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61997J0439

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 14. Oktober 1999. - Sandoz GmbH gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich. - Darlehensverträge - Rechtsgeschäftsgebühr - Besteuerungsmodalitäten - Diskriminierung. - Rechtssache C-439/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-07041


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1 Freier Kapitalverkehr - Beschränkungen - Besteuerung von Darlehensverträgen einschließlich derjenigen, die in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurden, durch einen Mitgliedstaat - Rechtfertigung mit der Notwendigkeit, Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern

(EG-Vertrag, Artikel 73b Absatz 1 und 73d Absatz 1 Buchstabe b [jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG und 58 Absatz 1 Buchstabe b EG])

2 Freier Kapitalverkehr - Beschränkungen - Besteuerung nur von in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Darlehen durch einen Mitgliedstaat - Unzulässigkeit - Kein Rechtfertigungsgrund

(EG-Vertrag, Artikel 73b Absatz 1 und 73d Absätze 1 Buchstabe b und 3 [jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG und 58 Absätze 1 Buchstabe b und 3 EG])

Leitsätze


1 Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b sowie Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG und 58 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 EG) sind so auszulegen, daß sie der Besteuerung von Darlehensverträgen einschließlich der in einem anderen Mitgliedstaat geschlossenen Verträge nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Vertragspartner oder des Ortes des Abschlusses des Darlehensvertrags alle in dem betreffenden Mitgliedstaat gebietsansässigen natürlichen und juristischen Personen erfasst.

Denn eine solche Regelung nimmt zwar den Gebietsansässigen eines Mitgliedstaats die Möglichkeit, in den Genuß einer Gebührenfreiheit zu gelangen, die für ausserhalb des Staatsgebiets geschlossene Darlehensverträge gelten könnte und daher geeignet ist, diese Gebietsansässigen davon abzuschrecken, bei in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personen Darlehen aufzunehmen, und stellt somit eine Beschränkung des Kapitalverkehrs dar; doch soll sie auch die gleichmässige Steuerbelastung der Gebietsansässigen dadurch gewährleisten, daß sie verhindert, daß sich die Steuerpflichtigen ihren Verpflichtungen aus einer nationalen Steuerregelung entziehen können; sie ist daher unerläßlich, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern.

2 Die Artikel 73b Absatz 1 und 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages (jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG und Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG) stehen einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der ein Darlehen, das eine natürliche oder juristische Person, die im Inland ansässig ist, im Ausland aufnimmt, ohne daß darüber eine Urkunde errichtet wird, und das in die Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensnehmers aufgenommen wird, einer Rechtsgeschäftsgebühr unterliegt, während ein in diesem Mitgliedstaat aufgenommenes Darlehen, über das keine Urkunde errichtet wird, dieser Gebühr nicht unterliegt.

Eine solche Bestimmung enthält eine Diskriminierung aufgrund des Ortes des Abschlusses des Darlehensvertrags. Eine solche Diskriminierung ist geeignet, Gebietsansässige davon abzuschrecken, bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Personen Darlehen aufzunehmen, und stellt daher eine Beschränkung des Kapitalverkehrs dar. Sie kann weder mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Gleichmässigkeit der Besteuerung gebietsansässiger Personen zu gewährleisten, da eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Gebietsansässigen diesem Zweck zuwiderliefe, noch mit dem Zweck, von gebietsansässigen Darlehensnehmern begangene Abgabenhinterziehungen zu bekämpfen.

Entscheidungsgründe


1 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 18. Dezember 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG und 58 EG) sowie der Artikel 1 und 4 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Sandoz GesmbH mit Sitz in Wien gegen die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, bei dem es um die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht geht, die es der Steuerverwaltung ermöglicht, eine Gebühr in Höhe von 0,8 % des Wertes eines Darlehens zu erheben, das ein gebietsansässiger Darlehensnehmer bei einem gebietsfremden Darlehensgeber aufnimmt.

Die Gemeinschaftsregelung

3 Artikel 73b des Vertrages lautet:

"(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten."

4 Artikel 73d des Vertrages sieht folgendes vor:

"(1) Artikel 73b berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,

a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln,

b) die unerläßlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind.

(2) Dieses Kapitel berührt nicht die Anwendbarkeit von Beschränkungen des Niederlassungsrechts, die mit diesem Vertrag vereinbar sind.

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 73b darstellen."

5 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

"Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert."

6 Artikel 4 der Richtlinie lautet:

"Das Recht der Mitgliedstaaten, auf insbesondere steuerrechtlichem oder bankenaufsichtsrechtlichem Gebiet die unerläßlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern und Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen, wird durch die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht berührt.

