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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 27. Februar 2019 ( 1 )

Rechtssache C-26/18

Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung

gegen

Hauptzollamt Frankfurt am Main

(Vorabentscheidungsersuchen des Hessischen Finanzgerichts [Deutschland])

„Vorabentscheidungsersuchen – Zollschuld – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Anwendungsbereich – Begriff der Einfuhr – Erfordernis des Eintritts des Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der Union – Vermutung“

1. 

In den Urteilen Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig ( 2 ) sowie Wallenborn Transports ( 3 ) hat der Gerichtshof zwei Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg und des Hessischen Finanzgerichts zu der Frage beantwortet, ob sowohl ein Einfuhrmehrwertsteueranspruch als auch eine Zollschuld entstehen, wenn bei der steuerbaren Handlung gegen bestimmte, in den Zollvorschriften festgelegte Bedingungen verstoßen wird.

2. 

In meinen Schlussanträgen in der ersten dieser beiden Rechtssachen ( 4 ) habe ich betont, dass diese Entstehung nicht so automatisch ist, wie man es aus dem Urteil X vom 15. Mai 2014 ( 5 ) auf den ersten Blick schließen könnte. Ich habe vertreten, dass die Entstehung einer Zollschuld nicht zwingend dazu führt, dass auch Einfuhrmehrwertsteuer anfällt. Der Gerichtshof ist dieser Auffassung in den beiden oben genannten Urteilen gefolgt.

3. 

Das Hessische Finanzgericht stellt eine neue Vorlagefrage zu dieser doppelten Anspruchsentstehung. Konkret glaubt das Gericht in den beiden Urteilen einen gewissen Widerspruch bei den Voraussetzungen zu erkennen, die der Gerichtshof für die Klärung, ob eine Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, aufstellt, d. h. letztlich bei dem für die Entscheidung, ob die Entstehung sowohl einer Zollschuld als auch einer Mehrwertsteuerschuld möglich ist, ausschlaggebenden Faktor.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Zollkodex der Gemeinschaften ( 6 )

4.

Art. 202 bestimmt:

„(1)   Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a)

wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder

b)

wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

(2)   Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

…“

5.

In Art. 203 heißt es:

„(1)   Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(2)   Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

…“

6.

Art. 204 sieht vor:

„(1)   Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a)

eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder

b)

eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird,

es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

(2)   Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht wirklich erfüllt war.

…“

2. Richtlinie 2006/112/EG ( 7 )

7.

Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d unterliegt „die Einfuhr von Gegenständen“ der Mehrwertsteuer.

8.

Art. 30 bestimmt:

„Als ‚Einfuhr eines Gegenstands‘ gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft.

Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gilt als Einfuhr eines Gegenstands auch die Verbringung eines im freien Verkehr befindlichen Gegenstands mit Herkunft aus einem Drittgebiet, das Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft ist, in die Gemeinschaft.“

9.

Art. 60 lautet:

„Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.“

10.

Art. 61 sieht vor:

„Abweichend von Artikel 60 erfolgt bei einem Gegenstand, der sich nicht im freien Verkehr befindet und der vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne des Artikels 156, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren unterliegt, die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.

Unterliegt ein Gegenstand, der sich im freien Verkehr befindet, vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 276 und 277, erfolgt die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.“

11.

In Art. 71 heißt es:

„(1)   Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.

Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.

(2)   In den Fällen, in denen die eingeführten Gegenstände keiner der Abgaben im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 2 unterliegen, wenden die Mitgliedstaaten in Bezug auf Steuertatbestand und Steueranspruch die für Zölle geltenden Vorschriften an.“

12.

Nach Art. 156 Abs. 1 Buchst. a können die Mitgliedstaaten u. a. „die Lieferungen von Gegenständen, die zollamtlich erfasst und gegebenenfalls in einem Übergangslager vorübergehend verwahrt bleiben sollen“, von der Steuer befreien.

B.   Nationales Recht. Umsatzsteuergesetz ( 8 )

13.

§ 1 bestimmt:

„(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1.   die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. …

4.   die Einfuhr von Gegenständen im Inland … (Einfuhrumsatzsteuer);

…“

14.

