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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 30. April 2015(1)

Rechtssache C-241/14

Roman Bukovansky

gegen

Finanzamt Lörrach

[Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Baden-Württemberg (Deutschland)]

„Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit – Beziehung zwischen diesem Abkommen und den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen – Gleichbehandlung – Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit – Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Union – Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in diesem Mitgliedstaat – Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz – Überdachende Besteuerung“





1.        Mit dem vom Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, einige Bestimmungen des am 21. Juni 1999 in Luxemburg unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit(2) (im Folgenden: Abkommen) im Hinblick auf eine Bestimmung des bilateralen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen(3) (im Folgenden: bilaterales Abkommen Deutschland/Schweiz) auszulegen.

2.        Das vorlegende Gericht möchte vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob das Abkommen einer Bestimmung des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz entgegensteht, die eine Form der sogenannten überdachenden Besteuerung vorsieht, nach der die deutschen Steuerbehörden für einen bestimmten Zeitraum die Einkünfte weiterhin der deutschen Steuer unterwerfen können, die in Deutschland von einer natürlichen Person erzielt werden, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat, aber nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und in Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war.

3.        Abgesehen von den Fragen über die Vereinbarkeit einer solchen steuerlichen Behandlung mit den in dem Abkommen niedergelegten Grundsätzen wirft die vorliegende Rechtssache eine bedeutende Vorfrage von allgemeiner Bedeutung auf, zu der im Laufe des Verfahrens sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten worden sind. Der Gerichtshof hat nämlich die Tragweite des Artikels des Abkommens auszulegen, der die Beziehungen zwischen dem Abkommen und den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen regelt. Im Licht des genannten Artikels hat der Gerichtshof zu entscheiden, wem der Vorrang zukommt, wenn das Abkommen und ein bilaterales Abkommen dieser Art unvereinbare Bestimmungen enthalten.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Das Abkommen

4.        Nach Art. 1 Buchst. a und d des Abkommens besteht dessen Ziel u. a. in der Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien und der Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

5.        Art. 2 („Nichtdiskriminierung“) des Abkommens lautet: „Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, werden bei der Anwendung dieses Abkommens gemäß den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.“

6.        Art. 16 („Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht“) Abs. 2 des Abkommens lautet:

„Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest.“

7.        Art. 21 („Beziehung zu den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen“) des Abkommens bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„1.       Die Bestimmungen der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bleiben von den Bestimmungen dieses Abkommens unberührt. Insbesondere lassen die Bestimmungen dieses Abkommens die in den Doppelbesteuerungsabkommen festgelegte Begriffsbestimmung des Grenzgängers unberührt.

2.       Keine Bestimmung dieses Abkommens ist so auszulegen, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.“

8.        Art. 22 des Abkommens hingegen betrifft die „Beziehung zu bilateralen Abkommen in anderen Bereichen als der sozialen Sicherheit und der Doppelbesteuerung“ und sieht vor:

„1.       Ungeachtet der Artikel 20 und 21 lässt dieses Abkommen die Abkommen zwischen der Schweiz einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft andererseits, beispielsweise Abkommen betreffend Privatpersonen, Wirtschaftsbeteiligte, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder den kleinen Grenzverkehr, insoweit unberührt, als sie mit diesem Abkommen vereinbar sind.

2.       Sind die betreffenden Abkommen nicht mit diesem Abkommen vereinbar, so ist Letzteres maßgebend.“

9.        Anhang I des Abkommens ist der Freizügigkeit gewidmet, und sein Kapitel II enthält die Bestimmungen über die Arbeitnehmer. Art. 7 Abs. 1 des genannten Anhangs I enthält die Definition des „[a]bhängig beschäftigte[n] Grenzgänger[s]“. Nach dieser Bestimmung ist „[e]in abhängig beschäftigter Grenzgänger … ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt“.

10.      Art. 9 („Gleichbehandlung“) des Anhangs I bestimmt:

„1.       Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

2.       Ein Arbeitnehmer und seine in Artikel 3 dieses Anhangs genannten Familienangehörigen genießen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen.“

B –    Das bilaterale Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Doppelbesteuerung

11.      Am 11. August 1971 haben die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Bundesrepublik Deutschland das oben angeführte bilaterale Abkommen Deutschland/Schweiz geschlossen, das am 29. Dezember 1972 in Kraft getreten ist.

12.      Art. 15a des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz betrifft die Besteuerung der Grenzgänger und bestimmt in Abs. 1, dass „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragstaat besteuert werden [können], in dem dieser ansässig ist. Zum Ausgleich kann der Vertragstaat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, von diesen Vergütungen eine Steuer im Abzugsweg erheben. Diese Steuer darf 4,5 vom Hundert des Bruttobetrages der Vergütungen nicht übersteigen, wenn die Ansässigkeit durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Finanzbehörde des Vertragstaates, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, nachgewiesen wird. Artikel 4 Absatz 4 bleibt vorbehalten.“

13.      Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz sieht eine Form der überdachenden Besteuerung zugunsten der Bundesrepublik Deutschland vor. Nach dieser Bestimmung kann die Bundesrepublik Deutschland bei einer in der Schweiz ansässigen natürlichen Person, die nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war, in dem Jahr, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht zuletzt geendet hat, und in den folgenden fünf Jahren die aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Einkünfte und die in der Bundesrepublik Deutschland belegenen Vermögenswerte, ungeachtet anderer Bestimmungen des Abkommens, besteuern. Die nach dem bilateralen Abkommen zulässige Besteuerung dieser Einkünfte oder Vermögenswerte in der Schweiz bleibt unberührt. Die Bundesrepublik Deutschland rechnet jedoch in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Rechts über die Anrechnung ausländischer Steuern die in Übereinstimmung mit dem bilateralen Abkommen von diesen Einkünften oder Vermögenswerten erhobene schweizerische Steuer auf den Teil der deutschen Steuer an, der von diesen Einkünften oder Vermögenswerten erhoben wird.

C –    Deutsches Recht

14.      Nach § 1 Abs. 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG)(4) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, während natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben.