Die Anwendung dieser Maßnahmen und Verfahren darf keine Behinderung des im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht abgewickelten Kapitalverkehrs zur Folge haben."

7 Darlehen und Kredite von Gebietsansässigen an Gebietsfremde gehören gemäß Abschnitt VIII ("Darlehen und Finanzkredite") der Nomenklatur des Anhangs I der Richtlinie zum Kapitalverkehr.

Das österreichische Recht

8 § 15 Absatz 1 des Gebührengesetzes (BGBl 1957/267, in der Fassung BGBl 1993/818; im folgenden: GebG) sieht vor:

"(1) Rechtsgeschäfte sind nur dann gebührenpflichtig, wenn über sie eine Urkunde errichtet wird, es sei denn, daß in diesem Bundesgesetz etwas Abweichendes bestimmt ist."

9 In bezug auf den Gebührentatbestand unterscheidet § 16 GebG danach, ob die Urkunde im Ausland oder in Österreich errichtet wurde. Wurde die Urkunde in Österreich errichtet, so entsteht die Gebührenschuld gemäß § 16 Absatz 1 GebG entweder zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Urkunde durch beide Parteien oder zum Zeitpunkt der Aushändigung bzw. Übersendung der Urkunde durch die alleinunterzeichnende Partei.

10 Bei im Ausland errichteten Urkunden entsteht die Gebührenschuld gemäß § 16 Absatz 2 Nummer 1 GebG entweder beim Abschluß des schriftlichen Vertrages oder gemäß § 16 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe a GebG zum Zeitpunkt der Einbringung der Urkunde in das Inland.

11 Nach § 33 Tarifpost (TP) 8 Absatz 1 GebG unterliegen Darlehensverträge einer Gebühr von 0,8 % des Wertes der dargeliehenen Sache. § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 lautet:

"(4) Wurde über das Darlehen eines Gesellschafters an seine Gesellschaft oder über das Darlehen eines Darlehensgebers, der im Inland weder einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt noch seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz hat, keine Urkunde in einer für das Entstehen der Gebührenpflicht maßgeblichen Weise errichtet, so gelten die nach den abgabenrechtlichen Vorschriften im Inland zu führenden Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensschuldners, in die das Darlehen aufgenommen wurde, als Urkunde."

Sachverhalt und Vorlagefragen

12 Am 20. Januar 1995 nahm die Sandoz GesmbH (im folgenden: Beschwerdeführerin) bei der Sandoz Management Services SA mit Sitz in Brüssel ein Darlehen in Höhe von 220 Millionen ATS auf. Über dieses Darlehen wurde keine Urkunde errichtet, die Beschwerdeführerin nahm es jedoch in ihre Bücher auf.

13 Mit Bescheid vom 18. Dezember 1995 verlangte die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland von der Beschwerdeführerin gemäß § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG die Entrichtung einer Rechtsgeschäftsgebühr aufgrund einer Ersatzbeurkundung in Höhe von 0,8 % des Darlehensbetrags.

14 Mit der gegen diesen Bescheid und den Bescheid zu dessen Bestätigung eingelegten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere, daß die erwähnte Bestimmung ein Hemmnis des freien Kapitalverkehrs zwischen einem im Inland gebietsansässigen Darlehensnehmer und einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Darlehensgeber darstelle und geeignet sei, diesen Darlehensnehmer davon abzuschrecken, sich an einen solchen Darlehensgeber zu wenden.

15 Dagegen macht der Bundesminister für Finanzen als Vertreter der im Ausgangsverfahren belangten Steuerbehörde geltend, daß § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG in den Anwendungsbereich des Artikels 73d Absatz 1 des Vertrages falle. Die Bestimmung führe nicht zu einer Diskriminierung von in einem anderen Mitgliedstaat als der Darlehensnehmer niedergelassenen Darlehensgebern, sondern solle gewährleisten, daß Darlehen, die an Gebietsansässige in Österreich vergeben würden, der gleichen steuerlichen Belastung unterlägen, unabhängig davon, ob sie von in Österreich oder von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Darlehensgebern gewährt würden. Andernfalls wäre es bei Darlehen von nicht in Österreich gebietsansässigen Darlehensgebern, wenn die Urkunden über solche Darlehen im Ausland ausgestellt und beim Darlehensgeber verblieben, möglich, daß der Darlehensnehmer im Inland keine Gebühren zu entrichten hätte. Im Interesse der Gleichmässigkeit der Besteuerung von Darlehensnehmern sei deshalb der Tatbestand der Ersatzbeurkundung in das GebG aufgenommen worden.

