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61997J0276

Urteil des Gerichtshofes vom 12. September 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung - Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuer - Gestattung der Straßenbenutzung gegen eine Maut - Kein Mehrwertsteuer-Tatbestand - Verordnungen (EWG, Euratom) Nrn. 1552/89 und 1553/89 - Mehrwertsteuereigenmittel. - Rechtssache C-276/97.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06251


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Dienstleistungen gegen Entgelt - Begriff - Gestattung der Benutzung von Straßenanlagen gegen eine Maut - Einbeziehung

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 2 Nr. 1)

2 Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Steuerpflichtige - Einrichtungen des öffentlichen Rechts - Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten - Begriff

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 4 Absatz 5)

3 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Mehrwertsteuermittel - Regelung über die Erhebung - Berichtigung der Jahresübersicht - Ausschlussfrist - Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission, um die Nachzahlung solcher Mittel zu erwirken - Analoge Anwendung - Rechtfertigung durch Erwägungen der Rechtssicherheit

(Verordnung Nr. 1553/89 des Rates, Artikel 9 Absatz 2)

Leitsätze


1 Die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut ist eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Die Straßenanlage darf nämlich nur dann benutzt werden, wenn eine Maut entrichtet wird, deren Höhe u. a. von der Art des verwendeten Fahrzeugs und der zurückgelegten Entfernung abhängt. Damit besteht der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen finanziellen Gegenwert.

(vgl. Randnrn. 35 und 36)

2 Für das Eingreifen von Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, wonach Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht steuerpflichtig sind, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, müssen kumulativ zwei Voraussetzungen erfuellt sein, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt. Was die zweite Voraussetzung angeht, so handelt es sich bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; nicht dazu gehören Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.

(vgl. Randnrn. 39 und 40)

3 Obgleich weder die Sechste Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern noch die Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften eine Verjährungsfrist für die Erhebung der Mehrwertsteuer vorsehen, kann es das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit der Kommission verwehren, im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens, das auf die Nachzahlung von Eigenmitteln gerichtet ist, die Entscheidung über die Einleitung des gerichtlichen Verfahrensabschnitts unbegrenzt zu verzögern. Auch wenn sich Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1553/89 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel nicht auf den Fall eines anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag bezieht, bringt diese Bestimmung doch die Erfordernisse der Rechtssicherheit im Haushaltswesen dadurch zum Ausdruck, dass sie jede Berichtigung nach mehr als vier Haushaltsjahren untersagt. Aus den gleichen Erwägungen der Rechtssicherheit erscheint es gerechtfertigt, die in dieser Vorschrift niedergelegte Regel analog anzuwenden, wenn die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, um die Nachzahlung von Mehrwertsteuereigenmitteln zu erwirken.

(vgl. Randnrn. 63 und 64, 67 und 68)

Parteien


In der Rechtssache C-276/97

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und E. Traversa, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Klägerin,

gegen

Französische Republik, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Sous-directeur in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und G. Mignot, Sekretär für auswärtige Angelegenheiten in dieser Direktion, als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie

- entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) die Autobahnmaut nicht als Gegenleistung für eine dem Benutzer erbrachte Leistung der Mehrwertsteuer unterworfen und

- der Kommission nicht die entsprechenden Beträge als Eigenmittel zuzüglich Verzugszinsen zur Verfügung gestellt hat,

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm und V. Skouris und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: S. Alber

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin, und H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 23. November 1999, in der die Kommission durch H. Michard und die Französische Republik durch K. Rispal-Bellanger und durch S. Seam, Sekretär für auswärtige Angelegenheiten in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte vertreten waren,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Januar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 30. Juli 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie

- entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im Folgenden: Sechste Richtlinie) die Autobahnmaut nicht als Gegenleistung für eine dem Benutzer erbrachte Leistung der Mehrwertsteuer unterworfen und

- der Kommission nicht die entsprechenden Beträge als Eigenmittel zuzüglich Verzugszinsen zur Verfügung gestellt hat.

Rechtlicher Rahmen

2 Artikel 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2. die Einfuhr von Gegenständen."

3 In Artikel 4 Absätze 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie heißt es:

"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbstständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.

...

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen."

4 Die Tätigkeit des Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut gehört unstreitig nicht zu den in Anhang D der Sechsten Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten.

