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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61994C0283

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 2. Mai 1996. - Denkavit International BV, VITIC Amsterdam BV und Voormeer BV gegen Bundesamt für Finanzen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland. - Harmonisierung des Steuerrechts - Körperschaftsteuer - Mutter- und Tochtergesellschaften. - Verbundene Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-05063


Schlußanträge des Generalanwalts


1 In den vorliegenden Rechtssachen, mit denen der Gerichtshof aufgrund von Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Köln befasst ist, wird der Gerichtshof erstmals um Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten(1) (im folgenden: die Richtlinie) ersucht. Die Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten u. a. vor, keine Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen von in ihrem Gebiet ansässigen Gesellschaften an ihre in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Muttergesellschaften zu erheben. Die Mitgliedstaaten haben jedoch die Möglichkeit, von der Richtlinie Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften in ihrem Gebiet auszunehmen, deren Muttergesellschaft nicht während eines Zeitraums von bis zu zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaft gelten.

2 Die Hauptfrage in den vorliegenden Rechtssachen besteht darin, ob die Richtlinie einem Mitgliedstaat die Anwendung einer Regelung gestattet, wonach eine Gesellschaft für Ausschüttungen an ihre Muttergesellschaft im ersten Jahr, nachdem sie von dieser erworben worden ist, einen Steuerabzug an der Quelle vorzunehmen hat, so daß der Muttergesellschaft die Befreiung von der Quellensteuer versagt wird, selbst wenn sie ihre Beteiligung schließlich über diesen Zeitraum hinaus aufrechterhält. Für den Fall, daß diese Frage verneint wird, fragt das vorlegende Gericht, ob die Muttergesellschaft sich vor den Gerichten des Staates der Tochtergesellschaft auf die Richtlinie berufen kann.

3 In einer der Rechtssachen stellt sich für den Fall, daß die fragliche nationale Regelung der Richtlinie widersprechen sollte, die weitere Frage, ob eine Muttergesellschaft, die den Bezug einer Gewinnausschüttung wegen der genannten Regelung auf die Zeit nach Ablauf der sie als Muttergesellschaft qualifizierenden Frist verschoben hat, nach den im Urteil Francovich(2) niedergelegten Grundsätzen von dem Staat der Tochtergesellschaft Schadensersatz wegen Zinsverlusten verlangen kann.

Die maßgeblichen Gemeinschaftsvorschriften

4 Die Richtlinie ist eine von drei Rechtsakten, die am 23. Juli 1990 zu dem Zweck erlassen wurden, bestimmte steuerliche Hemmnisse für den grenzueberschreitenden Zusammenschluß von Gesellschaften in der Gemeinschaft zu beseitigen. Bei den anderen Rechtsakten handelt es sich um die Richtlinie 90/434/EWG des Rates über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen(3) (im folgenden: die Fusionsrichtlinie) und das Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen(4).

5 Laut ihrer Präambel sollen mit der Richtlinie wettbewerbsneutrale Regelungen geschaffen werden, "um die Anpassungen von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen"(5). Insbesondere zielt die Richtlinie auf die Beseitigung von steuerlichen Nachteilen ab, die Gesellschaften aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten im Vergleich zu Gesellschaften aus ein und demselben Mitgliedstaat haben, wenn sie sich zusammenschließen(6).

6 Die Notwendigkeit der Richtlinie ergibt sich aus der Doppelbesteuerung, der Zusammenschlüsse von Gesellschaften, die in mehr als einem Land ansässig sind, unterworfen sein können. Vorbehaltlich bestimmter Erleichterungen, die die Staaten entweder einseitig oder aufgrund von zweiseitigen Übereinkünften gewähren, können die Gewinne einer Tochtergesellschaft sowohl in deren Staat als betrieblicher Ertrag der Tochtergesellschaft als auch, bei Ausschüttung des Einkommens an die Muttergesellschaft, als deren Dividendeneinkommen in dem Staat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, besteuert werden; das Einkommen unterliegt möglicherweise einer weiteren Besteuerung auf Gesellschaftsebene, wenn die Muttergesellschaft nur eine zwischengeschaltete Holdinggesellschaft ist, die einer Gesellschaft in einem anderen Staat gehört.

7 Ausserdem erheben die Mitgliedstaaten in der Regel Steuern auf Gewinnausschüttungen von Gesellschaften, d. h. auf an die Aktionäre gezahlte Dividenden. Diese Steuern haben normalerweise die Form von Abzug- oder Quellensteuern, d. h. von Steuern, die die Gesellschaft, die die Zahlung vornimmt, für Rechnung der Steuerbehörden an der Quelle erhebt. Quellensteuern dienen im inländischen Zusammenhang oft dazu, die Erfuellung der Steuerpflicht durchzusetzen und die Steuererhebung zu vereinfachen; durch die an der Quelle einbehaltene Steuer wird im allgemeinen die Steuerschuld von Empfängern, bei denen es sich um gebietsansässige Steuerpflichtige handelt, beglichen oder sie wird auf diese Schuld angerechnet. Quellensteuern auf grenzueberschreitend gezahlte Dividenden stellen eine zusätzliche Besteuerung von Gebietsfremden durch den sie erhebenden Staat dar, möglicherweise ohne daß die Betroffenen in dem Staat, in dem sie ansässig sind, deswegen eine Erleichterung erlangen können.

8 Um solche steuerlichen Hemmnisse für Zusammenschlüsse von in der Gemeinschaft ansässigen Gesellschaften zu beseitigen, schafft die Richtlinie vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen Quellensteuern auf Gewinnausschüttungen im Verhältnis zwischen Tochter- und Muttergesellschaften, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässig sind, ab und schreibt den Mitgliedstaaten vor, daß sie Gewinnausschüttungen, die Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten erhalten, von der Steuer befreien oder die von der Tochtergesellschaft gezahlten Steuern anrechnen müssen.

9 Artikel 1 der Richtlinie lautet:

"(1) Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie an

- auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Staates von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats zufließen;

- auf Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften dieses Staates an Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten.

(2) Die vorliegende Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Mißbräuchen nicht entgegen."

10 Artikel 2 definiert den Begriff "Gesellschaft eines Mitgliedstaats". Unstreitig fallen die in den vorliegenden Verfahren betroffenen niederländischen und deutschen Gesellschaften unter Artikel 2.

11 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

"Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a) $Muttergesellschaft` wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfuellt und die einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, die die gleichen Bedingungen erfuellt, besitzt;

b) $Tochtergesellschaft` die Gesellschaft, an deren Kapital eine andere Gesellschaft den unter Buchstabe a) genannten Anteil besitzt."

12 Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie - die Vorschrift, auf die die streitige nationale Regelung gestützt ist - sieht vor, daß die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Möglichkeit haben,

"von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, die nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaften gelten, oder an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält".

13 Nach Artikel 4 hat der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft Ausschüttungen, die Muttergesellschaften von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten erhalten, von der Besteuerung zu befreien oder die von letzteren gezahlten Steuern anzurechnen.

14 In Artikel 5, der für das vorliegende Verfahren ebenfalls von unmittelbarer Bedeutung ist, heisst es:

"(1) Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind, zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit.

