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61992J0073

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. NOVEMBER 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH SPANIEN. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE RICHTLINIE - LEISTUNGEN AUF DEM GEBIET DER WERBUNG. - RECHTSSACHE C-73/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite I-05997


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Steuerrecht ° Harmonisierung ° Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ° Dienstleistungen ° Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts ° "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne der Sechsten Richtlinie ° Begriff ° Maßnahme der Absatzförderung

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e)

2. Vertragsverletzungsklage ° Objektiver Charakter ° Berücksichtigung einer unzutreffenden Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift ° Ausschluß

(EWG-Vertrag, Artikel 169)

Leitsätze


1. Bei dem Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie (77/388) betreffend den steuerrechtlichen Anknüpfungspunkt für bestimmte Dienstleistungen handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der einheitlich ausgelegt werden muß, um eine Doppelbesteuerung oder eine Nichtbesteuerung, die sich aus unterschiedlichen Auslegungen ergeben könnte, zu verhindern.

Unter diesen Begriff fällt eine Maßnahme der Verkaufsförderung wie der Verkauf von Waren zu herabgesetztem Preis, die unentgeltliche Verteilung von Erzeugnissen, die Leistung von Diensten zu herabgesetztem Preis oder die kostenlose Dienstleistung, die Organisation eines Cocktailempfangs oder eines Essens, wenn mit dieser Maßnahme die Übermittlung einer Botschaft verbunden ist, mit der das Publikum ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es bei dieser Maßnahme geht, unterrichtet werden soll.

2. Die auf Feststellung einer Vertragsverletzung gerichtete Klage gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag hat objektiven Charakter. Im Rahmen eines solchen Verfahrens ist es Aufgabe des Gerichtshofes, festzustellen, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt oder nicht, und der Umstand, daß sie das Ergebnis einer unzutreffenden Auslegung der Gemeinschaftsbestimmungen durch einen Mitgliedstaat ist, kann den Gerichtshof nicht daran hindern, eine Vertragsverletzung festzustellen.

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 10. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es ein für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung geltendes Mehrwertsteuersystem eingeführt und aufrechterhalten hat, das unter Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) bestimmte Vorgänge wie Maßnahmen zur Verkaufsförderung vom Begriff der Werbung ausnimmt.

2 In der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie, die sich mit dem Problem des Ortes des steuerbaren Umsatzes befasst, das ° insbesondere hinsichtlich der Lieferung eines Gegenstands mit Montage und der Dienstleistungen ° zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten geführt hat, heisst es:

"Wenn auch als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Ort gelten muß, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat, so sollte doch insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen, als Ort der Dienstleistung das Land des Dienstleistungsempfängers gelten."

3 Zu diesem Zweck bestimmt Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie:

"Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ... hat ..."

4 Absatz 2 dieses Artikels enthält eine Reihe von Ausnahmen von diesem Grundsatz. Zu den Leistungen auf dem Gebiet der Werbung bestimmt er folgendes:

"Es gilt jedoch

...

e) als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch ausserhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

...

° Leistungen auf dem Gebiet der Werbung ..."

5 Die zuletzt genannte Bestimmung wurde durch Artikel 13 Absatz 2 Nr. 5 Buchstabe b des Gesetzes Nr. 30/85 vom 2. August 1985 zur Einführung der Mehrwertsteuer (B.O.E. Nr. 190 vom 9. August 1985) in spanisches Recht umgesetzt. Dabei wurde, was "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" angeht, der Wortlaut des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie übernommen. Gemäß Artikel 22 Absatz 5 Unterabsatz 3 des Reglamento del Impüsto sobre el Valor Añadido (Mehrwertsteuerverordnung), die durch Königliches Dekret 2028/85 vom 30. Oktober 1985 (B.O.E. Nr. 261 vom 31. Oktober 1985) gebilligt wurde, gelten als "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung"

"Dienstleistungen, die aufgrund von Werbeverträgen, Werkverträgen oder Verträgen über Werbeschöpfungen sowie Verträgen über Werbevertrieb oder Werbetarif erbracht werden".

6 Den Akten ist zu entnehmen, daß die spanische Verwaltung auf ein Auskunftsersuchen der Kommission in einem Schreiben vom 20. Dezember 1989 mitteilte, im spanischen Recht würden als Leistungen auf dem Gebiet der Werbung nicht betrachtet Vorgänge der sogenannten Verkaufsförderung, die durch Dienstleistungen im Hotelgewerbe oder durch Freizeitprogramme wie die Lieferung von Nahrungsmitteln und Mahlzeiten und die Organisation von Aufführungen, Spielen, Wettbewerben, Festen oder ähnlichen Veranstaltungen durchgeführt werden.

7 Da die Kommission der Ansicht ist, daß die spanische Regelung, soweit sie vom Begriff der Werbung bestimmte Vorgänge wie Maßnahmen der Verkaufsförderung ausnimmt, mit Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie unvereinbar sei, hat sie gegen das Königreich Spanien ein Verfahren gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag eingeleitet.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, daß sich die Klage nur darauf bezieht, daß nach spanischem Recht Maßnahmen der Verkaufsförderung nicht unter den Begriff der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung fallen.

10 Nach Auffassung der spanischen Regierung stellt dies keine Verletzung des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie dar. Maßnahmen der Verkaufsförderung hätten eine eigenständige Bedeutung, die sie von den Leistungen auf dem Gebiet der Werbung unterscheide.