5 Artikel 1 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel (ABl. L 155, S. 9), die ab dem 1. Januar 1989 an die Stelle der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 2892/77 des Rates vom 19. Dezember 1977 über die Anwendung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuereigenmittel in der Fassung der Verordnung (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 3735/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 (ABl. L 356, S. 1) getreten ist, bestimmt:

"Die MWSt.-Eigenmittel ergeben sich aus der Anwendung des nach dem Beschluss 88/376/EWG, Euratom festgesetzten einheitlichen Satzes auf die gemäß dieser Verordnung festgelegte Grundlage."

6 Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 lautet:

"Die Grundlage für die MWSt.-Eigenmittel wird anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, zuletzt geändert durch den Beschluss 84/386/EWG, festgelegt, wobei die steuerfreien Umsätze gemäß den Artikeln 13 bis 16 der genannten Richtlinie ausgenommen sind."

7 Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1552/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. L 155, S. 1), die vom 1. Januar 1989 an gilt und mit der die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 2891/77 des Rates vom 19. Dezember 1977 zur Durchführung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (ABl. L 336, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 1990/88 des Rates vom 30. Juni 1988 (ABl. L 176, S. 1) aufgehoben wurde, bestimmt:

"Jeder Mitgliedstaat schreibt die Eigenmittel nach Maßgabe des Artikels 10 dem Konto gut, das zu diesem Zweck für die Kommission bei der Haushaltsverwaltung des Mitgliedstaats oder bei der von ihm bestimmten Einrichtung eingerichtet wurde."

8 Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89 lautet:

"Bei verspäteter Gutschrift auf dem in Artikel 9 Absatz 1 genannten Konto hat der betreffende Mitgliedstaat Zinsen zu zahlen, deren Satz dem am Fälligkeitstag auf dem Geldmarkt des betreffenden Mitgliedstaats für kurzfristige Finanzierung geltenden Zinssatz - erhöht um 2 Prozentpunkte - entspricht. Dieser Satz erhöht sich um 0,25 Prozentpunkte für jeden Verzugsmonat. Der erhöhte Satz findet auf die gesamte Dauer des Verzugs Anwendung."

Vorprozessuales Verfahren

Zu dem die Sechste Richtlinie betreffenden Verfahren

9 Mit Schreiben vom 26. April 1984 ersuchte die Kommission die französische Regierung um eine Stellungnahme zu der Mehrwertsteuerregelung, die in Frankreich für Konzessionäre von Autobahnen gilt.

10 Mit Schreiben vom 5. Juli 1984 antwortete die französische Regierung, da die Konzessionäre als Leistung für den Staat von den Benutzern Abgaben, nämlich die Maut, erhöben, seien sie Abgabeneinnehmer und würden nur hinsichtlich der Vergütung, die die Gegenleistung für die dem Staat erbrachte Leistung sei, als Steuerpflichtige zur Steuer herangezogen.

11 Daraufhin forderte die Kommission die französische Regierung mit Schreiben vom 12. März 1986 gemäß Artikel 169 EG-Vertrag dazu auf, sich binnen zwei Monaten zum Standpunkt der Kommission zu äußern, dass die Tätigkeit der Autobahnkonzessionäre eine Dienstleistung sei, die den Benutzern und nicht dem Staat erbracht werde, und dass die fehlende Unterwerfung dieser Tätigkeit unter die Mehrwertsteuer das Mehrwertsteuersystem verfälsche.

12 Mit Schreiben vom 22. Mai 1986 teilte die französische Regierung der Kommission mit, dass sie an ihrer Ansicht festhalte. Sie machte insbesondere geltend, dass die Maut sich nicht nach den Leistungen, die den Benutzern erbracht würden, richte und deshalb ihrem Wesen nach kein Entgelt sei.

13 Am 28. April 1988 richtete die Kommission ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an die Französische Republik, in dem sie ihre Rügen im Lichte von deren Angaben präzisierte. Sie führte aus, es genüge nicht, die Konzessionäre als Abgabeneinnehmer zur Mehrwertsteuer heranzuziehen, sondern es sei auf die gesamte Maut Mehrwertsteuer zu erheben.