...

(3) Abweichend von Absatz 1 kann die Bundesrepublik Deutschland, solange sie auf ausgeschüttete Gewinne einen um mindestens 11 Punkte niedrigeren Körperschaftsteuersatz anwendet als auf einbehaltene Gewinne, spätestens jedoch bis Mitte 1996 als Ausgleichsteuer einen Steuerabzug an der Quelle in Höhe von 5 % auf Gewinnausschüttungen ihrer Tochtergesellschaften vornehmen.

..."

15 Die Artikel 6 und 7 sind für die vorliegenden Verfahren nicht von Belang. Nach Artikel 8 war die Richtlinie vor dem 1. Januar 1992 durchzuführen.

Die maßgeblichen nationalen Vorschriften

16 § 43 Absatz 1 des deutschen Einkommensteuergesetzes (im folgenden: EStG) sieht die Erhebung von Einkommensteuer im Form einer Quellensteuer aus Kapitalerträgen - "Kapitalertragsteuer" genannt - vor. Nach § 20 Absatz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinnanteile (Dividenden). Nach § 43a Absatz 1 Nr. 1 beträgt die Kapitalertragsteuer 25 % des Kapitalertrags.

17 § 50d Absatz 3 EStG sieht die Anwendung von niedrigeren Kapitalertragsteuersätzen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und anderen Ländern vor. Für die in den Ausgangsverfahren streitigen Gewinnausschüttungen gilt anscheinend aufgrund des deutsch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommens ein Quellensteuersatz von 15 %.

18 § 44d Absatz 1 EStG, durch den die Deutschland durch Artikel 5 Absätze 1 und 3 der Richtlinie vorgeschriebene Senkung der Quellensteuer durchgeführt wird, sieht vor, daß auf Kapitalerträge, die von einer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft (d. h. einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft) an eine Muttergesellschaft gezahlt werden, die weder ihren Sitz noch ihre Hauptverwaltung in Deutschland hat, eine Steuer von 5 % erhoben wird.

19 § 44d Absatz 2 EStG, die in den Ausgangsverfahren streitige Vorschrift, bestimmt jedoch:

"Muttergesellschaft im Sinne des Absatzes 1 ist eine Gesellschaft, die ... im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 nachweislich seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft beteiligt ist."

20 Die deutsche Regelung wirkt sich somit dahin aus, daß auf Dividenden, die innerhalb der ersten zwölf Monate nach dem Erwerb einer deutschen Tochtergesellschaft gezahlt werden, Quellensteuer zum normalen oder zum vertragsmässigen Satz erhoben wird und selbst dann nicht zurückzuzahlen ist, wenn die Muttergesellschaft ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft über diesen Zeitraum hinaus aufrechterhält. In den vorliegenden Verfahren wird geltend gemacht, die Richtlinie schreibe Deutschland vor, unmittelbar vom Erwerb an einen Steuersatz von 5 % anzuwenden.

Der Sachverhalt und die Fragen des vorlegenden Gerichts

21 Sämtliche Klägerinnen der Ausgangsverfahren, die Denkavit Internationaal BV (Rechtssache C-283/94), die VITIC Amsterdam BV (Rechtssache C-291/94) und die Voormeer BV (Rechtssache C-292/94), sind niederländische Gesellschaften, die Beteiligungen an deutschen Gesellschaften besitzen. Alle drei Verfahren sind beim Finanzgericht Köln anhängig.

22 In der Rechtssache C-291/94 erhöhte VITIC ihre Beteiligung an der deutschen Gesellschaft Wesumat GmbH zum 2. Januar 1992 von 19 % auf 95 %. Am 15. Oktober 1991 wurde beschlossen, aus dem von der Wesumat GmbH im Jahr 1990 erzielten Gewinn eine Dividende auszuschütten, die am 15. Januar 1992 fällig sein sollte. VITIC hatte Anspruch auf 95 % des ausgeschütteten Betrags. Von der Ausschüttung wurde Kapitalertragsteuer zum normalen Satz von 25 % sowie der Solidaritätszuschlag (dieser wird als Beitrag zum wirtschaftlichen Umbau der neuen Länder erhoben) einbehalten. VITIC beantragte in der Folgezeit bei der Finanzverwaltung die Erstattung des Solidaritätszuschlags und der Kapitalertragsteuer, soweit sie den nach Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie in Deutschland zulässigen Satz von 5 % überstieg. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1992 erstattete die Finanzverwaltung zwar den Solidaritätszuschlag in voller Höhe, die Kapitalertragsteuer hingegen nur insoweit, als sie 15 % der Dividende, d. h. den im deutsch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Satz, überstieg. Die Anwendung des in § 44d Absatz 1 EStG vorgesehenen Satzes von 5 % lehnte die Finanzverwaltung dagegen mit der Begründung ab, daß die in § 44d Absatz 2 EStG vorgesehene zwölfmonatige Behaltezeit nicht abgelaufen gewesen sei. Mit seiner Klage beim Finanzgericht ficht VITIC diesen Bescheid an und begehrt eine weitere Erstattung von 190 000 DM.

23 Ein ähnlicher Sachverhalt liegt der Vorlage in der Rechtssache C-292/94 zugrunde. Auch Voormeer begehrt die Erstattung von durch eine Tochtergesellschaft, die Framode GmbH, einbehaltener Kapitalertragsteuer insoweit, als sie 5 % überschreitet, nachdem die Finanzverwaltung nur den Solidaritätszuschlag und die 15 % der Dividende überschreitende Kapitalertragsteuer erstattet hatte. Voormeer macht einen Anspruch auf eine weitere Erstattung in Höhe von 240 333,30 DM geltend.

24 In der Rechtssache C-283/94 liegt der Sachverhalt geringfügig anders. Denkavit erhöhte mit Wirkung vom 14. Juli 1992 ihre Beteiligung an der deutschen Denkavit Futtermittel GmbH von 20 % auf 99,4 %. Am 6. Oktober 1992 beantragte sie festzustellen, daß auf die von ihrer Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden nach § 50d in Verbindung mit § 44d EStG der Quellensteuersatz von 5 % Anwendung finden soll. Gleichzeitig versicherte sie gegenüber der Finanzverwaltung, daß ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft seit dem 14. Juli 1992 bei über 25 % liege und in dieser Form auch während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren bestehen bleiben werde. Die Finanzverwaltung lehnte den Antrag von Denkavit jedoch mit der Begründung ab, daß die in § 44d Absatz 2 EStG vorgesehene zwölfmonatige Behaltezeit nicht abgelaufen gewesen sei und gewährte für den Zeitraum vom 1. Oktober 1992 bis zum 30. September 1995 lediglich eine Teilfreistellung bis zu dem im deutsch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Quellensteuersatz von 15 %. Nachdem Denkavit erfolglos Einspruch eingelegt und sodann Klage erhoben hatte, änderte die Finanzverwaltung ihren Bescheid und ließ die Anwendung des Satzes von 5 % bei der Einbehaltung der Quellensteuer ab 15. Juli 1993 (d. h. ab einem Jahr nach Erwerb der Denkavit als Muttergesellschaft qualifizierenden Beteiligung) unter der Bedingung zu, daß Denkavit weiterhin bis zum 30. September 1995 im Besitz einer Beteiligung bleibt, aufgrund deren sie als Muttergesellschaft gilt. Denkavit beschränkte daraufhin ihre Klage auf den Zeitraum vor dem 15. Juli 1993 und änderte insoweit ihre Klage in eine Klage auf Feststellung um, daß der Bescheid rechtswidrig gewesen ist. Sie trägt vor, sie habe ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung, weil diese ihr die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs in einem gesonderten Verfahren vor anderen deutschen Gerichten ermöglichen solle. Durch den ablehnenden Bescheid der Finanzverwaltung über ihren Antrag habe sich die ursprünglich für den 16. Oktober 1992 vorgesehene Gewinnausschüttung verzögert und hierdurch sei ihr ein erheblicher Zinsverlust entstanden.

