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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

6. Juli 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 199 Abs. 1 Buchst. c – Keine mehrwertsteuerliche Registrierung – Umkehrung der Steuerschuldnerschaft – Hypothetischer Charakter der Vorlagefrage – Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens“

In der Rechtssache C-392/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 25. April 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2016, in dem Verfahren

Dumitru Marcu

gegen

Agenţia Naţională de Administrare Fiscală (ANAF),

Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Juhász sowie der Richter C. Vajda und C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch R. H. Radu, L. Liţu und C. M. Florescu als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und L. Radu Bouyon als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) und der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1), insbesondere die Auslegung von deren Bestimmungen betreffend die Voraussetzungen für die Anwendung des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Dumitru Marcu und der Agenția Națională de Administrare Fiscală (ANAF) – Direcţia Generală de Soluţionare a Contestaţiilor București (Staatliche Steuerverwaltungsagentur [ANAF] – Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest, Rumänien, im Folgenden: Steuerverwaltung) wegen eines Antrags auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Steuerverwaltung, mit der der Kläger rückwirkend zur Zahlung von Mehrwertsteuer für Immobilienumsätze verpflichtet wurde und ihm die Anwendung des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft verweigert wurde.

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203), sieht vor:

„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

 Richtlinie 2006/112

4        Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

5        Art. 12 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken:

a)      Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt;

b)      Lieferung von Baugrundstücken.

(2)      Als ‚Gebäude‘ im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk.

Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung des in Absatz 1 Buchstabe a genannten Kriteriums des Erstbezugs auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.

(3)      Als ‚Baugrundstück‘ im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe b gelten erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten.“

6        In Art. 135 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

j)      Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;

k)      Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe b;

…“

7        In Art. 137 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei folgenden Umsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden:

b)      Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;

c)      Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe b;

…“

8        Art. 193 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig erbringt, außer in den Fällen, in denen die Steuer gemäß den Artikeln 194 bis 199 sowie 202 von einer anderen Person geschuldet wird.“

9        Art. 199 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der steuerpflichtige Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet, an den folgende Umsätze bewirkt werden:

c)      Lieferung von in Artikel 135 Absatz 1 Buchstaben j und k genannten Grundstücken, wenn der Lieferer gemäß Artikel 137 für die Besteuerung optiert hat;

…“

10      Art. 395 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern.

…“

11      Art. 411 der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Richtlinie 67/227/EWG und die [Sechste] Richtlinie 77/388/EWG werden unbeschadet der Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang XI Teil B genannten Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und der Anwendungsfristen aufgehoben.

(2)      Verweisungen auf die aufgehobenen Richtlinien gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XII zu lesen.“

12      Art. 413 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Diese Richtlinie tritt am 1. Januar 2007 in Kraft.“

 Rumänisches Recht

 Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch

13      Art. 127 des Gesetzes Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch (im Folgenden: Steuergesetzbuch) bestimmt:

„Steuerpflichtige Personen und wirtschaftliche Tätigkeit

(1)      Als Steuerpflichtiger gilt, wer wirtschaftliche Tätigkeiten der in Abs. 2 vorgesehenen Art unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

(2)      Im Sinne dieses Titels umfassen wirtschaftliche Tätigkeiten die Tätigkeiten der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Tätigkeiten der Urproduktion, der Landwirtschaft und Tätigkeiten der freien Berufe oder diesen gleichgestellte Tätigkeiten. Ebenso gilt als wirtschaftliche Tätigkeit die Nutzung körperlicher oder nicht körperlicher Gegenstände zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

14      Art. 160 des Steuergesetzbuchs in der im Jahr 2007 geltenden Fassung bestimmte:

„Vereinfachungsmaßnahmen

(1)      Lieferer/Erbringer und Empfänger von Waren/Dienstleistungen nach Abs. 2 sind zur Anwendung der im vorliegenden Artikel vorgesehenen Vereinfachungsmaßnahmen verpflichtet. Voraussetzung für die Pflicht zur Anwendung der Vereinfachungsmaßnahmen ist, dass sowohl der Lieferer/Leistungserbringer als auch der Empfänger nach Art. 153 mehrwertsteuerlich registriert sind.