11 Es ist daher zu prüfen, ob Maßnahmen der Verkaufsförderung Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sind.

12 Dieser Artikel ist eine Kollisionsnorm, die den Ort der Besteuerung von Leistungen auf dem Gebiet der Werbung festlegt und somit die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten voneinander abgrenzt. Daraus folgt, daß es sich bei dem Begriff "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff handelt, der einheitlich ausgelegt werden muß, um eine Doppelbesteuerung oder eine Nichtbesteuerung, die sich aus unterschiedlichen Auslegungen ergeben könnte, zu verhindern.

13 Wie sich der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie entnehmen lässt, ist es gerechtfertigt, die Leistungen auf dem Gebiet der Werbung dort zu besteuern, wo der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, weil die Kosten dieser zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachten Leistungen in den Preis der Waren eingehen. Soweit der Empfänger üblicherweise in dem Staat, in dem er seinen Sitz hat, die Waren verkauft oder die Dienstleistungen erbringt, für die geworben wird, und damit die entsprechende Mehrwertsteuer dem Endverbraucher in Rechnung stellt, ist es also nach Ansicht des Gemeinschaftsgesetzgebers angezeigt, daß auch die Mehrwertsteuer auf die Werbeleistung vom Empfänger an diesen Staat entrichtet wird. Diese Überlegung ist eines der Elemente, die bei der Auslegung des in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriffes "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" zu berücksichtigen sind.

14 Mit dem Begriff der Werbung ist notwendigerweise die Verbreitung einer Botschaft verbunden, die dazu dient, die Verbraucher von der Existenz und den Eigenschaften eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung zu unterrichten, um so den Absatz zu erhöhen; gewöhnlich wird diese Botschaft mit Hilfe von Worten, Schriften und/oder Bildern über die Presse, den Rundfunk und/oder das Fernsehen verbreitet, die Verbreitung kann aber auch durch ° teilweise oder sogar ausschließliche ° Verwendung anderer Mittel erfolgen.

15 Werden ausschließlich andere Mittel verwendet, so sind für die Entscheidung, ob der fragliche Vorgang eine Leistung auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie darstellt, jedesmal alle Umstände, unter denen die betreffende Leistung erfolgt, zu berücksichtigen. Ein solcher Umstand, der es erlaubt, eine Leistung als Leistung auf dem Gebiet "Werbung" anzusehen, ist darin zu erblicken, daß die eingesetzten Mittel von einer Werbeagentur geliefert worden sind. Diese Eigenschaft des Dienstleistenden ist aber keine unerläßliche Voraussetzung für die Bewertung. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß eine Leistung auf dem Gebiet der Werbung von einem Unternehmen erbracht wird, das sich nicht ausschließlich und nicht einmal hauptsächlich mit Werbung befasst, auch wenn ein solcher Fall wenig wahrscheinlich ist.

16 Ist mit einer Maßnahme der Verkaufsförderung wie mit dem Verkauf von Waren zu herabgesetztem Preis, der unentgeltlichen Verteilung von Erzeugnissen, der Leistung von Diensten zu herabgesetztem Preis oder der kostenlosen Dienstleistung, der Organisation eines Cocktailempfangs oder eines Essens die Übermittlung einer Botschaft verbunden, mit der das Publikum ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es bei dieser Maßnahme geht, unterrichtet werden soll, so reicht dies also aus, um von einer Leistung auf dem Gebiet der Werbung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sprechen zu können.

17 Soweit die spanische Steuerregelung vom Begriff der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung Maßnahmen der Verkaufsförderung ausnimmt, obwohl sie den angeführten Kriterien entsprechen, ist sie folglich mit Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie unvereinbar.

18 Die spanische Regierung ist der Ansicht, es könne, auch wenn der Gerichtshof ihren Standpunkt zur Auslegung des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie nicht gutheissen sollte, von einer Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen durch Spanien nicht gesprochen werden, weil die zuständigen Gemeinschaftsorgane nicht ausreichend klargestellt hätten, wie die streitige Bestimmung zu verstehen sei.

19 Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist darauf hinzuweisen, daß die auf Feststellung einer Vertragsverletzung gerichtete Klage objektiven Charakter hat und daß es im Rahmen eines solchen Verfahrens Aufgabe des Gerichtshofes ist, festzustellen, ob die gerügte Vertragsverletzung vorliegt oder nicht (vgl. Urteile vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 415/85, Kommission/Irland, Slg. 1988, 3097, Randnr. 9, und in der Rechtssache 416/85, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1988, 3127, Randnr. 9). Der Umstand, daß eine Vertragsverletzung das Ergebnis einer unzutreffenden Auslegung der Gemeinschaftsbestimmungen durch einen Mitgliedstaat ist, kann den Gerichtshof nicht daran hindern, eine Vertragsverletzung festzustellen.

20 Nach alledem steht fest, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie, insbesondere aus deren Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e, und aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es ein für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung geltendes Mehrwertsteuersystem eingeführt und aufrechterhalten hat, das Maßnahmen zur Verkaufsförderung vom Begriff der Werbung ausnimmt, selbst wenn diese Maßnahmen die Übermittlung einer Botschaft umfassen, durch die die Verbraucher ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es dabei geht, unterrichtet werden sollen.

Kostenentscheidung


Kosten

21 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Spanien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, insbesondere aus deren Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e, und aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß es ein für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung geltendes Mehrwertsteuersystem eingeführt und aufrechterhalten hat, das Maßnahmen zur Verkaufsförderung vom Begriff der Werbung ausnimmt, selbst wenn diese Maßnahmen die Übermittlung einer Botschaft umfassen, durch die die Verbraucher ° zum Zweck der Erhöhung des Absatzes ° über die Existenz und die Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, um die es dabei geht, unterrichtet werden sollen.

2) Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.