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61991J0163

URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 12. NOVEMBER 1992. - VAN GINKEL WADDINXVEEN BV, REIS- EN PASSAGEBUREAU VAN GINKEL BV UND ANDERE GEGEN INSPECTEUR DER OMZETBELASTING UTRECHT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: GERECHTSHOF AMSTERDAM - NIEDERLANDE. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE RICHTLINIE - ARTIKEL 26 DER RICHTLINIE - REISEBUEROS - REISEVERANSTALTER - VERMIETUNG VON FERIENWOHNUNGEN. - RECHTSSACHE C-163/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-05723


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Sonderregelung für Reisebüros ° Anwendungsbereich ° Leistung, die nur in der Besorgung einer Unterkunft besteht ° Einbeziehung

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 26)

Leitsätze


Es führt nicht zum Ausschluß der Leistungen eines Reisebüros oder Reiseveranstalters vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Richtlinie 77/388, der eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung für Reisebüros enthält, daß dieses Reisebüro oder dieser Reiseveranstalter nicht die Beförderung des Reisenden übernimmt und sich darauf beschränkt, dem Reisenden eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen.

Entscheidungsgründe


1 Der Gerechtshof Amsterdam hat dem Gerichtshof mit Urteil vom 4. Juni 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Van Ginkel Waddinxveen BV und Reis- en Passagebureau Van Ginkel BV (Kläger) und dem Inspecteur der Omzetbelasting Utrecht (Mehrwertsteuerbehörde) wegen eines an die Kläger gerichteten Nacherhebungsbescheids für Umsatzsteuer.

3 Die Kläger sind ein Reiseveranstalter; sie betreiben auch Reisebüros. Sie bieten ihren Kunden in ihrem Katalog "Autoreisen" an. Dabei verwendet der Kunde sein eigenes Fahrzeug; die Kläger stellen nur die Unterkunft des Reisenden sicher.

4 Bei Autoreisen in den Niederlanden werden die Reisenden meistens in Ferienhäusern untergebracht, die Dritten gehören.

5 Die Bedingungen, zu denen die Kläger diese Ferienhäuser für ihre Kunden benutzen können, werden in Verträgen mit den Eigentümern festgelegt. Die Kläger erhalten eine Provision in Höhe von 20 % des Mietzinses.

6 Erfolgt die Buchung über ein Reisebüro, das nicht den Klägern gehört, so zahlen diese dem Reisebüro 5 % bis 8 % des Mietzinses als Provision.

7 Die Mehrwertsteuer wird ausschließlich auf der Grundlage der von den Klägern erlangten Provision berechnet, von der gegebenenfalls die Provision abgezogen wird, die an das Buchungs-Reisebüro gezahlt wird.

8 Nach Auffassung der Umsatzsteuerbehörde sind die von den Klägern erbrachten Leistungen als Vermietung von Ferienwohnungen anzusehen. Daher müsse die Mehrwertsteuer auf der Grundlage des gesamten dem Kunden in Rechnung gestellten Betrages berechnet werden.

9 Gegen diesen Bescheid haben die Kläger Klage zum Gerechtshof Amsterdam erhoben. Dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Können Umsätze eines Steuerpflichtigen aus der Vermietung von Ferienwohnungen, über die er mit Dritten Vereinbarungen geschlossen hat, um über die Wohnungen verfügen zu können, an Interessenten, die selbst für die Hin- und Rückreise sorgen müssen, als Umsätze aus der Durchführung von Reisen im Sinne des Artikels 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bzw. als bei Durchführung der Reise erbrachte Umsätze im Sinne des Absatzes 2 dieses Artikels angesehen werden?

2) Fällt die Antwort auf die erste Frage anders aus, wenn der Steuerpflichtige als Reiseveranstalter neben den in dieser Frage beschriebenen Umsätzen Reisen durchführt, bei denen die Anreise zu der Unterkunft und die Rückreise inbegriffen sind?

10 Weitere Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Inhalt der Akten ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Zunächst sind Inhalt und Zweck des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie darzulegen.

12 Artikel 26 der Sechsten Richtlinie enthält eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter.

13 Die Leistungen dieser Unternehmen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie sich regelmässig aus mehreren Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen, zusammensetzen, die teils im Ausland, teils in dem Land erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat.

14 Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug würde aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen bei diesen Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern würde.

15 Um das anwendbare Recht den besonderen Merkmalen dieser Tätigkeit anzupassen, hat der Rat in Artikel 26 Absätze 2 bis 4 der Sechsten Richtlinie eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung eingeführt. Diese Bestimmungen lauten wie folgt:

"(2) Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat. Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b die Marge des Reisebüros, d. h. die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.

(3) Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen ausserhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze ausserhalb der Gemeinschaft entfällt.

(4) Beim Reisebüro ist der Vorsteuerabzug oder die Rückerstattung der Steuern in jedem Mitgliedstaat für die Steuern ausgeschlossen, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Absatz 2 bezeichneten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugute kommen."

16 Der Tatbestand, von dem die Anwendung dieser Sonderbestimmungen abhängt, ist in Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie wie folgt festgelegt:

"(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter."

17 Die Fragen des vorlegenden Gerichts gehen dahin, ob für den Tatbestand des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie folgende Umstände von Bedeutung sind:

° der Umstand, daß die Anreise des Reisenden zum und seine Abreise vom Ort der Unterkunft nicht vom Reiseveranstalter erbracht wird, sich dieser vielmehr darauf beschränkt, dem Reisenden eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen;

° die Eigenschaft des Steuerpflichtigen als Reiseveranstalter.

