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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61995C0045

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 10. Dezember 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Mehrwertsteuer - Befreiung im Inland - Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren. - Rechtssache C-45/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-03605


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Mit der vorliegenden Klage wirft die Kommission der Italienischen Republik vor, gegen die Verpflichtung verstossen zu haben, einen Teil ihres Steuerrechts an die Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977, Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(1) (im folgenden: Sechste Richtlinie), anzupassen.

2 Die Kommission beantragt beim Gerichtshof die Feststellung, daß "die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG (Sechste Richtlinie) verstossen hat, daß sie eine gesetzliche Regelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer eingeführt und beibehalten hat, die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder jedenfalls vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Steuer befreit".

Verfahren

3 Die Kommission leitete das Verfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag durch ein Schreiben vom 24. November 1992 ein, mit dem sie die Italienische Republik aufforderte, sich zu der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung zu äussern. Auf diese Aufforderung erhielt sie innerhalb der gesetzten Frist keine Antwort.

4 Die italienische Regierung übersandte der Kommission jedoch ein Schreiben vom 31. März 1993, in dem sie in bezug auf den ersten Teil des Vorwurfs einräumte, daß "die genannte Gemeinschaftsvorschrift nur zum Teil in das nationale Recht umgesetzt wurde", den zweiten Teil des Vorwurfs als begründet anerkannte und hinzufügte, daß "die italienische Steuerverwaltung beabsichtigt, alsbald ... die erforderlichen Vorschriften auszuarbeiten, um die Befreiung wie in der Sechsten Richtlinie vorgesehen einzuführen".

5 Da Italien seinen Verpflichtungen nach wie vor nicht nachkam, übersandte die Kommission der italienischen Regierung am 19. Juli 1994 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, auf die sie keine Antwort erhielt.

6 Am 13. Februar 1995 hat sie Klage beim Gerichtshof erhoben. In ihrer Klagebeantwortung ist die italienische Regierung den Klageanträgen entgegengetreten.

7 In ihrer Erwiderung hat die Kommission u. a. auf den Inhalt des Schreibens vom 31. März 1993 verwiesen, in dem die italienische Regierung selbst das Vorliegen einer Vertragsverletzung anerkannt habe. Diese hat zu diesen Vorwürfen jedoch nicht Stellung genommen, da sie keine Gegenerwiderung eingereicht hat.

Die streitigen Rechtsvorschriften

8 Artikel 13 Teil B, dessen Buchstabe c nach Ansicht der Kommission vom italienischen Gesetzgeber fehlerhaft umgesetzt wurde, sieht folgendes vor:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c) die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich(2) für eine auf Grund dieses Artikels oder des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, sowie die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war;

..."

9 Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Vorschriften vorgesehen sind."(3)

10 In Artikel 10 des Dekrets Nr. 633 des Präsidenten der Italienischen Republik vom 26. Oktober 1972 über die Mehrwertsteuer(4) (im folgenden: Dekret) werden als von der Steuer befreite Umsätze nicht die Lieferungen von Gegenständen aufgeführt, auf die sich die oben zitierten Gemeinschaftsvorschriften beziehen.

11 Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h des Dekrets bestimmt, daß "Lieferungen von Gegenständen, für die derjenige, von dem sie angeschafft oder eingeführt wurden, wegen Artikel 19 Absatz 2 keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte", nicht als Lieferungen von Gegenständen gelten.

12 Artikel 19 des Dekrets regelt seinerseits das Recht auf Vorsteuerabzug: Der Steuerpflichtige kann von der Mehrwertsteuer, die er für von ihm bewirkte Umsätze schuldet, die Steuer abziehen, die er für die Anschaffung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen gezahlt hat, und zwar in beiden Fällen im Rahmen des Betriebes eines Unternehmens oder der Ausübung eines Gewerbes oder Berufes.

13 Nach Artikel 19 Absatz 2 des Dekrets ist die Mehrwertsteuer, die für die Anschaffung bestimmter Gegenstände wie Personenkraftwagen, andere Kraftfahrzeuge und Privatwasserfahrzeuge entrichtet wurde, vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen; auf die Einzelheiten gehe ich im folgenden ein.

