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Rechtssache C-224/02


Heikki Antero Pusa
gegen
Osuuspankkien Keskinäinen Vakuutusyhtiö



(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein oikeus)

«Unionsbürgerschaft – Artikel 18 EG – Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit in den Mitgliedstaaten – Pfändung von Bezügen – Modalitäten»

Schlussanträge des Generalanwalts F. G. Jacobs vom 20. November 2003
    
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 29. April 2004
    

Leitsätze des Urteils

Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Nationale Rechtsvorschriften, die den pfändbaren Teil einer Rente unter Abzug der auf diese erhobenen und an der Quelle einbehaltenen nationalen Steuer bestimmen ­­ – Nichtberücksichtigung der für die Rente im Ansässigkeitsstaat des Beziehers geschuldeten Steuer – Unzulässigkeit – Nationale Rechtsvorschriften, die eine solche Berücksichtigung von dem vom Schuldner zu erbringenden Beweis der tatsächlichen getragenen Steuerlast in dem anderen Mitgliedstaat abhängig machen – Zulässigkeit – Voraussetzungen
(Artikel 18 EG) Das Gemeinschaftsrecht steht grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen der pfändbare Teil einer regelmäßig in diesem Staat an einen Schuldner zu zahlenden Rente in der Weise bestimmt wird, dass die in diesem Staat zu entrichtende und an der Quelle einbehaltene Einkommensteuer von der Rente abgezogen wird, während die Steuer, die der Bezieher einer solchen Rente später für diese Rente im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes entrichten muss, in keiner Weise bei der Bestimmung der pfändbaren Beträge dieser Rente berücksichtigt wird.

Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die eine solche Berücksichtigung vorsehen, auch wenn sie diese von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Schuldner nachweist, dass er einen bestimmten Betrag als Einkommensteuer im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes tatsächlich entrichtet hat oder innerhalb einer bestimmten Frist entrichten muss. Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich erstens das Recht des betreffenden Schuldners auf eine solche Berücksichtigung klar aus diesen Rechtsvorschriften ergibt, zweitens die Modalitäten dieser Berücksichtigung geeignet sind, dem Betroffenen das Recht zu garantieren, auf jährlicher Basis eine Anpassung der pfändbaren Beträge seiner Rente im selben Umfang zu erhalten, in dem eine solche Steuer auch in dem Mitgliedstaat, der diese Rechtsvorschriften erlassen hat, an der Quelle abgezogen worden wäre, und drittens diese Modalitäten nicht dazu führen, dass die Ausübung dieses Rechts unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.

(vgl. Randnrn 35, 48, Tenor 1-2)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
29. April 2004(1)

„Unionsbürgerschaft – Artikel 18 EG – Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit in den Mitgliedstaaten – Pfändung von Bezügen – Modalitäten“

In der Rechtssache C-224/02

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Korkein oikeus (Finnland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Heikki Antero Pusa

gegen

Osuuspankkien Keskinäinen Vakuutusyhtiö

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 18 EGerlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer),



unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, A. La Pergola (Berichterstatter) und S. von Bahr,

Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

– der finnischen Regierung, vertreten durch E. Bygglin als Bevollmächtigte,

– der italienischen Regierung, vertreten durch I. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo, avvocato dello Stato,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O'Reilly und P. Aalto als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch C. O'Reilly und P. Aalto, in der Sitzung vom 25. September 2003,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. November 2003,

folgendes



Urteil



1 Das Korkein oikeus hat mit Entscheidung vom 14. Juni 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 18 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Pusa und der Osuuspankkien Keskinäinen Vakuutusyhtiö (Genossenschaftsbank) über den Betrag, den die Bank von der Rente, die Herr Pusa in Finnland bezieht, pfänden darf.


Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 18 Absatz 1 EG bestimmt:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

4 Artikel 12 Absatz 1 EG lautet:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

Nationales Recht

5 Das Ulosottolaki (finnisches Zwangsvollstreckungsgesetz) sieht vor, dass zur Erfüllung der Verbindlichkeiten des Schuldners dessen Vermögen einschließlich seiner regelmäßig bezogenen Lohn- und Rentenzahlungen der Zwangsvollstreckung unterliegt.

