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Rechtssache C-377/08

EGN BV – Filiale Italiana

gegen

Agenzia delle Entrate – Ufficio di Roma 2

(Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 17 Abs. 3 Buchst. a – Abzugsfähigkeit und Erstattung der Vorsteuer – Telekommunikationsdienstleistungen – Erbringung von Dienstleistungen an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger – Art. 9 Abs. 2 Buchst. e – Bestimmung des Ortes der Dienstleistung“

Leitsätze des Urteils

Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Vorsteuerabzug – Gegenstände und Dienstleistungen, die für im Ausland bewirkte Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 17 Abs. 3 Buchst. a)

Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 95/7 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde, wenn einem solchen Dienstleistungserbringer dieses Recht für den Fall zustünde, dass die fraglichen Dienstleistungen innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats erbracht worden wären.

(vgl. Randnr. 34 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

2. Juli 2009(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 17 Abs. 3 Buchst. a – Abzugsfähigkeit und Erstattung der Vorsteuer – Telekommunikationsdienstleistungen – Erbringung von Dienstleistungen an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger – Art. 9 Abs. 2 Buchst. e – Bestimmung des Ortes der Dienstleistung“

In der Rechtssache C-377/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 23. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2008, in dem Verfahren

EGN BV – Filiale Italiana

gegen

Agenzia delle Entrate – Ufficio di Roma 2

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Ó Caoimh (Berichterstatter) sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und J. Klučka,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der EGN BV – Filiale Italiana, vertreten durch G. Boniello und G. Polacco, avvocati,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und M. Afonso als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EGN BV – Filiale Italiana (im Folgenden: EGN) und der Agenzia delle Entrate – Ufficio di Roma 2 (Agentur Einnahmen – Amt Rom 2, im Folgenden: Agenzia) wegen der Weigerung Letzterer, den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit im Jahr 1999 erbrachten Telekommunikationsdienstleistungen zuzulassen.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Der siebte Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie lautet:

„Die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes hat insbesondere hinsichtlich der Lieferung eines Gegenstandes mit Montage und der Dienstleistung zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten geführt. Wenn auch als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Ort gelten muss, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat, so sollte doch insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen, als Ort der Dienstleistung das Land des Dienstleistungsempfängers gelten.“

4        Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt: „Der Mehrwertsteuer unterliegen … Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.“

5        Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

„(1)      Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2)      Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.“

6        In Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie heißt es:

„(1)      Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

(2)      Es gilt jedoch

e)      als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

–        Abtretung und Einräumung von Urheberrechten, Patentrechten, Lizenzrechten, Fabrik- und Warenzeichen sowie ähnlichen Rechten,

–        Leistungen auf dem Gebiet der Werbung,

–        Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen,

–        Verpflichtungen, eine berufliche Tätigkeit ganz oder teilweise nicht auszuüben oder ein unter diesem Buchstaben e) genanntes Recht nicht wahrzunehmen,

–        Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze, ausgenommen die Vermietung von Schließfächern,

–        Gestellung von Personal,

–        Dienstleistungen von Vermittlern, die im Namen und für Rechnung Dritter handeln, wenn sie bei der Erbringung von unter diesem Buchstaben e) genannten Dienstleistungen tätig werden,

–        Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände, ausgenommen Beförderungsmittel.“

7        Art. 17 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1)      Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2)      Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

(3)      Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:

a)      seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;

…“

8        Die auf Antrag des betreffenden Mitgliedstaats erlassene Entscheidung 97/207/EG des Rates vom 17. März 1997 zur Ermächtigung der Italienischen Republik, eine von Artikel 9 der Sechsten Richtlinie [77/388] abweichende Maßnahme anzuwenden (ABl. L 86, S. 19), sieht vor:

Artikel 1

Abweichend von Artikel 9 Absatz 1 der [Sechsten Richtlinie] wird die Italienische Republik ermächtigt, Telekommunikationsdienstleistungen in den Geltungsbereich des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e) der Richtlinie einzubeziehen. …

Als Telekommunikationsdienstleistungen gelten solche Dienstleistungen, mit denen die Übertragung, die Ausstrahlung oder der Empfang von Signalen, Schrift, Bild und Ton oder Informationen jeglicher Art über Draht, Funk, optische oder sonstige elektromagnetische Medien gewährleistet werden; dazu gehören auch die Abtretung und die Einräumung von Nutzungsrechten an Einrichtungen zur Übertragung, Ausstrahlung oder zum Empfang.

Artikel 2

Diese Entscheidung darf auf Telekommunikationsdienstleistungen angewendet werden, für die der Steuertatbestand ab dem 1. Januar 1997 eingetreten ist. …

Artikel 3

Die mit dieser Entscheidung erteilte Ermächtigung ist bis zum 31. Dezember 1999 – oder für den Fall, dass eine Richtlinie zur Änderung des Ortes der Besteuerung von Telekommunikationsdienstleistungen zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft tritt, bis zu diesem früheren Zeitpunkt – gültig.

