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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61996C0145

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 24. April 1997. - Bernd von Hoffmann gegen Finanzamt Trier. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Neustadt an der Weinstrasse - Deutschland. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich - Dienstleistung eines Schiedsrichters - Ort der Leistung. - Rechtssache C-145/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-04857


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Zahlung von Mehrwertsteuer auf Schiedsrichterhonorare. Es fragt sich, ob diese im Heimatmitgliedstaat des Schiedsrichters, im Staat des Sitzes des ihn bezahlenden Schiedsgerichts oder in dem (oder den) Heimatstaat(en) der Parteien des Schiedsgerichtsverfahrens zu besteuern sind. Das richtet sich nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie(1). Insbesondere ist zu klären, ob die Leistungen eines Schiedsrichters Leistungen von "Beratern", "Anwälten" oder "sonstige ähnliche Leistungen" sind.

I - Rechtlicher Rahmen und Sachverhalt

A - Verfahren vor dem nationalen Gericht

2 Der Kläger des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Kläger), Herr von Hoffmann, ist Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Trier in Deutschland. 1987, 1988 und 1989 war er als Schiedsrichter bei der Internationalen Handelskammer (im folgenden: IHK) tätig, die ihren Sitz in Paris hat. Er war Mitglied mehrerer internationaler Schiedsgerichte, die Streitigkeiten von Unternehmen durch Schiedsspruch beilegten oder auf einen Vergleich zwischen den Parteien hinarbeiteten. Solche Schiedsgerichte bestehen aus drei Schiedsrichtern, die für den Einzelfall ernannt werden; der Vorsitzende wird von der IHK bestimmt, die beiden Beisitzer von den Parteien vorgeschlagen und von der IHK bestätigt. Die Verfahren der Schiedsgerichte fanden sämtlich in Paris statt, wo auch die Schiedssprüche verkündet wurden. Alle Parteien der Schiedsgerichtsverfahren hatten den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausserhalb Deutschlands(2). Die Höhe des Honorars und seine Verteilung auf die Mitglieder des Schiedsgerichts bestimmt die IHK. Die Bezahlung der Schiedsrichter erfolgt nicht durch die Parteien, sondern durch die IHK.

3 Das Finanzamt Trier (im folgenden: Beklagter) unterwarf die dem Kläger von der IHK gezahlten Honorare der Mehrwertsteuer. Seine Einsprüche wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das daraufhin von ihm angerufene Finanzgericht Rheinland-Pfalz (im folgenden: nationales Gericht) entschied, daß der Kläger als Schiedsrichter ein Unternehmer sei, der eine berufliche Tätigkeit selbständig ausübe, und daß er seine Leistungen gegenüber der IHK erbringe(3).

4 Nach Auffassung des nationalen Gerichts geht die entscheidende Frage dahin, "ob [der Kläger] die Leistung im In- oder Ausland erbringt". Unter anderem wurde darüber verhandelt, ob es sich um wissenschaftliche oder ähnliche Leistungen handele. Das nationale Gericht entschied insoweit, daß die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts(4) nicht erfuellt seien(5). Nach deutschem Recht(6) werde der Kläger auch nicht als "Sachverständiger, als Rechtsanwalt oder beratend" tätig. Obwohl der Kläger Rechtsanwalt und Sachverständiger sei, könne nicht angenommen werden, daß er Sachverständigenleistungen erbringe, weil auch ein Richter seine Entscheidung auf gutachterliche Untersuchungen stütze. Seine Leistungen fielen auch nicht unter die freiberufliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts. Schließlich könnten sie auch nicht als "Beratungs"-Leistungen angesehen werden, da die Tätigkeit des Schiedsrichters, die darauf gerichtet sei, zu einem Abschluß des Schiedsverfahrens zu kommen, "über die beratende Funktion hinausgehe". Nach deutschem Recht sei daher Deutschland der Ort der Leistungen des Klägers.

5 Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sei jedoch anders formuliert; insbesondere scheine der Begriff "$ähnliche Leistungen` anderer Unternehmer" "weiter gefasst zu sein als § 3a Absatz 4 Nr. 3 UStG 1980". Der Umstand, daß die Schiedsrichterleistungen ihrer Art nach einen Ausschnitt aus dem möglichen Tätigkeitsbereich eines Rechtsanwalts darstellten, könne dafür ausreichen, daß im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e den Leistungen von Anwälten ähnliche Leistungen vorlägen. Dem Gerichtshof sei daher gemäß Artikel 177 EG-Vertrag folgende Frage vorzulegen:

Ist Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie (3. Fallgruppe: "Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenvereinbarung und die Überlassung von Informationen") dahin auszulegen, daß hierunter auch die Leistungen eines Schiedsrichters fallen?

B - Gemeinschaftsrecht

6 Artikel 9 der Sechsten Richtlinie betrifft "Dienstleistungen". Die im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen lauten wie folgt:

"(1) Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

(2) Es gilt jedoch

...

e) als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch ausserhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

...

- Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Leistungen sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen ..."

7 Die einzige Vorschrift des Abschnitts XII der Sechsten Richtlinie, Artikel 21 - Steuerschuldner gegenüber dem Fiskus -, regelt in Absatz 1 Buchstabe b, daß "der Empfänger einer in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten, von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung" die Mehrwertsteuer schuldet; doch "können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß der Dienstleistungserbringer die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat".

II - Erklärungen

8 Der Kläger, der Beklagte, die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission haben schriftliche und mündliche Erklärungen abgegeben. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat nur in der mündlichen Verhandlung Erklärungen abgegeben.

III - Erörterung

A - Verhältnis zwischen den Absätzen 1 und 2 des Artikels 9

9 Der Gerichtshof hat zu dem Verhältnis zwischen den Absätzen 1 und 2 des Artikels 9 der Sechsten Richtlinie in seiner neuesten Rechtsprechung abschließend Stellung genommen. Deutschland hat ebenso wie in der Rechtssache Dudda(7) in seinen schriftlichen Erklärungen in der vorliegenden Rechtssache Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e als eine Ausnahmebestimmung zu der allgemeinen Regel des Artikels 9 Absatz 1 definiert, die folglich eng auszulegen sei. Es hat sich insbesondere gegen die von mir in den Nummern 26 bis 31 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Dudda (in dieser Sache in bezug auf Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie) vertretene Auffassung gewandt; das stand ihm frei. Der Gerichtshof hat jedoch in der Rechtssache Dudda - und damit konkludent auch für den vorliegenden Fall - die Ausführungen Deutschlands wie folgt zurückgewiesen(8):

"Zum Verhältnis zwischen den Absätzen 1 und 2 des Artikels 9 der Sechsten Richtlinie hat der Gerichtshof bereits festgestellt, daß Artikel 9 Absatz 2 eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte enthält, während in Absatz 1 insoweit eine allgemeine Regel niedergelegt ist. Durch diese Bestimmungen sollen, wie sich aus Artikel 9 Absatz 3 - wenn auch nur für Sonderfälle - ergibt, Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, sowie die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden ...(9)

Daraus folgt, daß eine Auslegung des Artikels 9 keinen Vorrang des Absatzes 1 gegenüber Absatz 2 ergibt. In jedem Einzelfall stellt sich vielmehr die Frage, ob eine der Bestimmungen des Artikels 9 Absatz 2 einschlägig ist; andernfalls gilt Absatz 1.

Daher ist der Anwendungsbereich des Artikels 9 Absatz 2 unter Berücksichtigung seines Zweckes zu bestimmen, der sich aus der siebten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt; diese Begründungserwägung lautet wie folgt:

$Die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes hat insbesondere hinsichtlich der Lieferung eines Gegenstandes mit Montage und der Dienstleistungen zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten geführt. Wenn auch als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Ort gelten muß, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat, so sollte doch insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen, als Ort der Dienstleistung das Land des Dienstleistungsempfängers gelten.`

Artikel 9 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie als ganzer will also eine Sonderregelung für Dienstleistungen einführen, die zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbracht werden und deren Kosten in den Preis der Waren eingehen."

10 Nach der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof die Auslegung, die er im Urteil Dudda zu dem Verhältnis zwischen den Absätzen 1 und 2 des Artikels 9 der Sechsten Richtlinie vertreten hat, im Urteil Linthorst(10) auf Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e angewandt. Die Frage, ob die vom Kläger erbrachten Leistungen unter Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e fallen, kann daher meines Erachtens beantwortet werden, ohne daß diese Bestimmung restriktiv ausgelegt werden müsste.

B - Wirkung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e in Deutschland

11 Die Frage nach der unmittelbaren Wirkung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie ist in einigen der vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen aufgeworfen worden. Ich halte es jedoch nicht für erforderlich, hierauf einzugehen, da sich aus dem Vorlagebeschluß eindeutig ergibt, daß das nationale Gericht durchaus zu Recht sicherstellen möchte, daß das zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie in Deutschland erlassene UStG im Einklang mit der Auslegung, die der Gerichtshof Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e gibt, ausgelegt und angewendet wird.

C - Empfänger von Schiedsrichterleistungen

12 Deutschland, die Kommission und das Vereinigte Königreich äussern Zweifel an der Feststellung des nationalen Gerichts, daß der Kläger seine Schiedsrichterleistungen gegenüber der IHK erbracht habe, jedoch liegt dem Gerichtshof insoweit keine Frage vor.

13 Bei einem privaten Schiedsgerichtsverfahren werden diese Leistungen zweifellos gegenüber den Parteien erbracht. Ob für das IHK-Verfahren etwas anderes gilt, hängt von tatsächlichen, vom nationalen Gericht zu treffenden Feststellungen ab; ohne solche Feststellungen könnte der Gerichtshof über die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem Schiedsrichter einerseits und den Parteien des Schiedsgerichtsverfahrens oder der IHK andererseits nur Mutmassungen anstellen.

14 Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie ist selbstverständlich nur anwendbar, wenn der Empfänger der Leistungen ausserhalb der Gemeinschaft oder als Steuerpflichtiger innerhalb der Gemeinschaft ansässig ist. Über diese Fragen hat das nationale Gericht, auf Wunsch mit Unterstützung des Gerichtshofes, zu entscheiden. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß die IHK nach französischem Recht nicht mehrwertsteuerpflichtig sei, aber einen Hinweis verbreite, nach dem Schiedsrichterhonorare zwar keine Mehrwertsteuer einschlössen, mehrwertsteuerpflichtige Schiedsrichter jedoch die Möglichkeit hätten, die Steuer unmittelbar von den Parteien erstatten zu lassen.

15 Kürzlich hat der Gerichtshof in dem Urteil Phytheron International ausgeführt: "Wenn der Gerichtshof den Sachverhalt zugrundelegen würde, der ihm im Laufe des Verfahrens unterbreitet worden ist, würde sich das Wesen des durch die Vorlagefragen aufgeworfenen Problems verändern." Dies wäre "mit der dem Gerichtshof durch Artikel 177 des Vertrages übertragenen Rolle sowie mit seiner Verpflichtung unvereinbar, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu verschaffen, ... Erklärungen abzugeben"(11).

16 Der Gerichtshof sollte es daher meines Erachtens dem nationalen Gericht überlassen, etwaige Fragen hinsichtlich des tatsächlichen Empfängers der Leistungen oder seiner steuerrechtlichen Stellung zu klären, und sich darauf beschränken, die gestellte Frage zu beantworten, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich auch die Leistungen eines Schiedsrichters erfasst.

D - Leistungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie$

17 Der Gerichtshof hat kürzlich in seinem Urteil Linthorst erläutert, wie bei der Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich zu verfahren ist. Es stellte sich dort die Frage, ob tierärztliche Leistungen "ähnliche Leistungen" im Sinne des dritten Gedankenstrichs seien. Ich habe hierzu in den Schlussanträgen ausgeführt, daß der Inhalt der in dem Gedankenstrich aufgezählten Leistungen die Anwendung des Auslegungsgrundsatzes der Gattungsgleichheit (ejusdem generis) nicht zulasse(12), da "die Anwendung dieses Grundsatzes [voraussetzt], daß sich ausgehend von den in dem zu untersuchenden Gesetzestext aufgeführten Gegenständen eine Gattung festlegen lässt, die dem allgemeinen Ausdruck vorgeht [und daß es] im wesentlichen ... um die Suche nach einem hinlänglichen gemeinsamen Merkmal [geht], anhand dessen sich eine wiedererkennbare Klasse festlegen lässt". Meines Erachtens ließ sich kein solches gemeinsames Merkmal feststellen.

18 Der Kläger macht geltend, es gebe ein gemeinsames Merkmal, das die in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich aufgeführten Leistungen verbinde. Es handele sich nämlich sämtlich um Leistungen höherer Art, die eine qualifizierte Ausbildung voraussetzten und die den einzelnen Unternehmern aufgrund eines besonderen Vertrauens in ihre persönliche Integrität und fachliche Befähigung übertragen würden. Dies gelte insbesondere für einen Professor der Rechtswissenschaft, der in ein Schiedsgericht berufen werde. Im Urteil Linthorst hat der Gerichtshof entschieden: "Gemeinsam ist den hier genannten heterogenen Tätigkeiten nur, daß sie alle im Rahmen freier Berufe ausgeuebt werden ... Der Gemeinschaftsgesetzgeber [hätte jedoch], wenn er gewollt hätte, daß alle freiberuflichen Tätigkeiten unter diese Vorschrift fallen, diese Tätigkeiten in allgemeinen Worten definiert."(13) Damit kann aus den aufgezählten Leistungen offensichtlich nicht auf einen allgemeinen Grundsatz geschlossen werden.

19 Deshalb ist zu prüfen, ob die Leistungen des Klägers unter eine der aufgezählten Beschreibungen fallen oder Ähnlichkeiten damit aufweisen. Der Kläger macht geltend, seine Leistungen seien den Leistungen eines Anwalts nicht nur ähnlich, sondern seien tatsächlich mit einem Teil dieser Leistungen identisch. Offensichtlich muß geprüft werden, ob die Schiedsrichtertätigkeit des Klägers im vorliegenden Fall die Leistung eines Anwalts darstellt; dies erfordert jedoch eine umfassende Erörterung.

20 Vor der Beantwortung dieser Frage möchte ich einige allgemeine Bemerkungen zu Schiedsrichterleistungen machen, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen bemerkt, es sei so ungewöhnlich, daß Anwälte als Schiedsrichter bei privatrechtlichen Schiedsgerichten tätig seien, daß Schiedsrichter in den Rechtsvorschriften nicht besonders erwähnt seien. Allerdings wurden diese Erklärungen vor den Urteilen Dudda und Linthorst abgegeben und beruhen auf der Annahme, daß die Aufzählung freiberuflicher Leistungen im dritten Gedankenstrich Beispielscharakter habe. Mich überrascht jedoch, daß eine Schiedsrichtertätigkeit von Anwälten selten sein sollte. In den Ländern des anglo-amerikanischen Rechtskreises zumindest ist es keineswegs ungewöhnlich, daß ein Anwalt als Schiedsrichter in einem privatrechtlichen Schiedsgerichtsverfahren tätig wird. Es ist im Gegenteil durchaus üblich. Es steht den Parteien privatrechtlicher Schiedsgerichtsverfahren selbstverständlich frei, Anforderungen hinsichtlich der Befähigung ihres (ihrer) Schiedsrichter festzulegen. Häufig wird es die Schiedsvereinbarung dem Leiter eines bestimmten Fachinstituts übertragen, einen Schiedsrichter zu bestimmen, sofern sich die Parteien nicht einigen können. Soweit die Auswahl nicht durch individuelle Vereinbarung geschieht, kann auch auf diesem Weg ein Rechtsanwalt, Ingenieur, Architekt oder Buchprüfer zum Schiedsrichter gewählt werden. Tatsächlich kann Schiedsrichter jeder Fachmann oder auch eine Person von grosser geschäftlicher oder anderer einschlägiger Erfahrung sein.

21 Wie das Vereinigte Königreich ausführt, bestehen in einigen Mitgliedstaaten, etwa im Vereinigten Königreich und Irland, sogar zwei getrennte Zweige des Anwaltsberufs, die sich traditionell auf verschiedene Arten rechtlicher Dienstleistungen konzentrieren. Es ist daher kaum vorstellbar, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die Verwendung der Gattungsbezeichnung "Anwälte" nur Leistungen von Anwälten erfassen wollte, die für einen bestimmten Mandanten handeln. Meines Erachtens schlägt die Kommission zu Recht vor, Art und Inhalt der Leistungen zu berücksichtigen. Demnach vertreten zu Schiedsrichtern ernannte Anwälte zwar nicht unmittelbar einen bestimmten Mandanten, doch handeln sie offensichtlich im weiteren Sinne im Interesse der Parteien des Schiedsgerichtsverfahrens, die zudem dieses Verfahren gewählt haben, um rasch und kostengünstig zu einer endgültigen und bindenden Entscheidung zu gelangen.

22 Meines Erachtens wird ein selbständiger Anwalt, der die Aufgabe eines Schiedsrichters übernimmt, wegen seiner juristischen Sachkenntnis gewählt, wie nach den Ausführungen des Vereinigten Königreichs Ingenieure oder Buchprüfer wegen ihrer beruflichen Sachkenntnis gewählt werden(14). Er erbringt meiner Ansicht nach Leistungen eines Anwalts im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich. Ob der Kläger ein solcher Anwalt ist, hat das nationale Gericht zu entscheiden. Die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts erfordert eine gleichförmige Auslegung des Begriffes des "Anwalts". Im Urteil AM & S/Kommission(15) hat der Gerichtshof entschieden, daß der Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses (professional legal privilege) nur für die Rechtsberatung durch Rechtsanwälte gilt, "die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind"(16), wie sie in der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte(17) für jeden Mitgliedstaat definiert sind. Meines Erachtens sollte die kurze Zeit später erlassene Sechste Richtlinie im Hinblick auf die Dienstleistungen von Anwälten entsprechend ausgelegt werden. Aber auch wenn der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfuellt und kein Rechtsanwalt im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 77/249 ist, kann er als Berater angesehen werden, da dieser Begriff eine weite Bedeutung oder, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Linthorst ausgeführt habe, eine "unbestimmte ... Tragweite" hat(18). Personen, die freiberufliche Leistungen als Schiedsrichter erbringen, können daher meines Erachtens als "Berater" oder ihre Kanzleien als "Studienbüros" bezeichnet werden. Ich bin in Übereinstimmung mit dem Vereinigten Königreich der Auffassung, daß die Aufnahme dieser Beschreibungen darauf hindeutet, daß der Gesetzgeber diesem Gedankenstrich von Artikel 9 eine weite Tragweite geben wollte.

23 Ich stimme dem Vereinigten Königreich ferner darin zu, daß es insbesondere vom Standpunkt der Parteien des Schiedsgerichtsverfahrens nicht folgerichtig wäre (und damit für die Wahl der Gemeinschaft als Ort internationaler Schiedsgerichtsverfahren nachteilig sein könnte)(19), wenn für die Schiedsrichterleistungen von einem anderen Leistungsort ausgegangen würde als für die Leistungen der - in Schiedsgerichtsverfahren häufig für die Parteien auftretenden - Rechtsanwälte. Wie das Vereinigte Königreich ferner bemerkt, hätte der Ausschluß der Schiedsrichter vom dritten Gedankenstrich zur Folge, daß (vorbehaltlich einer besonderen Rolle der IHK) auch ausschließlich ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Parteien Mehrwertsteuer auf Schiedsrichterhonorare zahlen müssten. Dies wäre mit Ziel und Zweck der Sechsten Richtlinie, insbesondere des Artikels 9, wie ihn der Gerichtshof im Urteil Dudda ausgelegt hat, nicht vereinbar(20).

24 Sollten die Tätigkeiten des Klägers keine Leistungen von Anwälten oder Beratern im eigentlichen Sinne sein, so fallen sie meines Erachtens unter "sonstige ähnliche Leistungen", da sie Anwaltsleistungen ähnlich sind. Nach dem Urteil Linthorst ist das folgende allgemeine Verfahren bei der Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie anzuwenden: Leistungen sind dann den aufgeführten Leistungen ähnlich im Sinne des Begriffes der "sonstigen ähnlichen Leistungen", wenn sie ausreichende Ähnlichkeiten mit einer der Tätigkeiten aufweisen, die "hauptsächlich und gewöhnlich"(21) mit den in dem Gedankenstrich aufgeführten Berufen verbunden sind. Der vorliegende Fall betrifft einen Professor des Bürgerlichen Rechts. Es sind daher die Leistungen eines solchen Schiedsrichters mit den üblicherweise von Anwälten erbrachen Leistungen zu vergleichen. Sind diese Leistungen den "Leistungen von Anwälten" ähnlich, so braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob sie auch als den "Leistungen von Beratern" ähnlich angesehen werden können.

25 Im Urteil Dudda hat der Gerichtshof im Hinblick auf den Begriff der "ähnlichen Tätigkeiten" in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie im Zusammenhang insbesondere mit "künstlerischen" und "unterhaltenden" Leistungen ausgeführt, daß "unter diese Bestimmung nicht nur Leistungen [fallen], die sich auf Tätigkeiten auf dem Gebiet insbesondere der Kunst oder der Unterhaltung beziehen, sondern auch solche, die sich auf nur ähnliche Tätigkeiten beziehen"(22). Meines Erachtens sollte das gleiche Verfahren auf den Begriff der "sonstigen ähnlichen Leistungen" in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e angewandt werden.

26 Meiner Ansicht nach schließt der Umstand, daß sich Schiedsrichterleistungen von den gewöhnlich von Anwälten erbrachten Leistungen unterscheiden - also die Beilegung eines Streits im Gegensatz zur Erteilung von Rechtsrat betreffen -, nicht aus, daß Schiedsrichterleistungen als Anwaltsleistungen ähnlich angesehen werden. Die "hauptsächlichen und gewöhnlichen Tätigkeiten"(23) von "Anwälten" umfassen vielfältige Formen der Beratung von Mandanten und der Führung von Verhandlungen für Mandanten sowie die Vertretung in Gerichtsverfahren.

27 Vorbehaltlich der vom nationalen Gericht hinsichtlich der beruflichen Stellung des Klägers zu treffenden Feststellungen sind, wie bereits ausgeführt, die Schiedsrichterleistungen im vorliegenden Fall meiner Ansicht nach als Anwaltsleistungen anzusehen; zumindest sind sie Anwaltsleistungen ähnlich.

28 Anders als bei tierärztlichen Leistungen ist die Nichtaufnahme in das Verzeichnis ferner nicht als beabsichtigt anzusehen(24). In Anbetracht der unzähligen Formen und Arten von Schiedsgerichtsverfahren ist es nicht überraschend, daß Schiedsrichterleistungen in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e nicht ausdrücklich erwähnt sind. Meines Erachtens eignen sie sich nach ihrem Wesen ausgezeichnet dazu, je nach den Umständen des jeweiligen Schiedsgerichtsverfahrens als Leistungen von "Beratern", "Ingenieuren" oder "Anwälten" ähnlich angesehen zu werden.

29 Schließlich sind insbesondere in der mündlichen Verhandlung Bedenken dahin geäussert worden, daß der Kläger bei einer Anwendung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie in der Lage wäre, die Mehrwertsteuer zu umgehen. Ich bin nicht der Auffassung, daß der Kläger die Steuer zu umgehen versucht. Sollte der Gerichtshof, wie ich vorschlage, zu dem Ergebnis kommen, daß Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e anwendbar ist, so sind die Mitgliedstaaten offensichtlich gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe b verpflichtet, vom Empfänger einer in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e genannten, "von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen" erbrachten Leistung die geschuldete Mehrwertsteuer zu verlangen. Erbrachte also der Kläger seine Leistungen an die IHK in Paris und wird deren Steuerpflicht unterstellt, so hätten die zuständigen französischen Behörden die Entrichtung der Mehrwertsteuer von der IHK verlangen müssen. Zudem können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe b auch "vorsehen, daß der Dienstleistungserbringer die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat". Frankreich hat anscheinend von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht; für diese Entscheidung trifft den Kläger keine Verantwortung. Werden die Leistungen dagegen an ausserhalb der Gemeinschaft ansässige Parteien erbracht, so wird keine Mehrwertsteuer geschuldet.

IV - Ergebnis

30 Nach alledem schlage ich vor, die Frage des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz wie folgt zu beantworten:

Unter Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG) fallen auch von Rechtsanwälten erbrachte Schiedsrichterleistungen. Ist der Schiedsrichter nicht Rechtsanwalt, so kann er als Berater angesehen werden; jedenfalls sind die Leistungen eines Schiedsrichters, der aufgrund seiner juristischen Sachkenntnis gewählt wird, den Leistungen eines Anwalts ähnlich.

(1) - Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG, ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie).

(2) - Im Vorabentscheidungsersuchen ist nicht angegeben, ob die Parteien innerhalb oder ausserhalb der Gemeinschaft, oder sowohl innerhalb als auch ausserhalb, ansässig waren.

(3) - Diese Entscheidung war offensichtlich auf § 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 und § 3a Absatz 1 Umsatzsteuergesetz 1980 (BGBl. I S. 1953; im folgenden: UStG) gestützt.

(4) - Nach Auffassung des nationalen Gerichts schreibt § 3a Absatz 3 in Verbindung mit § 3a Absatz 2 Nr. 3a UStG als Ort "für künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende oder ähnliche Leistungen einschließlich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter" den Ort fest, wo der Unternehmer tätig wurde.

(5) - Das nationale Gericht vertrat die Auffassung, daß die Leistungen des Klägers zumindest nach deutschem Recht nicht als Tätigkeiten angewandter Wissenschaft angesehen werden könnten, die als wissenschaftliche Dienstleistungen am Ort der Leistung zu besteuern seien.

(6) - Vgl. § 3a Absatz 4 Nr. 3 UStG.

(7) - Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-327/94, Slg. 1996, I-4595.

(8) - Randnrn. 20 bis 23.

(9) - Der Gerichtshof nimmt auf das Urteil vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 168/84 (Berkholz, Slg. 1985, 2251, Randnr. 14) Bezug.

(10) - Urteil vom 6. März 1997 in der Rechtssache C-167/95 (Linthorst, Slg. 1997, I-0000). Vgl. allgemein Randnrn. 10 und 11 und zur Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e Randnrn. 19 bis 23; vgl. ferner Nrn. 8 bis 10 und 19 bis 25 meiner Schlussanträge.

(11) - Urteil vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-352/95 (Phytheron International, Slg. 1997, I-0000, Randnrn. 12 und 14).

(12) - Vgl. Nr. 21 der Schlussanträge. Zum Grundsatz der Gattungsgleichheit vgl. etwa Bennion, Statutory Interpretation (Butterworths, 2. Auflage 1992, S. 860 ff.).

(13) - Randnr. 20.

(14) - Ich stimme daher der vom Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 17. November 1960 (Rechtssache IV 135/58 U, Bundessteuerblatt III 1961, S. 60) vertretenen Auffassung zu, daß Rechtsanwälte als Schiedsrichter gewählt würden, eben weil sie Rechtsanwälte seien, und daher davon ausgegangen werden könne, daß sie mit ausreichender Unabhängigkeit handelten. Wegen ihrer beruflichen Erfahrung, die im wesentlichen die Lösung von Rechtsproblemen nach wissenschaftlichen Grundsätzen umfasse, seien sie für viele Arten von Schiedsgerichtsverfahren besonders geeignet. Zwar "diene der Rechtsanwalt im allgemeinen nur einer Partei", doch brauche dies "durchaus nicht immer der Fall zu sein ... Der Rechtsanwalt kann auch mehreren Parteien, die ihn gemeinsam um Rat bitten, Auskunft erteilen", und "er kann auch die widerstrebenden Interessen mehrerer Parteien durch einen Vergleich aufeinander abstimmen, wenn diese ein gemeinsames Interesse daran haben, die zwischen ihnen bestehenden Unstimmigkeiten aus der Welt zu schaffen".

(15) - Urteil vom 18. Mai 1982 in der Rechtssache 155/79 (Slg. 1982, 1575).

(16) - Ebenda, Randnr. 25.

(17) - ABl. L 78, S. 17.

(18) - A. a. O., Nr. 24.

(19) - Vgl. insoweit Nr. 5 der Schlussanträge von Generalanwalt Darmon in der Rechtssache C-190/89 (Rich, Slg. 1991, I-3855).

(20) - Vgl. insbesondere die in Nr. 9 dieser Schlussanträge wiedergegebenen Randnrn. 21 bis 23.

(21) - Diesen Ausdruck hat der Gerichtshof im Urteil Linthorst, Randnr. 22, verwendet.

(22) - Ebenda, Randnr. 25 (Hervorhebung nur hier).

(23) - Urteil Linthorst, Randnr. 22.

(24) - Der Gerichtshof hat in Randnr. 21 des Urteils Linthorst ausgeführt: "Zudem hätte der Gesetzgeber den Arztberuf in der Aufzählung genannt, wenn er ihn allgemein als typische freiberufliche Tätigkeit mit dieser Vorschrift hätte erfassen wollen, da - wie sowohl das vorlegende Gericht als auch der Generalanwalt in Nummer 22 seiner Schlussanträge zu Recht ausgeführt haben - die Sechste Richtlinie in anderen Vorschriften die Leistungen der Tierärzte ausdrücklich nennt, so z. B. bei der in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Anhang F der Sechsten Richtlinie vorgesehenen vorläufigen Befreiung." Die Leistungen von Schiedsrichtern sind dagegen in der Sechsten Richtlinie nicht ausdrücklich erwähnt.