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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

17. Januar 2013(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes – Art. 96 und 98 Abs. 2 – Anhang III Nrn. 3 und 4 – ‚Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden‘ – ‚Medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind‘“

In der Rechtssache C-360/11

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 8. Juli 2011,

Europäische Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Königreich Spanien, vertreten durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter) sowie der Richter E. Jarašiūnas und A. Ó Caoimh,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Oktober 2012

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Spanien durch die Anwendung eines verminderten Mehrwertsteuersatzes

–        auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind,

–        auf Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können, jedoch nicht üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind,

–        auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen,

–        und schließlich auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen,

gegen seine Verpflichtungen aus Art. 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in Verbindung mit Anhang III dieser Richtlinie verstoßen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Art. 96 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

3        Art. 97 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt, dass „[v]om 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 … der Normalsatz mindestens 15 % betragen“ muss.

4        In Art. 98 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2)      Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

(3)      Zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Sinne des Absatzes 1 auf Kategorien von Gegenständen können die Mitgliedstaaten die betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur genau abgrenzen.“

5        Art. 99 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die ermäßigten Steuersätze werden als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festgesetzt, der mindestens 5 % betragen muss.“

6        Art. 114 Abs. 1 Unterabs. 1 derselben Richtlinie lautet:

„Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1993 verpflichtet waren, den von ihnen am 1. Januar 1991 angewandten Normalsatz um mehr als 2 % heraufzusetzen, können auf die Lieferungen von Gegenständen und auf Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien einen ermäßigten Satz anwenden, der unter dem in Artikel 99 festgelegten Mindestsatz liegt.“

7        Anhang III („Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“) der Richtlinie 2006/112 führt in seinen Nrn. 3 und 4 Folgendes auf:

„3.      Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden, einschließlich Erzeugnissen für Zwecke der Empfängnisverhütung und der Monatshygiene;

4.      medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind, einschließlich der Instandsetzung solcher Gegenstände, sowie Kindersitze für Kraftfahrzeuge“.

 Nationales Recht

8        Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nrn. 5 und 6 des Gesetzes 37/1992 vom 28. Dezember 1992 (BOE Nr. 312 vom 29. Dezember 1992, S. 44247) in seiner auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von 8 % auf die Lieferung, auf den innergemeinschaftlichen Erwerb und auf die Einfuhren der folgenden Gegenstände angewendet wird:

„5.       Medikamente zur tierärztlichen Verwendung und medizinische Stoffe, die üblicherweise zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind.

6.      Vorrichtungen und Zubehörteile, einschließlich Brillen mit Korrekturgläsern und Kontaktlinsen, die aufgrund ihrer objektiven Eigenschaften im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Menschen oder Tieren auszugleichen, einschließlich Einschränkungen der Bewegungs- und der Kommunikationsfähigkeit.

Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können.

Diese Kategorie umfasst weder Kosmetika noch Erzeugnisse für die persönliche Hygiene, abgesehen von Monatsbinden, Tampons und Slipeinlagen.“

9        Nach Art. 91 Abs. 2 Unterabs. 1 Nr. 3 des Mehrwertsteuergesetzes gilt ein in Art. 114 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 vorgesehener „besonders ermäßigter“ Mehrwertsteuersatz, der im Fall des Königreichs Spanien bei 4 % liegt, auf Lieferungen, den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Einfuhren der folgenden Gegenstände:

„Medikamente zur Verwendung beim Menschen sowie medizinische Stoffe, Darreichungsformen und Zwischenerzeugnisse, die üblicherweise zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind.“

 Vorverfahren

10      Mit Aufforderungsschreiben vom 22. März 2010 informierte die Kommission das Königreich Spanien darüber, dass sie die Anwendung des Systems der ermäßigten Mehrwertsteuersätze nach Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nrn. 5 und 6 sowie nach Art. 91 Abs. 2 Unterabs. 1 Nr. 3 des Mehrwertsteuergesetzes für einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/112 hielt.

