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61989J0004

URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 15. MAI 1990. - COMUNE DI CARPANETO PIACENTINO UND ANDERE GEGEN UFFICIO PROVINCIALE IMPOSTA SUL VALORE AGGIUNTO DI PIACENZA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COMMISSIONE TRIBUTARIA DI PRIMO GRADO DI PIACENZA - ITALIEN. - MEHRWERTSTEUER - BEGRIFF DES STEUERPFLICHTIGEN - OEFFENTLICHE EINRICHTUNGEN. - RECHTSSACHE C-4/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1990 Seite I-01869


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Steuerpflichtige - Einrichtungen des öffentlichen Rechts - Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeuebten Tätigkeiten - Begriff - Steuerpflicht bei Wettbewerbsverzerrungen und bei wirtschaftlichen Tätigkeiten, deren Gegenstand von Bedeutung und deren Umfang nicht unbedeutend ist - Umfang - Übernahme der entsprechenden Kriterien in das nationale Recht - Verpflichtungen der Mitgliedstaaten

( Richtlinie 77/388 des Rates Artikel 4 Absatz 5 )

Leitsätze


Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist dahin auszulegen, daß es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift um solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer . Von der Behandlung als Nichtsteuerpflichtige sind somit die Tätigkeiten ausgeschlossen, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, sondern als Rechtssubjekte des Privatrechts ausüben . Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, unter Zugrundelegung dieses Kriteriums die erforderlichen Beurteilungen vorzunehmen .

Unterabsatz 2 ist dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten der Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn diese Tätigkeiten - im Wettbewerb mit ihnen - auch von Privaten ausgeuebt werden können und wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu grösseren Wettbewerbsverzerrungen führen kann; sie sind jedoch nicht verpflichtet, diese Kriterien wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige festzulegen .

Unterabsatz 3 ist dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, das Kriterium des nicht unbedeutenden Umfangs als Voraussetzung für die Besteuerung der in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten in ihr Steuerrecht zu übernehmen .

Entscheidungsgründe


1 Die Commissione tributaria di primo grado Piacenza hat mit Beschluß vom 22 . Dezember 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 5 . Januar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17 . Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( 77/388/EWG; ABl . L 145, S . 1; im weiteren : Sechste Richtlinie ) zur Vorabentscheidung vorgelegt .

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Carpaneto Piacentino, die von weiteren elf Gemeinden als Streithelferinnen unterstützt wird, und dem Ufficio provinciale imposta sul valore aggiunto Piacenza; dabei geht es um die Qualifizierung folgender Tätigkeiten der Gemeinden im Hinblick auf ihre Mehrwertsteuerpflicht : Vergabe von Grabstätten und Grabnischen, Lieferung von Zubehör und verschiedenen Gegenständen für Grabnischen, Veräusserung von Baugrundstücken für den sozialen Wohnungsbau und Einräumung von Bebauungsrechten an Baugrundstücken im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, Kostenbeitrag für den Bau einer Wasserleitung, Gebühreneinnahmen aus der Verpachtung der öffentlichen Waage, Verkauf gebrauchten Installationsmaterials, Verkauf von übriggebliebenem Strassenbaumaterial und Abgabe von Holz, das bei der Beschneidung von Alleebäumen angefallen ist .

3 Im Hinblick auf die Entscheidung dieses Rechtsstreits hat die Commissione tributaria di primo grado Piacenza das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"War der italienische Gesetzgeber - bei der Durchführung des Artikels 1 der Sechsten Richtlinie zwecks Anpassung seiner Mehrwertsteuerregelung an die Gemeinschaftsbestimmungen - verpflichtet,

a ) den in Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz durch die Angabe der spezifischen Kriterien für die Definition der von den Gemeinden 'im Rahmen der öffentlichen Gewalt' ausgeuebten Tätigkeiten unter Bezugnahme auf den Begriff der 'Verwaltungsaufgabe' , wie er für die verschiedenen gemeindlichen Tätigkeitsbereiche durch das in Ausführung des Ermächtigungsgesetzes Nr . 382 von 1975 erlassene D.P.R . Nr . 616 vom 24 . Juli 1977 zur Durchführung des Artikels 118 der italienischen Verfassung definiert wurde, festzulegen,

b ) daher vom Kreis der gewerblichen Tätigkeiten alle die Tätigkeiten auszunehmen, die nach dem Gesetz als Ausübung von Verwaltungsaufgaben gemäß dem D.P.R . Nr . 616 vom 24 . Juli 1977 und den dort genannten anderen gesetzlichen Bestimmungen angesehen werden,

c ) gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie die Tätigkeiten, die die Gemeinde aufgrund eigener Entscheidung ausführt ( Erbringung einiger öffentlicher Dienstleistungen ), jedenfalls dann nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn sie zu keinen grösseren Verzerrungen des freien Wettbewerbs führen, soweit die gleichen Dienstleistungen auch von Privatpersonen erbracht werden, wie es z . B . in der Mehrzahl der Gemeinden für die Führung der Apotheken zutrifft, und dabei die notwendigen quantitativen Grenzen festzusetzen,

d ) gemäß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie eine untere Besteuerungsgrenze für die in Anhang D der Sechsten Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten der öffentlichen Hand festzusetzen ( ausgenommen die Wasserversorgung, die, weil obligatorisch, die Ausübung einer Verwaltungsaufgabe darstellt )?"