Nach § 13 gilt für die Einfuhrumsatzsteuer § 21 Abs. 2 UStG.

15.

§ 21 Abs. 2 bestimmt:

„Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß …“

II. Sachverhalt und Vorlagefragen

16.

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2008 teilte das Zollamt des Flughafens Athen dem Hauptzollamt Frankfurt am Main (im Folgenden: Zollamt) mit, dass es im Januar 2008 bei 18 Sendungen der Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung (im Folgenden: FedEx) Unregelmäßigkeiten im gemeinschaftlichen Versandverfahren im Luftverkehr gegeben habe. Recherchen ergaben, dass es sich dabei um Waren aus Israel, Mexiko und den USA mit Empfängern in Griechenland handelte.

17.

Das Zollamt erließ daraufhin am 30. November und am 1. Dezember 2010 insgesamt fünf an FedEx gerichtete Bescheide, mit denen es für die genannten Sendungen insbesondere Einfuhrumsatzsteuer erhob.

18.

Das Zollamt ging davon aus, dass

bei 14 Sendungen die Waren ohne die nach Art. 40 ZK vorgeschriebene Gestellung und damit vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden seien, so dass eine Zollschuld entstanden sei (Art. 202 ZK). Für die Einfuhrumsatzsteuer berief sich das Zollamt auf § 21 Abs. 2 UStG;

die übrigen vier Sendungen unerlaubt vom Verwahrungsort entfernt worden seien und deshalb eine Zollschuld nach Art. 203 ZK entstanden sei.

19.

FedEx entrichtete die mit diesen Bescheiden festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer. Im November 2011 beantragte sie jedoch ihre Erstattung, u. a. mit der Begründung, die doppelte Erhebung von Einfuhrabgaben sei unionsrechtswidrig.

20.

Das Zollamt lehnte die Anträge auf Umsatzsteuererstattung ab. Die durchgeführten Einspruchsverfahren blieben für FedEx weitgehend erfolglos. Daraufhin erhob sie Klage beim Hessischen Finanzgericht.

21.

Dem Gericht zufolge konzentriert sich der Rechtsstreit auf die Gegenstände, die auf dem Luftweg zunächst im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in die Union gelangten und anschließend von demselben Flughafen aus mit einem anderen Flugzeug nach Griechenland weiterbefördert wurden. Zu klären sei, ob die Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland entstanden sei, wenn das Verbringen der Gegenstände in die Union gegen zollrechtliche Vorschriften verstoßen habe oder wenn es zwar nicht gegen zollrechtliche Vorschriften verstoßen habe, die anschließende Weiterbeförderung der Gegenstände nach Griechenland aber ohne die Überführung in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren erfolgt sei.

22.

Vor diesem Hintergrund stellt das Hessische Finanzgericht die folgenden Vorlagefragen:

Erste Frage:

Setzt eine Einfuhr im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 der Richtlinie 2006/112 voraus, dass der in das Gebiet der Union verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union eingeht, oder genügt die bloße Gefahr, dass der verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt?

Falls eine Einfuhr den Eingang des Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der Union voraussetzt:

Zweite Frage:

Liegt der Eingang eines in das Gebiet der Union verbrachten Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der Union bereits dann vor, wenn der Gegenstand zollrechtswidrig keiner Regelung im Sinne des Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie zugeführt oder zwar zunächst einer solchen Regelung zugeführt wird, aufgrund eines zollrechtlichen Fehlverhaltens später aber dieser Regelung nicht mehr unterliegt, oder setzt im Falle eines zollrechtlichen Fehlverhaltens der Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union voraus, dass angenommen werden kann, dass der Gegenstand aufgrund dieses zollrechtlichen Fehlverhaltens im Steuergebiet des Mitgliedstaats, in dem das Fehlverhalten begangen wurde, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangte und einem Verbrauch oder einer Verwendung zugeführt werden konnte?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorbringen der Beteiligten

23.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 16. Januar 2018 beim Gerichtshof eingegangen.

24.

FedEx, die griechische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle sowie ein Vertreter des Zollamts haben an der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2018 teilgenommen.