14 Mit Schreiben vom 17. Februar 1989 bekräftigte die französische Regierung, daß die Maut ihrem Wesen nach eine Abgabe sei und dass Mehrwertsteuer nur auf die Vergütung zu erheben sei, die die Gegenleistung für die von den Konzessionären dem Staat erbrachte Leistung sei.

15 Da die Kommission diese Ausführungen der französischen Regierung nicht für überzeugend erachtete, übermittelte sie dieser am 28. August 1989 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie insbesondere feststellte, daß die Französische Republik ihren Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie nicht nachgekommen sei. Demgemäß forderte sie die Französische Republik auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Verpflichtungen zu erfuellen.

Zum das System der Eigenmittel betreffenden Verfahren

16 Mit Schreiben vom 20. Dezember 1985 wies die Kommission die französische Regierung darauf hin, dass der Verstoß gegen die Sechste Richtlinie, der darin liege, daß nicht auf die gesamte Autobahnmaut Mehrwertsteuer erhoben werde, eine ungerechtfertigte Verringerung der Eigenmittel der Gemeinschaften zur Folge habe. Sie forderte sie auf, für die Haushaltsjahre 1981 bis 1984 die nicht gezahlten Beträge zu ermitteln und sie zuzüglich Verzugszinsen ab 31. März 1986 an den Gemeinschaftshaushalt zu überweisen.

17 Nachdem es die französische Regierung am 27. Februar 1986 gegenüber der Kommission abgelehnt hatte, dieser Aufforderung nachzukommen, richtete die Kommission am 28. Januar 1988 im Verfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag ein Schreiben an die französische Regierung, mit dem sie diese aufforderte, zur ihr zur Last gelegten Vertragsverletzung binnen zwei Monaten Stellung zu nehmen.

18 Mit Schreiben vom 19. September 1988 erwiderte die französische Regierung, wenn die Mehrwertsteuer auf die gesamte Maut erhoben würde, so würde sich dies wegen der Abzüge, die die Konzessionäre selbst und die mehrwertsteuerpflichtigen Autobahnbenutzer dann vornehmen würden, auf die Eigenmittel der Gemeinschaften negativ auswirken.

19 Mit Schreiben vom 17. Januar 1989 erweiterte die Kommission ihre Zahlungsaufforderung auf die Haushaltsjahre 1985 bis 1987 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. Mai 1989 sowie auf alle folgenden Haushaltsjahre bis zur Beendigung des Verstoßes.

20 In ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 28. August 1989 (oben, Randnr. 15), die sich sowohl auf den Verstoß gegen die Sechste Richtlinie als auch auf dessen Auswirkungen auf die Zahlung der Eigenmittel der Gemeinschaften bezog, stellte die Kommission fest, dass die Französische Republik auch gegen ihre Verpflichtungen aus den Verordnungen Nrn. 2892/77 und 2891/77 in jeweils geänderter Fassung verstoßen habe. Sie forderte die Französische Republik demgemäß auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.

21 In ihrer vom 29. November 1989 datierenden Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme bestritt die Französische Republik ein weiteres Mal, gegen die Sechste Richtlinie verstoßen zu haben, und übermittelte der Kommission Angaben und Erläuterungen, die ihr verdeutlichen sollten, in welcher Höhe die Autobahnkonzessionäre nach dem derzeitigen System Mehrwertsteuer entrichteten und welcher Betrag sich nach dem von der Kommission befürworteten System ergäbe.

22 Da die Kommission diese Antwort sowohl hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen die Sechste Richtlinie als auch hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Entrichtung der Eigenmittel der Gemeinschaften für unzureichend erachtete, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründetheit

23 Mit ihrer Klage legt die Kommission der Französischen Republik zur Last, sie habe dadurch gegen die Sechste Richtlinie verstoßen, dass sie die als Gegenleistung für die Benutzung der Autobahnen erhobene Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen habe, und sie habe die Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften mißachtet, indem sie nicht die Mehrwertsteuereigenmittel an den Gemeinschaftshaushalt überwiesen habe, die den Beträgen entsprächen, die als Mehrwertsteuer auf die fragliche Maut hätten erhoben werden müssen.

Zur ersten Rüge

24 Wird die Benutzung von Straßenanlagen gegen eine Maut gestattet, so liegt hierin nach Auffassung der Kommission eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 und 4 der Sechsten Richtlinie. Diese Tätigkeit sei eine Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen im Sinne von Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie erbringe.

