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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0136

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 16. Juli 1998. - Norbury Developments Ltd gegen Commissioners of Customs & Excise. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Value Added Tax Tribunal, Manchester - Vereinigtes Königreich. - Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie - Übergangsvorschriften - Lieferung von Baugrundstücken. - Rechtssache C-136/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1999 Seite I-02491


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft den Umfang der vorübergehenden Befreiungen von der Mehrwertsteuerpflicht, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und Anhang F der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(1) anwenden dürfen. Dem Gerichtshof ist die Frage vorgelegt worden, ob ein Mitgliedstaat sich weiterhin auf solche Befreiungsvorschriften berufen kann, wenn er den Anwendungsbereich der einschlägigen nationalen Vorschriften, die vor der Richtlinie bereits bestanden, durch eine spätere gesetzgeberische Maßnahme einschränkt.

I - Rechtlicher und sachlicher Rahmen

A - Das Gemeinschaftsrecht

2 Die einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie sind die, die Lieferungen von "Baugrundstücken" betreffen. Zunächst ist zu beachten, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe h eine obligatorische Mehrwertsteuerbefreiung für die "Lieferungen unbebauter Grundstücke mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b bezeichneten Baugrundstücke" vorsieht. Nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b gelten als "Baugrundstücke ... erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten". Nach Artikel 13 Teil B Buchstabe g in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a ist die Lieferung von Gebäuden und dem dazugehörigen Grund und Boden, soweit es sich nicht um Neubauten handelt, obligatorisch von der Mehrwertsteuer befreit.

3 Artikel 28 der Sechsten Richtlinie betrifft "Übergangsbestimmungen". Nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b können die Mitgliedstaaten während einer Übergangszeit "die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien". Nummer 16 des Anhangs F betrifft "Lieferungen der in Artikel 4 Absatz 3 bezeichneten Gebäude und Grundstücke". Die vorübergehende Befreiung wirkt sich also dahin aus, daß die Mitgliedstaaten ungeachtet der Mehrwertsteuerbefreiungen nach Artikel 13 Teil B Buchstaben g und h die nationalen Mehrwertsteuerbefreiungen beibehalten dürfen. Das bedeutet, daß sie entscheiden können, die Ausnahmeregelung nicht wirksam werden zu lassen, so daß "Baugrundstücke" zu besteuern sind.

4 Die Bestimmungen über die Optionen für einen Verzicht sowohl auf die vorgenannten obligatorischen als auch vorübergehenden Befreiungen sind auch im vorliegenden Fall von einer gewissen Bedeutung. Zunächst können die Mitgliedstaaten nach Artikel 13 Teil C u. a. bei den Umsätzen nach Artikel 13 Teil B Buchstaben g und h "ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren". Zweitens erlaubt Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe c den Mitgliedstaaten bei den vorübergehenden Befreiungen, "den Steuerpflichtigen die Möglichkeit [einzuräumen], für die Besteuerung der nach Anhang G befreiten Umsätze zu optieren". Nummer 1 Buchstabe b des Anhangs G sieht vor, daß "bei den unter Anhang F fallenden Umsätzen ... diejenigen Mitgliedstaaten, in denen solche Umsätze vorübergehend weiterhin von der Steuer befreit sind, ... den Steuerpflichtigen das Recht einräumen [können], für die Besteuerung zu optieren". Die Einräumung einer Option für die Besteuerung von Umsätzen, die entweder obligatorisch oder vorübergehend befreit sind, ist also ausdrücklich zulässig.

B - Der Ausgangsrechtsstreit

5 Der unbestrittene Sachverhalt, wie er im Vorlagebeschluß wiedergegeben worden ist, ist verhältnismässig einfach. Am 29. April 1994 erwarb die Norbury Developments Ltd, die Klägerin des Ausgangsverfahrens (nachstehend: Norbury), in Erfuellung eines früher geschlossenen Kaufvertrags von der Rivermead Homes Ltd eine Reihe von Grundstücken in Chesterton im Vereinigten Königreich, nachdem sie kurz zuvor die Genehmigung für den Bau eines Wohnkomplexes auf diesen Grundstücken erhalten hatte. Am selben Tag verkaufte Norbury die betreffenden Grundstücke an die John Kottler Ltd. Die Rivermead Homes Ltd verzichtete auf die im Vereinigten Königreich geltende Mehrwertsteuerbefreiung und stellte der Norbury für den Grundstücksverkauf die Mehrwertsteuer in Rechnung. Norbury stellte der John Kottler Ltd bei dem Weiterverkauf jedoch keine Mehrwertsteuer in Rechnung und erhielt daraufhin einen Mehrwertsteuerbescheid über 12 443 UKL, nachdem die Commissioners of Customs & Excise, die Beklagten des Ausgangsverfahrens (nachstehend: Commissioners), den Vorsteuerabzug abgelehnt hatten, den Norbury für die von ihr auf den Kaufpreis entrichtete Mehrwertsteuer geltend gemacht hatte.