6 Das Zwangsvollstreckungsgesetz bestimmt jedoch auch, dass ein Teil der Bezüge unpfändbar ist. Da dieser unpfändbare Teil u. a. vom Gesamteinkommen des Betroffenen abhängt, ist sein Betrag unterschiedlich hoch.

7 Das Zwangsvollstreckungsgesetz sieht in Kapitel 4 § 6 Absatz 3 vor:

„Wird Arbeitslohn gepfändet, der in bestimmten Zeitabständen ausgezahlt wird, ist jedoch stets mindestens der Betrag unpfändbar, der gemäß den Bestimmungen der Verordnung als notwendig angesehen wird, damit der Schuldner bis zum Tag der nächsten Lohnzahlung seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner leiblichen und seiner Stief- und Adoptivkinder, soweit er dafür aufkommt, bestreiten kann [im Folgenden: Pfändungsfreibetrag].“

8 Nach Kapitel 4 § 6b Absatz 2 wird der unpfändbare Teil „auf der Grundlage des Betrages ermittelt, der sich ergibt, nachdem der im Gesetz geregelte Vorwegabzug der im Voraus zu zahlenden Steuerbeträge durchgeführt worden ist.“

9 § 6a Absatz 1bestimmt:

„Ist die Zahlungsfähigkeit des Schuldners infolge Krankheit, Arbeitslosigkeit oder aus einem anderen besonderen Grund wesentlich vermindert, darf der unpfändbare Teil des Arbeitslohns bis auf weiteres oder in Bezug auf den für bestimmte Zeiträume gezahlten Lohn höher als der nach § 6 unpfändbare Teil festgesetzt werden. Der Grund für eine solche Entscheidung ist im Pfändungsprotokoll oder in einem Protokoll anzugeben, das in einem besonderen Verfahren zum Erlass einer solchen Entscheidung errichtet worden ist. …“

10 Kapitel 4 § 7 sieht vor, dass die Bestimmungen über den Arbeitslohn auch für die Renten gelten.

11 Das Königreich Spanien und die Republik Finnland haben am 15. November 1967 ein Doppelbesteuerungsabkommen über Einkommen- und Vermögenssteuer abgeschlossen (im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen). Dessen Artikel 18 sieht vor:

„… Renten und andere gleichartige Vergütungen, die aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis herrühren, [werden] nur in dem Vertragsstaat besteuert, in dem der Empfänger der Leistung wohnt.“


Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12 Herr Pusa ist finnischer Staatsangehöriger. Nach Eintritt in den Ruhestand verließ er sein Herkunftsland, um sich in Spanien niederzulassen. Er erhält in Finnland eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die ihm auf ein in diesem Mitgliedstaat eingerichtetes Bankkonto ausgezahlt wird.

13 Mit Entscheidung vom 27. Oktober 2000 gestattete der Zwangsvollstreckungsbeamte des Riihimäen kihlakunnanoikeus (Amtsgericht Riihimäki) (Finnland) eine Pfändung der Rente des Herrn Pusa zum Zweck der Beitreibung einer von Herrn Pusa bei der Osuuspankkien Keskinäinen Vakuutusyhtiö eingegangenen Verbindlichkeit.

14 Da Herr Pusa nach den Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens mit seinen Bezügen in Spanien der Besteuerung unterliegt und somit zu seinen Lasten in Finnland kein Steuerabzug an der Quelle erfolgt, wurde der pfändbare Teil seiner Rente auf der Grundlage von deren Bruttobetrag ermittelt. Nach dem finnischen Zwangsvollstreckungsgesetz wurde die Rentenzahlstelle daher aufgefordert, für den Gläubiger ein Drittel der Nettorente des Herrn Pusa oder, wenn dieser Nettobetrag höchstens 5238 FIM monatlich betrug, drei Viertel der Differenz zwischen dem Nettobetrag und dem Pfändungsfreibetrag von 97 FIM pro Tag einzubehalten.