Der Reiseveranstalter erbringt nicht die Beförderung des Reisenden, sondern beschränkt sich darauf, diesem eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen

18 Die Kläger legen zunächst dar, daß der Begriff der Reise weder in der Sechsten Richtlinie noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes definiert sei. Sie berufen sich auf den Ausdruck "travel facilities" in der englischen Fassung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie, auf die in der Gemeinschaft allgemein anerkannte Definition der Reise, auf den Gebrauch der Fachsprache, auf die Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. L 158, S. 59), auf die Ziele der Sechsten Richtlinie und auf die praktischen Schwierigkeiten, die eine andere Auslegung nach sich zöge, und tragen vor, der Begriff der Reise umfasse auch der Kundschaft von Reiseveranstaltern angebotene Reiseformen, bei denen der Veranstalter dem Reisenden nur eine Unterkunft beschaffe.

19 Auch die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich tragen vor, die Anwendung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie hänge nicht davon ab, daß die Reise im engen Sinne, also die Beförderung, vom Reiseveranstalter erbracht werde. Es genüge, daß die Leistung des Reiseveranstalters, auch wenn es sich dabei nur um eine einzige handele, zur Durchführung der Reise beitrage, wie der Beratende Ausschuß für Mehrwertsteuer in seiner Sitzung vom 4. und 5. Juli 1984 festgestellt habe. Diese Auslegung könne sich auf den Ausdruck "travel facilities" in der englischen Fassung der Richtlinie sowie auf deren Ziele stützen, zu vermeiden, daß die Reiseveranstalter in allen den Mitgliedstaaten, in denen Leistungen erbracht würden, steuerlichen Zwängen und Förmlichkeiten unterworfen würden.

20 Das Königreich der Niederlande gesteht zwar zu, daß auch eine solche Auslegung vertretbar sei, meint aber, daß Artikel 26 der Sechsten Richtlinie zum Ziele habe, die Steuerförmlichkeiten in Fällen zu vereinfachen, in denen mehrere Leistungen erbracht würden, und deshalb nicht anwendbar sei, wenn nur eine einzige Leistung, hier: die Unterkunft, erbracht werde.

21 Nach Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ist dieser Artikel anwendbar, wenn der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden im eigenen Namen und nicht als Vermittler handelt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, bei dem der Rechtsstreit über die Anwendung dieses Artikels anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts, insbesondere der vertraglichen Verpflichtungen des Reiseveranstalters gegenüber dem Reisenden, zu entscheiden, ob diese Voraussetzung erfuellt ist.

22 Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie macht es jedoch nicht zum Tatbestandsmerkmal der Mehrwertsteuer-Sonderregelung des Artikels 26, daß die Anreise des Reisenden zum Ort der Unterkunft und seine Abreise vom Reiseveranstalter erbracht wird.

23 Eine solche Auffassung liefe nämlich den Zwecken des Artikels 26 der Richtlinie zuwider. Wie bereits ausgeführt, passt Artikel 26 die Mehrwertsteuervorschriften dem besonderen Wesen der Tätigkeit von Reiseveranstaltern an. Diese Veranstalter bieten, um den Wünschen der Kundschaft zu entsprechen, sehr unterschiedliche Ferien- und Reiseformen an, die es dem Reisenden erlauben, nach seinen Vorstellungen Beförderungs-, Unterkunfts- und sonstige Leistungen zu kombinieren, die diese Veranstalter erbringen können. Würden vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie Leistungen eines Reiseveranstalters ausgeschlossen, die nur die Unterkunft und nicht die Beförderung des Reisenden umfassten, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.

24 Daß ein Reiseveranstalter einem Reisenden nur eine Ferienwohnung zur Verfügung stellt, ist somit kein hinreichender Grund dafür, diese Leistung vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Richtlinie auszuschließen. Wie der Gerichtshof im übrigen in seinem Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C-280/90 (Hacker, Slg. 1992, I-1111) zur Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ausgeführt hat, kann die vom Reiseveranstalter erbrachte Leistung selbst dann mehr als eine Leistung umfassen, wenn nur die Unterkunft erbracht wird, da neben die Vermietung der Wohnung noch Leistungen wie die Unterrichtung und Beratung treten, durch die der Reiseveranstalter für Ferien- und Wohnungsbuchungen eine grosse Auswahl anbietet. Somit besteht kein Grund, solche Leistungen vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie auszuschließen, soweit der Eigentümer oder Nutznießer der Wohnung, mit dem der Veranstalter einen Vertrag geschlossen hat, selbst mehrwertsteuerpflichtig ist, wie es Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie vorschreibt.

Der Steuerpflichtige als Reiseveranstalter

25 Wie die Kommission, das Königreich der Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich und die Kläger vorgetragen haben, findet Artikel 26 der Sechsten Richtlinie ohne Unterschied auf Reisebüros und Reiseveranstalter Anwendung. Diese letzteren sind in Artikel 26 Absatz 1 Satz 3 den Reisebüros gleichgestellt.

26 Eine eigene Antwort für den Fall, daß der Steuerpflichtige Reiseveranstalter ist, ist daher nicht erforderlich.

27 Auf die gestellten Fragen ist somit zu antworten, daß es nicht zum Ausschluß der Leistungen eines Reisebüros oder Reiseveranstalters vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie führt, wenn dieser nicht die Beförderung des Reisenden übernimmt und sich darauf beschränkt, dem Reisenden eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen.

Kostenentscheidung


Kosten

28 Die Auslagen des Königreichs der Niederlande, der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Gerechtshof Amsterdam mit Urteil vom 4. Juni 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Es führt nicht zum Ausschluß der Leistungen eines Reisebüros oder Reiseveranstalters vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, daß dieser nicht die Beförderung des Reisenden übernimmt und sich darauf beschränkt, dem Reisenden eine Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen.