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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

6. März 2014(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 17 Abs. 2 Buchst. f – Voraussetzung der Zurücksendung eines Gegenstands in den Mitgliedstaat, von dem aus er ursprünglich versandt oder befördert worden war“

In den verbundenen Rechtssachen C-606/12 und C-607/12

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale di Genova (Italien) mit Entscheidungen vom 30. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2012, in den Verfahren

Dresser-Rand SA

gegen

Agenzia delle Entrate, Direzione Provinciale, Ufficio Controlli di Genova

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter) sowie der Richter G. Arestis und A. Arabadjiev,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Dresser-Rand SA, vertreten durch P. Centore, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. De Stefano, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und C. Soulay als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Sie ergehen im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Dresser-Rand SA (im Folgenden: Dresser-Rand France), einer Gesellschaft französischen Rechts, und der Agenzia delle Entrate, Direzione Provinciale, Ufficio Controlli di Genova über Festsetzungsbescheide zur Erhebung nicht entrichteter Mehrwertsteuer für die Steuerjahre 2007 und 2008.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In Art. 14 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„(1)      Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

(2)      Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:  

c)      die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.

…“

4        Art. 17 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat.

Als ‚Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat‘ gelten die Versendung oder Beförderung eines im Gebiet eines Mitgliedstaats befindlichen beweglichen körperlichen Gegenstands durch den Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens nach Orten außerhalb dieses Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft.

(2)      Nicht als Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat gelten die Versendung oder Beförderung eines Gegenstands für die Zwecke eines der folgenden Umsätze:

f)      Erbringung einer Dienstleistung an den Steuerpflichtigen, die in Arbeiten an diesem Gegenstand besteht, die im Gebiet des Mitgliedstaats der Beendigung der Versendung oder Beförderung des Gegenstands tatsächlich ausgeführt werden, sofern der Gegenstand nach der Bearbeitung wieder an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat zurückgesandt wird, von dem aus er ursprünglich versandt oder befördert worden war;

(3)      Liegt eine der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Absatzes 2 nicht mehr vor, gilt der Gegenstand als in einen anderen Mitgliedstaat verbracht. In diesem Fall gilt die Verbringung als zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die betreffende Voraussetzung nicht mehr vorliegt.“

5        Art. 20 der genannten Richtlinie lautet:

„Als ‚innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen‘ gilt die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird.

Werden von einer nichtsteuerpflichtigen juristischen Person erworbene Gegenstände von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus versandt oder befördert und von dieser nichtsteuerpflichtigen juristischen Person in einen anderen Mitgliedstaat als den der Beendigung der Versendung oder Beförderung eingeführt, gelten die Gegenstände als vom Einfuhrmitgliedstaat aus versandt oder befördert. Dieser Mitgliedstaat gewährt dem Importeur, der gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmt oder anerkannt wurde, die Erstattung der Mehrwertsteuer für die Einfuhr, sofern der Importeur nachweist, dass der Erwerb dieser Gegenstände im Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung der Gegenstände besteuert worden ist.“

6        Nach Art. 21 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist „die Verwendung eines Gegenstands durch den Steuerpflichtigen in seinem Unternehmen, der von einem Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung aus einem anderen Mitgliedstaat, in dem der Gegenstand von dem Steuerpflichtigen im Rahmen seines in diesem Mitgliedstaat gelegenen Unternehmens hergestellt, gewonnen, be- oder verarbeitet, gekauft, im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b erworben oder eingeführt worden ist, versandt oder befördert wurde“, einem innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt.

 Italienisches Recht

7        In Art. 38 („Innergemeinschaftlicher Erwerb“) des Gesetzesdekrets Nr. 331 vom 30. August 1993 über die Harmonisierung der Steuervorschriften in verschiedenen Bereichen (GURI Nr. 203 vom 30. August 1993, S. 12) heißt es:

„1.      Mehrwertsteuer fällt an beim innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen im Inland in Ausübung unternehmerischer, handwerklicher oder freiberuflicher Tätigkeit oder aber durch im Inland steuerpflichtige juristische Personen, Vereinigungen oder andere Einrichtungen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 [(ordentliche Beilage zur GURI Nr. 292 vom 11. November 1972, im Folgenden: Dekret Nr. 633)].