15 Herr Pusa legte gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel ein. Da das Korkein oikeus festgestellt hat, dass Herr Pusa, wenn die von ihm später in Spanien zu entrichtende Steuer in Höhe von 19 % bei der Bestimmung des pfändbaren Teils seiner Rente nicht berücksichtigt wird, monatlich nur über einen geringeren Betrag verfügt als denjenigen, den er erhalten hätte, wenn er weiterhin in Finnland wohnen würde, und sich das Gericht fragt, ob eine solche Situation mit der Freizügigkeit und der Aufenthaltsfreiheit, die der EG-Vertrag den Bürgern der Europäischen Union garantiere, zu vereinbaren sei, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht Artikel 18 EG oder eine andere gemeinschaftsrechtliche Vorschrift Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen bei einer Pfändung, die zur Vollstreckung eines Urteils über eine Geldschuld vorgenommen wird, der pfändbare Teil einer an den Schuldner regelmäßig zu zahlenden Rente in der Weise bestimmt wird, dass die in dem betreffenden Mitgliedstaat zu entrichtende und an der Quelle einbehaltene Einkommensteuer von der Rente abgezogen wird, während die Einkommensteuer, die der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Schuldner in seinem Wohnsitzstaat entrichten muss, nicht als Abzugsposten berücksichtigt wird, so dass im letztgenannten Fall der pfändbare Teil höher ist, da er auf der Grundlage der Brutto- und nicht der Nettorente berechnet wird?


Zur Vorlagefrage

16 Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Geltungsbereich des Vertrages unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (vgl. u. a. Urteile vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-184/99, Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193, Randnr. 31, vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-224/98, D'Hoop, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 28, und vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C-148/02, Garcia Avello, Slg. 2003, I-0000, Randnrn. 22 und 23).

17 Zu den Situationen, die in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, gehören diejenigen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, und insbesondere auch die, in denen es um das durch Artikel 18 EG verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. u. a. Urteile Grzelczyk, Randnr. 33, D'Hoop, Randnr. 29, und Garcia Avello, Randnr. 24).

18 Da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats hat, die sich in der gleichen Situation befinden, wäre es mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar, wenn der Mitgliedstaat, dem er angehört, ihn weniger günstig behandeln könnte, als wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt (Urteil D’Hoop, Randnr. 30).

19 Diese Erleichterungen könnten nämlich ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat (vgl. analog Urteil D'Hoop, Randnr. 31).

20 Eine nationale Regelung, die bestimmte Inländer allein deshalb benachteiligt, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, würde zu einer Ungleichbehandlung führen, die den Grundsätzen widerspräche, auf denen der Status eines Unionsbürgers beruht, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen Behandlung bei der Ausübung seiner Freizügigkeit (Urteil D'Hoop, Randnrn. 34 und 35). Eine solche Regelung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhte, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht verfolgten berechtigten Zweck stünden (Urteil D'Hoop, Randnr. 36).

21 Daher ist festzustellen, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens das finnische Zwangsvollstreckungsgesetz zwischen finnischen Staatsangehörigen, die weiterhin in Finnland wohnen, und denen, die ihren Wohnsitz in Spanien begründet haben, eine unterschiedliche Behandlung einführt, die die Letztgenannten allein deswegen beanchteiligt, weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, und ob, wenn dies der Fall ist, eine solche Ungleichbehandlung gegebenenfalls im Hinblick auf die in Randnummer 20 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien gerechtfertigt werden kann.

22 Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst klarzustellen, dass, auch wenn die Zwangsvollstreckung zur Schuldenbeitreibung, wie die finnische Regierung betont, im Allgemeinen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, diese Zuständigkeit doch unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere derjenigen Bestimmungen des Vertrages auszuüben ist, die sich auf das nach Artikel 18 EG verliehene Recht beziehen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. analog Urteile vom 23. November 2000 in der Rechtssache C-135/99, Elsen, Slg. 2000, I-10409, Randnr. 33, und Garcia Avello, Randnr. 25).

