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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0003

Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 12. März 1998. - Strafverfahren gegen John Charles Goodwin und Edward Thomas Unstead. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England) - Vereinigtes Königreich. - Steuerrecht - Harmonisierung - Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem - Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Geltungsbereich - Lieferung von nachgeahmten Parfümeriewaren. - Rechtssache C-3/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-03257


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Stellt die Lieferung von nachgeahmten Parfümeriewaren einen Vorgang dar, der der Mehrwertsteuer unterliegt? Mit dieser Frage fordert der Court of Appeal, Criminal Division, London, Sie auf, Ihre Rechtsprechung näher zu erläutern, die bestimmte unerlaubte Vorgänge vom Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie(1) ausschließt.

Sachverhalt

2 Die Herren Goodwin und Unstead (im folgenden: Angeklagte) wurden beide in einem Strafverfahren für schuldig befunden, unter Verstoß gegen Section 72(1) des Valü Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz 1994) wissentlich Maßnahmen zur Mehrwertsteuerhinterziehung ergriffen zu haben. Einer der beiden wurde verurteilt, weil er nachgeahmte Parfümeriewaren gekauft und weiterverkauft hatte, ohne in das Mehrwertsteuerregister eingetragen zu sein, und damit sichergestellt hatte, daß er diese Steuer nicht zu entrichten brauchte. Der andere wurde angeklagt, an der Herstellung, dem Vertrieb und dem Verkauf nachgeahmter Parfümeriewaren im Rahmen eines Unternehmens teilgenommen zu haben, das er gemeinsam mit anderen Personen betrieb und das ebenfalls nicht in das Mehrwertsteuerregister eingetragen war und daher keine Mehrwertsteuer abführte.

3 Die beiden Angeklagten legten gegen diese Verurteilungen Berufung zum Court of Appeal ein. Ohne zu bestreiten, daß sie die ihnen zur Last gelegten Taten begangen haben, machten sie geltend, nach richtiger Auslegung der Sechsten Richtlinie unterliege die Lieferung nachgeahmter Erzeugnisse nicht der Mehrwertsteuer.

4 Der Court of Appeal ist der Ansicht, der Inner London Crown Court sei zu Recht davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall Mehrwertsteuer geschuldet werde, und hat es deshalb für angebracht befunden, daß Sie über diesen Punkt entscheiden. Er hat Ihnen daher folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Fällt die Lieferung von nachgeahmten Parfümeriewaren unter die Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Sechste Richtlinie)?

Rechtlicher Rahmen und Rechtsprechung

5 Der Geltungsbereich der Sechsten Richtlinie wird durch Artikel 2 festgelegt, der lautet:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2. die Einfuhr von Gegenständen."

6 Im Einklang mit der allgemeinen Bedeutung dieser Bestimmung sind Sie der Ansicht, daß die Natur des Geschäfts keinen Einfluß auf die Mehrwertsteuerpflicht hat, da "der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität bei der Erhebung der Mehrwertsteuer ... eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet"(2).

7 Sie haben jedoch bestimmte Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen.

8 Unter Übertragung Ihrer Rechtsprechung auf dem Gebiet der Zölle(3) auf Fälle der Erhebung von Mehrwertsteuer auf unerlaubte Einfuhren und Lieferungen haben Sie mehrfach festgestellt, daß bestimmte Erzeugnisse, die "insoweit besondere Merkmale aufweisen, als sie - mit Ausnahme eines streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke - schon nach ihrem Wesen in allen Mitgliedstaaten einem vollständigen Verkehrsverbot unterliegen"(4), oder die, deren "Einführung in den Wirtschafts- und Handelskreislauf ... völlig ausgeschlossen ist"(5), "zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über die Definition der Bemessungsgrundlage und somit zu den Bestimmungen über das Entstehen einer Umsatzsteuerschuld in keinerlei Beziehung stehen"(6).

9 Bei zwei Arten von Erzeugnissen ist bereits festgestellt worden, daß sie solche besonderen Merkmale aufweisen. Dies gilt zunächst für Betäubungsmittel wie Amphetamine oder Haschisch, deren Lieferung oder Einfuhr ausserhalb eines von den zuständigen Stellen streng überwachten Vertriebs zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke "nur Anlaß zu Strafverfolgungsmaßnahmen geben kann"(7). Ebenso können "erst recht" Einfuhren von Falschgeld nicht zur Erhebung von Mehrwertsteuer führen(8).

