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Rechtssache C-156/09

Finanzamt Leverkusen

gegen

Verigen Transplantation Service International AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c – Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten – Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin – Herauslösen und Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten“

Leitsätze des Urteils

Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen nach der Sechsten Richtlinie – Befreiung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Rahmen der ärztlichen und arztähnlichen Berufe – Umfang

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c)

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 95/7 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation aus therapeutischen Zwecken eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

Der Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ erfasst nämlich Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Zwar müssen die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. Es ist in dieser Hinsicht ohne Bedeutung, dass diese Dienstleistungen von Laborpersonal erbracht werden, das nicht aus qualifizierten Ärzten besteht, da es nicht notwendig ist, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird. Für die Einstufung einer Dienstleistung als „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ ist es zudem grundsätzlich unerheblich, ob die vermehrten Zellen dem Patienten, dem sie entnommen wurden, wieder implantiert werden oder einem Dritten.

(vgl. Randnrn. 24, 28-29, 32 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. November 2010(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c – Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten – Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin – Herauslösen und Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten“

In der Rechtssache C-156/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2009, in dem Verfahren

Finanzamt Leverkusen

gegen

Verigen Transplantation Service International AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. Juli 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c und Art. 28b Teil F Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Verigen Transplantation Service International AG (im Folgenden: VTSI) und dem Finanzamt Leverkusen (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, die Umsätze von VTSI aus der Vermehrung von Gelenkknorpelzellen für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Empfänger von der Mehrwertsteuer zu befreien.

 Rechtlicher Rahmen

 Sechste Richtlinie

3        Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“, der Mehrwertsteuer.

4        Art. 9 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1)      Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

(2)      Es gilt jedoch

c)      als Ort der folgenden Dienstleistungen der Ort, an dem diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden:

–        Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen;

…“

5        Art. 13 Teil A („Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten“) der Sechsten Richtlinie sieht in Abs. 1 Buchst. c vor:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

c)      die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden;

…“

6        In Art. 28b Teil F der Richtlinie heißt es:

„Bei Begutachtungen von oder Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen, die an Empfänger erbracht werden, die eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich erbracht werden, gilt abweichend von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe c der Ort der Dienstleistungen als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Empfänger der Dienstleistung die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, unter der ihm die Dienstleistung erbracht wurde.

…“

 Nationales Recht

7        § 3a Abs. 2 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (BGBl. 1999 I S. 1270, im Folgenden: UStG) bestimmt in seiner zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung:

„Die folgenden sonstigen Leistungen werden dort ausgeführt, wo der Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wird:

c)      Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände. Verwendet der Leistungsempfänger gegenüber dem leistenden Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, gilt die unter dieser Nummer in Anspruch genommene Leistung als in dem Gebiet des anderen Mitgliedstaats ausgeführt. …“

8        Nach § 4 Nr. 14 UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei

„die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker. …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        VTSI ist ein in Deutschland ansässiges Biotechnologie-Unternehmen, das im Bereich der Gewebezüchtung tätig ist. Sie erforscht, entwickelt, produziert und vermarktet Technologien zur Diagnose und Behandlung von Erkrankungen menschlichen Gewebes, insbesondere Erkrankungen des Knorpels.

10      Das Ausgangsverfahren betrifft die Umsätze von VTSI aus der Vermehrung von Gelenkknorpelzellen (Chondrozyten) zur Reimplantation beim Patienten in den Fällen, in denen die Leistungsempfänger (Ärzte oder Kliniken) in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind und VTSI in ihren Rechnungen deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben hat.

11      Das Verfahren wird vom Bundesfinanzhof folgendermaßen beschrieben. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Klinik übersendet VTSI Knorpelmaterial („Biopsat“), das dem Patienten entnommen wurde. VTSI bearbeitet das Gewebe so, dass die Gelenkknorpelzellen herauslösbar sind. Diese werden nach Aufbereitung in ihrem eigenen Blutserum in einem Brutschrank – in der Regel innerhalb von drei bis vier Wochen – durch Züchtung vermehrt. Teilweise werden die gezüchteten Zellen im Labor in eine Kollagen-Membran eingebracht, so dass ein „Knorpelpflaster“ entsteht. Die gezüchteten Zellen werden jedenfalls dem behandelnden Arzt oder der Klinik zur Reimplantation beim Patienten übersandt.

