Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

References to this case

Share

Highlight in text

Go

Rechtssache C-533/03

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Rat der Europäischen Union

„Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 – Richtlinie 2003/93/EG – Wahl der Rechtsgrundlage“

Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 2. Juni 2005 

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 26. Januar 2006 

Leitsätze des Urteils

Rechtsangleichung – Artikel 95 EG – Geltungsbereich

(Artikel 93 EG, 94 EG und 95 EG; Verordnung Nr. 1798/2003 des Rates; Richtlinie 2003/93 des Rates)

Der Ausdruck „Bestimmungen über die Steuern“ in Artikel 95 Absatz 2 EG deckt nicht nur alle Gebiete des Steuerrechts ohne Unterscheidung der Art der betroffenen Steuern oder Abgaben ab, sondern auch alle Aspekte dieses Rechtsgebiets, ob es sich nun um materielle Regelungen oder Verfahrensregelungen handelt.

In diesem Zusammenhang haben sowohl die auf der Grundlage des Artikels 93 EG erlassene Verordnung Nr. 1798/2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 218/92 als auch die auf der Grundlage der Artikel 93 EG und 94 EG erlassene Richtlinie 2003/93 zur Änderung der Richtlinie 77/799 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern die Angleichung von Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern zum Ziel und zum Inhalt.

Artikel 95 Absatz 1 EG ist daher nicht die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Nr. 1798/2003 und der Richtlinie 2003/93.

(vgl. Randnrn. 47, 59-60, 62-64)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

26. Januar 2006(*)

„Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 – Richtlinie 2003/93/EG – Wahl der Rechtsgrundlage“

In der Rechtssache C-533/03

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG, eingereicht am 19. Dezember 2003,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A.-M. Colaert und E. Karlsson als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. Collins, SC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von D. Wyatt, QC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris und G. Arestis,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 2. Juni 2005

folgendes

Urteil

1       Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum einen die Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (ABl. L 264, S. 1) sowie der Richtlinie 2003/93/EG des Rates vom 7. Oktober 2003 zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 264, S. 23) (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte) und zum anderen die Aufrechterhaltung der Wirkungen dieser beiden Rechtsakte bis zum Inkrafttreten von Rechtsakten, die sie ersetzen und auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen wurden.

2       Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. Juni 2004 sind Irland, die Portugiesische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates der Europäischen Union zugelassen worden, der die Abweisung der Klage beantragt.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und rechtlicher Rahmen

3       Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, bestimmter Verbrauchsteuern und der Steuern auf Versicherungsprämien (ABl. L 336, S. 15) sieht vor, dass sich die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gegenseitig alle Auskünfte erteilen, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen geeignet sein können. Nach den Artikeln 2 bis 4 dieser Richtlinie werden die Auskünfte je nach Fall auf Ersuchen, automatisch oder spontan erteilt. Nach ihrem Artikel 8 verpflichtet die Richtlinie nicht zu Ermittlungen oder zur Übermittlung von Auskünften, wenn deren Durchführung oder deren Beschaffung oder Verwertung durch die zuständige Behörde des auskunftgebenden Staates für eigene steuerliche Zwecke dessen gesetzliche Vorschriften oder dessen Verwaltungspraxis entgegenstünden.

4       Mit der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MWSt.) (ABl. L 24, S. 1) wurde ein System des Informationsaustauschs zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten in Bezug auf innergemeinschaftliche Geschäfte errichtet, um die mit der Abschaffung der Steuerkontrollen an den Binnengrenzen verbundene Betrugsgefahr zu verringern.

5       Am 18. Juni 2001 unterbreitete die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. C 270 E, S. 87) und einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/799 (ABl. C 270 E, S. 96). Diese Vorschläge, die darauf abzielten, die in der Richtlinie 77/799 und der Verordnung Nr. 218/92 enthaltenen Bestimmungen über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zu konsolidieren und zu verstärken, die Mehrwertsteuer vom Anwendungsbereich der Richtlinie 77/799 auszunehmen und die Steuern auf Versicherungsprämien darin aufzunehmen, waren auf Artikel 95 EG gestützt.

6       Am 6. Februar 2002 befürwortete das Europäische Parlament in erster Lesung den Vorschlag für eine Verordnung unter dem Vorbehalt, dass diese geringfügig geändert wurde (ABl. C 284, S. 178).

7       Der Rat änderte die Vorschläge und wechselte ihre Rechtsgrundlage mit der Begründung aus, dass sie Steuerfragen beträfen und daher nur auf der Grundlage der Artikel 93 EG und 94 EG erlassen werden könnten. Das Parlament wurde daraufhin erneut konsultiert. Mit Entschließung vom 2. September 2003 bestätigte es, dass es Artikel 95 EG als die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der beiden Rechtsakte ansehe.

8       Am 7. Oktober 2003 erließ der Rat die Verordnung Nr. 1798/2003 auf der Grundlage des Artikels 93 EG und die Richtlinie 2003/93 auf der Grundlage der Artikel 93 EG und 94 EG.