25 Dass diese Tätigkeit, wie in Frankreich, gemäß einer besonderen Regelung über Konzessionen ausgeübt werde, die der Staat an öffentliche, quasiöffentliche oder private Einrichtungen vergebe, könne die fraglichen Verrichtungen nicht dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie entziehen.

26 Gemäß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie gälten Einrichtungen des öffentlichen Rechts nur insoweit nicht als steuerpflichtig, als sie Tätigkeiten ausübten oder Leistungen erbrächten, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt oblägen. So verhalte es sich jedoch nicht bei der streitigen Tätigkeit, die nicht zu den kennzeichnenden, keinesfalls auf private Einrichtungen übertragbaren Aufgaben der öffentlichen Gewalt gehöre; die Regelung, wonach öffentlich-rechtliche Einrichtungen nicht steuerpflichtig seien, sei notwendig eng auszulegen.

27 Jedenfalls könne die in der genannten Bestimmung niedergelegte Ausnahme nur dann geltend gemacht werden, wenn die streitige Tätigkeit von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung ausgeübt werde.

28 Selbst wenn die Voraussetzungen des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie erfuellt wären, seien die Mitgliedstaaten nach Unterabsatz 2 gleichwohl dazu verpflichtet, die Steuerpflichtigkeit öffentlich-rechtlicher Einrichtungen sicherzustellen, sofern ihre Behandlung als nicht steuerpflichtig zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dies sei aber hier der Fall.

29 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Sechste Richtlinie den Anwendungsbereich für die Mehrwertsteuer sehr weit fasst, indem sie in Artikel 2, der die steuerbaren Umsätze betrifft, neben der Einfuhr von Gegenständen die im Inland gegen Entgelt ausgeführten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen nennt und in Artikel 4 Absatz 1 als Steuerpflichtigen definiert, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis (Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471, Randnr. 6).

30 Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit erfasst nach Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.

31 Diese Festlegungen zeigen klar, dass sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und dass es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 8).

32 Angesichts der Weite des durch den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit festgelegten Anwendungsbereichs ist festzustellen, dass die Autobahnkonzessionäre in Frankreich, soweit sie den Benutzern gegen Entgelt eine Straßenanlage zur Verfügung stellen, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie ausüben.

33 Angesichts des objektiven Charakters des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit ist es unerheblich, dass die in der vorstehenden Randnummer genannte Tätigkeit in der Wahrnehmung von Aufgaben besteht, die aus Gründen des Gemeinwohls durch Gesetz zugewiesen und geregelt werden. Nach Artikel 6 der Sechsten Richtlinie sind nämlich bestimmte kraft Gesetzes ausgeübte Tätigkeiten ausdrücklich der Mehrwertsteuerregelung unterworfen (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 10).

34 Der Begriff der Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteile vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86, Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 12, und vom 16. Oktober 1997 in der Rechtssache C-258/95, Fillibeck, Slg. 1997, I-5577, Randnr. 12) weiter voraus, dass zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem empfangenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

35 Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, entspricht die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut dieser Festlegung. Die Straßenanlage darf nämlich nur dann benutzt werden, wenn eine Maut entrichtet wird, deren Höhe u. a. von der Art des verwendeten Fahrzeugs und der zurückgelegten Entfernung abhängt. Damit besteht der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen finanziellen Gegenwert.

36 Demnach ist die Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie.

37 Damit ist weiter zu prüfen, ob den fraglichen Wirtschaftsteilnehmern, wie die französische Regierung vorträgt, hinsichtlich der Tätigkeit, die in der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut besteht, die in Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Ausnahme zugute kommt.

38 Nach dem ersten Unterabsatz dieser Bestimmung gelten Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als steuerpflichtig, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

39 Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, ergibt sich aus dieser Bestimmung unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie eindeutig, dass für die Nichteinbeziehung in die Steuerpflicht kumulativ zwei Voraussetzungen erfuellt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt (u. a. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-202/90, Ayuntamiento de Sevilla, Slg. 1991, I-4247, Randnr. 18).

40 Was die zweite Voraussetzung angeht, so handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 16, vom 15. Mai 1990 in der Rechtssache C-4/89, Comune di Carpaneto Piacentino u. a., Slg. 1990, I-1869, Randnr. 8, und vom 6. Februar 1997 in der Rechtssache C-247/95, Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779, Randnr. 17) bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; nicht dazu gehören Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.