11      In seiner Antwort vom 28. Mai 2010 machte das Königreich Spanien geltend, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die in diesen Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes aufgeführten Gegenstände nach den Nrn. 3 und 4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 erlaubt und daher mit dieser vereinbar sei.

12      Diesen Schluss stützte das Königreich Spanien zunächst darauf, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 in Einklang mit der in der nationalen Rechtsordnung geltenden Definition des Arzneimittels auszulegen sei, die nicht nur die Medikamente, sondern auch Vorrichtungen und Gesundheitsprodukte umfasse. Weiter müssten die fertigen Medikamente, die magistralen und die offizinalen Zubereitungen, die Wirkstoffe und die Darreichungsformen so, wie sie durch die nationale Gesetzgebung definiert seien, als „Arzneimittel“ im Sinne der Nr. 3 dieses Anhangs angesehen werden. Schließlich sei der Begriff der „behinderten“ Person im Sinne der Nr. 4 dieses Anhangs nach den einschlägigen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation so zu verstehen, dass er sich auf jede Person beziehe, die unter einer behindernden Krankheit leide.

13      Da die Kommission von dieser Antwort nicht überzeugt war, übermittelte sie am 25. November 2010 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie das Königreich Spanien aufforderte, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.

14      Mit Schreiben vom 31. Januar 2011 wiederholten die spanischen Behörden ihren Standpunkt, wonach die streitigen nationalen Bestimmungen mit den Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 im Einklang stünden.

15      Da diese Antwort die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

 Zur Klage

 Vorbemerkungen

16      Zunächst ist auf die Argumentation des Königreichs Spanien einzugehen, wonach aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der in Anhang III der Richtlinie 2006/112 aufgeführten Kategorien von Gegenständen und Dienstleistungen eine Vertragsverletzungsklage nicht auf diese Vorschriften gestützt werden könne und die von der Kommission vorgenommene restriktive Auslegung der Nrn. 3 und 4 dieses Anhangs demnach nicht gegenüber anderen Auslegungsmöglichkeiten, insbesondere den auf das nationale Recht gestützten, bevorzugt werden dürfe.

17      Nach Auffassung der Kommission sind die Bestimmungen in diesem Anhang dagegen hinreichend präzise und müssen nach den Grundsätzen der Einheitlichkeit und der Gleichheit auf Unionsebene autonom und einheitlich ausgelegt werden. Außerdem sei das Königreich Spanien durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission hinreichend über den Umfang seiner Verpflichtungen informiert worden.

18      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen (vgl. insbesondere Urteile vom 12. Dezember 1995, Oude Luttikhuis u. a., C-399/93, Slg. 1995, I-4515, Randnr. 23, vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien, C-83/99, Slg. 2001, I-445, Randnr. 19, und vom 3. März 2011, Kommission/Niederlande, C-41/09, Slg. 2011, I-831, Randnr. 58).

19      Auch hat der Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass sowohl aus dem Gebot der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja, C-424/10 und C-425/10, Slg. 2011, I-14035, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Wie die Kommission geltend gemacht hat, folgt aus den vorstehenden Erwägungen, dass die Unionsrechtsbestimmungen, die die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erlauben, eng auszulegen sind, da sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, vom Grundsatz der Anwendung des normalen Steuersatzes abzuweichen. Außerdem müssen die Nrn. 3 und 4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 in der gesamten Union autonom und einheitlich angewendet werden, da sie keinen ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalten.

21      Entgegen dem Vorbringen des Königreichs Spanien werden diese Feststellungen nicht dadurch widerlegt, dass in den Nummern des Anhangs III allgemeine Kategorien von Gegenständen aufgeführt werden, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Gesetzgebung präzisieren müssen.

