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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0085

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 19. Mai 1998. - Société financière d'investissements SPRL (SFI) gegen Belgischer Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Liège - Belgien. - Mehrwertsteuer - Verjährungsfrist - Beginn - Berechnungsweise. - Rechtssache C-85/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-07447


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das Tribunal de première instance Lüttich hat einen Rechtsstreit zwischen der Société financière d'investissements SPRL (SFI; im folgenden: Klägerin) und dem belgischen Staat zu entscheiden. Hierbei geht es um eine Mehrwertsteuerschuld der Klägerin, zu deren Beitreibung die belgische Steuerverwaltung einen Beitreibungsbescheid erließ. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein, den sie auf verschiedene Gründe stützte. Sie machte u. a. geltend, daß der Zahlungsanspruch der Steuerverwaltung verjährt sei und daß die Berechnungsweise, die von der Verwaltung zur Bestimmung des Wertes der Sachbezuege in Form der Überlassung eines Fahrzeugs der Gesellschaft an einen Gesellschafter oder einen Arbeitnehmer für deren Privatfahrten herangezogen worden sei, rechtswidrig sei. Da sich die Klägerin mit ihrem Vorbringen auf Gemeinschaftsrecht berief, hat das nationale Gericht dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Auffassung der Mehrwertsteuerverwaltung, bei mehrwertsteuerpflichtigen Umsätzen, die vor der Registrierung des Betreffenden als mehrwertsteuerpflichtig getätigt wurden, beginne die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Steuer mit Ablauf des zwanzigsten Tages des Monats, der auf das Kalendervierteljahr folge, in dem diese Registrierung vorgenommen worden ist, mit den Artikeln 4 und 10 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar?

2. Verstösst ein System, nach dem die Mehrwertsteuer für einem Arbeitnehmer einer Gesellschaft gewährte Sachbezuege dann, wenn vom Arbeitgeber belgische Mehrwertsteuer gezahlt wurde, unter Einbeziehung der gezahlten Mehrwertsteuer, wenn jedoch die Mehrwertsteuer eines anderen Mitgliedstaats gezahlt wurde, unter Ausschluß der gezahlten Mehrwertsteuer errechnet wird, gegen Artikel 95 EG-Vertrag und den in der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Grundsatz der "Steuerneutralität"?

2 Die Vorlageentscheidung enthält nur sehr wenige Angaben zum Sachverhalt und zum rechtlichen Rahmen, in den der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht eingebettet ist. Dieses Fehlen genauer Angaben zum Kontext, in dem die Vorlagefragen gestellt worden sind, das unter anderen Umständen die Erteilung einer zweckdienlichen Antwort durch den Gerichtshof möglicherweise nicht zulassen würde, scheint mir allerdings im vorliegenden Fall kein echtes Problem darzustellen. In seiner ersten Frage legt uns nämlich das nationale Gericht den Standpunkt der belgischen Steuerverwaltung zur Feststellung des Beginns der Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Mehrwertsteuer dar und fragt uns, ob dieser Standpunkt, bei dem davon auszugehen ist, daß er sich aus einer zutreffenden Auslegung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ergibt, mit dem Gemeinschaftsrecht, genauer: den Artikeln 4 und 10 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(1) (im folgenden: Sechste Richtlinie), vereinbar ist. Diese Frage kann beantwortet werden, ohne daß die Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und den Steuerdienststellen bekannt sind.

3 Die zweite Frage stellt sich weniger klar dar, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf eine Terminologie - "calcul en dehors" (Berechnung unter Einbeziehung der gezahlten Mehrwertsteuer) und "calcul en dedans" (Berechnung unter Ausschluß der gezahlten Mehrwertsteuer) - zurückgreift, die den gemeinschaftsrechtlichen Mehrwertsteuerrichtlinien fremd ist. Ausserdem werden wir mit dieser Frage ersucht, unsere Kontrolle im Hinblick sowohl auf eine Bestimmung des Vertrages als auch auf einen Grundsatz des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems auszuüben. In Wirklichkeit ist diese Frage aber nicht so komplex, wie es den Anschein hat. Den Akten und den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Stellungnahmen ist nämlich zu entnehmen, daß es tatsächlich um die Frage geht, welche Besteuerungsgrundlage der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Sachbezuege zugrunde zu legen ist, die in der Überlassung eines dem Unternehmen gehörenden Gegenstands an einen Arbeitnehmer bestehen, für den in einem anderen Mitgliedstaat Mehrwertsteuer gezahlt wurde. Auch diese Frage kann in zweckdienlicher Weise beantwortet werden, ohne daß auf die genaue Situation der Klägerin Bezug genommen zu werden braucht.