15.      Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG sind inländische Einkünfte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt wird.

II – Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefrage

16.      Herr Bukovansky, der Kläger vor dem vorlegenden Gericht, besitzt die deutsche und die tschechische Staatsangehörigkeit.

17.      Vor 2006 arbeitete Herr Bukovansky in der Schweiz für verschiedene Gesellschaften an der Spitze eines schweizerischen Pharmakonzerns. Er hatte jedoch seinen Wohnsitz in Deutschland, wo er einkommensteuerpflichtig war.

18.      Im März 2006 begann Herr Bukovansky für eine von demselben schweizerischen Pharmakonzern kontrollierte deutsche Gesellschaft zu arbeiten, für die er im Juni desselben Jahres zum Geschäftsführer bestellt wurde.

19.      Im August 2008 verlegte Herr Bukovansky seinen Wohnsitz in die Schweiz nach Basel, arbeitete aber weiterhin für die kontrollierte deutsche Gesellschaft. Daher hatte er von diesem Zeitpunkt an weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Es steht fest, dass er regelmäßig von seinem Arbeitsort in Deutschland an seinen Wohnort in der Schweiz zurückkehrte.

20.      In seiner für das Jahr 2008 bei den deutschen Steuerbehörden eingereichten Einkommensteuererklärung ging Herr Bukovansky davon aus, dass er für den Zeitraum August bis Dezember dieses Jahres, d. h. nach seiner Wohnsitzverlegung in die Schweiz als (sogenannter umgekehrter) Grenzgänger im Sinne von Art. 15a Abs. 1 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz anzusehen sei. Daher war er der Ansicht, dass seine Arbeitseinkünfte ab August 2008 unter Berücksichtigung des Abzugs in Höhe von 4,5 % des Bruttogehalts, den sein Arbeitgeber gemäß der genannten Bestimmung des bilateralen Abkommens vornahm und in Deutschland abführte, nach der genannten Bestimmung in dem Vertragsstaat des bilateralen Abkommens steuerpflichtig seien, in dem er seinen Wohnsitz habe, d. h. in der Schweiz.

21.      Das Finanzamt Lörrach teilte in seinem Einkommensteuerbescheid jedoch nicht die Ansicht von Herr Bukovansky und unterwarf die fraglichen Einkünfte für das gesamte Streitjahr der deutschen Besteuerung. Nach Auffassung der deutschen Steuerbehörden war Herr Bukovansky gemäß § 1 Abs. 4 EStG in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG als beschränkt einkommensteuerpflichtig anzusehen, unterlag aber gemäß der Regel der überdachenden Besteuerung nach Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz mit seinen Einkünften der deutschen Einkommensteuer.

22.      Nach dem Einspruch von Herrn Bukovansky wurden die Beträge, die er als Einkommensteuer an die schweizerische Steuerverwaltung gezahlt hatte, bei der Berechnung des in Deutschland zu versteuernden Einkommens berücksichtigt.

23.      Mit seiner Klage beim vorlegenden Gericht, der das Finanzamt Lörrach entgegentritt, macht Herr Bukovansky geltend, ab August 2008 unterlägen seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund seiner Eigenschaft als umgekehrter Grenzgänger nur der Einkommensteuer in der Schweiz. Für die Anwendung der überdachenden Besteuerung nach Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz ihm gegenüber fehlten dagegen die Voraussetzungen.

24.      In seinem Vorlagebeschluss stellt das Finanzgericht Baden-Württemberg die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Vorschrift des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz mit mehreren Vorschriften des Abkommens. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt zum einen die überdachende Besteuerung eine gegen den in Art. 9 des Anhangs I des Abkommens niedergelegten Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßende diskriminierende steuerliche Behandlung und als solche ein Hindernis für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts dar. Zum anderen verstoße Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz auch gegen das in Art. 2 des Abkommens vorgesehene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

25.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts steht Art. 21 Abs. 1 des Abkommens einer Nichtanwendung der Vorschriften des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz über die überdachende Besteuerung nicht entgegen. Denn ungeachtet dieses Artikels dürften die Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen nicht den Pflichten zuwiderlaufen, die sich aus den im Abkommen niedergelegten Grundfreiheiten, insbesondere dem Diskriminierungsverbot, ergäben.

26.      In Anbetracht dieser Erwägungen hat das vorlegende Gericht mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Vorschriften des Abkommens, insbesondere dessen Präambel, Art. 1, 2, 21, sowie Art. 7, 9 des Anhangs I dahin auszulegen, dass sie es nicht zulassen, einen aus dem Inland in die Schweiz verzogenen Arbeitnehmer, der nicht die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt und seit dem Zuzug in die Schweiz sog. umgekehrter Grenzgänger im Sinne von Art. 15a Abs. 1 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz ist, nach Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz in Verbindung mit Art. 15a Abs. 1 Satz 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz der deutschen Besteuerung zu unterwerfen?

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

27.      Der Vorlagebeschluss ist am 16. Mai 2014 bei der Kanzlei eingegangen. Herr Bukovansky, das Finanzamt Lörrach, die schwedische Regierung, die deutsche Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung, die am 26. Februar 2015 stattgefunden hat, sind Herr Bukovansky, das Finanzamt Lörrach, die deutsche Regierung und die Kommission aufgetreten.

IV – Rechtliche Würdigung

28.      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die einschlägigen Bestimmungen des Abkommens dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung entgegenstehen, die in einem zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und einem Mitgliedstaat geschlossenen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten ist und eine Form der überdachenden Besteuerung vorsieht, nach der die Einkünfte, die in dem Mitgliedstaat von einem Arbeitnehmer erzielt werden, der gemäß dem Abkommen als sogenannter „umgekehrter“ Grenzgänger einzustufen ist und seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat, aber nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und vor der Verlegung in die Schweiz im fraglichen Mitgliedstaat insgesamt mindestens fünf Jahre einkommensteuerpflichtig war, in dem Jahr der Verlegung und den folgenden fünf Jahren weiterhin der Einkommensteuer des Mitgliedstaats unterworfen werden können.

