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61998J0396

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 8. Juni 2000. - Grundstückgemeinschaft Schloßstraße GbR gegen Finanzamt Paderborn. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Mehrwertsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG - Wegfall des Vorsteuerabzugs wegen einer Änderung der nationalen Rechtsvorschriften, mit der die Möglichkeit abgeschafft wird, für die Besteuerung der Vermietung von Grundstücken zu optieren. - Rechtssache C-396/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-04279


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Vorsteuerabzug - Abzug der Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die für Investitionsarbeiten geliefert oder erbracht wurden, die zur Verwendung im Rahmen von steuerbaren Umsätzen bestimmt waren - Steuerpflichtiger, der aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist - Unerheblichkeit für das Recht auf Vorsteuerabzug - Vertrauensschutz - Rechtssicherheit

(Richtlinie 77/388 des Rates, Artikel 17)

Leitsätze


$$Nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern bleibt das Recht eines Steuerpflichtigen, die Mehrwertsteuer, die er für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, als Vorsteuer abzuziehen, erhalten, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde. Denn die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit lassen es nicht zu, daß ihm das erlangte Abzugsrecht durch eine solche Gesetzesänderung rückwirkend genommen wird.

(vgl. Randnrn. 47, 53 und Tenor)

Parteien


In der Rechtssache C-396/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Grundstückgemeinschaft Schloßstraße GbR

gegen

Finanzamt Paderborn

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter) sowie der Richter R. Schintgen, G. Hirsch, V. Skouris und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater E. Traversa und A. Buschmann, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Grundstückgemeinschaft Schloßstraße GbR, vertreten durch Steuerberater B. Westermann, Paderborn, der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski, und der Kommission, vertreten durch Rechtsberater J. Grunwald als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 2. Dezember 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Dezember 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 27. August 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Grundstückgemeinschaft Schloßstraße GbR (im folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Paderborn (im folgenden: Beklagter) über den Abzug der Mehrwertsteuer, die von der Klägerin für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet wurde, die ihr im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Umsätze geliefert bzw. erbracht wurden, für die aufgrund einer nach der Lieferung bzw. Erbringung dieser Gegenstände oder Dienstleistungen eingetretenen Gesetzesänderung das Recht auf Verzicht auf die Steuerbefreiung entfallen ist.

Die Sechste Richtlinie

3 Artikel 13 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ...

Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen;

...

C. Optionen

Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:

a) bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken;

...

Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung."

4 Artikel 17 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

"(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

...

(3) Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:

a) seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestuende, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;

b) seiner nach Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe i), Artikel 15 und Artikel 16 Absatz 1 Teile B, C und D und Absatz 2 befreiten Umsätze;

c) seiner nach Artikel 13 Teil B Buchstaben a) und d) Nummern 1 bis 5 befreiten Umsätze, wenn der Leistungsempfänger außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder wenn diese Umsätze unmittelbar mit zur Ausfuhr in ein Land außerhalb der Gemeinschaft bestimmten Gegenständen zusammenhängen.

..."

5 Artikel 20 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"(1) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:

a) wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war;

b) wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten; die Berichtigung unterbleibt jedoch bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, bei einer Zerstörung oder einem ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Verlust oder Diebstahl ...

(2) Für Investitionsgüter wird eine Berichtigung vorgenommen, die sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden, erstreckt. Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel der Steuer, mit der diese Güter belastet waren. Die Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden.

...

(3) Bei Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre. Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als steuerpflichtig, wenn die Lieferung des genannten Investitionsgutes steuerpflichtig ist; sie gilt als steuerfrei, wenn die Lieferung steuerfrei ist. Die Berichtigung wird in diesen Fällen für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen.

...

(4) Zur Durchführung der Absätze 2 und 3 können die Mitgliedstaaten

- den Begriff $Investitionsgüter` bestimmen;

- den Steuerbetrag festlegen, der bei der Berichtigung zu berücksichtigen ist;

- alle zweckdienlichen Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, daß keine ungerechtfertigten Vorteile aus der Berichtigung entstehen;

- verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen.

..."

Die nationale Mehrwertsteuerregelung

6 § 4 Nr. 12 Buchstabe a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) bestimmt:

"Von den unter § 1 Absatz 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:

...

12. a) die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken ..." 7 § 9 UStG stellt jedoch klar:

"(1) Der Unternehmer kann einen Umsatz, der nach § 4 ... Nr. 12 ... steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

(2) Der Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 ist bei ... der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchstabe a) ... nur zulässig, soweit der Unternehmer nachweist, daß das Grundstück weder zu Wohnzwecken noch anderen nichtunternehmerischen Zwecken dient oder zu dienen bestimmt ist."