10 Bei diesen unerlaubten Waren ist eine Ausnahme vom Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität gerechtfertigt, da aufgrund ihrer "besonderen Merkmale ... jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist"(9).

11 Als Sie jedoch aufgefordert wurden, diese Rechtsprechung auf Computersysteme anzuwenden, die "nicht aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihrer besonderen Merkmale einem völligen Handelsverbot unterliegen", haben Sie festgestellt, daß das Verbot allein der Ausfuhr dieser Waren in ganz bestimmte Gebiete wegen ihrer möglichen Verwendung zu strategischen Zwecken "für sich genommen nicht [genügt], um die Ausfuhren dieser Waren aus dem Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie herausfallen zu lassen"(10).

12 Es sei schließlich auf die zur Zeit anhängige Rechtssache Fischer (C-283/95) hingewiesen, in der Generalanwalt Jacobs in Nummer 20 seiner Schlussanträge insbesondere die Auffassung vertritt, daß "die illegale Veranstaltung von Roulettespielen wie im vorliegenden Fall in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Sie ist daher nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie steuerbar ..."

Zur Beantwortung der Frage

13 Wie das vorlegende Gericht legen alle Verfahrensbeteiligten ihren Ausführungen die zitierte Rechtsprechung zugrunde. Die eingereichten Erklärungen weichen jedoch in bezug auf ihre Anwendung voneinander ab. Während die Angeklagten davon herleiten, daß die Sechste Richtlinie auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, vertreten die Kommission, die griechische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs die gegenteilige Ansicht.

14 Wie letztere bin ich der Ansicht, daß Ihre Rechtsprechung in bezug auf Betäubungsmittel und Falschgeld nicht auf nachgeahmte Erzeugnisse wie die streitigen Parfümeriewaren übertragbar ist.

15 Zunächst möchte ich die fundamentale Bedeutung des Grundsatzes der steuerlichen Wertneutralität, der der Sechsten Richtlinie zugrunde liegt, hervorheben, wonach alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger in einem Mitgliedstaat gegen Entgelt ausführt, ebenso wie jede Einfuhr von Gegenständen systematisch der Mehrwertsteuer unterliegen. Somit sind der unerlaubte Handel und der erlaubte Handel für die Zwecke der Mehrwertsteuer gleich zu behandeln, damit kriminelle Wirtschaftsteilnehmer nicht zum Nachteil ihrer rechtmässig tätigen Wettbewerber bevorzugt werden.

16 Nach diesem Grundsatz dürften im vorliegenden Fall die in Rede stehenden Erzeugnisse trotz des tadelnswerten Charakters der Nachahmung zu denjenigen gehören, bei denen Mehrwertsteuer anfällt, wenn Geschäfte mit ihnen betrieben werden. Den Tatsachenangaben, über die wir verfügen, ist nicht zu entnehmen, ob die nachgeahmten Parfümeriewaren, mit denen die Angeklagten Handel treiben, innerhalb der Gemeinschaft hergestellt oder aus einem Drittstaat eingeführt worden sind. In beiden Fällen gehören jedoch die fraglichen Umsätze unabhängig davon, ob eine "Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt", vorliegt, oder ob es sich um eine "Einfuhr von Gegenständen" handelt, zu denjenigen, die von Artikel 2 Absätze 1 oder 2 der Sechsten Richtlinie erfasst werden.

17 Wie die griechische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs anhand Ihrer Rechtsprechung ausführen, sind alle Ausnahmen von dem genannten Grundsatz eng auszulegen und beschränken sich auf die marginalen Fälle, bei denen wegen der Art der betroffenen Waren kein möglicher Wettbewerb zwischen einem erlaubten Sektor und einem unerlaubten Sektor besteht. Nach der in Ihren Urteilen angewandten Formel müsse es sich um "Waren, die aufgrund ihrer besonderen Merkmale weder in den Verkehr gebracht noch in den Wirtschaftskreislauf einbezogen werden können", handeln.