A –    Vorbemerkungen

29.      Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung des Abkommens ist nunmehr unumstritten(5), doch setzt die Antwort auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage voraus, dass das Abkommen auf eine Situation wie die von Herrn Bukovansky Anwendung findet.

30.      Insoweit ist zu beachten, dass der Umstand, dass Herr Bukovansky die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat, d. h. Deutschland, Rechte geltend macht, die aus seinem Recht auf Freizügigkeit abgeleitet werden, nicht der Anwendung des Abkommens entgegensteht. Denn unabhängig davon, dass Herr Bukovansky auch die tschechische Staatsangehörigkeit besitzt, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass die Staatsangehörigen einer Vertragspartei unter bestimmten Umständen und nach Maßgabe der anwendbaren Bestimmungen aus dem Abkommen abgeleitete Rechte auch gegenüber ihrem eigenen Land geltend machen können(6).

31.      Zu den Umständen des Ausgangsverfahrens und den im vorliegenden Fall anwendbaren Bestimmungen des Abkommens ist festzustellen, dass sowohl Art. 2 des Abkommens als auch Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens in Anbetracht ihres Wortlauts auf die Situation von Herrn Bukovansky anwendbar sind.

32.      Was zum einen die Anwendbarkeit von Art. 2 des Abkommens anbelangt, ist nämlich darauf hinzuweisen, dass Herr Bukovansky Staatsangehöriger einer „Vertragspartei“, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, ist und sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei, nämlich der Schweizerischen Eidgenossenschaft, rechtmäßig aufhält. Daher darf er nach dem genannten Artikel nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werden.

33.      Was zum anderen die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass Herr Bukovansky seinen „Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei“, vorliegend der Schweizerischen Eidgenossenschaft, hat und im „Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei“, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer ausübt. Da feststeht, dass er im streitigen Zeitraum regelmäßig von seinem Arbeitsort an seinen Wohnort zurückkehrte, ist Herr Bukovansky daher als „abhängig beschäftigter Grenzgänger“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I des Abkommens einzustufen(7).

34.      Aus diesen Erwägungen ist zu schließen, dass die Situation von Herrn Bukovansky in den Anwendungsbereich des Abkommens fällt.

B –    Zu den Beziehungen zwischen dem Abkommen und den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen

35.      Bevor ich auf die Zweifel eingehe, die das vorlegende Gericht an der Vereinbarkeit der Bestimmung in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz mit den einschlägigen Bestimmungen des Abkommens geäußert hat, muss ich mich mit der Vorfrage der Beziehungen zwischen dem Abkommen und den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen befassen. Hierzu ist es erforderlich, die Tragweite von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens zu prüfen, nach dem die Bestimmungen der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Union von den Bestimmungen des Abkommens „unberührt [bleiben]“.

36.      Zu dieser Frage, mit der sich der Gerichtshof meines Wissens nach noch nicht beschäftigen musste, sind im Laufe des Verfahrens sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten worden.

37.      Auf der einen Seite ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass ungeachtet des Wortlauts von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens im Fall eines Widerspruchs zwischen den Bestimmungen eines bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens und denen des Abkommens Letzteres vorgehen müsse. Insbesondere dürften die Bestimmungen solcher Doppelbesteuerungsabkommen nicht gegen das im Unionsrecht aufgestellte Diskriminierungsverbot verstoßen.

38.      Ebenso steht nach Ansicht der Kommission Art. 21 Abs. 1 des Abkommens nicht der Prüfung entgegen, ob das bilaterale Abkommen Deutschland/Schweiz mit den Bestimmungen des Abkommens vereinbar ist. Diese Norm bestimme lediglich, dass es Sache der Vertragsstaaten eines bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens sei, über die Reichweite und Aufteilung ihrer Steuerhoheit zu entscheiden. Bei der Festlegung ihrer Besteuerungsmodalitäten seien sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedoch an die Einhaltung der im Abkommen vorgesehenen Verkehrsfreiheiten gebunden(8). Art. 21 Abs. 1 des Abkommens entbinde sie nicht von dieser Pflicht(9).

39.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission außerdem geltend gemacht, das Abkommen selbst wäre völlig sinnlos, wenn die Ausnahme in Art. 21 Abs. 1 des Abkommens dahin auszulegen wäre, dass es einem Mitgliedstaat freistehe, in ein bilaterales Doppelbesteuerungsabkommen eine Bestimmung einzufügen, die eine offensichtliche Diskriminierung oder einen offensichtlichen Verstoß gegen die mit dem Abkommen garantierten Freiheiten darstelle. Daher stünden die ratio legis und die systematische Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens einer Auslegung entgegen, nach der diese Bestimmung für alle Bestimmungen in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen eine pauschale Ausnahme von der Anwendbarkeit des Abkommens vorsehe.

40.      Auf der anderen Seite ist die schwedische Regierung, der sich die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angeschlossen hat, der diametral entgegengesetzten Auffassung. Nach diesen Regierungen stellt Art. 21 Abs. 1 des Abkommens eine unbedingte Ausnahme von dessen Anwendung dar. Daraus folge, dass im Anwendungsbereich dieser Ausnahme weder die Bestimmungen des Abkommens noch die aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte und Pflichten Anwendung fänden. Mit anderen Worten seien die Bestimmungen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen so anwendbar, als ob das Abkommen nicht existierte. Daher könnten sich die aus ihm abgeleiteten Rechte und Pflichten nicht auf die in solchen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Bestimmungen auswirken.

41.      Konkret betrachtet können im vorliegenden Fall die beiden zur Tragweite von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens vertretenen Auslegungen zu unterschiedlichen Folgen führen. Wenn nämlich der vom vorlegenden Gericht und von der Kommission vertretenen Auslegung gefolgt würde, wäre die Prüfung erforderlich, ob die die überdachende Besteuerung vorsehende Bestimmung des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz mit den einschlägigen Bestimmungen des Abkommens vereinbar ist. Wenn dagegen der von der schwedischen und der deutschen Regierung vertretenen Auslegung gefolgt würde, wäre eine solche Prüfung nicht erforderlich, und die Anwendung dieser Bestimmung bliebe auch im Fall der Unvereinbarkeit zwischen der in Rede stehenden Bestimmung des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz und dem Abkommen unberührt.