8 Der Umfang des Optionsrechts für die Besteuerung der Vermietung von Grundstücken wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1994 durch das Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. 1993 I S. 2310) eingeschränkt. § 9 Absatz 2 UStG in der Fassung des StMBG bestimmt:

"Der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach Absatz 1 ist bei ... der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchstabe a) nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen."

9 Nach § 18 Absatz 3 UStG ist die Umsatzsteuererklärung in Form einer Steueranmeldung abzugeben.

10 § 27 Absatz 2 UStG in der Fassung des StMBG enthält folgende Übergangsbestimmung:

"§ 9 Absatz 2 ist nicht anzuwenden, wenn das auf dem Grundstück errichtete Gebäude

1. Wohnzwecken dient oder zu dienen bestimmt ist und vor dem 1. April 1985 fertiggestellt worden ist,

2. anderen nichtunternehmerischen Zwecken dient oder zu dienen bestimmt ist und vor dem 1. Januar 1986 fertiggestellt worden ist,

3. anderen als in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Zwecken dient oder zu dienen bestimmt ist und vor dem 1. Januar 1998 fertiggestellt worden ist,

und wenn mit der Errichtung des Gebäudes in den Fällen ... der Nr. 3 vor dem 11. November 1993 begonnen worden ist."

11 Die §§ 164 und 168 der Abgabenordnung (AO) ermöglichen eine rasche Steuerfestsetzung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen, geben aber andererseits der Finanzbehörde das Recht, die Steuerfestsetzung allseitig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu korrigieren.

12 § 164 der Abgabenordnung (AO) bestimmt:

"(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne daß dies einer Begründung bedarf. ...

(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. ...

...

(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. ..."

13 Nach § 168 AO steht eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit führt gemäß § 18 Absatz 3 UStG die Umsatzsteuererklärung nach den geltenden gesetzlichen Vorschriften ihrerseits zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, wobei diese Festsetzung jederzeit geändert werden kann, ohne daß weitere Voraussetzungen erfuellt sein müssen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14 Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Zweck das Halten des Erbbaurechts an einem bestimmten Grundstück, die Errichtung eines Wohn- und Bürogebäudes darauf sowie die langfristige Verwertung des Grundbesitzes ist.

15 Die Klägerin erwarb am 8. März 1991 das Erbbaurecht an diesem Grundstück und stellte am 16. März 1991 einen Bauantrag. Da gegen das Bauvorhaben Schloßstraße planungsrechtliche Bedenken erhoben worden waren, wurde die Baugenehmigung erst am 27. Mai 1993 erteilt.

16 Wie aus einem Beschluß der Gesellschafter der Klägerin vom 11. Juni 1993 hervorgeht, waren sie übereingekommen, daß die Baugenehmigung unmittelbar nach ihrer Erteilung an einen Dritten veräußert werden sollte. Dieser Beschluß konnte jedoch mangels eines Übernehmers nicht realisiert werden. Am 10. Oktober 1993 schloß die Klägerin mit einem Architekten einen Vertrag über den Bau des Gebäudes. Die Bauarbeiten begannen im Januar 1994 und wurden im Dezember desselben Jahres abgeschlossen.

17 Die Gesamtfläche des Gebäudes wurde in drei Teile geteilt: 39,38 % wurden als Wohnraum, 13,96 % an ein Architektenbüro und 46,49 % an eine Aktiengesellschaft (im folgenden: Finanzgesellschaft) vermietet, deren Tätigkeit zu 90 % in der Erbringung mehrwertsteuerfreier Finanzdienstleistungen bestand.

18 In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Steuerjahre 1992 bis 1994 verzichtete die Klägerin gemäß § 9 UStG auf die Steuerfreiheit der geplanten bzw. ausgeführten Vermietungsumsätze und machte den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen über gelieferte Gegenstände oder erbrachte Dienstleistungen geltend. Dieses Vorsteuerabzugsrecht wurde ihr zunächst auch gewährt.

19 Die entsprechenden Steuerbescheide ergingen jedoch gemäß den §§ 164 und 168 AO unter dem Vorbehalt späterer Nachprüfung.