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen Artikel 73b in Verbindung mit Artikel 73d (insbesondere dessen Absatz 3) EG-Vertrag und Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 4 der Richtlinie 88/361/EWG der Beibehaltung jener Bestimmung des § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 Gebührengesetz 1957 (in der Fassung BGBl 1993/818) entgegen, wonach in Fällen, in denen über das Darlehen eines Darlehensgebers, der im Inland weder einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt noch seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz hat, keine Urkunde in einer für das Entstehen der Gebührenpflicht maßgeblichen Weise errichtet wurde, die nach den abgabenrechtlichen Vorschriften im Inland zu führenden Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensschuldners, in die das Darlehen aufgenommen wurde, als Urkunde gelten?

2. Stellt die Besteuerung von Darlehen (soweit dabei ein Kapitalfluß von einem Mitgliedstaat in den anderen erfolgt) durch § 33 TP 8 Absatz 1 GebG eine willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 73b des Vertrages dar?

Zur zweiten Frage

17 Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das nationale Gericht wissen, ob Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 so auszulegen sind, daß sie der Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Darlehen nach einer Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 1 GebG entgegenstehen.

18 Das Verbot des Artikels 73b Absatz 1 des Vertrages gilt für alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern.

19 Wie der Generalanwalt in den Nummern 31 und 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nimmt eine Regelung wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, den Gebietsansässigen eines Mitgliedstaats die Möglichkeit, in den Genuß einer Gebührenfreiheit zu gelangen, die für ausserhalb des Staatsgebiets geschlossene Darlehensverträge gelten könnte. Daher ist eine derartige Maßnahme geeignet, diese Gebietsansässigen davon abzuschrecken, bei in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personen Darlehen aufzunehmen (vgl. Urteil vom 14. November 1995 in der Rechtssache C-484/93, Svensson und Gustavsson, Slg. 1995, I-3955, Randnr. 10).

20 Eine solche Regelung stellt somit eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne von Artikel 73b Absatz 1 des Vertrages dar.

21 Sodann ist zu prüfen, ob eine Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art als unerläßliche Maßnahme im Sinne von Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages angesehen werden kann.

22 Die Beschwerdeführerin macht geltend, mit § 33 TP 8 Absatz 1 GebG werde der Zweck verfolgt, die Rechtssicherheit des Rechtsgeschäfts zu gewährleisten. Diese Bestimmung, nach der für jeden Darlehensvertrag eine Rechtsgeschäftsgebühr geschuldet werde, unabhängig davon, ob er in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen werde, wahre nicht den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Denn in Österreich herrsche die Praxis, Kreditgeschäfte nicht mehr zu beurkunden oder auf einen nicht gebührenpflichtigen Rechtsvorgang auszuweichen. Da diese Maßnahme nicht mehr dem Finanzbedarf der öffentlichen Hand angemessen sei, sei sie nicht mehr notwendig und führe durch Verstärkung der Rechtsunsicherheit zu einem dem angestrebten Zweck entgegenstehenden Ergebnis.

23 Die österreichische Regierung macht hingegen geltend, der Zweck der nationalen Regelung bestehe darin, eine indirekte inländische Steuer einzuführen, die beim gegenwärtigen Stand der teilweisen Harmonisierung des Steuerrechts der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterliege. Die Besteuerung von Darlehen, die in Österreich gebietsansässige Personen im Ausland aufgenommen hätten und über die eine Urkunde errichtet worden sei, sei durch die Wahrung der Gleichmässigkeit der Besteuerung der Gebietsansässigen gerechtfertigt. Diese Maßnahme sei somit unerläßlich, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des Steuerrechts im Sinne von Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages zu verhindern.

24 Wie der Generalanwalt in den Nummern 73 und 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht der Hauptzweck einer Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art, die ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Vertragspartner oder des Ortes des Abschlusses des Darlehensvertrags alle in Österreich gebietsansässigen natürlichen und juristischen Personen erfasst, die einen solchen Vertrag abschließen, darin, deren gleichmässige Steuerbelastung zu gewährleisten. Mit einer solchen Maßnahme, die diese Personen der Gebührenpflicht unterwirft, lässt sich verhindern, daß sich die Steuerpflichtigen durch die Ausübung der durch Artikel 73b Absatz 1 des Vertrages garantierten Freiheit des Kapitalverkehrs ihren Verpflichtungen aus einer nationalen Steuerregelung entziehen können. Somit ist eine Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art im Sinne von Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages unerläßlich, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des Steuerrechts zu verhindern.

