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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

10. Mai 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Beamter der Europäischen Union – Statut – Zwingender Anschluss an das System der sozialen Sicherheit der Organe der Europäischen Union – In einem Mitgliedstaat erzielte Einkünfte aus Immobilien – Pflicht nach dem Recht eines Mitgliedstaats, den allgemeinen Sozialbeitrag, die Sozialabgabe und die Zusatzbeiträge zu entrichten – Beitrag zur Finanzierung der Leistungen des Systems der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats“

In der Rechtssache C-690/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative d’appel de Douai (Verwaltungsberufungsgericht Douai, Frankreich) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 2015, in dem Verfahren

Wenceslas de Lobkowicz

gegen

Ministère des Finances et des Comptes publics

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentinnen M. Berger und A. Prechal, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan, D. Šváby, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund und F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn de Lobkowicz, vertreten durch G. Hannotin, avocat,

–        der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, R. Coesme und D. Segoin als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Dezember 2016

folgendes

Urteil

1        Mit dem Vorabentscheidungsersuchen soll durch Auslegung des Unionsrechts geklärt werden, ob ein Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts entsprechend dem existiert, der in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, die wiederum durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. 1999, L 38, S. 1) geändert wurde (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), und in weiterer Folge in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) zum Ausdruck kommt und wie ihn der Gerichtshof im Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter (C-623/13, EU:C:2015:123), ausgelegt hat.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Wenceslas de Lobkowicz, einem im Ruhestand befindlichen Beamten der Europäischen Kommission, und dem Ministère des Finances et des Comptes publics (Ministerium für Finanzen und Haushalt, Frankreich) wegen der Verpflichtung, für die Jahre 2008 bis 2011 auf in Frankreich erzielte Einkünfte aus Immobilien Sozialbeiträge und Sozialabgaben zu entrichten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 12 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (ABl. 2010, C 83, S. 266, im Folgenden: Protokoll) lautet wie folgt:

„Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Union ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlt, wird zugunsten der Union eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahren erhoben, die vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung der betroffenen Organe festgelegt werden.

Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf die von der Union gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit.“

4        In Art. 13 dieses Protokolls heißt es:

„Die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union, die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlassen, in dem sie zur Zeit des Dienstantritts bei der Union ihren steuerlichen Wohnsitz haben werden in den beiden genannten Staaten für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie für die Anwendung der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten der Union geschlossenen Abkommen so behandelt, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten …

…“

5        Art. 14 des Protokolls lautet:

„Das Europäische Parlament und der Rat legen durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung der betroffenen Organe das System der Sozialleistungen für die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union fest.“

6        Das Statut der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Union wurden durch die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. 1968, L 56, S. 1), in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1324/2008 des Rates vom 18. Dezember 2008 (ABl. 2008, L 345, S. 17) geänderten Fassung festgelegt.

7        Art. 72 des Statuts bestimmt:

„(1)      In Krankheitsfällen wird dem Beamten … nach einer von den Organen der [Union] im gegenseitigen Einvernehmen nach Stellungnahme des Statutsbeirats beschlossenen Regelung Ersatz der Aufwendungen bis zu 80 v. H. gewährleistet. …

Der zur Sicherstellung dieser Krankheitsfürsorge erforderliche Betrag wird zu einem Drittel von dem Berechtigten getragen; dieser Beitrag darf jedoch 2 v. H. seines Grundgehalts nicht überschreiten.

…“

8        Art. 73 des Statuts sieht vor:

„(1)      Der Beamte wird vom Tage seines Dienstantritts an gemäß einer von den Organen der [Union] im gegenseitigen Einvernehmen nach Stellungnahme des Statutsbeirats beschlossenen Regelung für den Fall von Berufskrankheiten und Unfällen gesichert. Für die Sicherung bei Krankheit und Unfällen außerhalb des Dienstes hat er bis zu 0,1 v. H. seines Grundgehalts als Beitrag zu leisten.