41 Im Lichte dieser Rechtsprechung ist das Vorbringen der Kommission (oben, Randnr. 26) zurückzuweisen, wonach eine Einrichtung Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" nur ausübe, soweit diese Tätigkeiten zur öffentlichen Gewalt im engen Sinn dieses Begriffes gehörten, was bei der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut nicht der Fall sei.

42 Die Kommission, deren Rechtsauffassung der Gerichtshofe somit nicht zustimmt, hat im vorliegenden Fall weder nachgewiesen noch auch nur nachzuweisen versucht, dass die infrage stehenden Wirtschaftsteilnehmer im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes unter den gleichen Bedingungen tätig sind wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer. Demgegenüber hat die Französische Republik den Nachweis angetreten, dass diese Wirtschaftsteilnehmer die fragliche Tätigkeit im Rahmen einer rechtlichen Regelung ausüben, die im Sinne dieser Rechtsprechung eigens für sie gilt.

43 Die Kommission hat es somit versäumt, Gesichtspunkte darzulegen, aus denen sich im Hinblick auf die Voraussetzung, dass eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt worden sein muss, auf eine Vertragsverletzung schliessen liesse.

44 Wie oben ausgeführt (Randnr. 39), entfällt die Steuerpflichtigkeit gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie aber nur dann, wenn die fragliche Tätigkeit nicht nur im Rahmen der öffentlichen Gewalt, sondern überdies durch eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ausgeübt wird.

45 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Tätigkeit einer Privatperson nicht allein deswegen von der Mehrwertsteuer befreit ist, weil sie in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht (Urteile Kommission/Niederlande, Randnr. 21, und Ayuntamiento de Sevilla, Randnr. 19). Wie der Gerichtshof in Randnummer 20 des Urteils Ayuntamiento de Sevilla festgestellt hat, folgt daraus, dass die in Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung nicht Platz greifen kann, wenn eine Gemeinde einem unabhängigen Dritten Aufgaben eines Steuereinnehmers überträgt. In Randnummer 22 des Urteils Kommission/Niederlande hat der Gerichtshof weiter entschieden, dass die Notare und die Gerichtsvollzieher in den Niederlanden selbst dann, wenn man unterstellt, dass sie bei der Vornahme von Amtshandlungen aufgrund einer öffentlichen Bestallung Befugnisse der öffentlichen Gewalt ausüben, nicht in den Genuss der Befreiung nach Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie kommen können, da sie ihre Tätigkeiten mangels Eingliederung in die öffentliche Verwaltung nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts, sondern in Form einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen eines freien Berufes ausüben.

46 Im vorliegenden Fall wird aber die Tätigkeit, die in der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage gegen eine Maut besteht, in Frankreich zumindest in manchen Fällen unstreitig nicht durch eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, sondern durch Wirtschaftsteilnehmer des privaten Rechts ausgeübt. Soweit dies der Fall ist, kann die in Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung nicht angewendet werden.

47 Die hier von der Kommission vorgebrachte Rüge, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie vorlägen, die Nichteinbeziehung der fraglichen Tätigkeit in die Mehrwertsteuer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Unterabsatz 2 führen würde, wurde von der Kommission während des ganzen vorprozessualen Verfahrens gegenüber der Französischen Republik nie erhoben und ist deshalb unzulässig.

48 Die erste Rüge der Kommission ist demnach für die Fälle zurückzuweisen, in denen eine öffentlich-rechtliche Einrichtung in Frankreich die Tätigkeit der Gestattung der Benutzung einer Straßenanlage ausübt.

49 Es ist somit festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie verstoßen hat, dass sie die Autobahnmaut, die als Gegenleistung für die den Benutzern erbrachte Leistung erhoben wird, nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat, soweit die letztgenannte Leistung nicht von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie ausgeführt wird.

Zur zweiten Rüge

50 Die Kommission weist darauf hin, dass die gemeinschaftsrechtliche Regelung über die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel in der Verordnung Nr. 1553/89 enthalten ist, die vom 1. Januar 1989 an die Verordnung Nr. 2892/77 in geänderter Fassung abgelöst hat.