25 In den Verfahren vor dem Finanzgericht Köln machten die Gesellschaften geltend, § 44d Absatz 2 EStG widerspreche Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie. Das Finanzgericht hat daher den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

In den Rechtssachen C-291/94 (VITIC) und C-292/94 (Voormeer):

1. Ist die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225 vom 20. August 1990, S. 6), insbesondere deren Artikel 3 Absatz 2, dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten berechtigt sind, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von den in Artikel 5 vorgeschriebenen Steuervergünstigungen auszuschließen, wenn die Muttergesellschaft zwar im Zeitpunkt des Zufließens der in Rede stehenden Gewinnausschüttung noch nicht seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der inländischen Tochtergesellschaft beteiligt ist, diese Mindestbehaltefrist jedoch in der Folgezeit erfuellt wird?

2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist die genannte Richtlinie dahin auszulegen, daß sich eine Muttergesellschaft, die die Bedingungen der Artikel 2 und 3 der Richtlinie erfuellt, gegenüber dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie zur Begründung ihres Rechtsanspruchs auf die dort vorgesehene Befreiung oder Ermässigung des Steuerabzugs an der Quelle berufen kann, und bejahendenfalls, obliegt der Schutz dieses Rechtsanspruchs den nationalen Gerichten des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft?

In der Rechtssache C-283/94 (Denkavit):

1. Ist die Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225 vom 20. August 1990, S. 6), insbesondere deren Artikel 3 Absatz 2, dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten berechtigt sind, eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von den in Artikel 5 vorgeschriebenen Steuervergünstigungen auszuschließen, wenn die Muttergesellschaft einerseits im Zeitpunkt des Zufließens der in Rede stehenden Gewinnausschüttung noch nicht seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der inländischen Tochtergesellschaft beteiligt ist, die Muttergesellschaft sich andererseits jedoch gegenüber den zuständigen Steuerbehörden des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft verpflichtet hat, während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren seit dem Erwerb im Besitz ihrer Beteiligung an der Tochtergesellschaft zu bleiben?

2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist die Richtlinie 90/435/EWG dahin auszulegen, daß sich eine Muttergesellschaft, die die Bedingungen der Artikel 2 und 3 der Richtlinie erfuellt, gegenüber dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie zur Begründung ihres Rechtsanspruchs auf die dort vorgesehene Befreiung oder Ermässigung des Steuerabzugs an der Quelle berufen kann, und bejahendenfalls, obliegt der Schutz dieses Rechtsanspruchs den nationalen Gerichten des Mitgliedstaats der Tochtergesellschaft?

3. Wenn Frage 1 verneint wird: Wenn der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie insoweit fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt hat, daß die dort vorgesehene Mindestbeteiligungsfrist nach der nationalen Gesetzgebung bereits vor dem Zeitpunkt des Zufließens einer entsprechend Artikel 5 der Richtlinie zu begünstigenden Gewinnausschüttung erfuellt sein muß, hat dann die in Fragen 1 und 2 umschriebene Muttergesellschaft nach den Kriterien des Urteils des Gerichtshofes vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich und Bonifaci) einen im Gemeinschaftsrecht begründeten oder einen nach Gemeinschaftsrecht gebotenen Entschädigungsanspruch gegen diesen Mitgliedstaat wegen Zinsverlusten, die ihr dadurch entstanden sind, daß sie die Vollziehung einer während der Laufzeit der oben genannten nationalen Mindestbeteiligungsfrist beschlossenen Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft bis zum Ablauf dieser Frist aufgeschoben hat?

Frage 1

26 Mit der ersten Frage des vorlegenden Gerichts in allen drei Rechtssachen soll geklärt werden, ob Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie es einem Mitgliedstaat gestattet, eine Regelung anzuwenden, wonach einer Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat die in Artikel 5 der Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Quellensteuer versagt wird, sofern sie nicht während eines Mindestzeitraums zu 25 % an der betroffenen Tochtergesellschaft beteiligt war. In der Rechtssache C-283/94 will das vorlegende Gericht ferner wissen, ob es einen Unterschied macht, daß die Muttergesellschaft sich verpflichtet hat, ihre Beteiligung während des vorgeschriebenen Zeitraums aufrechtzuerhalten.

27 Schriftliche Erklärungen zu dieser Frage sind (in der Rechtssache C-283/94) von Denkavit sowie (in allen drei Rechtssachen) vom Bundesamt für Finanzen, der belgischen, der deutschen, der griechischen, der italienischen und der niederländischen Regierung und der Kommission abgegeben worden. In der mündlichen Verhandlung haben Denkavit, die deutsche, die französische, die griechische und die niederländische Regierung sowie die Kommission Ausführungen gemacht.

28 Denkavit macht geltend, ihre Ansicht, daß die deutsche Regelung gegen Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie verstosse, werde durch den Wortlaut dieser Vorschrift bestätigt, der eine Auslegung ausschließe, nach der ein Mitgliedstaat die Befreiung von der Quellensteuer ablehnen könne, solange die Mindestbehaltezeit nicht zurückgelegt worden sei. Diese Ansicht stehe im Einklang mit dem Zweck der Richtlinie, grenzueberschreitende Zusammenarbeit zu erleichtern. Diese würde behindert, wenn die Befreiung während eines Zeitraums von bis zu zwei Jahren versagt werden könnte. Für ihre Ansicht spreche auch die Begründung des Richtlinienvorschlags(7), wonach der Zweck des Artikels 3 Absatz 2 darin bestehe, den Mitgliedstaaten die rückwirkende Aberkennung der Eigenschaft als Muttergesellschaft zu ermöglichen, falls die Gesellschaft nicht mehr die Voraussetzungen erfuelle, um als Muttergesellschaft zu gelten.