42.      Es ist jedoch daran zu erinnern, dass das Abkommen als völkerrechtlicher Vertrag gemäß Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge(10) nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen ist(11).

43.      Unter dem Gesichtspunkt der wörtlichen Auslegung steht für mich außer Zweifel, dass Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens mit der Verwendung des Ausdrucks „bleiben … unberührt“ ausdrücklich eine Ausnahme von der Anwendung des Abkommens für die Bestimmungen der zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Union geschlossenen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen vorsieht. Aus der Formulierung dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Ausnahme in dem Sinne allgemein und unbedingt ist, dass sie nicht vom Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen abhängt, außer der, dass es sich um eine Bestimmung aus dem Bereich der Doppelbesteuerung handelt. Der zweite Satz desselben Absatzes betrifft die spezielle Frage der Begriffsbestimmung des „Grenzgängers“, stellt aber – wie aus der Verwendung des Begriffs „insbesondere“ deutlich wird – eine bloß beispielhafte Veranschaulichung der im ersten Satz vorgesehenen Ausnahme dar und hat keine Auswirkungen auf ihre allgemeine Tragweite.

44.      Unter dem Gesichtspunkt der systematischen Auslegung ist zu beachten, dass im Abkommen auf den mit „Beziehung zu den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen“ überschriebenen Art. 21 Art. 22 folgt, der ebenfalls eine allgemeine Bestimmung, und zwar betreffend die Beziehung „zu bilateralen Abkommen in anderen Bereichen als der sozialen Sicherheit und der Doppelbesteuerung“, enthält(12). Anders als Art. 21 Abs. 1 des Abkommens sieht Art. 22 jedoch vor, dass das Abkommen die nicht den Bereich der Doppelbesteuerung betreffenden bilateralen Abkommen nur „insoweit unberührt [lässt], als sie mit [dem] Abkommen vereinbar sind“. Zudem stellt Abs. 2 des genannten Art. 22 ausdrücklich klar: „Sind die betreffenden Abkommen nicht mit [dem] Abkommen vereinbar, so ist Letzteres maßgebend“.

45.      Es ist jedoch festzustellen, dass Art. 21 des Abkommens keine derartige Bestimmung enthält, die dem Abkommen ausdrücklich einen Vorrang vor den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zuweisen würde.

46.      In Anbetracht des Wortlauts von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens und des offensichtlichen Unterschieds zwischen dem Wortlaut dieser Bestimmung und der in Art. 22 des Abkommens darf davon ausgegangen werden, dass die Vertragsparteien des Abkommens, wenn sie einen Vorrang des Abkommens vor den Bestimmungen der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen beabsichtigt hätten, dies zum Ausdruck gebracht hätten, wie sie es in Art. 22 des Abkommens für die anderen Arten von bilateralen Abkommen getan haben. Da sie keine solche Klausel eingefügt haben, lässt sich mit guten Gründen die Ansicht vertreten, dass beabsichtigt wurde, eine allgemeine und unbedingte Ausnahme vom Anwendungsbereich des Abkommens für die in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Bestimmungen vorzusehen(13).

47.      Eine solche Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens ist aber im Licht der anderen einschlägigen Bestimmungen des Abkommens zu prüfen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission zwar die Unterschiede im Wortlaut der Art. 21 und 22 des Abkommens anerkannt, aber insbesondere geltend gemacht, die Bestimmung in Art. 21 Abs. 2 des Abkommens könne ihres Sinnes entleert werden, wenn der oben in Nr. 46 dargelegten Auslegung dieser Bestimmung gefolgt würde.

48.      Gemäß Art. 21 Abs. 2 des Abkommens kann jedoch keine Bestimmung des Abkommens so ausgelegt werden, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden. Der Gerichtshof hat hierzu im angeführten Urteil Ettwein klargestellt, dass diese Vorschrift eine steuerlich unterschiedliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen erlaubt, allerdings nur dann, wenn sie sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden(14).

49.      Anders als die Kommission bin ich jedoch der Ansicht, dass Abs. 2 von Art. 21 des Abkommens keine nähere Bestimmung von dessen Abs. 1 ist. Insoweit ist festzustellen, dass sich die Bestimmung in Abs. 2 von Art. 21 auf die nationalen Steuervorschriften der Vertragsparteien bezieht, während sich Abs. 1 des Artikels auf die bilateralen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Mitgliedstaaten der Union bezieht.

50.      Insofern ist klarzustellen, dass die in Art. 21 Abs. 1 des Abkommens vorgesehene Ausnahme weder einen Mitgliedstaat noch die Schweizerische Eidgenossenschaft ermächtigt, einseitig diskriminierende Maßnahmen im eigenen nationalen Recht zu erlassen, die den Bestimmungen des Abkommens zuwiderliefen. Diese Bestimmung lässt lediglich die Möglichkeit unberührt, dass ein Mitgliedstaat oder die Schweizerische Eidgenossenschaft vertraglich in einem bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen steuerliche Maßnahmen vorsehen, die nicht mit dem Abkommen vereinbar sind. Eine etwaige Bestimmung, die nicht mit dem Abkommen vereinbar ist, muss deswegen immer das Ergebnis eines etwaigen Abkommens zwischen einem Mitgliedstaat und der Schweizerischen Eidgenossenschaft sein.

51.      Insoweit teile ich nicht die Ansicht der Kommission, wonach das Abkommen seines Sinnes völlig entleert würde, wenn der oben in der Nr. 46 dargelegten Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens zu folgen wäre. Denn wie in der vorstehenden Nummer klargestellt worden ist, ist der Anwendungsbereich der Ausnahme, die als solche eng auszulegen ist(15), ausschließlich auf vertragliche Bestimmungen steuerlicher Art begrenzt, die in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten sind. Es behält jedoch für jede andere Art von Bestimmung seine Gültigkeit.

