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 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

12. November 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Vorsteuerabzug – Aufgabe der ursprünglich geplanten Tätigkeit – Berichtigung des Vorsteuerabzugs – Immobilientätigkeit“

In der Rechtssache C-734/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul București (Landgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 27. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Oktober 2019, in dem Verfahren

ITH Comercial Timişoara SRL

gegen

Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti,

Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Bucureşti – Administraţia Sector 1 a Finanţelor Publice

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl, des Richters F. Biltgen (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und A. Armenia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28, 167, 168, 184 und 185 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ITH Comercial Timișoara SRL (im Folgenden: ITH) auf der einen und der Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest, Rumänien) sowie der Agenţia Naţională de Administrare Fiscală – Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice București – Administrația Sector 1 a Finanțelor Publice (Staatliche Steuerverwaltungsagentur – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Bukarest – Amt für öffentliche Finanzen Sektor 1, Rumänien) auf der anderen Seite wegen des Vorsteuerabzugs für Ausgaben im Zusammenhang mit letztlich aufgegebenen Immobilienprojekten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

4

Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“

5

Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie hat folgenden Wortlaut:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

6

Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

7

Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

b)

die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;

c)

die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i geschuldet wird;

d)

die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze gemäß den Artikeln 21 und 22 geschuldet wird;

e)

die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.“

8

Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“

9

Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„(1)   Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.

(2)   Abweichend von Absatz 1 unterbleibt die Berichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster im Sinne des Artikels 16.

Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigung verlangen.“

Rumänisches Recht

Steuergesetzbuch

10

Nach Art. 1251 Abs. 1 Nr. 28 der Legea nr. 571/2003 privind codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch, im Folgenden: Steuergesetzbuch) ist die vereinnahmte Steuer „die Steuer auf steuerpflichtige Lieferungen von Gegenständen und/oder Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigen bewirkt werden, sowie die Steuer auf Umsätze, für die der Empfänger die Steuer gemäß den Art. 150 bis 1511 zu entrichten hat“.

11

Art. 126 des Steuergesetzbuchs sieht vor:

„(1)   Für steuerliche Zwecke sind steuerbare Umsätze in Rumänien Umsätze, die kumulativ die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllen:

a)

die Umsätze stellen im Sinne der Art. 128 bis 130 steuerlich eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt dar oder sind ihnen gleichgestellt;

b)

der Ort der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistungen gilt gemäß den Art. 132 und 133 als in Rumänien gelegen;

c)

die Lieferung der Gegenstände oder die Erbringung der Dienstleistungen erfolgt durch einen Steuerpflichtigen im Sinne von Art. 127 Abs. 1, der als solcher handelt;

d)

die Lieferung der Gegenstände oder die Erbringung der Dienstleistungen folgt aus einer der in Art. 127 Abs. 2 vorgesehenen wirtschaftlichen Tätigkeiten.“

12

Nach Art. 128 Abs. 1 des Steuergesetzbuchs gilt als „Lieferung von Gegenständen … die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.

13

Art. 129 des Steuergesetzbuchs bestimmt:

„(1)   Als Erbringung von Dienstleistungen gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 128 ist.

(2)   Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.

(3)   Zu den Dienstleistungen zählen Umsätze wie

a)

die Vermietung von Gegenständen oder die Überlassung der Nutzung von Gegenständen im Rahmen eines Leasingvertrags;

…“

14

Art. 145 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs sieht vor:

„Der Steuerpflichtige ist berechtigt, die Vorsteuer für Erwerbe abzuziehen, wenn diese zur Verwendung bei folgenden Umsätzen bestimmt sind:

a)

bei steuerbaren Umsätzen;

…“

15

Art. 148 Abs. 1 des Steuergesetzbuchs bestimmt:

„Soweit die Vorschriften über die Lieferung an sich selbst oder die Leistung an sich selbst keine Anwendung finden, wird der ursprüngliche Vorsteuerabzug in folgenden Fällen berichtigt:

a)

der Vorsteuerabzug ist höher oder niedriger als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war;

b)

wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, einschließlich in den in Art. 138 vorgesehenen Fällen;

c)

der Steuerpflichtige verliert das Recht auf Vorsteuerabzug für nicht gelieferte bewegliche Gegenstände und nicht genutzte Dienstleistungen bei Ereignissen wie Gesetzesänderungen, Änderungen des Gegenstands der Tätigkeit, der Zuweisung von Gegenständen/Dienstleistungen zu Umsätzen, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, und deren späteren Zuweisung zu Umsätzen, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug nicht besteht, im Bestand fehlenden Gegenständen.“