Zur ersten Frage

4 Bei der ersten Frage ist zunächst festzustellen, daß wir deshalb um Beurteilung der Vereinbarkeit des Standpunktes der Steuerverwaltung mit dem Gemeinschaftsrecht ersucht worden sind, weil die Klägerin diesen Standpunkt unter Geltendmachung eines Vorbringens bekämpft, bei dem das Gemeinschaftsrecht eine Rolle spielt. Nach Ansicht der Klägerin beginnt die Verjährung zugunsten des Schuldners mit Entstehung seiner Schuld und damit in dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger seinen Anspruch geltend machen kann.

5 Artikel 10 der Sechsten Richtlinie - und hier kommt nach Ansicht der Klägerin das Gemeinschaftsrecht ins Spiel - bestimme aber in Absatz 1:

"Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a) Steuertatbestand: der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b) Steueranspruch: der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann."

6 Nach dieser Argumentation soll sich der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, da er sich nicht von dem der Entstehung des Steueranspruchs unterscheiden könne, der seinerseits in der Sechsten Richtlinie auf denjenigen der Verwirklichung des Steuertatbestands im Sinne der Richtlinie festgelegt worden sei. Da der belgische Gesetzgeber einen anderen Zeitpunkt gewählt habe, habe er gegen die Sechste Richtlinie verstossen, und die Klägerin könne wie jeder andere Steuerpflichtige diesen Verstoß rügen.

7 Diese - anscheinend schlüssige - Argumentation ist jedoch zurückzuweisen, da sie auf unrichtigen Prämissen beruht. Die erste Unrichtigkeit liegt in einem falschen Verständnis des Begriffes Steueranspruch. Eine Steuer muß nämlich nicht deshalb sofort gezahlt werden, weil ein Steueranspruch besteht. Ein Steueranspruch besteht vielmehr deshalb, weil der besteuerte Umsatz getätigt wurde oder, um die Formulierung der Sechsten Richtlinie aufzugreifen, weil der Steuertatbestand verwirklicht wurde. Daß die Steuer verlangt werden kann, bedeutet aber keineswegs, daß der Steuerpflichtige sie auch sofort zu entrichten hätte. Hat man sich etwa einen Kaufmann vorzustellen, der täglich den Mehrwertsteuerbetrag an den Fiskus abführt, den er aufgrund seiner im Laufe des Tages getätigten Verkäufe zu zahlen hat? Niemanden wird es wundern, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber diese auf dem gesunden Menschenverstand beruhende Unterscheidung zwischen Steueranspruch und Steuerzahlung getroffen hat. In der Sechsten Richtlinie erscheint sie nicht nur in Artikel 10, auf dessen Wortlaut ich söben hingewiesen habe, sondern auch in Artikel 22, der in den Absätzen 4 und 5 bestimmt:

"(4) Jeder Steuerpflichtige hat innerhalb eines Zeitraums, der von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen ist, eine Steuererklärung abzugeben. Dieser Zeitraum darf zwei Monate vom Ende jedes einzelnen Steuerzeitraums an gerechnet nicht überschreiten. Der Steuerzeitraum kann von den Mitgliedstaaten auf einen, zwei oder drei Monate festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch andere Zeiträume festlegen, sofern diese ein Jahr nicht überschreiten.

Die Steuererklärung muß alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzuege erforderlichen Angaben enthalten, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der sich auf diese Steuer und Abzuege beziehenden Umsätze sowie des Betrages der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Festlegung der Bemessungsgrundlage erforderlich ist.

(5) Jeder Steuerpflichtige hat bei der Abgabe der periodischen Steuererklärung den sich nach Vornahme des Vorsteuerabzugs ergebenden Mehrwertsteuerbetrag zu entrichten. Die Mitgliedstaaten können jedoch einen anderen Termin für die Zahlung dieses Betrags festsetzen oder vorläufige Vorauszahlungen erheben."