18 Das Vorbringen der Angeklagten, mit dem sie erreichen wollen, daß diese Ausnahme auf die streitigen Umsätze angewandt wird, da sie das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erheblich beeinträchtigten und daher zur Sechsten Richtlinie "in keinerlei Beziehung" stehen könnten, hinterlässt zunächst ein schwer auszuräumendes ungutes Gefühl. Denn in flagrantem Widerspruch zu dem Grundsatz "nemo auditur turpitudinem propriam allegans" versuchen die Angeklagten, aus dem ungesunden, wenn nicht - wirtschaftlich betrachtet - gefährlichen Charakter ihrer Tätigkeit herzuleiten, daß sie nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.

19 Vor allem hält ihr Vorbringen aber nicht der Anwendung der bereits in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf den vorliegenden Fall stand.

20 Zunächst gehören nachgeahmte Erzeugnisse im Gegensatz zu Drogen oder Falschgeld nicht zu denjenigen, deren Vermarktung wegen ihres Wesens oder ihrer besonderen Merkmale untersagt ist.

21 Geschäfte, die mit Betäubungsmitteln oder Falschgeld getätigt werden können, sind per se rechtswidrig, da solche Erzeugnisse in allen Mitgliedstaaten wegen ihrer besonderen Merkmale, nämlich ihrer zerstörerischen Auswirkungen bei Betäubungsmitteln auf den menschlichen Organismus und bei Falschgeld auf die Wirtschaft eines Landes, systematisch verboten sind. Ihr Verbot schützt ein Interesse, das man als Teil des Gemeinwohls anzusehen hat. Sie haben im übrigen den allgemein tadelnswerten Charakter dieser beiden Arten von Erzeugnissen durch die Erwähnung der internationalen Übereinkünfte über sie(11) hervorgehoben.

22 Nachgeahmte Waren wie die streitigen Parfümeriewaren sind in der Gemeinschaft nicht an sich wegen ihrer Natur verboten. Es gibt offensichtlich einen erlaubten Handel mit Parfümeriewaren oder allen anderen Waren, die nachahmungsfähig sind. Wenn die Vermarktung nachgeahmter Waren verboten werden kann, so nicht zum unmittelbaren Schutz eines allgemeinen Interesses, sondern gegebenenfalls zu dem Zweck, zu verhindern, daß der Verbraucher durch den Erwerb eines anderen als desjenigen Gegenstands getäuscht wird, für den die mit der nachgeahmten Marke verbundenen Garantien bestehen, oder vor allem zu dem Zweck, die besonderen Interessen eines Rechtsinhabers zu schützen. Zwar verstossen Geschäfte mit solchen Waren gegen Bestimmungen wie die gewerblichen Schutzrechte, doch steht das daraus folgende Verbot nicht im Zusammenhang mit der Natur oder den wesentlichen Merkmalen dieser Erzeugnisse.

23 Die Nachahmung ist zwar ein den erlaubten wirtschaftlichen Betätigungen stark schadendes(12) Übel, gegen das die Gemeinschaft sich in dem besonderen Bereich von Waren aus Drittländern oder für Drittländer bestimmten Waren durch zwei nacheinander erlassene Verordnungen zu schützen versucht hat(13), bei dem die Feststellung der Unerlaubtheit jedoch auf Gemeinschaftsebene von einem Tätigwerden des geschädigten Rechtsinhabers abhängt.

24 Denn das vorgesehene Gemeinschaftsverfahren wird grundsätzlich durch die Einreichung eines Antrags des geschädigten Rechtsinhabers in Gang gesetzt.(14) Die Verordnung Nr. 3295/94 sieht auch eine Art Selbstbefassung der Zollbehörden vor, die den Inhaber eines Rechts vom Verdacht des Vorliegens eines Verstosses unterrichten und die Ware zurückhalten können, um es dem Rechtsinhaber zu ermöglichen, einen Antrag auf Aussetzung der Überlassung der Ware zu stellen(15). Allerdings hängt die weitere Aussetzung der Überlassung selbst in diesen Fällen davon ab, daß der Rechtsinhaber die zuständige Behörde mit der Hauptsache befasst.