22      Wie der Generalanwalt in Nr. 25 seiner Schlussanträge festgestellt hat, sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, die Konturen der in diesen Nummern definierten Kategorien so, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt werden, zu berücksichtigen, wenn sie die einzelnen Kategorien von Gegenständen präzisieren, auf die sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden.

 Zum ersten Klagegrund: Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden und dafür geeignet sind

 Zur Tragweite des ersten Klagegrundes

–       Vorbringen der Parteien

23      Sowohl in seiner Klagebeantwortung als auch in seiner Gegenerwiderung wendet sich das Königreich Spanien gegen die Argumentation der Kommission hinsichtlich der in Art. 91 Abs. 2 Unterabs. 1 Nr. 3 des Mehrwertsteuergesetzes erwähnten „Zwischenerzeugnisse“.

24      Nach seiner Auffassung betrifft der erste Klagegrund der Kommission so, wie er durch das Vorverfahren und durch die Darlegung der Rügen in der Klageschrift bestimmt worden ist, nur die medizinischen Stoffe unter Ausschluss der vorgenannten „Zwischenerzeugnisse“.

25      Die Kommission weist die vom Königreich Spanien in seiner Klagebeantwortung und seiner Gegenerwiderung hinsichtlich der „Zwischenerzeugnisse“ vorgetragenen Behauptungen zurück und bestätigt, dass sie die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf diese Erzeugnisse rügt.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

26      Aus Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und aus der einschlägigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Klageschrift den Streitgegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und dass diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge der Klageschrift müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (vgl. Urteil vom 14. Januar 2010, Kommission/Tschechische Republik, C-343/08, Slg. 2010, I-275, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Auch wenn die Kommission im vorliegenden Fall die „Zwischenerzeugnisse“ mehrfach in ihrem Aufforderungsschreiben, in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme und in ihrer Klageschrift erwähnt hat, ist doch festzustellen, dass sie diese Erzeugnisse weder in der Darlegung der Rügen noch in ihren Anträgen erwähnt.

28      Daher muss der erste Klagegrund der vorliegenden Klage so verstanden werden, dass die Kommission dem Königreich Spanien lediglich vorwirft, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf medizinische Stoffe anzuwenden, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind.

 Zur Begründetheit

–       Vorbringen der Parteien

29      Mit ihrem ersten Klagegrund rügt die Kommission, dass die in Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 5 und Art. 91 Abs. 2 Unterabs. 1 Nr. 3 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehene Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind, unvereinbar mit der Richtlinie 2006/112 sei.

30      Anhang III Nr. 3 dieser Richtlinie erlaube den Mitgliedstaaten, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände anzuwenden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllten, und zwar zum einen, dass es sich um „Arzneimittel“ handle, und zum anderen, dass diese Arzneimittel „üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet“ würden.

31      Medizinische Stoffe seien keine fertigen Produkte und könnten daher nicht als Arzneimittel angesehen werden, die „üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet“ würden.

32      Dies werde dadurch bestätigt, dass der Unionsgesetzgeber, hätte er in einer Nummer des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 nicht nur fertige Produkte, sondern auch die für die Herstellung dieser Produkte verwendeten Erzeugnisse erfassen wollen, dies ausdrücklich angegeben hätte.

33      Außerdem nimmt die Kommission Bezug auf die Definitionen, die in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) enthalten sind. Aus dieser Richtlinie gehe hervor, dass magistrale und offizinale Zubereitungen fertige Arzneimittel seien, während Wirkstoffe, die als jeder in diesem Arzneimittel enthaltene Stoff definiert seien, keine fertigen Produkte für den Gebrauch bei Menschen oder Tieren seien.

34      Dagegen vertritt das Königreich Spanien die Auffassung, dass medizinische Stoffe „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 seien.

35      In Ermangelung einer Definition des Begriffs „Arzneimittel“ auf Unionsebene könnten die Mitgliedstaaten die in ihren nationalen Rechtsordnungen existierenden Definitionen anwenden. Allerdings erfahre dieser Begriff in vielen nationalen Gesetzen eine weite Definition, wonach auch die medizinischen Stoffe erfasst würden.