8 Hieraus geht somit ganz klar hervor, daß der Begriff Steueranspruch ein technischer Begriff ist, der nicht mit der Verpflichtung zur tatsächlichen Zahlung der Mehrwertsteuer verwechselt werden darf. Er spielt insbesondere beim Mechanismus des Vorsteuerabzugs eine Rolle, der für das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem kennzeichnend ist, wie sich aus Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ergibt, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug dann entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Ausserdem macht schon die Ausgestaltung des in den Artikeln 17 bis 20 der Sechsten Richtlinie geregelten Abzugsmechanismus deutlich, daß der Mehrwertsteuerbetrag, der von einem Wirtschaftsteilnehmer zu zahlen ist, grundsätzlich nicht der gleiche ist wie der, der sich aus den von ihm getätigten, zu einem Steueranspruch führenden steuerpflichtigen Umsätzen ergibt, da zur Bestimmung des tatsächlich an den Fiskus zu zahlenden Betrages das Steuerguthaben abzuziehen ist, das dem Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Steuer zusteht, die er beim Erwerb der zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Waren und Dienstleistungen von seinen Lieferanten gezahlt hat. Diese fehlende Übereinstimmung zwischen dem Steueranspruch und der zu zahlenden Steuer verbietet es sowohl auf der Ebene der Steuertheorie als auch auf derjenigen des Steuerverfahrens, Steueranspruch und Verjährungsbeginn einander gleichzusetzen.

9 Eine zweite irrige Prämisse in der Argumentation der Klägerin ist in bezug auf den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie festzustellen. Nach Ansicht der Klägerin werden die Einzelheiten der Zahlung der Mehrwertsteuer von der mit dieser Richtlinie bewirkten Harmonisierung umfasst. Dies ist aber offenkundig nicht der Fall.

10 Eine blosse Übersicht über die einzelnen Abschnitte der Sechsten Richtlinie macht, wie die belgische Regierung zu Recht bemerkt, bereits deutlich, daß die Sechste Richtlinie zwar alle materiell-rechtlichen Aspekte des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems erfasst, jedoch bei weitem nicht alle Verfahrensmodalitäten für die Durchführung dieses Systems regelt, da die einzigen Bestimmungen, die sie diesen Modalitäten widmet, die des Abschnitts XIII "Pflichten der Steuerschuldner" sind, in dem der genannte Artikel 22 steht. Übrigens ist festzustellen, daß dieser Artikel 22 selbst den Mitgliedstaaten einen nicht zu vernachlässigenden Ermessensspielraum sowohl hinsichtlich der Bestimmung des Steuerzeitraums, nach dessen Ablauf der Steuerpflichtige eine Steuererklärung einzureichen hat, als auch hinsichtlich der Bestimmung der Frist, innerhalb deren die Steuererklärung abzugeben ist, und schließlich bei der Festsetzung der Frist für die tatsächliche Zahlung der Steuer durch den Steuerpflichtigen einräumt(2).

11 Daß die Modalitäten der Zahlung der Mehrwertsteuer der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung grossenteils entzogen sind, findet eine Bestätigung in der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen(3), die auch die Mehrwertsteuer betrifft, in der Fassung der Richtlinie 79/1071/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979(4). Wie die belgische Regierung zu bedenken gibt, enthält die Richtlinie 76/308 nicht nur keinen Hinweis auf gemeinsame Vorschriften zur Beitreibung der Mehrwertsteuer, sondern sieht in Artikel 6 Absatz 1 ausdrücklich vor: "Auf Antrag der ersuchenden Behörde nimmt die ersuchte Behörde nach Maßgabe der für die Beitreibung derartiger, in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, entstandener Forderungen geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften die Beitreibung von Forderungen vor, für die ein Vollstreckungstitel besteht." Dies setzt aber voraus, daß keine gemeinsame Regelung zur Beitreibung der Mehrwertsteuer besteht.

12 Im Rahmen der ersten Frage bleibt noch zu prüfen, ob der belgische Gesetzgeber von dem ihm in der Sechsten Richtlinie belassenen Recht, Vorschriften zur Beitreibung der Mehrwertsteuer zu erlassen, in einer mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehenden Art und Weise Gebrauch gemacht hat, indem er eine Regelung eingeführt hat, wonach bei mehrwertsteuerpflichtigen Umsätzen, die vor der Registrierung des Betreffenden als mehrwertsteuerpflichtig getätigt wurden, die Verjährung mit Ablauf des zwanzigsten Tages des Monats beginnt, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem diese Registrierung vorgenommen worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung können nämlich die Mitgliedstaaten, auch wenn sie im Rahmen der ihnen vom Gemeinschaftsrecht zuerkannten Selbständigkeit hinsichtlich des Verfahrens tätig werden, die Klageverfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht so ausgestalten, daß sie weniger günstigere Modalitäten vorsehen als bei entsprechenden das innerstaatliche Recht betreffenden Klagen oder daß sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen(5).

13 Ich möchte sogleich darauf hinweisen, daß nach den belgischen Rechtsvorschriften die Verjährung für bereits registrierte Unternehmen am zwanzigsten Tag des Monats beginnt, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem der steuerpflichtige Umsatz getätigt wurde, d. h. genau an dem Tag, an dem die Frist abläuft, die dem Unternehmen für die Abgabe seiner Steuererklärung für diesen Zeitraum zusteht. Dies ist unstreitig und unbestreitbar.

14 Die in den belgischen Steuervorschriften vorgenomme Bestimmung des Tages, an dem sowohl die Steuererklärung abzugeben ist als auch die Zahlung zu erfolgen hat, fügt sich nämlich vollkommen in den durch Artikel 22 Absätze 4 und 5 der Sechsten Richtlinie vorgegebenen Rahmen ein, und für die Festsetzung des Verjährungsbeginns auf denselben Tag spricht mit Sicherheit der Sachzusammenhang. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht bemerkt hat, wäre es höchst eigenartig, wenn zugunsten des Steuerpflichtigen eine Verjährungsfrist vor dem Zeitpunkt zu laufen begänne, zu dem die Steuerverwaltung aufgrund der erhaltenen Steuererklärung tatsächlich in der Lage wäre, die Ehrlichkeit des Steuerpflichtigen durch Vornahme der ihr geeignet erscheinenden Prüfungen zu kontrollieren und zu entscheiden, ob Berichtigungsbescheide erlassen werden sollen, die durch etwaige Unrichtigkeiten in dieser Erklärung geboten erscheinen. Steuerhinterziehungen würde Vorschub geleistet und die Wirksamkeit der für die Beitreibung der Steuer zuständigen Stellen erheblich beeinträchtigt, wenn man die Verjährung - mit der den ehrlichen Wirtschaftsteilnehmern Rechtssicherheit gewährleistet werden soll, die jedoch zugleich auch geeignet ist, den weniger Ehrlichen Straffreiheit zu sichern - zu einem Zeitpunkt beginnen lassen würde, zu dem die Steuerverwaltung mangels Vorliegens der Steuererklärung des Steuerpflichtigen völlig ausserstande ist, zur Wahrung der Interessen der Staatskasse tätig zu werden, da eine Steuerhinterziehung erst nach Abgabe einer - unrichtigen - Steuererklärung festgestellt werden kann.

15 Ist die Ausgestaltung dieser Regelung im besonderen Fall des "neuen" Steuerpflichtigen zu beanstanden, die darauf hinausläuft, daß der Verjährungsbeginn auf den zwanzigsten Tag des Monats verschoben wird, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem die Steuerverwaltung die Registrierung vorgenommen hat?

16 Zwar war zu der für die Vorgänge der Rechtssache, die beim vorlegenden Gericht anhängig ist, maßgeblichen Zeit eine Eintragung in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht vorgesehen, und die Eigenschaft des Steuerpflichtigen folgt auch nicht aus der Registrierung, sondern aus dem Vorliegen der Voraussetzungen des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie. Ich kann jedoch nicht erkennen, warum davon auszugehen sein sollte, daß die belgischen Steuervorschriften dadurch, daß sie die Entstehung der Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Abgabe der Steuererklärung und die Entstehung der damit verbundenen Zahlungsverpflichtung auf die Zeit nach der Eintragung verlegen, die Grenzen überschreiten, die der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes gesetzt worden sind. Im Gegenteil bin ich der Auffassung, daß die belgischen Rechtsvorschriften dadurch, daß sie als Ausgangspunkt für die Beziehungen zwischen der Steuerverwaltung und dem Steuerpflichtigen den Tag der Eintragung festlegen, d. h. den Tag, an dem die Verwaltung gewissermassen von der in Artikel 22 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Anzeige der Aufnahme der Tätigkeit Kenntnis genommen hat, den Erfordernissen der Rechtssicherheit Rechnung tragen. Nach einer Eintragung kann dem Steuerpflichtigen normalerweise nicht mehr unklar sein, wieviel Zeit ihm zur Erfuellung seiner regelmässigen Zahlungspflichten zur Verfügung steht und welche Verjährungsfrist ihm zusteht. Ebenso kann die Steuerverwaltung aufgrund der Registrierung eine Akte unter dem Namen des Steuerpflichtigen anlegen und für deren ordnungsgemässe Führung sorgen, während der Eingang von Erklärungen und Zahlungen eines unregistrierten Steuerpflichtigen, der als solcher erfasst wird, Anlaß zu Verwechslungen geben kann, die zwar vor allem die ordnungsgemässe Arbeitsweise der Verwaltung beeinträchtigen, sich aber auch für den Steuerpflichtigen selbst als nachteilig erweisen könnten.