25 Auch wenn es sich nicht um eingeführte Erzeugnisse, sondern um in der Gemeinschaft hergestellte Waren handelt - dies festzustellen erlaubt der Vorlagebeschluß im vorliegenden Fall nicht -, hat der Verkauf dieser Waren so lange als erlaubt zu gelten, als der Inhaber einer Marke oder eines ähnlichen Rechts nicht nachgewiesen hat, daß seine ausschließlichen Rechte verletzt sind.(16)

26 Somit ist eine nachgemachte Ware wie die streitigen Parfümeriewaren auf Gemeinschaftsebene nicht wegen der ihr innewohnenden Merkmale unerlaubt. Sie kann nur dann verboten sein, wenn ein gültiges gewerbliches Schutzrecht nachgewiesen wird, gegen das sie verstösst. Wie die Kommission ausführt(17), kann ihre Vermarktung höchstens einem bedingten, nicht jedoch wie in den Betäubungsmittel- oder den Falschgeldsachen einem vollständigen Verbot unterliegen. Im Gegensatz zu den letztgenannten Angelegenheiten liegt hier die gleiche Art Sachverhalt wie in Ihrem Urteil Lange vor, bei dem die Waren nicht wegen ihrer Natur verboten waren und nur deshalb einem Ausfuhrverbot unterlagen, weil sie in bestimmte Länder zu strategischen Zwecken ausgeführt werden sollten. Dies sind auch die Erwägungen, die Ihnen Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Fischer in bezug auf die unerlaubte Veranstaltung von Roulettespielen vorgeschlagen hat.

27 Da nachgemachte Erzeugnisse nicht wegen ihrer besonderen Merkmale zu den Waren gehören, die "weder in den Verkehr gebracht noch in den Wirtschaftskreislauf einbezogen werden können", ist keineswegs jeder mögliche Wettbewerb mit Erzeugnissen ausgeschlossen, die in einem erlaubten Kreislauf Gegenstand von Geschäften sind.

28 Denn, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission zu Recht ausführen, gibt es im Unterschied zu Falschgeld und Betäubungsmitteln, mit denen es keinen oder nur unter so strenger Überwachung einen erlaubten Handel gibt, daß dieser niemals im Wettbewerb zu einem erlaubten Handel stehen kann, offensichtlich einen erlaubten Markt mit Parfümeriewaren, der Bestandteil der Wirtschaft der Gemeinschaft ist. Obwohl nun der Markt mit Nachahmungen, wie wir gesehen haben, insbesondere deshalb, weil er für die erlaubten wirtschaftlichen Betätigungen, die ihn ersetzen könnten, schädlich ist, aber auch um des Schutzes der Verbraucher willen(18) verboten ist, kann man seine Existenz, so sehr man sie beklagen mag, nicht leugnen. Würde man diesen Umstand namentlich unter dem hier interessierenden steuerlichen Gesichtspunkt nicht berücksichtigen wollen und erwägen, daß diese Waren, da sie verboten sind, sich nicht im Verkehr befinden und somit nicht mit Mehrwertsteuer belegt werden können, so würde man den illegal tätigen Wirtschaftsteilnehmern einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil gegenüber den legalen Wirtschaftsteilnehmern verschaffen, die allein zur Entrichtung der Mehrwertsteuer verpflichtet wären.

29 Die vorliegende Rechtssache ermöglicht es im übrigen sehr gut, die Gefahren einer Ausweitung Ihrer Rechtsprechung zum Bereich der Ausnahmen vom Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität zu erkennen. Es ist sehr gut möglich, daß die Angeklagten trotz der Gefahr der Strafverfolgung, der sie sich aussetzten, davon ausgingen, daß die Nichterhebung von Mehrwertsteuer aus dem Handel mit nachgemachten Parfümeriewaren dennoch ein einträgliches Geschäft macht. Man darf diese Art von Geschäften nicht gemäß ihren Überlegungen dadurch fördern, daß man ihnen eine ungerechtfertigte Steuerbefreiung garantiert.

30 Wollte man die Erhebung der Mehrwertsteuer davon abhängen lassen, ob ein Erzeugnis nachgemacht ist oder nicht, so würde man dadurch überdies, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission ausführen(19), die gesamte Kohärenz des Binnenmarktes erschüttern. Denn in Ermangelung einer Harmonisierung auf diesem Gebiet unterscheidet sich der Katalog der nachgeahmten Erzeugnisse von einem Mitgliedstaat zum anderen. Nur wenn in bezug auf die Mehrwertsteuererhebung nicht nach diesem Merkmal unterschieden wird, kann allen Geschäften innerhalb der Gemeinschaft eine gleiche steuerliche Behandlung zuteil werden.

31 Eine letzte Bemerkung: In den erwähnten Rechtssachen war der Gerichtshof um die Klarstellung bestrebt, daß die Frage der Mehrwertsteuerpflichtigkeit eines Umsatzes unabhängig von der Anwendung anderer Bestimmungen des nationalen Rechts, insbesondere strafrechtlicher Art, war. Im vorliegenden Fall ist es offensichtlich, daß diese Erwägung weiterhin gilt und daß Ihr Urteil in keiner Weise in "die Befugnis der Mitgliedstaaten [eingreift], Verstösse gegen ihre Rechtsvorschriften ... durch geeignete Sanktionen, und zwar auch solche mit finanziellen Auswirkungen, zu ahnden"(20).

32 Ich bin daher der Ansicht, daß die Umsätze mit nachgeahmten Erzeugnissen wie den streitigen Parfümeriewaren vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer umfasst werden. Sie unterliegen daher gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie der Besteuerung.

Vorschlag

33 Nach alledem schlage ich folgende Antwort auf die Frage des Court of Appeal, Criminal Division, London vor:

Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage unterliegt die Lieferung nachgeahmter Erzeugnisse, wie z. B. von Parfümeriewaren, der Mehrwertsteuer.

(1) - Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

(2) - Urteile vom 5. Juli 1988 in der Rechtssache 269/68 (Mol, Slg. 1988, 3627, Randnr. 18) und in der Rechtssache 289/86 (Happy Family, Slg. 1988, 3655, Randnr. 20) sowie vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-111/92 (Lange, Slg. 1993, I-4677, Randnr. 16).

(3) - In den Urteilen vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 50/80 (Horvath, Slg. 1981, 385) und vom 26. Oktober 1982 in der Rechtssache 221/81 (Wolf, Slg. 1982, 3681) sowie im Urteil in der Rechtssache 240/81 (Einberger I, Slg. 1982, 3699) haben Sie festgestellt, daß bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln wie Morphin, Heroin und Kokain, die nicht Gegenstand des von den zuständigen Stellen streng überwachten Vertriebes zur Verwendung für medizinische und wirtschaftliche Zwecke sind, keine Zollschuld entsteht.

(4) - Urteile Mol (Randnr. 18) und Happy Family (Randnr. 20).

(5) - Urteil Lange, Randnr. 12.

(6) - Urteile Happy Family (Randnr. 17) und Mol (Randnr. 15) sowie vom 6. Dezember 1990 in der Rechtssache C-343/89 (Witzemann, Slg. 1990, I-4477, Randnr. 19). Vgl. auch Urteil vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 294/82 (Einberger II, Slg. 1984, 1177, Randnr. 20) und Urteil Lange (Randnr. 12).

(7) - Urteile Mol (Randnr. 15) und Happy Family (Randnr. 18).

(8) - Urteil Witzemann, Randnr. 20.

(9) - Urteil Lange, Randnr. 16. Vgl. auch die Urteile Mol (Randnr. 18) und Happy Family (Randnr. 20).

(10) - Urteil Lange, Randnr. 17.

(11) - Es handelt sich um folgende Übereinkünfte: Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe (Urteil Happy Family, Randnr. 25), Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (Urteil Mol, Randnr. 24) und Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei (Urteil Witzemann, Randnr. 14).

(12) - Für einen - bezifferten - Überblick siehe A.-S. Gourdin-Lamblin, "La lutte contre la contrefaçon en droit communautaire", Revü du marché commun et de l'Union européenne, Nr. 394, Januar 1996.

(13) - Verordnung (EWG) Nr. 3842/86 des Rates vom 1. Dezember 1986 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr (ABl. L 357, S. 1), aufgehoben und geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr (ABl. L 341, S. 8).

(14) - Artikel 3 der Verordnung Nr. 3295/94.

(15) - Artikel 4 der Verordnung Nr. 3295/94.

(16) - Auf diesen Fall wären die Regeln des Markenrechts anwendbar, insbesondere Artikel 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), wonach es dem Inhaber einer Marke gestattet ist, Dritten zu verbieten, seine Marke oder ein Zeichen zu benutzen, bei dem wegen seiner Ähnlichkeit mit der Marke die Gefahr von Verwechslungen besteht.

(17) - Nr. 29 ihrer Erklärungen.

(18) - Vgl. in diesem Sinn zweite Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3295/94.

(19) - Vgl. auch Nr. 26 der Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der oben erwähnten Rechtssache Fischer.

(20) - Zuletzt Urteil Lange (Randnr. 24).