52.      In dieser Hinsicht ist auch anzumerken, dass sich einerseits aus dem zweiten Satz der Präambel des Abkommens zwar ergibt, dass dessen Vertragsparteien „entschlossen [waren], diese Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Europäischen [Union] geltenden Bestimmungen zu verwirklichen“(16), der Gerichtshof andererseits jedoch betont hat, dass sich dieser Wille, die Freizügigkeit zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu erleichtern, nicht mit dem Geist und dem Zweck der Verkehrsfreiheiten deckt, die im Rahmen des von den Mitgliedstaaten errichteten Binnenmarkts von den Verträgen vorgesehen sind. Mit dem Abkommen sollen somit die Bindungen zwischen den Vertragsparteien gestärkt werden, ohne dass eine Ausweitung der Anwendung der Grundfreiheiten als Ganzes auf die Schweizerische Eidgenossenschaft in Aussicht genommen worden wäre(17).

53.      Im Licht einer solchen, den Erläuterungen des Gerichtshofs entsprechenden Charakterisierung des Abkommens ist die Begrenzung der Tragweite der von der Kommission geltend gemachten und oben in Nr. 38 angeführten Rechtsprechung verständlich, nach der die Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer Besteuerungsmodalitäten zur Einhaltung der vom AEU-Vertrag vorgesehenen Verkehrsfreiheiten verpflichtet sind(18). Dieser Grundsatz des Unionsrechts gilt im Anwendungsbereich des Abkommens, erfährt aber eine Ausnahme, wenn die Vertragsparteien beschlossen haben, dass das Abkommen nicht anwendbar ist, nämlich für vertragliche Bestimmungen im Bereich der Doppelbesteuerung.

54.      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Vorabentscheidungsfrage des vorlegenden Gerichts meiner Ansicht nach dahin zu beantworten ist, dass Art. 21 Abs. 1 des Abkommens einer Bestimmung wie der in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz nicht entgegensteht.

55.      Die folgenden Erwägungen stelle ich daher nur für den Fall an, dass der Gerichtshof beschließen sollte, der von mir vorgeschlagenen Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens nicht zu folgen, und demnach eine Prüfung für erforderlich halten sollte, ob die Bestimmung in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz mit den einschlägigen Bestimmungen des Abkommens vereinbar ist.

C –    Zur Vereinbarkeit der die überdachende Besteuerung vorsehenden Bestimmung mit dem Abkommen

56.      Das vorlegende Gericht weist auf zwei mögliche Punkte hin, in denen die in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz vorgesehene überdachende Besteuerung mit dem Abkommen unvereinbar sein könnte.

57.      Zum einen stellt die überdachende Besteuerung nach Ansicht des vorlegenden Gerichts eine gegen Art. 9 des Anhangs I des Abkommens verstoßende diskriminierende steuerliche Behandlung dar. Herr Bukovansky befinde sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in einer Lage, die mit der eines Erwerbstätigen mit schweizerischer Staatsangehörigkeit vergleichbar sei, der eine Erwerbstätigkeit im deutschen Hoheitsgebiet ausübe und in die Schweiz umziehe. Folglich könne er sich auf Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des Abkommens berufen, um die gleichen steuerlichen Vorteile zu erhalten, die ein schweizerischer Erwerbstätiger genieße, der sich in seiner Lage befinde, und daher verlangen, nicht der Anwendung der überdachenden Besteuerung unterworfen zu werden. Diese diskriminierende steuerliche Behandlung stelle ein Hindernis für die Freizügigkeit dar, da sie die Wohnsitzverlegung in die Schweiz für Arbeitnehmer ohne schweizerische Staatsangehörigkeit weniger attraktiv mache, und beeinträchtige damit das vom Abkommen verfolgte Ziel des stetigen Ausbaus der Freizügigkeit.

58.      Zum anderen verstößt Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auch gegen das in Art. 2 des Abkommens vorgesehene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Die Erweiterung der Einkommensbesteuerung auf das deutsche Niveau trete nicht ein, wenn der Wegzüger die schweizerische Staatsangehörigkeit besitze. Hätte Herr Bukovansky diese Staatsangehörigkeit besessen, unterläge er im vorliegenden Fall nicht der überdachenden Besteuerung, auch wenn sich sein privates und berufliches Leben in derselben Weise abgespielt hätte.

59.      Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht geäußerten Bedenken halte ich es für sinnvoll, einige Grundsätze zu wiederholen, die der Gerichtshof in Bezug auf die Beziehung zwischen den Doppelbesteuerungsabkommen und den vom AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten aufgestellt hat.

60.      Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung befugt bleiben, insbesondere um – gegebenenfalls im Vertragsweg – die Doppelbesteuerung zu beseitigen, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen(19). Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um Doppelbesteuerungssituationen zu vermeiden, indem sie u. a. die in der internationalen Besteuerungspraxis befolgten Kriterien anwenden(20).

61.      In diesem Zusammenhang steht es den Mitgliedstaaten frei, im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen die Anknüpfungskriterien für die Aufteilung der Steuerhoheit festzulegen(21). Die Auswahl dieser Anknüpfungskriterien durch die Vertragsstaaten eines bilateralen Doppelbesteuerungsabkommens kann als solche keine gegen die vom AEU-Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten verstoßende Diskriminierung darstellen(22).

62.      Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung zum einen, dass die Mitgliedstaaten übereinkommen können, dass ein Steuerpflichtiger in beiden Mitgliedstaaten besteuert werden kann, und zum anderen, dass die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine nach dem AEU-Vertrag verbotenen Beschränkungen darstellen, sofern eine solche Ausübung nicht diskriminierend ist(23). Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des Unionsrechts nicht verpflichtet ist, Vorkehrungen gegen die Nachteile zu treffen, die sich aus der parallelen Ausübung der Steuerhoheit ergeben könnten(24).