Artikel 4

Diese Entscheidung ist an die Italienische Republik gerichtet.“

9        Nach Erlass der Entscheidung 97/207 wurde Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie mit Wirkung zum 1. Januar 2000 durch die Richtlinie 1999/59/EG des Rates vom 17. Juni 1999 zur Änderung der Richtlinie [77/388] (ABl. L 162, S. 63) folgender neunter Gedankenstrich angefügt:

„Telekommunikationsdienstleistungen. Als Telekommunikationsdienstleistungen gelten solche Dienstleistungen, mit denen die Übertragung, die Ausstrahlung oder der Empfang von Signalen, Schrift, Bild und Ton oder Informationen jeglicher Art über Draht, Funk, optische oder sonstige elektromagnetische Medien ermöglicht werden, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Abtretung oder Einräumung von Nutzungsrechten an Einrichtungen zur Übertragung, Ausstrahlung oder zum Empfang. Zu den Telekommunikationsdienstleistungen im Sinne dieser Vorschrift gehört auch die Bereitstellung des Zugangs zu globalen Informationsnetzen.“

 Nationales Recht

10      Die Sechste Richtlinie wurde mit dem Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 über die Einführung und Regelung der Mehrwertsteuer (ordentliche Beilage zur GURI Nr. 292 vom 11. November 1972), wie später geändert (im Folgenden: Dekret Nr. 633/1972), in italienisches Recht umgesetzt.

11      Art. 7 des Dekrets Nr. 633/1972, der die Territorialität der Steuer betrifft, sieht in Abs. 4 Buchst. d u. a. vor, dass „… Telekommunikationsdienstleistungen … als im Inland erbracht [gelten], wenn der Empfänger dort seinen Wohnsitz oder seinen Aufenthaltsort ohne gleichzeitigen Wohnsitz im Ausland hat oder wenn der Empfänger eine feste Niederlassung einer Person, die ihren Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland hat, in Italien ist, es sei denn, sie werden außerhalb der [Gemeinschaft] genutzt“. Art. 7 Abs. 4 Buchst. e dieses Dekrets bestimmt zudem, dass „die Dienstleistungen … im Sinne des [Buchst. d], deren Empfänger seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort in einem anderen Mitgliedstaat der [Gemeinschaft] hat, … als im Inland erbracht [gelten], wenn der Empfänger in seinem Wohnsitz- oder Aufenthaltsstaat nicht steuerpflichtig ist“.

12      Art. 19 Abs. 1 des Dekrets Nr. 633/1972 sieht die Abzugsfähigkeit der Mehrwertsteuer auf „in Ausübung eines Unternehmens, Handwerks oder freien Berufs eingeführte oder erworbene Gegenstände und Dienstleistungen“ vor. Nach Abs. 2 dieses Artikels ist die Mehrwertsteuer nicht abziehbar, wenn der Erwerb oder die Einfuhr „befreite oder jedenfalls nicht steuerpflichtige Umsätze“ betrifft. Abs. 3 Buchst. b derselben Vorschrift bestimmt jedoch, dass „[d]ie Nichtabzugsfähigkeit gem. Abs. 2 … nicht [gilt], wenn sich die dort angeführten Umsätze wie folgt darstellen: … im Ausland bewirkte Umsätze, für die, wären sie im Inland bewirkt worden, das Abzugsrecht bestünde“.

13      Nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. d des Dekrets Nr. 633/1972 kann der Steuerpflichtige, falls die Jahressteuererklärung einen Abzugsüberschuss ausweist, entweder den überschießenden Vorjahresbetrag für das Folgejahr in Abzug bringen oder die vollständige oder teilweise Erstattung des abzugsfähigen Überschussbetrags beantragen, „wenn er überwiegend Umsätze tätigt, die nach Art. 7 nicht der Steuer unterliegen“.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14      EGN ist die italienische Tochtergesellschaft der EGN – Equant Global Network BV, einer Gesellschaft niederländischen Rechts, die von der Société Internationale de Télécommunications Aéronautiques beherrscht wird, die ihrerseits eine Genossenschaft belgischen Rechts ist, die 1949 von elf Luftfahrtgesellschaften gegründet wurde, um ein speziell für den Luftverkehr bestimmtes Telekommunikationssystem zu errichten.

15      Im Jahr 1999 erbrachte EGN Telekommunikationsdienstleistungen an die Ensys Ltd, eine in Irland ansässige und dort mehrwertsteuerpflichtige Gesellschaft, die ebenfalls von der Société Internationale de Télécommunications Aéronautiques beherrscht wird.