6 In ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage zum VAT and Duties Tribunal Manchester (nachstehend: das Gericht) machte Norbury geltend, daß die einschlägigen Bestimmungen der Mehrwertsteuervorschriften des Vereinigten Königreichs mit der Sechsten Richtlinie unvereinbar seien und der Verkauf der Grundstücke an die John Kottler Ltd als steuerbarer Umsatz hätte behandelt werden müssen. Die Mitgliedstaaten könnten nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und Nummer 16 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie nur genau die gleichen Befreiungstatbestände, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Sechsten Richtlinie am 17. Mai 1977 in Kraft gewesen seien, weiterhin und ohne Änderung anwenden. Da das Vereinigte Königreich jedoch die einschlägigen nationalen Bestimmungen geändert habe, seien die vorübergehenden Befreiungstatbestände nicht mehr anwendbar.

7 Die Commissioners machten geltend, daß die fraglichen Grundstücke, auch wenn sie Baugrundstücke gewesen seien, nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und Nummer 16 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit gewesen seien; die vorübergehende Befreiung in diesen Bestimmungen sei durch die Achtzehnte Richtlinie(2)nn aufrechterhalten worden. Die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften seien nicht grundlegend geändert worden, und die Commissioners hätten sich auf diese Befreiung stützen dürfen, da sie nicht versucht hätten, irgendeine neue Mehrwertsteuerbefreiung gegenüber Norbury geltend zu machen.

8 Nach Ansicht des Gerichts kann das fragliche Grundstück, das "ausdrücklich mit Baugenehmigung" verkauft wurde und "Teil eines neuen Bauvorhabens" war, "nur als Baugrundstück betrachtet werden". Daher bedürfe es im vorliegenden Fall keiner genauen Definition von Baugrundstücken. Aufgrund eines Vergleichs der zum Zeitpunkt des Erlasses der Sechsten Richtlinie geltenden Befreiung (d. h. der in Anhang 5 Gruppe 1 des Finance Act 1972 festgelegten) mit der zum Zeitpunkt der streitigen Lieferung geltenden (d. h. der in Anhang 6 Gruppe 1 des Valü Added Tax Act 1983 enthaltenen) stellte das Gericht fest, daß es sich "nicht um die Ausdehnung einer Befreiung [handelt], sondern um die Rücknahme einer Befreiung durch das Aufstellen einer zunehmenden Zahl von Einschränkungen". Da das Gericht der Ansicht ist, daß die Auslegung des Wortlauts des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b nicht "zweifelsfrei" sei und die Bestimmung auch dahin ausgelegt werden könne, daß die Mitgliedstaaten den Umfang der Ausnahmeregelung beschränken, nicht aber erweitern dürften, hat es beschlossen, dem Gerichtshof die folgende Frage vorzulegen:

Ist das Vereinigte Königreich berechtigt, die Lieferung von Grundstücken, die nicht bebaut sind, auf denen aber zur Zeit der Lieferung aufgrund einer nach dem Recht des Mitgliedstaats erteilten Genehmigung die Errichtung von Gebäuden rechtlich zulässig ist und die nach Auffassung des Gerichts Baugrundstücke sind, nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie von der Steuer zu befreien? Dabei ist folgendes zu beachten:

a) Die Besteuerung der Lieferung von Grundstücken einschließlich der Lieferung von Grundstücken, die unbestreitbar Baugrundstücke sind, hat sich seit der Umsetzung der Sechsten Richtlinie durch das Vereinigte Königreich am 17. Mai 1977 geändert, namentlich seit dem Erlaß des Finance Act 1989, der es ermöglicht, für bestimmte Lieferungen dieser Art auf die Mehrwertsteuerbefreiung zu verzichten.

b) Die Besteuerung der Lieferung von Grundstücken, die unbestreitbar Baugrundstücke sind, hat sich seit der Umsetzung der Sechsten Richtlinie durch das Vereinigte Königreich am 17. Mai 1977 geändert, namentlich seit dem Erlaß des Finance Act 1989, wonach bestimmte Lieferungen dieser Art, die zuvor von der Steuer befreit waren, nunmehr als Bauwerke zum Normalsatz besteuert werden.

Die Lieferung wäre nach Punkt 1 der Gruppe 1 des Anhangs 5 zum Finance Act 1972 befreit gewesen, wäre sie vor dem 17. Mai 1977 erfolgt.

II - Erklärungen

9 Die Kommission und das Vereinigte Königreich haben schriftliche und mündliche Erklärungen abgegeben; Norbury hat nur mündliche Erklärungen abgegeben.

III - Prüfung

A - Die Definition des Baugrundstücks

10 Das Gericht hat entschieden, daß die fraglichen Grundstücke Baugrundstücke seien, und nur die Frage gestellt, ob das Vereinigte Königreich berechtigt ist, die Lieferung solcher Grundstücke weiterhin von der Mehrwertsteuer zu befreien. In der Rechtssache Gemeente Emmen(3) hat der Gerichtshof festgestellt, daß "Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ausdrücklich auf die Bestimmung des Begriffes der Baugrundstücke durch die Mitgliedstaaten [verweist]" und daß daraus "folgt, daß es deren Sache ist, sowohl für die Anwendung dieser Vorschrift als auch ... [für die des] Artikel[s] 13 Teil B Buchstabe h ... die Grundstücke zu bestimmen, die als Baugrundstücke anzusehen sind"(4). Der Gerichtshof führte weiter aus, daß die Mitgliedstaaten "das mit Artikel 13 Teil B Buchstabe h der Sechsten Richtlinie verfolgte Ziel beachten müssen, nur die Lieferungen solcher unbebauter Grundstücke von der Steuer zu befreien, auf denen kein Gebäude errichtet werden soll"(5). Als Ergebnis hielt der Gerichtshof jedoch nur fest, daß es "den Mitgliedstaaten [obliegt], den Begriff $Baugrundstück` im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe h in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zu bestimmen", und es "folglich nicht Sache des Gerichtshofes [ist], den Erschließungsgrad festzulegen, den ein unbebautes Grundstück aufweisen muß, um als Baugrundstück ... eingestuft werden zu können"(6).

11 Die Kommission hat darauf hingewiesen, daß die mehrwertsteuerrechtlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs den Begriff "Baugrundstück" nicht definieren. Auch wenn in der Rechtssache Gemeente Emmen die Definition des "Baugrundstücks" den Mitgliedstaaten anheim gestellt worden sei, könnte das Fehlen einer solchen allgemein gültigen Definition gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstossen(7). Die Kommission meint jedoch, daß dies hier nicht der Fall sei, denn erstens sei keine Frage, die die im Vereinigten Königreich fehlende Definition eines solchen Grundstücks betreffe, vorgelegt worden, und zweitens wäre die einzige Folge des Fehlens einer solchen Definition, daß alle Grundstücke, die sonst von der Definition erfasst würden, vorbehaltlich des Rechts, für eine Besteuerung zu optieren, automatisch nach Artikel 13 Teil B Buchstabe h von der Steuer befreit wären.

12 Für unsere Zwecke mag der Hinweis genügen, daß dem Gerichtshof hierzu keine Frage vorgelegt worden ist. Fest steht, daß die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Grundstücke "Baugrundstücke" im Sinne jeder möglichen Definition sind. Soweit es noch eventuell ungelöste Fragen aufgrund der vorgenannten Randnummern des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Gemeente Emmen gibt, stellen sie sich nicht im vorliegenden Fall. Jedenfalls stimme ich der Ansicht des Vereinigten Königreichs zu, daß eine Definition des "Baugrundstücks" irrelevant ist, wenn die Lieferung eines solchen Grundstücks unter einen Befreiungstatbestand fällt, der seit Beginn 1973 nicht in rechtserheblicher Weise geändert worden ist.

B - Die Anwendung der vorübergehenden Befreiungsvorschrift

13 Ich komme nun zu der Frage der vorübergehenden Befreiung. Es stellt sich das Problem, ob das Vereinigte Königreich sein Recht, sich auf Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zu stützen, dadurch verloren hat, daß es den Wortlaut der Befreiung für die "Lieferungen der in Artikel 4 Absatz 3 bezeichneten Gebäude und Grundstücke" so geändert hat, daß die Befreiung nicht mehr wie erforderlich "unter den [1977] bestehenden Bedingungen" weiterbesteht.

14 Norbury hat in der mündlichen Verhandlung zwei Punkte vorgetragen. Der erste betrifft die im Vereinigten Königreich durch den Finance Act 1989 eingeführte Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung für Baugrundstücke zu verzichten. Es braucht nicht geprüft zu werden, ob eine solche Änderung, wie Norbury meint, eine Änderung der Bedingungen ist, unter denen die Befreiung weiterhin besteht. Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten, wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, "den Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein[zu]räumen, für die Besteuerung der nach Anhang G befreiten Umsätze zu optieren". Nach Anhang G können bei den unter Anhang F fallenden Umsätzen "diejenigen Mitgliedstaaten, in denen solche Umsätze vorübergehend weiterhin von der Steuer befreit sind, ... den Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für die Besteuerung zu optieren" (Hervorhebung von mir). Das Recht, "einzuräumen" - dieses Verb wird in der einschlägigen Bestimmung dreimal verwendet - steht im Gegensatz zu dem Recht, "weiterhin" zu befreien, in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b. Aufgrund dessen war die Einführung der vom Vereinigten Königreich 1989 eingeräumten Option zulässig. Unglücklicherweise versäumte es Norbury, von dieser Option Gebrauch zu machen.