23 Im vorliegenden Fall steht fest, dass das Zwangsvollstreckungsgesetz, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, bei der Bestimmung des pfändbaren Teils einer regelmäßig in Finnland gezahlten Rente ausdrücklich den Abzug der in Finnland an der Quelle einbehaltenen Einkommensteuer vorsieht, nicht aber den Abzug der Steuer, die der Bezieher einer solchen Rente später für die Rente im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes entrichten muss.

24 Insoweit ist – erstens – zu bemerken, dass der Umstand, dass das Zwangsvollstreckungsgesetz nicht vorsieht, dass eine später auf die regelmäßig gezahlte Rente zu erhebende Steuer bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages der Rente von dieser abzuziehen ist, für sich allein keine gemeinschaftsrechtswidrige Ungleichbehandlung darstellen kann.

25 Wie sich nämlich aus der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen der finnischen Regierung ergibt, zielt das Zwangsvollstreckungsgesetz mit der Bestimmung, dass regelmäßig bezogene Renten nur in Höhe eines bestimmten Betrages pfändbar sind, darauf ab, den Gläubigern die Ausübung ihres Rechts auf Beitreibung der ihnen geschuldeten Beträge zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Pfändung nicht dem Schuldner ein Mindesteinkommen und gegebenenfalls das Existenzminimun nimmt, das der Pfändungsfreibetrag verkörpern soll.

26 Derartige Zwecke, die darauf abzielen, es dem Schuldner zu ermöglichen, einen begrenzten Teil seines Monatseinkommens dem Zugriffsrecht seiner Gläubiger zu entziehen, um ihm ein Mindesteinkommen zu sichern, erscheinen, wie die finnische Regierung vorträgt, als Rechtfertigung dafür geeignet, dass der pfändbare Teil einer Rente nur im Hinblick auf den Betrag, der dem Betreffenden ohne Pfändung tatsächlich ausgezahlt würde, d. h. insbesondere unter Ausschluss der an der Quelle einbehaltenen Steuer, ermittelt wird.

27 Aus dem gleichen Grund kann dem finnischen Gesetzgeber grundsätzlich nicht vorgeworfen werden, dass er nicht im Zwangsvollstreckungsgesetz bereits im Vorgriff die Berücksichtigung einer Steuerschuld vorgesehen hat, die, weil sie noch nicht fällig ist, gegenwärtig nicht den Bezug des Mindesteinkommens bedroht, das dieses Gesetz dem betroffenen Schuldner garantieren will.

28 Wie die finnische Regierung zu Recht geltend macht, ergäbe sich andernfalls ein ungebührlicher Eingriff in die Gläubigerrechte, deren Schutz das Zwangsvollstreckungsgesetz berechtigterweise ebenfalls bezweckt.

29 Demgegenüber ist – zweitens – zu bemerken, dass das Zwangsvollstreckungsgesetz nicht ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht von jeder Berücksichtigung der im Mitgliedstaat des Wohnsitzes geschuldeten Steuer absehen kann, wenn eine solche Steuer wirklich fällig geworden ist und sich damit entsprechend auf das tatsächliche Niveau der Mittel, über die der Schuldner verfügt, und insbesondere auch auf seine Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, auswirkt.

30 Es ist nämlich daran zu erinnern, dass, wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, Herr Pusa, der in Spanien wohnt und nach dem Doppelbesteuerungsabkommen dort mit seiner Rente steuerpflichtig ist, ohne Berücksichtigung der genannten Steuer im betreffenden Steuerjahr nach der Pfändung und der Besteuerung seiner Rente über einen geringeren Betrag verfügt, als er ihm zur Verfügung stünde, wenn er weiterhin in Finnland gewohnt hätte.

