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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61994C0331

Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola vom 28. März 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland. - Mehrwertsteuer - Besteuerung von Personenbeförderungen, Schiffsrundfahrten und organisierten Reisen. - Rechtssache C-331/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-02675


Schlußanträge des Generalanwalts


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I - Sachverhalt

1 Mit einer Klage, die am 13. Dezember 1994 eingereicht worden ist, beantragt die Kommission festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, daß sie den Artikeln 2, 9 Absatz 2 Buchstabe b und 26 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 (77/388/EWG)(1) (im folgenden: Sechste Richtlinie) widersprechende Rechtsvorschriften erlassen und aufrechterhalten hat.

Die Kommission beanstandet, daß die Klägerin folgende Leistungen von der Mehrwertsteuer befreit habe:

a) Personenbeförderungen im Eisenbahn- oder im Schiffsverkehr, wenn das Reiseziel oder der Abfahrtsort ausserhalb des griechischen Hoheitsgebiets liegt,

b) Kreuzfahrten mit unter griechischer Flagge fahrenden Schiffen, bei denen kein ausländischer Hafen angelaufen wird (im folgenden: Schiffsrundfahrten);

andererseits beanstandet sie, daß die Beklagte Mehrwertsteuer erhoben habe auf:

c) organisierte Reisen mit Reiseziel in Drittländern ohne Befreiung des Teils der Leistung von Reisebüros, der sich auf ausserhalb der Gemeinschaft erbrachte Umsätze bezieht.

2 Die Griechische Republik hat im schriftlichen Verfahren eingewandt, sie habe inzwischen eine Regelung erlassen, durch die ihr Recht mit den Verpflichtungen aus den oben angeführten Vorschriften der Sechsten Richtlinie hinsichtlich der oben in Nr. 1 Buchstaben a und c wiedergegebenen Beanstandungen in Einklang gebracht werde. Die Griechische Republik leitet hieraus ab, daß die Klage bezueglich der beiden genannten Rechtsverstösse gegenstandslos geworden sei.

Die Kommission hat ihre Klage in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der beiden fraglichen Rügen zurückgenommen(2). Die Beklagte hat dem zugestimmt. Demzufolge braucht sich der Gerichtshof mit diesen Aspekten des Rechtsstreits nicht zu befassen.

II - Vorbringen der Parteien

3 Was die von der Kommission erhobene Rüge der fehlenden Erhebung von Mehrwertsteuer auf Schiffsrundfahrten angeht, bestreitet die griechische Regierung nicht, daß ihr Recht der Sechsten Richtlinie widerspricht.

Die griechische Regierung weist jedoch darauf hin, daß die Erhebung von Mehrwertsteuer auf Schiffsrundfahrten und die Berechnung der so geschuldeten Steuer beträchtliche objektive Schwierigkeiten verursache, weil für solche Fahrten auf jeden Fall nur sehr geringe Mehrwertsteuerbeträge anfielen. Derartige Schiffsrundfahrten fänden nämlich zum grössten Teil in internationalen Gewässern und nur zu einem geringen Teil in griechischen Hoheitsgewässern statt. Die Besteuerung der in Hoheitsgewässern zurückgelegten Teilstrecke der Fahrt wäre somit unangemessen, da die Verwaltungskosten das eventuelle Mehrwertsteueraufkommen bei weitem übertreffen würden. Hinzu komme, daß die geschuldete Mehrwertsteuer angesichts der Fahrtstrecke der Schiffe, mit denen solche Dienstleistungen erbracht würden, praktisch nicht im voraus berechnet werden könne. Die Fahrtstrecke unterliege nämlich unvorhersehbaren Veränderungen, die von äusseren Faktoren wie den Wetterverhältnissen abhingen, durch die die Schiffe zu einer Kursänderung während der Fahrt gezwungen werden könnten.

4 Es dürfe daher nicht ausser acht gelassen werden, daß die Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften auf den Seeverkehr mangels einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene nicht leicht zu lösende Probleme aufwerfe. Aus eben diesem Grund sehe der Entwurf der Kommission vom 30. September 1992 für eine Änderung der Sechsten Richtlinie vor, daß der internationale Seeverkehr allgemein (also sowohl hinsichtlich des innergemeinschaftlichen als auch hinsichtlich des innerstaatlichen Teils) einem Mehrwertsteuersatz von 0 % unterliege.

5 Ferner sei zu berücksichtigen, daß alle Mitgliedstaaten den internationalen Seeverkehr nicht besteuerten. Im übrigen scheine die Kommission anzuerkennen, daß im Rahmen des internationalen Seeverkehrs auch für den inländischen Fahrtabschnitt eine Befreiung von der Mehrwertsteuer vorgesehen werden könne. Diese Befreiung sei somit auch auf Schiffsrundfahrten anzuwenden.

6 Schließlich verweist die Beklagte auf ihre besondere geographische Lage, durch die der Wirtschaftszweig für Schiffsrundfahrten dem Wettbewerb aus Drittländern, in denen auf solche Beförderungen keine Mehrwertsteuer erhoben werde, ausgesetzt und damit für Wettbewerbsverzerrungen besonders empfindlich sei. Nach dem Entwurf zur Änderung der Sechsten Richtlinie würden Beförderungen mit einem Zielort ausserhalb der Gemeinschaft gerade wegen der möglichen Wettbewerbsverzerrungen völlig von der Mehrwertsteuer befreit.

7 Die Kommission hält dem Vorbringen der Klägerin verschiedene Argumente entgegen. Zunächst entbinde der Umstand, daß der inländische Abschnitt einer internationalen Fahrt vernachlässigenswert sei, Griechenland nicht von der Pflicht zur Besteuerung dieser Teilstrecke. Was sodann die Modalitäten der Berechnung der Mehrwertsteuer auf diese inländischen Fahrtabschnitte angehe, so ändere der Umstand, daß das Mehrwertsteueraufkommen äusserst gering sei und die Verwaltungskosten für die Steuererhebung das Steueraufkommen bei weitem übersteige, nichts an der Verpflichtung der Griechischen Republik, Steuer hinsichtlich des betreffenden Fahrtabschnitts zu erheben. Ferner sei von der behaupteten Schwierigkeit der Vorausberechnung des Mehrwertsteuerbetrags zu sagen, daß sie durch die Veränderlichkeit der Rundfahrtstrecke verursacht werde.

Auch das von der Beklagten angeführte Argument, daß durch die nach der Richtlinie erforderliche Besteuerung eine für sie ungünstige Wettbewerbslage geschaffen zu werden drohe, sei unbegründet. Die Sechste Richtlinie lasse Befreiungen zu; jedenfalls hätte die geltend gemachte Wettbewerbsverzerrung keine praktische Bedeutung, da die Beklagte auf jeden Fall für die Fahrtstrecke in internationalen Gewässern eine Befreiung von der Mehrwertsteuer gewähren könne. Ausserdem werde durch die Tatsache, daß im Entwurf für die Änderung der Sechsten Richtlinie die Mehrwertsteuerbefreiung auch für den inländischen Teil von internationalen Personenbeförderungen vorgesehen sei, um möglichen Wettbewerbsverzerrungen auf diesem besonderen Sektor vorzubeugen, bestätigt, daß die Besteuerungspflicht bis zu ihrer Aufhebung nach geltendem Recht mit Sicherheit bestehe.

Der Hinweis der Beklagten auf die angebliche Praxis der Mitgliedstaaten, für den inländischen Teil von internationalen Personenbeförderungen auf dem Seeweg eine Befreiung zu gewähren, sei ebenfalls unerheblich. Diese besondere Situation könne nicht auf Schiffsrundfahrten übertragen werden.

III - Prüfung des Rechtsstreits

8 Das Vorbringen der Beklagten entspricht im wesentlichen dem seinerzeitigen Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren, das u. a. einen Verstoß gegen Artikel 26 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie betraf(3).

Die damals erlassene Entscheidung spricht dafür, daß das Vorbringen der Griechischen Republik im vorliegenden Verfahren unbegründet ist. Dies gilt sowohl für das Vorbringen zu den Schwierigkeiten der Berechnung des für den inländischen Fahrtabschnitt geschuldeten Mehrwertsteuerbetrags wegen der häufigen unvorhersehbaren Kursänderungen(4) als auch für die Ausführungen über die befürchtete Wettbewerbsverzerrung(5).

Ich beginne mit dem letztgenannten Punkt. Die Beklagte macht geltend, der Fahrtabschnitt in den Hoheitsgewässern sei angesichts der Gesamtstrecke vernachlässigenswert. Wenn dem so ist, erweist sich aufgrund der in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befugnis, für den in internationalen Gewässern zurückgelegten Fahrtabschnitt eine Befreiung zu gewähren, das Vorbringen, daß sich aus der Anwendung der fraglichen steuerrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft eine Wettbewerbsverzerrung ergeben würde, im vorliegenden Fall als unhaltbar.

9 Die Beklagte macht sodann geltend, die Verwaltungskosten überträfen das Steueraufkommen, das sie erzielen könnte. Dieses Argument stellt jedoch keinen stichhaltigen Grund für die nicht ordnungsgemässe Durchführung der Sechsten Richtlinie dar. Die Anwendung der fraglichen Vorschriften steht nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Es handelt sich um Vorschriften, die im Sinne des Artikels 189 EG-Vertrag eine Umsetzungspflicht begründen. Die Mitgliedstaaten müssen sie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes vollständig und in allen Einzelheiten beachten, indem sie ihren Regelungsgehalt gegebenenfalls in ihr innerstaatliches Recht aufnehmen.

Dem Hinweis der Beklagten auf die geplante Änderung der Sechsten Richtlinie kann unter den gegebenen Umständen keine Bedeutung zukommen, da es sich um Erwägungen handelt, die allenfalls de iure condendo gültig sind. Es kann auch nicht angenommen werden, daß die Kommission und die Mitgliedstaaten wegen eventueller Nachteile, die sich für einen Mitgliedstaat oder eine Privatperson aus Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben, berechtigt sind, diese Vorschriften nicht anzuwenden, ohne auf die Verfahren zurückzugreifen, die für die Aufhebung des Regelungsgehalts der geltenden Rechtsvorschriften im Wege der Rechtsetzung oder für ihre Beanstandung auf prozessualem Weg vorgesehen sind.

10 Ebenso unzutreffend ist die von der Beklagten vertretene Ansicht, daß sich die Behandlung, die internationale Personenbeförderungen auf dem Seeweg hinsichtlich des Fahrtabschnitts in Hoheitsgewässern - präter legem - erfahren, auf Schiffsrundfahrten ausdehnen lässt.

Unterstellen wird jedoch, daß die Befreiung, deren extensive Anwendung die Beklagte verlangt, entgegen meinen bisherigen Ausführungen im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zulässig sei. Die tatsächliche Situation bei Schiffsrundfahrten unterscheidet sich jedoch wesentlich von derjenigen bei internationalen Personenbeförderungen auf dem Seeweg. Die für solche Transporte eingesetzten Schiffe durchqueren die Hoheitsgewässer nämlich nur in dem Maß, in dem dies notwendig ist, um dann internationale oder ausländische Gewässer zu durchfahren und Häfen in einem anderen Land anzulaufen. Bei Schiffsrundfahrten ist dagegen das letztliche Ziel die Rückkehr in den Ausgangshafen nach eventuellen Zwischenaufenthalten in Häfen desselben Mitgliedstaats. Bei ersteren werden die Hoheitsgewässer nur zu dem Zweck durchquert, auf die hohe See hinauszufahren; es ist daher sehr wohl verständlich, weshalb die Steuerbelastung auf den Verkehr in den inländischen Gewässern möglichst gering gehalten wird. Bei letzteren ist die Durchquerung der inländischen Gewässer keine praktische Notwendigkeit vor dem Hinausfahren auf die hohe See und dem Anlaufen ausländischer Häfen, sondern sie ist ein wesentliches Merkmal der Schiffsrundfahrt und dient offensichtlich touristischen Zwecken. Die für die eine Situation geltende steuerrechtliche Regelung ist in der anderen nicht gerechtfertigt.

11 Entgegen dem Vorbringen der Griechischen Republik ist die von der Kommission erhobene Vertragsverletzungsklage somit insoweit, als sie Schiffsrundfahrten betrifft, für begründet zu erklären.

12 Nach der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Ich schlage daher vor, sie hinsichtlich der Beanstandung, die Schiffsrundfahrten betrifft, der Beklagten aufzuerlegen. Ferner sind der Beklagten nach Artikel 69 § 5 der Verfahrensordnung die Kosten hinsichtlich der beiden streitgegenständlichen Aspekte der vorliegenden Vertragsverletzungsklage aufzuerlegen, bezueglich deren die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.

IV - Ergebnis

Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß der Gerichtshof der Klage insoweit, als sie den Verstoß gegen die Sechste Richtlinie betrifft, unter Beschränkung auf die unterlassene Erhebung von Mehrwertsteuer auf Schiffsrundfahrten für den Fahrtabschnitt in inländischen Gewässern stattgeben und der Beklagten nach Artikel 69 §§ 2 und 5 der Verfahrensordnung die Kosten auferlegen sollte.

(1) - ABl. L 145, S. 1.

(2) - Zur Frage der Zulässigkeit einer Teilrücknahme der Klage verweise ich auf meine Schlussanträge vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-17/95 (Kommission/Frankreich), insbesondere auf deren Fußnote 4. Die vorliegende Rechtssache weist jedoch die Besonderheit auf, daß die Teilrücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung erfolgt ist. Es dürfte sich hier um einen Teilverzicht auf die Fortsetzung des Rechtsstreits handeln, da sich dieser in bezug auf zwei von drei gerichtlich anhängig gemachten Punkten erledigt hat. Somit wäre nicht, wie in der vorgenannten Rechtssache, Artikel 78, sondern Artikel 77 der Verfahrensordnung anwendbar. Im übrigen sieht Artikel 77 der Verfahrensordnung die schriftliche Erklärung der Klagerücknahme durch den Kläger vor und bestimmt nichts über eine Zustimmung der Gegenpartei, die dagegen nach Artikel 77 erforderlich ist. Dieser wiederum enthält keine besonderen Formvorschriften für die Einigung der Parteien über die Beendigung des Rechtsstreits und die Mitteilung der so erzielten Einigung an den Gerichtshof.

(3) - Urteil vom 27. Oktober 1992 in der Rechtssache C-74/91 (Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-5437).

(4) - Urteil Kommission/Deutschland (a. a. O.), Randnr. 12.

(5) - Urteil Kommission/Deutschland (a. a. O.), Randnr. 25.