15 Zudem spricht bei genauer Lektüre des Artikels 13 der Sechsten Richtlinie nichts dagegen, eine solche Option neben einer weiterhin bestehenden Befreiung zuzulassen. Wenn auch die Lieferungen von Gebäuden und dem dazugehörenden Grund und Boden anders als Baugrundstücke grundsätzlich nach Artikel 13 Teil B Buchstaben g und h von der Mehrwertsteuer befreit sind, können die Mitgliedstaaten nach Artikel 13 Teil C Steuerpflichtigen doch das Recht einräumen, bei den Umsätzen, die solche Lieferungen umfassen, für eine Besteuerung zu optieren. Ich bin daher der Überzeugung, daß die Einräumung des Rechts, bei Lieferungen von "Baugrundstücken", die in einem Mitgliedstaat aufgrund einer vorübergehenden Befreiung gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nummer 16 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, für eine Besteuerung zu optieren, diese Befreiung nicht beeinträchtigt.

16 Das zweite Argument von Norbury ist nicht so einfach zu entkräften. Es stützt sich auf die unbestrittene Tatsache, daß, wie das Gericht in seiner Vorlage formuliert hat, die "Besteuerung der Lieferung von Grundstücken ..., die unbestreitbar Baugrundstücke sind, ... sich seit der Umsetzung der Sechsten Richtlinie durch das Vereinigte Königreich am 17. Mai 1977 geändert" hat. Norbury macht geltend, daß Mitgliedstaaten, um sich weiterhin auf eine vorübergehende Befreiung stützen zu können, eine Rechtslage aufrechterhalten müssten, die mit der zum Zeitpunkt des Erlasses der Sechsten Richtlinie identisch sei. Jede wesentliche Änderung der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung für die Lieferung von Baugrundstücken nehme den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, sich weiterhin auf die vorübergehende Befreiung zu stützen. Die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs hätten die Bedingungen für die Steuerbefreiung in diesem Land grundlegend geändert. Für diese beiden Feststellungen verweist Norbury auf die Rechtssache Kommission/Deutschland(8).

17 Der Bevollmächtigte des Vereinigten Königreichs hat in der Sitzung ausgeführt, daß zwischen "bebauten Grundstücken" und "Baugrundstücken" zu unterscheiden sei. Für die Lieferung von Baugrundstücken, die Art von Grundstücken, um die es im vorliegenden Fall zugegebenermassen gehe, sei die derzeitige Befreiungsregelung im Vereinigten Königreich identisch mit der, die vor Erlaß der Sechsten Richtlinie angewandt worden sei. Infolgedessen könne die vorgelegte Frage in unserem Fall dahin beantwortet werden, daß im Hinblick auf das Erfordernis der Kontinuität in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b keine wesentlichen Änderungen erfolgt seien.

18 Das Vereinigte Königreich, unterstützt von der Kommission, trägt weiter vor, daß die Änderungen in den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs (anders als bei der Einführung der Option für einen Verzicht auf die Befreiung, die in diesem Zusammenhang aus den von mir vorstehend genannten Gründen keine Rolle spielt) nur eine Einschränkung des Umfangs der Befreiung bezweckt hätten. Nach beider Ansicht schließt, wie der Bevollmächtigte der Kommission in der Sitzung vorgetragen hat, die Befreiung, die einen grösseren Bereich umfasse, die einen kleineren Bereich umfassende Befreiung ein. Zur Begründung wird auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Kerrutt(9) verwiesen. Ausserdem würde eine Auslegung des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit dem Anhang F, wonach die Mitgliedstaaten den Umfang der zulässigen vorübergehenden Befreiungen nicht einschränken könnten, ohne damit das Recht, sie insgesamt beizubehalten, zu verlieren, dem Ziel der Übergangsregelungen zuwiderlaufen, deren Sinn und Zweck es sei, die Mitgliedstaaten dazu zu bringen, nationale Befreiungen vom allgemeinen Mehrwertsteuersystem aufzuheben.

19 Auch wenn ich nach wie vor der Ansicht bin, die ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Gemeente Emmen vertreten habe, daß nämlich der Bereich der unter Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b fallenden vorübergehenden Befreiungen "eng gehalten werden [muß] unter Berücksichtigung des übergeordneten Zieles der Sechsten Richtlinie, eine einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage für ein gemeinsames integriertes Mehrwertsteuersystem zu schaffen", kann ich der Ansicht von Norbury, daß die Mitgliedstaaten genau die gleiche Rechtslage beibehalten müssten, die in diesen Staaten bei Erlaß der Sechsten Richtlinie bestanden habe, nicht zustimmen(10). Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b ist keine Bestimmung, die einen Zustand "einfriert", wie der Bevollmächtigte von Norbury gemeint hat. Die Verfasser dieser Bestimmung wollten nach meiner Meinung die Mitgliedstaaten nicht an die Rechtsvorschriften, die sie 1977 anwandten, fesseln. Die Mitgliedstaaten sollten im Gegenteil zumindest frei sein, die Rechtsvorschriften über eine Befreiung im Sinne dieser Bestimmung zu ändern, solange die Tragweite der betreffenden Befreiung unverändert bleibt. So muß es z. B. für einen Mitgliedstaat möglich sein, seine Mehrwertsteuervorschriften in einer neuen Regelung zu kodifizieren oder klarzustellen. Meines Erachtens kann dabei von einem Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit keine Rede sein.