36      Auch könnten bestimmte medizinische Stoffe als fertige Produkte vermarktet werden, ohne dass es erforderlich sei, sie mit anderen Stoffen zu vermischen.

37      In ihrer Erwiderung räumt die Kommission ein, dass nichts gegen die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf medizinische Stoffe einzuwenden sei, wenn diese als fertige Arzneimittel für den unmittelbaren Gebrauch durch den Verbraucher vermarktet würden. In diesem Zusammenhang weist sie auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hin, wonach die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in dem Fall, in dem ein Gegenstand für verschiedene Zwecke verwendet werden könne, für jeden einzelnen Liefervorgang davon abhänge, wofür sein Käufer ihn konkret einsetze (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 65).

–       Würdigung durch den Gerichtshof

38      Die Parteien vertreten unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Auslegung des Begriffs „Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden“ im Sinne des Anhangs III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112. Es geht insbesondere um die Frage, ob dieser Begriff medizinische Stoffe umfassen kann, die üblicherweise zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind.

39      Wie die Kommission in ihrer Klageschrift geltend gemacht hat, erlaubt Anhangs III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände anzuwenden, die zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen muss es sich um „Arzneimittel“ handeln und zum anderen müssen diese Arzneimittel „üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden“.

40      Nach dem Vorschlag der Kommission ist der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III vergleichbar mit dem Begriff „Arzneimittel“ nach Art. 1 der Richtlinie 2001/83.

41      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 33 bis 35 seiner Schlussanträge festgestellt hat, bestehen allerdings bedeutende Unterschiede zwischen diesen beiden Begriffen.

42      Zunächst ist festzustellen, dass die Mehrheit der Sprachfassungen der Richtlinie 2001/83 und des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 diese Begriffe unterschiedlich bezeichnen. So wird in der englischen Sprachfassung dieser beiden Rechtsakte für den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 und den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 der Ausdruck „medicinal product“ einerseits und der Ausdruck „pharmaceutical product“ andererseits verwendet. Das Gleiche gilt insbesondere für die spanische („medicamento“ und „producto farmacéutico“), die litauische („vaistai“ und „farmacijos gaminiai“), die polnische („produkt leczniczy“ und „produkty farmaceutyczne“), die rumänische („medicament“ und „produsele farmaceutice“), die slowenische („zdravilo“ und „farmacevtski izdelki“) sowie die schwedische („läkemedel“ und „farmaceutiska produkter“) Sprachfassung. Weiter verfolgt Anhang III der Richtlinie 2006/112 offensichtlich einen anderen Zweck als die Richtlinie 2001/83, da Letztere die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln vereinheitlichen soll. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Anhang III Nr. 3 auch den tierärztlichen Gebrauch erfasst, während die Richtlinie 2001/83 ausschließlich für Humanarzneimittel gilt.

43      Daher ist der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 entgegen den Ausführungen der Kommission so auszulegen, dass er den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 zwar umfasst, aber weiter geht als dieser.

44      Diese Auslegung stimmt außerdem überein mit dem Begriff „pharmazeutische Erzeugnisse“, der in Kapitel 30 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 1238/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 (ABl. L 348, S. 36) verwendet wird und der unter pharmazeutischen Erzeugnissen nicht nur Arzneiwaren, sondern auch andere pharmazeutische Zubereitungen und Waren versteht, wie Watte, Gaze, Binden und ähnliche Erzeugnisse.

45      Außerdem bezieht sich der letzte Halbsatz der Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 auf Gegenstände, die nicht vom Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 erfasst sein können, wie die „Erzeugnisse für Zwecke der Empfängnisverhütung und der Monatshygiene“.

46      Um unter die Kategorie nach Anhang III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 zu fallen, müssen Gegenstände allerdings auch „üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden“.

47      Daraus folgt, dass die vorgenannte Nr. 3 nur fertige Produkte erfasst, die vom Endverbraucher unmittelbar gebraucht werden können, unter Ausschluss der Erzeugnisse, die für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und üblicherweise noch verarbeitet werden müssen.

48      Diese Auslegung wird bestätigt durch den Zweck des Anhangs III der Richtlinie 2006/112, die Kosten für bestimmte, als unentbehrlich erachtete Gegenstände zu senken und somit dem Endverbraucher, der die Mehrwertsteuer letztlich entrichten muss, den Zugang zu diesen zu erleichtern.

49      Schließlich besteht, wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, in den Fällen, in denen ein medizinischer Stoff als fertiges Produkt vermarktet werden kann, ohne dass er mit anderen Substanzen vermischt werden muss, und er somit vom Endverbraucher unmittelbar „für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen“ verwendet werden kann, kein Grund dafür, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf diesen Stoff nicht anzuwenden.

50      Daher ist festzustellen, dass nach Anhang III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz nur dann auf medizinische Stoffe angewendet werden kann, wenn sie von einem Endverbraucher unmittelbar für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden können.

51      Der erste Klagegrund der Kommission ist somit begründet.

 Zum zweiten Klagegrund: Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte und Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können

 Vorbringen der Parteien

52      Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die nach Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 6 Satz 2 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehene Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte und Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können, unvereinbar mit der Richtlinie 2006/112 sei.

53      Zum einen sei die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf medizinische Geräte, die für die tiermedizinische Diagnose und Behandlung verwendet würden, nach der vorgenannten nationalen Bestimmung nicht mit Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/112 vereinbar, die nur die Geräte, Hilfsmittel und Vorrichtungen erfasse, die ausschließlich für den menschlichen Gebrauch bestimmt seien.

54      Zum anderen sei die Nr. 3 dieses Anhangs nicht anwendbar. Der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung sei nämlich als Synonym des Begriffs „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 zu verstehen. Somit könnten diese Gesundheitsprodukte, medizinischen Vorrichtungen, Stoffe und Geräte zum allgemeinen Gebrauch nicht unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III Nr. 3 fallen.

55      Dagegen vertritt das Königreich Spanien die Auffassung, dass die Gegenstände nach Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 6 Satz 2 des Mehrwertsteuergesetzes in den Anwendungsbereich des Anhangs III Nr. 3 fielen.

56      Die in Nr. 3 dieses Anhangs vorgesehene Kategorie umfasse nicht nur Medikamente, sondern auch Gesundheitsprodukte. Gestützt werde diese Auslegung dadurch, dass Art. 168 AEUV sich sowohl auf Arzneimittel als auch auf Medizinprodukte beziehe, und dass demnach beiden Kategorien von Gegenständen, die unter dem Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Nr. 4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 zusammengefasst worden seien, derselbe Schutz zu gewähren sei.

57      Eine solche Auslegung nehme der Nr. 4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 auch nicht jegliche Bedeutung. Die Gesundheitsprodukte nach dieser Nummer, die „für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen, ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten, verwendet“ würden, seien für eine spezifische Verwendung gedacht. Es sei somit nicht widersprüchlich, davon auszugehen, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Nr. 3 dieses Anhangs nicht nur Medikamente umfasse, sondern auch Gesundheitsprodukte, die nicht für eine spezifische Verwendung bestimmt seien, die aber „üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet“ würden.

 Würdigung durch den Gerichtshof

58      Die Kommission wirft dem Königreich Spanien vor, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Kategorie von Gegenständen angewendet zu haben, die aus Gesundheitsprodukten, Stoffen, Geräten und Vorrichtungen besteht, „die objektiv nur zur Vorbeugung bzw. zur Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können“.