16      Da diese Dienstleistungen in Italien nicht der Mehrwertsteuer unterlagen, weil die in Art. 7 Abs. 4 Buchst. d des Dekrets Nr. 633/1972 vorgesehene Voraussetzung der Niederlassung in diesem Mitgliedstaat nicht erfüllt war, beantragte EGN, die stets über ein Guthaben der als Vorsteuer an ihre ihrerseits in Italien ansässigen Lieferanten entrichteten Mehrwertsteuer verfügte, am 7. Februar 2000 bei der Agenzia die Erstattung der Mehrwertsteuer für das Jahr 1999 in Höhe von 9 400 000 000 ITL sowie die Erstattung des für die Vorjahre berechneten ausstehenden Restbetrags in Höhe von 101 968 000 ITL.

17      Dieser Erstattungsantrag wurde mit Bescheid der Agenzia vom 23. März 2001 mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen für den Abzug oder die Erstattung der von EGN entrichteten Vorsteuer nicht erfüllt seien.

18      Auf die von EGN gegen diesen Ablehnungsbescheid erhobene Klage hin befand die Commissione tributaria provinciale di Roma mit Urteil vom 10. September 2001, dass der Klägerin nach Art. 7 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 Buchst. b des Dekrets Nr. 633/1972 das Mehrwertsteuerabzugsrecht für Umsätze zustehe, die der Mehrwertsteuer nicht unterlägen, aber steuerpflichtig wären, wenn sie in Italien bewirkt worden wären.

19      Nachdem die Agenzia gegen dieses Urteil Berufung eingelegt hatte, hob die Commissione tributaria regionale del Lazio es mit Urteil vom 19. September 2003 auf und wies die Anträge von EGN auf Zulassung zum Mehrwertsteuerabzug und Erstattung der als Vorsteuer entrichteten Beträge zurück. Das Berufungsgericht hielt Art. 19 Abs. 3 Buchst. b des Dekrets Nr. 633/1972 für nicht anwendbar, weil die Wendung „im Ausland bewirkte Umsätze, für die, wären sie im Inland bewirkt worden, das Abzugsrecht bestünde“, nur auf diejenigen Umsätze abstelle, die tatsächlich im Ausland bewirkt worden seien. Die in Art. 7 Abs. 4 Buchst. e dieses Dekrets enthaltene Rechtsfiktion der Extraterritorialität könne keine Berücksichtigung finden, da keine Vorschrift diese gewillkürte und fiktive Extraterritorialität einer tatsächlichen Extraterritorialität gleichstelle. Da die fraglichen Telekommunikationsdienstleistungen in Italien nicht der Mehrwertsteuer unterlägen, schließe Art. 19 Abs. 2 des betreffenden Dekrets somit aus, dass sie das Recht auf Abzug oder Erstattung der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer eröffnen könnten.

20      Das vorlegende Gericht, bei dem EGN Kassationsbeschwerde erhoben hat, fragt sich, nachdem es die Feststellung getroffen hat, dass die einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie von den nationalen Vorinstanzen unterschiedlich ausgelegt worden seien, ob die von der Commissione tributaria regionale del Lazio vorgenommene Auslegung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führe. Da nämlich im Fall der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen an Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat der Ort, an dem die Mehrwertsteuer geschuldet werde, dort sei, wo der Dienstleistungsempfänger ansässig sei, befinde sich ein Erbringer solcher Dienstleistungen in einer ungünstigeren Lage als derjenige, der die gleichen Dienstleistungen innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats erbringe.

21      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, wenn Telekommunikationsdienstleistungen zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Ansässigen erbracht werden und der Leistungsempfänger mehrwertsteuerpflichtig ist, der Leistungserbringer die Steuer auf den Erwerb oder die Einfuhr von mit solchen Umsätzen zusammenhängenden Gegenständen abziehen, wie er es tun könnte, wenn er die gleichen Leistungen im eigenen Land erbringen würde?

 Zur Vorlagefrage

22      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen wie der am Ausgangsverfahren beteiligte danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde.

23      Nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ist jeder Mehrwertsteuerpflichtige im Sinne von Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie berechtigt, die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, soweit die Dienstleistungen, für die diese Steuer als Vorsteuer entrichtet wurde, für im Ausland ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie verwendet werden, für die das Abzugsrecht bestünde, wenn die betreffenden Umsätze im Inland bewirkt worden wären.

24      Im vorliegenden Fall steht fest, dass EGN in Italien mehrwertsteuerpflichtig ist, da sie dort wirtschaftliche Tätigkeiten in Form der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen ausübt, die unter Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie fallen.

25      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich auch, dass solche Dienstleistungen, wenn sie an in Italien ansässige Empfänger erbracht werden, im Inland erbrachte Leistungen sind, für die dort nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie das Recht auf Abzug oder Erstattung der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer eröffnet ist.

