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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61996C0361

Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas vom 12. Februar 1998. - Société générale des grandes sources d'eaux minérales françaises gegen Bundesamt für Finanzen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland. - Mehrwertsteuer - Auslegung von Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie 79/1072/EWG - Verpflichtung eines nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen, seinem Antrag auf Erstattung der Steuer die Originale der Rechnungen oder der Einfuhrdokumente beizufügen - Zulässigkeit der Vorlage einer Zweitschrift, wenn das Abhandenkommen des Originals vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist. - Rechtssache C-361/96.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-03495


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitung

In der vorliegenden Rechtssache soll der Gerichtshof über zwei Vorabentscheidungsfragen entscheiden, die ihm das Finanzgericht Köln gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vorgelegt hat. Diese Fragen beziehen sich auf die Auslegung des Artikels 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer vom 6. Dezember 1979 (im folgenden: Achte Richtlinie)(1).

II - Rechtlicher Rahmen

Artikel 2 der Achten Richtlinie bestimmt:

"Jeder Mitgliedstaat erstattet einem Steuerpflichtigen, der nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, unter den nachstehend festgelegten Bedingungen die Mehrwertsteuer ..."

Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie sieht folgendes vor:

"Um die Erstattung zu erhalten, muß ein in Artikel 2 genannter Steuerpflichtiger, der im Inland keine Gegenstände liefert oder Dienstleistungen erbringt,

a) bei der in Artikel 9 bezeichneten zuständigen Behörde nach dem in Anhang A aufgeführten Muster einen Antrag stellen, dem die Originale der Rechnungen oder Einfuhrdokumente beizufügen sind ..."

III - Sachverhalt

1 Die Société Générale des Grandes Sources d'Eaux Minérales Françaises, die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Klägerin), ist eine französische Kapitalgesellschaft. Im Rahmen der Begleichung einer Verbindlichkeit aus einem Händlervertrag mit einer deutschen Gesellschaft zahlte sie Umsatzsteuer in Höhe von 490 000 DM. Die für diese Zahlung ausgestellte Rechnung ist nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerin beim Postversand an die Anwaltskanzlei, die von ihr damit beauftragt war, die Vergütung dieser Umsatzsteuer bei den zuständigen deutschen Behörden geltend zu machen, abhanden gekommen. In der Folge legte die Klägerin bei den deutschen Behörden eine Zweitschrift der Rechnung vor, die ihr ihre Vertragspartnerin, die deutsche Gesellschaft, ausgestellt hatte. Das Bundesamt für Finanzen, der Beklagte des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Beklagter), lehnte diesen Antrag ab.

2 Es sei darauf hingewiesen, daß die Klägerin ihren Antrag auf Vergütung der Vorsteuer trotz des Abhandenkommens des Rechnungsoriginals auf den Grundsatz der Billigkeit gestützt hatte, der im deutschen Recht gilt und in den §§ 163 und 155 der Abgabenordnung (AO) normiert ist. Nach diesem Grundsatz ist es möglich, in konkreten Fällen von speziellen Vorschriften abzuweichen, die die Festsetzung der Steuer oder ihre Vergütung regeln, wenn sich zeigt, daß die Anwendung dieser Vorschriften "unbillig"(2) für den Steuerpflichtigen wäre. Die zuständige deutsche Behörde lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, daß eine solche Billigkeitsmaßnahme nur dann erlassen werden könne, wenn die strikte Anwendung der einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften zu einer vom Verfasser dieser Vorschriften, d. h. dem Gesetzgeber, nicht vorhergesehenen und nicht gewollten Folge führe. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens war der Ansicht, daß diese Voraussetzung im vorliegenden Rechtsstreit nicht vorliege, da der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich vorschreibe, daß im Umsatzsteuervergütungsverfahren nur Originalbelege vorgelegt würden. Im einzelnen bestehe diese Verpflichtung nach § 61 Absatz 1 Satz 4 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Nach Ansicht des Beklagten wurde die strenge Verpflichtung zur Vorlage der Originale der für die Vergütung der Umsatzsteuer erforderlichen Belege vom deutschen Gesetzgeber im Einklang mit den Vorschriften der Achten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern festgelegt. Er ist daher der Ansicht, daß eine Abweichung - auch aus Billigkeitsgründen - von den formellen Voraussetzungen, die § 61 UStDV aufstelle, gegen Artikel 3 dieser Richtlinie verstieße.

3 Gegen diesen ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin beim Finanzgericht Köln Klage mit dem Antrag, die ihr gegenüber veranlagte Umsatzsteuer im Wege der Billigkeit zu vergüten. Dieses Gericht hielt es für zweckmässig, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof zwei Vorabentscheidungsfragen vorzulegen, die sich darauf beziehen, ob die streitigen Vorschriften der Achten Richtlinie als Voraussetzung für die Vergütung der Umsatzsteuer zwingend die Vorlage des Originals der erforderlichen Belege vorschreiben oder ob sie bei von den Betroffenen nicht zu vertretenden Abhandenkommen dieser Originale Spielraum dafür lassen, ausnahmsweise und aus Gründen der Billigkeit auch Zweitschriften der jeweiligen Belege zu berücksichtigen(3).