20 In unserem Fall hat das Vereinigte Königreich jedoch vorgeschlagen, die vorgelegte Frage auf der schmalen Grundlage zu lösen, daß die nationalen Vorschriften über die Befreiung von Baugrundstücken nicht wesentlich geändert worden seien. Da nur die Befreiung der Lieferung dessen, was der Bevollmächtigte des Vereinigten Königreichs als "bebaute Grundstücke" bezeichnet hat, aufgehoben worden sei, solle die ursprüngliche Befreiung der "Baugrundstücke" als unverändert angesehen werden. Vermutlich denkt das Vereinigte Königreich daran, daß Nummer 16 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie sich nicht nur auf Lieferungen von "Baugrundstücken" bezieht, sondern auch auf die Lieferungen neuer oder noch nicht bewohnter Gebäude. Norbury hat jedoch geltend gemacht, daß die im vorliegenden Fall vorgeschlagene Unterscheidung zwischen bebauten Grundstücken und Baugrundstücken unerheblich sei; sie hat darauf verwiesen, daß gemäß den nach 1977 geltenden nationalen Rechtsvorschriften Tiefbauarbeiten, die unbebaute, erschlossene Grundstücke betreffen könnten, nunmehr der Mehrwertsteuer unterlägen. Da diese Grundstücke unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Gemeente Emmen von den Mitgliedstaaten als "Baugrundstücke" definiert werden können, wäre es meines Erachtens nicht richtig, das Argument von Norbury, das Vereinigte Königreich könne sich nicht länger auf Nummer 16 des Anhangs F stützen, mit der Begründung zurückzuweisen, die vor 1977 in diesem Mitgliedstaat für Lieferungen von Baugrundstücken geltenden Befreiungsvorschriften seien nicht eingeschränkt worden.

21 Ich stimme dem Vereinigten Königreich und der Kommission zu, daß der vom Gerichtshof in der Rechtssache Kerrutt aufgestellte Grundsatz im vorliegenden Fall hilfreich ist(11). In der Rechtssache Kerrutt war der Gerichtshof mit einem als Bauherrenmodell bekannten Zusammenschluß von Miteigentümern zur Errichtung eines Gebäudes befasst. Nach diesem Modell wurde eine Reihe von Geschäften - im wesentlichen der Kauf des Grundstücks und die Errichtung der Wohnungen -, als deren Folge jedem beteiligten Miteigentümer eine neue Wohnung geliefert wurde, von einem einzigen Beauftragten durchgeführt. Zweck dieses Modells war die Verringerung der Kosten und die Absetzbarkeit der Kosten von der Einkommensteuer. Die Vorlagefrage betraf allerdings die Mehrwertsteuer. Wie Generalanwalt Darmon ausführte, war zwar die Lieferung von Baugrundstücken in Deutschland stets von der Steuer befreit, die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen für die Errichtung des Gebäudes, was später die Lieferung eines Neubaus wurde, war jedoch nicht befreit(12). Der Gerichtshof stellte fest, daß die Lieferung solcher Gegenstände und Dienstleistungen und die Lieferung eines Neubaus einschließlich des dazugehörigen Grund und Bodens rechtlich getrennte Vorgänge seien. Unter Berücksichtigung dessen sind die Ausführungen des Gerichtshofes zu verstehen, daß die Wendung "weiterhin befreien" in Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b "ihrem Wortlaut nach der Einführung neuer Befreiungstatbestände oder der Ausweitung bereits bestehender Befreiungen nach dem Inkrafttreten der Richtlinie entgegen[stehen]"(13). Auch wenn die vorübergehende Befreiung nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nummer 16 des Anhangs F auf die grundstücksbezogene Seite des Geschäfts Anwendung finden kann, kann die Mehrwertsteuerpflicht der vorgeschalteten Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen bei der Errichtung des Gebäudes sich nicht auf "den Umfang der Befreiung von der Umsatzsteuer auswirken"(14). In diesem Fall spricht nichts dafür, daß eine Beschränkung des Umfangs der ursprünglichen vorübergehenden Befreiung von Baugrundstücken zum vollkommenen Verlust der Befreiung geführt hätte. Dies genügt jedoch nicht, um das Argument von Norbury im vorliegenden Fall zu widerlegen, wonach insbesondere auf der Grundlage der Rechtssache Kommission/Deutschland die nach 1977 erfolgte Einschränkung des Umfangs der Befreiung der Lieferungen von Baugrundstücken das Fortbestehen der vorübergehenden Befreiung solcher Lieferungen im Vereinigten Königreich ausschließe(15).

22 Zur Lösung dieser Frage möchte ich vorschlagen, die Änderungen der Rechtsvorschriften im Vereinigten Königreich unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Kommission/Deutschland zu untersuchen.