…“

9        In Art. 83 des Statuts heißt es:

„(1)      Die Versorgungsleistungen werden aus dem Haushalt der [Union] gezahlt. Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Zahlung dieser Leistungen gemeinsam nach dem für die Finanzierung dieser Ausgaben festgelegten Aufbringungsschlüssel.

(2)      Die Beamten tragen zu einem Drittel zur Finanzierung dieser Versorgung bei. Der Beitrag wird auf 10,9 % des Grundgehalts festgesetzt, wobei die Berichtigungskoeffizienten (Art. 64) außer Betracht bleiben. Der Beitrag wird monatlich vom Gehalt des Beamten einbehalten. …

…“

10      Der Beitragssatz nach Art. 83 Abs. 2 des Statuts wird jährlich angepasst. So wurde er zum 1. Juli der Jahre 2009 bis 2011, um die es im Ausgangsverfahren geht, auf 11,3 %, 11,6 % bzw. 11 % festgesetzt.

11      Die Verordnung Nr. 1408/71 gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 „für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene“.

12      Nach Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung „unterliegen Personen, für die [sie] gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel“.

13      Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 883/2004 am 1. Mai 2010 aufgehoben. Art. 2 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sind jedoch im Wesentlichen identisch mit Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004.

 Französisches Recht

14      Nach Art. L. 136-6 des Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung sind im Sinne von Art. 4 B des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) in Frankreich steueransässige natürliche Personen nach Art. 1600-0 C des Allgemeinen Steuergesetzbuchs, der zu dessen Bestimmungen über den „allgemeinen, für die Caisse nationale des allocations familiales [(Nationalkasse für Familienbeihilfen)], den Fonds de solidarité vieillesse [(Solidaritätsfonds für das Alter)] und die Pflichtkrankenversicherungen erhobenen Sozialbeitrag“ (im Folgenden: CSG) gehört, zur Abführung eines Beitrags verpflichtet, der auf den für die Festsetzung der Einkommensteuer auf die Einkünfte aus dem Vermögen, u. a. auf die Einkünfte aus Immobilien, ermittelten Nettobetrag erhoben wird.

15      Nach Art. 1600-0 F bis des Allgemeinen Steuergesetzbuchs in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung werden diese Personen außerdem gemäß Art. L. 245-14 des Sozialgesetzbuchs zu einer „Sozialabgabe“ herangezogen, die laut dem auf die fraglichen Jahre anwendbaren Art. L. 245-16 des Sozialgesetzbuchs 2 % dieser Einkünfte betrug. Darüber hinaus werden auf diese Einkünfte gemäß Art. L. 14-10-4 des Code de l’action sociale et des familles (Sozial- und Familiengesetzbuch) ein Zusatzbeitrag von 0,3 % und gemäß Art. L. 262-24 des Sozial- und Familiengesetzbuchs ein Zusatzbeitrag von 1,1 % erhoben.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

16      Herr de Lobkowicz, ein französischer Staatsangehöriger, war von 1979 bis zu seiner am 1. Januar 2016 erfolgten Versetzung in den Ruhestand Beamter im Dienst der Kommission. Damit ist er dem gemeinsamen System der sozialen Sicherheit der Organe der Union angeschlossen.

17      Nach Art. 13 des Protokolls hat Herr de Lobkowicz seinen steuerlichen Wohnsitz in Frankreich. Er erzielt dort Einkünfte aus Immobilien. Für die Jahre 2008 bis 2011 wurden diese Einkünfte der CSG, der Contribution pour le remboursement de la dette sociale (Beitrag zur Begleichung der Sozialschuld, im Folgenden: CRDS), der Sozialabgabe von 2 % und den Zusatzbeiträgen zu dieser Abgabe zum Satz von 0,3 % bzw. von 1,1 % unterworfen.