31 Aus diesem Umstand ergibt sich, dass, wenn das Zwangsvollstreckungsgesetz dahin auszulegen ist, dass es in keiner Weise eine Berücksichtigung der von Herrn Pusa entrichteten Steuer erlaubt, die darin liegende Ungleichbehandlung unzweifelhaft und unausweichlich zur Folge hätte, dass Herr Pusa einen Nachteil erleiden würde, weil er sein durch Artikel 18 EG garantiertes Recht ausgeübt hat, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

32 Mit der Verlegung seines Wohnsitzes nach Spanien würde der Betroffene nämlich automatisch gemäß dem Zwangsvollstreckungsgesetz, das bei Pfändung seiner Rente in Finnland weiterhin auf ihn anwendbar ist, und in Anbetracht des Doppelbesteuerungsabkommens den Vorteil verlieren, den für ihn bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages der Rente die Berücksichtigung der Steuer darstellt, die er für diese Rente entrichtet, und zwar deshalb, weil das Kriterium, das nach diesem Gesetz eine solche Berücksichtigung erlaubt, im Steuerabzug an der Quelle besteht, was im Fall des Betroffenen gerade erfordern würde, dass er seinen Wohnsitz nicht nach Spanien verlegt (vgl. analog Urteil Elsen, Randnr. 34).

33 Die Ungleichbehandlung, die sich aus einer solchen Nichtberücksichtigung ergibt, ließe sich auch nicht rechtferigen.

34 Denn die völlige Nichtberücksichtigung der im Mitgliedstaat des Wohnsitzes geschuldeten Steuer, wenn diese fällig geworden ist und sich entsprechend auf das tatsächliche Niveau der Mittel, die dem Schuldner zur Verfügung stehen, und insbesondere auf seine Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, auswirkt, lässt sich nicht im Hinblick auf die berechtigten Zwecke rechtfertigen, die das Zwangsvollstreckungsgesetz, wie in Randnummer 25 des vorliegenden Urteils dargelegt, verfolgt, da ein solcher Ausschluss schon zu dem Zweck in Widerspruch stünde, dem Schuldner ein Mindesteinkommen oder auch nur das Existenzminimum, das dem Pfändungsfreibetrag entspricht, zu garantieren.

35 Nach alledem steht das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen der pfändbare Teil einer regelmäßig in diesem Staat an einen Schuldner zu zahlenden Rente in der Weise bestimmt wird, dass die in dem betreffenden Staat zu entrichtende und an der Quelle einbehaltene Einkommensteuer von der Rente abgezogen wird, während die Steuer, die der Bezieher einer solchen Rente später für diese im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes entrichten muss, nicht bei der Bestimmung der pfändbaren Beträge dieser Rente berücksichtigt wird; denn die Folge einer solchen Ungleichbehandlung besteht darin, dass nach Besteuerung der Rente das Jahreseinkommen, das dem Schuldner tatsächlich zur freien Verfügung bleibt, im zweiten Fall geringer ist.

36 Jedoch ist – drittens – darauf hinzuweisen, dass die finnische Regierung in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof geltend gemacht hat, dass das Zwangsvollstreckungsgesetz und insbesondere Kapitel 4 § 6a Absatz 1 in der Praxis so ausgelegt würden, dass seine Bestimmungen es erlaubten, im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners eine in einem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer zu berücksichtigen, soweit der Schuldner eine auf Beweise gestützte Erklärung vorlege, die den tatsächlichen Betrag dieser Steuerschuld und andere Umstände aufzeige, die sich auf seine Zahlungsfähigkeit auswirkten. Das Gesetz erlaube es einem solchen mit Pfändung überzogenen Schuldner außerdem, nach Jahresfrist für bestimmte Zeiten in den Genuss einer vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Pfändung zu gelangen, um der tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Steuer Rechnung zu tragen. Herr Pusa habe indessen von den damit durch das Zwangsvollstreckungsgesetz eröffneten Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht.

37 Insoweit ist festzustellen, dass es nicht Sache des Gerichtshofes ist, über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden, und dass er im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Gemeinschaft und denen der Mitgliedstaaten grundsätzlich den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in dem sich die Vorabentscheidungsfrage stellt, zu berücksichtigen hat, wie er in der Vorlageentscheidung definiert ist (Urteil vom 25. Oktober 2001 in der Rechtssache C-475/99, Ambulanz Glöckner, Slg. I-8089, Randnr. 10).