16

Art. 150 Abs. 1 des Steuergesetzbuchs lautet:

„Die Person, die zur Zahlung der Mehrwertsteuer verpflichtet ist, wenn diese gemäß den Bestimmungen dieses Titels geschuldet ist, ist der Steuerpflichtige, der Gegenstände liefert oder Dienstleistungen erbringt, mit Ausnahme der Fälle, in denen der Empfänger verpflichtet ist, die Steuer gemäß den Abs. 2 bis 6 sowie Art. 160 zu zahlen.“

Durchführungsbestimmungen zum Steuergesetzbuch

17

In Nr. 30 der Normele metodologice de aplicare a Legii nr. 227/2015 privind codul fiscal (Durchführungsbestimmungen zum Gesetz Nr. 227/2015 über das Steuergesetzbuch) vom 6. Januar 2016 heißt es:

„Der Wert der in Errichtung befindlichen materiellen/immateriellen Anlagegüter, die schließlich nicht fertig gestellt werden und ausgebucht und als Ausgabe erfasst werden, auf der Grundlage der Einstellungsgenehmigung/-entscheidung, sowie der Restwert von mit konzessionierten, geleasten oder zur Verwaltung übernommene Sachanlagen getätigten Investitionen stellen bei Auflösung der Verträge vor dem Fälligkeitstag nicht abziehbare Ausgaben dar, wenn dieser Wert nicht durch Verkauf oder Verschrottung realisiert wird.“

18

Nr. 45 Abs. 6 der Durchführungsbestimmungen zum Steuergesetzbuch vom 22. Januar 2004 in geänderter Fassung, mit dem Art. 145 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs durchgeführt wird, sieht vor:

„Im Fall von in Errichtung befindlichen Anlagegütern, die aufgrund einer Entscheidung, die Ausführung der Investitionsarbeiten einzustellen, ausgebucht und als Ausgaben erfasst werden, bleibt dem Steuerpflichtigen das nach Art. 145 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs ausgeübte Recht auf Vorsteuerabzug unabhängig davon, ob diese Anlagegüter als solche oder nach Verschrottung übertragen werden oder nicht, erhalten, wenn der Steuerpflichtige diese Gegenstände oder Dienstleistungen aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nie für seine wirtschaftliche Tätigkeit verwendet, wie der Gerichtshof [im Urteil vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal (C-37/95, EU:C:1998:1),] entschieden hat. Das Recht auf Vorsteuerabzug kann auch in anderen Fällen erhalten bleiben, in denen die erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 145 Abs. 2 des Steuergesetzbuchs ausgeübt wurde, aus objektiven, vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängigen Gründen nicht für dessen wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden, wie der Gerichtshof [im Urteil vom 29. Februar 1996, Inzo (C-110/94, EU:C:1996:67),] entschieden hat. Im Fall des Erwerbs eines Grundstücks mit darauf errichteten Bauwerken ist der Steuerpflichtige berechtigt, die auf den Erwerb entfallende Mehrwertsteuer, einschließlich der Steuer auf die Bauwerke, die danach abgerissen werden, abzuziehen, wenn er die durch objektive Anhaltspunkte bestätigte Absicht nachweist, das Grundstück, auf dem die Bauwerke errichtet wurden, weiterhin für die Zwecke seiner steuerbaren Umsätze zu verwenden, z. B. für den Bau weiterer für steuerbare Umsätze bestimmter Gebäude, wie der Gerichtshof [im Urteil vom 29. November 2012, Gran Via Moineşti (C-257/11, EU:C:2012:759),] entschieden hat.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

19

Im Lauf der Jahre 2006 und 2007 schloss ITH Immobilienkaufverträge sowie Vereinbarungen mit Dritten und begann zwei Investitionsprojekte, die die Errichtung mehrerer Gebäude umfassten, für die bestimmte Genehmigungen erforderlich waren.

20

Konkret erwarb ITH im Jahr 2006 ein Grundstück und mehrere alte Gebäude von einem Aufzugshersteller. ITH tätigte diesen Kauf im Hinblick auf die Verwirklichung eines Projekts zur Errichtung eines Gebäudes mit Büros und Einkaufszentren, das sie später vermieten wollte (im Folgenden: erstes Projekt). Mit dem Aufzugshersteller vereinbarte sie, dass sie Produktionsräumlichkeiten suchen und ausstatten würde, die sie mindestens zehn Jahre an ihn vermieten würde. Im Laufe des Jahres 2007 leitete ITH daher zum einen Schritte bezüglich dieses Projekts ein, um eine Genehmigung für den Abriss der vorhandenen Gebäude und eine Baugenehmigung für das Gebäude mit Büros und Einkaufszentren zu erhalten, und startete zum anderen ein Projekt mit der Bezeichnung „Dragomirești Vale“ (im Folgenden: zweites Projekt) bezüglich der Errichtung der für den Aufzugshersteller bestimmten Produktionsräumlichkeiten, für deren Vermietung ITH das steuerliche Wahlrecht ausübte, wobei sie zugleich Beraterverträge zur Erlangung der Baugenehmigung schloss und bereits Absteckarbeiten durchführte.

21

Die Ausgaben im Zusammenhang mit den ausgeführten Tätigkeiten wurden in der Buchführung als „laufende Investition“ erfasst, und ITH übte das Recht auf Abzug der entsprechenden Mehrwertsteuer aus. In der Folge, insbesondere vor dem Hintergrund der im Jahr 2008 eingetretenen Wirtschaftskrise, wurden die beiden Projekte zunächst ausgesetzt, bevor die darauf bezogenen Investitionen eingestellt und als Ausgaben für das Geschäftsjahr 2015 erfasst wurden.

22

Im Rahmen zweier Steuerprüfungen, die in den Jahren 2009 und 2013 stattfanden und sich auf den Zeitraum von März 2006 bis Juni 2012 bezogen, stellte die Steuerverwaltung fest, dass die Mehrwertsteuer für den betreffenden Zeitraum zutreffend abgezogen und erhoben worden sei und dass die wirtschaftliche und finanzielle Situation es nicht ermöglicht habe, das von ITH geplante Investitionsprojekt fortzusetzen.

23

Im Rahmen einer Steuerprüfung, die im Jahr 2016 stattfand und sich auf den Zeitraum von Juli 2012 bis Juni 2016 bezog, vertrat die Steuerverwaltung die Auffassung, dass ITH die Mehrwertsteuer betreffend diese beiden Projekte weder zutreffend abgezogen noch zutreffend erhoben habe, und es wurde, was diese Gesellschaft anbelangt, zusätzliche Mehrwertsteuer in Höhe von 239734 rumänischen Lei (RON) (etwa 49316 Euro) festgesetzt.

24

Die Steuerverwaltung war insbesondere der Ansicht, dass das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern sei, da ITH bereits bei Beginn des ersten Projekts Kenntnis von den Umständen gehabt habe, die dessen Fertigstellung hätten verhindern können, da bereits ein örtlicher städtebaulicher Plan genehmigt gewesen sei und ITH die sich aus der Nichtbeachtung dieses städtebaulichen Plans durch ihr Vorhaben ergebenden Risiken trage.

25

Bezüglich des zweiten Projekts war die Steuerverwaltung der Ansicht, dass ITH die Dienstleistungen für Rechnung des Aufzugsherstellers erworben habe und stufte den Umsatz dahin neu ein, dass die Konstruktion des Kommissionärs anwendbar sei. Somit hätte ITH dem Aufzugshersteller alle Kosten in Rechnung stellen und die darauf entfallende Mehrwertsteuer erheben müssen.

26

Nachdem der Einspruch gegen den auf der Grundlage des Prüfberichts erlassenen Steuerbescheid zurückgewiesen worden war, erhob ITH beim Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) Klage und machte geltend, dass der Steuerbescheid gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie verstoße.

27

Die Beklagten des Ausgangsverfahrens tragen vor, dass ITH Kenntnis von den Umständen gehabt habe, die für die Nichtfertigstellung des Projekts hätten ausschlaggebend sein können, und die entsprechenden Risiken übernommen habe, und dass, was konkret das zweite Projekt anbelangt, die Mehrwertsteuer beim Vertragspartner hätte erhoben werden müssen, für dessen Rechnung die Erwerbe getätigt worden seien.

28

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul București (Landgericht Bukarest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

a)

Erlauben oder verbieten es die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 167 und Art. 168, die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, das Diskriminierungsverbot und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass das Recht des Steuerpflichtigen auf Abzug der auf bestimmte Investitionsausgaben entfallenden Mehrwertsteuer, die er mit der Absicht getätigt hat, sie für einen steuerbaren Umsatz zu verwenden, verlorengeht, wenn die beabsichtigte Investition später aufgegeben wird?

b)

Erlauben oder verbieten es diese Bestimmungen und Grundsätze, dass das Recht auf Vorsteuerabzug im Fall der Aufgabe der Investition auch unter anderen Umständen als der Begehung eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung durch den Steuerpflichtigen in Frage gestellt wird?

c)

Erlauben oder verbieten diese Bestimmungen und Grundsätze eine Auslegung in dem Sinne, dass zu den Umständen, unter denen das Recht auf Vorsteuerabzug im Fall der Aufgabe der Investition in Frage gestellt werden kann, gehören:

die spätere Realisierung einer dem Steuerpflichtigen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Investitionsausgaben getätigt wurden, bekannten Gefahr, dass die Investition nicht durchgeführt werden kann, wie etwa der Umstand, dass eine Behörde einen städtebaulichen Plan, der zur Durchführung der fraglichen Investition erforderlich ist, nicht genehmigt;

die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Lauf der Zeit, so dass die geplante Investition nicht mehr so rentabel ist wie zu ihrem Beginn?

d)

Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts dahin auszulegen, dass bei der Aufgabe der Investition

das Vorliegen von Missbrauch oder Steuerhinterziehung, das das Infragestellen des Rechts auf Vorsteuerabzug rechtfertigt, vermutet wird, oder muss es von den Steuerbehörden nachgewiesen werden;

der Nachweis des Missbrauchs oder der Steuerhinterziehung durch eine bloße Vermutung erbracht werden kann, oder werden objektive Beweise benötigt?

e)

Erlauben oder verbieten es die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, dass das Vorliegen von Missbrauch oder Steuerhinterziehung, das es rechtfertigt, das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage zu stellen, im Fall der Aufgabe einer Investition festgestellt wird, wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, bezüglich deren er die Mehrwertsteuer abgezogen hat, gar nicht und somit auch nicht zu rein privaten Zwecken verwenden kann?

f)

Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts dahin auszulegen, dass im Fall der Aufgabe einer Investition nach der Tätigung der Investitionsausgaben durch den Steuerpflichtigen eintretende Umstände, wie z. B. i) eine Wirtschaftskrise oder ii) die Realisierung der zum Zeitpunkt der Tätigung der Investitionsausgaben vorliegenden Gefahr, dass die Investition nicht durchgeführt wird (z. B., dass eine Behörde einen für die Durchführung der betreffenden Investition erforderlichen städtebaulichen Plan nicht genehmigt) oder iii) eine Änderung der Schätzung der Rentabilität der Investition, Umstände darstellen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind und bei der Bestimmung seines guten Glaubens berücksichtigt werden können?

g)

Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 184 und Art. 185, die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, das Diskriminierungsverbot und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass die Aufgabe der Investition einen Fall der Berichtigung der Mehrwertsteuer darstellt?

Erfolgt mit anderen Worten die Infragestellung des Rechts auf Vorsteuerabzug für Investitionsausgaben in Bezug auf vom Steuerpflichtigen mit der Absicht getätigte Investitionsausgaben, sie einem steuerbaren Umsatz zuzuordnen, durch den Mechanismus der Berichtigung der Mehrwertsteuer, wenn die Investition später aufgegeben wird?

h)

Erlauben oder verbieten die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie eine nationale Regelung, die die Beibehaltung des Rechts auf Vorsteuerabzug in Bezug auf aufgegebene Investitionen ausschließlich in zwei Fällen vorsieht, die unter kurzem Verweis auf zwei Entscheidungen des Gerichtshofs angegeben werden, nämlich, i) wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände/Dienstleistungen unter Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nie im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet, wie im Urteil vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal (C-37/95, EU:C:1998:1), ausgeführt, sowie ii) in anderen Fällen, in denen die erworbenen Gegenstände/Dienstleistungen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt wurde, aus objektiven Gründen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, nicht im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet werden, wie im Urteil vom 29. Februar 1996, Inzo (C-110/94, EU:C:1996:67), ausgeführt?