9       Nach dem Erlass der Verordnung ließ die Kommission in das Protokoll der Ratssitzung, die an diesem Tag stattgefunden hatte, folgende Erklärung aufnehmen: „Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass der Rat einstimmig einen Text für eine Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, die auf Artikel 93 [des Vertrags] gestützt ist, und für eine Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten und indirekten Steuern, die auf die Artikel 93 und 94 des Vertrags gestützt ist, angenommen hat. Sie bekräftigt ihre Auffassung, dass entsprechend ihrem ursprünglichen Vorschlag Artikel 95 des Vertrags die Rechtsgrundlage bilden sollte. Die Kommission verweist darauf, dass das Hauptziel der Verordnung und der Richtlinie nicht in der Harmonisierung steuerlicher Bestimmungen besteht, sondern darin, den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln.“

10     Die ersten fünf Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1798/2003 lauten:

„(1)      Steuerhinterziehung und Steuerumgehung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg führen zu Einnahmeverlusten, verletzen das Prinzip der Steuergerechtigkeit und können Verzerrungen des Kapitalverkehrs und des Wettbewerbs verursachen. Sie beeinträchtigen folglich das Funktionieren des Binnenmarktes.

(2)      Die Bekämpfung der Mehrwertsteuer-Hinterziehung erfordert eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten mit der Durchführung der einschlägigen Vorschriften betraut sind.

(3)      Zu den Steuerharmonisierungsmaßnahmen, die im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes eingeleitet werden, sollte daher die Einrichtung eines gemeinsamen Systems für die Informationserteilung zwischen den Mitgliedstaaten gehören, bei dem die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten einander Amtshilfe gewähren und mit der Kommission zusammenarbeiten, um eine ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer auf Warenlieferungen und Dienstleistungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und auf die Einfuhr von Waren zu gewährleisten.

(4)      Für ein reibungsloses Funktionieren des Mehrwertsteuersystems ist die elektronische Speicherung und Übertragung von bestimmten Daten zum Zweck der Kontrolle der Mehrwertsteuer erforderlich.

(5)      Die Bedingungen für den Austausch von in den einzelnen Mitgliedstaaten elektronisch gespeicherten Daten und den direkten Zugang der Mitgliedstaaten zu solchen Daten müssen eindeutig festgelegt werden. Sofern es für die Erfüllung ihrer Pflichten notwendig ist, muss den Wirtschaftsbeteiligten Zugang zu bestimmten Daten gewährt werden.“

11     Artikel 1 der Verordnung Nr. 1798/2003 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung regelt die Modalitäten, nach denen die in den Mitgliedstaaten mit der Anwendung der Vorschriften auf dem Gebiet der MWSt. auf Warenlieferungen und Dienstleistungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und die Einfuhr von Waren beauftragten Verwaltungsbehörden untereinander und mit der Kommission zusammenarbeiten, um die Einhaltung der genannten Vorschriften zu gewährleisten.

Zu diesem Zweck werden in dieser Verordnung Regeln und Verfahren festgelegt, nach denen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander zusammenarbeiten und einander Auskünfte erteilen, die für die korrekte Festsetzung der MWSt. geeignet sind.

Außerdem werden in dieser Verordnung Regeln und Verfahren für den Austausch bestimmter Informationen, vor allem MWSt.-relevanter Informationen über innergemeinschaftliche Umsätze, auf elektronischem Wege festgelegt.

Des Weiteren werden für den Zeitraum nach Artikel 4 der Richtlinie 2002/38/EG Regeln und Verfahren für den elektronischen Informationsaustausch im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen gemäß der Sonderregelung nach Artikel 26c der Richtlinie 77/388/EWG sowie für einen etwaigen anschließenden Informationsaustausch und – soweit von der Sonderregelung erfasste Leistungen betroffen sind – für die Überweisung von Geldbeträgen zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten festgelegt.

(2)      Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen in den Mitgliedstaaten.“

12     Artikel 5 der Verordnung bestimmt:

„(1)      Auf Antrag der ersuchenden Behörde erteilt die ersuchte Behörde die in Artikel 1 genannten Auskünfte, einschließlich solcher, die konkrete Einzelfälle betreffen.

(2)      Für die Zwecke der Auskunftserteilung gemäß Absatz 1 führt die ersuchte Behörde die zur Beschaffung dieser Auskünfte notwendigen behördlichen Ermittlungen durch.

(3)      Das Ersuchen nach Absatz 1 kann einen begründeten Antrag auf spezielle behördliche Ermittlungen enthalten. Ist der Mitgliedstaat der Auffassung, dass keine behördlichen Ermittlungen erforderlich sind, so teilt er der ersuchenden Behörde unverzüglich die Gründe hierfür mit.

(4)      Zur Beschaffung der angeforderten Auskünfte oder zur Durchführung der beantragten behördlichen Ermittlungen verfährt die ersuchte Behörde oder die von ihr befasste Verwaltungsbehörde so, wie sie in Erfüllung eigener Aufgaben oder auf Ersuchen einer anderen Behörde des eigenen Staates handeln würde.“

13     Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Verordnung lautet:

„(1)      Im Einvernehmen zwischen der ersuchenden und der ersuchten Behörde und unter den von Letzterer festgelegten Voraussetzungen dürfen ordnungsgemäß befugte Beamte der ersuchenden Behörde im Hinblick auf den Informationsaustausch gemäß Artikel 1 in den Amtsräumen zugegen sein, in denen die Verwaltungsbehörden des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, ihre Tätigkeit ausüben. Sind die beantragten Auskünfte in den Unterlagen enthalten, zu denen die Beamten der ersuchten Behörde Zugang haben, so werden den Beamten der ersuchenden Behörde Kopien der Unterlagen, die die angeforderten Informationen enthalten, ausgehändigt.