2.      Als ‚innergemeinschaftlicher Erwerb‘ gilt die rechtsgeschäftliche, entgeltliche Erlangung des Eigentums oder eines anderen dinglichen Nutzungsrechts an einem Gegenstand, der durch den Lieferer als Steuerpflichtigen, den Erwerber oder einen für ihre Rechnung handelnden Dritten von einem anderen Mitgliedstaat aus ins Inland versandt oder befördert wird.

3.      Als ‚innergemeinschaftlicher Erwerb‘ gelten ferner:

b)      die Verbringung eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung aus einem anderen Mitgliedstaat ins Inland. Diese Bestimmung gilt auch dann, wenn Gegenstände aus einem anderen Unternehmen, das von derselben Person in einem anderen Mitgliedstaat betrieben wird, für unternehmerische Zwecke ihren Bestimmungsort im Inland haben;

c)      der Erwerb im Sinne von Abs. 2 durch nicht steuerpflichtige juristische Personen, Vereinigungen und andere Einrichtungen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 des [Dekrets Nr. 633];

d)      die Verbringung eines Gegenstands durch die in Buchst. c Genannten oder für ihre Rechnung ins Inland, der zuvor von ihnen in einen anderen Mitgliedstaat eingeführt wurde;

5.      Nicht als ‚innergemeinschaftlicher Erwerb‘ gelten:

a)       die Verbringung von Gegenständen, die Veredelungsvorgängen oder üblichen Behandlungen im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. h der Verordnung [(EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 188, S. 1)] bzw. Art. 18 der Verordnung [(EWG) Nr. 2503/88 des Rates vom 25. Juli 1988 über Zolllager (ABl. L 225, S. 1)] unterzogen werden, ins Inland, wenn die Gegenstände danach zum steuerpflichtigen Erwerber in den Herkunftsmitgliedstaat oder für seine Rechnung in einen anderen Mitgliedstaat oder aber an einen Ort außerhalb des Gemeinschaftsgebiets befördert oder versandt werden; die Verbringung von Gegenständen ins Inland, die vorübergehend für die Erbringung von Leistungen genutzt werden oder, wenn sie eingeführt werden, unter die Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben fielen;

7.      Die Steuer wird nicht geschuldet auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen im Inland durch einen in einem anderen Mitgliedstaat Steuerpflichtigen, der diese Gegenstände in einem anderen Mitgliedstaat erwirbt und ins Inland an eigene Abnehmer, Steuerpflichtige oder für innergemeinschaftlichen Erwerb steuerpflichtige juristische Personen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 des [Dekrets Nr. 633], versendet oder befördert, die als Schuldner der Steuer in Bezug auf die Lieferung bestimmt worden sind.

8.      Für eigene Rechnung durchgeführt gilt der innergemeinschaftliche Erwerb durch Kommissionäre ohne Vertretung.“

8        Art. 8 („Ausfuhrlieferungen“) des Dekrets Nr. 633 sieht vor:

„Als nicht steuerpflichtige Ausfuhrlieferungen gelten:

a)      Lieferungen, auch durch die Einschaltung von Kommissionären, die durch die Beförderung oder den Versand von Gegenständen an einen Ort außerhalb des Gebiets der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erfolgen, durch oder im Namen der Lieferanten oder Kommissionäre, auch im Auftrag der eigenen Abnehmer oder ihrer Kommissionäre. Die Gegenstände können für Rechnung des Abnehmers durch den Lieferanten selbst oder durch einen Dritten einer Verarbeitung, Umgestaltung oder Montage, einem Zusammenbau oder einer Anpassung an andere Gegenstände unterzogen werden. …

b)      Lieferungen durch den gebietsfremden Lieferanten oder für seine Rechnung mit Beförderung oder Versand an einen Ort außerhalb des Gebiets der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft innerhalb von 90 Tagen nach Übergabe mit Ausnahme der Gegenstände zur Ausrüstung oder Versorgung von Booten oder Sportbooten, von Sportflugzeugen oder von sonstigen Beförderungsmitteln für private Zwecke sowie der Gegenstände zur Mitführung im persönlichen Gepäck an einen Ort außerhalb des Gebiets der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; die Ausfuhr muss aus einem Sichtvermerk der Zoll- oder Poststelle auf einem Exemplar der Rechnung ersichtlich sein;

c)      Lieferungen, auch durch die Einschaltung von Kommissionären, von anderen Gegenständen als Gebäuden und Baugrundstücken sowie Dienstleistungen für Personen, die, nachdem sie Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Umsätze getätigt haben, von der Möglichkeit Gebrauch machen, Gegenstände und Dienstleistungen zu erwerben, auch durch die Einschaltung von Kommissionären, oder einzuführen, ohne die Steuer zu entrichten.

Lieferungen und Dienstleistungen im Sinne des Buchst. c werden ohne Entrichtung der Steuer erbracht gegenüber Personen im Sinne von Buchst. a, wenn es sich um Inländer handelt, und gegenüber Personen, die Lieferungen im Sinne von Buchst. b des vorstehenden Absatzes durchführen, auf ihre schriftliche Erklärung hin und auf ihre Verantwortung, und zwar in den Grenzen des Gesamtbetrags der Gegenleistungen für die Lieferungen im Sinne der genannten Buchstaben, die von den genannten Personen im vorangegangen Kalenderjahr durchgeführt wurden. Die Abnehmer und die Kommissionäre können von diesem Betrag für den Erwerb von Gegenständen, die innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Übergabe in den Ursprungsstaat ausgeführt werden, zur Gänze und in Bezug auf den Erwerb von anderen Gegenständen oder von Dienstleistungen in den Grenzen des Unterschieds zwischen diesem Betrag und dem Betrag der Lieferungen von Gegenständen, die ihnen gegenüber im selben Jahr im Sinne von Buchst. a erfolgt sind, Gebrauch machen …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        Dresser-Rand France fertigt industrielle Erdgaskompressoren.

10      Im Rahmen dieser Tätigkeit schloss sie einen Vertrag mit einem Endkunden, einer spanischen Gesellschaft, über die Lieferung von aus mehreren Teilen zusammengesetzten Gegenständen. Zur Vertragserfüllung verwendete sie Kompressoren, die aus ihren chinesischen Niederlassungen stammten und von der Dresser-Rand Italia Srl (im Folgenden: Dresser-Rand Italia) eingeführt worden waren.

11      Dresser-Rand France führte im italienischen Hoheitsgebiet bestimmte, für die Verwendung der eingeführten Kompressoren erforderliche Bestandteile aus Frankreich ein. Dann schloss sie mit der FB ITMI SpA (im Folgenden: FB ITMI), einer Subunternehmerin mit Sitz in Italien, einen Vertrag über die Lieferung weiterer Bestandteile, die für den Betrieb und die Installation der betroffenen Gegenstände beim Endkunden erforderlich sind. Schließlich versandte FB ITMI diese zusammengebauten Gegenstände im Namen und für Rechnung von Dresser-Rand Italia, die als Steuervertreterin von Dresser-Rand France fungiert, direkt an den Endkunden.

12      FB ITMI stellte Dresser-Rand Italia die Umsätze betreffend die zusammenhängenden Leistungen des Zusammenbaus und der Anpassung sowie der Lieferung der betreffenden Gegenstände in Rechnung. Dresser-Rand Italia stellte in ihrer Eigenschaft als Steuervertreterin von Dresser-Rand France die Rechnung über alle an den Endkunden versandten Gegenstände aus.

13      Dresser-Rand Italia als Steuervertreterin von Dresser-Rand France war unter Berufung auf die Eigenschaft als gewöhnlicher Exporteur der Ansicht, nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 des Dekrets Nr. 633 die von FB ITMI bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen ohne Entrichtung der Mehrwertsteuer erwerben zu können, was von der Finanzverwaltung in Abrede gestellt wird. Da die Einstufung als gewöhnlicher Exporteur von der Qualifizierung der Verbringung der Gegenstände von Frankreich nach Italien abhängt, betrifft der Streitpunkt zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens diese Qualifizierung.

14      So hält Dresser-Rand France die Verbringung der Kompressoren von Frankreich nach Italien für einen „gleichgestellten innergemeinschaftlichen Erwerb auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der [Mehrwertsteuerrichtlinie]“. Ferner führe der Verkauf der zusammengebauten Gegenstände an den Endkunden, der vom italienischen Hoheitsgebiet aus erfolge, zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung.

15      Die Agenzia delle Entrate, Direzione Provinciale, Ufficio Controlli di Genova macht geltend, die Verbringung von Waren von Frankreich nach Italien werde durch Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie geregelt und falle somit unter die Nichterhebungsregelung des Art. 38 Abs. 5 Buchst. a des Gesetzesdekrets Nr. 331 vom 30. August 1993 über die Harmonisierung der Steuervorschriften in verschiedenen Bereichen. Der Vertrag zwischen Dresser-Rand France und FB ITMI habe nämlich nicht die Lieferung eines neuen Gegenstands, sondern die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand. Folglich könne der mit diesem Vertrag vorgesehene Umsatz nicht einer Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gleichgestellt werden.