17 Dafür, daß der Grundstein für die Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Verwaltung mit der Registrierung gelegt wird, spricht meines Erachtens der gesunde Menschenverstand; keinesfalls kommt für mich hierin eine Absicht zum Ausdruck, die Ausübung der Rechte des Steuerpflichtigen zu beschränken.

18 Ich gelange daher hinsichtlich der ersten Frage zu dem Ergebnis, daß die Sechste Richtlinie, insbesondere die Artikel 4, 10 Absatz 1 und 22, nicht einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei mehrwertsteuerpflichtigen Umsätzen, die vor der Registrierung des Betreffenden als mehrwertsteuerpflichtig getätigt wurden, die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Mehrwertsteuer mit Ablauf des zwanzigsten Tages des Monats beginnt, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem diese Registrierung vorgenommen worden ist.

Zur zweiten Frage

19 Zur zweiten Frage werde ich nur kurz Stellung nehmen, nicht zuletzt deshalb, weil in der mündlichen Verhandlung eine Annäherung der Auffassungen über die Beantwortung dieser Frage zutage getreten ist.

20 Wie ich bereits oben in Nummer 3 ausgeführt habe, wird in dieser Frage eine Formulierung aus der steuerrechtlichen Lehre verwendet, den die Sechste Richtlinie nicht kennt. Es steht jedoch ausser Zweifel, daß das nationale Gericht wissen möchte, nach welcher Besteuerungsgrundlage die Mehrwertsteuer zu berechnen ist, die gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie auf die Gewährung von Sachbezuegen durch ein Unternehmen an dessen Arbeitnehmer erhoben wird, wenn sich das Unternehmen wegen des Bezuges der Dienstleistung, in deren Genuß sie die Betreffenden kommen lässt, an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringer wendet. Genauer: muß diese Besteuerungsgrundlage die Mehrwertsteuer einbeziehen, die auf die aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Dienstleistung entfällt und in diesem Mitgliedstaat entrichtet worden ist?

21 Wie die Kommission ganz richtig festgestellt hat, ist Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie heranzuziehen, wonach "bei den in Artikel 6 Absatz 2 genannten Umsätzen der Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung" die Besteuerungsgrundlage ist, und zu prüfen, ob mit "Betrag der Ausgaben" der Betrag einschließlich aller Abgaben oder derjenige ohne Mehrwertsteuer gemeint ist.

22 Aus dem Wesen des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems, das geschaffen wurde, um die früheren Systeme der Mehrphasenbesteuerung durch ein neutrales System zu ersetzen, folgt selbst bereits, daß die Steuer stets auf einer Besteuerungsgrundlage zu erheben ist, die keine Mehrwertsteuer enthält.

23 Diese Regel fand sich bereits in Artikel 8 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems(6) und ist vom Gerichtshof im Urteil vom 5. Mai 1982(7) über die Besteuerung eingeführter Gebrauchtgegenstände mit Nachdruck bekräftigt worden. Die Sechste Richtlinie greift sie in Artikel 11 bei der Mehrwertsteuer im Rahmen der Einfuhr auf.

24 Es handelt sich somit um eine ganz allgemeine Regel, die nicht unterschiedlich angewandt wird je nachdem, ob die Leistung von einem im Inland ansässigen oder einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Leistenden erbracht wird.

25 Wie auch die belgische Regierung einräumt, ist es im Fall der Klägerin also unerheblich, daß dieser die Fahrzeuge, die sie Angehörigen ihres Personals für deren private Zwecke überlässt, von einem in Luxemburg ansässigen Dienstleistungserbringer vermietet wurden.

26 Jedenfalls ist für die Besteuerung nach Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie der Wert der Leistung ohne Mehrwertsteuer als Besteuerungsgrundlage heranzuziehen.

