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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

26. Oktober 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Gemeinschaften – Art. 220 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b – Nacherhebung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Begriff der ‚buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben‘ – Entscheidung der zuständigen Zollbehörde – Frist für die Einreichung eines Antrags auf Erstattung oder Erlass – Verpflichtung, den Fall an die Europäische Kommission zu übermitteln – Beweise im Fall der Anfechtung einer Entscheidung der zuständigen Behörde des Einfuhrmitgliedstaats“

In der Rechtssache C-407/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Administratīvo lietu departaments (Oberster Gerichtshof, Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten, Lettland) mit Entscheidung vom 15. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juli 2016, in dem Verfahren

Aqua Pro“ SIA

gegen

Valsts ieņēmumu dienests

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina, D. Pelše, G. Bambāne und I. Kalniņš als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Caeiros und E. Kalniņš als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 220 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b sowie der Art. 236 und 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. 2000, L 311, S.17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) sowie von Art. 869 Buchst. b und Art. 875 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. 1993, L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003 (ABl. 2003, L 187, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Aqua Pro“ SIA und dem Valsts ieņēmumu dienests (lettische Steuerverwaltung, im Folgenden: Steuerverwaltung) über die Erhebung von Einfuhrabgaben und Mehrwertsteuer zuzüglich Säumniszinsen bei einer nachträglichen Prüfung einer Zollanmeldung.

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex sieht vor:

„Jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag – nachstehend ‚Abgabenbetrag‘ genannt – muss unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den Zollbehörden berechnet und in die Bücher oder in sonstige statt dessen verwendete Unterlagen eingetragen werden (buchmäßige Erfassung).

… “

4        Art. 220 des Zollkodex bestimmt:

„(1)      Ist der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Artikeln 218 und 219 buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden, so hat die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrags oder des nachzuerhebenden Restbetrags innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen, an dem die Zollbehörden diesen Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen (nachträgliche buchmäßige Erfassung). Diese Frist kann nach Artikel 219 verlängert werden.

(2)      Außer in den Fällen gemäß Artikel 217 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn

b)      der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.

Wird der Präferenzstatus einer Ware im Rahmen eines Systems der administrativen Zusammenarbeit unter Beteiligung der Behörden eines Drittlands ermittelt, so gilt die Ausstellung einer Bescheinigung durch diese Behörden, falls sich diese Bescheinigung als unrichtig erweist, als ein Irrtum, der im Sinne des Unterabsatzes 1 vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.

Die Ausstellung einer unrichtigen Bescheinigung stellt jedoch keinen Irrtum dar, wenn die Bescheinigung auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, außer insbesondere dann, wenn offensichtlich ist, dass die ausstellenden Behörden wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten.

Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit geltend machen, wenn er darlegen kann, dass er sich während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts mit gebotener Sorgfalt vergewissert hat, dass alle Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllt worden sind.

Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit jedoch nicht geltend machen, wenn die Kommission in einer Mitteilung im Amtsblatt [der Europäischen Union] darauf hingewiesen hat, dass begründete Zweifel an der ordnungsgemäßen Anwendung der Präferenzregelung durch das begünstigte Land bestehen;

… “

5        Art. 236 des Zollkodex bestimmt:

„(1)      Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.

(2)      Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

6        Art. 239 des Zollkodex sieht vor:

„(1)      Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

–        werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

–        ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2)      Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Jedoch können … in begründeten Ausnahmefällen die Zollbehörden diese Frist verlängern …“

7        Art. 869 der Durchführungsverordnung lautet:

„Die Zollbehörden treffen in folgenden Fällen selbst die Entscheidung, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben abzusehen:

a)      in Fällen, in denen eine Zollpräferenzbehandlung im Rahmen eines Zollkontingents, eines Zollplafonds oder einer anderen Regelung gewährt wurde, obwohl die Berechtigung hierzu zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung bereits entfallen war, ohne dass dies bis zum Zeitpunkt der Überlassung der Waren durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder, wenn eine solche nicht erfolgt, durch eine geeignete Mitteilung im betreffenden Mitgliedstaat bekannt gegeben worden ist, sofern der Zollschuldner gutgläubig gehandelt und alle im Zollrecht vorgesehenen Vorschriften über die Zollanmeldung beachtet hat;

b)      in Fällen, in denen sie der Auffassung sind, dass alle Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex der Gemeinschaft erfüllt sind, sofern die Kommission nicht gemäß Artikel 871 … mit dem Fall befasst ist. Ist Artikel 871 Absatz 2 [zweiter Gedankenstrich] anwendbar, so ist eine Entscheidung der Zollbehörden, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben abzusehen, nur dann möglich, wenn das Verfahren gemäß den Artikeln 871 bis 876 abgeschlossen wurde.

In Fällen, in denen ein Antrag auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 236 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) Zollkodex gestellt wird, gelten der erste Unterabsatz Buchstabe b) sowie die Artikel 871 bis 876 sinngemäß.

Zur Durchführung der vorstehenden Unterabsätze leisten die Mitgliedstaaten einander Amtshilfe, insbesondere wenn ein Irrtum der Zollbehörden eines anderen als des entscheidungsbefugten Mitgliedstaats vorliegt.“

8        Art. 871 dieser Verordnung ist folgendermaßen abgefasst:

„(1)      Die Zollbehörden übermitteln der Kommission einen Fall zur Regelung nach dem Verfahren der Artikel 872 bis 876, wenn sie der Auffassung sind, dass die Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex vorliegen und

–        sie der Auffassung sind, dass die Kommission einen Irrtum im Sinne des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) Zollkodex begangen hat, oder

–        der betreffende Fall im Zusammenhang steht mit Ergebnissen gemeinschaftlicher Ermittlungen, die durchgeführt wurden im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung [(ABl. 1997, L 82, S. 1)] oder anderer gemeinschaftlicher Rechtsakte oder Abkommen, die die Gemeinschaft mit anderen Ländern oder Ländergruppen geschlossen hat und in denen die Möglichkeit der Durchführung derartiger gemeinschaftlicher Ermittlungen vorgesehen ist, oder

–        die Abgaben, die bei einem Beteiligten infolge ein und desselben Irrtums, gegebenenfalls auch für mehrere Einfuhr- oder Ausfuhrvorgänge, nicht erhoben wurden, 500 000 EUR oder mehr betragen.

(2)      Die Übermittlung gemäß Absatz 1 unterbleibt, wenn

–        die Kommission bereits im Verfahren der Artikel 872 bis 876 eine Entscheidung über einen Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen getroffen hat;

–        die Kommission bereits mit einem Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen befasst ist.