25.

FedEx trägt vor, dass die Waren nach ihrer Ankunft in Athen unter Erhebung der griechischen Einfuhrmehrwertsteuer in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden seien. Aus dem Urteil Wallenborn Transports sei abzuleiten, dass für das Bestehen einer Mehrwertsteuerpflicht neben der Zollschuld die bloße Gefahr, dass die Waren aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld geführt habe, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen könnten, nicht ausreiche, weil es Sache des vorlegenden Gerichts sei, zu prüfen, ob die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf der EU überführt worden seien.

26.

Nach der Entstehung einer Zollschuld nach Art. 202 Abs. 1 oder Art. 203 Abs. 1 ZK sei zusätzlich zu prüfen, ob eine Einfuhr im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 vorliege. Das Verbringen eines Gegenstands in die Union reiche hierfür nicht aus, sondern Voraussetzung sei vielmehr, dass sich der Gegenstand im freien Verkehr befinde oder nicht mehr einer der in Art. 61 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie genannten Regelungen unterliege.

27.

Daher ist nach Auffassung von FedEx die Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass eine Einfuhr voraussetzt, dass der in das Gebiet der Union verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist, und dass im Falle eines zollrechtlichen Fehlverhaltens angenommen werden kann, dass der Gegenstand im Steuergebiet des Mitgliedstaats, in dem das Fehlverhalten begangen wurde, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist.

28.

Nach Meinung des Zollamts sind die Waren in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt worden, da in diesem Mitgliedstaat das zollrechtliche Fehlverhalten begangen wurde. Die Mehrwertsteuer sei daher in Deutschland fällig und nicht in Griechenland.

29.

Die griechische Regierung schlägt vor, die erste Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass eine Einfuhr nicht nur dann vorliege, wenn die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union eingehe, sondern auch dann, wenn die Gefahr bestehe, dass sie in den Wirtschaftskreislauf der Union gelange. Eine Beantwortung der zweiten Frage sei somit nicht mehr erforderlich.

30.

Die Kommission vertritt die Ansicht, die in Rede stehenden Gegenstände seien, vermutlich in Griechenland, in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen, so dass eine Einfuhrmehrwertsteuerschuld entstanden sei. Fraglich sei allein, an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt der Anspruch entstanden sei.

31.

Außerdem sei eine Zollschuld in Deutschland entstanden, da die Gegenstände entweder vorschriftswidrig dorthin verbracht worden seien oder dort aus der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien. Beide Fälle würden zu einem Anspruch auf Einfuhrmehrwertsteuer führen, wenn auch nur unter der Voraussetzung, dass angenommen werden könne, dass die Gegenstände in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen seien. Die bloße Gefahr eines Eingangs genüge dafür nicht.

32.

In Bezug auf die zweite Vorlagefrage weist die Kommission darauf hin, dass das vorlegende Gericht untersuchen müsse, ob die Annahme, dass mit dem zollrechtlichen Fehlverhalten nicht nur eine Zollschuld entstanden sei, sondern aufgrund des Eingehens in den Wirtschaftskreislauf der Union auch die Mehrwertsteuer auf die Einfuhr, berechtigt sei.

33.

Sollte das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommen, dass die Gegenstände Deutschland in Richtung eines anderen Mitgliedstaats verlassen hätten und dort an Empfänger verteilt worden seien, so müsse es annehmen, dass die Gegenstände in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt seien. Sofern die Gegenstände aufgrund des zollrechtlichen Fehlverhaltens in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf gelangt seien, sei ein Anspruch auf Einfuhrmehrwertsteuer in Deutschland entstanden. Nach Überzeugung der Kommission ändert dies jedoch nichts daran, dass die Steuer nur einmal zu entrichten und vom Endverbraucher zu tragen ist, was in den verschiedenen Szenarien, die sie hierzu entwickelt, sichergestellt ist.

34.

Die Kommission schlägt daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass der Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union an dem Ort und zu dem Zeitpunkt angenommen werden könne, an und zu dem der Gegenstand keiner Zollregelung zugeführt werde bzw. später der betreffenden Regelung nicht mehr unterliege.