18      Nachdem die Finanzverwaltung seinen Antrag auf Befreiung von diesen Beiträgen und Abgaben abgelehnt hatte, erhob Herr de Lobkowicz beim Tribunal administratif de Rouen (Verwaltungsgericht Rouen, Frankreich) Klage auf die entsprechende Befreiung.

19      Das Verwaltungsgericht stellte mit Urteil vom 13. Dezember 2013 in Höhe der Befreiungen, die Herrn de Lobkowicz im Laufe des Verfahrens hinsichtlich der gesamten ihm für die streitigen Jahre auferlegten, die CRDS betreffenden Beträge gewährt worden waren, die Erledigung der Hauptsache fest und wies seine Anträge im Übrigen zurück.

20      Gegen dieses Urteil legte Herr de Lobkowicz bei der Cour administrative d’appel de Douai (Verwaltungsberufungsgericht Douai, Frankreich) Berufung ein. Mit dieser beantragt er in erster Linie die Befreiung von den weiterhin streitigen Sozialabgaben.

21      Das vorlegende Gericht stellt zunächst fest, dass die fraglichen Beiträge und Abgaben Besteuerungen im Sinne des nationalen Rechts seien, so dass ihre Rechtmäßigkeit nicht dadurch berührt werde, dass Herr de Lobkowicz oder seine Familienangehörigen im Zusammenhang mit ihnen keine unmittelbare Gegenleistung erhielten.

22      Sodann weist es darauf hin, dass aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 26. Februar 2015, de Ruyter (C-623/13, EU:C:2015:123), hervorgehe, dass steuerliche Abgaben auf Einkünfte aus dem Vermögen, die eine unmittelbare und relevante Verbindung zu bestimmten der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zweige der sozialen Sicherheit aufwiesen, nämlich die CSG, die Sozialabgabe von 2 % und der Zusatzbeitrag von 0,3 %, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fielen. Aus denselben Gründen, wie sie der Gerichtshof in jenem Urteil herangezogen hat, vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass auch der Zusatzbeitrag zum Satz von 1,1 % in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen müsse.

23      Es weist jedoch darauf hin, dass der Gerichtshof in Rn. 41 seines Urteils vom 3. Oktober 2000, Ferlini (C-411/98, EU:C:2000:530), bereits entschieden habe, dass die Unionsbeamten und ihre Familienangehörigen, die dem System der sozialen Sicherheit der Organe der Union zwingend angeschlossen seien, nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden könnten. Der in Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 verankerte Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts sei daher auf sie nicht anwendbar.

24      Schließlich sehe dieser Artikel – sollten Unionsbeamte die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne von Art. 45 AEUV haben – jedoch keine allgemeinen Kriterien für die Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich der Finanzierung der Leistungen der sozialen Sicherheit oder der besonderen beitragsunabhängigen Leistungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Unionsorganen vor, weshalb man mit Herrn de Lobkowicz davon ausgehen könnte, dass seine Verpflichtung, die fraglichen Beiträge und Abgaben zu entrichten, als „diskriminierende Maßnahme“ im Sinne von Art. 45 AEUV zu qualifizieren sei.

25      Da die Cour administrative d’appel de Douai (Verwaltungsberufungsgericht Douai) jedoch Zweifel hatte, ob die Verpflichtung von Herrn de Lobkowicz, die fraglichen Beiträge und Abgaben zu entrichten, mit dem Unionsrecht im Einklang steht, hat sie beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht ein unionsrechtlicher Grundsatz dem entgegen, dass ein Beamter der Europäischen Kommission verpflichtet wird, auf in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erzielte Einkünfte aus Immobilien den allgemeinen Sozialbeitrag, die Sozialabgabe und die Zusatzbeiträge zu dieser Abgabe – zum Satz von 0,3 % und von 1,1 % – abzuführen?

 Zur Vorlagefrage

 Zulässigkeit

26      Die französische Regierung macht in erster Linie geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil es dem Gerichtshof nicht die Anhaltspunkte liefere, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Vorlagefrage erforderlich seien. Das vorlegende Gericht habe nämlich eine Frage im Zusammenhang mit Art. 45 AEUV gestellt, ohne jedoch die Staatsangehörigkeit des Klägers des Ausgangsverfahrens zu nennen oder anzugeben, ob er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, um eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

27      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern darf, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, EU:C:2010:363, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 18. April 2013, Mulders, C-548/11, EU:C:2013:249, Rn. 27).

28      Wie sich Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entnehmen lässt, macht die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht sachdienlichen Auslegung des Unionrechts zu gelangen, es nämlich erforderlich, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (Urteile vom 11. März 2010, Attanasio Group, C-384/08, EU:C:2010:133, Rn. 32, und vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken, C-514/12, EU:C:2013:799, Rn. 17).

29      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Frage des vorlegenden Gerichts unbestreitbar die Auslegung des Unionsrechts betrifft. Entgegen der Ansicht der französischen Regierung betrifft diese Frage nicht ausdrücklich Art. 45 AEUV, sondern bezieht sich ganz allgemein auf das Bestehen eines „unionsrechtlichen Grundsatzes“, der dem entgegenstehe, dass ein Unionsbeamter verpflichtet werde, auf Einkünfte aus Immobilien, die in dem Mitgliedstaat erzielt wurden, in dem er seinen steuerlichen Wohnsitz hat, Sozialabgaben und Beiträge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu entrichten.

30      Außerdem enthält die Vorlageentscheidung eine Darstellung des Streitgegenstands des Ausgangsverfahrens, wie sich den in den Rn. 17 bis 20 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Feststellungen des vorlegenden Gerichts entnehmen lässt. Das vorlegende Gericht gibt auch den wesentlichen Inhalt der maßgeblichen nationalen Vorschriften wieder und erläutert, warum es Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts hat, wobei es auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich und insbesondere auf dessen Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter (C-623/13, EU:C:2015:123), Bezug nimmt.

31      Folglich ist festzustellen, dass die Vorlageentscheidung die tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthält, die es dem Gerichtshof ermöglichen, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben.

32      Das Vorabentscheidungsersuchen ist somit zulässig.

 Begründetheit

33      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts im Bereich der sozialen Sicherheit, wie er in der Verordnung Nr. 1408/71 und in weiterer Folge in der Verordnung Nr. 883/2004 zum Ausdruck kommt und im Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter (C-623/13, EU:C:2015:123), erläutert wird, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der auf die Einkünfte aus Immobilien, die ein Unionsbeamter in dem Mitgliedstaat erzielt, in dem er seinen steuerlichen Wohnsitz hat, Sozialbeiträge und Sozialabgaben erhoben werden, die zur Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats verwendet werden.

34      Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten zwar weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, doch müssen sie dabei das Unionsrecht beachten (Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, EU:C:2008:178, Rn. 43, vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 38, und vom 6. Oktober 2016, Adrien u. a., C-466/15, EU:C:2016:749, Rn. 22).

35      Zum anderen kann ein Unionsbeamter als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsstaat arbeitet, ein Wanderarbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV sein. Gleichwohl jedoch können die Unionsbeamten, da sie nicht nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Verordnungen Nrn. 1408/71 bzw. 883/2004, der den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnungen bestimmt, unterliegen, nicht als „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Verordnungen angesehen werden. In diesem Zusammenhang ist auch Art. 48 AEUV nicht auf sie anwendbar, der dem Rat die Aufgabe überträgt, ein System einzuführen, das den Arbeitnehmern eine Überwindung der Hindernisse ermöglicht, die sich für sie aus den nationalen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit ergeben können. Dieser Aufgabe hat sich der Rat mit Erlass der Verordnung Nr. 1408/71 und in weiterer Folge der Verordnung Nr. 883/2004 entledigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2000, Ferlini, C-411/98, EU:C:2000:530, Rn. 41 und 42, und vom 16. Dezember 2004, My, C-293/03, EU:C:2004:821, Rn. 34 bis 37).

36      Die Unionsbeamten unterliegen nämlich dem gemeinsamen System der sozialen Sicherheit der Organe der Union, das nach Art. 14 des Protokolls vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung der Organe festgelegt wird.

37      Dieses System der Sozialleistungen wurde durch das Statut eingerichtet, das in seinem Titel V („Besoldung und soziale Rechte des Beamten“) und insbesondere in dessen Kapiteln 2 und 3, betreffend die soziale Sicherheit und die Ruhegehälter, die auf die Unionsbeamten anwendbaren Vorschriften enthält.

38      Folglich fällt die Rechtsstellung der Unionsbeamten hinsichtlich ihrer Pflichten im Bereich der sozialen Sicherheit wegen ihres Beschäftigungsverhältnisses mit der Union in den Anwendungsbereich des Unionsrechts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1983, Forcheri, 152/82, EU:C:1983:205, Rn. 9).

39      Die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils erwähnte Pflicht der Mitgliedstaaten, bei der Ausübung ihrer Befugnis zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit das Unionsrecht zu beachten, erstreckt sich somit auf die Vorschriften, die das Beschäftigungsverhältnis eines Unionsbeamten mit der Union betreffen, nämlich die entsprechenden Bestimmungen des Protokolls und die des Statuts.

40      Insoweit ist – wie der Generalanwalt in Nr. 72 seiner Schlussanträge festgestellt hat – zum einen das Protokoll den Verträgen rechtlich gleichrangig (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 161).

41      Entsprechend Art. 12 des Protokolls, der für die von der Union gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge der Unionsbeamten eine einheitliche Besteuerung zugunsten der Union einführt und folglich vorsieht, dass diese Beträge von innerstaatlichen Steuern befreit sind, bringt es Art. 14 des Protokolls, der den Organen der Union die Zuständigkeit für die Festlegung der Systeme der sozialen Sicherheit für ihre Beamten zuweist, mit sich, dass die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, Unionsbeamte zwingend einem innerstaatlichen System der sozialen Sicherheit anzuschließen und sie zu verpflichten, Beiträge zur Finanzierung eines solchen Systems zu entrichten.

42      Zum anderen weist das Statut, da es durch die Verordnung Nr. 259/68 festgelegt wurde, alle Merkmale gemäß Art. 288 AEUV auf, wonach eine Verordnung allgemeine Geltung hat, in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Somit sind auch die Mitgliedstaaten zur Beachtung des Statuts verpflichtet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 1981, Kommission/Belgien, 137/80, EU:C:1981:237, Rn. 7 und 8, vom 7. Mai 1987, Kommission/Belgien, 186/85, EU:C:1987:208, Rn. 21, vom 4. Dezember 2003, Kristiansen, C-92/02, EU:C:2003:652, Rn. 32, und vom 4. Februar 2015, Melchior, C-647/13, EU:C:2015:54, Rn. 22).

43      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass nach Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 4 des Statuts ein Teil des zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge erforderlichen Betrags von dem Berechtigten getragen wird, dieser Beitrag jedoch 2 % seines Grundgehalts nicht überschreiten darf. Art. 73 Abs. 1 des Statuts bestimmt, dass der Beamte vom Tage seines Dienstantritts an für den Fall von Berufskrankheiten und Unfällen gesichert wird und dass er für die Sicherung bei Krankheit und Unfällen außerhalb des Dienstes bis zu 0,1 % seines Grundgehalts als Beitrag zu leisten hat. Zudem geht aus Art. 83 Abs. 2 des Statuts hervor, dass die Beamten zu einem Drittel zur Finanzierung des Versorgungssystems beitragen, wobei der Beitrag auf einen bestimmten Prozentsatz des Grundgehalts festgesetzt wird.