i)

Erlauben oder verbieten die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes den Widerruf durch die Steuerbehörden von in früheren Steuerprüfberichten oder in früheren Einspruchsentscheidungen enthaltenen Anerkenntnissen,

wonach der Einzelne Gegenstände und Dienstleistungen zu dem Zweck erworben hat, sie einem steuerbaren Umsatz zuzuordnen;

wonach die Aussetzung oder Aufgabe eines Investitionsprojekts durch einen vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängigen Umstand verursacht worden ist?

2.

a)

Erlauben oder verbieten es die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 28, dass die Konstruktion des Kommissionärs auch außerhalb eines Auftragsvertrags ohne Vertretung anwendbar ist?

b)

Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 28, dahin auszulegen, dass die Konstruktion des Kommissionärs anwendbar ist, wenn ein Steuerpflichtiger ein Bauwerk im Einklang mit den Anforderungen und dem Bedarf der Tätigkeit einer anderen juristischen Person zu dem Zweck errichtet, das Eigentum an dem Bauwerk zu behalten und es nach seiner Fertigstellung an diese andere juristische Person lediglich zu vermieten?

c)

Sind diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass der Erbauer in der vorstehend beschriebenen Situation die Investitionsausgaben für die Errichtung des Bauwerks der juristischen Person, der er das Bauwerk nach Fertigstellung vermieten will, in Rechnung stellen und die entsprechende Mehrwertsteuer von dieser juristischen Person erheben muss?

d)

Sind diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass der Erbauer in der vorstehend beschriebenen Situation verpflichtet ist, die Investitionsausgaben in Rechnung zu stellen und die entsprechende Mehrwertsteuer zu erheben, wenn die Bauarbeiten wegen der drastischen Verringerung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Person, der dieses Bauwerk vermietet werden soll, endgültig eingestellt werden, wobei diese Verringerung auf die bevorstehende Zahlungsunfähigkeit dieser Person zurückzuführen ist?

e)

Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts dahin auszulegen, dass die Steuerbehörden die Umsätze des Steuerpflichtigen neu einstufen können, ohne die von diesem vereinbarten Vertragsbedingungen zu berücksichtigen, auch wenn die in Rede stehenden Verträge nicht fingiert sind?

f)

Erlauben oder verbieten es die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, dass Steuerbehörden in früheren Steuerprüfberichten oder in früheren Entscheidungen über Verwaltungsbeschwerden enthaltene Anerkenntnisse des Anspruchs des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug widerrufen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage, Buchst. a bis i

29

Mit seiner ersten Frage, Buchst. a bis i, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 167, 168, 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände – im vorliegenden Fall für Immobilien – und Dienstleistungen, die im Hinblick auf die Ausführung besteuerter Umsätze erworben wurden, bestehen bleibt, wenn die ursprünglich vorgesehenen Investitionsprojekte aufgegeben wurden, oder ob in einem solchen Fall eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen ist.

30

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Abzugsrecht voraussetzt, dass der Betreffende „Steuerpflichtiger“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist und dass die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet worden sind (Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Eigenschaft von ITH als Steuerpflichtiger wird im Ausgangsverfahren offenbar nicht bestritten.

31

Außerdem entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Folglich hängt das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug allein davon ab, in welcher Eigenschaft eine Person zu diesem Zeitpunkt handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann einem Unternehmen, wenn die Steuerbehörde aufgrund der ihr von dem Unternehmen übermittelten Angaben festgestellt hat, dass ihm die Eigenschaft als Steuerpflichtiger zuzuerkennen sei, diese Stellung ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht wegen des Eintritts oder des Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden (Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Somit hängt die Anwendung des Systems der Mehrwertsteuer und damit des Berichtigungsmechanismus vom Erwerb der Gegenstände oder Dienstleistungen durch einen als solchen handelnden Steuerpflichtigen ab. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen bestimmt nur den Umfang des ursprünglichen Vorsteuerabzugs, zu dem der Steuerpflichtige nach Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume, berührt jedoch nicht die Entstehung des Abzugsrechts (Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich u. a. selbst dann erhalten bleibt, wenn der Steuerpflichtige später die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwendet (Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Was die Umstände anbelangt, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es nicht Sache der Steuerverwaltung ist, die Stichhaltigkeit der Gründe zu beurteilen, die einen Steuerpflichtigen dazu veranlasst haben, auf die ursprünglich beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit zu verzichten, da das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis gewährleistet, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985, Rompelman, 268/83, EU:C:1985:74, Rn. 19, und vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 23).