51 Wenn ein Steuerpflichtiger eine der in den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie genannten Tätigkeiten vornehme, so habe der Endverbraucher dieser Lieferung oder Dienstleistung die Mehrwertsteuer zu entrichten, und damit seien für den Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer erhoben worden sei, die Vorschriften über die Zahlung der Mehrwertsteuereigenmittel anzuwenden.

52 Werde gegen die Sechste Richtlinie verstoßen und dadurch die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuereigenmittel verringert, so sei ihr der Betrag der auf die Steuer, die zu erheben gewesen wäre, entfallenden Eigenmittel gutzuschreiben, da sie andernfalls einen finanziellen Schaden erlitte, der durch den auf der Grundlage des nationalen Bruttosozialprodukts zu leistenden Beitrag ausgeglichen werden müsste. Damit würde ein solcher Verstoß den anderen Mitgliedstaaten einen finanziellen Schaden verursachen und verstoße daher gegen den Gleichheitsgrundsatz.

53 Verzugszinsen seien nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89 "bei verspäteter Gutschrift" zu entrichten und könnten unabhängig davon, aus welchem Grund die Gutschrift auf dem Konto der Kommission verspätet erfolgt sei, verlangt werden (siehe z. B. Urteil vom 22. Februar 1989 in der Rechtssache 54/87, Kommission/Italien, Slg. 1989, 385, Randnr. 12).

54 Sie habe der französischen Regierung die für die Abstellung des Verstoßes erforderlichen Fristen eingeräumt und sie darauf hingewiesen, dass für die Mehrwertsteuereigenmittel, die die Französische Republik deshalb nicht zahle, weil sie die Autobahnmaut nicht der Mehrwertsteuer unterwerfe, vom 31. März 1986 an Verzugszinsen zu entrichten seien.

55 Gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1553/89 ergeben sich die Mehrwertsteuereigenmittel aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die gemäß dieser Verordnung festgelegte Grundlage. Nach ihrem Artikel 2 Absatz 1 wird diese Grundlage anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Richtlinie festgelegt.

56 Soweit die als Gegenleistung für die Nutzung bestimmter Straßenanlagen in Frankreich erhobene Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wurde, wurden die entsprechenden Beträge auch bei der Festlegung der Grundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel nicht berücksichtigt, sodass die Französische Republik im gleichen Umfang auch gegen die Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften verstoßen hat.

57 Die Rechtsgrundlage für die von der Kommission geforderten Verzugszinsen ergibt sich aus Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, fallen die Verzugszinsen unabhängig davon an, aus welchem Grunde die Gutschrift verspätet erfolgte (u. a. Urteil Kommission/Italien, Randnr. 12).

58 Die Französische Republik hält dem jedoch entgegen, gemäß Artikel 9 der Verordnung Nr. 1553/89 und Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89 könne die Kommission zusätzliche Zahlungen und Verzugszinsen nur verlangen, wenn infolge des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel gekürzt worden sei, was im vorliegenden Fall aber nicht zutreffe.

59 Nach der bestehenden Regelung sei die Mehrwertsteuer auf das an die Autobahngesellschaften geleistete Entgelt für die Staatskasse eine Nettomehrwertsteuer, da der Staat in Bezug auf diese Tätigkeit nicht als Steuerpflichtiger gelte. Ferner sei die von Bauunternehmen für den Bau einer Autobahn berechnete Mehrwertsteuer gegenwärtig nicht abzugsfähig, würde aber nach der von der Kommission befürworteten Regelung abzugsfähig werden. Schließlich sei die auf die Maut erhobene Mehrwertsteuer nur hinsichtlich des Teils der Maut, den nicht steuerpflichtige Benutzer entrichteten, für den Staat eine endgültige Einnahme.

60 Folge man der Auffassung der Kommission, so würde die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuereigenmittel dadurch in Wirklichkeit gekürzt. Die zweite Rüge sei deshalb zurückzuweisen.

61 Insoweit genügt der Hinweis, dass die finanziellen Auswirkungen der richtigen Anwendung der Sechsten Richtlinie, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung anerkannt hat, zwar bei der Durchführung des vorliegenden Urteils zu beurteilen sein werden, dass sie aber jedenfalls nicht die in Randnummer 56 dieses Urteils getroffene Feststellung infrage stellen können, dass die Französische Republik hinsichtlich der Maut, die als Gegenleistung für die Gestattung der Benutzung bestimmter Straßenanlagen erhoben wird, die Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften missachtet hat.