… “

9        Art. 875 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Wird mit der Entscheidung nach Artikel 873 festgestellt, dass in dem geprüften Fall von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung abgesehen werden kann, so kann die Kommission klarstellen, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten ermächtigt sind, in Fällen mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben abzusehen.“

10      Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 1, im Folgenden: Verordnung über die Untersuchungen des OLAF) sieht vor:

„(1)      Das Amt erstellt nach einer von ihm durchgeführten Untersuchung unter der Verantwortung des Direktors einen Bericht, aus dem insbesondere der festgestellte Sachverhalt, gegebenenfalls die ermittelte Schadenshöhe und die Ergebnisse der Untersuchung, einschließlich der Empfehlungen des Direktors des Amtes zu den zweckmäßigen Folgemaßnahmen, hervorgehen.

(2)      Bei der Erstellung dieser Berichte werden die im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrenserfordernisse berücksichtigt. Die so erstellten Berichte stellen in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen wie die Verwaltungsberichte der Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen zulässige Beweismittel in den Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats dar, in dem sich ihre Verwendung als erforderlich erweist. Sie werden nach denselben Maßstäben beurteilt wie die Verwaltungsberichte der einzelstaatlichen Kontrolleure und sind als diesen gleichwertig zu betrachten.

(3)      Der nach Abschluss einer externen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken gemäß der für die externen Untersuchungen geltenden Regelung den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten übermittelt.

(4)      Der nach Abschluss einer internen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken dem betreffenden Organ, der betreffenden Einrichtung oder dem betreffenden Amt oder der betreffenden Agentur übermittelt. Die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen ergreifen die gemäß den Ergebnissen der internen Untersuchungen erforderlichen Folgemaßnahmen, insbesondere die disziplinarrechtlichen und justiziellen Maßnahmen, und unterrichten den Direktor des Amtes innerhalb der von ihm in den Schlussfolgerungen seines Berichts gesetzten Frist über die Folgemaßnahmen der Untersuchungen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Im Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2009 führte Aqua Pro Fahrräder aus Kambodscha in die Europäische Union ein. Gemäß einem Vertriebsvertrag kaufte sie diese bei einem deutschen Unternehmen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr.

12      Aqua Pro zahlte unter Vorlage eines von den kambodschanischen Behörden im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems ausgestellten Ursprungszeugnisses nach Formblatt A weder Zollabgaben noch Mehrwertsteuer.

13      Im Jahr 2010 informierte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) die Steuerverwaltung darüber, dass das Ursprungszeugnis, das die kambodschanischen Behörden für die betreffenden Waren ausgestellt hatten, den Anforderungen der unionsrechtlichen Vorschriften nicht entspreche.

14      Aufgrund dieser Informationen führte die Steuerverwaltung eine Überprüfung der von Aqua Pro geschuldeten Zollabgaben und anderen Steuern durch und stellte fest, dass die Bescheinigung nach Formblatt A zu Unrecht ausgestellt worden sei und die fraglichen Waren widerrechtlich vom Zoll befreit worden seien.

15      Daher verlangte die Steuerverwaltung mit Bescheid vom 3. September 2010 von Aqua Pro die Zahlung von Zollabgaben und Mehrwertsteuer, jeweils zuzüglich Säumniszinsen (im Folgenden: streitiger Bescheid).

16      Nachdem Aqua Pro diesen Bescheid erfolglos beim Generaldirektor der Steuerverwaltung angefochten hatte, erhob sie bei der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) eine Anfechtungsklage und machte geltend, dass sie gutgläubig gehandelt habe, als sie die Waren zum Satz von 0 % deklariert habe, da sie insbesondere nicht habe wissen können, dass die Bescheinigung nach Formblatt A zu Unrecht ausgestellt worden sei.

17      Im Rahmen dieses Verfahrens stellte sich die Frage, ob der Beschluss C(2012) 8694, den die Kommission am 30. November 2012 infolge eines Antrags der Republik Finnland betreffend Einfuhrabgaben für von einem finnischen Unternehmen aus Kambodscha eingeführte Fahrräder erlassen hatte und in dem sie ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Betrags der nachzuerhebenden Abgaben in diesem Fall als gerechtfertigt ansah, auf die Umstände des vorliegenden Falles anwendbar war.

18      Die lettische Steuerverwaltung machte insoweit u. a. geltend, dass Aqua Pro keinen Antrag auf Erstattung oder Erlass der Einfuhrabgaben gemäß den Art. 878 und 879 der Durchführungsverordnung gestellt habe und deshalb kein entsprechendes Verfahren eingeleitet worden sei, um festzustellen, ob dieser Einführer den bei der Ausstellung des Ursprungszeugnisses unterlaufenen Irrtum hätte erkennen können. Außerdem war nach Ansicht der Steuerverwaltung die Situation von Aqua Pro nicht mit jener vergleichbar, die dem oben genannten Beschluss der Kommission zugrunde gelegen habe.

19      Nachdem die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) über die lettische Steuerverwaltung vom kambodschanischen Handelsministerium Angaben über die Umstände der Ausstellung der Bescheinigungen nach Formblatt A für die nach Lettland ausgeführten Fahrräder erhalten hatte, aus denen hervorging, dass dieses Ministerium nicht feststellen konnte, ob diese Ausstellung zu Recht erfolgt war, weil der Ausführer die relevanten Unterlagen nicht übermittelt hatte, wies es die Klage von Aqua Pro mit Urteil vom 28. November 2013 ab.

20      Auch die Administratīvā apgabaltiesa (Regionales Verwaltungsgericht, Lettland) wies nach Prüfung der Rechtssache im Rahmen des Berufungsverfahrens mit Urteil vom 7. Mai 2015 den Antrag von Aqua Pro zurück, weil sie davon ausging, dass Aqua Pro die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Voraussetzungen für die Geltendmachung eines berechtigten Vertrauens nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex nicht erfülle. Insbesondere habe Aqua Pro, der nach Ansicht dieses Gerichts die Beweislast oblag, keine Beweise vorgelegt, die die Feststellungen des OLAF betreffend den Ursprung der Fahrradbestandteile anhand von Ursprungszeugnissen nach den Formblättern B und D widerlegen würden.

21      Aqua Pro legte beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein.

22      Zunächst weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Zweifel bestünden, ob sich die Zollbehörden und die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) zu Recht in Anbetracht des fehlenden Antrags der Klägerin, mit dem das Verfahren des Erlasses oder der Erstattung der Zölle in Gang gesetzt worden wäre, geweigert hätten, die Gutgläubigkeit von Aqua Pro gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex zu prüfen. Es bestehen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auch Zweifel, ob die Zollbehörden und die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) zu Recht den im Rahmen des Antrags der Republik Finnland erlassenen Beschluss C(2012) 8694 vom 30. November 2012 nicht berücksichtigt haben. Insoweit sei ausschlaggebend, ob die tatsächlichen und rechtlichen Umstände vergleichbar seien und ob die betroffene Person gutgläubig gehandelt und sämtliche Vorschriften über die Zollanmeldung beachtet habe.

23      Des Weiteren drängen sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts Fragen hinsichtlich der Verwendung des OLAF-Berichts als Beweismittel und der Durchführung der nachträglichen Prüfung zur Sachverhaltsfeststellung auf.

24      Schließlich bestünden Zweifel, ob nicht im Rahmen der Prüfung der Gutgläubigkeit der Klägerin gemeinsam mit den anderen Umständen der Rechtssache, einschließlich der Vorgehensweise der kambodschanischen Unternehmen und der betreffenden Behörden, dem Umstand Bedeutung zuzumessen sei, dass Aqua Pro diese Waren nicht unmittelbar bei dem kambodschanischen Unternehmen, sondern im Rahmen eines Vertriebsvertrags bei einem deutschen Unternehmen erworben habe, da dieses Geschäftsmodell grundsätzlich schon für sich genommen eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Aqua Pro und dem kambodschanischen Unternehmen mangels Kontakts untereinander ausschließe.

25      Unter diesen Umständen hat der Augstākās tiesas Administratīvo lietu departaments (Oberster Gerichtshof, Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten, Lettland) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      a)      Ist Art. 220 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen, dass die buchmäßige Erfassung des Betrags der von der Verwaltung anerkannten geschuldeten Abgaben als im Zeitpunkt der Entscheidung über die buchmäßige Erfassung erfolgt anzusehen ist oder dahin, dass sie als im Zeitpunkt der Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben durch die Verwaltung erfolgt anzusehen ist, unabhängig davon, ob diese Entscheidung Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist?

b)      Sind die Art. 236 und 239 des Zollkodex dahin auszulegen, dass, wenn die Verwaltung die Entscheidung über die buchmäßige Erfassung des entsprechenden Betrags der Abgaben erlassen hat und die Verpflichtung des Zollschuldners, sie zu entrichten, festgelegt hat (von der staatlichen Verwaltung in der vorliegenden Rechtssache erlassene Entscheidung), der genannte Schuldner diese Entscheidung jedoch im Verwaltungsverfahren und vor den Gerichten angefochten hat, gleichzeitig der Erlass oder die Erstattung dieser Abgaben gemäß den Art. 236 und 239 des Zollkodex zu beantragen ist (oder kann stattdessen davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall der Rechtsbehelf gegen die Entscheidung dieser Verwaltung auch ein Antrag auf Erlass oder Erstattung der Zollschuld ist)? Bei Bejahung dieser Frage: Worin besteht dann der wesentliche Unterschied zwischen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung über die buchmäßige Erfassung und der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben einerseits und der gemäß Art. 236 des Zollkodex zu entscheidenden Frage andererseits?

c)      Ist Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen, dass der Umstand, dass die Entscheidung der Verwaltung, die die Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben festlegt, angefochten wurde, und die Dauer des gerichtlichen Verfahrens die Frist für die Einreichung des Antrags auf Erlass oder Erstattung der Abgaben verlängern (oder deren Nichteinhaltung rechtfertigen)?

d)      Wenn über die Statthaftigkeit der buchmäßigen Erfassung oder des Erlasses in dieser Rechtssache unabhängig von dem in Bezug auf einen anderen Mitgliedstaat (in diesem Fall die Republik Finnland) erlassenen Beschluss der Europäischen Kommission zu entscheiden ist, obliegt es dann unter Berücksichtigung des Art. 869 Buchst. b der Durchführungsverordnung sowie des Betrags der möglichen Abgaben in der vorliegenden Rechtssache der Zollverwaltung oder dem Gericht, die Frage des Absehens von der buchmäßigen Erfassung oder des Erlasses der Abgaben der Europäischen Kommission zu überlassen?

2.      a)      Ist für die Zwecke der Anwendung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex eine nachträgliche Prüfung hinsichtlich der Umstände im Zusammenhang mit dem Verhalten der Behörden und des Ausführers eines Drittlands (in der vorliegenden Rechtssache Kambodscha), die im Rahmen der OLAF-Mission untersucht wurden, durchzuführen? Oder ist davon auszugehen, dass die allgemeine Schilderung der Umstände, die im OLAF-Bericht über das erwähnte Verhalten enthalten ist, Beweiskraft hat?

b)      Sind die im Rahmen der nachträglichen Prüfung gewonnenen Daten, auch wenn sie sich auf den Fall eines konkreten Mitgliedstaats beziehen, im Hinblick auf den OLAF-Bericht ausschlaggebend?

c)      Ist Art. 875 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen, dass der gemäß dem genannten OLAF-Bericht in Bezug auf einen anderen Mitgliedstaat (in diesem Fall die Republik Finnland) erlassene Beschluss der Europäischen Kommission für den Mitgliedstaat bindend ist?

d)      Ist eine nachträgliche Prüfung durchzuführen und sind die daraus gewonnenen Informationen zu verwenden, wenn die Europäische Kommission auf der Grundlage des OLAF-Berichts in Bezug auf einen anderen Mitgliedstaat einen Beschluss über das Absehen von der buchmäßigen Erfassung der Abgaben erlassen und Art. 875 der Durchführungsverordnung angewandt hat?

3.      Kann bei der Beurteilung des Vorliegens von vernünftigen Gründen und Gründen der Gutgläubigkeit im Handeln des Abgabepflichtigen für die Zwecke der Anwendung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex unter den vorliegenden Umständen die Tatsache relevant sein, dass die Wareneinfuhr auf einem Vertriebsvertrag beruht?

 Zu den Vorlagefragen

 Zu Frage 1 Buchst. a

26      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C-144/16, EU:C:2017:76, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall ist dem Vorlagebeschluss zu entnehmen, dass sich der Augstākās tiesas Administratīvo lietu departaments (Oberster Gerichtshof, Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten) angesichts der Tatsache, dass die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheids noch zu keiner rechtskräftigen Entscheidung geführt hat und dass somit noch nicht entschieden wurde, ob eine buchmäßige Erfassung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abgaben vorzunehmen ist, u. a. fragt, ob eine nachträgliche buchmäßige Erfassung der nachzuerhebenden Abgaben, die Aqua Pro gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex anfechten könnte, bereits erfolgt ist.

28      Unter diesem Blickwinkel möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage 1 Buchst. a wissen, zu welchem Zeitpunkt die nachträgliche buchmäßige Erfassung des Betrags der nachzuerhebenden Abgaben im Hinblick auf Art. 220 des Zollkodex als erfolgt anzusehen ist, wenn die Entscheidung der Behörden über die buchmäßige Erfassung oder über die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist.

29      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex in Bezug auf eine nachträgliche buchmäßige Erfassung des Betrags der nachzuerhebenden Abgaben nur vorsieht, dass diese vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. 219 des Zollkodex innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen hat, an dem die Zollbehörden den in diesem Art. 220 Abs. 1 genannten Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen.

30      Was hingegen die Frage betrifft, zu welchem Zeitpunkt der Betrag der nachzuerhebenden Abgaben als tatsächlich buchmäßig erfasst anzusehen ist, ist darauf hinzuweisen, dass diese buchmäßige Erfassung nach Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex in der Eintragung des einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen durch die Zollbehörden besteht (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 2009, Distillerie Smeets Hasselt u. a., C-126/08, EU:C:2009:470, Rn. 22, sowie vom 8. November 2012, KGH Belgium, C-351/11, EU:C:2012:699, Rn. 21).

31      Daher ist im Fall einer Nacherhebung der von den Behörden festgestellte Betrag der geschuldeten Abgaben als buchmäßig erfasst anzusehen, wenn die Zollbehörden diesen Betrag in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, wobei diese Eintragung grundsätzlich innerhalb der in Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Frist von zwei Tagen zu erfolgen hat.

32      Gleichwohl kann der Umstand, dass in der weiteren Folge die Entscheidung der Behörden über die buchmäßige Erfassung oder über die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist, als solcher nichts an der Feststellung ändern, dass ein buchmäßiger Erfassungsvorgang gemäß Art. 217 Abs. 1 und Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex tatsächlich erfolgt ist.

33      Diese Auslegung wird u. a. dadurch untermauert, dass durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gemäß Art. 243 des Zollkodex nach Art. 244 Abs. 1 des Zollkodex die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung grundsätzlich nicht ausgesetzt wird und daher ein solcher Rechtsbehelf der unmittelbaren Vollziehung dieser Entscheidung nicht entgegensteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C-129/13 und C-130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 56).

34      Nach alledem ist auf die Frage 1 Buchst. a zu antworten, dass Art. 217 Abs. 1 und Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen sind, dass im Fall einer Nacherhebung der von den Behörden festgestellte Betrag der geschuldeten Abgaben als buchmäßig erfasst anzusehen ist, wenn die Zollbehörden diesen Betrag in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, unabhängig davon, ob die Entscheidung der Behörden über die buchmäßige Erfassung oder über die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist.

 Zu Frage 1 Buchst. b

35      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Frage 1 Buchst. b nach dem Vorlagebeschluss gestellt wird, um zu erfahren, ob die Steuerbehörde und die gerichtlichen Vorinstanzen zu Recht davon ausgehen durften, dass mangels eines Antrags von Aqua Pro auf Erlass oder Erstattung nach den Art. 236 und 239 des Zollkodex nicht zu prüfen gewesen sei, ob Aqua Pro berechtigtes Vertrauen gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex geltend machen konnte.

36      Diese Frage ist daher so zu verstehen, dass das Gericht wissen möchte, ob Art. 220 Abs. 2 Buchst. b sowie die Art. 236, 239 und 243 des Zollkodex dahin auszulegen sind, dass ein Einführer im Rahmen eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsverfahren und dann vor den Gerichten gegen die Entscheidung der Steuerverwaltung, nachträglich einen Einfuhrabgabenbetrag buchmäßig zu erfassen und dem Einführer dessen Zahlung aufzuerlegen, einen Antrag auf Erlass oder Erstattung dieser Abgaben nach dem in den Art. 236 und 239 des Zollkodex vorgesehenen Verfahren stellen muss, um ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex geltend machen zu können, und ob gegebenenfalls die Anfechtung dieser Entscheidung im Rahmen dieses Rechtsbehelfs so aufzufassen ist, dass sie einen solchen Antrag umfasst.

37      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex das berechtigte Vertrauen des Zollschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zölle nacherhoben werden oder nicht, Berücksichtigung finden (vgl. u. a. Urteile vom 18. Oktober 2007, Agrover, C-173/06, EU:C:2007:612, Rn. 31, und vom 10. Dezember 2015, Veloserviss, C-427/14, EU:C:2015:803, Rn. 43).

38      Zu diesem Zweck sieht diese Vorschrift vor, dass von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Betrags der gesetzlich geschuldeten Einfuhrabgaben und daher von der Nacherhebung dieser Abgaben abgesehen wird, wenn ein Einführer berechtigtes Vertrauen im Sinne dieser Bestimmung geltend machen kann.

39      Daraus ergibt sich, wie auch in Art. 869 Buchst. b der Durchführungsverordnung klargestellt wird, dass es grundsätzlich den Zollbehörden obliegt, selbst die Entscheidung zu treffen, von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben und einer entsprechenden Nacherhebung abzusehen, wenn ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen für den Schutz eines solchen berechtigten Vertrauens bei dem betreffenden Einführer erfüllt sind.

40      Entscheiden die Zollbehörden hingegen, insbesondere infolge einer nachträglichen Prüfung, dass sie die nicht erhobenen Abgaben buchmäßig erfassen und beim Einführer nacherheben, haben sie nach Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex diese Abgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn und soweit sich in weiterer Folge insbesondere herausstellt, dass deren Betrag unter Verstoß gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b dieses Zollkodex buchmäßig erfasst wurde.

41      Diese Erstattung oder dieser Erlass von Abgaben auf der Grundlage von Art. 236 in Verbindung mit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex erfolgt entweder nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 von Amts wegen oder nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 auf Antrag, der vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben bei der zuständigen Zollstelle zu stellen ist.

42      Da Aqua Pro in einer ersten Phase, wie dem Vorlagebeschluss zu entnehmen ist, die nachträgliche buchmäßige Erfassung des Betrags der nachzuerhebenden Abgaben vor der Verwaltung angefochten hat, hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob Aqua Pro bei der zuständigen Zollstelle einen Antrag auf Erlass oder Erstattung gemäß Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex gestellt oder gegen die Entscheidung der Steuerverwaltung, den Betrag der betreffenden Abgaben buchmäßig zu erfassen und ihr als Einführerin dessen Zahlung aufzuerlegen, einen Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren, wie ihn Art. 243 des Zollkodex vorsieht, bei der gemäß Art. 243 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex dafür bestimmten Zollbehörde eingelegt hat.

43      Insoweit ist festzustellen, dass ein Abgabenpflichtiger, obwohl der Zollkodex, insbesondere in seinen Art. 236 und 239, ein spezielles Verfahren für den Erlass oder die Erstattung der Zollabgaben u. a. im Fall einer gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex verstoßenden buchmäßigen Erfassung vorsieht, diese Bestimmung auch geltend machen kann, um eine nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben insbesondere im Rahmen eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsverfahren oder vor den Gerichten im Sinne von Art. 243 des Zollkodex anzufechten.

44      Denn nach dieser Vorschrift kann ein Abgabenpflichtiger im Allgemeinen einen Rechtsbehelf, sei es im Verwaltungsverfahren oder vor den Gerichten, gegen alle ihn unmittelbar und persönlich betreffenden Entscheidungen der Behörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen.

45      Nach alledem ist auf die Frage 1 Buchst. b zu antworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b sowie die Art. 236, 239 und 243 des Zollkodex dahin auszulegen sind, dass der Einführer im Rahmen eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsverfahren oder vor den Gerichten im Sinne des Art. 243 des Zollkodex gegen eine Entscheidung der zuständigen Steuerbehörde, mit der nachträglich ein Einfuhrabgabenbetrag buchmäßig erfasst und dem Einführer dessen Zahlung auferlegt wird, berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex geltend machen kann, um diese buchmäßige Erfassung anzufechten, unabhängig davon, ob der Einführer einen Antrag auf Erlass oder Erstattung dieser Abgaben gemäß dem in den Art. 236 und 239 des Zollkodex vorgesehenen Verfahren gestellt hat.

 Zu Frage 1 Buchst. c

46      Mit seiner Frage 1 Buchst. c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass die Entscheidung der Behörden über die buchmäßige Erfassung oder über die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist, eine Verlängerung der Frist für die Einreichung eines Antrags auf Erlass oder Erstattung der Abgaben bewirkt.

47      Da diese Frage auf der durch die Beantwortung der Frage 1 Buchst. b widerlegten Prämisse beruht, dass die Möglichkeit, im Rahmen eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsverfahren oder vor den Gerichten berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex geltend zu machen, von der Einreichung eines Antrags auf Erlass oder Erstattung der Zollabgaben auf der Grundlage von Art. 236 dieses Kodex abhänge, erübrigt sich ihre Beantwortung.

 Zu Frage 1 Buchst. d

48      Mit seiner Frage 1 Buchst. d möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und inwieweit Art. 869 Buchst. b der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass die Kommission mit der Frage des Absehens von der buchmäßigen Erfassung oder des Erlasses der Zollabgaben zu befassen ist, wenn ein entsprechender Beschluss, den diese hinsichtlich eines anderen Mitgliedstaats erlassen hat, nicht zu berücksichtigen ist.

49      Art. 869 Buchst. b der Durchführungsverordnung ist zu entnehmen, dass die Zollbehörden, wenn sie alle in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex genannten Voraussetzungen für erfüllt erachten, selbst die Entscheidung treffen, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben abzusehen, es sei denn, die Kommission muss gemäß Art. 871 der Durchführungsverordnung mit dem Fall befasst werden.

50      Dieser Art. 871 nennt in seinem Abs. 1 die Voraussetzungen, unter denen die Kommission zur Regelung des Falles nach dem Verfahren der Art. 872 bis 876 der Durchführungsverordnung befasst werden muss, und sieht gleichzeitig in seinem Abs. 2 vor, dass diese Befassung unter zwei Voraussetzungen nicht erfolgt, nämlich zum einen, wenn die Kommission bereits nach diesem Verfahren einen Beschluss über einen Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen erlassen hat, und zum anderen, wenn sie bereits mit einem Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen befasst ist.

51      Insoweit ist dem Vorlagebeschluss und dem Wortlaut der Frage 1 Buchst. d zu entnehmen, dass das vorlegende Gericht von der Prämisse ausgeht, dass diese beiden Voraussetzungen unter den gegebenen Umständen u. a. aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit des vorliegenden Falles mit dem Fall, um den es in einem Beschluss der Kommission hinsichtlich Finnlands geht, nicht erfüllt sind.

52      In diesem Kontext dürfen die Zollbehörden gemäß Art. 869 in Verbindung mit Art. 871 der Durchführungsverordnung nicht selbst die Entscheidung treffen, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben abzusehen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung berechtigten Vertrauens gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex erfüllt sind, und sie haben die Verpflichtung, die Kommission mit dem Fall zu befassen, wenn unter den gegebenen Umständen einer der in Art. 871 Abs. 1 der Durchführungsverordnung genannten Fälle vorliegt. Die Zollbehörden sind demnach verpflichtet, die Kommission mit dem Fall zu befassen, wenn sie der Auffassung sind, dass diese einen Irrtum im Sinne dieser Bestimmung des Zollkodex begangen hat, wenn der betreffende Fall im Zusammenhang mit Ergebnissen von Ermittlungen der Union im Sinne dieser Vorschrift der Durchführungsverordnung steht oder wenn es um Abgabenbeträge von 500 000 Euro oder mehr geht.

53      Nach alledem ist auf die Frage 1 Buchst. d zu antworten, dass Art. 869 Buchst. b der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass die Zollbehörden mangels eines Beschlusses oder eines Verfahrens der Kommission im Sinne von Art. 871 Abs. 2 dieser Verordnung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht selbst die Entscheidung treffen dürfen, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben abzusehen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung berechtigten Vertrauens gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex erfüllt sind, und dass diese Behörden verpflichtet sind, die Kommission mit dem Fall zu befassen, entweder wenn sie der Auffassung sind, dass die Kommission einen Irrtum im Sinne dieser Bestimmung des Zollkodex begangen hat oder wenn der betreffende Fall des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit Ergebnissen von Ermittlungen der Union im Sinne von Art. 871 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung steht oder wenn es im Ausgangsverfahren um Abgabenbeträge von 500 000 Euro oder mehr geht.

 Zu Frage 2 Buchst. a

54      Mit seiner Frage 2 Buchst. a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die in einem OLAF-Bericht enthaltenen Informationen über das Verhalten der Zollbehörden des Ausfuhrstaats und des Ausführers Beweiskraft haben oder ob die Zollbehörden verpflichtet sind, insoweit nachträgliche Prüfungen durchzuführen.

55      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits in Rn. 48 seines Urteils vom 16. März 2017, Veloserviss (C-47/16, EU:C:2017:220), bei der Beantwortung einer ähnlichen, ebenfalls vom Augstākās tiesas Administratīvo lietu departaments (Oberster Gerichtshof, Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten) gestellten Frage Gelegenheit hatte, zu entscheiden, dass ein Bericht des OLAF, soweit er hierzu relevante Informationen enthält, berücksichtigt werden kann, um festzustellen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex auf ein berechtigtes Vertrauen berufen kann.

56      Zudem ist, wie das vorlegende Gericht und die Parteien zutreffend angemerkt haben, Art. 9 Abs. 2 der Verordnung über die Untersuchungen des OLAF zu entnehmen, dass solche Berichte in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen wie die Verwaltungsberichte der Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen zulässige Beweismittel in den Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats darstellen, in dem sich ihre Verwendung als erforderlich erweist.

57      Doch wie sich ebenfalls aus dem Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss (C-47/16, EU:C:2017:220), ergibt, reicht ein solcher Bericht, soweit er nur eine allgemeine Beschreibung der fraglichen Situation enthalten sollte, was das nationale Gericht zu prüfen hat, allein nicht zur Feststellung aus, ob diese Voraussetzungen in jeder Hinsicht, insbesondere bezüglich des maßgeblichen Verhaltens des Ausführers oder gegebenenfalls der Zollbehörden des Ausfuhrstaats, erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 49 und 50).

58      Unter solchen Umständen obliegt es nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich den Zollbehörden des Einfuhrstaats, mit Hilfe zusätzlicher Beweise den Nachweis zu erbringen, dass die Ausstellung eines unrichtigen Ursprungszeugnisses nach Formblatt A durch die Zollbehörden des Ausfuhrstaats auf der unrichtigen Darstellung der Fakten durch den Ausführer beruht (vgl. Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 47 und 50).