12      VTSI behandelte diese Dienstleistungen, wenn sie an Empfänger in anderen Mitgliedstaaten erbracht wurden, als nicht mehrwertsteuerpflichtig.

13      Das Finanzamt hielt sie dagegen für steuerbar und steuerpflichtig und setzte die von VTSI für das Jahr 2002 geschuldete Umsatzsteuer mit Bescheid vom 17. Dezember 2003 fest.

14      Im Einspruchsverfahren und dann vor dem Finanzgericht Köln machte VTSI geltend, dass die Vermehrung der Knorpelzellen keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sei; es handele sich vielmehr um „routinemäßige Laborleistungen“, die von biotechnischen oder medizinisch-technischen Assistenten ausgeführt würden. Die notwendigen Qualitätskontrollen würden von einem Pharmazeuten und einem externen Apotheker vorgenommen.

15      Das Finanzgericht Köln gab der Klage von VTSI statt. Die Zellvermehrung sei eine Leistung, die als „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG zu beurteilen sei. Auch zur Transplantation entnommene Organe würden mit der Trennung vom Körper des Patienten bewegliche Sachen. Ob der abgetrennte Körperteil später für eine Eigentransplantation (autologe Verwendung) oder eine Fremdtransplantation (allogene Verwendung) verwendet werde, sei für die Subsumtion unter den Begriff der beweglichen körperlichen Gegenstände unerheblich.

16      Da die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Empfänger die ihnen in ihren Heimatstaaten erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummern verwendet hätten, seien die Umsätze in Deutschland nicht steuerbar.

17      Das Finanzamt legte gegen dieses Urteil Revision ein. Vor dem Bundesfinanzhof macht es geltend, dass die Zellen angesichts ihrer kurzzeitigen Trennung vom Körper des Patienten nicht zu beweglichen Gegenständen würden, so dass die Zellvermehrung nicht unter den Begriff der „Arbeiten“ im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG falle. Es liege auch keine Verwendung der in dem anderen Mitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG vor, da dafür eine ausdrückliche Vereinbarung vor der Ausführung der Leistung zwischen der Klägerin und dem Leistungsempfänger nötig gewesen wäre.

18      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts handelt es sich bei der Übergabe der vermehrten Knorpelzellen an den behandelnden Arzt oder die Klinik nicht um eine Lieferung von Gegenständen, da VTSI nicht frei über das Knorpelmaterial verfügen könne. Die Zellvermehrung sei eine Dienstleistung und in Deutschland nicht steuerbar, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werde. Das sei jedoch nur dann der Fall, wenn Art. 28b Teil F der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sei, dass er die Dienstleistungen von VTSI erfasse. Andernfalls müsse der Umsatz in Deutschland steuerbar sein, wenn er nicht als „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie angesehen werden könne.

19      Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 28b Teil F Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass

a)      das einem Menschen entnommene Knorpelmaterial („Biopsat“), welches einem Unternehmer zum Zwecke der Zellvermehrung und anschließenden Rückgabe als Implantat für den betroffenen Patienten überlassen wird, ein „beweglicher körperlicher Gegenstand“ im Sinne dieser Bestimmung ist,

b)      das Herauslösen der Gelenkknorpelzellen aus dem Knorpelmaterial und die anschließende Zellvermehrung „Arbeiten“ an beweglichen körperlichen Gegenständen im Sinne dieser Bestimmung sind,

c)      die Dienstleistung dem Empfänger bereits dann „unter seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erbracht“ worden ist, wenn diese in der Rechnung des Erbringers der Dienstleistung angeführt ist, ohne dass eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung über ihre Verwendung getroffen wurde?