63.      Aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich jedoch gleichfalls, dass die Aufteilung der Steuerhoheit es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom AEU-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen(25). Bei der Ausübung der in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen aufgeteilten Steuerhoheit sind die Mitgliedstaaten insbesondere verpflichtet, den Unionsvorschriften nachzukommen und insbesondere den Grundsatz der Inländerbehandlung von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten und ihrer eigenen Staatsangehörigen zu wahren, die von den durch den Vertrag garantierten Freiheiten Gebrauch gemacht haben(26).

64.      Im Licht dieser Grundsätze, die sich alle direkt oder indirekt aus der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Abkommens ableiten lassen(27), sind die vom vorlegenden Gericht geäußerten Bedenken zu prüfen.

1.      Zum Verstoß gegen Art. 9 des Anhangs I des Abkommens und zum Hindernis für die Freizügigkeit

65.      Das vorlegende Gericht stützt seine Analyse ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Freizügigkeit, die die Vertragsparteien nach dem zweiten Satz der Präambel des Abkommens zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen entschlossen sind, beeinträchtigt würde, wenn ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei in seinem Herkunftsland einen Nachteil allein deshalb erlitte, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat(28).

66.      Wie mehrere Verfahrensbeteiligte vorgetragen haben, ist gleichwohl festzustellen, dass die Verfahrensakten in Wirklichkeit nichts enthalten, was darauf hinweisen würde, dass die Bestimmung, die die überdachende Besteuerung vorsieht, im Herkunftsland, nämlich Deutschland, zulasten einer Person wie Herrn Bukovansky, die ihr Recht auf Freizügigkeit durch eine Wohnsitzverlegung in die Schweiz ausgeübt hat, eine nachteiligere steuerliche Behandlung bedeutet. Denn für eine Person in der Lage von Herrn Bukovansky führt die Anwendung der überdachenden Besteuerung für das laufende Jahr und die auf ihre Wohnsitzverlegung folgenden fünf Jahre bloß zur Anwendung desselben Steuersatzes, der auf einen in Deutschland wohnhaften Erwerbstätigen in derselben Situation angewandt wird. Mit anderen Worten genießt Herr Bukovansky durch die Anwendung der genannten Bestimmung nach der Wohnsitzverlegung in die Schweiz nicht die günstigere steuerliche Behandlung in der Schweiz, sondern unterliegt weiterhin dem Steuersatz, dem er in Deutschland unterlag.

67.      Eine Bestimmung wie die in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz spiegelt meiner Ansicht nach aber lediglich den Wortlaut des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft geschlossenen Abkommens hinsichtlich der Aufteilung der Steuerhoheit unter ihnen wider. Aus dem Wortlaut von Art. 15a des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz ergibt sich nämlich, dass sich die beiden betreffenden Staaten dahin geeinigt haben, dass im Fall eines umgekehrten Grenzgängers wie Herrn Bukovansky die Steuerhoheit dem Wohnsitzstaat, im vorliegenden Fall der Schweiz, zufällt. Nach Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz behält jedoch die Bundesrepublik Deutschland im Fall einer Person ohne schweizerische Staatsangehörigkeit, die in Deutschland mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und in Deutschland weiter Einkünfte erzielt, für einen bestimmten Zeitraum die Steuerhoheit in Höhe des für die Einkommensteuer vorgesehenen Steuersatzes.

68.      Insoweit stellt zum einen das Kriterium des früheren Wohnsitzes(29), das nach dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung die Anwendung der überdachenden Besteuerung rechtfertigt, ein rechtmäßiges Anknüpfungskriterium für die Aufteilung der Steuern unter den Mitgliedstaaten dar.

69.      Zum anderen ergibt sich aus der oben in den Nrn. 61 und 63 angeführten Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten bei der Anwendung dieser Kriterien für ihre eigenen Staatsangehörigen, die von den durch den Vertrag garantierten Freiheiten Gebrauch gemacht haben, zwar den Grundsatz der Inländerbehandlung wahren müssen, was, wie oben aus Nr. 66 hervorgeht, vorliegend offenbar der Fall ist, aber aufgrund des Unionsrechts nicht verpflichtet sind, Vorkehrungen gegen die Nachteile zu treffen, die sich aus der parallelen Ausübung der Steuerhoheit ergeben könnten.

70.      Im Urteil Weigel(30) hat der Gerichtshof vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass das Unionsrecht einem Erwerbstätigen nicht garantiert, dass die Verlagerung seiner Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, in dem er bis dahin wohnte, hinsichtlich der Besteuerung neutral ist. Aufgrund der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten kann eine solche Verlagerung für den Erwerbstätigen je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile bei der Besteuerung haben. Folglich verstößt ein eventueller Nachteil im Vergleich zu der Situation, in der der Erwerbstätige seine Tätigkeiten vor der Verlagerung ausgeübt hat, grundsätzlich nicht gegen Art. 45 AEUV, sofern diese Rechtsvorschriften den betreffenden Erwerbstätigen gegenüber den Personen, die ihnen bereits zuvor unterlagen, nicht benachteiligen(31).

71.      Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich folglich, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts nicht verpflichtet ist, einem Erwerbstätigen in der Lage von Herrn Bukovansky dieselbe Behandlung zu garantieren, wie diejenige, die einem Erwerbstätigen mit schweizerischer Staatsangehörigkeit vorbehalten ist, der eine Erwerbstätigkeit im deutschen Hoheitsgebiet ausübt und seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt und gemäß dem bilateralen Abkommen Deutschland/Schweiz in der Schweiz der Steuer unterliegt. Die unterschiedliche Behandlung zwischen einem solchen schweizerischen Erwerbstätigen und Herrn Bukovansky ist bloß die Folge der Aufteilung der Steuerhoheit unter den Vertragsstaaten. Da hier nichts vorliegt, was darauf hinweisen würde, dass die überdachende Besteuerung für einen Erwerbstätigen, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat und dort der Einkommensteuerpflicht unbeschränkt unterliegt, zu einer unterschiedlichen Behandlung führt, ist zu folgern, dass eine solche steuerliche Behandlung kein Hindernis für die Freizügigkeit darstellt(32).