26      Unter diesen Umständen ist für die Feststellung, ob die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen durch ein in Italien ansässiges Unternehmen wie EGN an ein Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, hier Irland, im ersten Mitgliedstaat eine Grundlage für den Abzug oder die Erstattung der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer bildet, zu prüfen, ob die entsprechenden Tätigkeiten als im Sinne von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie „im Ausland ausgeübt“ gelten können.

27      Dazu ist daran zu erinnern, dass Art. 9 der Sechsten Richtlinie die Regeln zur Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts bei Dienstleistungen enthält. Während in Abs. 1 insoweit eine allgemeine Regel niedergelegt ist, listet Abs. 2 eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte auf. Durch diese Bestimmungen sollen Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, und die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden (vgl. u. a. Urteile vom 26. September 1996, Dudda, C-327/94, Slg. 1996, I-4595, Randnr. 20, vom 6. November 2008, Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet, C-291/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 24, und vom 19. Februar 2009, Athesia Druck, C-1/08, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 20).

28      Ferner ist zum Verhältnis zwischen den Abs. 1 und 2 des Art. 9 der Sechsten Richtlinie darauf hinzuweisen, dass Abs. 1 keinen Vorrang gegenüber Abs. 2 hat. In jedem Einzelfall stellt sich die Frage, ob einer der Tatbestände des Art. 9 Abs. 2 einschlägig ist. Andernfalls gilt Abs. 1 (vgl. u. a. Urteile vom 6. März 1997, Linthorst, Pouwels und Scheres, C-167/95, Slg. 1997, I-1195, Randnr. 11, vom 12. Mai 2005, RAL [Channel Islands] u. a., C-452/03, Slg. 2005, I-3947, Randnr. 24, und vom 9. März 2006, Gillan Beach, C-114/05, Slg. 2006, I-2427, Randnr. 15).

29      Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie zielt, wie deren siebtem Erwägungsgrund zu entnehmen ist, in seiner Gesamtheit darauf ab, eine Sonderregelung für die Dienstleistungen zu schaffen, die zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbracht werden und deren Kosten in den Preis der Waren eingehen (Urteile Dudda, Randnrn. 22 und 23, und Gillan Beach, Randnrn. 16 und 17).

30      Hier ist festzustellen, dass für Telekommunikationsdienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein spezifischer Anknüpfungspunkt nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie besteht.

31      Es ist jedoch klarzustellen, dass sich für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum dieser spezifische Anknüpfungspunkt für die Telekommunikationsdienstleistungen nicht, wie vom vorlegenden Gericht und EGN angenommen, aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie selbst ergibt, sondern, wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu Recht ausführt, aus Art. 1 Abs. 1 der Entscheidung 97/207, mit der die Italienische Republik auf ihren Antrag hin ermächtigt wurde, die Telekommunikationsdienstleistungen abweichend von Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999 oder bis zum Inkrafttreten einer Richtlinie zur Änderung dieser Bestimmung in den Geltungsbereich von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie einzubeziehen. Die Aufnahme der Telekommunikationsdienstleistungen in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie ist das Ergebnis des späteren Erlasses der Richtlinie 1999/59, die von den Mitgliedstaaten erst zum 1. Januar 2000 umgesetzt werden musste.

32      Schon aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Entscheidung 97/207 ergibt sich, dass als Ort von Telekommunikationsdienstleistungen, die an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort gilt, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

33      Folglich müssen, da im Ausgangsverfahren der Empfänger der fraglichen Telekommunikationsdienstleistungen ein Steuerpflichtiger ist, der in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem der Erbringer dieser Dienstleistungen seinen Sitz hat, die entsprechenden Tätigkeiten als im Sinne des Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie „im Ausland ausgeübt“ gelten, so dass sie in dem Mitgliedstaat, in dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist, das Recht auf Abzug oder Erstattung der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer eröffnen müssen, wenn dieses Recht für solche Leistungen für den Fall bestünde, dass sie innerhalb dieses Mitgliedstaats bewirkt worden wären.

34      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen wie der am Ausgangsverfahren beteiligte danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde, wenn einem solchen Dienstleistungserbringer dieses Recht für den Fall zustünde, dass die fraglichen Dienstleistungen innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats erbracht worden wären.

 Kosten

35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen wie der am Ausgangsverfahren beteiligte danach berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen oder erstattet zu bekommen, die im Zusammenhang mit Telekommunikationsdienstleistungen, die gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen erbracht wurden, als Vorsteuer entrichtet wurde, wenn einem solchen Dienstleistungserbringer dieses Recht für den Fall zustünde, dass die fraglichen Dienstleistungen innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats erbracht worden wären.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.