(2)      Im Einvernehmen zwischen der ersuchenden und der ersuchten Behörde und unter den von Letzterer festgelegten Voraussetzungen können von der ersuchenden Behörde benannte Beamte im Hinblick auf den Informationsaustausch gemäß Artikel 1 während der behördlichen Ermittlungen zugegen sein. Die behördlichen Ermittlungen werden ausschließlich von den Beamten der ersuchten Behörde geführt. Die Beamten der ersuchenden Behörde üben nicht die Kontrollbefugnisse der Beamten der ersuchten Behörde aus. Sie können jedoch Zugang zu denselben Räumlichkeiten und Unterlagen wie die Bediensteten der ersuchten Behörde haben, allerdings nur auf deren Vermittlung hin und zum alleinigen Zweck der laufenden behördlichen Ermittlungen.“

14     Artikel 17 der Verordnung Nr. 1798/2003 sieht vor:

„Unbeschadet der Bestimmungen der Kapitel V und VI übermittelt die zuständige Behörde jedes Mitgliedstaats der zuständigen Behörde jedes anderen betroffenen Mitgliedstaats die in Artikel 1 genannten Informationen im Wege eines automatischen oder strukturierten automatischen Austauschs, wenn:

1.      die Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat erfolgen soll und die Wirksamkeit der dortigen Kontrollen notwendigerweise von der Übermittlung von Informationen aus dem Herkunftsmitgliedstaat abhängt;

2.      ein Mitgliedstaat Grund zu der Annahme hat, dass in dem anderen Mitgliedstaat ein Verstoß gegen die MWSt.-Vorschriften begangen wurde oder vermutlich begangen wurde;

3.      in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr eines Steuerverlusts besteht.“

15     Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung sieht vor:

„Jeder Mitgliedstaat unterhält eine elektronische Datenbank, in der er die Informationen speichert und bearbeitet, die er gemäß Artikel 22 Absatz 6 Buchstabe b) in der Fassung des Artikels 28h der Richtlinie 77/388/EWG sammelt.

Um die Verwendung dieser Informationen im Rahmen der in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren zu ermöglichen, sind die Informationen mindestens fünf Jahre lang ab dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, zu speichern.“

16     Artikel 23 der Verordnung lautet:

„Auf der Grundlage der gemäß Artikel 22 gespeicherten Daten kann die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats von jedem anderen Mitgliedstaat die folgenden Informationen automatisch und unverzüglich erhalten oder direkt abrufen:

1.      die von dem Mitgliedstaat, der die Auskünfte erhält, erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummern;

2.      den Gesamtwert aller innergemeinschaftlichen Lieferungen von Gegenständen, die an die Personen, denen eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt wurde, von allen Unternehmen, die in dem Auskunft erteilenden Mitgliedstaat eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten haben, getätigt wurden.

Die in Nummer 2 genannten Werte werden in der Währung des Mitgliedstaats ausgedrückt, der die Auskünfte erteilt, und beziehen sich jeweils auf ein Kalenderquartal.“

17     Artikel 24 der Verordnung Nr. 1798/2003 bestimmt:

„Wenn die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats dies zur Kontrolle des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen für erforderlich hält, kann sie ausschließlich zur Verhütung eines Verstoßes gegen die MWSt.-Vorschriften auf der Grundlage der gemäß Artikel 22 gespeicherten Daten die folgenden weiteren Informationen unmittelbar und unverzüglich auf elektronischem Wege erhalten oder direkt abrufen:

1.      die Umsatzsteuer-Identifikationsnummern aller Personen, die die in Artikel 23 Nummer 2 genannten Lieferungen getätigt haben, und

2.      den Gesamtwert dieser Lieferungen von jeder dieser Personen an jede betreffende Person, der eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach Artikel 23 Nummer 1 erteilt wurde.

Die in Nummer 2 genannten Werte werden in der Währung des Mitgliedstaats ausgedrückt, der die Auskünfte erteilt, und beziehen sich jeweils auf ein Kalenderquartal.“

18     Artikel 27 Absätze 1 bis 3 der Verordnung sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat unterhält eine elektronische Datenbank, in der ein Verzeichnis der Personen gespeichert wird, die von diesem Mitgliedstaat eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten haben.

(2)      Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats kann jederzeit auf der Grundlage der gemäß Artikel 22 gespeicherten Daten die Bestätigung der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, unter der eine Person eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen erhalten oder eine innergemeinschaftliche Dienstleistung getätigt hat, unmittelbar erhalten oder sich übermitteln lassen.

Auf besonderen Antrag übermittelt die ersuchte Behörde auch den Zeitpunkt der Erteilung und gegebenenfalls den Zeitpunkt des Ablaufs der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.