72.      Was sodann speziell den vom vorlegenden Gericht angeführten Art. 9 des Anhangs I des Abkommens anbelangt, ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof klargestellt hat, dass Abs. 1 dieses Artikels nur den Fall einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegenüber einem Angehörigen einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei erfasst(33).

73.      Nach dem dem Gerichtshof unterbreiteten Sachverhalt ist Herr Bukovansky deutscher Staatsangehöriger und hat im Streitjahr 2008 seine Erwerbstätigkeit in Deutschland für eine deutsche Gesellschaft ausgeübt. Der Umstand, dass es sich um eine Tochtergesellschaft eines schweizerischen Konzerns handelt, ist insoweit irrelevant. Demnach kann hier von einer Diskriminierung seitens der Behörden einer Vertragspartei gegenüber einem Staatsangehörigen einer anderen Vertragspartei keine Rede sein, und die fragliche Bestimmung kann daher keine Anwendung finden.

74.      Zweitens sieht Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I vor, dass ein Arbeitnehmer und seine Familienangehörigen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen genießen. Ich bin im Übrigen der Ansicht, dass auch diese Bestimmung wie Abs. 1 desselben Artikels Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegenüber einem Staatsangehörigen einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei betrifft, was einen Fall darstellt, der – wie in der vorstehenden Nummer ausgeführt worden ist – hier nicht vorliegt.

75.      Diese Auslegung wird durch den Wortlaut einiger Sprachfassungen der Bestimmung bestätigt, die eine klare Bezugnahme auf das in Abs. 1 desselben Artikels genannte „Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei“ enthalten(34). Außerdem steht diese Auslegung mit dem oben in Nr. 63 angeführten und in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz in Einklang, nach dem ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, den Grundsatz der Inländerbehandlung von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten zu wahren, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben.

76.      Aus derselben Rechtsprechung ergibt sich im Übrigen, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, den Grundsatz der Inländerbehandlung auch auf seine eigenen Staatsangehörigen anzuwenden, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Mit dieser Rechtsprechung steht in Einklang, dass sich der Gerichtshof im Urteil Ettwein u. a. auf Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des Abkommens bezogen hat, um den Grundsatz aufzustellen, nach dem die Vertragsparteien einem Steuerpflichtigen einen Steuervorteil nicht allein deshalb verweigern können, weil sein Wohnsitz im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei liegt(35). Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, da er nicht die Anerkennung eines Steuervorteils in Deutschland gegenüber einem deutschen Erwerbstätigen betrifft, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, aber in Deutschland arbeitet, sondern vielmehr die Anerkennung der schweizerischen steuerlichen Vorzugsbehandlung aufgrund des Wohnsitzes in der Schweiz gegenüber dem deutschen Erwerbstätigen/Steuerpflichtigen, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat und in Deutschland einkommensteuerpflichtig ist.

77.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Bestimmung in Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz – falls der Gerichtshof beschließen sollte, sie im Licht des Abkommens zu prüfen – weder einen Verstoß gegen Art. 9 des Anhangs I des Abkommens noch ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellt.

2.      Zum Verstoß gegen Art. 2 des Abkommens

78.      Das vorlegende Gericht ist ferner der Ansicht, dass die überdachende Besteuerung eine Bestimmung darstelle, die gegen das in Art. 2 des Abkommens enthaltene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verstoße. Da diese steuerliche Behandlung nicht auf die schweizerischen Staatsangehörigen anwendbar ist, die in die Schweiz ziehen, führt die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz in der Tat dazu, dass die Steuerlast für einen nicht schweizerischen Staatsangehörigen, der in die Schweiz zieht, höher ist als für einen schweizerischen Staatsangehörigen.

79.      Wie oben in Nr. 67 bereits erläutert worden ist, stellt die fragliche Bestimmung jedoch ein Abkommen hinsichtlich der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Vertragsstaaten des bilateralen Abkommens Deutschland/Schweiz dar.

80.      Insoweit ist aber erstens zu beachten, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass das Kriterium der Staatsangehörigkeit als Kriterium für die Aufteilung der Steuerhoheit verwendet werden kann und als solches nicht als eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit angesehen werden darf(36).

81.      Zweitens hat der Gerichtshof in der Rechtssache Van Hilten(37) bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die eine Form der überdachenden Besteuerung – in jenem Fall im Bereich der Erbschaftsteuer – vorsieht und zum Zweck der Aufteilung der Steuerhoheit das Anknüpfungskriterium der Staatsangehörigkeit verwendet, nicht als eine durch den Vertrag verbotene unterschiedliche Behandlung angesehen werden kann(38).

82.      Aus diesen Erwägungen folgt meiner Ansicht nach daher, dass die in Rede stehende Bestimmung zu keiner gegen Art. 2 des Abkommens verstoßenden Form der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit führt.

V –    Ergebnis

83.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Finanzgericht Baden-Württemberg zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit ist dahin auszulegen, dass es gemäß seines Art. 21 Abs. 1 einer in einem zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und einem Mitgliedstaat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Bestimmung nicht entgegensteht, die eine Form der überdachenden Besteuerung vorsieht, nach der die Einkünfte, die in dem Mitgliedstaat von einem Arbeitnehmer erzielt werden, der gemäß dem Abkommen als sogenannter „umgekehrter“ Grenzgänger einzustufen ist und seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat, aber nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und vor der Verlegung in die Schweiz im fraglichen Mitgliedstaat insgesamt mindestens fünf Jahre einkommensteuerpflichtig war, in dem Jahr der Verlegung und den folgenden fünf Jahren weiterhin der Einkommensteuer des Mitgliedstaats unterworfen werden können.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – ABl. 2002, L 114, S. 6.


3 – BGBl. 1972 II, 1022 in der zuletzt durch das Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 (BGBl. 2003 II, 68) geänderten Fassung.