44      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Festlegung der für die Unionsbeamten geltenden Vorschriften, was deren Verpflichtungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit betrifft, unter Ausschluss der Mitgliedstaaten in die alleinige Zuständigkeit der Union fällt.

45      Wie der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge festgestellt hat, erfüllen Art. 14 des Protokolls und die Bestimmungen des Statuts im Bereich der sozialen Sicherheit der Unionsbeamten gegenüber diesen nämlich eine Funktion, die der des Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 und des Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2004 entspricht und darin besteht, die Verpflichtung der Unionsbeamten zur Einzahlung von Beiträgen in verschiedene Systeme der sozialen Sicherheit zu verhindern.

46      Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der auf die Einkünfte eines Unionsbeamten Sozialbeiträge und Sozialabgaben zu entrichten sind, die speziell zur Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats verwendet werden, missachtet daher die ausschließliche Zuständigkeit der Union, die ihr sowohl durch Art. 14 des Protokolls als auch durch die einschlägigen Bestimmungen des Statuts – insbesondere jene, die die verpflichtenden Beiträge der Unionsbeamten zur Finanzierung eines Systems der sozialen Sicherheit festlegen – zugewiesen wurde.

47      Außerdem brächte eine solche Regelung die Gefahr mit sich, dass die Gleichbehandlung unter den Unionsbeamten beseitigt würde und es folglich unattraktiv wäre, für ein Organ der Union beruflich tätig zu sein, da bestimmte Beamte gezwungen wären, Beiträge nicht nur an das gemeinsame System der sozialen Sicherheit der Organe der Union, sondern auch an ein entsprechendes nationales System abzuführen.

48      Die vorstehende Analyse wird nicht durch die Behauptungen der französischen Regierung in Frage gestellt, wonach die Sozialbeiträge und die Sozialabgaben, um die es im Ausgangsverfahren geht, als „Steuern“ zu qualifizieren seien, die nicht auf Arbeitseinkünfte, sondern auf Einkünfte aus Immobilien erhoben würden und die nicht unmittelbar zu einer Gegenleistung oder zu einem Vorteil in Form von Leistungen der sozialen Sicherheit führten. Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge steht nämlich jedenfalls fest, dass diese Abgaben und Beiträge unmittelbar und speziell zur Finanzierung von Zweigen des französischen Systems der sozialen Sicherheit verwendet werden. Ein Unionsbeamter wie Herr de Lobkowicz darf daher nicht zur Entrichtung dieser Abgaben und Beiträge verpflichtet werden, da seine finanziellen Verpflichtungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ausschließlich durch das Protokoll und das Statut geregelt werden und somit dem Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten entzogen sind (vgl. hinsichtlich der Verordnung Nr. 1408/71 entsprechend Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter, C-623/13, EU:C:2015:123, Rn. 23, 26, 28 und 29).

49      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 14 des Protokolls und die Bestimmungen des Statuts über das gemeinsame System der sozialen Sicherheit der Organe der Union dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der die Einkünfte aus Immobilien, die ein Unionsbeamter in dem Mitgliedstaat erzielt, in dem er seinen steuerlichen Wohnsitz hat, Sozialbeiträgen und Sozialabgaben unterworfen werden, die zur Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats verwendet werden.

 Kosten

50      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 14 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union, das dem EU-Vertrag, dem AEU-Vertrag und dem EAG-Vertrag beigefügt ist, und die Bestimmungen des Statuts der Beamten der Europäischen Union über das gemeinsame System der sozialen Sicherheit der Organe der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der die Einkünfte aus Immobilien, die ein Unionsbeamter in dem Mitgliedstaat erzielt, in dem er seinen steuerlichen Wohnsitz hat, Sozialbeiträgen und Sozialabgaben unterworfen werden, die zur Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats verwendet werden.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.