38 Daraus folgt, dass allein das vorlegende Gericht zu prüfen hat, ob die von der finnischen Regierung vor dem Gerichtshof vertretene Auslegung des Zwangsvollstreckungsgesetzes zutrifft.

39 Da sich hier aber die Vorlageentscheidung selbst auf das Zwangsvollstreckungsgesetz und insbesondere auf Kapitel 4 § 6a Absatz 1 bezieht und sich dieser Entscheidung nichts entnehmen lässt, was geeignet wäre, die von der finnischen Regierung vertretene Auslegung zu widerlegen, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob Artikel 18 EG nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die in dieser Weise ausgelegt werden.

40 Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass, wie aus den Randnummern 24 bis 28 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die mit dem Zwangsvollstreckungsgesetz verfolgten berechtigten Zwecke es rechtfertigen können, dass diese Rechtsvorschriften für die Bestimmung des pfändbaren Teils einer Rente eine Berücksichtigung der Steuer, die für diese Rente im Mitgliedstaat des Schuldnerwohnsitzes geschuldet wird, nur für den Fall vorsehen, dass der genaue Steuerbetrag bekannt ist und dargetan wird, dass er tatsächlich entrichtet wurde oder innerhalb einer bestimmten Frist zu entrichten ist.

41 Sobald indessen diese Voraussetzungen erfüllt sind, verlangt das Gemeinschaftsrecht, wie der Generalanwalt in Nummer 30 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, dass die Modalitäten der Berücksichtigung dieser Steuer in den nationalen Rechtsvorschriften so beschaffen sind, dass sie es dem in Spanien wohnenden Schuldner erlauben, auf jährlicher Basis eine Anpassung seiner pfändbaren Rentenbeträge im selben Umfang zu erreichen, in dem eine solche Steuer auch in Finnland an der Quelle abgezogen worden wäre.

42 Sodann ist zu beachten, dass eine Voraussetzung, nach der der Schuldner dafür beweispflichtig ist, dass er in seinem Wohnsitzstaat einen bestimmten Steuerbetrag für seine Rente entrichtet hat oder innerhalb einer bestimmten Frist entrichten muss, nicht unverhältnismäßig erscheint gegenüber dem berechtigten Zweck, sicherzustellen, dass die Steuer für die Bestimmung der teilweisen oder vollständigen Unpfändbarkeit dieser Rente erst dann berücksichtigt wird, wenn sie tatsächlich fällig wird oder entrichtet worden ist.

43 Es ist nämlich festzustellen, dass, wie die finnische Regierung zu Recht vorträgt und der Generalanwalt in den Nummern 30 und 31 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, der Schuldner grundsätzlich am besten in der Lage ist, einen solchen Beweis ebenso schnell wie zuverlässig zu erbringen.

44 Doch ist klarzustellen, dass dies nur insoweit gilt, als die nationalen Vorschriften über die Beweisführung die Ausübung des Rechts, eine angemessene Berücksichtigung der fraglichen Steuer zu erhalten, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. analog Urteil vom 10. April 2003 in der Rechtssache C-276/01, Steffensen, Slg. 2003, I-3735, Randnr. 80).

45 Schließlich ist hinzuzufügen, dass, da das Zwangsvollstreckungsgesetz ausdrücklich vorsieht, dass der pfändbare Teil der Rente auf der Grundlage der Nettorente bestimmt wird, d. h. nach Abzug an der Quelle derjenigen Steuer, die der Rentenbezieher in Finnland schuldet, die dem mit Pfändung überzogenen Schuldner eröffnete Möglichkeit, in Form einer Anpassung des pfändbaren Teils der Rente eine Berücksichtigung der von ihm in Spanien geschuldeten Steuer zu erhalten, nicht, wie die Kommission zutreffend bemerkt hat, vom Ermessen der Stelle abhängen darf, die für die Zulassung der Pfändungsmaßnahmen zuständig ist. Wie der Generalanwalt in Nummer 32 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, muss sich ein solches Recht vielmehr klar aus den betreffenden nationalen Rechtsvorschriften ergeben.

