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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0276

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 27. Januar 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung - Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuer - Gestattung der Straßenbenutzung gegen eine Maut - Kein Mehrwertsteuer-Tatbestand - Verordnungen (EWG, Euratom) Nrn. 1552/89 und 1553/89 - Mehrwertsteuereigenmittel. - Rechtssache C-276/97.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06251


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einführung

1 Die Kommission erhebt im Rahmen des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens den Vorwurf, Frankreich habe gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem die Autobahngebühren (Maut) nicht der Mehrwertsteuer unterworfen worden und dadurch keine entsprechenden Zahlungen von Eigenmitteln nebst Zinsen erfolgt seien.(1)

2 In Frankreich werden Gebühren für die Benutzung bestimmter Autobahnabschnitte erhoben. Diese Gebühren werden aber nicht umsatzsteuerbelastet, da sie in Frankreich als Abgaben gelten, die dem Staat zufließen. Die Gebühr wird nicht als Entgelt für eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen, mit der Folge, daß keine Mehrwertsteuer erhoben wird. Die Bewirtschaftung und der Unterhalt der mautpflichtigen Strecken kann - anders als deren Planung und Bau - im Wege der Konzessionsvergabe an staatliche, halbstaatliche oder in bestimmten Fällen an private Einrichtungen übertragen werden.(2)

II - Vorverfahren

3 Mit Schreiben vom 26. April 1984 forderte die Kommission die französischen Behörden auf, sich zur Mehrwertsteuerregelung für die Konzessionäre der französischen Autobahnen zu äußern.

4 Die französischen Behörden erklärten in ihrer Antwort vom 5. Juli 1984, die Konzessionäre seien Steuereinnehmer, indem sie von den Benutzern Steuern zugunsten des Staates erhöben. Zu versteuern sei allein ihr Einkommen, das sie als Gegenleistung für die dem Staat erbrachte Dienstleistung erhielten.

5 Am 12. März 1986 übermittelte die Kommission der Französischen Republik ein Mahnschreiben, in dem sie die Auffassung vertrat, daß die Tätigkeit der Konzessionäre der französischen Autobahnen eine Dienstleistung sei, die den Benutzern und nicht dem Staat erbracht werde, und daß die Nichterhebung der Mehrwertsteuer das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem verfälsche.

6 Die französischen Behörden bekräftigten mit Schreiben vom 22. Mai 1986 ihre Auffassung.

7 Am 28. April 1988 übermittelte die Kommission der Französischen Republik ein zusätzliches Mahnschreiben, in dem sie ihre Beschwerdepunkte im Licht der von Frankreich gemachten Angaben erläuterte.

8 Mit Schreiben vom 17. Februar 1989 erklärten die französischen Behörden erneut, bei der Maut handele es sich dem Wesen nach um eine steuerähnliche Abgabe.

9 Am 28. August 1989 übermittelte die Kommission der französischen Regierung eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die sich sowohl auf den Verstoß gegen die Richtlinienvorschriften als auch auf die Auswirkungen dieses Verstoßes auf die Zahlung der Eigenmittel der Gemeinschaft bezog.

10 Frankreich kam zwar der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nach, beantwortete sie jedoch mit Schreiben vom 29. November 1989. Diese Antwort enthielt im wesentlichen die bisher schon vorgebrachten Argumente.

11 Mit Schreiben vom 20. Dezember 1985 wies der Generaldirektor der Kommission für Haushaltsfragen die französische Regierung darauf hin, daß der vorgenannte Richtlinienverstoß eine ungerechtfertigte Verkürzung der Eigenmittel der Gemeinschaft zur Folge habe und forderte sie auf, zu ermitteln, welche Beträge in den Haushaltsjahren 1981 bis 1984 nicht überwiesen worden seien, und diese dann dem Gemeinschaftshaushalt nebst Verzugszinsen ab 31. März 1986 zukommen zu lassen.

12 Die französischen Behörden lehnten dies mit Schreiben vom 27. Februar 1986 unter Hinweis auf rechtliche und wirtschaftliche Gründe ab.

13 Mit Mahnschreiben vom 28. Januar 1988 forderte die Kommission die französische Regierung gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) zur Stellungnahme auf.

14 Die französische Regierung erklärte in ihrem Schreiben vom 19. September 1988, die Erhebung der Mehrwertsteuer auf die Gesamtheit der Maut hätte in Anbetracht der Abzüge, die von den Konzessionären selbst und von den mehrwertsteuerpflichtigen Autobahnbenutzern gemacht werden könnten, zur Folge, daß die bisher geleisteten Eigenmittelbeiträge zu hoch angesetzt gewesen seien.

15 Mit Schreiben vom 17. Januar 1989 dehnte die Kommission die Zahlungsaufforderung auf die Haushaltsjahre 1985 bis 1987, zuzüglich Verzugszinsen ab dem 1. Mai 1989, sowie auf die nachfolgenden Haushaltsjahre bis zur Beendigung des Verstoßes aus.

16 Frankreich übermittelte mit Schreiben vom 29. November 1989 der Kommission Angaben und Erläuterungen, damit sie die von den Konzessionären der Autobahnen nach dem gegenwärtigen System entrichtete Mehrwertsteuer sowie die Mehrwertsteuer ermitteln könne, die sich aus dem von der Kommission befürworteten System ergebe.

17 Die Kommission konnte sich der Auffassung Frankreichs nicht anschließen und erhob daher die vorliegende Klage nach Artikel 169 EG-Vertrag, die bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 30. Juli 1997 eingegangen ist.

18 Sie beantragt,

1. festzustellen, daß die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstoßen hat, indem sie die Autobahnmautgebühren als Gegenleistung für die den Benutzern erbrachte Dienstleistung entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat;

2. festzustellen, daß Frankreich gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstoßen hat, indem es die entsprechenden Beträge nebst Verzugszinsen nicht der Kommission als Eigenmittel zur Verfügung gestellt hat;

3. der Französischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

19 Die Französische Republik beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

III - Rechtlicher Rahmen

1. Zur Erhebung der Mehrwertsteuer

Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(3) (im folgenden: Richtlinie)

20 Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

... "

21 Artikel 4 Absätze 1, 2 und 5 der Richtlinie lauten:

"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers, oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfaßt.

...

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten[(4)], sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13[(5)] ... von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen."

2. Zu den Eigenmitteln

a) Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel(6)

22 Artikel 1 lautet:

"Die MWSt.-Eigenmittel ergeben sich aus der Anwendung des nach dem Beschluß 88/376/EWG, Euratom festgesetzten einheitlichen Satzes auf die gemäß dieser Verordnung festgelegte Grundlage."