62 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Verpflichtung der Französischen Republik, gemäß der Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften gegebenenfalls Nachzahlungen zu leisten, nicht in ihrem Umfang durch den Umstand beeinflusst wird, dass die vorliegende Klage erst mehr als sieben Jahre nach der Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhoben worden ist.

63 Obgleich weder die Sechste Richtlinie (Urteil vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-85/97, SFI, Slg. 1998, I-7447, Randnr. 25) noch die Regelung über die Eigenmittel der Gemeinschaften eine Verjährungsfrist für die Erhebung der Mehrwertsteuer vorsehen, kann es das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit der Kommission verwehren, im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens, das auf die Nachzahlung von Eigenmitteln gerichtet ist, die Entscheidung über die Einleitung des gerichtlichen Verfahrensabschnitts unbegrenzt zu verzögern (entsprechend Urteil vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 57/69, ACNA/Kommission, Slg. 1972, 933, Randnr. 32).

64 Insoweit ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten der Kommission gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 eine Übersicht zu übermitteln haben, aus der der Gesamtbetrag der für das vorhergehende Kalenderjahr berechneten Grundlage der Mehrwertsteuereigenmittel, auf die der einheitliche Satz im Sinne von Artikel 1 dieser Verordnung anzuwenden ist, hervorgeht.

65 Weiterhin werden nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 die Berichtigungen der Übersichten gemäß Artikel 7 Absatz 1 für die vorhergehenden Haushaltsjahre, aus welchen Gründen sie auch immer anfallen, im Einvernehmen zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat vorgenommen. Kommt es zu keinem Einvernehmen mit dem Mitgliedstaat, so trifft die Kommission nach einer nochmaligen Prüfung die Maßnahmen, die sie für die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung Nr. 1553/89 für erforderlich hält.

66 Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1553/89 bestimmt:

"Nach dem 31. Juli des vierten Jahres, das auf ein Haushaltsjahr folgt, wird die Jahresübersicht gemäß Artikel 7 Absatz 1 nicht mehr berichtigt; hiervon ausgenommen sind die vor diesem Termin von der Kommission oder von dem betreffenden Mitgliedstaat mitgeteilten Punkte."

67 Auch wenn sich diese Bestimmung nicht auf den Fall eines anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag bezieht, bringt sie doch die Erfordernisse der Rechtssicherheit im Haushaltswesen dadurch zum Ausdruck, dass sie jede Berichtigung nach mehr als vier Haushaltsjahren untersagt.

68 Aus den gleichen Erwägungen der Rechtssicherheit erscheint es gerechtfertigt, die in dieser Vorschrift niedergelegte Regel analog anzuwenden, wenn die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, um die Nachzahlung von Mehrwertsteuereigenmitteln zu erwirken.

69 Demgemäß kann die Kommission, die die vorliegende Klage erst am 30. Juli 1997 erhoben hat, die Nachzahlung von Mehrwertsteuereigenmitteln zuzüglich Verzugszinsen nur ab dem Haushaltsjahr 1993 verlangen.

70 Nach alledem ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Verordnungen Nrn. 1553/89 und 1552/89 verstoßen hat, dass sie der Kommission nicht als Mehrwertsteuereigenmittel die Beträge zur Verfügung gestellt hat, die der Mehrwertsteuer, die auf die Autobahnmaut hätte erhoben werden müssen, zuzüglich Verzugszinsen entsprechen.

Kostenentscheidung


Kosten

71 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kommission gemäß die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage und aus den Verordnungen (EWG, Euratom) des Rates vom 29. Mai 1989 Nrn. 1553/89 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel und 1552/89 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften verstoßen, dass sie die Autobahnmaut, die als Gegenleistung für die den Benutzern erbrachte Leistung erhoben wird, nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat, soweit die letztgenannte Leistung nicht von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie ausgeführt wird, und dass sie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nicht als Mehrwertsteuereigenmittel die Beträge zur Verfügung gestellt hat, die der Mehrwertsteuer, die auf die Autobahnmaut hätte erhoben werden müssen, zuzüglich Verzugszinsen entsprechen.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten.