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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

24. Februar 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 AEUV – Gleichbehandlung von gebietsfremden Arbeitnehmern – Steuervorteil, der in der Steuerbefreiung von Kostenerstattungen durch den Arbeitgeber liegt – Pauschal gewährter Vorteil – Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beschäftigungsorts – Voraussetzung eines Wohnsitzes in einer bestimmten Entfernung zur Grenze des Mitgliedstaats des Beschäftigungsorts“

In der Rechtssache C-512/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 9. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2013, in dem Verfahren

C. G. Sopora

gegen

Staatssecretaris van Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richter A. Rosas und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie des Richters C. G. Fernlund (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzlerin: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Sopora, vertreten durch die Steuerberater P. Kavelaars, J. Schaap und J. Korving,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. de Ree und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und J. Enegren als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. November 2014

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Sopora und dem Staatssecretaris van Financiën über die Ablehnung des Antrags von Herrn Sopora auf pauschale Steuerbefreiung einer Kostenerstattung im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung in den Niederlanden.

 Rechtlicher Rahmen

3        Nach Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes von 1964 über die Lohnsteuer (Wet op de loonbelasting 1964) in der Fassung von 2012 (im Folgenden: Lohnsteuergesetz) gehören bestimmte Kostenerstattungen, die den Arbeitnehmern gezahlt werden, zum steuerpflichtigen Lohn.

4        Die Kostenerstattungen sind aber gemäß Art. 31a Abs. 2 Buchst. e des Lohnsteuergesetzes von der Lohnsteuer befreit, wenn sie gewährt werden, um die Zusatzkosten, sogenannte „extraterritoriale Kosten“, auszugleichen, die einem Arbeitnehmer dadurch entstehen, dass er sich während eines Zeitraums von nicht mehr als acht Jahren außerhalb seines Herkunftslands aufhält.

5        Die Verordnung vom 17. Mai 1965 zur Durchführung des Lohnsteuergesetzes von 1964 in der durch die Verordnung vom 23. Dezember 2010 geänderten Fassung enthält die Durchführungsvorschriften zu diesem Gesetz, die seit dem 1. Januar 2012 gelten. Sie sieht eine Lohnsteuerbefreiung zugunsten des „eingereisten Arbeitnehmers“ vor, der in Art. 10e Abs. 2 Buchst. b definiert wird als:

„ein … in einem anderen Land angeworbener … Arbeitnehmer …:

1.     mit besonderer Sachkunde, die auf dem niederländischen Arbeitsmarkt nicht oder nur spärlich vorhanden ist,

2.      der länger als zwei Drittel des Zeitraums von 24 Monaten vor Beginn seiner Beschäftigung in den Niederlanden in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze, mit Ausnahme der niederländischen Hoheitsgewässer und der ausschließlichen Wirtschaftszone des Königreichs gemäß Art. 1 des Gesetzes zur Schaffung einer ausschließlichen Wirtschaftszone, gewohnt hat“.

6        Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die für extraterritoriale Kosten gewährten Kostenerstattungen in Höhe von bis zu 30 % der Bemessungsgrundlage auf gemeinsamen Antrag des „eingereisten Arbeitnehmers“ und des Arbeitgebers steuerfrei sind, ohne dass der Nachweis dieser Kosten erbracht werden muss (im Folgenden: Pauschalregelung). Die Bemessungsgrundlage setzt sich im Wesentlichen aus dem Arbeitslohn und den Kostenerstattungen für extraterritoriale Kosten zusammen. Im Übrigen ist es immer möglich, den Nachweis höherer Kosten zu erbringen und eine Steuerbefreiung der genannten Kostenerstattung in der Höhe dieser Kosten zu erhalten. Außerdem kann auch ein in einem anderen Mitgliedstaat angeworbener Arbeitnehmer, der nicht die Voraussetzung des Wohnsitzes in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze erfüllt, eine Steuerbefreiung der Kostenerstattung für diejenigen extraterritorialen Kosten erhalten, deren Nachweis er erbringen kann.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7        Herr Sopora war in den Niederlanden vom 1. Februar 2012 bis 31. Dezember 2012 bei einer Gesellschaft, die mit seinem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber verbunden ist, angestellt. In den letzten 24 Monaten vor Beginn seiner Beschäftigung in den Niederlanden hatte Herr Sopora seinen Wohnsitz in Deutschland in einer Entfernung von weniger als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze. Er behielt im Folgenden seinen Wohnsitz in Deutschland bei und mietete eine Wohnung in den Niederlanden, um dort während eines Teils der Woche zu wohnen.

8        Herr Sopora und sein Arbeitgeber beantragten bei der zuständigen Behörde, die Pauschalregelung anzuwenden.

9        Mit Bescheid vom 11. April 2012, der nach einem Einspruch von Herrn Sopora bestätigt wurde, stellte diese Behörde fest, dass Herr Sopora nicht die Voraussetzung erfülle, wonach er länger als zwei Drittel des Zeitraums von 24 Monaten vor Beginn seiner Beschäftigung in den Niederlanden in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze hätte wohnen müssen.

10      Herr Sopora erhob gegen diese Entscheidung Klage bei der Rechtbank te Breda (Gericht Breda). Diese wies die Klage ab, nachdem sie insbesondere festgestellt hatte, dass das Erfordernis, wonach der Arbeitnehmer in einer solchen Entfernung zur niederländischen Grenze wohnen müsse, nicht gegen das Unionsrecht verstoße.

11      Herr Sopora legte gegen die Entscheidung der Rechtbank te Breda Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden (Oberstes Gericht der Niederlande) ein.

12      In seiner Vorlageentscheidung fragt dieses Gericht nach der Vereinbarkeit der Pauschalregelung mit dem Unionsrecht.

13      Es weist zunächst darauf hin, dass der niederländische Gesetzgeber ausgeführt habe, dass aus anderen Mitgliedstaaten stammende Arbeitnehmer in der Regel höhere Lebenshaltungskosten hätten als Arbeitnehmer, die seit Langem in den Niederlanden wohnten. Um Streitigkeiten über die Höhe dieser Kosten zu vermeiden, habe der Gesetzgeber ursprünglich die Pauschalregelung in jedem Fall und ohne weiteren Nachweis auf die erstgenannten Arbeitnehmer anwenden wollen.

14      Das vorlegende Gericht nennt sodann die Gründe, aus denen zum 1. Januar 2012 das Kriterium einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze eingeführt worden sei.

15      Es erklärt, dass die Pauschalregelung umfassender in Anspruch genommen worden sei, als dies bei ihrer Einführung beabsichtigt gewesen sei, und dass dies zu Wettbewerbsverzerrungen im Grenzgebiet zulasten der in den Niederlanden wohnenden Arbeitnehmer geführt habe. Die in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber hätten nämlich häufiger außerhalb dieses Mitgliedstaats wohnende Arbeitnehmer eingestellt, denen sie aufgrund der Anwendung der Pauschalregelung ein geringeres Gehalt hätten zahlen und ihnen gleichzeitig für die gleiche Arbeit ein höheres Nettoeinkommen hätten zusichern können. Der nationale Gesetzgeber habe dieser Situation abhelfen wollen, indem er diejenigen Arbeitnehmer von der Pauschalregelung ausgenommen habe, von denen angenommen werden könne, dass sie geringe oder gar keine extraterritorialen Kosten hätten, weil sie täglich von ihrem Wohnort zu ihrem Beschäftigungsort pendeln könnten. Deshalb habe er das Entfernungskriterium von 150 Kilometern Luftlinie zwischen dem Wohnort eines Arbeitnehmers, der im Herkunftsmitgliedstaat wohne, und der niederländischen Grenze eingeführt. Der Gesetzgeber sei der Ansicht gewesen, dass der Arbeitnehmer bei einer darüber hinausgehenden Entfernung nicht täglich zu seinem Beschäftigungsort pendeln könne.

16      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat der nationale Gesetzgeber anerkannt, dass bei Arbeitnehmern, die im Herkunftsmitgliedstaat in einer Entfernung von weniger als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze wohnten, die Entfernung, die sie vom Beschäftigungsort trenne, beträchtlich variieren könne. Der nationale Gesetzgeber sei allerdings der Auffassung gewesen, dass die Berücksichtigung der Entfernung zwischen dem Beschäftigungsort in den Niederlanden und dem Ort, an dem der Arbeitnehmer im Herkunftsmitgliedstaat vor dem Beginn seiner Beschäftigung in den Niederlanden gewohnt habe, zu Problemen bei der Durchführung durch die Steuerbehörden geführt hätte.

17      Das vorlegende Gericht fragt sich schließlich, ob das aufgestellte Entfernungskriterium zu einer Unterscheidung zwischen vergleichbaren Situationen führe und ob, falls es eine Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstelle, diese gerechtfertigt werden könne.

18      Der Hoge Raad der Nederlanden hat unter diesen Umständen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Liegt eine – der Rechtfertigung bedürfende – mittelbare Unterscheidung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder eine Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vor, wenn die gesetzliche Regelung eines Mitgliedstaats zugunsten „eingereister Arbeitnehmer“ eine steuerfreie Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten ermöglicht und einem Arbeitnehmer, der in der Zeit vor seiner Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat im Ausland mehr als 150 Kilometer von der Grenze dieses Mitgliedstaats entfernt wohnte, ohne weiteren Nachweis eine pauschal festgelegte steuerfreie Kostenerstattung gewährt werden kann, selbst wenn der Erstattungsbetrag über den tatsächlichen extraterritorialen Kosten liegt, während für einen Arbeitnehmer, der im besagten Zeitraum weniger weit von diesem Mitgliedstaat entfernt wohnte, die steuerfreie Erstattung auf die Höhe der nachweisbaren tatsächlichen extraterritorialen Kosten begrenzt ist?

2.      Sofern Frage 1 zu bejahen ist: Beruht die betreffende niederländische Regelung in der Verordnung vom 17. Mai 1965 zur Durchführung des Lohnsteuergesetzes von 1964 in diesem Fall auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses?

3.      Sofern auch Frage 2 zu bejahen ist: Geht das 150-Kilometer-Kriterium in der genannten Regelung in diesem Fall über das zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erforderliche Maß hinaus?

 Zu den Vorlagefragen

19      Zunächst ist festzustellen, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit einem Steuervorteil betreffen, den ein Mitgliedstaat Arbeitnehmern gewährt, die vor der Aufnahme einer Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat in einer bestimmten Entfernung zur Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats wohnten. Dieser Vorteil besteht in einer pauschalen Lohnsteuerbefreiung einer Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten in Höhe von bis zu 30 % der Bemessungsgrundlage, ohne dass die Arbeitnehmer nachweisen müssen, dass ihnen diese Kosten tatsächlich entstanden sind oder dass sie die Höhe dieser Kostenerstattung erreichen.

20      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, mit der ein Mitgliedstaat zugunsten von Arbeitnehmern, die vor der Aufnahme einer Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, die Gewährung eines Steuervorteils vorsieht, der in der pauschalen Steuerbefreiung einer Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten besteht, sofern diese Arbeitnehmer in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats wohnten.

21      Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV umfasst die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

22      Der Gerichtshof hat insbesondere entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Entlohnung seiner Wirkung beraubt wäre, wenn er durch diskriminierende nationale Vorschriften über die Einkommensteuer beeinträchtigt werden könnte (Urteile Biehl, C-175/88, EU:C:1990:186, Rn. 12, und Schumacker, C-279/93, EU:C:1995:31, Rn. 23).

23      Nach ständiger Rechtsprechung verbieten die Vorschriften über die Gleichbehandlung außerdem nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale wie das Wohnsitzkriterium tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteile Sotgiu, 152/73, EU:C:1974:13, Rn. 11, und Schumacker, EU:C:1995:31, Rn. 26).

24      Damit verbietet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer einem Mitgliedstaat zum einen, eine Maßnahme zu erlassen, die die Arbeitnehmer mit Wohnsitz in seinem Hoheitsgebiet begünstigt, wenn sie zu einer Begünstigung der eigenen Staatsangehörigen führt und so eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit schafft.

25      Angesichts des Wortlauts von Art. 45 Abs. 2 AEUV, wonach die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung „der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten“ angestrebt wird, in Verbindung mit Art. 26 AEUV verbietet die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum anderen auch die unterschiedliche Behandlung gebietsfremder Arbeitnehmer, wenn sie zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung der Staatsangehörigen bestimmter Mitgliedstaaten gegenüber anderen Staatsangehörigen führt.

26      Darüber hinaus ist bei der Prüfung der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung das mit dieser verfolgte Ziel zu berücksichtigen, die Freizügigkeit der in anderen Mitgliedstaaten wohnenden Arbeitnehmer zu erleichtern, die eine Beschäftigung in den Niederlanden aufgenommen haben und daher möglicherweise Zusatzkosten zu tragen haben, indem diesen Arbeitnehmern und nicht den Arbeitnehmern, die seit Langem in den Niederlanden wohnen, der Vorteil der Pauschalregelung gewährt wird.

27      Der niederländische Gesetzgeber hat unter Berücksichtigung dessen, dass es zum einen ab einer bestimmten Entfernung zwischen dem in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Wohnort der betreffenden Arbeitnehmer und ihrem Beschäftigungsort in den Niederlanden nicht mehr möglich ist, täglich zu pendeln, so dass diese Arbeitnehmer im Prinzip gezwungen sind, auch in den Niederlanden zu wohnen, und dass zum anderen die damit einhergehenden zusätzlichen Lebenshaltungskosten beträchtlich sind, diese Entfernung auf 150 Kilometer zur niederländischen Grenze und den Höchstbetrag der pauschalen Steuerbefreiung auf 30 % der Bemessungsgrundlage festgelegt.

28      Wie in Rn. 6 des vorliegenden Urteils ausgeführt, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich die Pauschalregelung niemals zulasten dieser Arbeitnehmer auswirkt. Wenn ihre tatsächlich entstandenen extraterritorialen Kosten die pauschale Obergrenze von 30 % übersteigen, können sie nämlich, auch wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Pauschalregelung erfüllt sind, unter Vorlage entsprechender Nachweise eine Steuerbefreiung der Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten erhalten.

29      Das vorlegende Gericht weist zudem darauf hin, dass den Arbeitnehmern, die die Voraussetzung eines Wohnsitzes in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur niederländischen Grenze nicht erfüllen, gemäß Art. 31a Abs. 2 Buchst. e des Lohnsteuergesetzes eine Steuerbefreiung der Kostenerstattung für tatsächlich entstandene extraterritoriale Kosten gewährt werden kann, wenn sie entsprechende Nachweise vorlegen. In diesem Fall ist jedoch keine Überkompensierung der Kosten möglich, anders als in den Situationen, in denen die pauschale Steuerbefreiung angewendet wird, die unabhängig von der tatsächlichen Höhe der extraterritorialen Kosten und sogar dann gewährt wird, wenn gar keine Kosten anfallen.

30      Demnach können alle gebietsfremden Arbeitnehmer, ob ihre Wohnungen mehr als 150 Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt sind oder sich in einer geringeren Entfernung befinden, eine Steuerbefreiung der Kostenerstattung für tatsächliche extraterritoriale Kosten erhalten. Die administrative Vereinfachung der Erklärung dieser extraterritorialen Kosten, die sich aus der Pauschalregelung ergibt, bleibt jedoch den Arbeitnehmern vorbehalten, die mehr als 150 Kilometer von dieser Grenze entfernt wohnen.

31      Fest steht auch, dass dadurch der Großteil der belgischen Arbeitnehmer sowie ein Teil der deutschen, der französischen, der luxemburgischen und der aus dem Vereinigten Königreich stammenden Arbeitnehmer von der Pauschalregelung ausgeschlossen sind.

32      Für die pauschale Gewährung eines Steuervorteils, der Situationen abdecken soll, in denen die materiellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Vorteils zweifellos erfüllt sind, ist aber charakteristisch, dass es andere Situationen gibt, in denen die Voraussetzungen aus verschiedenen Gründen ebenfalls erfüllt sind und die im Übrigen einen Anspruch auf diesen Vorteil begründen, sofern entsprechende Nachweise vorgelegt werden.

33      Zwar können Erwägungen administrativer Art es nicht rechtfertigen, dass ein Mitgliedstaat von den Vorschriften des Unionsrechts abweicht (Urteil Terhoeve, C-18/95, EU:C:1999:22, Rn. 45), doch lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch entnehmen, dass den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit abgesprochen werden kann, legitime Ziele durch die Einführung allgemeiner Vorschriften zu verfolgen, die von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können (vgl. Urteile Kommission/Italien, C-110/05, EU:C:2009:66, Rn. 67, Josemans, C-137/09, EU:C:2010:774, Rn. 82, und Kommission/Spanien, C-400/08, EU:C:2011:172, Rn. 124).

34      Der alleinige Umstand, dass Begrenzungen für die Entfernung in Bezug auf den Wohnort der Arbeitnehmer und die Höhe der gewährten Befreiung festgelegt wurden, indem auf die niederländische Grenze bzw. die Bemessungsgrundlage als Ausgangspunkt abgestellt wurde, kann daher, auch wenn damit entsprechend den Ausführungen des vorlegenden Gerichts eine gewisse Ungenauigkeit verbunden ist, keine mittelbare Diskriminierung oder Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer begründen. Dies gilt umso mehr, wenn sich wie im vorliegenden Fall die Pauschalregelung zugunsten der Arbeitnehmer auswirkt, die insoweit von ihr profitieren, als sie die administrativen Schritte, die sie für eine Steuerbefreiung der Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten unternehmen müssen, erheblich reduziert.

35      Etwas anderes könnte allerdings dann gelten, wenn – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist – die genannten Begrenzungen so festgelegt worden sind, dass die Pauschalregelung systematisch zu einer deutlichen Überkompensierung der tatsächlich entstandenen extraterritorialen Kosten führt.

36      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, mit der ein Mitgliedstaat zugunsten von Arbeitnehmern, die vor der Aufnahme einer Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, die Gewährung eines Steuervorteils vorsieht, der in der pauschalen Steuerbefreiung einer Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten in Höhe von bis zu 30 % der Bemessungsgrundlage besteht, sofern diese Arbeitnehmer in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats wohnten; es sei denn – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, diese Begrenzungen sind so festgelegt worden, dass diese Steuerbefreiung systematisch zu einer deutlichen Überkompensierung der tatsächlich entstandenen extraterritorialen Kosten führt.

 Kosten

37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, mit der ein Mitgliedstaat zugunsten von Arbeitnehmern, die vor der Aufnahme einer Beschäftigung in seinem Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, die Gewährung eines Steuervorteils vorsieht, der in der pauschalen Steuerbefreiung einer Kostenerstattung für extraterritoriale Kosten in Höhe von bis zu 30 % der Bemessungsgrundlage besteht, sofern diese Arbeitnehmer in einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern zur Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats wohnten; es sei denn – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, diese Begrenzungen sind so festgelegt worden, dass diese Steuerbefreiung systematisch zu einer deutlichen Überkompensierung der tatsächlich entstandenen extraterritorialen Kosten führt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.