36

Der Annahme, dass der Nachweis des Vorliegens von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, nicht erbracht werden kann, wenn der Steuerpflichtige wusste, dass eine mit der Nichtgenehmigung eines für die Durchführung der fraglichen Investition erforderlichen städtebaulichen Plans durch eine Behörde oder mit dem Verlust der Rentabilität des Investitionsvorhabens aufgrund einer Entwicklung der wirtschaftlichen Gegebenheiten verbundene Gefahr bestand, dass die geplante Tätigkeit möglicherweise nicht ausgeführt werden könnte, kann nicht gefolgt werden, da aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, dass eine solche Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in Bezug auf die Steuerlast der Unternehmen verstieße. Sie könnte nämlich bei der steuerlichen Behandlung ähnlicher Investitionstätigkeiten zu nicht gerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen, die schon steuerbare Umsätze tätigen, und solchen Unternehmen führen, die durch Investitionen versuchen, Tätigkeiten aufzunehmen, die zu steuerbaren Umsätzen führen werden. Es würden auch willkürliche Unterscheidungen zwischen letzteren Unternehmen getroffen, da die endgültige Zulassung der Abzüge von der Frage abhinge, ob solche Investitionen zu steuerbaren Umsätzen führen oder nicht (vgl. u. a. Urteile vom 29. Februar 1996, Inzo, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 22, vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 43, und vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 25).

37

Somit genügt es, dass der Steuerpflichtige tatsächlich die Absicht hatte, die fraglichen Gegenstände und/oder Dienstleistungen zur Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verwenden, für die er sein Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt hat (vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985, Rompelman, 268/83, EU:C:1985:74, Rn. 24, vom 29. Februar 1996, Inzo, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 17, vom 8. Juni 2000, Breitsohl, C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 39, und vom 17. Oktober 2018, Ryanair, C-249/17, EU:C:2018:834, Rn. 18).

38

Zwar kann die Steuerverwaltung vom Steuerpflichtigen objektive Nachweise zur Bestätigung seiner Absicht verlangen und kann in Fällen von Betrug oder Missbrauch, in denen der Steuerpflichtige die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, abzugsfähige Gegenstände seinem Privatvermögen zuzuführen, rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge verlangen, da diese Abzüge aufgrund falscher Erklärungen gewährt wurden (vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985, Rompelman, 268/83, EU:C:1985:74, Rn. 24, vom 29. Februar 1996, Inzo, C-110/94, EU:C:1996:67, Rn. 23 und 24, und vom 8. Juni 2000, Breitsohl, C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Allerdings kann diese Möglichkeit, auch wenn die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und gefördert wird (vgl. u. a. Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 51), die Steuerverwaltung nicht dazu veranlassen, im Fall der Aufgabe der Investition Beweismodalitäten wie die Vermutung des Vorliegens eines Missbrauchs oder eines Betrugs aufzustellen, die bewirken würden, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch die Steuerpflichtigen, das ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.

40

Im vorliegenden Fall ist – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, das allein für die Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zuständig ist – zum einen festzustellen, dass aus dem Vorabentscheidungsersuchen nicht hervorgeht, dass ein betrügerisches Verhalten oder die Gefahr eines Missbrauchs seitens ITH vorgelegen hätte. Zum anderen scheint auch unstreitig zu sein, dass die ursprüngliche Absicht von ITH, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände und Dienstleistungen für seine besteuerten Umsätze zu verwenden, durch objektive Anhaltspunkte belegt ist.