59      Daher kann sich ein OLAF-Bericht, obwohl die darin enthaltenen Informationen zu den Beweismitteln zählen, die bei der Feststellung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich der Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen kann, zu berücksichtigen sind, als im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Informationen unzureichend herausstellen, um rechtlich hinreichend nachzuweisen, ob diese Voraussetzungen tatsächlich in jeder Hinsicht erfüllt sind.

60      Die Zollbehörden können folglich veranlasst sein, hierfür zusätzliche Beweise, insbesondere in Bezug auf das maßgebliche Verhalten des Ausführers oder der Zollbehörden des Ausfuhrstaats, vorzulegen, u. a. indem sie nachträgliche Prüfungen durchführen.

61      Nach ständiger Rechtsprechung verfügen diese Behörden über ein weites Ermessen in Bezug auf die Vornahme nachträglicher Prüfungen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juli 2012, Südzucker u. a., C-608/10, C-10/11 und C-23/11, EU:C:2012:444, Rn. 48 und 50, sowie vom 10. Dezember 2015, Veloserviss, C-427/14, EU:C:2015:803, Rn. 27 und 28).

62      Nach alledem ist auf die Frage 2 Buchst. b zu antworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die in einem OLAF-Bericht enthaltenen Informationen über das Verhalten der Zollbehörden des Ausfuhrstaats und des Ausführers zu den Beweismitteln zählen, die bei der Feststellung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach dieser Bestimmung berufen kann, zu berücksichtigen sind. Soweit sich ein solcher Bericht jedoch im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Informationen als unzureichend herausstellt, um rechtlich hinreichend nachzuweisen, ob diese Voraussetzungen tatsächlich in jeder Hinsicht erfüllt sind, was das nationale Gericht zu prüfen hat, können die Zollbehörden verpflichtet sein, hierfür zusätzliche Beweise vorzulegen, insbesondere durch die Vornahme nachträglicher Prüfungen.

 Zu Frage 2 Buchst. b

63      Mit seiner Frage 2 Buchst. b möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die bei einer nachträglichen Prüfung gewonnenen Informationen für die Feststellung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen ein Einführer ein berechtigtes Vertrauen nach dieser Bestimmung geltend machen kann, Vorrang vor den in einem OLAF-Bericht enthaltenen Informationen haben.

64      Art. 9 Abs. 2 der Verordnung über die Untersuchungen des OLAF ist u. a. zu entnehmen, dass OLAF-Berichte nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verwaltungsberichte der einzelstaatlichen Kontrolleure und als diesen gleichwertig zu betrachten sind.

65      Daher haben die bei einer nachträglichen Prüfung gewonnenen Informationen keinen Vorrang vor den in einem OLAF-Bericht enthaltenen Informationen.

66      Nach alledem ist auf die Frage 2 Buchst. b zu antworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand sämtlicher konkreter Umstände des Ausgangsrechtsstreits und insbesondere der zu diesem Zweck von den Parteien des Ausgangsverfahrens vorgelegten Beweise zu beurteilen, ob die Voraussetzungen, unter denen ein Einführer ein berechtigtes Vertrauen nach dieser Bestimmung geltend machen kann, erfüllt sind. Für die Zwecke dieser Beurteilung haben die bei einer nachträglichen Prüfung gewonnenen Informationen keinen Vorrang vor den in einem OLAF-Bericht enthaltenen Informationen.

 Zu Frage 2 Buchst. c

67      Mit seiner Frage 2 Buchst. c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 875 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat durch einen Beschluss der Kommission im Sinne von Art. 873 dieser Verordnung gebunden ist, der sich an einen anderen Mitgliedstaat richtet und auf der Grundlage eines OLAF-Berichts betreffend das Verhalten der Behörden und eines Ausführers eines Drittstaats erlassen wurde.

68      Gemäß Art. 875 der Durchführungsverordnung kann die Kommission, wenn mit einem nach Art. 873 dieser Verordnung erlassenen Beschluss festgestellt wird, dass in dem geprüften Fall von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung der betreffenden Abgaben abgesehen werden kann, klarstellen, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten ermächtigt sind, in Fällen mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben abzusehen.

69      Folglich ist ein Mitgliedstaat, insbesondere seine Verwaltungs- und Gerichtsorgane (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2008, Heuschen & Schrouff Oriëntal Foods Trading, C-375/07, EU:C:2008:645, Rn. 64), unter den von der Kommission klargestellten Voraussetzungen in Fällen mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen an die Feststellungen gebunden, die von der Kommission in einem auf der Grundlage von Art. 873 der Durchführungsverordnung hinsichtlich eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Beschluss getroffen wurden.

70      Insoweit kann ein OLAF-Bericht, im Wesentlichen aus den in den Rn. 55 und 56 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen, berücksichtigt werden, um festzustellen, ob ein bestimmter Fall im oben beschriebenen Sinne mit dem Fall vergleichbar ist, der Gegenstand eines auf der Grundlage von Art. 873 der Durchführungsverordnung erlassenen Beschlusses der Kommission war.

71      Nach alledem ist auf die Frage 2 Buchst. c zu antworten, dass Art. 875 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat unter den nach diesem Artikel von der Kommission klargestellten Voraussetzungen an die Feststellungen gebunden ist, die von der Kommission in einem auf der Grundlage von Art. 873 der Durchführungsverordnung hinsichtlich eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Beschluss getroffen wurden, wenn ein Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen vorliegt, was von seinen Behörden und seinen Gerichten unter Berücksichtigung insbesondere der Informationen betreffend das Verhalten des Ausführers oder jenes der Zollbehörden des Ausfuhrstaats, wie sie sich aus einem diesem Beschluss zugrunde liegenden OLAF-Bericht ergeben, zu beurteilen ist.

 Zu Frage 2 Buchst. d

72      Mit seiner Frage 2 Buchst. d möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex und Art. 875 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen sind, dass eine nachträgliche Prüfung durchzuführen ist und die daraus gewonnenen Informationen zu verwenden sind, wenn die Kommission auf der Grundlage eines OLAF-Berichts einen Beschluss über das Absehen von der buchmäßigen Erfassung der Abgaben gemäß den Art. 873 und 875 der Durchführungsverordnung erlassen hat.

73      Wie in Rn. 61 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verfügen die Zollbehörden über ein weites Ermessen in Bezug auf die Vornahme nachträglicher Prüfungen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen (vgl. u. a. Urteil vom 10. Dezember 2015, Veloserviss, C-427/14, EU:C:2015:803, Rn. 27 und 28).

74      Diese Behörden dürfen grundsätzlich alle nachträglichen Prüfungen vornehmen, die sie für erforderlich erachten, und die bei diesen Prüfungen gewonnenen Informationen verwenden, sowohl um zu überprüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen kann, als auch, spezifischer, um festzustellen, ob ein Fall, mit dem sie befasst sind, im Sinne von Art. 875 der Durchführungsverordnung mit einem Fall vergleichbar ist, der Gegenstand eines von der Kommission nach Art. 873 der Durchführungsverordnung erlassenen Beschlusses über das Absehen von der buchmäßigen Erfassung der Abgaben war.

75      Daher ist auf die Frage 2 Buchst. d zu antworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex und Art. 875 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen sind, dass die Zollbehörden alle nachträglichen Prüfungen vornehmen dürfen, die sie für erforderlich erachten, und die bei diesen Prüfungen gewonnenen Informationen verwenden dürfen, sowohl um zu beurteilen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen kann, als auch um festzustellen, ob ein Fall, mit dem sie befasst sind, im Sinne von Art. 875 der Durchführungsverordnung „vergleichbare“ tatsächliche und rechtliche Merkmale wie ein Fall aufweist, der Gegenstand eines von der Kommission nach Art. 873 der Durchführungsverordnung erlassenen Beschlusses über das Absehen von der buchmäßigen Erfassung der Abgaben war.

 Zu Frage 3

76      Mit seiner Frage 3 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und inwieweit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Tatsache, dass ein Einfuhrvorgang einer Ware wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags erfolgte, für die Beurteilung relevant ist, ob im Ausgangsverfahren die Voraussetzungen für die Geltendmachung berechtigten Vertrauens nach dieser Bestimmung erfüllt sind.

77      Da Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das berechtigte Vertrauen eines Zollschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zölle nacherhoben werden, Berücksichtigung finden, kann weder dem Wortlaut noch dem Zweck dieser Vorschrift entnommen werden, dass sich ein Zollschuldner, der die betreffenden Waren auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags eingeführt hat, nicht unter denselben Voraussetzungen wie ein Zollschuldner, der diese Waren eingeführt hat, indem er sie unmittelbar beim Ausführer gekauft hat, auf ein berechtigtes Vertrauen nach dieser Vorschrift berufen können sollte.

78      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Einführer nach ständiger Rechtsprechung nur dann mit Erfolg auf ein berechtigtes Vertrauen nach der genannten Bestimmung berufen kann und ihm somit die in ihr vorgesehene Ausnahme von der Nacherhebung zugutekommen kann, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind. Voraussetzung ist zunächst, dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind, sodann, dass der ihnen unterlaufene Irrtum von einem gutgläubigen Abgabenschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte, und schließlich, dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat (vgl. u. a. Urteile vom 18. Oktober 2007, Agrover, C-173/06, EU:C:2007:612, Rn. 35, und vom 15. Dezember 2011, Afasia Knits Deutschland, C-409/10, EU:C:2011:843, Rn. 47).

79      Mit diesen Voraussetzungen wird im Wesentlichen das Risiko, das von Irrtümern oder Unregelmäßigkeiten in einer Zollanmeldung ausgeht, entsprechend dem Verhalten und der Sorgfalt jedes Beteiligten, also der zuständigen Behörden des Ausfuhrstaats und des Einfuhrstaats, der Ausführer sowie der Einführer, aufgeteilt (Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 25).

80      Im vorliegenden Fall geht aus dem Beschluss des vorlegenden Gerichts hervor, dass sich dieses insbesondere fragt, welche Bedeutung ein Vertriebsvertrag und insbesondere das daraus resultierende Fehlen unmittelbarer Beziehungen mit dem Ausführer für die Beurteilung hat, ob Aqua Pro als Zollschuldnerin überprüfen hätte sollen oder können, ob die Bescheinigung nach Formblatt A ordnungsgemäß ausgestellt worden war.

81      Unter diesem Blickwinkel bezieht sich die Frage 3 also insbesondere auf die angesichts solcher Umstände vorgenommene Beurteilung der zweiten Voraussetzung, die in der in Rn. 78 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung genannt wird und die die Nichterkennbarkeit des den zuständigen Behörden unterlaufenen Irrtums und somit die Sorgfalt betrifft, die ein Einführer, der auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags handelt, an den Tag legen muss.

82      Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass es Sache der Wirtschaftsteilnehmer ist, im Rahmen ihrer vertraglichen Beziehungen die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um sich gegen die Risiken einer Nacherhebung abzusichern, und dass eine solche Absicherung insbesondere darin bestehen kann, dass der Zollschuldner vom Vertragspartner bei oder nach Vertragsschluss alle Beweismittel dafür erhält, dass die Waren aus dem begünstigten Staat kommen, für den das Schema allgemeiner Zollpräferenzen gilt, einschließlich der Belege für diesen Ursprung (vgl. u. a. Urteile vom 8. November 2012, Lagura Vermögensverwaltung, C-438/11, EU:C:2012:703, Rn. 30 und 31, sowie vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 38).

83      Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass sich die Wirtschaftsteilnehmer, sobald sie Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften, deren Nichterfüllung eine Abgabenschuld begründen kann, oder an der richtigen Bestimmung des Warenursprungs haben, nach Kräften informieren und weitestgehend Aufschluss darüber verschaffen müssen, ob die Zweifel berechtigt sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u. a., C-153/94 und C-204/94, EU:C:1996:198, Rn. 100, und vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke, C-48/98, EU:C:1999:548, Rn. 58, sowie vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 37).

84      Insoweit hat der Gerichtshof zudem bereits klargestellt, dass sich ein Einführer im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht, wenn er offenkundige Gründe hat, an der Richtigkeit eines Ursprungszeugnisses nach Formblatt A zu zweifeln, im Rahmen seiner Möglichkeiten danach zu erkundigen hat, unter welchen Umständen das Zeugnis ausgestellt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, EU:C:2017:220, Rn. 39 und 43).

85      Die oben genannten Grundsätze gelten aber auch in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem der Einführer aufgrund der Tatsache, dass er die betreffenden Waren auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags mit einem dritten Wirtschaftsteilnehmer einführt, keine unmittelbare Vertragsbeziehung mit dem Ausführer dieser Waren hat.

86      So kann sich ein Einführer, der sich bei einem Vertragspartner eines Vertriebsvertrags, auf dessen Grundlage die betreffenden Waren eingeführt wurden, nicht auf diese Weise erkundigt hat, um die Richtigkeit eines für diese Waren ausgestellten Ursprungszeugnisses nach Formblatt A zu überprüfen, nicht auf ein berechtigtes Vertrauen im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen, indem er geltend macht, dass der den zuständigen Behörden unterlaufene Irrtum angesichts dieses Vertriebsvertrags im Sinne der zweiten Voraussetzung, die in der in Rn. 78 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung genannt wird, von einem gutgläubigen Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.

