andere Mitgliedstaaten gestehen den Gesellschaften das Recht zu, ihre Geschäftsleitung ins Ausland zu verlegen, aber einige beschränken dieses Recht; die rechtlichen Folgen der Verlegung sind in jedem Mitgliedstaat anders.
106 Der Gerichtshof hat in Randnr. 21 des Urteils Daily Mail and General Trust weiter ausgeführt, dass der EWG-Vertrag diesen Unterschieden im nationalen Recht Rechnung trägt. Bei der Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, in Art. 58 EWG-Vertrag (zunächst Art. 58 EG-Vertrag, jetzt Art. 48 EG) werden der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung einer Gesellschaft als Anknüpfung gleich geachtet.
107 Im Urteil vom 5. November 2002, Überseering (C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Randnr. 70), hat der Gerichtshof unter Bestätigung dieser Erwägungen festgestellt, dass sich die Möglichkeit für eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, ohne die ihr durch die Rechtsordnung des Gründungsmitgliedstaats zuerkannte Rechtspersönlichkeit zu verlieren, und gegebenenfalls die Modalitäten dieser Verlegung nach den nationalen Rechtsvorschriften beurteilen, nach denen diese Gesellschaft gegründet worden ist. Er hat daraus den Schluss gezogen, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann.
108 Zu diesem Schluss ist der Gerichtshof auch auf der Grundlage des Art. 58 EWG-Vertrag gelangt. Denn bei der Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, in dieser Vorschrift betrachtet der EWG-Vertrag die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtsetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; dazu ist es jedoch bisher noch nicht gekommen (vgl. in diesem Sinne Urteile Daily Mail and General Trust, Randnrn. 21 bis 23, und Überseering, Randnr. 69).
109 In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft, ebenso wie im Übrigen die Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grund auf diese Freiheit berufen kann, daher gemäß Art. 48 EG eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalem Recht beantwortet werden kann. Nur wenn die Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 48 EG genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit im Sinne des Art. 43 EG gegenübersieht.
110 Ein Mitgliedstaat kann somit sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Diese Befugnis umfasst die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitgliedstaats vorsieht.
111 Der Fall einer solchen Verlegung des Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat ohne Änderung des für sie maßgeblichen Rechts ist jedoch von dem Fall zu unterscheiden, dass eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts verlegt und dabei in eine dem nationalen Recht des zweiten Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird.
112 Denn in diesem zweiten Fall kann die in Randnr. 110 des vorliegenden Urteils angesprochene Befugnis – die keinesfalls irgendeine Freistellung des nationalen Rechts über die Gründung und Auflösung von Gesellschaften von der Beachtung der Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit impliziert – insbesondere nicht rechtfertigen, dass der Gründungsmitgliedstaat die Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt, daran hindert, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht dieses anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist.
113 Ein solches Hemmnis für die tatsächliche Umwandlung, ohne vorherige Auflösung und Liquidation, einer solchen Gesellschaft in eine Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, in den sie sich begeben möchte, stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Gesellschaft dar, die, wenn sie nicht zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, nach Art. 43 EG verboten ist (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil CaixaBank France, Randnrn. 11 und 17).
114 Darüber hinaus ist festzustellen, dass die in Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EG und Art. 293 EG vorgesehenen legislativen und vertraglichen Arbeiten im Bereich des Gesellschaftsrechts seit den Urteilen Daily Mail and General Trust und Überseering bisher nicht die in diesen Urteilen aufgezeigten Unterschiede der nationalen Rechtsvorschriften betroffen haben, so dass diese nach wie vor bestehen.
115 Die Kommission trägt jedoch vor, das vom Gerichtshof in Randnr. 23 des Urteils Daily Mail and General Trust festgestellte Fehlen einer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung sei durch Gemeinschaftsvorschriften über die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat ausgeglichen worden, die in Verordnungen wie den Verordnungen Nrn. 2137/85 und 2157/2001 über die EWIV bzw. die Europäische Gesellschaft oder der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) (ABl. L 207, S. 1) sowie in den nach diesen Verordnungen erlassenen ungarischen Rechtsvorschriften enthalten seien.
116 Diese Regeln könnten, ja müssten entsprechende Anwendung auf die grenzüberschreitende Verlegung des wahren Sitzes einer nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft finden.