41

Zu der Frage, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, ist darauf hinzuweisen, dass der in den Art. 184 bis 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus Bestandteil der mit dieser Richtlinie eingeführten Vorsteuerabzugsregelung ist. Er soll die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge in der Weise erhöhen, dass die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet wird, so dass die auf einer früheren Stufe bewirkten Umsätze weiterhin nur insoweit zum Abzug berechtigen, als sie der Erbringung von Leistungen dienen, die dieser Steuer unterliegen. Dieser Mechanismus verfolgt somit das Ziel, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen (Urteil vom 9. Juli 2020, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, C-374/19, EU:C:2020:546, Rn. 20).

42

Im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem können nämlich nur Steuern abgezogen werden, mit denen die von einem Steuerpflichtigen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendeten Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Vorstufe belastet waren. Der Vorsteuerabzug ist an die Erhebung der Steuern auf der folgenden Stufe geknüpft. Werden die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, so kann es weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen (Urteil vom 9. Juli 2020, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, C-374/19, EU:C:2020:546, Rn. 21).

43

Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass es, wenn der Steuerpflichtige die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwendet, für die Feststellung von „Änderungen“ im Sinne von Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht genügt, dass ein Gebäude nach der Auflösung eines entsprechenden Pachtvertrags aus vom Willen seines Eigentümers unabhängigen Umständen leer gestanden hat, dieser aber erwiesenermaßen noch immer die Absicht hat, dieses für eine besteuerte Tätigkeit zu nutzen, und die dazu erforderlichen Schritte unternimmt, da dies zu einer Beschränkung des Vorsteuerabzugs mittels der Bestimmungen über die Berichtigung führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 47).

44

Nur dann, wenn der Steuerpflichtige nicht mehr beabsichtigen würde, die fraglichen Gegenstände und Dienstleistungen zur Ausführung besteuerter Ausgangsumsätze zu verwenden, oder sie zur Ausführung steuerbefreiter Umsätze verwenden würde, wäre der enge und unmittelbare Zusammenhang im Sinne der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, der zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Ausführung beabsichtigter besteuerter Umsätze bestehen muss, unterbrochen.

45

Folglich kann, wenn der Steuerpflichtige, wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, noch immer die Absicht hat – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, die erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zur Ausführung besteuerter Umsätze zu verwenden, nicht davon ausgegangen werden, dass eine spätere Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, im Sinne von Art. 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt. Eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende kann daher, was die Berichtigung des Vorsteuerabzugs betrifft, nicht unter die Art. 184 und 185 dieser Richtlinie fallen.

46

Nach alledem ist auf die erste Frage, Buchst. a bis i, zu antworten, dass die Art. 167, 168, 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände – im vorliegenden Fall für Immobilien – und Dienstleistungen, die im Hinblick auf die Ausführung besteuerter Umsätze erworben wurden, bestehen bleibt, wenn die ursprünglich vorgesehenen Investitionsprojekte aufgrund von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, aufgegeben wurden, und dass keine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen ist, wenn der Steuerpflichtige noch immer die Absicht hat, diese Gegenstände für eine besteuerte Tätigkeit zu nutzen.

Zur zweiten Frage, Buchst. a bis f

47

Mit seiner zweiten Frage, Buchst. a bis f, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 28, dahin auszulegen ist, dass bei Nichtvorliegen eines Auftragsvertrags ohne Vertretung die Konstruktion des Kommissionärs anwendbar ist, wenn ein Steuerpflichtiger ein Bauwerk entsprechend dem Bedarf und den Anforderungen einer anderen Person errichtet, die dieses Bauwerk mieten soll.

48

Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt (Urteil vom 22. November 2018, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia, C-295/17, EU:C:2018:942, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Sodann begründet Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der bestimmt, dass Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, behandelt werden, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten, die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte (Urteil vom 4. Mai 2017, Kommission/Luxemburg, C-274/15, EU:C:2017:333, Rn. 85 und 86 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Dieselben Erwägungen gelten schließlich, wie der Gerichtshof entschieden hat, für den Erwerb von Gegenständen aufgrund eines Vertrags über eine Einkaufskommission gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie, der ebenfalls zu deren Titel IV („Steuerbarer Umsatz“) gehört. Diese Vorschrift begründet also die juristische Fiktion zweier gleichartiger Lieferungen von Gegenständen, die nacheinander erfolgen und die in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen (Urteil vom 4. Mai 2017, Kommission/Luxemburg, C-274/15, EU:C:2017:333, Rn. 88).