23 Artikel 2 Absatz 1 bestimmt:

"Die Grundlage für die MWSt.-Eigenmittel wird anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 77/388/EWG ... festgelegt, wobei die steuerfreien Umsätze gemäß den Artikeln 13 bis 16 der genannten Richtlinie ausgenommen sind."

b) Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1552/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften(7)

24 Artikel 11 lautet:

"Bei verspäteter Gutschrift auf dem in Artikel 9 Absatz 1 genannten Konto hat der betreffende Mitgliedstaat Zinsen zu zahlen, deren Satz dem am Fälligkeitstag auf dem Geldmarkt des betreffenden Mitgliedstaats für kurzfristige Finanzierung geltenden Zinssatz - erhöht um 2 Prozentpunkte - entspricht. Dieser Satz erhöht sich um 0,25 Prozentpunkte für jeden Verzugsmonat. Der erhöhte Satz findet auf die gesamte Dauer des Verzugs Anwendung."

c) Beschluß 88/376/EWG, Euratom des Rates vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften(8)

25 Fehlende Mehrwertsteuereigenmitteleinnahmen werden durch die Bruttosozialprodukteigenmittel gemäß diesem Beschluß im Rahmen der Restfinanzierung ausgeglichen, was zu einer Umverteilung zu Lasten der anderen Mitgliedstaaten führt.

IV - Parteivorbringen

26 Nach Auffassung der Kommission stellt die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut durch den Benutzer, wie es in Frankreich der Fall ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Artikel 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie dar.

27 Auch wenn diese Tätigkeit, wie in Frankreich, nach einem besonderen System von Konzessionen ausgeübt werde, die der Staat an staatliche, halbstaatliche oder in bestimmten Fällen an private Einrichtungen vergebe, bedeute dies nicht, daß diese Tätigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer falle. Es handele sich nämlich zum einen um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, und zum anderen werde sie von Steuerpflichtigen im Sinne des Artikels 4 ausgeübt, bei denen es sich auch um öffentlich-rechtliche Einrichtungen handeln könne.

28 Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit sei objektiv unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität zu beurteilen. Es sei nicht erforderlich, daß Dienstleistungen primär oder ausschließlich am Marktgeschehen orientiert seien; es reiche aus, daß sie tatsächlich in irgendeiner Weise mit dem Wirtschaftsleben zusammenhingen.

29 Die Gegenleistung für die Maut bestehe in der den Benutzern erbrachten Dienstleistung, nämlich Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Sicherheit sowie unter Umständen in einer kürzeren Fahrtstrecke. Da die Benutzer nicht gezwungen seien, dieses gebührenpflichtige Netz in Anspruch zu nehmen, gebe es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Dienstleistung und dem gezahlten Preis.

30 Die Ausübung einer solchen wirtschaftlichen Tätigkeit durch staatliche Stellen oder für deren Rechnung sei vom Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt zu unterscheiden. Die einzigen Tätigkeiten, für die der Staat und seine örtlichen Gebietskörperschaften nicht als Steuerpflichtiger anzusehen seien, seien gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie solche, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübten.

31 Der allgemeine Charakter der Mehrwertsteuer habe zur Folge, daß alle wirtschaftlichen Vorgänge zu besteuern seien. Der Staat und die anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen seien nicht grundsätzlich von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur hinsichtlich der Tätigkeiten, die sie als öffentliche Gewalt im engeren Sinne ausübten. Hinzu komme, daß sie selbst in diesen Fällen gemäß Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 dann mehrwertsteuerpflichtig seien, wenn ihre Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

32 Stelle ein Konzessionär den Benutzern eine Straßeninfrastruktur zur Verfügung, die er zu bewirtschaften habe, so übe er damit keine Tätigkeit der öffentlichen Gewalt im engeren Sinne aus, sondern es handele sich um einen steuerpflichtigen Vorgang wie bei der Versorgung mit Gas, Strom und Wasser, den Post- und Fernmeldediensten oder den Dienstleistungen auf Flughäfen. Diejenigen Tätigkeiten, die darin bestuenden, aus der Bewirtschaftung eines Gegenstands nachhaltige Einkünfte zu erzielen, fielen durchaus in den Anwendungsbereich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie.

33 Die Nichterhebung der Mehrwertsteuer auf die Maut habe ernste Folgen nicht nur auf lokaler Ebene, sondern für die Gesamtheit aller Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft, die die kostenpflichtigen französischen Straßeninfrastrukturen im Rahmen ihrer steuerpflichtigen Tätigkeiten in Anspruch nähmen, denn sie könnten diese Aufwendungen, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit belaste, nicht im Einklang mit der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie absetzen. Die Nichterhebung der Mehrwertsteuer habe daher erhebliche Auswirkungen auf das Funktionieren des harmonisierten Systems der Mehrwertsteuer, das im Rahmen des Gemeinsamen Binnenmarktes eine wichtige Rolle spiele. Daher sei von erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auszugehen. Eine Ungleichbehandlung lasse sich auch hinsichtlich der Mitgliedstaaten in bezug auf den Gemeinschaftshaushalt feststellen, denn durch den Ausgleich über das Bruttosozialprodukt hätten sie höhere finanzielle Belastungen zu tragen.

34 Hinsichtlich des Vorwurfs eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über die Erhebung der Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer trägt die Kommission vor, daß im vorliegenden Fall das Eigenmittelaufkommen der Gemeinschaften verringert werde. Die Kommission müsse feststellen können, wie hoch der Betrag der geschuldeten Eigenmittel sei, um einen finanziellen Schaden zu vermeiden, der über das Bruttosozialprodukt ausgeglichen werden müßte. Ein solcher Verstoß füge den anderen Mitgliedstaaten einen finanziellen Nachteil zu und verletze demnach den Grundsatz der Gleichbehandlung.

35 Frankreich habe der Kommission jedoch nicht die Möglichkeit gegeben, die Zahlen und die Berechnungsmethode zu überprüfen, die die französischen Behörden als Begründung dafür vorgetragen hätten, daß Frankreich, sollte die Auffassung der Kommission zutreffen, sogar einen Anspruch auf Rückzahlung der seit 1981 im Rahmen der Eigenmittel zuviel gezahlten Beträge habe. Der von der französischen Regierung behauptete Erstattungsanspruch bestehe jedenfalls nicht, denn entweder stehe das französische System mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang und eine Berichtigung der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuereigenmittel ergebe sich nicht, oder es verstoße gegen die Richtlinie mit der Folge, daß sich die Bemessungsgrundlage erhöhe.

36 Hinsichtlich der Verzugszinsen verweist die Kommission auf Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89. Frankreich sei darauf hingewiesen worden, daß für die aufgrund der Nichterhebung der Mehrwertsteuer nicht gezahlten Beiträge zu den Eigenmitteln vom 31. März 1986 an Verzugszinsen zu zahlen seien.