4 Das vorlegende Gericht führt aus, auf den ersten Blick führe die grammatische und teilweise auch die teleologische Auslegung des Artikels 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie zu der für den Steuerpflichtigen strengeren Lösung. Konkret sei in dieser Vorschrift ausdrücklich von der Beifügung der Originale der Rechnungen oder Einfuhrdokumente die Rede. Auch bezwecke diese Vorschrift, eine mißbräuchliche Erschleichung einer doppelten Umsatzsteuervergütung zu verhindern, und stelle aus diesem Grund strengere formelle Voraussetzungen auf. Die Anerkennung der Möglichkeit, Kopien der Rechnung vorzulegen, könnte den Weg zu einer doppelten Erstattung eröffnen, insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Gesellschaft, die die Vergütung beantrage, ihren Sitz nicht in Deutschland habe.

5 Wenn man am Wortlaut der Richtlinie klebe und jegliche Abweichung von dem Erfordernis der Vorlage von Originalbelegen ablehne, könne dies jedoch - so das vorlegende Gericht - unter Umständen die Steuerpflichtigen, die in den Anwendungsbereich der Achten Richtlinie fielen, d. h. ausländische Unternehmer, gegenüber ihren inländischen Wettbewerbern benachteiligen. Diese Möglichkeit stehe nicht im Einklang mit dem Hauptziel des Richtliniengebers, das darin bestehe, daß in jedem Mitgliedstaat dieselben Wettbewerbschancen geboten würden, und darin, daß mit den gleichen Voraussetzungen für alle Steuerpflichtigen die Neutralität der Umsatzsteuer garantiert werde. Falls für die ausländischen Unternehmer - und zwar auch ausnahmsweise als Billigkeitsmaßnahme - die Möglichkeit ausgeschlossen würde, unter aussergewöhnlichen Umständen die Vergütung der Steuer aufgrund der Vorlage von Kopien der erforderlichen Belege zu erhalten, so befänden sich diese Unternehmer in einer ungünstigeren Stellung als entsprechende Inländer. Wenn diese im Handelsverkehr eine Originalrechnung in Besitz gehabt, ihnen diese Rechnung jedoch später abhanden gekommen sei, so könnten sie die diese Rechnung betreffende Vorsteuer abziehen, wenn sie nachwiesen, daß die Originalrechnung ursprünglich in ihren Besitz gelangt sei; für diesen Nachweis stuenden ihnen alle verfahrensrechtlich zulässigen Beweismittel zur Verfügung. Wenn sie diesen Beweis vollständig erbracht hätten, so könnten sie der Finanzbehörde lediglich eine Zweitschrift oder eine Fotokopie der Originalrechnung vorlegen, wobei der Vorsteuerabzug als Billigkeitsmaßnahme auf der Grundlage der Zweitschrift oder der Kopie erfolge.

6 Wie wir vom vorlegenden Gericht erfahren, entspricht das oben beschriebene Verfahren (Einsatz der verfahrensrechtlich zulässigen Beweismittel zum Nachweis des ursprünglichen Vorhandenseins des später abhanden gekommenen Rechnungsoriginals und Erlangen der Vorsteuervergütung als Billigkeitsmaßnahme auf der Grundlage einer Zweitschrift oder eine Photokopie der Originalrechnung) der deutschen Besteuerungspraxis und der damit in Einklang stehenden deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung. In Anbetracht des Vorstehenden bringt das vorlegende Gericht die Auffassung zum Ausdruck, daß eine enge Auslegung der streitigen Vorschriften der Richtlinie wahrscheinlich in Widerspruch zum Ziel der Richtlinie geraten oder sogar gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, das in Artikel 95 EG-Vertrag niedergelegte Diskriminierungsverbot, verstossen würde(4). Alle genannten Gesichtspunkte sind nach Ansicht des vorlegenden Gerichts vom Gerichtshof bei der Beantwortung der beiden vorgelegten Vorabentscheidungsfragen, die ich sogleich unmittelbar zitieren werde, zu berücksichtigen.

IV - Die Vorabentscheidungsfragen

a) Hindert Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern vom 6. Dezember 1979 (Achte Richtlinie) die Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Recht die Möglichkeit vorzusehen, daß ein in Artikel 2 der Richtlinie genannter Steuerpflichtiger bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen einer Rechnung oder eines Einfuhrdokuments den Nachweis seiner Erstattungsberechtigung durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des Einfuhrdokuments führt?

b) Falls die erste Frage zu verneinen ist: Folgt aus dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot und aus dem Prinzip der Neutralität der Umsatzsteuer, daß ein in Artikel 2 der Achten Richtlinie genannter Steuerpflichtiger einen Anspruch darauf hat, bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen der in Artikel 3 Buchstabe a genannten Rechnungen oder Einfuhrdokumente den Nachweis seiner Erstattungsberechtigung durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des Einfuhrdokuments führen zu können?