87      Nach alledem ist auf die Frage 3 zu antworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Tatsache, dass ein Einführer Waren auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags eingeführt hat, keinen Einfluss darauf hat, ob er sein berechtigtes Vertrauen geltend machen kann; er kann dies unter denselben Voraussetzungen tun wie ein Einführer, der Waren eingeführt hat, indem er sie unmittelbar beim Ausführer gekauft hat, d. h., wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind. Voraussetzung ist zunächst, dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind, sodann, dass der Irrtum von einem gutgläubigen Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte, und schließlich, dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat. Zu diesem Zweck hat sich ein solcher Einführer gegen die Risiken einer Nacherhebung abzusichern, insbesondere indem er vom Vertragspartner bei oder nach Abschluss des Vertriebsvertrags alle Beweise für die Richtigkeit der Ausstellung des Ursprungszeugnisses nach Formblatt A für diese Waren zu erhalten sucht. Ein berechtigtes Vertrauen im Sinne der genannten Bestimmung fehlt somit insbesondere, wenn sich ein Einführer, obwohl er offenkundige Gründe hat, an der Richtigkeit eines Ursprungszeugnisses nach Formblatt A zu zweifeln, nicht bei diesem Vertragspartner erkundigt hat, unter welchen Umständen das Zeugnis ausgestellt worden ist, um zu überprüfen, ob diese Zweifel berechtigt sind.

 Kosten

88      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 217 Abs. 1 und Art. 220 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass im Fall einer Nacherhebung der von den Behörden festgestellte Betrag der geschuldeten Abgaben als buchmäßig erfasst anzusehen ist, wenn die Zollbehörden diesen Betrag in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, unabhängig davon, ob die Entscheidung der Behörden über die buchmäßige Erfassung oder über die Festlegung der Verpflichtung zur Entrichtung der Abgaben Gegenstand einer Anfechtung im Verwaltungsverfahren oder einer Klage vor den Gerichten ist.

2.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b sowie die Art. 236, 239 und 243 der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass der Einführer im Rahmen eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsverfahren oder vor den Gerichten im Sinne von Art. 243 dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung gegen eine Entscheidung der zuständigen Steuerverwaltung, mit der nachträglich ein Einfuhrabgabenbetrag buchmäßig erfasst und dem Einführer dessen Zahlung auferlegt wird, berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung geltend machen kann, um diese buchmäßige Erfassung anzufechten, unabhängig davon, ob der Einführer einen Antrag auf Erlass oder Erstattung dieser Abgaben gemäß dem in den Art. 236 und 239 dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung vorgesehenen Verfahren gestellt hat.

3.      Art. 869 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Zollbehörden mangels eines Beschlusses oder eines Verfahrens der Europäischen Kommission im Sinne von Art. 871 Abs. 2 dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht selbst die Entscheidung treffen dürfen, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der nicht erhobenen Abgaben abzusehen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Voraussetzungen für die Geltendmachung berechtigten Vertrauens nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung erfüllt sind, und dass diese Behörden verpflichtet sind, die Kommission mit dem Fall zu befassen, entweder wenn sie der Auffassung sind, dass die Kommission einen Irrtum im Sinne dieser Bestimmung der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung begangen hat oder wenn der betreffende Fall des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit Ergebnissen von Ermittlungen der Europäischen Union im Sinne von Art. 871 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung steht oder wenn es im Ausgangsverfahren um Abgabenbeträge von 500 000 Euro oder mehr geht.

4.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die in einem Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) enthaltenen Informationen über das Verhalten der Zollbehörden des Ausfuhrstaats und des Ausführers zu den Beweismitteln zählen, die bei der Feststellung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach dieser Bestimmung berufen kann, zu berücksichtigen sind. Soweit sich ein solcher Bericht jedoch im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Informationen als unzureichend herausstellt, um rechtlich hinreichend nachzuweisen, ob diese Voraussetzungen tatsächlich in jeder Hinsicht erfüllt sind, was das nationale Gericht zu prüfen hat, können die Zollbehörden verpflichtet sein, hierfür zusätzliche Beweise vorzulegen, insbesondere durch Vornahme nachträglicher Prüfungen.

5.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand sämtlicher konkreter Umstände des Ausgangsrechtsstreits und insbesondere der zu diesem Zweck von den Parteien des Ausgangsverfahrens vorgelegten Beweise zu beurteilen, ob die Voraussetzungen, unter denen ein Einführer ein berechtigtes Vertrauen im Sinne dieser Bestimmung geltend machen kann, erfüllt sind. Für die Zwecke dieser Beurteilung haben die bei einer nachträglichen Prüfung gewonnenen Informationen keinen Vorrang vor den in einem Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) enthaltenen Informationen.

6.      Art. 875 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat unter den nach diesem Artikel von der Europäischen Kommission klargestellten Voraussetzungen an die Feststellungen gebunden ist, die von der Kommission in einem auf der Grundlage von Art. 873 dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung hinsichtlich eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Beschluss getroffen wurden, wenn ein Fall mit vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen vorliegt, was von seinen Behörden und seinen Gerichten unter Berücksichtigung insbesondere der Informationen betreffend das Verhalten des Ausführers oder jenes der Zollbehörden des Ausfuhrstaats, wie sie sich aus einem diesem Beschluss zugrunde liegenden Bericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ergeben, zu beurteilen ist.

7.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung und Art. 875 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Zollbehörden alle nachträglichen Prüfungen vornehmen dürfen, die sie für erforderlich erachten, und die bei diesen Prüfungen gewonnenen Informationen verwenden dürfen, sowohl um zu beurteilen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen sich ein Einführer auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung berufen kann, als auch um festzustellen, ob ein Fall, mit dem sie befasst sind, im Sinne von Art. 875 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung vergleichbare tatsächliche und rechtliche Merkmale wie ein Fall aufweist, der Gegenstand eines von der Europäischen Kommission nach Art. 873 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 1335/2003 geänderten Fassung erlassenen Beschlusses über das Absehen von der buchmäßigen Erfassung der Abgaben war.

8.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Tatsache, dass ein Einführer Waren auf der Grundlage eines Vertriebsvertrags eingeführt hat, keinen Einfluss darauf hat, ob er sein berechtigtes Vertrauen geltend machen kann; er kann dies unter denselben Voraussetzungen tun wie ein Einführer, der Waren eingeführt hat, indem er sie unmittelbar beim Ausführer gekauft hat, d. h., wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind. Voraussetzung ist zunächst, dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind, sodann, dass der Irrtum von einem gutgläubigen Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte, und schließlich, dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat. Zu diesem Zweck hat sich ein solcher Einführer gegen die Risiken einer Nacherhebung abzusichern, insbesondere indem er vom Vertragspartner bei oder nach Abschluss des Vertriebsvertrags alle Beweise für die Richtigkeit der Ausstellung des Ursprungszeugnisses nach Formblatt A für diese Waren zu erhalten sucht. Ein berechtigtes Vertrauen im Sinne der genannten Bestimmung fehlt somit insbesondere, wenn sich ein Einführer, obwohl er offenkundige Gründe hat, an der Richtigkeit eines Ursprungszeugnisses nach Formblatt A zu zweifeln, nicht bei diesem Vertragspartner erkundigt hat, unter welchen Umständen das Zeugnis ausgestellt worden ist, um zu überprüfen, ob diese Zweifel berechtigt sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Lettisch.