37 Die französische Regierung trägt vor, für die Bewirtschaftung der Autobahnen sowie für die Erhebung einer Maut habe der französische Gesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, Konzessionen zu vergeben. Nach dem französischen Straßen- und Wegegesetz würden Autobahnen zum öffentlichen Straßennetz gehören. In Anbetracht der nationalen Bedeutung des Autobahnnetzes habe nur der Staat die Mittel, dieses Netz in abgestimmter Weise auszubauen und dafür zu sorgen, daß Ausnahmen vom Grundsatz der kostenlosen Nutzung des Straßennetzes weiterhin begrenzt blieben. Überdies beruhe der Bau einer Autobahn in jedem Fall auf einer Entscheidung der öffentlichen Hand, d. h. auf einem Dekret des Conseil d'Etat, der die Autobahn zugleich zum Gemeingebrauch widmen könne.

38 Zwar sei der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie objektiv unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität des jeweiligen Vorgangs zu beurteilen, jedoch sei dabei eine Prüfung der innerstaatlichen Regelung unerläßlich, um genau unterscheiden zu können, bei welchen Tätigkeiten die öffentlichen Einrichtungen hoheitlich und bei welchen sie privatwirtschaftlich handelten.

39 Im vorliegenden Fall geht die französische Regierung davon aus, daß der Staat bei der Erhebung der Maut Hoheitsgewalt ausübe. Er sei Eigentümer des öffentlichen Straßennetzes und verfüge über eine ausschließliche Hoheitsgewalt, die er in Form von Verwaltungsakten, namentlich im Hinblick auf Regeln für die Benutzung der Autobahnen und für den Autobahnverkehr ausübe. Zudem sei der Staat verpflichtet, die Autobahnen den Straßenbenutzern zur Verfügung zu stellen. Der Staat besitze auch im Rahmen dieser Tätigkeit über das allgemeine Recht hinausgehende Machtbefugnisse wie z. B. die Festlegung der Gebühren durch Verordnung. Letztlich habe der Staat das Monopol zum Bau und zur Einstufung der Autobahnen. Aus diesen Elementen ergebe sich, daß es sich im vorliegenden Fall um eine hoheitliche Tätigkeit einer öffentlichen Einrichtung handele.

40 Da die Tätigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, könne auch ein eventuell zwischen der erbrachten Dienstleistung und der erhaltenen Gegenleistung bestehender Zusammenhang keineswegs den vorherigen Ausschluß dieser Tätigkeit einer hoheitlich handelnden öffentlichen Einrichtung vom Anwendungsbereich der Steuer in Frage stellen. Auch die Kommission sehe die Maut nicht immer als bloße Gebühr für eine dem Benutzer erbrachte Dienstleistung an, sondern messe ihr insbesondere eine Rolle bei der Ausrichtung der Nachfrage zu.(9)

41 Hinsichtlich des Problems der Wettbewerbsverzerrung vertritt die französische Regierung die Auffassung, daß sich die französischen und die ausländischen Wirtschaftsteilnehmer in der gleichen Situation befänden, so daß letztere nicht benachteiligt seien. Was die geltend gemachte Ungleichbehandlung der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Gemeinschaftshaushalts angehe, handele es sich nicht um eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie.

42 Hinsichtlich des Vorwurfs eines Verstoßes gegen die Eigenmittelvorschriften trägt die französische Regierung vor, es läge weder ein Verstoß gegen die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie vor, noch sei es zu einer Verringerung der Bemessungsgrundlage der Eigenmittel gekommen. Insofern dürften keine zusätzlichen Zahlungen verlangt werden. Frankreich habe sich auch nicht einer Prüfung der Daten und Berechnungsmethoden widersetzt. Frankreich sei bei der Berechnung der Mehrwertsteuereigenmittel entsprechend den einschlägigen Vorschriften der Verordnungen Nrn. 1552/89 und 1553/89 vorgegangen. Würde man jedoch die Berechnungsmethode der Kommission zugrunde legen, so ergebe sich für das Haushaltsjahr 1987 durch berechtigte Abzüge der Mehrwertsteuer durch die Steuerpflichtigen eine Einnahmeverringerung in Höhe von 522 Millionen FRF, was zu einer Verringerung der Grundlage der Mehrwertsteuereigenmittel um 3,249 Milliarden FRF und zu einem um 45,5 Millionen FRF verringerten Haushaltsbeitrag Frankreichs führen würde. Diese auf die anderen Jahre übertragbare Methode mache deutlich, daß systematisch überhöhte Zahlungen zum Gemeinschaftshaushalt geleistet worden wären, lege man die Berechnung der Kommission zugrunde.

V - Würdigung

1. Erhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut

43 Entsprechend der Ausgestaltung der Richtlinie soll zunächst geprüft werden, ob eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt. Dazu müßte es sich um eine Dienstleistung gegen Entgelt handeln. Sodann ist zu prüfen, ob eine solche Leistung von einem Steuerpflichtigen erbracht wird und im bejahenden Fall, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt.

a) Dienstleistung gegen Entgelt

44 Die Dienstleistung besteht im vorliegenden Fall in der Bereitstellung der Infrastruktur.

45 Diese Dienstleistung wird auch gegen ein entsprechendes Entgelt - die erhobene Maut - erbracht. Der Gerichtshof hat zu der Frage, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird, bereits ausgeführt, daß zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muß, damit eine Dienstleistung als steuerpflichtig angesehen werden kann.(10)

46 Dieser unmittelbare Zusammenhang besteht darin, daß für die Bereitstellung die entsprechende Maut gezahlt wird, deren Höhe wiederum von der Art des jeweiligen Fahrzeugs und der Länge der Strecke abhängt.

47 Bei der Maut handelt es sich auch nicht um eine Steuer, denn eine Steuer ist eine Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da im vorliegenden Fall aber eine konkrete Gegenleistung in Form der Bereitstellung bestimmter Teile der Verkehrswegeinfrastruktur erbracht wird, handelt es sich um eine Gebühr, die als Entgelt für eine Dienstleistung anzusehen ist.

48 Somit liegt eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vor.

b) Steuerpflichtiger

49 Nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit - und das sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden - selbständig ausübt.

50 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Richtlinie gelten die Staaten, Länder, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts dagegen nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Das gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten z. B. Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

aa) Hoheitliche Tätigkeit

51 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, daß für die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige zwei Voraussetzungen nebeneinander erfuellt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt.(11)

52 Zum einen bedeutet dies, daß nicht alle Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts automatisch von der Steuer befreit sind, sondern nur solche, durch die gleichzeitig eine spezifische Aufgabe im Rahmen der öffentlichen Gewalt wahrgenommen wird. Zum anderen ergibt sich daraus, daß die Tätigkeit einer Privatperson nicht allein deswegen von der Mehrwertsteuer befreit ist, weil sie in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht.(12)

53 Bei der Definition der Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt kann nicht auf den Gegenstand oder die Zielsetzung der Tätigkeit der öffentlichen Einrichtung abgestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist aufgrund der Ausübungsmodalitäten der Tätigkeit zu bestimmen, inwieweit die öffentlichen Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige behandelt werden können.(13)

54 Der Gerichtshof hat daher entschieden, daß die in Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung tätig werden.(14) Handeln sie dagegen unter gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, so kann nicht von einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgegangen werden.