IV. Würdigung

A.   Zur (teilweisen) Zulässigkeit

35.

Das vorlegende Gericht stützt sich auf eine Auslegung der Richtlinie 2006/112, nach der es zu einer mehrwertsteuerpflichtigen „Einfuhr eines Gegenstands“ kommt, wenn eine Ware in das Gebiet der Union verbracht wird und keinem Verfahren bzw. keiner Regelung im Sinne von Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie zugeführt oder zwar zunächst einer solchen Regelung zugeführt wird, später aber dieser Regelung nicht mehr unterliegt.

36.

Unter Berücksichtigung des Zwecks der Mehrwertsteuer und insbesondere bestimmter Erwägungen des Gerichtshofs in jüngeren Urteilen ( 9 ) stelle sich jedoch die Frage, ob die bloße Verbringung der Ware unter diesen Umständen als „Einfuhr“ angesehen werden könne. Hierfür könnte erforderlich sein, dass die Ware tatsächlich in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sei, ohne dass die bloße Gefahr eines solchen Eingangs in den Wirtschaftskreislauf genüge.

37.

Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung geht es im Ausgangsverfahren um die Frage, ob die Gegenstände, die auf dem Luftweg zunächst im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in die Union gelangten und anschließend, ohne den Flughafen Frankfurt am Main verlassen zu haben, ebenfalls auf dem Luftweg nach Griechenland weiterbefördert wurden, der Einfuhrmehrwertsteuer unterliegen, wenn zwei Bedingungen gegeben sind:

Es wurde in Deutschland gegen die Zollvorschriften verstoßen oder

die Weiterbeförderung nach Griechenland erfolgte ohne die zollrechtlich vorgeschriebene Überführung in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren ( 10 ).

38.

Auf dieser Grundlage möchte das vorlegende Gericht wissen, a) ob der Zeitpunkt und der Ort, zu bzw. an dem die Einfuhrmehrwertsteuer anfällt, vom Eingang der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union abhängt und b) ob die bloße Gefahr eines Eingangs ausreicht.

39.

In seiner Vorlageentscheidung erklärt das Hessische Finanzgericht jedoch, dass die Waren zu keinem Zeitpunkt in das deutsche Steuergebiet gelangt seien, sondern nach Athen weiterbefördert worden seien, wo sie in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen seien ( 11 ).

40.

Wenn der Sachverhalt tatsächlich so liegt, wäre die erste Vorlagefrage als hypothetisch und somit unzulässig einzustufen ( 12 ). Tatsächlich ist nach der von dem vorlegenden Gericht vorgenommenen Prüfung und Feststellung, dass die Waren nicht in Deutschland, sondern in Griechenland, wo sie dem Verbrauch zugeführt wurden, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind, die Frage, ob „die bloße Gefahr, dass der [in das Gebiet der Union] verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt“, genügt, nicht mehr sinnvoll.

41.

In der in der Vorlageentscheidung beschriebenen Situation gab es, wie bereits erwähnt, keine Gefahr, dass die Waren über Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen. Vielmehr wird kategorisch erklärt, dass es erst in Griechenland zu einem Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Union gekommen sei und die Waren dort einem Verbrauch zugeführt worden seien. Wenn dies der Fall ist, erscheint mir ein Rückgriff auf eine Vermutung nicht erforderlich – wenn die Tatsache bereits nachgewiesen wurde – und es ist überflüssig, über die Gefahr zu spekulieren, dass es dazu kommt.

42.

Eine abstrakte Frage zur „bloße[n] Gefahr, dass der verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt“, ist folglich nicht zulässig, wenn, wie ich hier noch einmal betonen möchte, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens und angesichts der Tatsachen, die das vorlegende Gericht als nachgewiesen ansieht, keine Gefahr vorlag, sondern der Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Union festgestellt wurde.

43.

Die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist daher nur aus hypothetischer Sicht von Interesse.

44.