20 Der Beklagte nahm eine solche Nachprüfung vor. Im Anschluß an diese änderte er die Steuerbescheide für die Steuerjahre 1992 und 1993 und erließ einen ersten Steuerbescheid für das Steuerjahr 1994. In diesen Bescheiden ließ der Beklagte einen Vorsteuerabzug nur in Höhe von 13,96 % der angemeldeten Beträge zu, wobei er davon ausging, daß das Gebäude nur hinsichtlich des Architektenbüros steuerpflichtig genutzt werde. Seiner Ansicht nach war eine Gewährung des Vorsteuerabzugs hinsichtlich der von der Finanzgesellschaft für steuerfreie Umsätze genutzten 46,49 % der Gebäudefläche nicht mehr möglich, da hinsichtlich dieser Umsätze die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerfreiheit aufgrund der Änderung von § 9 Absatz 2 UStG durch das StMBG mit Wirkung vom 1. Januar 1994 abgeschafft worden sei. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Übergangsregelung des § 27 Absatz 2 UStG in der Fassung des StMBG berufen, da mit dem Bau des Gebäudes nicht vor dem 11. November 1993, dem in dieser Bestimmung für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung vorgesehen Stichtag, begonnen worden sei.

21 Die Klägerin legte gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1992, 1993 und 1994 Einspruch ein, der vom Beklagten zurückgewiesen wurde.

22 Gegen diese Zurückweisungsentscheidung des Beklagten erhob die Klägerin am 8. Dezember 1995 Klage beim Finanzgericht Münster. Mit Urteil vom 8. Oktober 1996 wies das Finanzgericht die Klage ab.

23 Am 27. November 1996 legte die Klägerin Revision beim Bundesfinanzhof ein. Mit der Revision macht sie zum einen geltend, die Einschränkung des Rechts, für die mit dem StMBG eingeführte Steuerbefreiung zu optieren, gelte für sie nicht, denn als Beginn der Errichtung des Gebäudes sei der Zeitpunkt des Bauantrags, zumindest aber der der Erteilung der Baugenehmigung anzusehen. Zum anderen sei dem Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94 (INZO, Slg. 1996, I-857) zu entnehmen, daß es mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar sei, ihr das Recht auf Abzug der in den Steuerjahren 1992 und 1993 insbesondere für Architekten- und Notarhonorare entrichteten Mehrwertsteuer nachträglich zu nehmen.

24 Der Bundesfinanzhof hält es für zweifelhaft, ob die Revision nach dem Umsatzsteuergesetz und dem Verfahrensrecht der Abgabenordnung Erfolg haben könne. Seiner Ansicht nach kann sich die Klägerin nicht auf die Übergangsregelung des § 27 Absatz 2 UStG berufen, da mit dem Bau des Gebäudes erst im Januar 1994 begonnen worden sei. Die bereits 1992 und 1993 bezogenen Leistungen gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes und seien somit Teil des Gebäudes als "Investitionsgut". Daher könne die Entscheidung über den Vorsteuerabzug für diese Leistungen nicht ohne Berücksichtigung des Zeitpunkts der Errichtung und damit der mit dem StMBG eingeführten Beschränkung getroffen werden, da sie vom tatsächlichen Verwendungszweck des Gebäudes, also von den 1994 ausgeführten Vermietungsumsätzen, und davon abhänge, ob diese Umsätze steuerpflichtig oder steuerfrei seien.

25 Angesichts des Umstands, daß nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Umsatzsteuergesetz erst dann abschließend über das Abzugsrecht entschieden werden könne, wenn die tatsächliche Verwendung der Investitionsgüter bekannt sei, habe der Beklagte nach Artikel 164 Absatz 2 AO zu Recht die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzungen geändert und den Vorsteuerabzug versagt, da die erbrachten Leistungen letztlich für mehrwertsteuerfreie Umsätze verwendet worden seien.

26 Die rückwirkende Anwendung des § 9 Absatz 2 UStG in der Fassung des StMBG auf die 1992 und 1993 bezogenen Leistungen verstoße auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Das Recht auf Vorsteuerabzug aus den bezeichneten Investitionen sei nämlich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 9 Absatz 2 UStG n. F. nicht endgültig gewesen, da noch nicht festgestanden habe, welcher Verwendung diese Güter letztlich zugeführt würden; hierauf komme es jedoch für die Entscheidung über das Recht auf Vorsteuerabzug entscheidend an.