(3)      Auf Antrag teilt die zuständige Behörde unverzüglich auch den Namen und die Anschrift der Person mit, der die Nummer erteilt wurde, sofern diese Angaben von der ersuchenden Behörde nicht im Hinblick auf eine etwaige künftige Verwendung gespeichert sind.“

19     Artikel 41 Absatz 5 der Verordnung lautet:

„Zur korrekten Anwendung dieser Verordnung begrenzen die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich der in Artikel 10, Artikel 11 Absatz 1, Artikel 12 und Artikel 21 der Richtlinie 95/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [ABl. L 281, S. 31] genannten Pflichten und Rechte, soweit dies notwendig ist, um die in Artikel 13 Buchstabe e) jener Richtlinie genannten Interessen zu schützen.“

20     Aus den Begründungserwägungen und Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2003/93 geht hervor, dass diese den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/799 auf die Steuern auf Versicherungsprämien im Sinne der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen (ABl. L 73, S. 18) ausweitet.

21     Außerdem ersetzte die Richtlinie 2003/93 die ursprüngliche Fassung des Artikels 7 Absatz 1 der Richtlinie 77/799 durch folgenden Text:

„Alle Auskünfte, die ein Mitgliedstaat nach dieser Richtlinie erhält, sind in diesem Staat in gleicher Weise geheim zu halten wie die nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften erhaltenen Auskünfte. In jedem Fall dürfen diese Auskünfte

–       nur solchen Personen zugänglich gemacht werden, die mit der Steuerfestsetzung oder mit der verwaltungsmäßigen Überprüfung der Steuerfestsetzung unmittelbar befasst sind;

–       nur in einem gerichtlichen Verfahren, einem Strafverfahren oder einem Verfahren zur Verhängung von Verwaltungssanktionen, wenn diese Verfahren im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung oder der Überprüfung der Steuerfestsetzung stehen, bekannt gemacht werden, und zwar nur den unmittelbar an diesen Verfahren Beteiligten; diese Auskünfte können jedoch in öffentlichen Gerichtsverhandlungen oder in Gerichtsurteilen erwähnt werden, wenn die zuständige Behörde des Auskunft gebenden Mitgliedstaats keine Einwände geltend macht;

–       unter keinen Umständen für andere als für steuerliche Zwecke oder für die Zwecke eines gerichtlichen Verfahrens, eines Strafverfahrens oder eines Verfahrens zur Verhängung von Verwaltungssanktionen verwendet werden, wenn diese Verfahren im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung oder der Überprüfung der Steuerfestsetzung stehen.

Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die in Unterabsatz 1 genannten Auskünfte zur Festsetzung anderer Steuern, Abgaben und Gebühren, die unter Artikel 2 der Richtlinie 76/308/EWG fallen, verwendet werden.“

22     Da die Kommission der Auffassung war, dass die angefochtenen Rechtsakte auf der Grundlage des Artikels 95 EG hätten erlassen werden müssen, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

 Zur Klage

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

23     Nach Ansicht der Kommission sind die Artikel 93 EG und 94 EG nicht die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte. Dies sei vielmehr Artikel 95 Absatz 1 EG, dessen Wahl als Rechtsgrundlage sich nur dann als falsch erwiese, wenn die angefochtenen Rechtsakte „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 EG darstellten.

24     Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) sei zu dem Zweck erlassen worden, die Einführung der Rechtsvorschriften zu erleichtern, die notwendig gewesen seien, um bis Ende 1992 den Binnenmarkt zu vollenden. Nur bestimmte besonders sensible und eng mit der Souveränität der Mitgliedstaaten verknüpfte Bereiche seien vom Anwendungsbereich des durch Artikel 95 EG geschaffenen Verfahrens ausgenommen worden. Zu diesen Bereichen gehöre das Steuerwesen, bei dem man die Auffassung vertreten habe, dass die Angleichung der Rechtsvorschriften weiterhin einstimmig erfolgen müsse. Diese Ausnahme sei jedoch eng auszulegen, weil sie bestimmte Rechtsakte von dem als „üblich“ anzusehenden Gesetzgebungsverfahren für den Erlass von Rechtsakten zur Vollendung des Binnenmarktes ausnehme.

25     Die Ausnahme sei dahin zu verstehen, dass sie für Bestimmungen über die Steuerpflichtigen, die steuerbaren Vorgänge, die Besteuerungsgrundlage, die Steuersätze, die Befreiungen sowie die Modalitäten der Steuerberechnung und -erhebung gelte; die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der Steuern falle jedoch nicht unter diese Ausnahme. Die Maßnahmen der Zusammenarbeit, der Überprüfung und der Unterrichtung, die die Abschaffung der Grenzen erleichtern sollten, ohne den materiellen Gehalt der nationalen Steuerregelungen zu berühren, griffen nämlich nicht in die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten ein. Die Rechtsvorschriften, die diese Unterstützung regelten, harmonisierten nicht die Steuerbestimmungen im eigentlichen Sinne, sondern dienten nur dazu, den einzelnen Mitgliedstaaten die Anwendung ihrer jeweiligen Rechtsvorschriften zu erleichtern.

26     Die Verordnung Nr. 1798/2003 nehme weder eine Harmonisierung noch eine Angleichung der nationalen Steuervorschriften vor; sie solle lediglich den Austausch von Informationen über innergemeinschaftliche Geschäfte erleichtern, um es den zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, untereinander und mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Die Verordnung berühre keine Bestimmungen, die als „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 EG oder als „Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern“ im Sinne von Artikel 93 EG angesehen werden könnten.

27     Die Richtlinie 2003/93 wiederum ändere die Richtlinie 77/799 nur insoweit, als sie die Mehrwertsteuer von deren Anwendungsbereich ausnehme und die Steuern auf Versicherungsprämien darin aufnehme. Sie berühre in keiner Weise die Natur dieser Richtlinie, die den Informationsaustausch betreffe, und harmonisiere nicht „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 EG.

28     Die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte sei deshalb Artikel 95 EG. Diese seien folglich auf eine unrichtige Rechtsgrundlage gestützt und müssten zur Wahrung des durch den Vertrag geschaffenen institutionellen Gleichgewichts für nichtig erklärt werden.

29     Angesichts der positiven Wirkungen, die die angefochtenen Rechtsakte für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes gehabt hätten, wäre es jedoch im Fall der Nichtigerklärung angebracht, ihre Wirkungen bis zu ihrer Ersetzung durch neue, auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassene Rechtsakte aufrechtzuerhalten.

30     Der Rat trägt erstens vor, dass seit der Einfügung des Artikels 100a in den Vertrag durch die Einheitliche Europäische Akte zahlreiche Rechtsakte, die Maßnahmen der gegenseitigen Amtshilfe im Bereich des Steuerwesens beträfen, auf einer anderen Rechtsgrundlage als Artikel 100a erlassen worden seien.

31     Zweitens müsse sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nach ständiger Rechtsprechung auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehörten insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (Urteil vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnr. 7).

32     Was das Ziel der angefochtenen Rechtsakte betreffe, so gehe aus den Begründungserwägungen und Artikel 1 der Verordnung Nr. 1798/2003 hervor, dass mit dieser zugunsten der nationalen Haushalte und des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bekämpft und die Einhaltung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gewährleistet werden sollten. Auch die Richtlinie 2003/93 habe die Bekämpfung der Steuerhinterziehung zum Ziel, um die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarktes zu schützen. Sie verstärke die Richtlinie 77/799, die die zutreffende Festsetzung der Besteuerungsgrundlage für die Berechnung der direkten und indirekten Steuern sicherstellen solle. Bestimmungen, die sicherstellen sollten, dass die Besteuerungsgrundlage richtig festgesetzt werde, verfolgten ein steuerliches Ziel.

33     Was sodann den Inhalt der angefochtenen Rechtsakte angehe, so ergebe eine eingehende Prüfung der Verordnung Nr. 1798/2003, dass diese die Anwendung von Steuerbestimmungen und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung sicherstelle, indem sie die Regeln und Verfahren für die grenzüberschreitende Beschaffung und den grenzüberschreitenden Austausch von Informationen in Fällen harmonisiere, in denen diese Informationen für die Festsetzung der Besteuerungsgrundlage auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer benötigt würden. Die Verordnung habe somit eine unmittelbare Auswirkung auf die Rechte der Steuerpflichtigen und die Festsetzung der Besteuerungsgrundlage sowie auf die Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten.

34     Was die Richtlinie 2003/93 angehe, so ergebe sich insbesondere aus ihrem Artikel 1 Nummern 2 und 3, dass sie den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/799 ändere, indem sie ihn auf die Steuern auf Versicherungsprämien ausweite und die Mehrwertsteuer von ihm ausnehme, und dass sie den Behörden der Mitgliedstaaten erlaube, die erlangten Auskünfte für die Berechnung der in Artikel 2 der Richtlinie 76/308 genannten Abgaben zu verwenden. Da die Richtlinie 2003/93 dazu diene, durch eine Harmonisierung der Regeln und der Verfahren für die grenzüberschreitende Beschaffung von Informationen die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, sei davon auszugehen, dass sie die Harmonisierung von Steuerbestimmungen betreffe. Da sie sowohl direkte als auch indirekte Steuern erfasse, sei sie zu Recht auf der Grundlage der Artikel 93 EG und 94 EG erlassen worden.

35     Die angefochtenen Rechtsakte enthielten unzweifelhaft Bestimmungen, die im Sinne von Artikel 93 EG die „Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern“ berührten, die „für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes … notwendig“ sei. Abgesehen davon, dass es entgegen der Ansicht der Kommission kein „übliches“ Gesetzgebungsverfahren gebe, lasse der Standpunkt der Kommission außer Acht, dass die Artikel 93 EG und 94 EG speziellere Rechtsgrundlagen für den Erlass von Maßnahmen wie die in den angefochtenen Rechtsakten darstellten und dass Artikel 95 EG den Anwendungsbereich dieser Artikel nicht beschränke.

36     Hilfsweise macht der Rat geltend, dass die von der Kommission befürwortete Auslegung des Artikels 95 Absatz 2 EG zu eng sei. Es könne nicht danach unterschieden werden, ob die zu harmonisierende Vorschrift materiellen Charakter habe oder nicht, weil eine solche Unterscheidung weder im Wortlaut des Vertrages noch im Recht der Mitgliedstaaten eine Rechtfertigung finde.

37     Im Übrigen stehe die von der Kommission vorgeschlagene teleologische Auslegung im Widerspruch zum Wortlaut des Artikels 95 Absatz 2 EG und könne aus diesem Grund nicht vertreten werden. Außerdem könne, wenn man nicht die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage von einer politischen Entwicklung abhängig machen wolle, die Einstufung als „Bestimmung über die Steuern“ im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 nicht davon abhängen, ob eine Bestimmung in die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten eingreife oder ob sie den materiellen Gehalt ihrer Steuervorschriften berühre.

38     Hilfsweise dazu beantragt der Rat für den Fall, dass der Gerichtshof die angefochtenen Rechtsakte für nichtig erklären sollte, deren Rechtswirkungen aufrechtzuerhalten, bis sie durch auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassene Rechtsakte ersetzt werden.

39     Nach Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs wird aus Ziel und Inhalt der angefochtenen Rechtsakte deutlich, dass diese die Regelungen über die indirekten Steuern harmonisieren. So gewährleiste die Verordnung Nr. 1798/2003, die der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung diene, die Effizienz der nationalen Steuerbestimmungen über die Festsetzung und Erhebung der Mehrwertsteuer. Diese Verordnung, insbesondere ihr Artikel 30, wirke sich daher eindeutig auf die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen aus, und es sei willkürlich, anzunehmen, dass derartige Maßnahmen keine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die indirekten Steuern darstellten.

40     Die Richtlinie 2003/93 versetze die Mitgliedstaaten in die Lage, außerhalb ihrer Grenzen Informationen zu beschaffen, die es ihnen ermöglichten, die geschuldete Steuer zu ermitteln und Forderungen gegenüber ihren eigenen Steuerpflichtigen durchzusetzen. Wie die Verordnung Nr. 1798/2003 harmonisiere somit auch diese Richtlinie die nationalen Rechtsvorschriften über die direkten und indirekten Steuern.

41     Nach Ansicht Irlands ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere aus dem Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-338/01 (Kommission/Rat, Slg. 2004, I-4829), dass die Artikel 93 EG und 94 EG die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte seien, die, wie aus ihren Begründungserwägungen und ihren Bestimmungen hervorgehe, die Rechtsvorschriften über die Mehrwertsteuer harmonisierten, indem sie einheitliche Verfahren für die Beschaffung und Übermittlung von Daten über die Steuerpflichtigen vorsähen, um eine ordnungsgemäße Anwendung der Rechtsvorschriften über die Verwaltung, Festsetzung und Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten.

42     Die portugiesische Regierung führt aus, dass einige der Bestimmungen der angefochtenen Rechtsakte Fristen festsetzten und andere, wie Artikel 41 Absatz 5 der Verordnung Nr. 1798/2003, unmittelbar die Rechte der Steuerpflichtigen festlegten. Außerdem regele Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 77/799 in der Fassung der Richtlinie 2003/93 materielle Aspekte des Steuerrechts. Diese Bestimmungen, die unmittelbar die Rechte der Steuerpflichtigen regelten, indem sie sie beschränkten, seien „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne von Artikel 95 Absatz 2 EG.

 Würdigung durch den Gerichtshof

43     Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Gemeinschaft auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89, Kommission/Rat, Titandioxid, Slg. 1991, I-2867, Randnr. 10, vom 4. April 2000 in der Rechtssache C-269/97, Kommission/Rat, Slg. 2000, I-2257, Randnr. 43, vom 11. September 2003 in der Rechtssache C-211/01, Kommission/Rat, Slg. 2003, I-8913, Randnr. 38, und vom 29. April 2004, Kommission/Rat, Randnr. 54).

44     Hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Artikels 95 EG, der nach Auffassung der Kommission als Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Rechtsakte hätte dienen müssen, ergibt sich, erstens, aus dem Wortlaut des Artikels 95 Absatz 1, dass dieser Artikel nur anwendbar ist, soweit im Vertrag nichts anderes bestimmt ist.

45     Wie der Gerichtshof in Randnummer 60 seines Urteils Kommission/Rat vom 29. April 2004 entschieden hat, ist also ein Rechtsakt, wenn der Vertrag eine spezifischere Bestimmung enthält, die als Rechtsgrundlage für ihn dienen kann, auf diese Bestimmung zu stützen. Das gilt insbesondere für Artikel 93 EG, wenn es um die Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern geht.

46     Artikel 95 Absatz 2 EG schließt, zweitens, bestimmte Gebiete vom Anwendungsbereich des Artikels 95 aus. Dazu gehören insbesondere die „Bestimmungen über die Steuern“, deren Angleichung also nicht auf der Grundlage dieses Artikels erfolgen kann (Urteil vom 29. April 2004, Kommission/Rat, Randnr. 61).

47     Zur Auslegung des Ausdrucks „Bestimmungen über die Steuern“ in Artikel 95 Absatz 2 EG hat der Gerichtshof in Randnummer 63 seines Urteils Kommission/Rat vom 29. April 2004 entschieden, dass dieser Ausdruck wegen seines allgemeinen Charakters nicht nur alle Gebiete des Steuerrechts ohne Unterscheidung der Art der betroffenen Steuern oder Abgaben abdeckt, sondern auch alle Aspekte dieses Rechtsgebiets, ob es sich nun um materielle Regelungen oder Verfahrensregelungen handelt.

48     Da im vorliegenden Fall unstreitig ist, dass die angefochtenen Rechtsakte für das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind, genügt es, festzustellen, ob sie ausschließlich oder in erster Linie die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Steuern zum Ziel haben.

 Die Verordnung Nr. 1798/2003

49     Was erstens den Zweck der Verordnung Nr. 1798/2003 angeht, so sollen mit dieser nach ihren ersten beiden Begründungserwägungen zugunsten der nationalen Haushalte und des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bekämpft und die Einhaltung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gewährleistet werden.

50     Nach der dritten Begründungserwägung der Verordnung sollte, damit die Effizienz der im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes eingeleiteten Steuerharmonisierungsmaßnahmen gewährleistet ist, zu diesen Maßnahmen „die Einrichtung eines gemeinsamen Systems für die Informationserteilung zwischen den Mitgliedstaaten gehören, bei dem die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten einander Amtshilfe gewähren und mit der Kommission zusammenarbeiten“.

51     Nach diesen Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1798/2003 besteht das Ziel der Verordnung demnach darin, im Rahmen der im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes getroffenen Steuerharmonisierungsmaßnahmen ein System des Informationsaustauschs zu errichten, um die ordnungsgemäße Anwendung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten.

52     Dieser Informationsaustausch ist jedoch nur durch das Ziel der korrekten Festsetzung der von den Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer im Hinblick auf die Gewährleistung einer wirksameren Erhebung dieser Steuer gerechtfertigt.

53     Diese Feststellung wird durch den Wortlaut des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1798/2003 bestätigt, wonach die Verordnung die Modalitäten regelt, nach denen die in den Mitgliedstaaten für die Anwendung der Vorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zuständigen Verwaltungsbehörden untereinander und mit der Kommission zusammenarbeiten, um die Einhaltung der genannten Vorschriften zu gewährleisten. Außerdem sind nach Artikel 1 Absatz 2 die insoweit eingeführten Regeln und Verfahren dazu bestimmt, die korrekte Festsetzung der Mehrwertsteuer in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen.

54     Was zweitens den Inhalt der Verordnung Nr. 1798/2003 betrifft, so sind zunächst nach ihrem Artikel 5 die Behörden eines Mitgliedstaats auf Ersuchen der Behörden eines anderen Mitgliedstaats verpflichtet, alle Auskünfte zu erteilen, die für die korrekte Festsetzung der Mehrwertsteuer im Mitgliedstaat der letztgenannten Behörden geeignet sind, und müssen zu diesem Zweck gegebenenfalls behördliche Ermittlungen zur Beschaffung dieser Auskünfte durchführen.

55     Hierzu ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in Nummer 67 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, für die auf diese Weise übermittelten Auskünfte im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde zwar dieselben Geheimhaltungsgarantien gelten müssen wie im Mitgliedstaat der ersuchten Behörde, dass aber die Verordnung Nr. 1798/2003 die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Kreis derjenigen Personen zu erweitern, die Zugang zu diesen steuerrechtlich häufig besonders geschützten Auskünften haben, und den Mitgliedstaaten somit vorschreibt, gegebenenfalls ihre nationalen Regelungen zu ändern.

56     Sodann müssen nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 1798/2003 die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten die in Artikel 1 der Verordnung genannten Informationen im Wege eines automatischen oder strukturierten automatischen Austauschs übermitteln. Diese Vorschrift sieht somit für die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung vor, der sie sich nicht entziehen können.

57     Außerdem geht aus den Artikeln 22 bis 24 und 27 der Verordnung hervor, dass die Mitgliedstaaten eine elektronische Datenbank einrichten und aktualisieren müssen, in der sie Informationen über die Personen, denen eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt wurde, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummern und den Gesamtwert der innergemeinschaftlichen Lieferungen von den Personen und an die Personen, denen eine solche Nummer erteilt wurde, speichern und bearbeiten; diese Datenbank muss für die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten direkt zugänglich sein.

58     Der direkte Zugang zu diesen Datenbanken ermöglicht es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unbestreitbar, die Besteuerungsgrundlage für einen Steuerpflichtigen oder sogar die von ihm geschuldete Steuer festzusetzen, und kann damit die besondere Geheimhaltung beeinträchtigen, der bestimmte steuerliche Informationen in zahlreichen Mitgliedstaaten unterliegen. Der Kreis der Personen, die Zugang zu den Informationen der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats haben, wird somit beträchtlich erweitert, was, wie sich aus Randnummer 55 des vorliegenden Urteils ergibt, gegebenenfalls eine Änderung der nationalen Steuerregelungen erforderlich macht. Das gilt umso mehr, als die Mitgliedstaaten nach Artikel 41 Absatz 5 der Verordnung Nr. 1798/2003 den Anwendungsbereich des in bestimmten Vorschriften der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Datenschutzes begrenzen müssen, wenn diese Daten Informationen enthalten, die für die korrekte Festsetzung der Mehrwertsteuer geeignet sind.

59     Schließlich können die ersuchten Behörden nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1798/2003 die Anwesenheit von Beamten der ersuchenden Behörde in den Amtsräumen, in denen die Verwaltungsbehörden des Mitgliedstaats der ersuchten Behörden ihre Tätigkeit ausüben, sowie während der behördlichen Ermittlungen erlauben.