Für den Fall, dass der Gerichtshof meiner Meinung nicht folgt, werde ich mich jedoch mit der ersten Frage in der Sache befassen, indem ich bei der Beantwortung der zweiten Frage prüfen werde, inwiefern und unter welchen Bedingungen ein zollrechtliches Fehlverhalten für sich genommen zu der Vermutung führen kann, dass ein Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist.

B.   Zur Beantwortung der Fragen

45.

Wie ich in den Schlussanträgen in der Rechtssache Wallenborn Transports ( 13 ) festgestellt habe, ist „[e]ntscheidend für den Eintritt des Tatbestands der Einfuhrumsatzsteuer …, dass die Gegenstände, auf die sie erhoben wird, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen und damit einem Verbrauch zugeführt werden können“.

46.

Sodann habe ich darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof dies im Urteil Eurogate Distribution bestätigt hat, indem er ausgeführt hat, dass neben der durch einen Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften begründeten Zollschuld „eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen [kann], wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und damit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten“ ( 14 ).

47.

Denselben Standpunkt hat der Gerichtshof bei der Entscheidung in der Rechtssache Wallenborn Transports ( 15 ) eingenommen.

48.

In beiden Fällen hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte“ – d. h. aufgrund des konkreten Verstoßes gegen die in den Verfahren strittigen zollrechtlichen Vorschriften und aufgrund ihres Zusammenhangs – nicht angenommen werden konnte, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind:

in der Rechtssache Eurogate Distribution, weil trotz der Nichterfüllung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus einem Zolllager in den dafür vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, als erwiesen galt, dass die Waren bis zu ihrer Wiederausfuhr dem Zolllagerverfahren unterlagen und „unstreitig keine Gefahr, dass sie in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen“ ( 16 ), bestand;

in der Rechtssache Wallenborn Transports, weil es das vorlegende Gericht, obwohl die Gegenstände der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone entzogen wurden und sich nicht mehr in dieser Zone befanden, als erwiesen ansah, dass vor der Verbringung der Gegenstände aus der Freizone – letztlich zwecks Ausfuhr in einen Drittstaat – „keine Überführung in den Wirtschaftskreislauf des Mitgliedstaats [vorgelegen hatte], zu dessen Staatsgebiet die Freizone gehört. Denn die Ware verblieb nach ihrer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung zunächst in der Freizone und wurde dort weder in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt noch verbraucht oder verwendet“ ( 17 ).

49.

In der Rechtssache Eurogate Distribution hat der Gerichtshof in der Tat auf die Gefahr Bezug genommen, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen ( 18 ).

50.

Das vorlegende Gericht scheint diese Bezugnahme so auszulegen, als wäre das Vorliegen dieser Gefahr ausschlaggebend für die Feststellung einer Einfuhr. Und da nach dem Urteil in der Rechtssache Wallenborn Transports die Überprüfung, dass die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf überführt wurden, entscheidend ist ( 19 ), sieht das vorlegende Gericht einen gewissen Widerspruch und fragt deshalb, ob die bloße Gefahr des Eintritts in den Wirtschaftskreislauf der Union für die Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer ausreiche.

51.

Bei einer aufmerksamen Lektüre der erwähnten Urteile kann allerdings jeglicher Widerspruch zwischen ihnen ausgeschlossen werden.

52.

Der Grundgedanke war immer, dass die Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Eingang der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union anfällt. In diesem Sinne würden bei der Antwort auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts keine Zweifel bestehen: „Eine Einfuhr im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 der Mehrwertsteuerrichtlinie setzt voraus, dass der in das Gebiet der Union verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union eingeht.“ Die „bloße Gefahr, dass der verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt“, genügt nicht.

53.

Der Eingang der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union kann jedoch a) als ein tatsächliches Ereignis (physischer Eintritt) festgestellt oder b) nur vermutet werden. Die Richtlinie 2006/112 geht von einer solchen Vermutung aus, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist (z. B. bei einem zollrechtlichen Fehlverhalten).

54.