51

Daraus folgt, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit diese Bestimmungen Anwendung finden können, nämlich zum einen, dass es einen Auftrag gibt, zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten hinsichtlich der Lieferung von Gegenständen und/oder der Erbringung von Dienstleistungen tätig wird, und zum anderen, dass Gleichartigkeit besteht zwischen den Lieferungen der Gegenstände und/oder den Dienstleistungen, die der Kommissionär erwirbt, auf der einen sowie den Lieferungen der Gegenstände und/oder den Dienstleistungen, die an den Kommittenten verkauft oder diesem übertragen werden, auf der anderen Seite.

52

Was die erste Voraussetzung anbelangt, auf die sich das vorlegende Gericht insbesondere bezieht, ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie zwar nicht vorsieht, in welcher Form – schriftlich oder mündlich – der fragliche Auftrag erteilt worden sein muss. Jedoch ist, da in Art. 14 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie ausdrücklich der Begriff „Vertrag“ verwendet und in ihrem Art. 28 klargestellt wird, dass der Steuerpflichtige „für Rechnung Dritter“ handeln muss, festzustellen, dass zwischen dem Kommissionär und dem Kommittenten eine Vereinbarung bestehen muss, die die Erteilung des betreffenden Auftrags zum Gegenstand hat.

53

Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht aber nicht hervor, dass im Ausgangsverfahren eine solche Vereinbarung bestanden hätte. Letztlich ist es jedoch Sache des für die Würdigung des Sachverhalts der bei ihm anhängigen Rechtssache allein zuständigen vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.

54

Was die zweite Voraussetzung anbelangt, die sich auf die Gleichartigkeit der betreffenden Umsätze bezieht, genügt die Feststellung, dass sowohl Art. 14 Abs. 2 Buchst. c als auch Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorsehen, dass die vom Kommissionär empfangenen Gegenstände und/oder diesem gegenüber erbrachten Dienstleistungen an den Kommittenten übertragen werden. Dies bedeutet, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, nicht nur, dass Gleichartigkeit zwischen den betreffenden Umsätzen bestehen muss, sondern auch, dass gegebenenfalls eine Übertragung des damit verbundenen Eigentumsrechts vorliegen muss.

55

In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Steuerpflichtiger Gegenstände und Dienstleistungen im eigenen Namen und für eigene Rechnung und nicht für Rechnung Dritter erwirbt, um Dienstleistungen erbringen zu können, die dem besonderen Bedarf eines bestimmten Kunden angepasst sind, ist die zweite in Rn. 48 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung jedoch offensichtlich nicht erfüllt, da keine Übertragung des Eigentumsrechts zwischen dem vermeintlichen Kommissionär und dem vermeintlichen Kommittenten vorliegt.

56

Nach alledem ist auf die zweite Frage, Buchst. a bis f, zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 28, dahin auszulegen ist, dass bei Nichtvorliegen eines Auftragsvertrags ohne Vertretung die Konstruktion des Kommissionärs nicht anwendbar ist, wenn ein Steuerpflichtiger ein Bauwerk entsprechend dem Bedarf und den Anforderungen einer anderen Person errichtet, die dieses Bauwerk mieten soll.

Kosten

57

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Art. 167, 168, 184 und 185 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände – im vorliegenden Fall für Immobilien – und Dienstleistungen, die im Hinblick auf die Ausführung besteuerter Umsätze erworben wurden, bestehen bleibt, wenn die ursprünglich vorgesehenen Investitionsprojekte aufgrund von Umständen, die vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, aufgegeben wurden, und dass keine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen ist, wenn der Steuerpflichtige noch immer die Absicht hat, diese Gegenstände für eine besteuerte Tätigkeit zu nutzen.

 

2.

Die Richtlinie 2006/112, insbesondere Art. 28, ist dahin auszulegen, dass bei Nichtvorliegen eines Auftragsvertrags ohne Vertretung die Konstruktion des Kommissionärs nicht anwendbar ist, wenn ein Steuerpflichtiger ein Bauwerk entsprechend dem Bedarf und den Anforderungen einer anderen Person errichtet, die dieses Bauwerk mieten soll.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.