4 Alle Vorlagefragen betreffen die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie, der folgendermassen lautet :

"Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben .

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu grösseren Wettbewerbsverzerrungen führen würde .

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist .

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen ."

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen . Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert .

6 Vorab ist festzustellen, daß die in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten Fragen im wesentlichen mit den Fragen identisch sind, die dem Urteil des Gerichtshofes vom 17 . Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88 ( Gemeinde Carpaneto Piacentino und Gemeinde Rivergaro, Slg . 1989, 3233 ) zugrunde liegen .

Zur ersten und zur zweiten Frage

7 Die erste und die zweite Frage betreffen die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie .

8 In dem genannten Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift um solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer . Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, die geeignete Rechtsetzungstechnik zu wählen, um die in dieser Vorschrift aufgestellte Regel der Behandlung als Nichtsteuerpflichtige in sein nationales Recht umzusetzen .

9 Der einzige neue Aspekt in der vorliegenden Rechtssache betrifft die Frage, ob die von den italienischen Gemeinden gemäß dem Decreto del Presidente della Repubblica Nr . 616 vom 24 . Juli 1977 ausgeuebten "Verwaltungsaufgaben" als Tätigkeiten anzusehen sind, die die Gemeinden "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ausüben und die demgemäß nicht mehrwertsteuerpflichtig sind .

10 Gemäß dem Urteil vom 17 . Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88 ( Randnr . 15 ) lässt sich aufgrund der Ausübungsmodalitäten der Tätigkeiten bestimmen, inwieweit die öffentlichen Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige behandelt werden können . Soweit diese Vorschrift nämlich die Behandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige davon abhängig macht, daß diese "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" tätig werden, schließt sie eine solche Behandlung für die Tätigkeiten aus, die diese Einrichtungen nicht als Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, sondern als Rechtssubjekte des Privatrechts ausüben . Das einzige Kriterium, das eine sichere Unterscheidung dieser beiden Arten von Tätigkeiten ermöglicht, ist folglich die nach dem nationalen Recht anwendbare rechtliche Regelung .

11 Wenn der nationale Gesetzgeber bestimmte Tätigkeiten der Gemeinden als "Verwaltungsaufgaben" einordnet, kann dies ein Indiz dafür sein, daß diese Tätigkeiten aufgrund einer Regelung des öffentlichen Rechts ausgeuebt werden . Wie sich jedoch aus dem Urteil vom 17 . Oktober 1989 ergibt, ist es Sache des nationalen Gerichts, die fraglichen Tätigkeiten anhand des vom Gerichtshof entwickelten Kriteriums angemessen zu beurteilen .

12 Die erste und die zweite Frage sind demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift um solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer . Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, die fraglichen Tätigkeiten anhand dieses Kriteriums zu beurteilen .

Zur dritten Frage

13 Zur Beantwortung dieser Frage genügt der Hinweis darauf, daß der Gerichtshof in dem Urteil vom 17 . Oktober 1989 für Recht erkannt hat, daß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten der Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn diese Tätigkeiten - im Wettbewerb mit ihnen - auch von Privaten ausgeuebt werden können und wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu grösseren Wettbewerbsverzerrungen führen kann; sie sind jedoch nicht verpflichtet, diese Kriterien wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige festzulegen .

Zur vierten Frage

14 Zur Beantwortung dieser Frage genügt der Hinweis darauf, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17 . Oktober 1989 für Recht erkannt hat, daß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, das Kriterium des nicht unbedeutenden Umfangs als Voraussetzung für die Besteuerung der in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten in ihr Steuerrecht zu übernehmen .

Kostenentscheidung


Kosten

15 Die Auslagen der Italienischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig . Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit . Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts .

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm von der Commissione tributaria di primo grado Piacenza durch Beschluß vom 22 . Dezember 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift um solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer . Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, die fraglichen Tätigkeiten anhand dieses Kriteriums zu beurteilen .

2 ) Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten der Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn diese Tätigkeiten - im Wettbewerb mit ihnen - auch von Privaten ausgeuebt werden können und wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu grösseren Wettbewerbsverzerrungen führen kann; sie sind jedoch nicht verpflichtet, diese Kriterien wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige festzulegen .

3 ) Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, das Kriterium des nicht unbedeutenden Umfangs als Voraussetzung für die Besteuerung der in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten in ihr Steuerrecht zu übernehmen .