In Wirklichkeit kommt es in diesem Bereich zu einer Kette von aufeinanderfolgenden Rechtsvermutungen:

Zunächst wird vermutet, dass alle Waren, die aus einem Drittstaat in das Gebiet eines Mitgliedstaats gelangen, dem Verbrauch zugeführt und folglich in den Wirtschaftskreislauf der Union verbracht werden sollen. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn für die Waren bestimmte zollrechtliche Sonderregelungen, wie z. B. das externe Versandverfahren oder das Zolllager, in Anspruch genommen werden.

Die Inanspruchnahme dieser Regelungen löst eine zweite Vermutung aus: In diesem Fall wird angenommen (vermutet), dass die Waren, obwohl sie sich physisch im Gebiet eines Mitgliedstaats befinden, nicht in die Union gelangt sind und daher nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union einbezogen werden können.

Die dritte Vermutung entfaltet ihre Wirkung, wenn die zweite Vermutung nicht mehr gilt, weil gegen die ihr zugrunde liegende zollrechtliche Vorschrift verstoßen wurde. Unter diesen Umständen kommt sozusagen erneut die erste Vermutung (d. h., dass Waren, die in das Gebiet der Union gelangen, in den Wirtschaftskreislauf der Union verbracht werden sollen) zur Anwendung, und somit schließt sich der Kreis.

55.

Mit anderen Worten wird dies auch in den Urteilen Wallenborn Transports und Eurogate Distribution festgestellt: „[N]eben der Zollschuld [kann] eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen …, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten.“ ( 20 )

56.

Wenn sowohl die erste Vermutung (Eintritt der aus einem Drittstaat in die Union gelangten Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union) als auch die zweite (Nichteintritt der Waren, für die ein bestimmtes Verfahren in Anspruch genommen wird, in den Wirtschaftskreislauf) widerlegt werden können, dann gilt dies auch für die dritte Vermutung (Eintritt der Waren, die gegen die zollrechtliche Vorschrift, auf der die zweite Vermutung beruht, verstoßen haben, in den Wirtschaftskreislauf). Keine dieser drei Vermutungen ist unwiderlegbar (iuris et de iure). Sie können vielmehr alle mit dem Gegenbeweis widerlegt werden (iuris tantum).

57.

In den Rechtssachen Wallenborn Transports und Eurogate Distribution geschah genau dies: Die Vermutung, dass die Waren infolge des zollrechtlichen Fehlverhaltens in den Wirtschaftskreislauf gelangen (dritte Vermutung), wurde widerlegt, indem nachgewiesen wurde, dass die Waren trotz des Fehlverhaltens nicht in den Wirtschaftskreislauf eingetreten waren:

in der Rechtssache Eurogate Distribution, weil trotz der Nichterfüllung der Anschreibungspflicht nachgewiesen werden konnte, dass die Waren bis zu ihrer Wiederausfuhr dem Zolllagerverfahren unterlagen ( 21 );

in der Rechtssache Wallenborn Transports, weil die Waren zwar aus der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden, jedoch nachgewiesen wurde, dass sie in der Freizone blieben und weder in den freien Verkehr übergeführt noch verbraucht oder verwendet wurden ( 22 ).

58.

Im Urteil Eurogate Distribution wurde nämlich festgestellt, dass „die Waren bis zu ihrer Wiederausfuhr dem Zolllagerverfahren [unterlagen] und … unstreitig keine Gefahr, dass sie in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen“, bestand ( 23 ). Wie bereits erwähnt, scheint dieser Satz Zweifel bei dem vorlegenden Gericht zu wecken, das ihn dahin auslegt, dass bereits das Vorliegen dieser Gefahr ausreiche, um eine Einführung der Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union zu bejahen.

59.

Meiner Meinung nach sollte mit diesem Satz zum Ausdruck gebracht werden, dass unter den beschriebenen Umständen das zollrechtliche Fehlverhalten, da die Waren in jener Rechtssache dem Zolllagerverfahren unterlagen, nicht zu der Vermutung führen konnte, dass sie in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt waren. Mit anderen Worten konnte der Berufung auf das zollrechtliche Fehlverhalten mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Waren wiederausgeführt worden waren und folglich nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt waren ( 24 ).

60.

Es ist also nicht so, dass die bloße Gefahr, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen, zusammen mit einem Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften unweigerlich zur Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer führt.

61.