2.      Falls eine der vorstehenden Fragen verneint wird: Ist Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass das Herauslösen der Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und die anschließende Zellvermehrung dann eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ ist, wenn die durch die Zellvermehrung gewonnenen Zellen dem Spender wieder implantiert werden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur zweiten Frage

20      Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung dann eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn die durch diese Zellvermehrung gewonnenen Zellen dem Spender wieder implantiert werden sollen.

21      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Sechste Richtlinie der Mehrwertsteuer einen sehr weiten Anwendungsbereich zuerkennt, indem sie in Art. 2, der die steuerbaren Umsätze betrifft, außer der Einfuhr von Gegenständen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen erfasst, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt (vgl. u. a. Urteile vom 21. Februar 2006, Halifax u. a., C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnr. 49, vom 14. Dezember 2006, VDP Dental Laboratory, C-401/05, Slg. 2006, I-12121, Randnr. 22, und vom 10. Juni 2010, CopyGene, C-262/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 23).

22      Bestimmte Tätigkeiten werden jedoch nach Art. 13 dieser Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die in diesem Artikel vorgesehenen Steuerbefreiungen autonome unionsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen (vgl. u. a. Urteile vom 25. Februar 1999, CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr. 15, und CopyGene, Randnr. 24).

23      Außerdem sind die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen bezeichnet sind, nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Daher entspricht es nicht dem Sinn dieser Regel einer engen Auslegung, wenn die zur Umschreibung der in Art. 13 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so ausgelegt werden, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Juni 2007, Haderer, C-445/05, Slg. 2007, I-4841, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie CopyGene, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Was insbesondere die Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie betrifft, geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ Leistungen erfasst, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (Urteil CopyGene, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zwar müssen die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen, doch folgt daraus nach der in der vorstehenden Randnummer genannten Rechtsprechung nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist (Urteil CopyGene, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall steht fest, dass das Verfahren der Entnahme von Knorpelmaterial, um daraus Gelenkknorpelzellen herauszulösen, die vermehrt werden, um sie dem Patienten wieder zu implantieren, insgesamt einem therapeutischen Zweck dient.

26      Die spezifischen von VTSI erbrachten Dienstleistungen bilden zwar nur einen Teil dieses Gesamtverfahrens. Sie sind jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 23 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, ein unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil des Verfahrens, dessen einzelne Abschnitte sinnvollerweise nicht isoliert voneinander durchgeführt werden können.

27      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken unter den Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie fallen. Eine solche Auslegung steht im Übrigen im Einklang mit dem Zweck dieser Bestimmung, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken (vgl. Urteil vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, Slg. 2006, I-5123, Randnr. 29).

28      Es ist in dieser Hinsicht ohne Bedeutung, dass diese Dienstleistungen von Laborpersonal erbracht werden, das nicht aus qualifizierten Ärzten besteht, da es nicht notwendig ist, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 41, und L.u.P., Randnr. 39).

29      Im Übrigen ist es für die Einstufung einer Dienstleistung als „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ grundsätzlich unerheblich, ob die vermehrten Zellen dem Patienten, dem sie entnommen wurden, wieder implantiert werden oder einem Dritten (vgl. entsprechend Urteil CopyGene, Randnr. 51).

30      Zum Vorbringen der deutschen Regierung, die Einstufung der in Rede stehenden Dienstleistungen als „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ könnte gegen den Grundsatz der Steuerneutralität verstoßen, da das von VTSI ausgearbeitete „Knorpelpflaster“ in funktioneller Hinsicht mit einem Arzneimittel vergleichbar sei, das nicht von der Mehrwertsteuer befreit sei, ist lediglich festzustellen, dass die Einstufung einer Dienstleistung als „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ nur von ihrem eigenen Charakter abhängen kann, ohne dass die Verfügbarkeit einer pharmazeutischen Alternative erheblich wäre.

31      Wie die Generalanwältin nämlich in Nr. 28 ihrer Schlussanträge erläutert hat, gibt es für manche dieser Behandlungsarten bereits pharmazeutische Alternativen, während es sie für andere noch nicht gibt, in Zukunft aber geben könnte, so dass sich die beiden Kategorien ständig weiterentwickeln.

32      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

 Zur ersten Frage

33      In Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage ist die erste Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

34      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.