117 Hierzu ist festzustellen, dass diese auf der Grundlage von Art. 308 EG erlassenen Verordnungen zwar tatsächlich eine Regelung enthalten, wonach die mit ihnen eingeführten neuen Rechtsformen ihren satzungsmäßigen Sitz und damit auch ihren wahren Sitz, die nämlich in demselben Mitgliedstaat gelegen sein müssen, in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können, ohne dass dies zur Auflösung der ursprünglichen juristischen Person und zur Schaffung einer neuen juristischen Person führt, dass eine solche Verlegung aber dennoch zwangsläufig die Änderung des auf die betreffende Einheit anwendbaren nationalen Rechts mit sich bringt.
118 Dies ergibt sich z. B. für eine Europäische Gesellschaft aus den Art. 7 bis 9 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Verordnung Nr. 2157/2001.
119 Im vorliegenden Fall möchte Cartesio jedoch nur ihren wahren Sitz von Ungarn nach Italien verlegen und zugleich eine Gesellschaft ungarischen Rechts bleiben, also ohne dass sich das anwendbare nationale Recht änderte.
120 Eine entsprechende Anwendung der von der Kommission angeführten Gemeinschaftsvorschriften, selbst wenn sie im Fall der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats geboten sein sollte, kann daher in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens jedenfalls nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen.
121 Darüber hinaus ist zur Bedeutung des Urteils SEVIC Systems für den in den Urteilen Daily Mail and General Trust und Überseering aufgestellten Grundsatz festzustellen, dass diese Urteile nicht dasselbe Problem behandeln, so dass nicht geltend gemacht werden kann, dass das erstgenannte die Tragweite der beiden letztgenannten präzisiert habe.
122 Die Rechtssache SEVIC Systems betraf nämlich die Anerkennung – im Mitgliedstaat der Gründung einer Gesellschaft – der Niederlassung dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, eine Fallkonstellation, die sich grundlegend von der der Rechtssache Daily Mail and General Trust unterscheidet. Damit ähnelt der Fall, um den es in der Rechtssache SEVIC Systems ging, anderen Urteilen des Gerichtshofs zugrunde liegenden Fällen (vgl. Urteil vom 9. März 1999, Centros, C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Urteil Überseering, Urteil vom 30. September 2003, Inspire Art, C-167/01, Slg. 2003, I-10155).
123 In solchen Fällen stellt sich jedoch nicht die in Randnr. 109 des vorliegenden Urteils angeführte Vorfrage, ob die betreffende Gesellschaft als eine Gesellschaft anzusehen ist, die die Nationalität des Mitgliedstaats hat, nach dessen Recht sie gegründet wurde, sondern vielmehr, ob sich diese Gesellschaft, die unstreitig eine Gesellschaft des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats ist, in der Ausübung ihres Rechts auf Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat einer Beschränkung gegenübersieht oder nicht.
124 Nach alledem ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 43 EG und 48 EG beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet wurde, zu behalten.
Kosten
125 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Ein Gericht wie das vorlegende, bei dem eine Berufung gegen die Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts anhängig ist, das einen Antrag auf Änderung einer Angabe in diesem Register abgelehnt hat, ist als Gericht anzusehen, das nach Art. 234 EG zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist, obwohl weder die Entscheidung des Handelsregistergerichts in einem streitigen Verfahren ergeht noch die Prüfung der Berufung durch das vorlegende Gericht in einem solchen erfolgt.
2. Ein Gericht wie das vorlegende, dessen in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens ergangene Entscheidungen Gegenstand einer Revision sein können, kann nicht als Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG angesehen werden, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.
3. Art. 234 Abs. 2 EG ist bei nationalen Rechtsvorschriften über das Recht, gegen eine Entscheidung, mit der ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wird, Rechtsmittel einzulegen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Ausgangsverfahren insgesamt beim vorlegenden Gericht anhängig bleibt und nur die Vorlageentscheidung Gegenstand eines beschränkten Rechtsmittels ist, dahin auszulegen, dass die mit dieser Vertragsbestimmung den nationalen Gerichten eingeräumte Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nicht durch die Anwendung dieser Rechtsvorschriften in Frage gestellt werden darf, nach denen das Rechtsmittelgericht die Entscheidung, mit der die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof beschlossen wird, abändern, außer Kraft setzen und dem Gericht, das diese Entscheidung erlassen hat, aufgeben kann, das nationale Verfahren, das ausgesetzt worden war, fortzusetzen.
4. Die Art. 43 EG und 48 EG sind beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet wurde, zu behalten.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Ungarisch.