Wendet man diese Argumente – immer auf der Grundlage der Darstellung des Sachverhalts in der Vorlageentscheidung – auf den vorliegenden Rechtsstreit an, so erweist sich das zollrechtliche Fehlverhalten auf dem Flughafen Frankfurt am Main, auf dem die Waren einfach von einem Flugzeug in ein anderes Flugzeug umgeladen und nach Griechenland weiterbefördert wurden, für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland als irrelevant (unabhängig davon, dass eine Zollschuld entstanden ist, was niemand anzweifelt).

62.

Dieser Verstoß gegen die formellen Pflichten hätte nach dem Urteil Wallenborn Transports keinen Einfuhrumsatzsteueranspruch begründet, wenn die Waren nach ihrer Lagerung auf dem Flughafen Frankfurt am Main zur Wiederausfuhr bestimmt gewesen wären, da die Waren im Fall einer Wiederausfuhr nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen. Ich sehe nicht, wieso es sich anders verhalten sollte, wenn die Waren nach dem Versandverfahren auf dem Flughafen Frankfurt am Main ( 25 ) für die Weiterbeförderung nach Griechenland bestimmt waren, wo es zum wirtschaftlichen Eintritt (d. h. zum tatsächlichen Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Union) und später zur Überführung in den freien Verkehr kam.

63.

Mit anderen Worten bietet die auf dem Flughafen Frankfurt am Main erfolgte formelle Unregelmäßigkeit, nachdem nachgewiesen wurde, dass die Waren nicht in Deutschland, sondern in Griechenland in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind, für sich genommen keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland.

64.

Ich stimme somit der Auslegung des Urteils Eurogate Distribution zu, die das vorlegende Gericht vornimmt, um es auf das Ausgangsverfahren anzuwenden: „Nach diesem Maßstab wäre im Streitfall die Entstehung der deutschen Einfuhrumsatzsteuer zu verneinen, weil weder das vorschriftswidrige Verbringen noch das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung dazu führten, dass die Waren im deutschen Steuergebiet in den Wirtschaftskreislauf der Union eingingen. Denn es steht fest, dass sie … nach Athen weiterbefördert und erst dort [Griechenland] einem Verbrauch zugeführt wurden.“ ( 26 )

65.

Aus diesem Grund kommt Art. 60 der Richtlinie 2006/112 zur Anwendung, d. h. die Einfuhr der Gegenstände (und folglich die Erhebung der Mehrwertsteuer) „erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird“.

66.

Eine andere Frage ist es, dass das vorlegende Gericht, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, über keinen Nachweis verfügt, dass die Mehrwertsteuer tatsächlich in Griechenland bezahlt wurde ( 27 ). Hier geht es jedoch nicht um die Feststellung, was tatsächlich vorgefallen ist, sondern darum, was nach den auf den Fall anwendbaren Vorschriften der Union für diesen Fall vorgesehen ist.

67.

Nach den Vorschriften der Union ist für diesen Fall vorgesehen, dass die deutschen Behörden, nachdem das vorlegende Gericht festgestellt hat, dass die Waren nicht über Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind, nicht die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer einfordern konnten, sondern nur die Zahlung der durch das zollrechtliche Fehlverhalten entstandenen Zollschuld.

V. Ergebnis

68.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage des Hessischen Finanzgerichts für unzulässig zu erklären und die zweite Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist in Verbindung mit den Art. 30 und 60 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass

die Einfuhr eines Gegenstands seinen Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Union voraussetzt, wobei zu vermuten ist, dass dieser Eintritt in dem Mitgliedstaat erfolgt, in dem der Gegenstand nicht mehr einem der in Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 genannten Regelungen unterliegt;

unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens das nationale Gericht diese Vermutung als widerlegt ansehen kann, wenn nachgewiesen wird, dass der Gegenstand trotz eines Verstoßes gegen die zollrechtlichen Vorschriften, in denen die in Art. 61 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 genannten Regelungen niedergelegt sind, – und der entsprechenden Entstehung einer Zollschuld in dem Mitgliedstaat, in dem der Verstoß begangen wurde – über das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist und dort einem Verbrauch zugeführt wurde, so dass in diesem Mitgliedstaat der Mehrwertsteueranspruch entstanden ist.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Urteil vom 2. Juni 2016 (C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405), im Folgenden: Urteil Eurogate Distribution.