59      Wie die Kommission vorgetragen hat, kann nach Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/112 kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf diese Kategorie von Gegenständen angewendet werden, da diese Nummer zum einen nicht die Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte und Vorrichtungen erfasst, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sind, und zum anderen nur die Verwendung beim Menschen betrifft, unter Ausschluss der Verwendung beim Tier.

60      Weiter muss im Rahmen der Begründetheit des zweiten Klagegrundes der Kommission untersucht werden, ob die in Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 6 Satz 2 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehenen Gegenstände als „Arzneimittel“ im Sinne des Anhangs III Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden können.

61      Wie in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung so auszulegen, dass er den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 zwar umfasst, aber weiter geht als dieser.

62      Allerdings kann der Argumentation des Königreichs Spanien, wonach der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Anhang III Nr. 3 alle Gesundheitsprodukte, medizinischen Vorrichtungen, Stoffe oder Geräte umfassen könne, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt seien, nicht gefolgt werden.

63      Nach der in Randnr. 18 des vorliegenden Urteils erwähnten Rechtsprechung müssen nämlich nicht nur die in Anhang III der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Kategorien aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Unionsrechtsbestimmung eng ausgelegt werden, sondern die in diesem Anhang verwendeten Begriffe müssen auch entsprechend ihrer gewöhnlichen Bedeutung ausgelegt werden. Angesichts der gewöhnlichen Bedeutung des Begriffs „Arzneimittel“ im allgemeinen Sprachgebrauch kann allerdings nicht angenommen werden, dass alle Gesundheitsprodukte, Geräte, Vorrichtungen oder Stoffe für die ärztliche oder tierärztliche Verwendung von dieser Bestimmung erfasst werden.

64      Diese Auslegung wird bestätigt durch die Gesamtkonzeption des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 und insbesondere durch den Umstand, dass in Nr. 4 dieses Anhangs Gesundheitsprodukte für eine spezifische Verwendung besonders erwähnt werden. Wie die Kommission ausgeführt hat, würde dieser Bestimmung nämlich ihre Bedeutung genommen, wenn die Nr. 3 dieses Anhangs so ausgelegt würde, dass danach ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf alle Gesundheitsprodukte oder medizinischen Vorrichtungen angewendet werden könnte, ohne dass es auf den Gebrauch ankäme, für den sie bestimmt sind.

65      Wie in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zielt die Anwendung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze insbesondere darauf ab, die Kosten für bestimmte unentbehrliche Gegenstände im Interesse der Endverbraucher zu senken. Allerdings dürften die Kosten für Gesundheitsprodukte, Vorrichtungen, Stoffe sowie ärztliche oder tierärztliche Geräte selten unmittelbar vom Endverbraucher getragen werden, da diese Produkte hauptsächlich von Fachleuten aus dem Gesundheitssektor für Dienstleistungen verwendet werden, die ihrerseits nach Art. 132 der Richtlinie 2006/112 von der Mehrwertsteuer befreit werden können.

66      Eine solche Auslegung ist zudem nicht unvereinbar mit Art. 168 AEUV. Auch wenn es zutrifft, dass Abs. 4 Buchst. c dieses Artikels Arzneimittel und Medizinprodukte betrifft, besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem von dieser Bestimmung verfolgten Zweck, nämlich der Festlegung von hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards, und dem oben dargestellten Zweck, der mit Anhang III der Richtlinie 2006/112 angestrebt wird.

67      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf „Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können“, weder nach Nr. 4 noch nach Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 angewendet werden kann.

68      Der zweite Klagegrund der Kommission ist somit begründet.

 Zum dritten Klagegrund: Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Gegenstände, die zum Ausgleich von körperlichen Behinderungen von Tieren verwendet werden

 Vorbringen der Parteien

69      Nach Auffassung der Kommission verstößt die in Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 6 Satz 1 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehene Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Gegenstände, die verwendet werden, um körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen, gegen die Richtlinie 2006/112. Wie die von ihr im Rahmen der ersten beiden Klagegründe vorgebrachten Argumente verdeutlichten, sei es weder nach Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 – die auf die Arzneimittel stricto sensu beschränkt sei – noch nach seiner Nr. 4 – die sich auf Gegenstände für den menschlichen Gebrauch beschränke – zulässig, einen solchen Satz auf diese Gegenstände anzuwenden.