27 Die Klägerin könne sich schließlich auch nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes und darauf berufen, daß sie auf die Möglichkeit vertraut habe, das Optionsrecht des § 9 Absatz 2 UStG für die von ihr geplante Vermietung des Gebäudes auszuüben, da mit dessen Errichtung erst nach Inkrafttreten der neuen Regelung begonnen worden sei. Überdies habe die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgerichts noch am 11. Juni 1993 die Veräußerung der Baugenehmigung an einen Dritten beabsichtigt und mit dem Auftrag an den Architekten noch keine bindenden Bauaufträge vergeben. Außerdem sei die Umsatzsteuer für die streitigen Jahre unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden, so daß die Klägerin nicht habe darauf vertrauen dürfen, daß diese Festsetzung unverändert bleibe.

28 Da der Bundesfinanzhof jedoch Zweifel hat, ob diese Auslegung der geltenden Bestimmungen des deutschen Rechts mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 17 der Sechsten Richtlinie vereinbar ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal NV, unter Bezugnahme auf das Urteil vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-110/94, INZO) bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug erhalten, wenn der Steuerpflichtige aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig waren, diese Gegenstände oder Dienstleistungen nicht verwendet hat, um steuerpflichtige Umsätze zu bewirken.

Bleibt nach diesem Grundsatz das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erhalten, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand oder die Dienstleistung zwar tatsächlich zur Ausführung von (Vermietungs-)Umsätzen verwendet, aber aufgrund einer Gesetzesänderung nach Bezug des Gegenstands/der Dienstleistung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung der damit ausgeführten Umsätze berechtigt ist, also tatsächlich keine steuerpflichtigen Umsätze ausführen kann?

2. Bleibt in einem solchen Fall eines nachträglich eintretenden Umstands das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestehen, wenn die Steuerfestsetzungen nach nationalem Recht zulässigerweise unter einem sog. Vorbehalt der Nachprüfung standen, der eine rasche Steuerfestsetzung allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen ermöglicht, aber andererseits der Finanzbehörde das Recht gibt, die Steuerfestsetzung allseitig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu korrigieren?

29 Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie das Recht eines Steuerpflichtigen, die Mehrwertsteuer, die er für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, als Vorsteuer abzuziehen, erhalten bleibt, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist, und zwar selbst dann, wenn die Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.

30 Die deutsche Regierung vertritt die Auffassung, Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestimme nur den Zeitpunkt, zu dem das Recht auf Vorsteuerabzug entstehe. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Abzugsrechts seien in Absatz 2 dieser Bestimmung festgelegt. Hierzu gehöre die Voraussetzung, daß die Gegenstände und Dienstleistungen, für die die Mehrwertsteuer entrichtet worden sei, zur Ausführung besteuerter Umsätze verwendet worden seien. Daher könne eine endgültige Entscheidung über das Vorsteuerabzugsrecht erst getroffen werden, wenn bekannt sei, für welche Umsätze diese Gegenstände und Dienstleistungen tatsächlich verwendet worden seien; diese Entscheidung müsse die Gesetzesänderungen berücksichtigen, die vor Aufnahme der besteuerten Umsatztätigkeiten eingetreten seien.

31 Daher stehe dem Steuerpflichtigen ein Recht auf Vorsteuerabzug der Mehrwertsteuer, die er für ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze gelieferte Gegenstände oder erbrachte Dienstleistungen entrichtet habe, dann nicht zu, wenn er aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor dem Beginn dieser Vermietungsumsätze eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung für diese Umsätze berechtigt sei.

32 Daß im Ausgangsverfahren die Gegenstände oder Dienstleistungen für die Ausführung letztlich steuerfreier Umsätze verwendet worden seien, unterscheide die vorliegende Rechtssache von denen, die zum Urteil INZO und zum Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95 (Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1) geführt hätten und in denen die Gegenstände oder Dienstleistungen für beabsichtigte besteuerte Umsätze hätten verwendet werden sollen, die aber letztlich nicht bewirkt worden seien.

33 Die Sechste Richtlinie hat mit Abschnitt X (Artikel 13 bis 16) eine Regelung zur Befreiung bestimmter Umsätze von der Mehrwertsteuer eingeführt. Zu den Befreiungstatbeständen zählen gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe b die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Hinsichtlich dieser Umsätze sind die Mitgliedstaaten jedoch nach Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a ermächtigt, die Besteuerung durch ein Optionsrecht, das sie ihren Steuerpflichtigen gewähren können, wiedereinzuführen. Nach Artikel 13 Teil C Absatz 2 können die Mitgliedstaaten den Umfang dieses Optionsrechts einschränken und die Modalitäten seiner Ausübung bestimmen.