25 Schließlich ist zu prüfen, ob eine Steuerregelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung im Sinne von Artikel 73d Absatz 3 des Vertrages darstellt.

26 Hierzu genügt die Feststellung, daß die durch § 33 TP 8 Absatz 1 GebG eingeführte Gebühr unterschiedslos für alle in Österreich gebietsansässigen Darlehensnehmer gilt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und dem Ort des Abschlusses des Darlehensvertrags.

27 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 des Vertrages so auszulegen sind, daß sie der Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Darlehen nach einer nationalen Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 1 GebG nicht entgegenstehen.

Zur ersten Frage

28 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Artikel 73b Absatz 1 und 73d Absatz 3 des Vertrages sowie die Artikel 1 Absatz 1 und 4 der Richtlinie so auszulegen sind, daß sie einer nationalen Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG entgegenstehen.

29 Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß auf ein Darlehen, das eine natürliche oder juristische Person, die in Österreich gebietsansässig ist, im Ausland aufnimmt, ohne daß darüber eine Urkunde errichtet wird, und das in die Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensnehmers aufgenommen wird, die in § 33 TP 8 Absatz 1 vorgesehene Gebühr Anwendung findet.

30 Ein in Österreich aufgenommenes Darlehen, über das keine Urkunde errichtet wurde, muß nach österreichischem Recht in die Bücher aufgenommen werden. Wie sich aus den Akten und den Erklärungen der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ergibt, unterliegt ein solches Darlehen jedoch nicht der Gebühr des § 33 TP 8 Absatz 1 GebG.

31 Somit enthält diese Bestimmung eine Diskriminierung aufgrund des Ortes des Abschlusses des Darlehensvertrags. Eine solche Diskriminierung ist geeignet, Gebietsansässige davon abzuschrecken, bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Personen Darlehen aufzunehmen, und stellt daher eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne von Artikel 73b Absatz 1 des Vertrages dar.

32 Daher ist zu prüfen, ob eine Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG als Maßnahme im Sinne von Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages gerechtfertigt gelten kann.

33 Hierzu macht die österreichische Regierung geltend, daß mit § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 ein doppelter Zweck verfolgt werde. Zum einen solle diese Bestimmung die Gleichmässigkeit der Besteuerung von in Österreich gebietsansässigen Personen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Darlehensgeber und dem Ort des Darlehensvertrags gewährleisten. Zum anderen diene diese Bestimmung der Bekämpfung der Abgabenhinterziehung durch in Österreich ansässige Darlehensnehmer, die darin bestehe, das Vorliegen eines beurkundeten Darlehens zu verheimlichen, und die durch die Schwierigkeiten der Steuerverwaltung beim Nachweis, daß eine Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat errichtet worden sei, erleichtert werde.

34 Zum ersten Argument genügt die Feststellung, daß die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung dem verfolgten Zweck, die Gleichmässigkeit der Besteuerung in Österreich gebietsansässiger natürlicher und juristischer Personen unabhängig vom Ort des Abschlusses des Darlehensvertrages zu gewährleisten, zuwiderläuft, indem sie eine diskriminierende Unterscheidung zwischen diesen Personen schafft, je nachdem, ob sie ein Darlehen ohne Errichtung einer Urkunde hierüber in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommen haben.

35 Zum zweiten Argument ist mit dem Generalanwalt (Nr. 94 der Schlussanträge) darauf hinzuweisen, daß die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung ungeeignet ist, von in Österreich gebietsansässigen Darlehensnehmern begangene Abgabenhinterziehungen zu bekämpfen.

36 Eine Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG kann somit nicht als Maßnahme im Sinne von Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages gerechtfertigt werden.

37 Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob diese Bestimmung den Anforderungen des Artikels 73d Absatz 3 des Vertrages und des Artikels 4 Absatz 2 der Richtlinie genügt.

38 Auf die erste Frage ist deshalb zu antworten, daß Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages einer nationalen Bestimmung wie § 33 TP 8 Absatz 4 Satz 1 GebG entgegenstehen.

Kostenentscheidung


Kosten

39 Die Auslagen der österreichischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 18. Dezember 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG und 58 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 EG) sind so auszulegen, daß sie der Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Darlehen nach einer nationalen Bestimmung wie § 33 Tarifpost 8 Absatz 1 GebG nicht entgegenstehen.

2. Artikel 73b Absatz 1 und Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages stehen einer nationalen Bestimmung wie § 33 Tarifpost 8 Absatz 4 Satz 1 GebG entgegen.