70      In seiner Klagebeantwortung verweist das Königreich Spanien auf die Antworten, die es im Laufe der einzelnen Abschnitte des Vorverfahrens vorgebracht und in denen es im Wesentlichen geltend gemacht habe, dass Anhang III Nr. 3 Gesundheitsprodukte und medizinische Vorrichtungen für die Verwendung bei Mensch und Tier erfasse.

 Würdigung durch den Gerichtshof

71      Zur Begründetheit des dritten Klagegrundes der Kommission ist zum einen unter Verweis auf die Ausführungen in den Randnrn. 61 bis 67 des vorliegenden Urteils darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er Vorrichtungen sowie Gesundheitsprodukte für die ärztliche und tierärztliche Verwendung umfasst.

72      Nach dieser Bestimmung kann somit kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Vorrichtungen und auf Zubehörteile angewendet werden, die zum Ausgleich von körperlichen Behinderungen von Tieren verwendet werden können.

73      Zum anderen geht aus dem Wortlaut der Nr. 4 dieses Anhangs eindeutig hervor, dass diese Bestimmung nur medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen betrifft, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen beim Menschen verwendet werden. Das Wort „Behinderte“, das im zweiten Satz dieser Bestimmung verwendet wird, bezieht sich nämlich offensichtlich nicht auf Tiere, die unter einer körperlichen Behinderung leiden, sondern nur auf Personen.

74      Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, ist außerdem festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber, hätte er die tierärztliche Ausrichtung ebenfalls in die Kategorie der Gegenstände nach Nr. 4 dieses Anhangs einbeziehen wollen, diese ausdrücklich erwähnt hätte, wie er es insbesondere in Nr. 3 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 getan hat.

75      Daraus folgt, dass weder nach Nr. 4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 noch nach seiner Nr. 3 ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Vorrichtungen und auf Zubehörteile angewendet werden kann, die zum Ausgleich von körperlichen Behinderungen von Tieren verwendet werden können.

76      Der dritte Klagegrund der Kommission ist somit begründet.

 Zum vierten Klagegrund: Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Geräte und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich zum Ausgleich von Behinderungen beim Menschen verwendet werden, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch der behinderten Personen dienen

 Vorbringen der Parteien

77      Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die in Art. 91 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 6 Satz 1 des Mehrwertsteuergesetzes vorgesehene Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet würden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienten, gegen die Richtlinie 2006/112 verstoße.

78      In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/112 den Mitgliedstaaten erlaube, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände anzuwenden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllten. Zum einen müssten diese Gegenstände als „medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen“ angesehen werden können und zum anderen müssten sie „üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und … ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt“ sein.

79      Demnach umfasse Anhang III Nr. 4 nicht die medizinischen Geräte zum allgemeinen Gebrauch, sondern lediglich diejenigen, die „ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten“ bestimmt seien. Diese Auslegung werde übrigens durch die im Rahmen des Mehrwertsteuerausschusses angenommenen Leitlinien bestätigt.

80      Daher gehe der Anwendungsbereich des Mehrwertsteuergesetzes über den nach der Richtlinie 2006/112 zulässigen Anwendungsbereich hinaus, soweit nach diesem Gesetz ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Vorrichtungen und Zubehörteile angewendet werde, die „im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen auszugleichen“.

81      Außerdem habe das Königreich Spanien in seiner Antwort auf das Aufforderungsschreiben den Begriff „Behinderung“ insofern überdehnt, als es diesen Begriff als ein Synonym des Begriffs „Krankheit“ verstanden habe.