( 3 ) Urteil vom 1. Juni 2017 (C-571/15, EU:C:2017:417), im Folgenden: Urteil Wallenborn Transports.

( 4 ) Rechtssachen C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1.

( 5 ) Rechtssache C-480/12, EU:C:2014:329.

( 6 ) Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1), im Folgenden: ZK.

( 7 ) Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

( 8 ) Gesetz vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) in der auf den Sachverhalt anwendbaren Fassung, im Folgenden: UStG.

( 9 ) Konkret Urteile Eurogate Distribution und Wallenborn Transports sowie vom 15. Mai 2014, X (C-480/12, EU:C:2014:329), und vom 18. Mai 2017, Latvijas Dzelzceļš (C-154/16, EU:C:2017:392).

( 10 ) Teil I Abs. 1 der Vorlageentscheidung.

( 11 ) Teil II Nr. 2 Abschnitt b Abs. 2 der Vorlageentscheidung.

( 12 ) Der hypothetische Charakter der Frage ist neben den fehlenden Auswirkungen der Vorlage auf den Gegenstand des Ausgangsverfahrens oder dem Mangel an tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung erforderlich sind, einer der Gründe, mit denen die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit von Vorlagefragen widerlegt werden kann. Vgl. Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a. (C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 24 und 25), vom 4. Mai 2016, Pillbox 38 (C-477/14, EU:C:2016:324, Rn. 15 und 16), vom 5. Juli 2016, Ognyanov (C-614/14, EU:C:2016:514, Rn. 19), vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C-268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54), vom 28. März 2017Rosneft (C-72/15, EU:C:2017:236, Rn. 50 und 155), und vom 10. Juli 2018, Jehovan todistajat (C-25/17, EU:C:2018:551, Rn. 31).

( 13 ) Rechtssache C-571/15 (EU:C:2016:944, Nr. 67).

( 14 ) Urteil Eurogate Distribution, Rn. 65.

( 15 ) Urteil Wallenborn Transports, Rn. 54.

( 16 ) Urteil Eurogate Distribution, Rn. 65.

( 17 ) Auf diese Situation bezieht sich Rn. 56 des Urteils Wallenborn Transports.

( 18 ) Urteil Eurogate Distribution, Rn. 65.

( 19 ) Mit den Worten des Gerichtshofs: „Stellt sich allerdings unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens … heraus, dass die fraglichen Gegenstände nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt wurden …, fällt keine Einfuhrmehrwertsteuer an“ (Urteil Wallenborn Transports, Rn. 56).

( 20 ) Urteil Wallenborn Transports, Rn. 54. Hervorhebung nur hier.

( 21 ) Urteil Eurogate Distribution, Rn. 65.

( 22 ) Urteil Wallenborn Transports, Rn. 56.

( 23 ) Urteil Eurogate Distribution, Rn. 65. Hervorhebung nur hier.

( 24 ) Der Gerichtshof hat in jener Rechtssache entschieden, dass der Verstoß gegen eine konkrete zollrechtliche Pflicht (Anschreibung der Waren in den Bestandsaufzeichnungen) unter den konkreten Umständen nicht dazu geführt hatte, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind, da sie schließlich nachweislich wiederausgeführt worden waren.

( 25 ) Nach der Vorlageentscheidung war in einem Fall der Beförderung der Waren nach Athen ein externes Versandverfahren vom Flughafen von Paris nach Frankfurt am Main vorausgegangen.

( 26 ) Teil II Nr. 3 Abschnitt b Unterabschnitt cc Abs. 4 der Vorlageentscheidung.

( 27 ) FedEx konnte dem vorlegenden Gericht keine Urkundenbeweise über die Zahlung der griechischen Einfuhrmehrwertsteuer vorweisen, was sie mit der seit der Übergabe der Waren in Griechenland (2007 und 2008) vergangenen Zeit begründet.