34 Dazu hat der Gerichtshof entschieden, daß ein Mitgliedstaat, der von der in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und seinen Steuerpflichtigen das Recht eingeräumt hat, für eine Besteuerung bestimmter Grundstücksvermietungen zu optieren, dieses Optionsrecht durch ein späteres Gesetz aufheben und so die Befreiung wiedereinführen kann (Urteil vom 3. Dezember 1998 in der Rechtssache C-381/97, Belgocodex, Slg. 1998, I-8153, Randnr. 27).

35 Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu prüfen, ob ein Steuerpflichtiger, der die Mehrwertsteuer für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, insoweit ein Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erworben hat, wenn durch eine zwischen dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen und der Aufnahme der Umsatztätigkeiten der Vermietung eingetretene Gesetzesänderung das Recht auf Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze abgeschafft worden ist.

36 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß als Steuerpflichtiger zu gelten hat, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt. Da er als Steuerpflichtiger handelt, hat er nach den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie das Recht auf sofortigen Abzug der für Investitionsausgaben, die für die Zwecke seiner beabsichtigten, das Abzugsrecht eröffnenden Umsätze getätigt wurden, geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer und braucht die Aufnahme des tatsächlichen Betriebes seines Unternehmens nicht abzuwarten (Urteil Ghent Coal Terminal, Randnr. 17, und Urteil vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 1577, I-0000, Randnr. 47).

37 Folglich hängt die Anwendung des Systems der Mehrwertsteuer und damit des Berichtigungsmechanismus vom Bezug der Gegenstände oder Dienstleistungen durch einen als solchen handelnden Steuerpflichtigen ab. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt nur den Umfang des Vorsteuererstabzugs, zu dem der Steuerpflichtige nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume, die unter den Voraussetzungen des Artikels 20 dieser Richtlinie vorzunehmen sind (Urteil vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90, Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 15).

38 Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestätigt, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Nach Artikel 10 Absatz 2 dieser Richtlinie ist letzteres der Fall, sobald die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung an den vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen bewirkt wird.

39 Jede andere Auslegung des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie würde auch dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zuwiderlaufen, da dann der Wirtschaftsteilnehmer mit den Mehrwertsteuerkosten im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten belastet würde, ohne daß er sie gemäß Artikel 17 abziehen könnte, und willkürlich zwischen Investitionsausgaben vor der tatsächlichen Aufnahme des Betriebes eines Unternehmens und während des Betriebes unterschieden würde (Urteil vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 23; Urteile INZO, Randnr. 16, und Gabalfrisa u. a., Randnr. 45).

40 Artikel 4 hindert jedoch die Abgabenverwaltung nicht, objektive Nachweise für die erklärte Absicht zu verlangen, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Steuerpflichtigeneigenschaft nur dann endgültig erlangt wird, wenn die Erklärung, die beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, vom Betroffenen in gutem Glauben abgegeben wurde. In Fällen von Betrug oder Mißbrauch, in denen der Betroffene die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, Gegenstände, deren Erwerb zum Abzug berechtigen kann, seinem Privatvermögen zuzuführen, kann die Steuerbehörde rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge verlangen, da diese Abzüge aufgrund falscher Erklärungen gewährt wurden (Urteile Rompelman, Randnr. 24, INZO, Randnrn. 23 und 24, und Gabalfrisa u. a., Randnr. 46).

41 Somit hat das nationale Gericht zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangsverfahrens, insbesondere des Umstands, daß die Gesellschafter der Klägerin am 11. Juni 1993 immer noch beabsichtigten, die Baugenehmigung unmittelbar nach ihrer Erteilung an einen Dritten zu veräußern, die Erklärung, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, in gutem Glauben abgegeben worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird.

42 Liegt kein Fall von Betrug oder Mißbrauch vor, bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie erhalten, auch wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwenden konnte. In einem solchen Fall besteht nämlich keine Betrugs- oder Mißbrauchsgefahr, die eine spätere Nacherhebung rechtfertigen könnte (Urteil Ghent Coal Terminal, Randnrn. 20 und 22).

43 Eine Gesetzesänderung, die, wie im Ausgangsverfahren, zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Gegenstände oder Dienstleistungen im Hinblick auf die Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten geliefert bzw. erbracht wurden, und dem Zeitpunkt der Aufnahme dieser Tätigkeiten eingetreten ist und dem Steuerpflichtigen das Recht nimmt, auf die Mehrwertsteuerbefreiung für die damit bewirkten Umsätze zu verzichten, stellt aber einen Umstand dar, der von seinem Willen unabhängig ist.