82      Das Königreich Spanien wendet sich gegen die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung des Begriffs „Behinderung“. In Ermangelung einer einheitlichen Definition dieses Begriffs auf Unionsebene müssten die neuesten Konzepte der Weltgesundheitsorganisation angewendet werden. Unter Anwendung dieser Konzepte müsse jede Person, die unter einer behindernden Krankheit leide, als eine behinderte Person angesehen werden. Daher könnten nach einer solchen Definition Personen, die unter Krankheiten wie AIDS, Krebs oder Nierenversagen litten, als behinderte Personen angesehen werden, womit eine Diskriminierung der unter diesen Krankheiten leidenden Personen vermieden werden könne. Allein der Umstand, dass der vorliegende Fall das Steuerwesen betreffe, rechtfertige keine abweichende Auslegung.

83      Das Königreich Spanien vertritt weiter die Auffassung, dass es schwierig sei, zwischen den Gesundheitsprodukten, die bei Behinderungen behilflich seien, und denen, die es nicht seien, zu unterscheiden, wobei es sich erneut darauf beruft, dass eine Vertragsverletzung schwerlich auf die Bestimmungen des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 gestützt werden könne, da diese nicht hinreichend bestimmt seien. Schließlich weist es darauf hin, dass die Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses, auf die die Kommission in ihrer Klageschrift Bezug nehme, für die Auslegung nicht bindend seien.

 Würdigung durch den Gerichtshof

84      Die Beurteilung des vierten Klagegrundes der Kommission setzt eine Beantwortung der Frage voraus, ob Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/112 anwendbar ist auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen, aber im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, die Behinderungen dieser Personen auszugleichen.

85      Aus dem Wortsinn selbst der Begriffe „persönlich“ und „ausschließlich“, die in Nr. 4 des Anhangs III enthalten sind, ergibt sich, dass diese Nummer keine Produkte erfasst, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sind.

86      Somit vermag der in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils dargelegte Zweck, die Kosten bestimmter unentbehrlicher Gegenstände für den Endverbraucher zu senken, nicht die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Gesundheitsprodukte zu rechtfertigen, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sind und von Krankenhäusern und Fachleuten der Gesundheitsdienste verwendet werden.

87      Dieser Schluss wird nicht durch die Argumentation des Königreichs Spanien in Frage gestellt, wonach bestimmte Produkte und Vorrichtungen sowohl zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sein als auch ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen können. In dieser Hinsicht genügt es, auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in einem Fall, in dem ein Gegenstand für unterschiedliche Zwecke verwendet werden kann, für jeden einzelnen Liefervorgang davon abhängt, zu welchem konkreten Zweck der Käufer diesen Gegenstand verwendet (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 65).

88      Daraus folgt, dass nach Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/112 kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Vorrichtungen und Zubehörteile angewendet werden kann, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen.

89      Somit ist der vierte Klagegrund begründet und der Klage der Kommission stattzugeben.

90      Nach alledem ist festzustellen, dass das Königreich Spanien durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes

–        auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind,

–        auf Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können, jedoch nicht üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind,

–        auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen,

–        und schließlich auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen,

gegen seine Verpflichtungen aus Art. 98 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Anhang III verstoßen hat.

 Kosten

91      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Spanien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes

–        auf medizinische Stoffe, die üblicherweise für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und dafür geeignet sind,

–        auf Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte oder Vorrichtungen, die objektiv nur zur Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können, jedoch nicht üblicherweise für die Linderung oder die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind,

–        auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu dienen können, körperliche Behinderungen von Tieren auszugleichen,

–        und schließlich auf Vorrichtungen und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich dazu verwendet werden, Behinderungen des Menschen auszugleichen, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch von Behinderten dienen,

hat das Königreich Spanien gegen seine Verpflichtungen aus Art. 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit ihrem Anhang III verstoßen.

2.      Das Königreich Spanien trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Spanisch.