16      Dresser-Rand France wendet sich gegen die Anwendung dieser Nichterhebungsregelung im Ausgangsverfahren und begründet dies damit, dass zum einen die Tätigkeit von FB ITMI hauptsächlich in der Fertigung und Lieferung von Gegenständen bestehe und dass zum anderen die ins italienische Hoheitsgebiet verbrachten Gegenstände, anders als es die Mehrwertsteuerrichtlinie für die Anwendung dieser Regelung vorsehe, nicht in den Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt würden.

17      Vor diesem Hintergrund hat die Commissione tributaria provinciale di Genova beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C-606/12 und C-607/12 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann ein Umsatz, der darin besteht, dass Gegenstände von einem Mitgliedstaat in das italienische Hoheitsgebiet verbracht werden, um zu prüfen, ob sie sich mit anderen, im Inland erworbenen Gegenständen zusammenfügen lassen, ohne dass irgendein Eingriff an den nach Italien eingeführten Gegenständen vorgenommen wird, unter die Wendung „Arbeiten an diesem Gegenstand“ in Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, und ist es dabei von Nutzen, die Art der zwischen FB ITMI und Dresser-Rand Italia erfolgten Umsätze zu beurteilen?

2.      Ist Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass in den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten nicht vorgesehen werden kann, dass die Versendung oder Beförderung von Gegenständen nicht als Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat behandelt wird, es sei denn, die Gegenstände kehren in den Mitgliedstaat zurück, von dem aus sie ursprünglich versandt oder befördert worden waren?

18      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. Januar 2013 sind die Rechtssachen C-606/12 und C-607/12 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

19      Sowohl den Vorlageentscheidungen als auch den Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens ist zu entnehmen, dass möglicherweise der in Art. 14 der Mehrwertsteuerrichtlinie definierte Begriff „Lieferung von Gegenständen“ mit dem in Art. 20 dieser Richtlinie definierten Begriff „innergemeinschaftlicher Erwerb“ durcheinandergebracht wird.

20      Wie nämlich Rn. 14 des vorliegenden Urteils zeigt, wird auf den Begriff des innergemeinschaftlichen Erwerbs mehrfach im Zusammenhang mit Art. 17 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie Bezug genommen, obwohl dieser Begriff Gegenstand des Art. 21 dieser Richtlinie ist.

21      So stellt Art. 17 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmte Fälle der Verbringung von Gegenständen innergemeinschaftlichen Lieferungen gleich und betrifft in keiner Weise den innergemeinschaftlichen Erwerb.

22      Deshalb ist davon auszugehen, dass die im vorliegenden Fall gestellten Fragen nicht den Begriff des innergemeinschaftlichen Erwerbs, sondern den Begriff der Verbringung von Gegenständen im Sinne von Art. 17 der Mehrwertsteuerrichtlinie betreffen.

 Zur zweiten Frage

23      Mit seiner zuerst zu prüfenden zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er, abgesehen von den Fällen, in denen die fraglichen Gegenstände in den Mitgliedstaat zurückkehren, von dem aus sie ursprünglich versandt oder befördert wurden, nicht die Möglichkeit zulässt, die Versendung oder Beförderung von Gegenständen in einen anderen Mitgliedstaat in den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten nicht als Verbringung in diesen Mitgliedstaat zu behandeln.

24      Zunächst ist auf den Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie selbst zu verweisen, da er ausdrücklich bestimmt, dass die Versendung eines Gegenstands für die Zwecke der Erbringung einer Dienstleistung an den Steuerpflichtigen nicht als Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat gilt, sofern der Gegenstand danach wieder an den Steuerpflichtigen in dem Ursprungsmitgliedstaat, d. h. dem Mitgliedstaat, von dem aus er ursprünglich versandt worden war, zurückgesandt wird.

25      Die Anwendung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. f dieser Richtlinie ist somit ausdrücklich an die Voraussetzung geknüpft, dass der Gegenstand in seinen Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt wird.

26      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Art. 17 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Reihe von Fällen aufzählt, darunter den in Buchst. f geregelten, die keine „Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellen.

27      Somit ergibt sich aus dem Aufbau und dem Wortlaut von Art. 17 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass sein Abs. 2 eine abschließende Liste von Ausnahmefällen vorsieht, die als solche eng auszulegen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Mai 2013, TNT Express Worldwide, C-169/12, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Schließlich ist daran zu erinnern, dass das Ziel der mit dieser Richtlinie errichteten Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel darin besteht, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (vgl. u. a. Urteile vom 22. April 2010, X und fiscale eenheid Facet-Facet Trading, C-536/08 und C-539/08, Slg. 2010, I-3581, Rn. 30, und vom 18. November 2010, X, C-84/09, Slg. 2010, I-11645, Rn. 22 und 31). Somit ist die in Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Ausnahme insbesondere in Ansehung dieses Ziels auszulegen.

29      Nach dem in der vorstehenden Randnummer dargestellten Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat ist Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie also dahin auszulegen, dass es nur zulässig ist, die Verbringung eines Gegenstands in einen anderen Mitgliedstaat nicht als innergemeinschaftliche Lieferung zu qualifizieren, soweit dieser Gegenstand vorübergehend in diesem Mitgliedstaat bleibt und danach in den Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt werden soll.

30      Nur wenn die Verbringung eines Gegenstands in einen anderen Mitgliedstaat nicht zum Endverbrauch des Gegenstands in diesem Mitgliedstaat, sondern zur Durchführung eines Bearbeitungsvorgangs an dem Gegenstand erfolgt und dieser danach wieder in den Ursprungsmitgliedstaat zurückgesandt wird, darf nämlich eine solche Verbringung nicht als innergemeinschaftliche Lieferung qualifiziert werden.

31      Demnach ist die Zurücksendung des Gegenstands an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat, von dem aus der Gegenstand ursprünglich versandt oder befördert worden war, als notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen.

32      Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Gegenstand, nachdem die Arbeiten an ihm im Mitgliedstaat der Beendigung seiner Versendung oder Beförderung vorgenommen worden sind, zwingend an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat zurückgesandt werden muss, von dem aus er ursprünglich versandt oder befördert worden war, damit seine Versendung oder Beförderung nicht als Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat qualifiziert wird.

 Zur ersten Frage

33      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Prüfung, ob sich Gegenstände, die von einem ersten Mitgliedstaat aus in das Gebiet eines zweiten Mitgliedstaats verbracht worden sind, mit anderen, im Gebiet des letztgenannten Staates erworbenen Gegenständen zusammenfügen lassen, ohne dass irgendein Eingriff an den verbrachten Gegenständen vorgenommen wird, unter die Wendung „Arbeiten an diesem Gegenstand“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

34      Im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof entscheidet dieser im Wege der Vorabentscheidung zwar grundsätzlich ohne Prüfung der Umstände, die die nationalen Gerichte zur Vorlage der Fragen veranlasst haben und unter denen sie die Bestimmung des Unionsrechts, um deren Auslegung sie ihn ersuchen, anzuwenden beabsichtigen. Anders verhält es sich jedoch insbesondere dann, wenn die Bestimmung des Unionsrechts, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, offensichtlich nicht anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C-297/88 und C-197/89, Slg. 1990, I-3763, Rn. 39 und 40, und vom 14. Juni 2007, Telefónica O2 Czech Republic, C-64/06, Slg. 2007, I-4887, Rn. 22 und 23).

35      Wie oben in Rn. 31 ausgeführt, ist die Zurücksendung des Gegenstands an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat, von dem aus der Gegenstand ursprünglich versandt oder befördert worden war, notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie.

36      Aus den Vorlageentscheidungen ergibt sich aber, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände nicht in den Ursprungsmitgliedstaat, also die Französische Republik, zurückgesandt wurden, nachdem die Arbeiten an ihnen in Italien vorgenommen worden waren.

37      Da die Voraussetzung der Zurücksendung des Gegenstands in den Ursprungsmitgliedstaat nicht erfüllt ist, findet Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie in den Ausgangsverfahren keine Anwendung.

38      Daher braucht die erste Frage nicht beantwortet zu werden.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 17 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Gegenstand, nachdem die Arbeiten an ihm im Mitgliedstaat der Beendigung seiner Versendung oder Beförderung vorgenommen worden sind, zwingend an den Steuerpflichtigen in dem Mitgliedstaat zurückgesandt werden muss, von dem aus er ursprünglich versandt oder befördert worden war, damit seine Versendung oder Beförderung nicht als Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat qualifiziert wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.