44 In Randnummer 26 des Urteils Belgocodex hat der Gerichtshof zu einer rückwirkenden Aufhebung des Optionsrechts für die Besteuerung und von Rechten auf Vorsteuerabzug, die durch die Sechste Richtlinie begründet worden waren, ausgeführt, daß die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind und von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien einräumen, beachtet werden müssen.

45 Unter den besonderen Umständen, die in der Rechtssache Belgocodex vorlagen, hat der Gerichtshof in Randnummer 26 dieses Urteils festgestellt, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob in der rückwirkenden Aufhebung des Gesetzes, mit dem das Optionsrecht eingeführt wurde, ein Verstoß gegen diese Grundsätze liegt. Da die Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz nie erlassen worden waren, hat der Gerichtshof sich außerstande gesehen, zu entscheiden, ob die Bestimmungen dieses Gesetzes beim Steuerpflichtigen einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründen konnten.

46 Solche besonderen Umstände liegen, wie der Generalanwalt in den Nummern 40 bis 43 seiner Schlußanträge festgestellt hat, im Ausgangsverfahren nicht vor. Aus den Akten ergibt sich, daß sich die Klägerin für die Besteuerung der Gegenstände oder Dienstleistungen entschied, die sie in den Steuerjahren 1992 und 1993 nach den zum Zeitpunkt der Ausübung ihres Optionsrechts geltenden nationalen Rechtsvorschriften bezog, und daß die Steuerverwaltung ihr die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug der für diese Gegenstände oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer nur deshalb verwehrte, weil das Recht auf Option für die Besteuerung durch das StMBG aufgehoben worden sei.

47 Stellt also das nationale Gericht fest, daß die Absicht, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, in gutem Glauben erklärt worden und durch objektive Anhaltspunkte belegt ist, so steht dem Steuerpflichtigen das Recht auf sofortigen Abzug der für Gegenstände oder Dienstleistungen, die ihm im Hinblick auf die von ihm beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten geliefert bzw. erbracht wurden, geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu; die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit lassen es nicht zu, daß ihm dieses Recht durch eine nach der Lieferung dieser Gegenstände oder der Erbringung dieser Dienstleistungen eingetretene Gesetzesänderung rückwirkend genommen wird.

48 Entgegen der Auffassung der deutschen Regierung steht diesem Ergebnis nicht entgegen, daß die Steuerverwaltung im Ausgangsverfahren aufgrund des Vorbehalts der Nachprüfung befugt war, die Mehrwertsteuerfestsetzung allseitig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu korrigieren.

49 Hierzu ist mit dem Generalanwalt (Nrn. 46 bis 50 der Schlußanträge) festzustellen, daß die Möglichkeit für die Steuerverwaltung, Nachprüfungen vorzunehmen und die von ihr an die Steuerpflichtigen gerichteten vorläufigen Steuerbescheide zu ändern, bei der Verwaltung der Steuern im allgemeinen und der Mehrwertsteuer im besonderen von unbestreitbarem Nutzen ist.

50 Hierdurch wird es nämlich der Steuerverwaltung ermöglicht, rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge dann zu verlangen, wenn der Steuerpflichtige in betrügerischer oder mißbräuchlicher Weise die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, Gegenstände, deren Erwerb zum Abzug berechtigen kann, seinem Privatvermögen zuzuführen.

51 Eine Festsetzung der Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ermöglicht außerdem unter den Voraussetzungen des Artikels 20 der Sechsten Richtlinie eine Berichtigung der Mehrwertsteuerbeträge, die der Steuerpflichtige beim Erwerb von Investitionsgütern abgezogen hat, und zwar insbesondere dann, wenn er die vorgesehene Nutzung des Grundstücks beispielsweise durch Erhöhung des zu Wohnzwecken bestimmten Anteils ändert.

52 Außer in den in den beiden vorangehenden Randnummern erwähnten Fällen erlaubt jedoch die Festsetzung der Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung der Steuerverwaltung nicht, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug zu nehmen, das er, wie sich aus den Randnummern 45 und 46 dieses Urteils ergibt, gemäß Artikel 17 der Sechsten Richtlinie erworben hat.

53 Somit ist auf die Vorlagefragen zu antworten, daß nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie das Recht eines Steuerpflichtigen, die Mehrwertsteuer, die er für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, als Vorsteuer abzuziehen, erhalten bleibt, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.

Kostenentscheidung


Kosten

54 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 27. August 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage bleibt das Recht eines Steuerpflichtigen, die Mehrwertsteuer, die er für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, als Vorsteuer abzuziehen, erhalten, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.