(2)      Waren und Dienstleistungen, für deren Lieferung oder Erbringung die Vereinfachungsmaßnahmen gelten, sind:

b)      Gebäude, Gebäudeteile und Grundstücke aller Art, für deren Lieferung die Steuerregelung gilt;

(3)      Der Lieferer ist verpflichtet, auf Rechnungen, die für die Lieferung von Waren nach Abs. 2 ausgestellt werden, den Vermerk ‚Umkehrung der Steuerschuldnerschaft‘ anzubringen, ohne die entsprechende Steuer auszuweisen. Der Empfänger hat auf den Rechnungen, die er vom Lieferer erhält, die entsprechende Steuer zu vermerken, die er sowohl als vereinnahmte Steuer als auch als abzugsfähige Steuer in der Steuererklärung anzugeben hat. Für Umsätze, die den Vereinfachungsmaßnahmen unterliegen, wird zwischen dem Lieferer und dem Empfänger keine Mehrwertsteuer gezahlt.

(5)      Sowohl die Lieferer/Leistungserbringer als auch die Empfänger haften für die ordnungsgemäße Anwendung des vorliegenden Artikels. Hat der Lieferer/Leistungserbringer auf den Rechnungen, die für die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen nach Abs. 2 ausgestellt werden, nicht den Vermerk ‚Umkehrung der Steuerschuldnerschaft‘ angebracht, ist der Empfänger verpflichtet, das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden, keine Steuer an den Lieferer/Leistungserbringer zu zahlen, aus eigener Initiative den Vermerk ‚Umkehrung der Steuerschuldnerschaft‘ auf der Rechnung anzubringen und die Pflichten aus Abs. 3 zu erfüllen.“

 Regierungserlass Nr. 44/2004 über die Durchführungsbestimmungen zum Steuergesetzbuch

15      Nr. 62 Abs. 2 des Regierungserlasses Nr. 44/2004 über die Durchführungsbestimmungen zum Steuergesetzbuch in der im Jahr 2007 geänderten Fassung sah vor:

„Hat der Steuerpflichtige die Schwelle für die Befreiung erreicht oder überschritten und die Registrierung gemäß Art. 153 des Steuergesetzbuchs nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist beantragt, gehen die zuständigen Steuerbehörden wie folgt vor:

a)      [W]enn die zuständigen Steuerbehörden die Nichteinhaltung der gesetzlichen Bestimmungen vor der mehrwertsteuerlichen Registrierung des Steuerpflichtigen gemäß Art. 153 des Steuergesetzbuchs feststellen, verlangen sie die Entrichtung der Steuer, die der Steuerpflichtige hätte zahlen müssen, wenn er nach Art. 153 des Steuergesetzbuchs normal steuerlich registriert worden wäre, für die Zeit zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige steuerlich registriert worden wäre, wenn er die steuerliche Registrierung innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist beantragt hätte, und dem Zeitpunkt, zu dem die Nichteinhaltung der gesetzlichen Bestimmungen festgestellt wurde. Gleichzeitig werden solche Steuerpflichtige von den Kontrollbehörden von Amts wegen gemäß Art. 153 Abs. 7 des Steuergesetzbuchs steuerlich registriert;

…“

16      In Nr. 82 dieser Durchführungsbestimmungen in der im Jahr 2007 geltenden Fassung hieß es:

„Die Anwendung der Vereinfachungsmaßnahmen, d. h. des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, setzt nach Art. 160 Abs. 1 des Steuergesetzbuchs zwingend voraus, dass sowohl der Lieferer/Leistungserbringer als auch der Empfänger nach Art. 153 des Steuergesetzbuchs mehrwertsteuerlich registriert sind und dass der betreffende Umsatz steuerpflichtig ist. …