29 Denkavit wird in seiner Auffassung von der Kommission unterstützt, die zusätzlich vorträgt, daß Artikel 3 Absatz 2 als Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei und daß die rückwirkende Aufhebung der Befreiung für den Fall, daß eine Gesellschaft nicht mehr die Voraussetzungen erfuelle, um als Muttergesellschaft zu gelten, keine nennenswerten administrativen Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Die Kommission macht ferner geltend, die deutsche Regelung, wonach die Vermutung des Mißbrauchs gelte, solange das Gegenteil nicht bewiesen sei, verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

30 Die deutsche Regierung, deren Ansichten vom Bundesamt für Finanzen geteilt werden, vertritt die Auffassung, der Wortlaut des Artikels 3 Absatz 2 sei so weit gefasst, daß er die deutsche Regelung decke. Diese wäre daher nur dann mit der Richtlinie unvereinbar, wenn eine engere Auslegung durch Sinn und Zweck der Richtlinie geboten wäre; dies sei aber nicht der Fall. Die vom Staat der Muttergesellschaft gewährte Steuervergünstigung nach Artikel 4 der Richtlinie sei von der Befreiung von der Quellensteuer durch den Staat der Tochtergesellschaft nach Artikel 5 zu unterscheiden. Im letztgenannten Fall verzichte der Staat der Tochtergesellschaft von vornherein auf die Quellensteuer; daher müsse bereits in diesem Zeitpunkt feststehen, daß die Voraussetzungen für die Befreiung von der Quellensteuer erfuellt seien. Der Steuerabzug an der Quelle sei ein Instrument zur Erhebung von Steuern, deren Beitreibung sonst erhebliche Kosten verursachen würde. Zwar könne das nationale Recht die nachträgliche Steuererhebung von der Tochter- oder der Muttergesellschaft vorsehen, dies dürfe aber nur die Ausnahme und nicht die Regel sein.

31 Der den Mitgliedstaaten durch die neutrale Formulierung von Artikel 3 eingeräumte Gestaltungsspielraum lasse sich möglicherweise dadurch erklären, daß der Staat der Tochtergesellschaft nur schwer nachprüfen könnte, ob die Muttergesellschaft die Voraussetzung der Mindestbehaltezeit erfuelle. Die deutsche Regierung räumt ein, daß andere Techniken, wie z. B. der Aufschub der Steuererstattung bis zum Ablauf der Mindestbehaltezeit oder die vorläufige Befreiung von der Quellensteuer gegen Sicherheitsleistung, angewandt werden könnten; sie stuenden aber mit der Natur einer Quellensteuerbefreiung nicht in Einklang und seien jedenfalls durch die Richtlinie nicht vorgeschrieben.

32 Die deutsche Regierung wird in den vorliegenden Verfahren durch die belgische, die französische, die griechische, die italienische und die niederländische Regierung unterstützt. Die griechische Regierung macht geltend, die Auslegung von Denkavit genüge nicht dem Erfordernis praktischer und rationaler Vorschriften im Steuerrecht. Es genüge auch nicht dem Erfordernis der Rechtssicherheit. Die Ausnahme sei in die Richtlinie aufgenommen worden, um vorübergehenden Zusammenschlüssen die Vorteile aus der Richtlinie zu versagen und sie auf langfristige Zusammenschlüsse strategischer Art zu beschränken. Dieses Ziel mache die Festlegung von Kriterien für ein gewisses Maß an Sicherheit und Dauerhaftigkeit erforderlich. Wenn man die Ansicht von Denkavit zugrunde lege, so müssten besondere Verwaltungsverfahren vorgesehen werden, durch die die Einfachheit der Vorschriften beeinträchtigt und ein unverhältnismässiger Kostenaufwand verursacht würde. Auch eine Befreiung unter Bedingungen oder eine vorübergehende Befreiung würde zu Rechtsunsicherheit sowohl für die Privatpersonen als auch für die Finanzbehörden führen und hätte nachteilige finanzielle Auswirkungen für die Mitgliedstaaten. Die griechische Regierung fügt hinzu, entstehungsgeschichtliche Argumente, die auf die Begründung des Richtlinienvorschlags der Kommission gestützt seien, seien von begrenztem Wert, da die Richtlinie Gegenstand langwieriger, sich über 25 Jahre hinziehender Verhandlungen gewesen sei.

33 Die niederländische Regierung trägt vor, zwar sehe das niederländische Recht unter bestimmten Umständen, wenn die Tochtergesellschaft ausreichende Verpflichtungen übernehme, eine sofortige Befreiung von der Quellensteuer zu gewähren; die Richtlinie gestatte aber den Erlaß restriktiverer Vorschriften. Die niederländischen Vorschriften seien weniger restriktiv, um in den Niederlanden ein günstiges steuerrechtliches Umfeld zu schaffen.

34 Vor Prüfung dieser Ausführungen mag es nützlich sein, einen kurzen Überblick über die Art und Weise zu geben, in der die Mitgliedstaaten von der durch Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich zweite Alternative der Richtlinie eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Anscheinend verlangen ausser Portugal (dessen Recht die Frage nicht ausdrücklich regelt) die zehn Mitgliedstaaten, die von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien), ausdrücklich, daß die Mindestbehaltezeit - die in einigen Fällen von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt worden ist - grundsätzlich zurückgelegt sein muß, bevor die Ausschüttung erfolgt(8). Jedoch kann die Tochtergesellschaft oder die gebietsfremde Muttergesellschaft nach österreichischem Recht die Erstattung der einbehaltenen Steuer beantragen, nachdem die Mindestbehaltezeit abgelaufen ist(9). Ferner kann die Befreiung von der Quellensteuer nach niederländischem Recht sofort gewährt werden, wenn die Tochtergesellschaft eine Sicherheit in Höhe des Steuerausfalls stellt(10).

35 Obwohl die niederländische Regierung in den vorliegenden Rechtssachen den Standpunkt der deutschen Regierung unterstützt, scheint mir doch ein grundlegender Unterschied zwischen der niederländischen und der österreichischen Regelung einerseits und der deutschen Regelung andererseits zu bestehen. Während sich letztere dahin auswirkt, daß jede Gewinnausschüttung einer deutschen Tochtergesellschaft innerhalb des ersten Jahres nach Erwerb durch eine gebietsfremde Muttergesellschaft endgültig besteuert wird, wird nach der österreichischen und der niederländischen Regelung, obwohl sie entweder eine vorläufige Steuererhebung während der Mindestbehaltezeit oder die Stellung einer Sicherheit in Höhe der Steuer vorsehen, letztlich unter bestimmten Voraussetzungen eine Befreiung für diesen Zeitraum gewährt. Sie behandeln, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nicht Zusammenschlüsse von Gesellschaften unabhängig davon gleich, ob die Mindestbehaltezeit zurückgelegt wird.

36 Was nun die Auslegung von Artikel 3 Absatz 2 angeht, so bin ich zunächst einmal der Ansicht, daß der Wortlaut der Bestimmung mehr für die Ansicht von Denkavit und der Kommission als für die der Regierungen spricht, die sich an den vorliegenden Verfahren beteiligt haben. Artikel 3 Absatz 2 gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit "von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, ... an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaat nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält". Dieser Wortlaut, insbesondere die Verwendung des Präsens ("nicht ... hält")(11), wirkt sich dahin gehend aus, daß die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, Artikel 5 der Richtlinie in Fällen nicht anzuwenden, in denen die Muttergesellschaft ihre Beteiligung nicht zwei Jahre lang aufrechterhält. Er gibt den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit, die Befreiung für die Anfangszeit auch dann ganz zu versagen, wenn die Muttergesellschaft ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft während dieser Zeit aufrechterhält.