23 Die einschlägigen Rechtsvorschriften sind im Vorlagebeschluß wiedergegeben worden. Sie sind nicht übertrieben komplex, und die Parteien leugnen nicht die Notwendigkeit, die Liste der Ausnahmen von den Befreiungen in den Anhängen des Finance Act 1972 (Gesetz von 1972) und die des Valü Added Tax Act 1983 (Gesetz von 1983) zu vergleichen. Das Gesetz von 1972 befreite in einer Liste aufgeführte Rechtsakte, die eine Lieferung eines Grundstücks darstellen konnten. Die Ausnahmen von dieser Liste im Anhang 5 bezogen sich nur auf Bereiche, die im grossen und ganzen Ferien- oder Freizeitaktivitäten wie die Bereitstellung von Hotelunterkünften oder Jagd- und Fischereirechte betrafen. Der Aufbau der vergleichbaren Bestimmungen im Gesetz von 1983 ist der gleiche, auch wenn die Bestimmungen inhaltlich abweichen. Die Ausnahmen sind detaillierter aufgezählt, doch gibt es nach meiner Meinung keine wesentlichen Änderungen. Nichts deutet darauf hin, daß sie zu einer Ausweitung der Befreiung geführt haben. Konkreter umfassen die Ausnahmen nun im wesentlichen das, was ich umschreiben möchte als die "Übertragung des Eigentums" (d. h. des vollen Eigentumsrechts) an fertiggestellten und nicht fertiggestellten Gebäuden, die nicht zu Wohnzwecken dienen, und fertiggestellten und nicht fertiggestellten Bauwerken sowie Lieferungen im Rahmen eines Miet- oder Pachtvertrags oder eines Nutzungsrechts im Rahmen eines Erschließungsplans.

24 Sodann ist zu untersuchen, ob sich Norbury zu Recht auf die Rechtssache Kommission/Deutschland beruft, die sehr viel komplexer war als der vorliegende Fall. In jenem Fall ging es nicht nur um zwei andere Punkte des Anhangs F (Nrn. 17 und 27), sondern diese Punkte waren auch im Zusammenhang mit der von Deutschland vorzunehmenden Durchführung der in Artikel 26 der Sechsten Richtlinie festgelegten Sonderregelung über die Mehrwertsteuerbefreiung der Dienstleistungen der Reisebüros zu prüfen.

25 Kern der Sonderregelung ist, daß Reisebüros nicht nach dem Bruttopreis ihrer Dienstleistungen besteuert werden, sondern nach ihrer "Marge", die definiert ist als "die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen" (Artikel 26 Absatz 2). Diese Dienstleistungen (die ich "Vorleistungen" nennen möchte) sind typischerweise Beherbergungs- und Beförderungsleistungen. Das Reisebüro darf die Mehrwertsteuer, die es an die Erbringer dieser Vorleistungen zu zahlen hat, nicht als Vorsteuer abziehen (Artikel 26 Absatz 4).

26 Der springende Punkt des Falles war jedoch die angeblich nicht ordnungsgemässe Durchführung des Artikels 26 Absatz 3 durch Deutschland. Nach dieser Vorschrift ist die Dienstleistung des Reisebüros von der Mehrwertsteuer befreit, wenn die Vorleistungen von Steuerpflichtigen ausserhalb der Gemeinschaft erbracht werden; werden "diese Umsätze sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze ausserhalb der Gemeinschaft entfällt". Die deutsche Regelung in dem Durchführungsgesetz von 1980 zu dieser Vorschrift ging darüber hinaus und sah eine Befreiung vor, wenn Dienstleistungen der Reisebüros ausserhalb der Bundesrepublik Deutschland erbracht worden waren. Die Befreiung war nach der Klage der Kommission somit sogar auf Beförderungsleistungen innerhalb der Gemeinschaft anwendbar.

27 Als Antwort darauf berief sich Deutschland auf die gemäß Nummer 17 des Anhangs F bestehende Befreiung für Beförderungen auf dem Luft- und Seewege. Beförderungen auf dem Seewege hätten nie dem deutschen Mehrwertsteuersystem unterlegen, während für Beförderungen auf dem Luftwege eine ministerielle Erlaßregelung gegolten habe. Offensichtlich wurde - zumindest vom Generalanwalt - akzeptiert, daß die gesetzlichen Änderungen, die Deutschland in seinem Gesetz von 1980 vorgenommen hatte, nicht zu einer wesentlichen Änderung der steuerlichen Behandlung dieser Beförderungsleistungen geführt haben. Andererseits waren die Dienstleistungen der Reisebüros bei Erlaß der Sechsten Richtlinie in Deutschland nicht von der Mehrwertsteuer befreit: Sie wurden nach den allgemeinen Steuervorschriften behandelt.