27 Da dem so ist, ist nicht erkennbar, inwieweit eine Diskriminierung hinsichtlich der aus einem anderen Mitgliedstaat heraus erbrachten Dienstleistungen vorliegen sollte. Die Beachtung des dem gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystem innewohnenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität lässt die Bezugnahme der Klägerin auf Artikel 95 EG-Vertrag - einmal unterstellt, daß diese Bestimmung, die Waren betrifft, auf eine aus einem anderen Mitgliedstaat heraus erbrachte Dienstleistung anwendbar ist -, aber auch auf Artikel 59 EG-Vertrag - hierbei müsste gefragt werden, ob, was zu verneinen ist, das belgische Steuersystem dazu führt, daß die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Leistenden erbrachten Dienstleistungen für belgische Unternehmen weniger attraktiv gemacht werden - ins Leere gehen.

28 Offenbar bleibt jedoch ein Meinungsunterschied zwischen der Klägerin und der belgischen Regierung darüber bestehen, wie die belgische Steuerverwaltung die von der Klägerin geschuldete Mehrwertsteuer berechnet hat, wobei die Klägerin behauptet, daß von den Steuerdienststellen in Wirklichkeit nicht eine Besteuerungsgrundlage ohne Mehrwertsteuer herangezogen worden sei.

29 Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfrage, die zu beantworten uns nicht zusteht und der wir uns auch nicht zuwenden können, da die uns vorliegenden Akten nicht alle erforderlichen Angaben enthalten.

30 Ich möchte jedoch bemerken, daß die Klägerin, wenn sie in ihren schriftlichen Erklärungen eine Reihe bezifferter Angaben macht und eine Methode zur Berechnung der von ihr tatsächlich geschuldeten Mehrwertsteuer vorschlägt, vielleicht nicht ganz mit der gebotenen Strenge argumentiert.

31 Ausgehend von der Behauptung, daß die belgische Verwaltung einen Betrag als Besteuerungsgrundlage herangezogen hat, der die in Luxemburg entrichtete Mehrwertsteuer enthält, nimmt sie eine Berechnung vor, mit der die korrekte Besteuerungsgrundlage, d. h. der Wert ohne Mehrwertsteuer, ermittelt werden soll, bei der sie einen Mehrwertsteuersatz von 25 % zugrunde legt, der dem in Belgien angewandten Satz entspricht.

32 Wenn die belgische Steuerverwaltung jedoch - zu Unrecht - einen Betrag als Besteuerungsgrundlage herangezogen hat, der die luxemburgische Mehrwertsteuer umfasst, so geht es hierbei um einen Mehrwertsteuersatz von 15 % und nicht von 25 %.

33 Ich vermute, daß es sich hierbei um ein Mißverständnis handelt, das zu gegebener Zeit vor dem nationalen Gericht ausgeräumt werden kann.

34 Da sich der Gerichtshof auf eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu beschränken hat, schlage ich vor, auf die zweite Frage zu antworten, daß bei einer Besteuerung nach Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie die zutreffende Besteuerungsgrundlage nicht die Mehrwertsteuer enthalten darf, mit der das Unternehmen beim Erwerb des Gegenstands oder bei der Vergütung der Dienstleistung, den oder die sie ihrem Personal zum privaten Gebrauch zur Verfügung stellt, belastet worden ist.

Antrag

35 Am Ende meiner Schlussanträge angelangt, schlage ich dem Gerichtshof vor,

auf die erste Frage zu antworten:

Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, insbesondere die Artikel 4, 10 Absatz 1 und 22, stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der bei mehrwertsteuerpflichtigen Umsätzen, die vor der Registrierung des Betreffenden als mehrwertsteuerpflichtig getätigt wurden, die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der Mehrwertsteuer mit Ablauf des zwanzigsten Tages des Monats beginnt, der auf das Kalendervierteljahr folgt, in dem diese Registrierung vorgenommen worden ist.

Für die zweite Frage schlage ich folgende Antwort vor:

Bei einer Besteuerung nach Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie darf die zutreffende Besteuerungsgrundlage nicht die Mehrwertsteuer enthalten, mit der das Unternehmen beim Erwerb des Gegenstands oder bei der Vergütung der Dienstleistung, den oder die sie ihrem Personal zum privaten Gebrauch zur Verfügung stellt, belastet worden ist.

(1) - ABl. L 145, S. 1.

(2) - Urteil vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 42/83 (Dansk Denkavit, Slg. 1984, 2649), zu Recht von der deutschen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen angeführt.

(3) - ABl. L 73, S. 18.

(4) - ABl. L 331, S. 10.

(5) - Vgl. u. a. Urteil vom 14. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-430/93 und C-431/93 (Van Schijndel und Van Veen, Slg. 1995, I-4705).

(6) - ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303.

(7) - Rechtssache 15/81 (Schul, Slg. 1982, 1409).