55 Da nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie auch solche Tätigkeiten als steuerpflichtig betrachtet werden, die kraft Gesetzes erbracht werden, zeigt sich, daß allein die Zuordnung einer Tätigkeit in den Bereich des öffentlichen Rechts nicht ausreicht, um den Steuerbefreiungstatbestand des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 zu erfuellen. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmebestimmung der Definition des Steuerpflichtigen handelt, ist diese restriktiv auszulegen. Als von der Mehrwertsteuer befreit können daher nur jene Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt angesehen werden, die in den Kernbereich hoheitlichen Handelns fallen. Dies wird auch durch Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 bestätigt, der auf die in Anhang D genannten Tätigkeiten - siehe oben, Nummer 21 - verweist, für die auch die öffentliche Hand mehrwertsteuerpflichtig ist.

56 Die Planung und der Bau von Straßen, Brücken und Tunneln zählen zu den Aufgaben hoheitlichen Handelns, deren Ausübung der öffentlichen Hand vorbehalten ist. Diese Tätigkeiten betreffen einen wesentlichen Teil und damit einen Kernbereich öffentlicher Aufgaben. Sie können als Teil der Daseinsvorsorge betrachtet werden. Wird der Staat hier tätig, muß davon ausgegangen werden, daß dies im Rahmen der öffentlichen Gewalt geschieht.

57 Richtig ist, daß das Bereitstellen von Straßen nicht ausdrücklich - wie die Belieferung mit Gas, Elektrizität und Wasser in Anhang D - als mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit eingestuft wird. In der Tat ist das kostenlose Bereitstellen der Verkehrsinfrastruktur als eine hoheitliche Tätigkeit zu verstehen. Es mag dahinstehen, ob umgekehrt das als hoheitliche Aufgabe und mit Steuermitteln gebaute Straßennetz in der Gänze privatwirtschaftlich gegen eine Maut, die dann von allen verlangt wird, betrieben werden könnte. In jedem Fall kann aber das selektive - weil kostenpflichtige - Zurverfügungstellen eines beschränkten Streckenabschnitts nicht als eine Tätigkeit angesehen werden, die in Ausübung der öffentlichen Gewalt erfolgt. Das Erheben einer Maut ist zwar auch bei einer hoheitlichen Tätigkeit möglich und begründet allein noch keine Steuerpflicht, wie Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 ja ausdrücklich bestimmt. Zu bedenken ist jedoch, daß dem Benutzer im vorliegenden Fall die Auswahl zwischen einer gebührenfreien und einer gebührenpflichtigen Inanspruchnahme der Verkehrsinfrastruktur bleibt. Mit der Zurverfügungstellung des gebührenfreien Verkehrsnetzes ist eine hoheitliche Tätigkeit auf jeden Fall erschöpft und das Zurverfügungstellen zusätzlicher Strecken gegen eine Maut ist dagegen als eine rein privatwirtschaftliche Tätigkeit einzustufen. Wer eine gebührenpflichtige Baugenehmigung braucht, hat keine Auswahlmöglichkeit. Wer ein Studium absolviert, für das alle Gebühren bezahlen müssen, hat keine Ausweichmöglichkeit, um zum gleichen Ziel - dem betreffenden konkreten Studienabschluß - zu kommen. Im vorliegenden Fall hat der Nutzer jedoch eine echte Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, um - wenn auch umständlicher oder langsamer - zum gleichen Ziel zu gelangen. Das mautpflichtige Streckennetz wird zwar allen zur Verfügung gestellt, die bereit sind zu bezahlen, aber auch nur diesen. Darin ist eine Selektion zu sehen, die einem hoheitlichen Handeln fremd ist. Es sind vor allem wirtschaftlich-finanzielle Gründe, die zur Erhebung der Maut führen. Das Zurverfügungstellen einer beschränkten Strecke gegen eine Maut kann daher nicht als eine Tätigkeit im hoheitlichen Sinne angesehen werden.

58 Eine Anwendung der Vorschrift des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 auf den vorliegenden Fall kommt somit nicht in Betracht, da die Bereitstellung der Infrastruktur gegen Zahlung einer Maut nicht als Tätigkeit angesehen werden kann, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird. Die mit der Erhebung der Maut betrauten Einrichtungen sind somit als Steuerpflichtige anzusehen.

bb) Wirtschaftliche Tätigkeit

59 Nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie gilt wie erwähnt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt.

60 Als wirtschaftliche Tätigkeit definiert Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie "alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden".

61 Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und daß es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird.(15)

62 Geht man von einem solch weiten Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit aus, so ist nicht erforderlich, daß Dienstleistungen primär oder ausschließlich am Marktgeschehen oder am Wirtschaftsleben orientiert sein müssen. Es reicht aus, daß sie tatsächlich in irgendeiner Weise mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängen.(16) Im vorliegenden Fall wird die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut nach einem besonderen System von Konzessionen ausgeübt, die der Staat an staatliche, halbstaatliche oder auch private Einrichtungen vergeben kann.

63 Auch wenn die Vergabe der Konzessionen sich in Frankreich nach öffentlichem Recht richtet und die mautpflichtigen Autobahnen zum öffentlichen Straßennetz gehören, ist dies unerheblich bei der Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie können steuerpflichtige Dienstleistungen nämlich auch in der Ausführung eines Dienstes aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes bestehen. Auch der objektive Charakter des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit spricht im vorliegenden Fall für eine Qualifikation als wirtschaftliche Tätigkeit, da es auf die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, ankommt.

64 Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität stellt für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ein grundlegendes Kriterium dar.(17) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß den Straßenbenutzern gegen Zahlung einer Gebühr in Form der Maut bestimmte Teile der Straßeninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Da somit von den jeweiligen Einrichtungen diese Tätigkeit betrieben wird, auch um Einnahmen zu erzielen, um daraus ihren materiellen Aufwand und gleichzeitig ihr Einkommen zu bestreiten, ergibt sich, daß im hier zu prüfenden Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

c) (Hilfsweise) Zur Frage der Wettbewerbsverzerrungen

65 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 gelten Staaten, Gemeinden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts selbst für Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbringen, dann als Steuerpflichtige, wenn ihre Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dieser Unterfall bräuchte aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht geprüft zu werden, da von einer nicht-hoheitlichen Tätigkeit ausgegangen werden muß. Die Prüfung erfolgt daher nur hilfsweise.

66 Eine Wettbewerbsverzerrung im vorgenannten Sinn würde dann vorliegen, wenn die nicht-steuerpflichtige staatliche Einrichtung hinsichtlich einer gleichen Leistung mit einem steuerpflichtigen Privaten konkurrieren würde und deshalb ihre Dienstleistung wegen der Steuerbefreiung billiger anbieten könnte. Bei der Zurverfügungstellung einer Verkehrsinfrastruktur der vorliegenden Art gibt es jedoch keine privatrechtlich einzuordnende Konkurrenz, so daß es auch keinen Wettbewerb geben kann.