46 In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass die finnische Regierung in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass das Zwangsvollstreckungsgesetz gegenwärtig überprüft werde und seine revidierte Fassung gerade eine ausdrückliche Bestimmung enthalten solle, die die Berücksichtigung der Steuern vorsehe, die der Steuerpflichtige nach der Pfändung eines Teils seines Einkommens entrichtet habe.

47 Das nationale Gericht hat zu prüfen, ob das Zwangsvollstreckungsgesetz Bestimmungen enthält, die den in den Randnummern 40 bis 45 des vorliegenden Urteils genannten verschiedenen Voraussetzungen genügen.

48 Nach alledem ist die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Das Gemeinschaftsrecht steht grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen der pfändbare Teil einer regelmäßig in diesem Staat an einen Schuldner zu zahlenden Rente in der Weise bestimmt wird, dass die in diesem Staat zu entrichtende und an der Quelle einbehaltene Einkommensteuer von der Rente abgezogen wird, während die Steuer, die der Bezieher einer solchen Rente später für diese Rente im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes entrichten muss, in keiner Weise bei der Bestimmung der pfändbaren Beträge dieser Rente berücksichtigt wird.

Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die eine solche Berücksichtigung vorsehen, auch wenn sie diese von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Schuldner nachweist, dass er einen bestimmten Betrag als Einkommensteuer im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes tatsächlich entrichtet hat oder innerhalb einer bestimmten Frist entrichten muss. Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich erstens das Recht des betreffenden Schuldners auf eine solche Berücksichtigung klar aus diesen Rechtsvorschriften ergibt, zweitens die Modalitäten dieser Berücksichtigung geeignet sind, dem Betroffenen das Recht zu garantieren, auf jährlicher Basis eine Anpassung der pfändbaren Beträge seiner Rente im selben Umfang zu erhalten, in dem eine solche Steuer auch in dem Mitgliedstaat, der diese Rechtsvorschriften erlassen hat, an der Quelle abgezogen worden wäre, und drittens diese Modalitäten nicht dazu führen, dass die Ausübung dieses Rechts unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.


Kosten

49 Die Auslagen der finnischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Korkein oikeus mit Entscheidung vom 14. Juni 2002 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1.Das Gemeinschaftsrecht steht grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen der pfändbare Teil einer regelmäßig in diesem Staat an einen Schuldner zu zahlenden Rente in der Weise bestimmt wird, dass die in diesem Staat zu entrichtende und an der Quelle einbehaltene Einkommensteuer von der Rente abgezogen wird, während die Steuer, die der Bezieher einer solchen Rente später für diese Rente im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes entrichten muss, in keiner Weise bei der Bestimmung der pfändbaren Beträge dieser Rente berücksichtigt wird.

2.Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die eine solche Berücksichtigung vorsehen, auch wenn sie diese von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Schuldner nachweist, dass er einen bestimmten Betrag als Einkommensteuer im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes tatsächlich entrichtet hat oder innerhalb einer bestimmten Frist entrichten muss. Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich erstens das Recht des betreffenden Schuldners auf eine solche Berücksichtigung klar aus diesen Rechtsvorschriften ergibt, zweitens die Modalitäten dieser Berücksichtigung geeignet sind, dem Betroffenen das Recht zu garantieren, auf jährlicher Basis eine Anpassung der pfändbaren Beträge seiner Rente im selben Umfang zu erhalten, in dem eine solche Steuer auch in dem Mitgliedstaat, der diese Rechtsvorschriften erlassen hat, an der Quelle abgezogen worden wäre, und drittens diese Modalitäten nicht dazu führen, dass die Ausübung dieses Rechts unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.

Jann

Timmermans

Rosas

La Pergola

von Bahr

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. April 2004.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

V. Skouris


1 – Verfahrenssprache: Finnisch.