V - Meine Antwort auf die Vorabentscheidungsfragen

A - Bisherige Rechtsprechung

7 Der Gerichtshof hat sich mit der Frage, welche Merkmale die Belege, auf deren Grundlage die Vergütung der Umsatzsteuer erfolgt, nach der Richtlinie 79/1072/EWG erfuellen müssen, bis jetzt noch nicht befasst. Er hat jedoch verwandte Fragen geprüft, wenn er die Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977(5) auszulegen hatte. Es sei darauf hingewiesen, daß die Richtlinie 77/388/EWG (im folgenden: Sechste Richtlinie) mit der streitigen Richtlinie 79/1072/EWG unmittelbar verknüpft ist. Die letztgenannte Richtlinie wurde erlassen, nachdem in der Sechsten Richtlinie ausdrücklich bestimmt worden war, daß die Fragen der Steuererstattung an ausländische Unternehmer zu regeln seien(6).

8 Was die Sechste Richtlinie angeht, hat der Gerichtshof die Bedeutung anerkannt, die die Rechnung im gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystem als Beleg hat, der sowohl der Entrichtung der Mehrwertsteuer als auch der Erstattung der in einem früheren Stadium entrichteten Mehrwertsteuer dient(7). Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Sechste Richtlinie keine Definition des Begriffes "Rechnung" enthält, sondern Mindestvoraussetzungen in bezug auf die Bestandteile festgelegt hat, die die Rechnung per definitionem enthalten muß, und den Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum in bezug auf die weitere Bestimmung der formellen Merkmale dieses Belegs belässt. Drei Urteile des Gerichtshofes sind zu nennen. In der Rechtssache Jeunehomme(8) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß ein Mitgliedstaat verlangen kann, daß in Rechnungen über die nach der Richtlinie vorgeschriebenen Angaben hinaus zusätzliche Angaben aufgenommen werden. In der Rechtssache Reisdorf(9), die der vorliegenden Rechtssache stärker ähnelt, hat der Gerichtshof entschieden, daß die Mitgliedstaaten "unter $Rechnung` nicht nur die Originalrechnung, sondern an deren Stelle auch jedes andere Dokument ... verstehen [können], das den von ihnen festgelegten Kriterien entspricht und ... die Befugnis ... [besitzen], zum Nachweis des Rechts auf Vorsteuerabzug die Vorlage der Originalrechnung zu verlangen und, wenn der Steuerpflichtige sie nicht mehr besitzt, andere Beweise zuzulassen, aus denen sich ergibt, daß der Umsatz, auf den sich der Antrag auf Vorsteuerabzug bezieht, tatsächlich stattgefunden hat"(10). In demselben Urteil erkennt der Gerichtshof den Mitgliedstaaten auch "die Befugnis [zu], zu bestimmen, daß ein Dokument nicht an die Stelle der Rechnung treten kann, wenn eine Originalrechnung ausgestellt worden ist und der Empfänger sie besitzt"(11). Nach Ansicht des Generalanwalts bleibt der Besitz des Rechnungsoriginals jedoch die Regel, während der Rückgriff auf andere Beweismittel Ausnahmecharakter besitzt und zulässig ist, wenn er "dem übergeordneten Ziel der Sechsten Richtlinie ... [genügt], die korrekte Anwendung des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sicherzustellen"(12). Schließlich hat der Gerichtshof in dem kürzlich ergangenen Urteil in der Rechtssache Langhorst(13) entschieden, daß die Mitgliedstaaten als "Rechnung oder ähnliches Dokument" eine Gutschrift ansehen können, wenn sie die Angaben enthält, die die Sechste Richtlinie als Mindestvoraussetzungen für Rechnungen bestimmt.

9 Durch die zitierte Rechtsprechung werden die Fragen, die sich in der vorliegenden Rechtssache stellen, nicht unmittelbar gelöst. Insbesondere bezieht sich das Urteil Reisdorf(14), in dem die Möglichkeit bejaht wird, auch Kopien der Rechnung im Steuererstattungsverfahren anzuerkennen, auf Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, in dem als Voraussetzung für den Steuerabzug festgelegt ist, daß der Steuerpflichtige im Besitz einer "Rechnung" sein muß. Diese Lösung kann nicht unverändert auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden, da im streitigen Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie ausdrücklich "Originale der Rechnungen" und nicht bloß "Rechnungen" angesprochen sind.

10 Die zitierte Rechtsprechung berührt die vorliegende Untersuchung jedoch unmittelbar, da sie den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen sich derjenige, der die gemeinschaftlichen Vorschriften über die Vorsteuererstattung anwendet, zu bewegen hat, wenn er die Formalien festlegt, auf deren Grundlage diese Erstattung erfolgt. Insbesondere muß die Auslegung und die Anwendung dieser Vorschriften im Einklang mit zwei allgemeinen grundsätzlichen Zielen des gemeinschaftlichen Steuerrechts stehen.

11 Zunächst musste sie dazu dienen, ein grundlegendes Ziel der Sechsten Richtlinie zu erreichen, und zwar das Ziel, die Steuererhebung und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung sicherzustellen(15). Wie der Generalanwalt in der Rechtssache Langhorst(16) im übrigen unterstreicht, besteht das Ziel der gemeinschaftlichen Vorschriften, die die Vorlage der Rechnung vorschreiben, darin, "die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden".

12 Diese Verpflichtung ist jedoch nicht unbegrenzt. Wie der Generalanwalt in der zitierten Rechtssache Jeunehomme(17) ausführt, dürfen die "Anforderungen ... allerdings nicht das Maß dessen überschreiten, was bei vernünftiger Betrachtungsweise für die Zwecke der Nachprüfung und der Steuerkontrolle erforderlich ist"(18). In derselben Rechtssache führt der Gerichtshof aus, daß die Angaben, die nach nationalem Recht in den Belegen einzutragen sind, "nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren" dürfen(19).

13 Ich bin folglich der Ansicht, daß es Grenzen sowohl für die Aufstellung neuer formeller Voraussetzungen als auch für die Auslegung der in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften festgelegten Mindestvoraussetzungen gibt. Durch diese Grenzen soll verhindert werden, daß das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug vollständig ausgehöhlt wird. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, daß dieses in Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie niedergelegte Recht einen wesentlichen Bestandteil des Mehrwertsteuersystems darstellt(20).

14 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die in Rede stehende gemeinschaftliche steuerliche Regelung nach Ansicht des Gemeinschaftsrichters auf zwei tragende Grundsätze und Zielvorgaben gestützt ist. Zum einen auf die Erhebung der Steuer und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Zum anderen auf die Sicherstellung des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug der Vorsteuer (Grundsatz der Steuerneutralität). Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit darf die Waagschale sich in jedem Einzelfall nicht zu stark auf der Seite des einen Zieles senken und damit die Erreichung des anderen gefährden.

B - Zu den Vorabentscheidungsfragen

15 Auf den ersten Blick scheint aus bestimmten Gesichtspunkten, die mit der grammatischen und teilweise der teleologischen Betrachtung der streitigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zusammenhängen, zu folgen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vorlage des Originals der Rechnung als Conditio sine qua non für den Vorsteuerabzug zwingend vorschreibt.

16 Die deutsche Regierung trägt vor, Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie, wonach der Steuerpflichtige bei der zuständigen nationalen Behörde nach dem in Anhang A aufgeführten Muster einen Antrag zu stellen habe, "dem die Originale der Rechnungen oder Einfuhrdokumente beizufügen sind", sei eindeutig und absolut formuliert und lasse keinen Spielraum für eventuelle Ausnahmen. Er füge sich in ein Nachweisverfahren ein, das durch Förmlichkeit und Strenge gekennzeichnet sei und von dem daher, sogar wenn Gründe der Billigkeit dies erforderten, nicht abgewichen werden dürfe. Die ausschließliche Verwendung des Originals der Rechnung scheine der Gemeinschaftsgesetzgeber auch in Artikel 7 Absatz 3 der Achten Richtlinie vorzuschreiben, wenn er bestimme, daß die "zuständige Behörde ... jede Rechnung und jedes Einfuhrdokument mit ihrem Sichtvermerk [versieht], damit diese nicht für einen weiteren Antrag dienen können ..." Aus Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 7 folge, daß mit der Richtlinie angestrebt werde, eine doppelte Steuererstattung zu verhindern; diese Gefahr werde aber gänzlich oder jedenfalls mit grösserer Sicherheit durch die Verpflichtung zur Vorlage des Originals der Rechnungen ausgeschlossen. Die deutsche Regierung versäumt nicht, zu betonen, wie groß diese Gefahr in Fällen sei, in denen derjenige, der die Erstattung beantrage, nicht in Deutschland ansässig sei, wodurch er sich der Prüfung durch die deutschen Finanzbehörden entziehe. Sie erwähnt vor allem eine neue Form des Steuerbetrugs, die darin bestehe, daß "Phönixfirmen" mit dem Ziel gegründet würden, Steuerstraftaten zu begehen, wie z. B. eine doppelte Steuererstattung zu erwirken. Diese Firmen hätten ihren Sitz ausserhalb des Gebietes des Staates, in dem sie die Zuwiderhandlung begingen, und nutzten den Umstand, daß dieser Staat sie primär nicht prüfen und sofort geeignete Abwehr- oder Repressionsmaßnahmen ergreifen könne.

17 In Anbetracht des Vorstehenden ist zu berücksichtigen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber erstens ausdrücklich vom Original der Rechnung spricht und zweitens die Schaffung eines wirksamen Verfahrens zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen bezweckt. Genügen diese Gesichtspunkte jedoch, um daraus den Schluß zu ziehen, daß die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, das Original der Rechnung zu besitzen, absolut keinen Raum für eine Ausnahme lässt? Wie die Kommission zu Recht vorträgt, wurde die Achte Richtlinie aufgrund der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Verfahren zur Erstattung der Steuer in den besonderen Fällen erlassen, in denen der Antragsteller nicht in dem Land ansässig ist, das die Erstattung durchführt. Auch wenn ich die Charakterisierung der Achten Richtlinie als der Sechsten Richtlinie "nachgeordneter" Rechtsakt, die die Kommission vornimmt, nicht vollständig teile, bin ich jedoch der Ansicht, daß die Achte Richtlinie sich in die allgemeineren Bestrebungen einfügt, ein einheitliches Steuersystem zu schaffen, dessen primäre Komponente darin besteht, all denjenigen, für die es gilt, die gleichen Möglichkeiten der Vorsteuererstattung zu bieten. Meines Erachtens ist es daher nicht vertretbar, die Achte Richtlinie als eine Richtlinie zu präsentieren, die Ausnahmen vom allgemeinen System der Sechsten Richtlinie einführt, d. h. als Ausfluß des Wunsches des Gemeinschaftsgesetzgebers ist, die Steuerpflichtigen, die ausserhalb des Landes ansässig sind, das die Erstattung gewährt, aus Gründen der Bekämpfung der Steuerhinterziehung einer strengeren Regelung zu unterwerfen.

18 Besonders aufschlußreich für das Verständnis der Stellung der Achten Richtlinie im allgemeineren gemeinschaftlichen Steuersystem ist die Präambel dieser Richtlinie. Der Gemeinschaftsgesetzgeber zieht zunächst die Vorschrift der Sechsten Richtlinie über die Notwendigkeit des Erlasses gemeinschaftlicher Bestimmungen über die Erstattung der Steuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige heran, stellt die Erwägung an, daß es notwendig zu sei, zu vermeiden, daß diese Personen einer Doppelbesteuerung unterlägen, und führt dann aus, daß die gemeinschaftliche Regelung, die mit der Achten Richtlinie vorgenommen werde, "einen Fortschritt auf dem Wege zur tatsächlichen Liberalisierung des Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehrs [bildet]" und "nicht dazu führen [darf], daß die Steuerpflichtigen, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind, unterschiedlich behandelt werden"(21). Demzufolge kann man die Auffassung vertreten, daß die Achte Richtlinie dem durch die Sechste Richtlinie geschaffenen allgemeinen System "folgt" und den Anwendungsbereich dieses Systems im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes zugunsten einer weiteren Kategorie von Steuerpflichtigen erweitert, nämlich denjenigen, die nicht in dem Land ansässig sind, in dem die Vorsteuer erhoben worden ist.

19 Diese Auffassung hat sich der Gerichtshof bereits im Urteil Debouche vom 26. September 1996(22) zu eigen gemacht. In diesem Urteil wird festgestellt, daß "die Achte Richtlinie nicht bezweckt, das durch die Sechste Richtlinie geschaffene System in Frage zu stellen. Nach ihrer dritten Begründungserwägung zielt die Achte Richtlinie vielmehr darauf ab, die Unterschiede zwischen den damals in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen zu beseitigen, die mitunter Verkehrsverlagerungen und Wettbewerbsverzerrungen verursachten. Gemäß ihrer fünften Begründungserwägung darf die Achte Richtlinie nicht $dazu führen, daß die Steuerpflichtigen, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind, unterschiedlich behandelt werden`"(23). Der Generalanwalt führt seinerseits aus: "In Anbetracht des Zwecks, den die Achte Richtlinie verfolgt, nämlich die Regelung der Sechsten Richtlinie auch durch eine Harmonisierung der Einzelheiten der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland Ansässige zu vervollständigen, um das Problem der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen, müssen ihre Vorschriften ... im Lichte der in der Sechsten Richtlinie aufgestellten Grundsätze des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems ausgelegt werden."(24)

20 Nach diesen Erläuterungen gehe ich zur Beantwortung der einzelnen Fragen über, die durch das Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfen werden. Diese Fragen können meines Erachtens auf zwei Arten behandelt werden; beide führen jedoch zum gleichen Ergebnis.

21 Ich beginne mit der radikaleren Lösung: Wie bereits ausgeführt worden ist, stellt das Recht des Steuerpflichtigen darauf, die Erstattung der Vorsteuer zu erlangen, damit die praktische Neutralität der Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Verkehr mit Waren und Dienstleistungen sichergestellt und die wirtschaftliche Einigung der Mitgliedstaaten gefördert wird, einen Eckpfeiler des gemeinschaftlichen Steuersystems dar. Die Ausübung dieses Rechts würde - meines Erachtens in unverhältnismässiger Weise - vereitelt, wenn das Abhandenkommen oder jedenfalls der Nichtbesitz des Originals der Rechnung aufgrund höherer Gewalt oder aussergewöhnlicher Umstände, die derjenige, der die Steuererstattung beantragt, nicht zu vertreten hat, diesen Abzug unmöglich machen würde. Aus dieser Sicht gelange ich zu dem Ergebnis, daß es auch im Gemeinschaftsrecht eine von den allgemeinen Grundsätzen der Billigkeit und der ordnungsgemässen Verwaltung abgeleitete besondere Regel gibt, wonach in aussergewöhnlichen Fällen bei einem vom Antragsteller nicht zu vertretenden Abhandenkommen des Originals der Belege, die dem Antrag auf Erstattung der Vorsteuer beizufügen sind, Abhilfe geschaffen werden kann. Ausserdem bin ich der Ansicht, daß sich diese Auffassung, sei es auch nur im Ansatz, bereits in den zitierten Urteilen des Gerichtshofes Jeunehomme und Reisdorf sowie auch in den Schlussanträgen der Generalanwälte in diesen Rechtssachen findet. Diese Regel ist lediglich bis jetzt mittelbar unter Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit formuliert worden, der gebietet, daß die formellen Voraussetzungen für die Steuererstattung nicht das Maß dessen überschreiten, "was bei vernünftiger Betrachtungsweise für die Zwecke der Nachprüfung und der Steuerkontrolle erforderlich ist"(25).

22 Auch unabhängig von der Formulierung einer besonderen gemeinschaftsrechtlichen Norm bin ich aber der Ansicht, daß dasselbe Auslegungsergebnis aus Gründen der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen geboten ist. Wie bereits ausgeführt, soll durch die Achte Richtlinie das einheitliche System der Vorsteuererstattung ergänzt werden. Da der Gerichtshof für die Steuerpflichtigen, die in dem Land ansässig sind, das die Besteuerung durchführt, im Urteil Reisdorf(26) für den Fall, daß die Steuerpflichtigen das Original der Rechnung nicht besitzen, die Befugnis der Mitgliedstaaten anerkannt hat, andere Beweise für die sachliche Richtigkeit des Antrags auf Vorsteuerabzug zuzulassen, muß dieselbe Auslegung meines Erachtens auch für die Auslegung der streitigen Achten Richtlinie gelten. Ich bin also der Ansicht, daß die Unterschiede in der Formulierung zwischen der Achten und der Sechsten Richtlinie (die Achte Richtlinie spricht von "Original der Rechnung", während in der Sechsten Richtlinie lediglich die Rede von einer "Rechnung" ist) in Wirklichkeit nicht die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers implizieren, die Stellung der Steuerpflichtigen je nach dem Land, in dem sie ansässig sind, unterschiedlich zu regeln.

23 Wie das vorlegende Gericht und die Kommission zu Recht anmerken, würde die umgekehrte Auslegung der Achten Richtlinie gegen den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts über die Vermeidung von Diskriminierungen, der in Artikel 6 EG-Vertrag formuliert ist, gegen den spezielleren in Artikel 95 Absatz 1 EG-Vertrag niedergelegten Grundsatz, daß Waren steuerlich nicht benachteiligt werden dürfen, und gegen die Ziele der Achten Richtlinie selbst verstossen, so wie diese in der Präambel der Richtlinie formuliert sind(27). Dagegen kann ich dem Vorbringen der deutschen Regierung nicht zustimmen, daß eine in den Anwendungsbereich des Artikels 95 Absatz 1 EG-Vertrag fallende Benachteiligung nicht vorliege oder daß eine Diskriminierung zu Lasten der ausländischen Unternehmer in bezug auf die in der Sechsten Richtlinie vorgeschriebene allgemeine Regelung zwar vorliege, daß diese Diskriminierung jedoch vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollt und dadurch gerechtfertigt sei, daß die Gefahr eines Steuerbetrugs grösser sei, wenn die Erstattung der Vorsteuer von einem ausländischen und nicht von einem inländischen Unternehmen verlangt werde. Die Gefahr eines Steuerbetrugs besteht jedoch immer, und aus diesem Grund bietet die Achte Richtlinie im übrigen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zu Unrecht erhaltene Beträge wieder beizutreiben oder weitere Erstattungen an jemanden, der eine Steuererstattung betrügerisch oder in anderer Weise unrechtmässig erhalten hat, abzulehnen(28). Auf jeden Fall dürfen die nationalen Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerbetrug - wie bereits ausgeführt - nicht über das mit den gemeinschaftlichen steuerlichen Regelungen Bezweckte hinausgehen. Meines Erachtens macht die Klägerin des Ausgangsverfahrens daher zu Recht geltend, daß eine Auslegung der streitigen Vorschriften der Achten Richtlinie, die dazu führt, daß einem ausländischen Unternehmer, der das Original der Rechnung - ohne daß er dies zu vertreten hat - nicht besitzt, das Recht auf Vorsteuererstattung radikal entzogen wird, nicht im Einklang mit den Zielen dieser Richtlinie steht und keinen Rechtfertigungsgrund für eine Benachteiligung der ausländischen Unternehmer gegenüber ihren inländischen Wettbewerbern darstellt. Mit anderen Worten: Deutschland kann natürlich sein unveräusserliches Recht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung von Steuerstraftaten zu verhindern, nicht entzogen werden; diese Maßnahmen dürfen jedoch nicht zu einer vollständigen Aufhebung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr zu Lasten der Steuerpflichtigen führen, die nicht in Deutschland ansässig sind, insbesondere da die Aufhebung dieses Rechts darüber hinaus eine Benachteiligung dieser Gruppe von Steuerpflichtigen darstellt.

24 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß sich die Ergebnisse des Urteils Reisdorf, die auf die Auslegung der streitigen Vorschriften der Achten Richtlinie zu übertragen sind, wie folgt zusammenfassen lassen: Grundsätzlich wird zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen als Voraussetzung für die Erstattung der Vorsteuer der Besitz des Originals der Rechnung verlangt; in besonderen Fällen, wenn die Vorlage des Originals unmöglich ist, ohne daß dies der dazu Verpflichtete zu vertreten hat, sind die Mitgliedstaaten jedoch befugt, sich mit einem Nachweis der Begründetheit der Erstattungsforderung durch andere Unterlagen zu begnügen.

25 Insbesondere besteht jedoch im vorliegenden Fall - da das deutsche Recht den in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumt, ein Original der Rechnung, das abhanden gekommen ist, ohne daß sie es zu vertreten haben, durch andere Beweismittel zu ersetzen - darüber hinaus eine Verpflichtung, die gleiche Befugnis auch denjenigen zuzuerkennen, die nicht in Deutschland ansässig sind, und zwar als Ausfluß des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

26 Wie das vorlegende Gericht ausführt(29), können inländische Unternehmer zum einen alle verfahrensrechtlich zulässigen Beweismittel einsetzen, um nachzuweisen, daß sie ursprünglich das Original der Rechnung in ihrem Besitz hatten, und sich zum anderen auf den Grundsatz der Billigkeit berufen, so wie er im geschriebenen und im ungeschriebenen Recht niedergelegt ist, um schließlich die Erstattung der Vorsteuer allein durch Vorlage einer Kopie der Rechnung zu erlangen. In der gleichen Weise sind demzufolge auch die Antragsteller zu behandeln, die nicht in Deutschland ansässig sind. Diese sind berechtigt, genau die gleichen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts einzusetzen, um die Erstattung der Steuer ausnahmsweise ohne Vorlage des Originals der Rechnung zu erreichen. Diese Lösung gebieten der Gleichbehandlungsgrundsatz und die - meines Erachtens richtigere - Auslegung der Regelungen in Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie in Verbindung mit dem Weg, den der Gerichtshof bei der Auslegung der entsprechenden Vorschriften der Sechsten Richtlinie in der Rechtssache Reisdorf eingeschlagen hat. Dagegen ist die Anwendung einer nationalen Vorschrift, wie sie § 61 UStDV darstellt, um den ausländischen Unternehmen die Berufung auf den Billigkeitsgrundsatz abzuschneiden, so wie dies gegenwärtig in Deutschland der Fall ist, unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht.

27 Ich rekapituliere und fasse die zwei Wege der Auslegung zusammen, die dem Gerichtshof meines Erachtens bei der Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen offenstehen.

28 Zunächst kann man davon ausgehen, daß es eine besondere Auslegungsregel gibt, die sowohl aus einer teleologischen Betrachtung der Vorschriften der Achten Richtlinie als auch aus den allgemeinen Grundsätzen der Billigkeit und der ordnungsgemässen Verwaltung herzuleiten ist und die folgenden Inhalt hat: Das Erfordernis der Achten Richtlinie, daß dem Antrag auf Steuererstattung das Original der Rechnung beizufügen ist, entfällt, wenn der Steuerpflichtige in aussergewöhnlichen Fällen nachweist, daß dieses Original, ohne daß er dies zu vertreten hat, abhanden gekommen ist, und anstelle des Originals eine genaue Kopie oder Zweitschrift vorlegt. Diese Lösung, die ich für die bessere halte, weist den Vorzug auf, daß sie sich ausschließlich auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts bewegt. Sie lässt zwar eine für den Steuerpflichtigen günstige Anwendung der durch die Achte Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen zu, sie hat jedoch einen besonders engen und aussergewöhnlichen Anwendungsbereich; sie hebt daher die generelle Verpflichtung zum Besitz des Originals der Rechnung nicht auf und stellt auch keine Gefahr für das Bemühen des Gemeinschaftsgesetzgebers dar, Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu verhindern; vielmehr leistet sie einen Beitrag zur Verteidigung des Grundsatzes der Neutralität der Steuer, der einen Eckpfeiler des gemeinschaftlichen Steuersystems darstellt. Die Formulierung dieser Regel als Ausfluß einer allgemeineren Billigkeitsphilosophie, von der sich derjenige, der das gemeinschaftliche Steuerrecht anwendet, leiten lassen muß, wenn er ähnliche Fragen wie in der vorliegenden Rechtssache zu behandeln hat, erlaubt es dem Gerichtshof, verschiedene Zweifel zu beseitigen, die im Zusammenhang mit der rechtlichen Behandlung von Fällen des unverschuldeten Abhandenkommens der Originalbelege auftreten.

29 Es gibt natürlich für die Auslegung auch die andere Auffassung, die sich darauf stützt, daß das Urteil Reisdorf aus Gründen der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen auf den Rahmen der Achten Richtlinie übertragen wird. Nach dieser Lösung müssen die Mitgliedstaaten, die wie Deutschland von der ihnen durch die Sechste Richtlinie eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht haben, in Fällen unverschuldeten Abhandenkommens des Originals der Rechnung Erstattungsanträgen von im Inland ansässigen Steuerpflichtigen stattzugeben, die auf andere Beweismittel gestützt sind, bei der Anwendung der Achten Richtlinie genau die gleiche Möglichkeit auch den Steuerpflichtigen zuerkennen, die nicht im Inland ansässig sind.

30 Abschließend sei darauf hingewiesen, daß diese beiden Lösungen nebeneinander als selbständige Rechtsgrundlagen für die Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen verwendet werden können.

VI - Vorschlag

31 Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

Das Erfordernis des Artikels 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (79/1072/EWG), daß dem Antrag auf Steuererstattung das Original der Rechnung beizufügen ist, entfällt, wenn der Steuerpflichtige unter aussergewöhnlichen Umständen nachweist, daß ihm dieses Original abhanden gekommen ist, ohne daß er dies zu vertreten hat, und anstelle des Originals eine genaue Kopie oder eine Zweitschrift vorlegt. In jedem Fall gebietet das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot, daß nicht in Deutschland Ansässige, die die Steuererstattung beantragen und denen das Original der Rechnung abhanden gekommen ist, in gleicher Weise behandelt werden wie in diesem Land ansässige Steuerpflichtige.

(1) - Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Abl. L 381, S. 11).

(2) - Die Fußnote ist in der deutschen Übersetzung gegenstandslos (Anm. d. Ü.).

(3) - Das vorlegende Gericht nimmt folgende feine Differenzierungen vor: Wenn entschieden werden sollte, daß nach den Vorschriften der Richtlinie nicht zwingend erforderlich ist, daß dem Vergütungsantrag das Original beigefügt wird, dann ist es der Auffassung, daß zu prüfen ist, ob das Gemeinschaftsrecht den Erlaß von Billigkeitsmaßnahmen, wie jene, die die Klägerin mit ihrem Antrag geltend macht, "verlangt", "gestattet", "gebietet" oder aber "zulässt".

(4) - Das vorlegende Gericht verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach das Diskriminierungsverbot auch durch eine unterschiedliche Ausgestaltung der technischen Besteuerungsmodalitäten verletzt werden kann. Urteile des Gerichtshofes vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 55/79 (Kommission/Irland, Slg. 1980, 481, Randnr. 8), vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 42/83 (Dansk Denkavit Aps/Ministeriet for skatter og afgifter, Slg. 1984, 2649, Randnr. 31) und vom 11. Dezember 1990 in der Rechtssache C-47/88 (Kommission/Dänemark, Slg. 1990, I-4509, Randnr. 18).

(5) - Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

(6) - Artikel 17 Absatz 4 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt: "Der Rat wird möglichst vor dem 31. Dezember 1977 auf Vorschlag der Kommission einstimmig gemeinschaftliche Durchführungsbestimmungen erlassen, nach denen Erstattungen nach Absatz 3 an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige erfolgen."

(7) - Vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache C-342/87 (Genius Holding, Slg. 1989, 4227).

(8) - Urteil vom 14. Juli 1988 in den verbundenen Rechtssachen 123/87 und 330/87 (Jeunehomme, Slg. 1988, 4517).

(9) - Urteil vom 5. Dezember 1996 in der Rechtssache C-85/95, Slg. 1996, I-6257).

(10) - Hervorhebung durch mich.

(11) - Randnr. 23.

(12) - Schlussanträge von Herrn Fennelly (Nr. 25).

(13) - Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-141/96 (Slg. 1997, I-0000, Randnr. 24).

(14) - Zitiert in Fußnote 9.

(15) - Siehe in diesem Sinne die zitierten Urteile Jeunehomme (Randnrn. 16 und 17), Reisdorf (Randnr. 24) und Langhorst (Randnr. 17).

(16) - Schlussanträge von Herrn Léger vom 27. Mai 1997, Nrn. 29 ff.

(17) - Zitiert in Fußnote 8.

(18) - Schlussanträge von Sir Gordon Slynn vom 31. Mai 1988 (auf S. 4534); Hervorhebung durch mich.

(19) - Urteil Jeunehomme (zitiert in Fußnote 8, Randnr. 17), siehe auch die Schlussanträge von Herrn Fennelly in der Rechtssache Reisdorf (Nr. 26): "... die Mitgliedstaaten [können] von dem Steuerpflichtigen in der Regel verlangen ..., daß er die Originalrechnung während eines von ihnen festzulegenden Zeitraums aufbewahrt, so lange dieser Zeitraum nicht [so] lang ist, daß er gegen den in jener Rechtssache erläuterten Verhältnismässigkeitsgrundsatz verstösst".

(20) - Vgl. Urteile vom 5. Mai 1982 in der Rechtssache 15/81 (Schul, Slg. 1982, 1409) und vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83 (Rompelman, Slg. 1985, 655).

(21) - Hervorhebung durch mich.

(22) - Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-302/93 (Slg. 1996, I-4495).

(23) - Randnr. 18.

(24) - Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 1. Februar 1996 (Slg. 1996, I-4497, Nr. 8); Hervorhebung durch mich.

(25) - Schlussanträge von Sir Gordon Slynn in der Rechtssache Jeunehomme, zitiert in Fußnote 18.

(26) - Zitiert in Fußnote 9.

(27) - Siehe oben, Nr. 18.

(28) - Artikel 7 Absatz 5 der Achten Richtlinie lautet wie folgt: "Wurde eine Erstattung auf betrügerische oder andere unrechtmässige Art und Weise erhalten, so nimmt die in Absatz 3 genannte zuständige Behörde - unbeschadet der Bestimmungen über den gegenseitigen Beistand bei der Beitreibung der Mehrwertsteuer - nach dem in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Verfahren unmittelbar die Beitreibung der zu Unrecht erhaltenen Beträge sowie etwaiger Geldbussen vor.

Im Falle betrügerischer Anträge, bei denen nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften keine Geldbussen verhängt werden können, kann der betreffende Mitgliedstaat während eines Zeitraums von höchstens zwei Jahren vom Zeitpunkt der Einreichung des betrügerischen Antrags an jede weitere Erstattung an den betreffenden Steuerpflichtigen ablehnen. Ist eine Geldbusse verhängt, aber nicht entrichtet worden, so können die Mitgliedstaaten jede weitere Erstattung an den betreffenden Steuerpflichtigen aussetzen, bis die Geldbusse entrichtet ist."

(29) - Siehe oben, Nrn. 4 bis 6.