37 Artikel 3 Absatz 2 ist jedoch insofern mehrdeutig, als offenbleibt, zu welchem Zeitpunkt der Mitgliedstaat darüber zu befinden hat, ob das Beteiligungserfordernis erfuellt ist. Es ist mit anderen Worten nicht klar, ob ein Mitgliedstaat, wie Denkavit und die Kommission geltend machen, die Richtlinie einstweilen anwenden und, wenn sich später herausstellt, daß das Erfordernis nicht erfuellt ist, die Steuer rückwirkend erheben muß oder ob er - wie Österreich - die Steuer vorläufig erheben (oder, wie die Niederlande, die Stellung einer Sicherheit in Höhe der Steuer verlangen) kann, bis nachgewiesen ist, daß das Beteiligungserfordernis eingehalten worden ist. Wie ich unten darlegen werde, halte ich es für angebracht, es den Mitgliedstaaten zu gestatten, nach ihrem Ermessen zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu wählen.

38 Es wäre jedoch mit dem Zweck der Richtlinie unvereinbar, wenn man Artikel 3 Absatz 2 entgegen seinem Wortlaut dahin auslegen würde, daß die Mitgliedstaaten danach die Quellensteuer für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren auf jeden Fall endgültig zum normalen Satz erheben dürfen. Entgegen der Ansicht der Regierungen könnte eine solche Auslegung ein Hemmnis für die grenzueberschreitende Zusammenarbeit darstellen, denn wenn eine Muttergesellschaft bis zu zwei Jahre lang keine Dividende von einer neu erworbenen Tochtergesellschaft erhalten kann, ohne Quellensteuer entrichten zu müssen, so ist dies ein Nachteil, der im Rahmen jedes Vorhabens einer Umstrukturierung oder eines Zusammenschlusses berücksichtigt werden müsste. Wie sich im Fall Denkavit zeigt, gibt die Pflicht zur Entrichtung von Quellensteuer Anlaß, die Zahlung einer Dividende bis zum Ablauf der Mindestbehaltezeit aufzuschieben. Eine Muttergesellschaft benötigt jedoch möglicherweise den sofortigen Zufluß einer Gewinnausschüttung von ihrer Tochtergesellschaft, um ein Darlehen, das sie zum Erwerb der Tochtergesellschaft aufgenommen hat, zu finanzieren oder einen angemessenen Ertrag für zu diesem Zweck aufgebrachtes Beteiligungskapital zu erzielen. Wird die Steuer nur vorläufig einbehalten oder die Stellung einer Sicherheit verlangt, so ist dies ein weniger grosses Hindernis, da eine Gewinnausschüttung in dem Wissen, daß die Befreiung von der Quellensteuer schließlich bei Erfuellung des Beteiligungserfordernisses gewährt werden wird, doch vorgenommen werden kann.

39 Die Auslegung, die von den an den vorliegenden Verfahren beteiligten Regierungen vorgeschlagen worden ist, steht ausserdem in einem Mißverhältnis zum Zweck des Artikels 3 Absatz 2, der darin besteht, die Inanspruchnahme der Vergünstigungen aus der Richtlinie für nicht deren Zielen entsprechende kurzfristige Erwerbsgeschäfte zu verhindern. Wie die österreichische und die niederländische Regelung zeigen, kann dieser Zweck durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden, so z. B. durch das Erfordernis, daß die Tochtergesellschaft die Quellensteuer während der Mindestbehaltezeit vorläufig einbehalten oder daß eine Sicherheit in Höhe der Steuer gestellt werden muß.

40 Die Argumentation der Regierungen mit der Natur der Quellensteuer oder den administrativen Schwierigkeiten der Anwendung weniger einschneidender Vorschriften überzeugt mich nicht. Zwar stimme ich mit der deutschen Regierung darin überein, daß eines der wesentlichen Merkmale der Quellensteuer in der Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und der Steuererhebung, insbesondere bei grenzueberschreitenden Zahlungen, besteht. Doch könnte dies zwar möglicherweise die vorläufige Erhebung der Steuer bis zu dem Zeitpunkt, wo die Muttergesellschaft die Erfuellung des Beteiligungserfordernisses nachweist, rechtfertigen, aber es ist meiner Ansicht nach der Natur einer Quellensteuer nicht immanent, daß eine Erstattung von an der Quelle einbehaltener Steuer in dem Fall, daß der einbehaltene Betrag die Steuerpflicht des Empfängers übersteigt, niemals möglich ist. Die Erstattung von Steuern, die von verschiedenen Arten von Einkommen einbehalten werden, ist weder im inländischen noch im grenzueberschreitenden Zusammenhang unüblich.

41 Zwar mögen die beiden Funktionen einer Quellensteuer bei grenzueberschreitenden Dividendenzahlungen normalerweise zusammenfallen: Durch die Quellensteuer wird die Steuerpflicht des gebietsfremden Empfängers im Staat der die Zahlung vornehmenden Gesellschaft erfuellt, und sie dient zugleich als Instrument der Steuererhebung. Demgemäß entspricht der erhobene Betrag normalerweise dem endgültig geschuldeten Betrag, so daß sich die Frage einer Erstattung nicht stellt. Der springende Punkt ist jedoch, daß eine Gesellschaft, die das in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie vorgesehene Beteiligungserfordernis erfuellt, nicht steuerpflichtig ist. Unter diesen Umständen kann die Quellensteuer lediglich als Mittel der vorläufigen Erhebung dienen. Die endgültige Erhebung einer Quellensteuer ist nur gegenüber den Gesellschaften gerechtfertigt, die steuerpflichtig sind, weil sie das Beteiligungserfordernis nicht erfuellen.

42 Ich glaube, den Finanzbehörden würde keine untragbare Last auferlegt, wenn sie verpflichtet wären, Muttergesellschaften, die nachweisen, daß sie das Beteiligungserfordernis erfuellt hatten, überzahlte Steuern zu erstatten. Die Überwachung von Steuersachen und die Vornahme der erforderlichen Berichtigungen ist Teil der laufenden Tätigkeit der Finanzbehörden, und es ist nicht eben wahrscheinlich, daß eine solche Verpflichtung ihre Arbeitsbelastung stark erhöhen würde. Die Regierungen haben auf gezielte Fragen zu diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung keine nennenswerten Schwierigkeiten anführen können, und die deutsche Regierung hat sogar eingeräumt, daß die Erstattung der Steuer technisch möglich wäre. Dafür spricht wiederum die österreichische Regelung, wonach die Steuer auf ordnungsgemäß gestellten Antrag des Steuerpflichtigen erstattet werden kann. Ausserdem können andere Lösungen, die keine tatsächliche Steuererstattung einschließen, so z. B. die Stellung von Bankbürgschaften, möglich sein.

43 Ich teile nicht die Ansicht der griechischen Regierung, daß die Ablehnung der Erstattung von Quellensteuer, die innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Erwerb gezahlt worden ist, durch das Bedürfnis der Finanzbehörden und der Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit gerechtfertigt sei. Wie die Kommission vorträgt, muß die Vermutung gelten, daß eine Ausschüttung einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft durch die Richtlinie gedeckt und von der Steuer befreit ist. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Haushaltsplanung erforderlichenfalls hierauf abstellen. Was den Steuerpflichtigen angeht, so vermag ich nicht zu erkennen, wie man ernsthaft geltend machen kann, daß die Erstattung der Steuer nach Ablauf der Behaltezeit sein Interesse an Rechtssicherheit beeinträchtigen würde.

44 Man könnte sogar daran zweifeln, ob die Mitgliedstaaten die vorläufige Besteuerung oder das Erfordernis der Sicherheitsleistung in Höhe der Steuer rechtfertigen können. Möglicherweise wäre die vorläufige Befreiung die richtige Art, die Richtlinie durchzuführen. Es überzeugt mich nicht recht, daß die vorläufige Befreiung unmöglich sein soll, weil die Mitgliedstaaten möglicherweise Schwierigkeiten bei der Einziehung der noch nicht erhobenen Steuer von den in ihrem Gebiet ansässigen Tochtergesellschaften hätten. Es stuende den Mitgliedstaaten frei, vorzusehen, daß die Tochtergesellschaften für die Steuer mithaften. Meines Erachtens wäre die Einziehung der Steuer von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft nicht schwieriger als die Einziehung anderer Einkommen- und Ertragsteuern von gebietsansässigen Steuerpflichtigen. Überdies sind die Forderungen der Steuerbehörden bei einer eventuellen Abwicklung in manchen Fällen bevorrechtigt.

45 Das genannte Argument lässt sich auch schwerlich mit dem Grundgedanken der Fusionsrichtlinie(12) vereinbaren. Diese Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten vor, die Besteuerung von Gewinnen aus Vermögensveräusserungen im Zusammenhang u. a. mit Fusionen, Spaltungen und der Einbringung von Unternehmensteilen aufzuschieben, wenn daran Gesellschaften aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt sind. Die Richtlinie ist ausdrücklich auf die Annahme gestützt, daß die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten trotz des Aufschubs der Besteuerung gewahrt werden können, weil solche Transaktionen normalerweise die Umwandlung der einbringenden Gesellschaft in eine Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft im Gebiet des Staates der einbringenden Gesellschaft oder die Zurechnung des Vermögens zu einer Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft zur Folge hat(13). Der Staat der einbringenden Gesellschaft kann mit anderen Worten den Aufschub der Besteuerung in dem Wissen darum gewähren, daß das Vermögen trotz der Einbringung in eine Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, weiterhin einer Betriebsstätte dieser Gesellschaft in seinem Gebiet zugerechnet werden wird, so daß er die Letztveräusserung des Vermögens durch diese Gesellschaft besteuern kann. Die Mitgliedstaaten waren somit bei ihrer Zustimmung zum Erlaß der Richtlinie offensichtlich der Ansicht, daß das Risiko, die Steuern, deren Erhebung aufgeschoben worden ist, von der Betriebsstätte einer gebietsfremden übernehmenden Gesellschaft nicht einziehen zu können, hinnehmbar sei; meines Erachtens ist das Risiko eines Einnahmeausfalls infolge des Aufschubs der Besteuerung unter solchen Umständen viel grösser als im hier gegebenen Zusammenhang.

46 Dennoch stimme ich dem allgemeinen Standpunkt der Regierungen zu, daß den Mitgliedstaaten ein bestimmter Spielraum für den Erlaß von Maßnahmen nach Artikel 3 Absatz 2 eingeräumt werden muß, die praktikabel und auch wirksam in der Verhinderung von Mißbräuchen sind. Insbesondere könnte sich, wie die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Einziehung einer Steuer im Fall einer Transaktion als schwierig erweisen, die eigens darauf ausgerichtet ist, die Vorteile aus der Richtlinie mißbräuchlich in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund - und in Anbetracht der oben erwähnten Mehrdeutigkeit des Artikels 3 Absatz 2 - teile ich nicht die Ansicht von Denkavit und der Kommission, daß Artikel 3 Absatz 2 dahin auszulegen sei, daß die Mitgliedstaaten die Befreiung sofort zu gewähren haben und damit gezwungen sind, zu versuchen, die Steuer rückwirkend zu erheben, wenn sich zeigt, daß das Beteiligungserfordernis nicht erfuellt worden ist. Wie schon dargelegt, dürfte die vorläufige Erhebung von Quellensteuer, obwohl sie grenzueberschreitende Zusammenschlüsse erschwert, diese weit weniger behindern, als die fragliche deutsche Regelung es tut. Daher sollte es einem Mitgliedstaat meiner Ansicht nach freistehen, die Quellensteuer, falls er dies für erforderlich hält, vorläufig zu erheben, bis er hinreichend sicher sein kann, daß das Beteiligungserfordernis erfuellt worden ist, oder aber die Stellung einer Sicherheit in Höhe der Steuer zu verlangen, sofern er nur seine Regelung nicht willkürlich anwendet. Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Ansprüchen aus dem Gemeinschaftsrecht sollten Zinsen auf die Erstattung einer eventuell erhobenen Quellensteuer unter denselben Bedingungen zu entrichten sein, wie sie für Steuererstattungen im Rahmen des innerstaatlichen Rechts gelten.

47 Demgemäß sollte meines Erachtens auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts in den drei Rechtssachen geantwortet werden, daß ein Mitgliedstaat nicht berechtigt ist, einer Muttergesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, die in Artikel 5 der Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Quellensteuer zu versagen, wenn die Mindestbehaltezeit im Zeitpunkt der Ausschüttung noch nicht abgelaufen ist. Er kann die Steuer aber vorläufig erheben oder die Stellung einer Sicherheit in Höhe der Steuer verlangen, bis ihm nachgewiesen ist, daß die Mindestbehaltezeit eingehalten worden ist. Er ist nicht gehalten, eine sofortige Befreiung zu gewähren, wenn die Muttergesellschaft sich verpflichtet, die Mindestbehaltezeit einzuhalten.

Frage 2

48 Mit seiner zweiten Frage, die inhaltlich in allen drei Rechtssachen übereinstimmt, ersucht das nationale Gericht um Aufklärung darüber, ob Artikel 5 der Richtlinie unmittelbar wirksam ist und ob sich eine Muttergesellschaft vor den Gerichten des Staates der Tochtergesellschaft auf diese Vorschrift berufen kann.

49 Denkavit und die Kommission schlagen vor, diese Frage zu bejahen. Denkavit trägt vor, ungeachtet des Artikels 3 Absatz 2 sei es möglich, durch die Richtlinie verliehene Mindestrechte zu bestimmen. Die Kommission spricht sich dafür aus, die Antwort des Gerichtshofes so weit zu fassen, daß der Rechtsposition von Tochtergesellschaften Rechnung getragen wird.

50 Das Bundesamt für Finanzen und die Regierungen haben sich zu der zweiten Frage nicht geäussert.

51 Ich teile die Ansicht von Denkavit, daß der Wortlaut des Artikels 5 sowohl unbedingt als auch hinreichend genau ist. Ausserdem schließt, worauf Denkavit hinweist, die Tatsache, daß den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum bleibt, nach ständiger Rechtsprechung nicht die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung aus, wenn es möglich ist, Mindestrechte zu bestimmen(14). Meines Erachtens machen es die den Mitgliedstaaten durch die Artikel 1 Absatz 2, 3 Absatz 2 und 5 Absätze 2 und 4 der Richtlinie eingeräumten Optionen nicht unmöglich, die durch Artikel 5 begründeten Mindestrechte zu bestimmen. Ungeachtet des Artikels 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich und des Artikels 5 Absatz 3 begründet die Richtlinie für eine Muttergesellschaft, die von einer deutschen Tochtergesellschaft eine Dividende erhält, das Mindestrecht, keine Quellensteuer zu einem höheren Satz als 5 % entrichten zu müssen, falls sie ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft während eines Zeitraums aufrechterhält, der auf maximal zwei Jahre festgesetzt werden darf.

52 Die unmittelbare Wirkung des Artikels 5 wird meines Erachtens auch nicht durch Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie ausgeschlossen, wonach diese "der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Mißbräuchen nicht entgegen[steht]". Meiner Ansicht nach unterliegen die Grenzen der Befugnis, die den Mitgliedstaaten durch diese Bestimmung verliehen wird, der gerichtlichen Überprüfung; anderenfalls würde die Wirksamkeit der Richtlinie ernsthaft beeinträchtigt. Ohnehin hat sich im vorliegenden Verfahren kein Beteiligter unmittelbar auf Artikel 1 Absatz 2 berufen.

53 Die Verfahren der Steuererhebung auf der Grundlage der Richtlinie bestimmen sich indessen nach nationalem Recht. Vorbehaltlich des vorrangigen Erfordernisses des wirksamen Schutzes von Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht ist es daher Sache des nationalen Rechts, die Verfahren festzulegen, nach denen eine Muttergesellschaft ihre Rechte aus der Richtlinie ausüben muß. Im Rahmen solcher Verfahren kann sich eine Muttergesellschaft vor den Gerichten des Staates der Tochtergesellschaft auf Artikel 5 der Richtlinie berufen.

Frage 3

54 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-283/94 geht dahin, ob eine Muttergesellschaft, die die Gewinnausschüttung bis zum Ablauf der Behaltezeit aufgeschoben hat, gegenüber dem Staat der Tochtergesellschaft nach den im Urteil Francovich niedergelegten Grundsätzen einen Schadensersatzanspruch wegen Zinsverlusten hat, falls die streitige nationale Regelung gegen Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie verstossen sollte.

55 Denkavit macht geltend, die vom Gerichtshof im Urteil Francovich aufgestellten Voraussetzungen seien erfuellt: Das durch Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie vorgeschriebene Ziel beinhalte, daß dem einzelnen Rechte verliehen würden; deren Inhalt könne auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden; zwischen dem Rechtsverstoß und den Zinsverlusten bestehe ein Kausalzusammenhang.

56 Die Kommission trägt vor, die Verpflichtung zum Schadensersatz nach dem Urteil Francovich sei gegenüber den primären Rechtsschutzmöglichkeiten, die dem einzelnen bei nicht ordnungsgemässer Umsetzung einer Richtlinie gewährt würden, subsidiär. Wenn die betreffende Vorschrift unmittelbar wirksam sei, bleibe für die Frage einer Entschädigung kein Raum mehr.

57 Das Bundesamt für Finanzen trägt in erster Linie vor, daß es sich bei der Klage, die beim vorlegenden Gericht anhängig sei, nicht um eine Schadensersatzklage handele und die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage daher für den Rechtsstreit unerheblich sei.

58 Das Bundesamt trägt ferner vor, im Gegensatz zum Fall Francovich habe Deutschland hier die Richtlinie durchgeführt; ausserdem verstosse die deutsche Regelung, sofern sie rechtswidrig sein sollte, nicht offensichtlich gegen das Gemeinschaftsrecht.

59 Die deutsche Regierung hat keine Erklärungen zur dritten Frage abgegeben. Sie stellt jedoch die Frage, wie Denkavit ein Schaden entstanden sein könne, wo es doch ihrer deutschen Tochtergesellschaft möglich gewesen sei, die nicht ausgeschütteten Mittel anzulegen.

60 Meines Erachtens lässt sich entgegen der Ansicht des Bundesamts für Finanzen nicht sagen, daß die Frage des vorlegenden Gerichts für das dort anhängige Verfahren unerheblich sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann eine Vorlage eines nationalen Gerichts nur dann als unzulässig zurückgewiesen werden, wenn sie offensichtlich keinen Bezug zum Sachverhalt des Falles oder zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens aufweist(15). Im Vorlagebeschluß wird ausgeführt, daß Denkavit auf die Änderung des Bescheids des Bundesamts der Finanzen während des Verfahrens hin seine Klage auf die Zeit vor dem 15. Juli 1993 beschränkt und dahin geändert hat, daß sie nunmehr festzustellen beantragt, daß der Bescheid des Bundesamts rechtswidrig gewesen ist. Erklärtermassen verfolgt sie mit dieser Feststellungsklage das Ziel, eine Grundlage für eine getrennte Schadensersatzklage vor anderen deutschen Gerichten zu schaffen. Auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat Denkavit erklärt, daß sie nach dem maßgeblichen deutschen Verfahrensrecht eine solche Feststellung des Finanzgerichts nur erwirken könne, wenn sie ein berechtigtes Interesse daran habe; die dritte Frage des Finanzgerichts sei in diesem Licht zu sehen. Obwohl sie in dem Verfahren vor dem Finanzgericht keinen Schadensersatzanspruch geltend mache, lasse sich somit nicht sagen, daß dessen Frage ohne Belang für den Sachverhalt oder den Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei. Dem möchte ich hinzufügen, daß es nicht Sache des Gerichtshofes ist, zu untersuchen, ob Denkavit nach dem deutschen Verfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht berechtigt war, seine Klage dahin abzuändern, daß es im Verfahren vor dem Finanzgericht die fragliche Feststellung beantragt(16).

61 Andererseits teile ich die Ansicht des Bundesamts der Finanzen, daß das Gemeinschaftsrecht Deutschland nicht dazu verpflichte, Denkavit einen Schaden zu ersetzen, den sie wegen der nicht ordnungsgemässen Durchführung der Richtlinie erlitten haben mag. Wie der Gerichtshof in den Urteilen Francovich(17) und Brasserie du Pêcheur(18) ausgeführt hat, hängen die Voraussetzungen, unter denen ein Staat zum Schadensersatz verpflichtet ist, von der Art des Rechtsverstosses ab. In seinem jüngst ergangenen Urteil British Telecommunications(19) hat der Gerichtshof die Grundsätze für die Staatshaftung in Fällen aufgestellt, in denen ein Mitgliedstaat versucht hat, eine Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, diese Umsetzung aber nicht ordnungsgemäß vorgenommen hat. Der Gerichtshof entschied in Anbetracht des Regelungsermessens der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie, daß ein Mitgliedstaat nur dann wegen der nicht ordnungsgemässen Durchführung schadensersatzpflichtig ist, wenn die im Urteil Brasserie du Pêcheur aufgeführten engen Voraussetzungen erfuellt sind, insbesondere wenn ein hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß vorliegt. Dies sei dann der Fall, wenn ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnis deren Grenzen offensichtlich und erheblich überschritten habe.

62 Der Gerichtshof führte im Urteil British Telecommunications weiter aus, daß es zwar grundsätzlich Sache der einzelstaatlichen Gerichte sei, zu prüfen, ob die maßgeblichen Voraussetzungen erfuellt seien, vertrat jedoch die Ansicht, daß er in der betreffenden Rechtssache selbst zur Würdigung des Sachverhalts in der Lage sei. Zu den Gesichtspunkten, die zu berücksichtigen seien, gehöre das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift. Die vom Vereinigten Königreich vorgenommene Auslegung der betreffenden Vorschrift sei, wenngleich von der des Gerichtshofes verschieden, vertretbar gewesen und in gutem Glauben erfolgt. Sie sei von anderen Mitgliedstaaten geteilt worden und habe nicht in einem offensichtlichen Widerspruch zum Wortlaut oder zum Zweck der Richtlinie gestanden. Auch habe sich insoweit weder aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes noch aus einer Stellungnahme der Kommission etwas entnehmen lassen. Der Gerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, daß unter den gegebenen Umständen die Voraussetzungen für eine Schadensersatzpflicht des Vereinigten Königreichs nicht erfuellt seien.

63 Meines Erachtens gilt dies auch im vorliegenden Fall. Der Gerichtshof ist in der Lage, selbst zu beurteilen, ob die maßgeblichen Voraussetzungen erfuellt sind. Obwohl ich vorschlage, der von Deutschland vorgenommenen Auslegung des Artikels 3 Absatz 2 der Richtlinie nicht zu folgen, glaube ich doch nicht, daß diese Auslegung als offensichtlich im Widerspruch zum Wortlaut und zum Zweck der Richtlinie stehend angesehen werden kann. Die Auffassung Deutschlands wird von einer Reihe anderer Mitgliedstaaten geteilt. Ausserdem gibt es noch keine Rechtsprechung zu der Richtlinie.

64 Demgemäß bin ich der Ansicht, daß das Gemeinschaftsrecht für Denkavit keinen Anspruch auf Ersatz des Schadens begründet, den sie infolge des Aufschubs der Gewinnausschüttung durch ihre Tochtergesellschaft erlitten haben mag. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn nach dem nationalen Recht unter entsprechenden Umständen ein solcher Anspruch gegeben sein sollte.

Ergebnis

65 Nach alledem sollten die vom Finanzgericht Köln in den verbundenen Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94 vorgelegten Fragen meines Erachtens wie folgt beantwortet werden:

1. Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 90/435/EWG gestattet es einem Mitgliedstaat nicht, einer Muttergesellschaft die in Artikel 5 der Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen ihrer Tochtergesellschaft zu versagen, wenn die in Artikel 3 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich vorgesehene Mindestbehaltezeit im Zeitpunkt der Ausschüttung noch nicht abgelaufen ist. Ein Mitgliedstaat kann jedoch vorläufig Quellensteuer erheben oder die Stellung einer Sicherheit in Höhe der Steuer verlangen, bis die Muttergesellschaft nachweist, daß die Mindestbehaltezeit eingehalten worden ist. Ein Mitgliedstaat ist nicht gehalten, einer Muttergesellschaft, die sich verpflichtet, bis zum Ablauf der Mindestbehaltezeit im Besitz ihrer Anteile zu bleiben, sofortige Befreiung von der Quellensteuer zu gewähren.

2. Eine Muttergesellschaft kann sich gemäß dem Verfahren, das im Staat der Tochtergesellschaft vorgesehen ist, vor den Gerichten dieses Staates gegenüber den Behörden dieses Staates unmittelbar auf Artikel 5 der Richtlinie berufen.

3. Das Gemeinschaftsrecht begründet für eine Muttergesellschaft unter den hier gegebenen Umständen keinen Anspruch auf Ersatz von Zinsverlusten, die ihr infolge des Aufschubs einer Gewinnausschüttung entstanden sein mögen.

(1) - ABl. 1990, L 225, S. 6.

(2) - Verbundene Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Slg. 1991, I-5357).

(3) - ABl. 1990, L 225, S. 1.

(4) - ABl. 1990, L 225, S. 10.

(5) - Erste Begründungserwägung.

(6) - Zweite und dritte Begründungserwägung.

(7) - KOM(69) 6 endg.

(8) - Artikel 106 Absatz 5 der belgischen Königlichen Verordnung vom 27. August 1993; Artikel 2 Absatz 5 des dänischen Gesetzes vom 2. August 1994 über die Besteuerung von Gesellschaften; § 44d Absatz 2 des deutschen Einkommensteuergesetzes, oben zitiert; Artikel 119b Absatz 2 Buchstabe c der französischen Abgabenordnung (Code général d'imposition); Artikel 2 Absatz 1 des italienischen Dekrets Nr. 136/93; Artikel 147 Absatz 1 des luxemburgischen Einkommensteuergesetzes; Artikel 4a des niederländischen Gesetzes von 1965 über die Besteuerung von Dividenden; § 94a des österreichischen Einkommensteuergesetzes; Artikel 17 Absatz 2 des spanischen Gesetzes Nr. 29 vom 16. Dezember 1991 und Artikel 46 des Gesetzes Nr. 43 vom 27. Dezember 1995, durch das die Mindestbehaltezeit von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wurde.

(9) - § 94a Absatz 2 Nr. 2 des österreichischen Einkommensteuergesetzes.

(10) - Artikel 4b Absatz 1 des Gesetzes von 1965 über die Besteuerung von Dividenden.

(11) - Siehe beispielshalber auch die französische ("ne conserve pas"), die niederländische ("niet behoudt"), die englische ("dös not maintain"), die italienische ("non conservi"), die portugiesische ("não conserve") und die spanische ("no conserve") sprachliche Fassung. Die dänische Fassung, die eine Zeit der Vergangenheit des Verbs "maintain" ("har besiddet") verwendet, weicht offenbar von den anderen sprachlichen Fassungen ab.

(12) - Angeführt in Fußnote 3.

(13) - Siehe insbesondere die fünfte und die sechste Begründungserwägung.

(14) - Siehe z. B. Rechtssache C-91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnr. 17 des Urteils).

(15) - Siehe zuletzt Urteil vom 18. Januar 1996 in der Rechtssache C-446/93 (SEIM, Randnr. 28).

(16) - Siehe z. B. Rechtssache C-10/92 (Balocchi, Slg. 1993, I-5105, Randnrn. 16 f. des Urteils).

(17) - In Fußnote 2 angeführt, Randnr. 38.

(18) - Urteil vom 5. März 1996 in der Rechtssache C-46/93, Randnr. 38.

(19) - Urteil vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93.