28 Die Entscheidung des Gerichtshofes betraf Artikel 26 Absatz 2, nach dem die "bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze ... als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden" gelten. Nach dem Hinweis auf diese Bestimmung in Randnummer 16 des Urteils stellte der Gerichtshof fest, daß "die einzige ausdrückliche Ausnahme die ausserhalb der Gemeinschaft erbrachten Umsätze betrifft" und die "Dienstleistung oder der Teil der Dienstleistung des Reisebüros, die auf diese Umsätze entfallen, ... steuerfrei" sind. Er verwies auf die nach Nummer 27 des Anhangs F zulässige Befreiung betreffend "in Artikel 26 genannte Dienstleistungen der Reisebüros" und vertrat die Auffassung, daß diese Befreiung sich nur "auf die normalerweise der Besteuerung unterliegende einheitliche Leistung des Reisebüros beziehen [kann] und nicht auf den einen oder anderen der Umsätze, die Bestandteil dieser einheitlichen Leistung sind und früher einer anderen Besteuerungsregelung unterlagen". Der letzte Satz nimmt vermutlich auf die früher bestehende deutsche Regelung über die Befreiung der Beförderungsleistungen, bezeichnenderweise aber nicht auf die der Reisebüros Bezug(16). Es ist jedoch klar, daß diese Behandlung als einheitliche Leistung im Fall der Reisebüros und Beförderungsleistungen in Nummer 17 des Anhangs F nicht für die unter Nummer 16 fallenden Lieferungen übernommen worden ist. Daher spielt der Hauptpunkt in der Argumentation des Gerichtshofes im vorliegenden Fall keine Rolle.

29 Norbury beruft sich jedoch auf die Rechtssache Kommission/Deutschland, um einen Grundsatz zu belegen, nach dem jede wesentliche Änderung der Bedingungen einer vorübergehenden Mehrwertsteuerbefreiung dieser ihre Wirkung nimmt. Sie verweist insbesondere auf die Nummern 18 bis 22 der Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann in dieser Sache, die sie mit den Randnummern 16 und 17 des Urteils in Verbindung zu bringen sucht. Der Generalanwalt war zu folgendem Ergebnis gekommen: Auch wenn die deutschen Rechtsvorschriften über die Befreiung der Beförderungsleistungen durch das Gesetz von 1980 im wesentlichen nicht geändert wurden, muß, um sicherzustellen, daß die Übergangsbestimmung nicht zur Schaffung neuer Ausnahmen in Anspruch genommen wird, verlangt werden, daß letzteres "ohne Schwierigkeiten feststellbar sein muß". Angesichts der Änderungen der gesetzlichen Grundlage der Befreiung waren die Bestimmungen, die vor und nach 1980 galten, rechtlich nicht gleich. Ihre gesetzliche Grundlage und ihr Aufbau sind geändert worden. Obwohl diese Argumentation im Urteil nicht aufgegriffen wurde, wurde sie auch nicht verworfen. Der letzte Satz in Randnummer 16 des Urteils, den ich in dem vorstehenden Abschnitt wiedergegeben habe, betrifft Umsätze, die "früher einer anderen Besteuerungsregelung unterlagen".

30 Trotzdem halte ich die Änderungen der hier streitigen nationalen Rechtsvorschriften nicht mit denen für vergleichbar, die der Gerichtshof in jener Rechtssache untersucht hat. Wie bereits gesagt (vorstehend Nummer 23), ist der gesetzliche Aufbau der Befreiung im Gesetz von 1972 und in dem von 1983 identisch. Soweit eine Änderung durch das Gesetz von 1983 erfolgt ist, besteht sie in der Aufnahme einer Reihe bedeutsamer Zusätze in die Liste der Ausnahmen, so daß der Umfang der Befreiung für die Lieferung von Grundstücken eingeschränkt wurde. Meines Erachtens lassen sich die Änderungen ohne Schwierigkeiten feststellen. Nichts spricht dafür, daß die Änderungen im Widerspruch zu dem in der Rechtssache Kerrutt herausgearbeiteten Grundsatz zu einer verschleierten Ausweitung des Befreiungstatbestands geführt hätten.

31 Norbury macht jedoch geltend, daß solche stückweise vorgenommenen Änderungen nicht zulässig seien. Anders ausgedrückt, ein Mitgliedstaat sei zwar berechtigt, eine bestehende Befreiung "weiterhin" in Kraft zu lassen, dürfe sie aber nicht teilweise aufheben. Meines Erachtens weisen die Schlussanträge des Generalanwalts Gulmann in der Rechtssache Kommission/Deutschland in die entgegengesetzte Richtung. Er stimmte der uneingeschränkten Forderung, daß Befreiungen in ihrer ursprünglichen Form entweder nur vollständig oder gar nicht anzuwenden seien, nicht zu. Ein grundsätzliches Argument aufgreifend, das das Vereinigte Königreich und die Kommission in diesem Fall vorgetragen haben, war er der Meinung, daß "eine enge Auslegung der Übergangsbestimmung ungünstige Auswirkungen auf die einheitliche Anwendung der Richtlinie ... haben kann" und daß ein Mitgliedstaat gezwungen sein könnte, "den bestehenden Rechtszustand voll beizubehalten, obwohl er es für möglich, zweckmässig und wünschenswert hält, die in der Richtlinie niedergelegte Regelung im übrigen in seinem Gebiet durchzuführen"(17). Nach meiner Meinung gelten diese Erwägungen für den vorliegenden Fall entsprechend, in dem der Umfang der Befreiung im Laufe der Zeit eingeschränkt worden ist. Der Ausschluß "der Aufrechterhaltung teilweiser ... Übergangsbestimmungen" in Randnummer 17 des Urteils des Gerichtshofes bezog sich auf die besonderen Bestimmungen des Artikels 26 und Nummer 27 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie(18).