67 Die von der Kommission genannten Beispiele der Wettbewerbsverzerrungen sind hier nicht stichhaltig. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Richtlinie - ausweislich mehrerer Bestimmungen - auf inländische Vorgänge beschränkt. Eine Verletzung der Pflicht zur Gleichbehandlung mit Inländern ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zum anderen beruhen die erwähnten Verzerrungsfälle - Unmöglichkeit des Vorsteuerabzugs einerseits bzw. Kostenvergünstigung andererseits - nicht auf der Nichtbesteuerung bzw. der Steuerpflicht, sondern auf der falschen Rechtsanwendung. Nach Klärung durch die Rechtsprechung werden die Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuer sicher in gleicher Weise erheben. (Gleiches wird dann auch für die Zahlungen zu den Eigenmitteln gelten.) Folgte man im übrigen dem Vortrag der Kommission, wären die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Ländern am größten, in denen überhaupt keine Straßenmaut erhoben wird.

68 Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2, die eine Behandlung als Steuerpflichtiger begründen würden, liegen also nicht vor. Jedoch kommt es darauf - wie in den Nummern 45 bis 63 ausgeführt - nicht an. Im vorliegenden Fall ist eine der Mehrwertsteuer zu unterwerfende Leistung gegeben, da es sich bei der Erhebung der Maut nicht um eine hoheitliche Tätigkeit handelt.

d) Zwischenergebnis

69 Es ist somit festzustellen, daß Frankreich gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen hat, da die Autobahnmaut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wurden.

2. Eigenmittel

70 Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 wird die Grundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel anhand der steuerbaren Umsätze im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegt. Die jeweiligen Eigenmittelbeiträge ergeben sich dann aus der Anwendung eines festgesetzten einheitlichen Satzes auf dieser Grundlage.

71 Da im vorliegenden Fall von Steuerpflichtigen Leistungen erbracht wurden, hätte die Maut der Mehrwertsteuer unterworfen werden müssen. Da dies jedoch nicht geschehen ist, konnten die entsprechenden Beträge nicht zur Festsetzung der Grundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel herangezogen werden.

72 Somit liegt ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über die Erhebung der Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer vor. Es ist dabei unerheblich, ob - wie von der französischen Regierung vorgetragen - die Neuberechnung der Eigenmittelbeiträge zu einem Ergebnis zu Ungunsten der Gemeinschaften führen würde. Nach den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ist allein entscheidend, daß diese Eigenmittel zunächst anhand der richtigen Grundlage ermittelt werden und die entsprechenden Forderungen (des Mitgliedstaats) gegenüber dem Steuerpflichtigen festgestellt werden. Es ist daher die Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Berechnungen vorzunehmen, das Ergebnis der Kommission mitzuteilen und dementsprechend die fälligen Mittel zu leisten.

73 Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus Artikel 11 der Verordnung Nr. 1552/89, wonach bei verspäteter Gutschrift der Eigenmittelbeiträge Verzugszinsen zu zahlen sind. Es kommt dabei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf den Grund der Verspätung an.(18)

3. Zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils

74 Nachdem festgestellt wurde, daß Frankreich gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, könnte fraglich sein, ob die Kommission auch berechtigt ist, die daraus resultierenden Ansprüche gegen Frankreich für die gesamte in Frage kommende Zeit durchzusetzen.

75 Kennzeichnend für das Vertragsverletzungsverfahren ist zunächst, daß der Mitgliedstaat bei einer begründeten Klage alle Maßnahmen zu ergreifen hat, um die Vertragsverletzung zu beseitigen. Dagegen kann der Gerichtshof, da es sich insoweit um ein Feststellungsurteil handelt, nicht die Verpflichtung des beklagten Staates aussprechen, den Verstoß abzustellen oder die angegriffene Maßnahme aufzuheben bzw. zu ändern.

76 Folglich ist der Gerichtshof nicht befugt, Frankreich förmlich zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands bezüglich der Mehrwertsteuererhebung zu verurteilen. Allerdings kann der Gerichtshof im Vertragsverletzungsverfahren die Pflicht Frankreichs zur Beseitigung des vertragswidrigen Zustands näher erörtern.

77 Es ist daher zu prüfen, wie sich die Pflicht Frankreichs zur Beseitigung des Vertragsverstoßes konkret darstellt und welche Rolle dabei die lange Verfahrensdauer spielt.

78 Da die Kommission nach den Artikeln 155 (jetzt Artikel 221 EG) und 169 EG-Vertrag jeden ihr bekannt gewordenen Vertragsverstoß zu verfolgen hat, besteht eine prinzipielle Verfolgungspflicht. Sie verfügt jedoch insbesondere in bezug auf den Zeitpunkt und die Bedingungen, zu denen sie die einzelnen Verfahrensabschnitte nach Artikel 169 durchführt, über einen gewissen Beurteilungsspielraum. Auch bei einer grundsätzlichen Verfolgungspflicht sollte die Kommission jedoch immer bemüht sein, die Mitgliedstaaten auf dem üblichen Wege zur Wiederherstellung eines vertragskonformen Zustandes zu veranlassen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für die Erhebung der Klage liegt nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angegeben wurde. Eine zeitliche Obergrenze für die Anrufung des Gerichtshofes besteht grundsätzlich nicht.(19) Es liegt daher im Ermessen der Kommission, wann sie im Anschluß an die mit Gründen versehene Stellungnahme nach Ablauf der gesetzten Frist Klage erhebt.(20) Für extreme Ausnahmefälle, in denen die Kommission mit der Klage sehr lange wartet und auch sonst keine weiteren Schritte gegenüber dem Mitgliedstaat einleitet, ist der Einwand einer Verwirkung des Klagerechts, der die Zulässigkeit der Klage betreffen würde, aber nicht völlig auszuschließen.(21) Die Rechtsprechung des Gerichtshofes geht jedoch dahin, eine Verwirkung des Klagerechts der Kommission abzulehnen.(22)

79 Eine Verjährung der Ansprüche der Gemeinschaften kommt im vorliegenden Fall ebenfalls nicht in Betracht. Zum einen bestehen keine gemeinschaftsrechtlichen Verjährungsvorschriften, die anwendbar wären, und zum anderen ist auch eine sinngemäße Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelungen hinsichtlich der Verjährung von Steuerschulden nicht möglich. Eine Verjährungsfrist muß, um ihrer Funktion gerecht werden zu können, im voraus festgelegt sein. Sie muß, da es sich um eine Einrede handelt, geltend gemacht werden, was im vorliegenden Fall aber nicht geschehen ist. Da insoweit auch nichts vorgetragen wurde, braucht dieser Punkt nicht weiter geprüft zu werden. Im übrigen könnte im Rahmen der Vertragsverletzungsklage auch nicht auf die Leistung der Mittel direkt geklagt werden.