60     Wie die Generalanwältin in Nummer 73 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat diese Bestimmung abgesehen davon, dass sie einen Großteil der Mitgliedstaaten zu einer Änderung ihrer Regelungen über die Steuerverfahren zwingt, erhebliche Auswirkungen auf die Rechte der Steuerpflichtigen. Diese konnten nämlich in zahlreichen Mitgliedstaaten der Anwesenheit von Beamten anderer Mitgliedstaaten während einer Ermittlung widersprechen. Nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1798/2003 haben die Steuerpflichtigen jedoch kein solches Widerspruchsrecht mehr.

61     Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1798/2003 sind demnach geeignet, zu einer Angleichung der nationalen Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern beizutragen.

62     Nach alledem hat die Verordnung Nr. 1798/2003 die Angleichung von Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern zum Ziel und zum Inhalt, um die Erhebung der Mehrwertsteuer zu erleichtern und dadurch die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus dieser Steuer zu erhöhen.

63     Wie jedoch in Randnummer 47 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, müssen Verfahrensvorschriften im Bereich der Steuern, soweit es um die Anwendung des Artikels 95 Absatz 2 EG geht, als „Bestimmungen über die Steuern“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden.

64     Daher kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass Artikel 95 Absatz 1 EG die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Nr. 1798/2003 sei.

65     Die Klage der Kommission ist somit abzuweisen, soweit sie auf Nichtigerklärung der Verordnung gerichtet ist.

 Die Richtlinie 2003/93

66     Was erstens den Zweck der Richtlinie 2003/93 angeht, so soll diese nach ihrer ersten Begründungserwägung zur Verbesserung des Kampfes gegen die Hinterziehung von Mehrwertsteuer die Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten verstärken und nach ihrer dritten Begründungserwägung durch Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 77/799 auf die Steuern auf Versicherungsprämien im Sinne der Richtlinie 76/308 die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarktes besser schützen.

67     Was zweitens den Inhalt der Richtlinie 2003/93 betrifft, so genügt die Feststellung, dass dieser sich hauptsächlich auf die Einfügung der für die Ausweitung der Anwendungsbereichs der Richtlinie 77/799 auf die Steuern auf Versicherungsprämien erforderlichen Änderungen und die Neufassung des Artikels 7 Absatz 1 der letztgenannten Richtlinie beschränkt.

68     Die neue Fassung des Artikels 7 Absatz 1 zeichnet sich gegenüber der alten Fassung in erster Linie dadurch aus, dass sie den Mitgliedstaaten erlaubt, die nach der Richtlinie erhaltenen Auskünfte zur Festsetzung anderer Steuern, Abgaben und Gebühren, die unter Artikel 2 der Richtlinie 76/308 fallen, zu verwenden.

69     Da die Richtlinie 2003/93 also im Wesentlichen der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 77/799 auf die Steuern auf Versicherungsprämien dient, ist zu prüfen, ob die letztgenannte Richtlinie eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Steuern bezweckt.

70     Wie aus ihrer ersten, ihrer vierten und ihrer sechsten Begründungserwägung hervorgeht, dient die Richtlinie 77/799 der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Steuerflucht über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinaus, indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten verstärkt, damit sie die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zutreffender festsetzen können.

71     Zur Erreichung dieses Zieles verpflichtet Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/799 die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, sich gegenseitig alle Auskünfte zu erteilen, die für die zutreffende Festsetzung dieser Steuern geeignet sein können. Wie in Randnummer 3 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, sieht die Richtlinie außerdem in ihren Artikeln 2 bis 4 die Modalitäten der Erteilung dieser Auskünfte vor, die auf Ersuchen, automatisch oder spontan erfolgt.

72     Zwar besteht keine uneingeschränkte Verpflichtung zu Ermittlungen und zur Übermittlung der betreffenden Auskünfte, da Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 77/799 keine solche Verpflichtung für die zuständigen Behörden vorsieht, wenn der Durchführung der Ermittlungen oder der Beschaffung oder Verwertung der Auskünfte für die steuerlichen Zwecke des betreffenden Mitgliedstaats nationale gesetzliche Vorschriften oder die nationale Verwaltungspraxis entgegenstünden, doch wird der Kreis der Personen, die Zugang zu diesen Auskünften haben, durch das Bestehen dieser Verpflichtung erheblich erweitert, um die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen zu ermöglichen.

73     Somit ist festzustellen, dass die Ziele und der Inhalt der Richtlinie 77/799 weitgehend mit denen der Verordnung Nr. 1798/2003 vergleichbar oder sogar identisch sind und dass die Richtlinie aufgrund ihrer Merkmale in den Anwendungsbereich des Artikels 95 Absatz 2 EG fällt.

74     Folglich fällt auch die Richtlinie 2003/93 in den Anwendungsbereich des Artikels 95 Absatz 2 EG, so dass nicht mit Erfolg geltend gemacht werden kann, dass sie auf der Grundlage des Artikels 95 Absatz 1 EG hätte erlassen werden müssen.

75     Die Klage der Kommission ist damit auch insoweit abzuweisen, als sie auf die Nichtigerklärung der Richtlinie 2003/93 gerichtet ist.

76     Die Klage der Kommission ist mithin in vollem Umfang abzuweisen; der Gerichtshof braucht sich deshalb nicht zum Antrag auf Aufrechterhaltung der Wirkungen der angefochtenen Rechtsakte zu äußern.

 Kosten

77     Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 tragen Irland, die Portugiesische Republik sowie das Vereinigte Königreich, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.

3.      Irland, die Portugiesische Republik sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Englisch.