Befreiung der Lieferung von Gegenständen, die früher für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren

14 Im Rahmen des Mehrwertsteuersystems erweist sich der in Artikel 17 der Sechsten Richtlinie geregelte Vorsteuerabzug als Schlüsselelement dieses Systems. Aus der Regelung des Vorsteuerabzugs ergibt sich, daß die von den Unternehmen entrichteten Mehrwertsteuern keinerlei steuerliche Belastung für diese mit sich bringen und so der Neutralitätsgrundsatz gewahrt bleibt, der der Mehrwertsteuer zugrunde liegt, die auf den Endverbrauch erhoben wird, nicht jedoch auf die vorherigen Stufen der Wirtschaftstätigkeit. Ohne das Recht auf Abzug der entrichteten Steuern würden diese für die Unternehmen eine zusätzliche steuerliche Belastung darstellen und den Neutralitätsgrundsatz verzerren.

15 Der Abzug der entrichteten Steuern ist möglich, soweit die entsprechenden Gegenstände oder Dienstleistungen (d. h. derjenigen, deren Anschaffung oder Zuordnung das Recht auf Vorsteuerabzug begründet) vom Steuerpflichtigen angeschafft und verwendet werden, um seinerseits im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit Umsätze zu bewirken.

16 Dies gilt dann nicht mehr, wenn der Steuerpflichtige diese Gegenstände oder Dienstleistungen ausschließlich für befreite Umsätze erwirbt und verwendet, denn in diesem Fall wird er, da kein Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, sozusagen zum "Endverbraucher", der die entrichtete Steuer nicht abziehen kann.

17 In diesem Fall hat der Steuerpflichtige die gesamte Mehrwertsteuer zu tragen, die die ihm vorangegangenen Wirtschaftsteilnehmer (d. h. diejenigen, die ihm Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht haben) auf ihn abgewälzt haben, und kann sie im eigentlichen rechtlichen Sinn nicht abziehen(5). Er befindet sich dann also in derselben Situation wie die Endverbraucher, die die tatsächlichen Mehrwertsteuerzahler sind.

18 Es kann jedoch vorkommen, daß ein Steuerpflichtiger einen bestimmten Gegenstand unter solchen Umständen erwirbt (d. h., daß er die Steuer gezahlt hat, ohne sie anschließend abziehen zu können) und dann beschließt, ihn zu übertragen.

19 Ein solcher Fall würde zu einer Doppelbesteuerung führen, wenn in der Sechsten Richtlinie nicht, um diese zu vermeiden, die Befreiung gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe c erste Alternative vorgesehen wäre: Die Mitgliedstaaten haben Lieferungen von Gegenständen zu befreien, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, "wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte".

20 Diese Befreiung hat rein technische Gründe. Mit ihr wird eine doppelte steuerliche Belastung vermieden, die entstuende, wenn die Übertragung durch einen Wirtschaftsteilnehmer belastet würde, der Gegenstände weiterverkauft, für deren Anschaffung er bereits endgültig die Mehrwertsteuer gezahlt hat, ohne damals die entrichtete Steuer abziehen zu können(6).

21 Die italienische Regierung hat diese Befreiung nicht in ihr Steuerrecht aufgenommen. Dies allein stellt bereits einen Verstoß gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 13 der Sechsten Richtlinie dar, denn dieser verlangt von den Mitgliedstaaten gerade die Schaffung einer solchen Steuer-"Befreiung", wie sie söben dargestellt wurde.

22 Das Verhalten der italienischen Steuerverwaltung wird in dem Schreiben vom 31. März 1993(7) anders erklärt als in der Klagebeantwortung.

23 Dem erstgenannten Schreiben zufolge hielt der italienische Gesetzgeber es nicht für erforderlich, Lieferungen von ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmten Gegenständen zu befreien, weil dieser Fall nur selten vorkomme: Die Steuerpflichtigen, die diese Tätigkeiten ausübten, bewirkten im allgemeinen gleichzeitig auch steuerbare Umsätze, wodurch sie die Möglichkeit hätten, mit Hilfe der Pro-rata-Sätze einen Teil der für die Anschaffung dieser Gegenstände gezahlten Mehrwertsteuer zurückzuerlangen. Jedenfalls, so heisst es in dem Schreiben, komme es nur "in Ausnahmefällen" zu der Doppelbesteuerung, die sich aus der italienischen Vorschrift ergebe.

24 In der Klagebeantwortung wird das Fehlen einer Befreiung anders erklärt und damit begründet, daß man es in Artikel 2 Absatz 3 des italienischen Dekrets, statt eine solche Befreiungslösung vorzusehen, vorgezogen habe, diese Art der Lieferung von Gegenständen für "vom Anwendungsbereich [der Mehrwertsteuer] ausgenommen" zu erklären, wodurch der von der Sechsten Richtlinie verfolgte Zweck ebenfalls erreicht werde.

25 Allerdings wird in der Klagebeantwortung, wenn auch etwas verklausuliert, letztlich eingeräumt, daß die Weiterlieferung von Gegenständen, bei denen die gezahlte Mehrwertsteuer vorher nicht habe abgezogen werden können (weil sie für befreite Umsätze angeschafft worden oder bestimmt gewesen seien), "als steuerpflichtig gelten muß". Ausserdem seien solche Lieferungen als "hypothetische Fälle [zu betrachten], da der befreite Steuerpflichtige den Gegenstand normalerweise zum eigenen Gebrauch erwirbt und nicht, um ihn sofort weiterzuliefern". Daraus folgert die Beklagte, daß der Umfang der Doppelbesteuerung gering sein müsse, da zum Marktpreis gekaufte Gegenstände einen höheren Wert hätten als gebrauchte Gegenstände.

26 Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht. Ich stimme im Gegenteil der Kommission zu, die von der italienischen Regierung schlicht und einfach die Einhaltung der Verpflichtung verlangt, die Artikel 13 der Sechsten Richtlinie ihr auferlegt. Diese Verpflichtung ist inhaltlich eindeutig: Es soll eine Befreiung gewährt werden, nicht ein bestimmter Umsatz vom Anwendungsbereich der Steuer ausgenommen werden(8).

27 Die italienischen Rechtsvorschriften weichen in diesem Punkt ausserdem von der Rechtsprechung des Gerichtshofes ab, wonach "das mit der Richtlinie verfolgte Ziel, das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf eine einheitliche Definition der steuerbaren Umsätze zu gründen, gefährdet wäre, wenn die Feststellung, daß eine Lieferung von Gegenständen vorliegt, die einen der drei steuerbaren Umsätze darstellt, von der Erfuellung von Voraussetzungen abhinge, die von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich wären (Urteil vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285)"(9).

28 Jede der beiden (überdies widersprüchlichen) Erklärungen der italienischen Behörden ist unzureichend:

- Die erste (Schwierigkeit der Überprüfung der eigentlichen Bestimmung der Gegenstände) verzerrt das Mehrwertsteuersystem und führt zu Doppelbesteuerungen.

- Die zweite (bei der Umsätze, die nach dem Wortlaut der Sechsten Richtlinie rechtlich - wenn auch befreite - "Lieferungen von Gegenständen" sind, als "Nicht-Lieferungen von Gegenständen" betrachtet werden) bedeutet, daß die italienische Rechtsvorschrift von der einheitlichen Definition abweicht, die der Gemeinschaftsgesetzgeber den steuerbaren Umsätzen geben wollte.

29 Dies allein würde schon genügen, um der Klage der Kommission unter diesem ersten Gesichtspunkt stattzugeben. Darüber hinaus steht nicht fest, ob sich aus der italienischen Vorschrift (soweit sie das, was ein Fall der Befreiung sein müsste, wie einen Fall der Nichtbesteuerung behandelt) die gleichen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen ergeben wie aus einer ordnungsgemässen Umsetzung der Sechsten Richtlinie.

30 Die Kommission weist in ihrer Erwiderung zu Recht darauf hin, daß es - nachdem die italienische Regierung einmal zugegeben hat, daß die italienischen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet zu einer Doppelbesteuerung führen - nicht auf deren mehr oder weniger "geringe" wirtschaftliche Bedeutung ankommt, auf die die Beklagte in ihrer Klagebeantwortung wörtlich verweist (ohne dies jedoch durch irgendwelche Angaben zu belegen).

31 Selbst wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen gering sein sollten, gilt auf dem Gebiet des Verstosses gegen die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Rechtsetzung nicht die De-minimis-Regel. Entscheidend ist, daß die Doppelbesteuerung der Konzeption des Mehrwertsteuersystems widerspricht, und gerade deshalb sieht Artikel 13 der Sechsten Richtlinie eine Verpflichtung zur Befreiung der Lieferungen von Gegenständen vor, die für vollständig von der Steuer befreite Tätigkeiten bestimmt waren.

Befreiung von Lieferungen anderer Gegenstände, deren Anschaffung oder Zuordnung kein Recht auf Vorsteuerabzug begründet hatte

32 Der zweite Klagegrund bezieht sich auf Artikel 13 Teil B Buchstabe c zweite Alternative. Wie bereits ausgeführt, verlangt Artikel 13 von den Mitgliedstaaten, Weiterlieferungen von Gegenständen zu befreien, "deren Anschaffung oder Zuordnung [durch den Steuerpflichtigen] nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war".

33 Die Vorschrift bezieht sich auf bestimmte Gegenstände, die allgemein als Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen beschrieben werden(10) und grundsätzlich keinen streng geschäftlichen Charakter haben, deren Anschaffung durch den Steuerpflichtigen kein Recht auf Abzug der auf ihn abgewälzten Mehrwertsteuer begründet hat. Ebenso wie in dem Fall, auf den sich der erste Klagegrund bezieht, wird der Steuerpflichtige, der diese Gegenstände erwirbt, wie ein Endverbraucher, also wie ein echter Steuerzahler, behandelt.

34 Als Ausgleich für diese Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist, wie ebenfalls im Rahmen des ersten Klagegrundes vorgetragen wird, die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige diese Art von Gegenständen weiterverkauft oder allgemein übertragt. Anderenfalls käme es wiederum zu einer den Grundsätzen der Sechsten Richtlinie zuwiderlaufenden Doppelbesteuerung, die durch die streitige Befreiung in Artikel 13 gerade vermieden werden soll.

35 Das italienische Dekret gewährt dagegen, nachdem es zunächst allgemein die Möglichkeit eines Abzugs der für die Anschaffung dieser Gegenstände gezahlten Mehrwertsteuer ausschließt (auf die Einzelheiten gehe ich im folgenden noch ein), keine Befreiung für deren weitere Übertragung.

36 Artikel 19 Absatz 2 des Dekrets regelt den Abzug der Mehrwertsteuer im Fall der Anschaffung von derartigen Gegenständen, wobei es sich gemäß Buchstabe e und Tabelle B um Flugzeuge oder Kraftfahrzeuge gleich welchen Hubraums(11) oder um "andere in der Tabelle B aufgeführte Gegenstände sowie um Schiffe und Privatwasserfahrzeuge"(12) handeln kann. Der Abzug ist wie folgt geregelt:

a) Die Anschaffung solcher Gegenstände berechtigt nur dann zum Abzug der Vorsteuer, wenn sie selbst den Gegenstand der Unternehmenstätigkeit bilden; bei Flugzeugen und Kraftfahrzeugen ist der Abzug auch möglich, wenn diese ausschließlich für die Unternehmenstätigkeit selbst genutzt werden(13).

b) Der Abzug ist ausgeschlossen in allen anderen Fällen der Anschaffung solcher Gegenstände und "in jedem Fall der Anschaffung durch Gewerbetreibende(14) oder Angehörige freier Berufe".

37 In diesen letztgenannten Fällen des Ausschlusses des Vorsteuerabzugs wird die weitere Übertragung der angeschafften Gegenstände nicht von der Steuer befreit, wie es die Sechste Richtlinie verlangt. Statt die Befreiung vorzunehmen, bestimmte der italienische Gesetzgeber in Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h des Dekrets, daß derartige Übertragungen nicht als Lieferungen von Gegenständen gelten (d. h. sie gelten nicht als mehrwertsteuerpflichtig).

38 Die italienische Regierung rechtfertigt diese Regelung damit, daß die Qualifizierung solcher Übertragungen als nicht steuerpflichtig "mit der Vermutung in Einklang steht, daß der Erwerb [derartiger Gegenstände] nichts mit der Berufsausübung zu tun hat" und verweist in diesem Zusammenhang auf Artikel 17 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie sowie auf Artikel 11 Absatz 2 der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie.

39 Dieses Vorbringen, das sich eher auf ein anderes Problem bezieht, überzeugt mich nicht. Die Kommission macht mit der vorliegenden Klage nicht geltend, daß gegen Artikel 17 Absatz 6 dadurch verstossen worden sei, daß Angehörigen freier Berufe oder Gewerbetreibenden, die die fraglichen Gegenstände anschaffen, nach den genannten italienischen Vorschriften auf keinen Fall ein Recht auf Vorsteuerabzug gewährt werde. Man könnte sich darüber streiten, ob dieser allgemeine Ausschluß den Vorschriften der Sechsten Richtlinie entspricht(15).

40 Die Vertragsverletzung, die die Kommission der Italienischen Republik mit ihrer Klage vorwirft, liegt jedoch vielmehr darin, daß sie spätere Verkäufe oder Übertragungen von Gegenständen, bei deren Anschaffung kein Recht auf Vorsteuerabzug begründet wurde, nicht von der Mehrwertsteuer befreit hat, wobei es nicht darauf ankommt, ob es sich bei den Steuerpflichtigen um Angehörige freier Berufe, Gewerbetreibende oder sonstige Wirtschaftsteilnehmer handelt.

41 Kann man die Befreiung durch eine Nichtbesteuerung ersetzen? Auf den ersten Blick mag es den Anschein haben, als wirkten sich beide Konstruktionen (Nichtbesteuerung oder Befreiung) in der Praxis gleich aus: Die italienische Regierung führt in ihrer Klagebeantwortung aus, daß die Nichtbesteuerungslösung zu einer "objektiven Nichtabzugsfähigkeit" führe, während die Befreiungslösung eine "sich aus der Berechnung der Pro-rata-Sätze ergebende subjektive Nichtabzugsfähigkeit" begründe(16).

42 Die Rechtswirkungen beider Konstruktionen decken sich jedoch nicht vollständig. Gerade bei der Berechnung der Pro-rata-Sätze(17) zeigt sich, welche Folgen sich aus der italienische Vorschrift ergeben und welche unterschiedlichen Wirkungen die Wahl der einen oder der anderen Konstruktion hat.

43 Fällt die Übertragung der streitigen Gegenstände - wie im Dekret vorgesehen - nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, so verringert sich dadurch der Gesamtbetrag der Umsätze des Steuerpflichtigen, der in die Berechnung des Pro-rata-Satzes eingeht(18). Die Verringerung dieses Betrages - der den Nenner des Bruchs bildet - erhöht das Endergebnis oder den Prozentsatz, nach dem sich der Pro-rata-Satz bestimmt.

44 Erhöht sich dieser Prozentsatz, so erhöht sich auch der Betrag, den der Steuerpflichtige, der unterschiedslos sowohl zum Vorsteuerabzug berechtigende als auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze bewirkt, von der entrichteten Mehrwertsteuer abziehen kann, was nicht gerechtfertigt ist und den Vorschriften der Sechsten Richtlinie widerspricht.

45 Auch abgesehen von diesen Auswirkungen auf den Pro-rata-Satz bin ich der Auffassung, daß die rechtliche Regelung, die das Dekret für diese Lieferungen von Gegenständen trifft, der Sechsten Richtlinie zuwiderläuft.

46 So weit der "rechtliche Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie" auch sein mag, auf den sich die beklagte Regierung beruft: Ich bin der Auffassung, daß es sich bei der Verpflichtung, die Weiterlieferung der streitigen Gegenstände als von der Steuer befreit zu qualifizieren, um eine klare, eindeutige und uneingeschränkte Verpflichtung handelt, die daher nicht durch eine andere Konzeption ersetzt werden kann. Dies um so mehr, als sich beide Lösungen rechtlich und praktisch unterschiedlich auswirken.

47 Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals auf meine Ausführungen zur Definition der der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätze in der Sechsten Richtlinie verweisen. Will man die einheitliche Erhebung der Steuer gewährleisten, dann lässt diese Definition es nicht zu, durch Entscheidung des innerstaatlichen Gesetzgebers aus einer "Lieferung von Gegenständen" eine "Nichtlieferung von Gegenständen" zu machen.

48 Im übrigen haben die italienischen Behörden in ihrem Schreiben an die Kommission, das ich bereits erwähnt habe, denselben Standpunkt vertreten. Der italienische Avvocato dello Stato hat auch in der mündlichen Verhandlung nichts vorgetragen, was die in der Klagebeantwortung enthaltene Änderung der bis dahin offiziell vertretenen Auffassung begründen könnte.

49 Ich spreche mich daher dafür aus, der Klage in vollem Umfang stattzugeben. Die Beklagte hat gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Ergebnis

50 Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, der Klage der Kommission stattzugeben, also

1. festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977, Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, verstossen hat, daß sie eine gesetzliche Regelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer eingeführt und beibehalten hat, die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt oder jedenfalls vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren, nicht von der Steuer befreit;

2. der Italienischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

(1) - ABl. L 145, S. 1.

(2) - A. d. Ü.: Die Fußnote betrifft nur die spanische Fassung.

(3) - Die Kommission legte dem Rat am 25. Januar 1983 einen Vorschlag für eine Zwölfte Richlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Ausschluß des Vorsteuerabzugsrechts bei bestimmten Ausgaben (ABl. C 37) vor, die später durch einen anderen Vorschlag vom 20. Februar 1984 (ABl. C 56) geändert wurde. Im Rat wurde jedoch nicht die zu ihrem Erlaß erforderliche Einstimmigkeit erreicht.

(4) - Mit diesem Dekret wurde aufgrund einer früheren gesetzlichen Ermächtigung das Mehrwertsteuerrecht geregelt. Es wurde in der Gazzetta ufficiale della Repubblica Italiana (GURI) Nr. 292 vom 11. November 1972 veröffentlicht und hat seitdem zahlreiche Änderungen erfahren.

(5) - Etwas anderes ist es, wenn das Unternehmen oder der Freiberufler, der befreite Umsätze bewirkt (z. B. eine Versicherung bezueglich der meisten ihrer Leistungen, ein Arzt bezueglich bestimmter ärztlicher Leistungen, die er seinen Patienten erbringt) die steuerliche Belastung auf seine Kunden abwälzt.

(6) - In seinem Urteil vom 27. Juni 1989 in der Rechtssache 50/88 (Kühne, Slg. 1989, I-1925) kam der Gerichtshof in einem Fall, der ähnlich gelagert war wie der vorliegende, zu demselben Ergebnis und verneinte die Möglichkeit der Besteuerung "eines Betriebsgegenstands, der nicht zum Abzug des Restbetrags der Steuer berechtigt hat", weil dies "zu einer Doppelbesteuerung führen [würde], die dem Grundsatz der Steuerneutralität zuwiderliefe, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem, in das sich die Sechste Richtlinie einfügt, zugrunde liegt". In dem damals entschiedenen Fall war der Steuerpflichtige nicht zum Abzug des Restbetrags der Steuer berechtigt, da er den Gegenstand gebraucht von jemandem gekauft hatte, der seinerseits nicht steuerpflichtig war.

(7) - Schreiben Nr. 2868 der Ständigen Vertretung Italiens bei den Europäischen Gemeinschaften. Auf dieses Schreiben habe ich bei der Darstellung des Vorverfahrens Bezug genommen.

(8) - Von einer Steuerbefreiung im eigentlichen Sinn kann nur die Rede sein, wenn ein Steuertatbestand, also ein steuerbarer Umsatz vorliegt. Begrifflich setzt die Befreiung eine ursprünglich bestehende Steuerpflicht voraus, jedoch gewährt der Gesetzgeber aus verschiedenen Gründen eine Befreiung von der Zahlungspflicht. Es handelt sich also um eine Vergünstigung, die unbedingt ausdrücklich im Gesetz genannt sein muß, damit der Steuerpflichtige von seiner Zahlungspflicht befreit wird. Bevor festgestellt werden kann, ob ein bestimmter Umsatz die Voraussetzungen für eine Befreiung erfuellt, muß feststehen, daß er vom Anwendungsbereich der Steuer erfasst wird.

(9) - Urteil vom 4. Oktober 1995 in der Rechtssache C-291/92 (Armbrecht, Slg. 1995, I-2775, Randnr. 13).

(10) - Wie in Fußnote 3 erwähnt, sollte der Rat diese Ausgaben konkretisieren oder eine detaillierte Liste aufstellen, jedoch führten die entsprechenden Versuche nicht zum Erfolg.

(11) - Auf diese bezieht sich Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe a, der diese Regelung nicht nur auf die Anschaffung oder die Einfuhr dieser Gegenstände erstreckt, sondern auch auf Dienstleistungen zur Instandhaltung und Reparatur derselben.

(12) - Auf diese bezieht sich Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe b des Dekrets.

(13) - Selbstverständlich kann ein Unternehmen, das Fahrer oder Piloten ausbildet, die Mehrwertsteuer abziehen, die es für die Anschaffung der nur für diesen Zweck bestimmten Kraftfahrzeuge und Flugzeuge entrichtet hat.

(14) - Der Begriff "arte" (Gewerbe) wird hier offenbar in dem Sinne verwendet, daß eine Tätigkeit gemeint ist, für deren Ausübung besondere Fähigkeiten und Kenntnisse erforderlich sind. Deshalb ist in der italienischen Vorschrift von "gli esercenti arti o professioni" (Gewerbetreibende und Angehörige freier Berufe) die Rede.

(15) - Der Gerichtshof hat in Nummer 3 des Tenors seines Urteils vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90 (Lennartz, Slg. 1991, I-3795) festgestellt: "Eine Vorschrift oder eine Verwaltungspraxis, die das Recht auf Vorsteuerabzug im Falle einer begrenzten, gleichwohl aber tatsächlichen unternehmerischen Verwendung allgemein einschränkt, stellt eine Abweichung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie dar und ist nur gültig, wenn sie den Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 oder des Artikels 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie genügt."

(16) - P. Filippi vertritt in seinem Werk Le cessioni di beni nell'imposta sul valore aggiunto (Padua, 1984) die Ansicht, im italienischen Mehrwertsteuerrecht werde oft nicht deutlich zwischen den beiden Konstruktionen Nichtbesteuerung und Befreiung unterschieden: Einige als Befreiung bezeichnete Fälle seien als Fälle der Nichtbesteuerung zu betrachten und umgekehrt; wegen der zu grossen Zahl der Nichtbesteuerungsfälle ist es nach Ansicht des Verfassers schwierig festzustellen, aufgrund welcher Kriterien die eine oder die andere Lösung gewählt wurde.

(17) - Diese ist in Artikel 19 der Sechsten Richtlinie geregelt. Der Pro-rata-Satz wird relevant, wenn der Steuerpflichtige gleichzeitig zum Vorsteuerabzug berechtigende und nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze bewirkt. In diesem Fall ist zu bestimmen, in welchem Umfang die erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen für diese beiden Arten von Umsätzen verwendet werden, und der Prozentsatz am Gesamtumsatz des Steuerpflichtigen festzusetzen, der ihn zum Vorsteuerabzug berechtigt. Nach Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten auf andere Lösungen als den Pro-rata-Satz zurückgreifen. In Italien ist der Pro-rata-Satz in Artikel 19 Absatz 3 des vorgenannten Dekrets geregelt.

(18) - Zur Berechnung des Pro-rata-Satzes ist zu bestimmen, welchen Prozentsatz am Gesamtbetrag der Umsätze die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze ausmachen. Multipliziert man die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze mit hundert und teilt man diesen Betrag durch den Gesamtbetrag der steuerbaren Umsätze, so erhält man den Pro-rata-Satz.