80 Die Ansprüche der Gemeinschaften auf Zahlung der Eigenmittelbeiträge könnten jedoch verfristet sein.

81 Aus Gründen der Rechtssicherheit könnte es vorliegend geboten sein, die zeitliche Wirkung der Feststellung einer Vertragsverletzung im Hinblick auf die Berichtigung der Jahresübersichten(23) zeitlich zu beschränken. Die Möglichkeit eines Rückgriffs auf den Grundsatz der Rechtssicherheit in Ermangelung einer Verjährungsregelung hat der Gerichtshof bereits in seiner Rechtsprechung anerkannt.(24)

82 Zwar sieht der Vertrag eine zeitliche Begrenzung der Wirkung von Urteilen im Vertragsverletzungsverfahren nicht ausdrücklich vor. Dies ist auch nicht notwendig, weil ein Urteil im Vertragsverletzungsverfahren durch den feststellenden Charakter im Regelfall auf die (künftige) Behebung eines vertragswidrigen Zustandes abzielt. Dieser Verfahrenstyp betrifft nicht die Wirksamkeit einer Einzelfallentscheidung wie die Nichtigkeitsklage, für die eine Beschränkung der zeitlichen Wirkung in Artikel 174 Absatz 2 (jetzt Artikel 231 EG) vorgesehen ist. Die Vertragsverletzungsklage hat regelmäßig auch nicht die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in einem Einzelfall zum Ziel, wie sie Gegenstand der Verjährungsregelung in Artikel 43 der Satzung des Gerichtshofes sind. Vielmehr hat ein Vertragsverletzungsverfahren eine grundsätzliche Feststellung über den Regelungsgehalt des Gemeinschaftsrechts zum Gegenstand. Es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, wenn der Gerichtshof bei einem Streit zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat über diesen Regelungsgehalt eine Feststellung trifft. Der bloße Zeitablauf seit Abschluß des Vorverfahrens mindert dieses Interesse grundsätzlich nicht. Sollten Ereignisse während dieser Zeitspanne das Feststellungsinteresse mindern, so würde dies möglicherweise zur Unzulässigkeit der Klage führen, aber nicht den Feststellungsanspruch als solchen beeinträchtigen, dessen Durchsetzung jederzeit erneut gerichtlich beantragt werden könnte.

83 Vorliegend knüpft an die Feststellung der Vertragsverletzung jedoch zugleich ein Zahlungsanspruch der Gemeinschaften gegen die beklagten Mitgliedstaaten an. Die damit verbundenen finanziellen Folgen erfordern auch im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit besondere Überlegungen.

84 Gegen eine zeitliche Begrenzung spricht zwar zunächst, daß der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, "daß im Fall von Vorschriften, die finanzielle Konsequenzen haben können, das Gebot der Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit in besonderem Maße gilt".(25) Eine Abwägung von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit mindert die Eindeutigkeit und Vorhersehbarkeit. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß die erhebliche Verzögerung der Einleitung der gerichtlichen Phase des Vertragsverletzungsverfahrens seitens der Kommission gleichfalls nicht mit dem Gebot der Eindeutigkeit und der Vorhersehbarkeit vereinbar ist.

85 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes darf ein Streit zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat über die zu erhebenden Eigenmittel auch nicht dazu führen, daß das finanzielle Gleichgewicht der Gemeinschaft beeinträchtigt wird.(26) Vorliegend könnte eine zeitliche Begrenzung der Berichtigung dazu führen, daß einige Mitgliedstaaten gemäß dem Gemeinschaftsrecht Mittel an die Gemeinschaft abführten, während andere davon befreit würden. Insofern ist jedoch festzustellen, daß die Mitgliedstaaten, welche die entsprechende Mehrwertsteuer erhoben und demgemäß einen Anteil abführten, nicht benachteiligt sind. Ihnen verbleibt schließlich ein den abführenden Anteil übersteigender Mehrwertsteueranteil.

86 Dagegen scheidet eine Nacherhebung der Mehrwertsteuer für Straßennutzungsgebühren praktisch und wohl auch rechtlich aus. Aus Gründen des Vertrauensschutzes wäre in einem Fall wie dem vorliegenden auch nach mitgliedstaatlichem Recht eine Nacherhebung von Mehrwertsteuern ausgeschlossen. Ganz abgesehen davon, wären auch die praktischen Folgen einer Nacherhebung von Umsatzsteuern für den geschäftlichen Verkehr unangemessen, da die möglicherweise zu ermittelnden Steuerschuldner regelmäßig nicht diejenigen sind, welche die Steuern mit den Preisen zu bezahlen haben.

87 Lediglich die Mitgliedstaaten, die bereits Nachzahlungen leisteten, ohne zuvor entsprechende Mehrwertsteuern erhoben zu haben, wären benachteiligt. Es ist jedoch davon auszugehen, daß solche Zahlungen unter Vorbehalt einer entsprechenden Berichtigung der Jahresübersicht erfolgten. Wenn diese ausgeschlossen ist, können die betroffenen Mitgliedstaaten ihre Nachzahlungen zurückfordern.

88 Der Ausschlußfrist des Artikels 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1553/89 ist zu entnehmen, daß das Risiko der Mitgliedstaaten, aus Unkenntnis nicht erhobene Mehrwertsteueranteile abzuführen, wohl vier Haushaltsjahre nicht übersteigen soll. Andererseits sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht mehr schutzwürdig, wenn sie vor Ablauf der Frist von einer eindeutigen Beanstandung der Kommission Kenntnis erlangen. Es liegt in der Verantwortung des betroffenen Mitgliedstaats, wenn er einer Beanstandung der Kommission nicht Folge leistet und z. B. die Erhebung von Mehrwertsteuern generell unterläßt. In Kenntnis der Beanstandung kann er grundsätzlich beurteilen, welche Verpflichtungen sich aus den Mehrwertsteuerrichtlinien ergeben und dementsprechend handeln.

89 Streiten die Mitgliedstaaten aber auf der Grundlage vertretbarer Auffassungen mit der Kommission darüber, ob bestimmte Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen sind oder nicht, so kann die praktische Ausgestaltung des Berichtigungsverfahrens und insbesondere seine Anwendung durch die Kommission im vorliegenden Fall zu unangemessenen Folgen führen. Da die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft verfaßt ist, haben die Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Recht darauf, daß ein Streit über den Regelungsgehalt der Mehrwertsteuerrichtlinien in angemessener Frist vor dem Gerichtshof ausgetragen und von diesem entschieden wird.

90 Hinzu kommt, daß die Mitgliedstaaten die Frage nicht selbst zur Klärung bringen können, wenn das Vertragsverletzungsverfahren wie vorliegend im vorgerichtlichen Stadium verharrt. Die Kommission ist nicht zur Klageerhebung verpflichtet, und eine mit Gründen versehene Stellungnahme kann der Mitgliedstaat nicht angreifen. Gemeinsam könnten diese Faktoren einen Anreiz schaffen, das Vertragsverletzungsverfahren zu umgehen. Im übrigen widerspräche ein solches Verhalten der Kommission dem Geist des Berichtigungsverfahrens.