32 Insgesamt gesehen kann ich weder in Artikel 28 in Verbindung mit Nummer 16 des Anhangs F noch im Aufbau und der Zielsetzung der Sechsten Richtlinie einen Anhaltspunkt dafür finden, daß es einem Mitgliedstaat verwehrt wäre, einen bestehenden Befreiungstatbestand so zu verändern, daß nur sein sachlicher Geltungsbereich eingeschränkt wird. Mitgliedstaaten sollten nicht davon abgebracht werden, die vorübergehend zugelassenen Mehrwertsteuerbefreiungen schrittweise abzubauen. Jedenfalls sollte jeder Zweifel im Hinblick auf die nach 1977 erlassenen nationalen Rechtsvorschriften, die vorübergehende Befreiungen betreffen, meines Erachtens von den nationalen Gerichten nach dem Grundsatz gelöst werden, daß jede Einschränkung des Umfangs bereits bestehender Befreiungen weit auszulegen ist. Solche Rechtsvorschriften haben schließlich die gleiche Wirkung wie eine Ausnahme von einer der obligatorischen Befreiungen in Titel X der Sechsten Richtlinie.

IV - Ergebnis

33 Daher möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen, auf die ihm vom VAT and Duties Tribunal Manchester vorgelegte Frage für Recht zu erkennen:

Bei Lieferungen von Grundstücken, die als Baugrundstücke gelten, darf ein Mitgliedstaat die Lieferung nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Nummer 16 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage von der Mehrwertsteuer befreien, auch wenn er erstens nach dem Erlaß der Sechsten Richtlinie eine Option für den Verzicht auf die Mehrwertsteuerbefreiung für solche Lieferungen eingeführt hat und zweitens den sachlichen Geltungsbereich der Befreiungsregelung, die er auf solche Lieferungen anwendet, eingeschränkt hat, so daß eine vorher von der Mehrwertsteuer befreite Lieferung nun der Mehrwertsteuer unterliegt.

(1) - Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. L 145, S. 1 (nachstehend: Sechste Richtlinie).

(2) - Achtzehnte Richtlinie 89/465/EWG des Rates vom 18. Juli 1989 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Aufhebung bestimmter in Artikel 28 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG vorgesehener Ausnahmeregelungen, ABl. 1989, L 226, S. 21. Verschiedene vorübergehende Ausnahmen, die ursprünglich nach dem Anhang F zulässig waren, wurden durch Artikel 1 Absatz 2 der Achtzehnten Richtlinie abgeschafft.

(3) - Rechtssache C-468/93 (Gemeente Emmen, Slg. 1996, I-1721).

(4) - Ebenda, Randnr. 20.

(5) - Ebenda, Randnr. 25.

(6) - Ebenda, Randnr. 26 und Tenor des Urteils.

(7) - Die Kommission verweist dazu auf die Rechtssache 70/83 (Kloppenburg, Urteil vom 22. Februar 1984, Slg. 1984, 1075).

(8) - Rechtssache C-74/91 (Slg. 1992, I-5437).

(9) - Rechtssache 73/85 (Kerrutt, Slg. 1986, 2219).

(10) - Nr. 27.

(11) - A. a. O., siehe vorstehend Fußnote 9.

(12) - Nr. 4 der Schlussanträge.

(13) - Randnr. 17.

(14) - Ebenda.

(15) - A. a. O., siehe vorstehend Fußnote 8.

(16) - Der Gerichtshof kommt dann im ersten Satz von Randnr. 17 zu dem Ergebnis, daß Deutschland, da es unstreitig für die verschiedenen von den Reisebüros erbrachten Umsätze die allgemeine Mehrwertsteuerregelung nicht beibehalten, sondern eine auf Artikel 26 der Sechsten Richtlinie gestützte Sonderregelung erlassen hat, nicht "geltend machen kann, [es] könne bestimmte Umsätze, deren Befreiung in dieser Vorschrift nicht vorgesehen ist, weiterhin befreien".

(17) - Rechtssache Kommission/Deutschland, Nr. 21 der Schlussanträge.

(18) - Dies folgt aus Satz 2 der Randnr. 17, wo der Gerichtshof feststellte, daß "die Zulassung der Aufrechterhaltung teilweiser, in den für Reisebüros geltenden Übergangsbestimmungen der Sechsten Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehener Steuerbefreiungen gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstossen" würde (Hervorhebung von mir).