(9)      Die Nichtanwendung der gesetzlich vorgesehenen Vereinfachungsmaßnahmen wird von den Steuerbehörden sanktioniert, indem die Lieferer/Leistungserbringer und Empfänger verpflichtet werden, gemäß den vorliegenden Vorschriften die Umsätze zu berichtigen und das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

17      In der Zeit von August 2005 bis Dezember 2009 tätigte Herr Marcu als Verkäufer sowohl mit nicht mehrwertsteuerlich registrierten natürlichen Personen als auch mit mehrwertsteuerlich registrierten juristischen Personen rumänischen Rechts 35 Immobiliengeschäfte mit Grundstücken und Wohnungen aus seinem Privatvermögen. Für diese Geschäfte zog er keine Mehrwertsteuer ein und führte auch keine Mehrwertsteuer an den Staat ab.

18      Nach Angaben des vorlegenden Gerichts sind nur sieben dieser 35 Immobiliengeschäfte im Rahmen der bei ihm anhängigen Rechtssache relevant. Dabei handelt es sich um sieben in der Zeit von September 2006 bis November 2007 mit mehrwertsteuerlich registrierten juristischen Personen rumänischen Rechts geschlossene Kaufverträge.

19      Infolge einer Überprüfung im Jahr 2010 stellte die Steuerverwaltung fest, dass diese Immobiliengeschäfte die gesetzlichen Voraussetzungen der Mehrwertsteuerpflichtigkeit erfüllten und dass Herr Marcu Steuerpflichtiger sei, da er die Befreiungsgrenze überschritten habe und eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe, die in der Nutzung körperlicher oder nicht körperlicher Gegenstände zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen bestehe.

20      Die Steuerverwaltung stellte insoweit am 29. September 2010 fest, dass Herr Marcu seiner Verpflichtung, sich innerhalb von zehn Tagen nach Überschreitung der Grenze für die Befreiung von der Mehrwertsteuer mehrwertsteuerlich registrieren zu lassen, nicht nachgekommen sei. Außerdem vertrat die Steuerverwaltung die Auffassung, dass Herr Marcu zum 1. Februar 2006 mehrwertsteuerpflichtig geworden sei, und erließ einen Steuerbescheid über rückwirkend geschuldete Mehrwertsteuer für sämtliche Immobiliengeschäfte, die er als Verkäufer seit diesem Zeitpunkt geschlossen hatte.

21      Herr Marcu focht diesen Steuerbescheid bei der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală de Soluţionare a Contestaţiilor (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für Rechtsbehelfsentscheidungen, Rumänien) an und beantragte für die in den Jahren 2006 und 2007 mit mehrwertsteuerlich registrierten Personen geschlossenen Geschäfte die Anwendung des vereinfachten Steuerverfahrens, d. h. des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, die zu jener Zeit nach innerstaatlichem Recht bei Grundstücksgeschäften zwischen Steuerpflichtigen zwingend vorgeschrieben war.

22      Herr Marcu vertritt die Auffassung, dass die Steuerverwaltung auch für diese Geschäfte das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft hätte anwenden müssen, da sie seine Eigenschaft als Steuerpflichtiger rückwirkend zum 1. Februar 2006 festgestellt habe. Die mehrwertsteuerliche Registrierung sei eine formale Voraussetzung, mit der die Kontrolle der Durchführung dieses Verfahrens gewährleistet werden solle, und dürfe keine Auswirkung auf die Gewährung des Anspruchs auf Anwendung dieses Verfahren haben.

23      Die Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală de Soluţionare a Contestaţiilor (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für Rechtsbehelfsentscheidungen) wies das Vorbringen von Herrn Marcu bezüglich der rückwirkenden Anwendung des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft mit der Begründung zurück, dass die Anwendung dieses Verfahrens gemäß den steuerrechtlichen Vorschriften in der in den Jahren 2006 und 2007 geltenden Fassung von der zwingenden Voraussetzung abhängig gewesen sei, dass sowohl der Lieferer als auch der Erwerber mehrwertsteuerlich registriert gewesen seien. Diese Voraussetzung sei aber, was Herrn Marcu betreffe, nicht erfüllt gewesen.

24      Im gerichtlichen Verfahren, das auf die Entscheidung der Agenția Națională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală de Soluţionare a Contestaţiilor (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Generaldirektion für Rechtsbehelfsentscheidungen) folgte, behielt die Steuerverwaltung ihren Standpunkt auf der Grundlage desselben Vorbringens bei. Vor dem vorlegenden Gericht machte Herr Marcu geltend, dass der Gerichtshof zur Vereinbarkeit dieses Standpunkts mit dem Mehrwertsteuerrecht der Union zu befragen sei.

25      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden habe, dass die mehrwertsteuerliche Registrierung eine formale Voraussetzung darstelle, die das Recht auf Vorsteuerabzug nicht in Frage stellen könne, soweit die materiellen Voraussetzungen für die Entstehung dieses Rechts erfüllt seien. Dies werfe unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Frage auf, ob das Innehaben einer gültigen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zum Zeitpunkt der Lieferung der Immobilien ebenfalls ein Formerfordernis für die Anwendung des Verfahrens der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft darstelle oder ob es zu einer materiellen Anforderung werde, so dass dies zwingend zur Unanwendbarkeit dieses Verfahrens führe, obwohl nach rumänischem Recht die Anwendung dieses Verfahrens für Grundstücksgeschäfte zwingend vorgeschrieben sei.

26      Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die Sechste Richtlinie 77/388 und die Richtlinie 2006/112 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer nationalen Regelung oder einer Steuerpraxis entgegen, wonach auf eine Person, die mehrwertsteuerlich überprüft und nach erfolgter Überprüfung von Amts wegen mehrwertsteuerlich registriert worden ist, das – zum maßgeblichen Zeitpunkt für Grundstücksgeschäfte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen zwingend vorgeschriebene – Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Vereinfachungsmaßnahmen) mit der Begründung nicht anwendbar sein soll, dass die überprüfte Person vor der Durchführung der Geschäfte oder zum Zeitpunkt der Überschreitung der Befreiungsgrenze eine mehrwertsteuerliche Registrierung weder beantragt noch erhalten hatte?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

27      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Sechste Richtlinie 77/388 und die Richtlinie 2006/112 einer nationalen Regelung oder einer nationalen Steuerpraxis entgegenstehen, wonach das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nur unter der Voraussetzung anwendbar ist, dass sowohl der Lieferer als auch der Erwerber des betreffenden Gegenstands zu dem Zeitpunkt mehrwertsteuerlich registriert sind, zu dem der Umsatz erfolgt, wobei die Nichteinhaltung dieser Voraussetzung zur Folge hat, dass der Lieferer diese Steuer nach den allgemeinen Regeln des Mehrwertsteuersystems schuldet.

28      Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens ist erstens festzustellen, dass eines der sieben im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Immobiliengeschäfte in einem am 13. September 2006 – d. h. vor dem am 1. Januar 2007 erfolgten Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union – geschlossenen Kaufvertrag besteht.

29      Der Gerichtshof ist für die Auslegung des Unionsrechts aber nur insoweit zuständig, als es um dessen Anwendung in einem neuen Mitgliedstaat ab dem Tag seines Beitritts zur Union geht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, Ynos, C-302/04, EU:C:2006:9, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Demzufolge ist der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage insoweit nicht zuständig, als diese den Kaufvertrag vom 13. September 2006 betrifft.

31      Zweitens ist festzustellen, dass sich die Vorlagefrage sowohl auf die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388 als auch auf die der Richtlinie 2006/112 bezieht.

32      Insoweit ist festzustellen, dass der maßgebliche Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zeitlich nach dem 1. Januar 2007 – dem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie 2006/112 gemäß ihren Art. 411 und 413 in Kraft getreten ist und die Sechste Richtlinie 77/388 aufgehoben wurde – liegt. Aus Art. 411 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 geht außerdem hervor, dass Verweisungen auf die Sechste Richtlinie 77/388 ab diesem Zeitpunkt als Verweisungen auf die Richtlinie 2006/112 gelten.

33      Für die Prüfung der Vorlagefrage sind somit ausschließlich die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 maßgeblich.

34      Drittens ist festzustellen, dass die Kommission Zweifel hinsichtlich der Sachdienlichkeit einer Antwort auf die Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits und damit hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens äußert. Es sei nämlich nicht sicher, dass Herr Marcu in seiner Eigenschaft als Verkäufer von Grundstücken und Wohnungen aus seinem Privatvermögen als „Steuerpflichtiger“ im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2006/112 eingestuft werden könne. Sollte Herr Marcu aber nicht entsprechend einzustufen sein, müsste nach Ansicht der Kommission der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerbescheid für nichtig erklärt werden, ohne dass die dem Gerichtshof vorgelegte Frage gestellt werden müsste.

35      Insoweit ist zu beachten, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung und die Anwendbarkeit nationaler Vorschriften zu befinden oder den Sachverhalt festzustellen, der für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich ist. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Union und denen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorabentscheidungsfrage einfügt, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 13. Juni 2013, Kostov, C-62/12, EU:C:2013:391, Rn. 25).

36      Vor diesem Hintergrund ist über den Umstand hinaus, dass Herr Marcu seine Einstufung als Steuerpflichtiger im Rahmen des innerstaatlichen Verfahrens offenbar nicht gerügt hat, zu berücksichtigen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen festgestellt hat, dass Herr Marcu diese Eigenschaft aufgrund der rumänischen Rechtsvorschriften besitzt, mit denen Art. 9 der Richtlinie 2006/112 umgesetzt wurde.

37      Aus dieser Perspektive ist das Vorabentscheidungsersuchen folglich zulässig.

38      Viertens und letztens weist der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung ein von einem nationalen Gericht vorgelegtes Ersuchen als unzulässig ab, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2017, Pérez Retamero, C-97/16, EU:C:2017:158, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Insoweit ist festzustellen, dass der Vorlagefrage die Prämisse zugrunde liegt, dass das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, wie es die Richtlinie 2006/112 vorsieht, auf die Umsätze, auf die sich das Ausgangsverfahren bezieht, anwendbar ist.

40      Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht aber nicht hervor, dass Rumänien auf der Grundlage von Art. 395 der Richtlinie 2006/112 ermächtigt worden wäre, das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in Fällen anzuwenden, die nicht ausdrücklich in der Richtlinie vorgesehen sind.

41      Folglich ist zu prüfen, ob auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Immobilienumsätze gemäß Art. 199 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft angewandt werden kann.

42      Art. 199 der Richtlinie 2006/112 stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz nach Art. 193 dieser Richtlinie dar, wonach der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer schuldet, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig erbringt. Der genannte Art. 199 ermöglicht es nämlich den Mitgliedstaaten, in den in seinem Abs. 1 Buchst. a bis g angeführten Situationen das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden, wonach der steuerpflichtige Empfänger, an den die mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze bewirkt werden, die Mehrwertsteuer schuldet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2013, Promociones y Construcciones BJ 200, C-125/12, EU:C:2013:392, Rn. 23).

43      So können die Mitgliedstaaten nach Art. 199 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorsehen, dass der steuerpflichtige Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet, an den ein Umsatz bewirkt wird, der in der Lieferung von in Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k dieser Richtlinie genannten Grundstücken besteht, wenn der Lieferer gemäß Art. 137 der Richtlinie für die Besteuerung optiert hat.

44      Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k der Richtlinie 2006/112 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie genannten sowie die Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie von der Steuer zu befreien. Dieser Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und b, auf den Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k der Richtlinie 2006/112 verweist, bezieht sich auf die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und den dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt, sowie auf die Lieferung von Baugrundstücken.

45      Aus einer Gesamtbetrachtung dieser beiden Bestimmungen ergibt sich, dass zum einen die Lieferung eines Gebäudes oder Gebäudeteils und des dazugehörigen Grund und Bodens, wenn sie nach dem Erstbezug erfolgt, und zum anderen die Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien sind.

46      Allerdings gestattet Art. 137 der Richtlinie 2006/112 den Mitgliedstaaten, ihren Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, sich bei bestimmten Umsätzen, zu denen die Umsätze nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k dieser Richtlinie – d. h. die in der vorstehenden Randnummer angeführten Umsätze – zählen, für eine Besteuerung zu entscheiden.

47      Nur wenn sich der betreffende Mitgliedstaat dazu entschieden hat, seinen Steuerpflichtigen die in Art. 137 der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Möglichkeit zu eröffnen, und einer dieser Steuerpflichtigen diese Möglichkeit für Umsätze wahrgenommen hat, die unter Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k dieser Richtlinie fallen, kann das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nach Art. 199 Abs. 1 Buchst. c der genannten Richtlinie auf diese Umsätze angewandt werden.

48      Hierzu ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen keine näheren Angaben zur genauen Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Grundstücke enthält.

49      Nimmt man jedoch erstens an, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze sich auf Grundstücke im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k der Richtlinie 2006/112 beziehen, müsste Rumänien außerdem in seinen Rechtsvorschriften die Möglichkeit nach Art. 137 dieser Richtlinie vorgesehen haben, den Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, sich für eine Besteuerung der Lieferung solcher Grundstücke zu entscheiden. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint aber aus der Vorlageentscheidung nicht hervorzugehen, dass Rumänien in seinen Rechtsvorschriften von der genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte.

50      Selbst wenn man annimmt, das diese Möglichkeit in den rumänischen Rechtsvorschriften vorgesehen ist, geht insoweit aus dem Vorabentscheidungsersuchen klar hervor, dass Herr Marcu sich nicht für die Besteuerung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze entschieden hat, da er zunächst nicht mehrwertsteuerlich registriert war und sodann, als er von der Steuerverwaltung von Amts wegen als Steuerpflichtiger angesehen wurde und ein Steuerbescheid wegen der fraglichen Umsätze gegen ihn erlassen worden war, die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids in Abrede stellte.

51      Folglich sind dann, wenn einige oder sämtliche der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze sich auf Grundstücke im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k der Richtlinie 2006/112 beziehen, Rumänien in seinen Rechtsvorschriften nicht von der Möglichkeit nach Art. 137 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112 Gebrauch gemacht hat, seinen Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, sich für eine Besteuerung dieser Umsätze zu entscheiden, bzw. es an einem ausdrücklichen Antrag von Herrn Marcu nach Art. 137 dieser Richtlinie, Mehrwertsteuer auf diese Umsätze anzuwenden, fehlt, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 199 Abs. 1 Buchst. c der genannten Richtlinie nicht erfüllt, so dass das nach dieser Richtlinie vorgesehene Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nicht angewandt werden kann.

52      Nimmt man zweitens an, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze sich auf Grundstücke im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2006/112 beziehen, kann das Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf die genannten Umsätze ebenfalls nicht angewandt werden, da diese nicht zu den abschließend in Art. 199 Abs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 2006/112 genannten Umsätzen zählen.

53      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Prüfung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 ergibt, dass das darin vorgesehene Verfahren der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze nicht angewandt werden kann. Daraus folgt, dass die Vorlagefrage, die sich auf die Modalitäten der Anwendung dieses Verfahrens bezieht, hypothetischen Charakter hat und dass die Antwort darauf für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich ist. Somit ist diese Frage unzulässig.

54      Nach alledem ist festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist.

 Kosten

55      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Das von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.