91 Im Verhältnis der Kommission zum Mitgliedstaat ist davon auszugehen, daß die vergangenen Haushaltsjahre abgeschlossen sind und eine Berichtigung nicht mehr erfolgen würde.

92 Zunächst ist fraglich, auf welchen Zeitraum sich die Klage der Kommission bezieht. Der Klageantrag ist lediglich auf Feststellung des Verstoßes gerichtet, ohne selbst einen bestimmten Zeitraum anzugeben. Zur Auslegung des Klageantrags ist auf den erkennbaren Zweck des Rechtsschutzbegehrens abzustellen, d. h., das Klageziel ist entsprechend der Klagebegründung zu ermitteln.

93 Aus dem zu den Akten gereichten Mahnschreiben der Kommission vom 28. Januar 1988 ergibt sich, daß sich die Vorwürfe der Kommission auf den Zeitraum ab 1981 bis zur Beendigung der gerügten Verstöße beziehen. Es ist daher davon auszugehen, daß auch im Rahmen der Klage auf diese Periode abgestellt wird. Auch wenn die Kommission nach Beendigung des Vorverfahrens bis zur Klageerhebung keine weiteren Schritte bezüglich der Folgejahre unternahm, ist davon auszugehen, daß sie eine Beendigung der Verstöße mit entsprechenden Wirkungen für die Folgezeit erreichen wollte. Es ist daher zu untersuchen, inwieweit die Haushaltsjahre ab 1981 abgeschlossen sind und die entsprechenden Jahresübersichten nicht mehr berichtigt werden können.

94 Artikel 9 Absatz 2 erster Halbsatz der Verordnung Nr. 1553/89 bestimmt, daß nach dem 31. Juli des vierten Jahres, das auf ein Haushaltsjahr folgt (das entspricht 43 Monaten) die Jahresübersicht nicht mehr berichtigt werden kann. Die Jahresübersicht des Haushaltsjahres 1981 könnte demzufolge nach dem 31. Juli 1985 nicht mehr berichtigt werden. Für die Folgejahre gilt eine entsprechende Berechnung. Eine Erhebung der Eigenmittel wäre somit für die Kommission nicht mehr möglich gewesen.

95 Allerdings ist fraglich, wie die Ausnahmeregelung des Artikels 9 Absatz 2 zweiter Halbsatz zu verstehen ist. Dort heißt es zur Jahresübersicht, die nicht mehr berichtigt werden kann: "... hiervon ausgenommen sind die vor diesem Termin von der Kommission oder von dem betreffenden Mitgliedstaat mitgeteilten Punkte." Für die Haushaltsjahre 1981 bis 1990 wurden die auch dieser Klage zugrunde liegenden Probleme und unterschiedlichen Rechtsauffassungen mit Frankreich erörtert.

96 Es spricht viel dafür, Artikel 9 Absatz 2 zweiter Halbsatz so auszulegen, daß eine Ausnahme von der 43-Monats-Ausschlußfrist nur dann möglich sein soll, wenn sich die Beteiligten in der Folgezeit weiterhin bemüht haben, die aufgeworfenen Probleme zu lösen. Kommt es aber zu einem längeren nicht gerechtfertigten Stillstand des Verfahrens, so wäre es sinn- und zweckwidrig, diese Vorschrift weiterhin anzuwenden. Im vorliegenden Fall fand jedoch in den Jahren von 1990 bis 1997 zwischen den Beteiligten wohl kein weiterer, ausreichender Dialog statt, der zu einer Lösung der Probleme hätte führen können. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage ausgeführt, sie habe die betreffenden Mitgliedstaaten regelmäßig auf die Eigenmittelproblematik hingewiesen und auch bezüglich der Frage der Erhebung der Mehrwertsteuer habe ein fortdauernder Dialog mit den Mitgliedstaaten bestanden.(27) Dies kann jedoch nicht als ausreichend dafür angesehen werden, daß eine gütliche Einigung hätte erreicht werden können. Eine solche war aufgrund der Standpunkte der Parteien nicht mehr möglich. Es ist auch zu bedenken, daß wegen des sich aus der Rechtslage ergebenden "entweder - oder" eine Kompromißlösung ebenfalls nicht möglich gewesen wäre.

97 Wenn es das Ziel dieser Vorschrift ist, bei komplexen Sachverhalten und umfangreichen Problemen eine Fristverlängerung zu gewähren, so muß auch erkennbar sein, daß sich die Beteiligten um eine Lösung bemühen. Andernfalls könnte die Kommission die 43-Monats-Frist nach Halbsatz 1 dadurch umgehen, daß sie regelmäßig die Jahresübersichten der Mitgliedstaaten beanstanden würde. Sie hätte dann auf unbegrenzte Zeit die Möglichkeit, die Sachverhalte zu prüfen und den Abschluß der Haushaltsjahre auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben. Dies wäre jedoch weder aus wirtschaftlichen Gründen wünschenswert noch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar. Die Kommission könnte, ohne daß sie dies rechtfertigen müßte, die Voraussetzungen gemäß Halbsatz 1 umgehen, nach dem der Stichtag für den Abschluß der Jahresübersichten der 31. Juli des vierten Jahres ist, das auf ein Haushaltsjahr folgt.

98 Da es sich bei der Vorschrift des Artikels 9 Absatz 2 nicht um eine Verjährungsvorschrift handelt, ist es unbedenklich, wenn der Mitgliedstaat nicht die Einrede der Verjährung erhoben hat. Einer Verjährung unterliegen nur Ansprüche. Artikel 9 Absatz 2 gewährt aber keinen Anspruch, sondern regelt nur die Fristen für die Berichtigung der Jahresübersichten.

99 Diese Überlegungen erlauben die Annahme, daß bei Frankreich während der langen Zeit zwischen dem Abschluß des Vorverfahrens und der Klageerhebung ein schutzwürdiges Vertrauen erwuchs, daß sich die Kommission an die Fristen des Berichtigungsverfahrens halten würde.

100 Auch wenn man der Auffassung sein sollte, schon das Vorverfahren habe eine fristunterbrechende Wirkung gehabt, so kann diese Unterbrechung ebenfalls nicht über die genannte 43-Monats-Frist ausgedehnt werden. Da zwischen dem letzten Schriftwechsel im Vorverfahren und der Klageerhebung mehr als vier Jahre - nämlich sieben Jahre - liegen, käme auch eine eventuell mögliche Fristunterbrechung durch das Vorverfahren nicht mehr zum Tragen.

101 Wegen des Vertrauensschutzes und dem allgemeinen Gedanken der Verfristung in Verbindung mit der 43-Monats-Ausschlußfrist der Berichtigungsmöglichkeit, ist daher die Erhebung der Beiträge zu den Eigenmitteln auf die vier Jahre vor der Klageerhebung zu beschränken. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, da die Klage der Kommission am 30. Juli 1997 beim Gerichtshof eingegangen ist, daß die Haushaltsjahre ab 1993 noch nicht abgeschlossen sind und eine Berichtigung weiterhin möglich ist.(28) Zur Wahrung der 43-Monats-Frist ist die Klageerhebung ausreichend, da diesbezüglich keine weiteren Verfahrensfristen bestehen. Die Zustellung der Klage an Frankreich dürfte zwar nach dem 31. Juli 1997 erfolgt sein; hieraus können jedoch keine weiteren Folgerungen für die Außenwirkung gezogen werden, da als maßgeblicher Zeitpunkt der Eingang der Klage beim Gerichtshof zu betrachten ist.

102 Da der Anspruch auf Zahlung der Beiträge zu den Eigenmitteln als solcher nicht Gegenstand des Klageantrags war, sondern sich mittelbar aus der Vertragsverletzung ergibt, war trotz der teilweisen Verfristung - was mittelbar einem teilweisen Obsiegen Frankreichs gleichkommt - die Klage insoweit nicht im übrigen abzuweisen. Entsprechendes gilt auch für die Entscheidung über die Kosten.

VI - Kosten

103 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, Frankreich die Kosten aufzuerlegen. Auch wenn der Anspruch auf Zahlung der Beiträge zu den Eigenmitteln teilweise verfristet ist, hat dies keine Auswirkungen auf die Kostenverteilung, da dieser Anspruch nur eine Folgewirkung der festgestellten Vertragsverletzung ist, der nicht mit der vorliegenden Klage geltend gemacht werden kann. Streitgegenstand ist im vorliegenden Fall nur die Feststellung des vertragswidrigen Verhaltens. Da die Französische Republik diesbezüglich im wesentlichen mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

VII - Ergebnis

104 Aus den vorstehenden Gründen wird daher vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:

1. Die Französische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstoßen, indem sie die Autobahnmaut entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 nicht der Mehrwertsteuer unterworfen und als Folge davon der Kommission nicht die entsprechenden Beiträge zu den Eigenmitteln zur Verfügung gestellt hat, wobei eine nachträgliche Erhebung der Eigenmittel und die Geltendmachung von Verzugszinsen durch die Kommission nur ab dem Haushaltsjahr 1993 möglich sind.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

(1) - Die Kommission hat in diesem Zusammenhang auch gegen Irland, Großbritannien, die Niederlande und Griechenland aus denselben Gründen Klage erhoben. Es handelt sich um die Rechtssachen C-358/97, C-359/97, C-408/97 und C-260/98.

Im Unterschied zu den anderen beklagten Mitgliedstaaten haben die Niederlande den entsprechenden Eigenmittelbeitrag der Kommission vorbehaltlich einer Klärung der streitigen Punkte zur Verfügung gestellt.

In den nicht beklagten Mitgliedstaaten wird entweder keine Straßennutzungsgebühr erhoben oder diese der Umsatzsteuer unterworfen.

Da in Spanien ein herabgesetzter Steuersatz angewendet wird, hat die Kommission auch gegen Spanien Klage erhoben (Rechtssache C-83/99).

(2) - Ein Teil der eingenommenen Maut - der genaue Umfang ist nicht bekannt - muß von den Konzessionären an den Staat abgeführt werden.

(3) - ABl. L 145, S. 1.

(4) - Anhang D führt insgesamt 13 Arten von Tätigkeiten auf, wie z. B. das Fernmeldewesen, die Lieferungen von Wasser, Gas, Elektrizität, Dienstleistungen in Häfen und auf Flughäfen, Veranstaltungen von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter u. a. m.

(5) - In Artikel 13 Teil A sind 17 Steuerbefreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten aufgeführt. Demnach sind u. a. von der Steuer befreit: die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen, die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit sowie mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, ferner solche Leistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben, welche politische, gewerkschaftliche, religiöse, patriotische, weltanschauliche, philanthropische oder staatsbürgerliche Ziele verfolgen, ihren Mitgliedern erbringen sowie die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter. Weitere Ausnahmen gelten nach Artikel 13 Teil B für die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze, für bestimmte Tätigkeiten im Kreditbereich sowie - mit vier Ausnahmen - für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

(6) - ABl. L 155, S. 9.

(7) - ABl. L 155, S. 1.

(8) - ABl. L 185, S. 24, teilweise aufgehoben bzw. geändert durch den Beschluß 94/728/EG, Euratom des Rates vom 31. Oktober 1994 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. L 293, S. 9.

(9) - Siehe den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, KOM(96) 331 endg., und Grünbuch der Kommission "Faire und effiziente Preise im Verkehr - Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union", KOM(95) 691 endg.

(10) - Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86 (Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 11).

(11) - Urteile vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 107/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655), vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471) und vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88 (Carpaneto u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 12).

(12) - Urteil in der Rechtssache Kommission/Niederlande (zitiert in Fußnote 11, Randnr. 21).

(13) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 11, Randnr. 15).

(14) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 11, Randnr. 16).

(15) - Urteile vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (zitiert in Fußnote 11), vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 10) und vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C-186/89 (Van Tiem, Slg. 1990, I-4363, Randnr. 17).

(16) - Schlußanträge von Generalanwalt Lenz vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 235/85 (Slg. 1987, 1478, Nr. 22) und Urteil vom 26. März 1987 (zitiert in Fußnote 11).

(17) - Urteil vom 20. Februar 1997 in der Rechtssache C-260/95 (DFDS, Slg. 1997, I-1005, Randnr. 23).

(18) - Urteil vom 22. Februar 1989 in der Rechtssache 54/87 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 385, Randnr. 12).

(19) - Urteil vom 14. Dezember 1971 in der Rechtssache 7/71 (Kommission/Frankreich, Slg. 1971, 1003, Randnrn. 5 und 6).

(20) - Urteile vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-317/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1994, I-2039, Randnr. 4) und vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-422/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Randnr. 18 mit weiteren Nachweisen).

(21) - Urteil vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-96/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-2461, Randnrn. 15 und 16).

(22) - A. a. O., Fußnoten 22 und 23.

(23) - Gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1553/89 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission vor dem 31. Juli eine Übersicht, aus der der Gesamtbetrag der für das vorhergehende Kalenderjahr berechneten Grundlage der Mehrwertsteuereigenmittel hervorgeht.

(24) - Urteil vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 57/69 (ACNA/Kommission, Slg. 1972, 933, Randnrn. 33/36).

(25) - Urteil vom 13. März 1990 in der Rechtssache C-30/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-691, Randnr. 23 mit weiteren Nachweisen).

(26) - Urteil in der Rechtssache C-96/89 (zitiert in Fußnote 21, Randnr. 37).

(27) - Das Vereinigte Königreich und Griechenland haben in der mündlichen Verhandlung bestritten, daß ein Dialog mit der Kommission stattgefunden habe.

(28) - Zur Berechnung siehe Nr. 93.