4 – In der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I, 4212) mit den Änderungen vom 20. Dezember 2007 (BGBl. 2007 I, 3150).


5 – Vgl. z. B. Urteile Bergström (C-257/10, EU:C:2011:839) und Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121).


6 – Vgl. Urteile Bergström (C-257/10, EU:C:2011:839, Rn. 27 bis 34) und Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121, Rn. 33).


7 – Vgl. in diesem Sinne hinsichtlich der Anwendung des Begriffs des selbständigen Grenzgängers nach Art. 13 des Anhangs I des Abkommens das Urteil Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121, Rn. 34 bis 40).


8 – Die Kommission bezieht sich auf die in den Rn. 50 und 51 des Urteils Renneberg (C-527/06, EU:C:2008:566) angeführte ständige Rechtsprechung.


9 – Dies ist offenbar die Auslegung von Art. 21 Abs. 1 des Abkommens, die auch vom Schweizerischen Bundesgericht vertreten wird. Vgl. Urteil vom 26. Januar 2010 in den Rechtssachen 2C_319/2009 und 2C_321/2009, Abs. 14.1. Das Urteil ist unter folgender Internetadresse verfügbar: http://www.servat.unibe.ch/dfr//bger/100126_2C_319-2009.html (zuletzt aufgerufen am 26. März 2015).


10 – Am 23. Mai 1969 in Wien unterzeichnetes Übereinkommen (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331).


11 – Vgl. Urteil Hengartner und Gasser (C-70/09, EU:C:2010:430, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 – Die Beziehungen zu bilateralen Abkommen über die soziale Sicherheit sind in Art. 20 des Abkommens geregelt, der vorsieht, dass diese Abkommen mit Inkrafttreten dieses Abkommens insoweit ausgesetzt werden, als in diesem Abkommen derselbe Sachbereich geregelt wird.


13 – Aus dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens ergibt sich, dass die zeitliche Reichweite einer solchen Ausnahme nicht auf die bei Inkrafttreten des Abkommens schon geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen begrenzt ist, sondern sich auch auf die danach geschlossenen Abkommen erstreckt.


14 – Vgl. Urteil Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121, Rn. 45).


15 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Honyvem Informazioni Commerciali (C-465/04, EU:C:2006:199, Rn. 24) und Pfeiffer u. a. (C-397/01, EU:C:2004:584, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Vgl. Urteil Bergström (C-257/10, EU:C:2011:839, Rn. 27).


17 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Grimme (C-351/08, EU:C:2009:697, Rn. 26 bis 29).


18 – Siehe auch unten, Nr. 63.


19 – Vgl. insbesondere Urteile Saint-Gobain ZN (C-307/97, EU:C:1999:438, Rn. 57), de Groot (C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 93), Bouanich (C-265/04, EU:C:2006:51, Rn. 49), Renneberg (C-527/06, EU:C:2008:566, Rn. 48) und Beker (C-168/11, EU:C:2013:117, Rn. 32).


20 – Urteil Damseaux (C-128/08, EU:C:2009:471, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21 – Vgl. u. a. Urteile de Groot (C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 94), Renneberg (C-527/06, EU:C:2008:566, Rn. 48) sowie Imfeld und Garcet (C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 42).


22 – Vgl. Urteil Gilly (C-336/96, EU:C:1998:221, Rn. 53).


23 – Urteil Damseaux (C-128/08, EU:C:2009:471, Rn. 27 und 34).


24 – Urteile Damseaux (C-128/08, EU:C:2009:471, Rn. 34), CIBA (C-96/08, EU:C:2010:185, Rn. 27 und 28) und Österreichische Salinen (C-437/08, EU:C:2009:17, Rn. 170).


25 – Vgl. Urteil Imfeld und Garcet (C-303/12, EU:C:2013:822, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26 – Vgl. Urteile de Groot (C-385/00, EU:C:2002:750, Rn. 94) und Renneberg (C-527/06, EU:C:2008:566, Rn. 51)


27 – Vgl. Art. 16 Abs. 2 des Abkommens und oben, Nr. 6.


28 – Vgl. Urteile Bergström (C-257/10, EU:C:2011:839, Rn. 27 und 28) und Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121, Rn. 51).


29 – Vgl. im deutschen Recht das Kriterium des Wohnsitzes, das die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht rechtfertigt. Siehe oben, Nr. 14.


30 – Vgl. Urteil Weigel (C-387/01, EU:C:2004:256).


31 – Vgl. Urteil Weigel (C-387/01, EU:C:2004:256, Rn. 55). Der Umstand, dass die Rechtssache indirekte Steuern betrifft, da es sich um eine Kraftfahrzeugzulassungssteuer handelte, ist für die Anwendung des dort aufgestellten Grundsatzes unerheblich.


32 – Auf den vorliegenden Fall ist auch nicht der in Rn. 79 des Urteils de Groot (C-385/00, EU:C:2002:750) aufgestellte Grundsatz anwendbar, nach dem die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer es verbieten, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat behindert. Herr Bukovansky übt in der Schweiz aber keine Erwerbstätigkeit aus.


33 – Vgl. Urteil Grimme (C-351/08, EU:C:2009:697, Rn. 47 und 48).


34 – So kann sich z. B. in der französischen Fassung („Le travailleur salarié et les membres de sa famille visés … y bénéficient des mêmes avantages fiscaux et sociaux que les travailleurs salariés nationaux et les membres de leur famille“) der Begriff „y“ nur auf das Hoheitsgebiet der Vertragspartei beziehen. Dies gilt auch für das Wort „dort“ in der deutschen Fassung („Ein Arbeitnehmer und seine … Familienangehörigen genießen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen“).


35 – Vgl. Urteil Ettwein (C-425/11, EU:C:2013:121, Rn. 48, 49 und 52).


36 – Vgl. Urteil Gilly (C-336/96, EU:C:1998:221, Rn. 30 und 53).


37 – Urteil van Hilten (C-513/03, EU:C:2006:131).


38 – Ebd. (Rn. 47).