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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0381

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 17/09/1998. - Belgocodex SA gegen Belgischer Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Nivelles - Belgien. - Erste und Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Verpachtung und Vermietung von Grundstücken - Recht, für eine Besteuerung zu optieren. - Rechtssache C-381/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-08153


Schlußanträge des Generalanwalts


A - Einführung

1 Im vorliegenden Fall befasst das Tribunal de première instance Nivelles den Gerichtshof mit einer Frage zur Besteuerung der Vermietung von Grundstücken nach der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemeßsungsgrundlage(1) (im folgenden: Sechste Richtlinie). Im einzelnen begehrt es Auskunft darüber, inwieweit ein einmal durch einen Mitgliedstaat - hier Belgien - eingeräumtes Optionsrecht für die Besteuerung der ansonsten von der Steuer befreiten Grundstücksvermietung rückwirkend wieder aufgehoben werden kann. Ein solches Optionsrecht gibt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, auf die normalerweise vorgesehene Steuerbefreiung für Immobilienvermietungen zu verzichten und sich statt dessen für eine Besteuerung nach der Mehrwertsteuer und - damit verbunden - auch für ein Recht auf Vorsteuerabzug zu entscheiden.(2)

2 Die Klägerin im Ausgangsverfahren, die Firma Belgocodex (im folgenden: Klägerin), bestreitet, daß ein Mitgliedstaat, der ein solches Optionsrecht eingeräumt hat, dies rückwirkend wieder aufheben kann. Sie hat im Jahre 1990 einen Miteigentumsanteil von 25 % an einem Gebäudekomplex erworben, der anschließend vollkommen renoviert wurde, damit dort Büros und Läden eingerichtet werden konnten. Die Klägerin nutzt das Gebäude nicht selbst, sondern hat es an einen Steuerpflichtigen vermietet, der das Mietobjekt im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nutzt. Die Klägerin möchte die Kosten für die Renovierungsarbeiten, die von 1990 bis 1993 dauerten, im Rahmen des Vorsteuerabzugs geltend machen.

3 Normalerweise ist die Vermietung von Grundstücken nach Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit. Dieser sieht unter der Überschrift "Sonstige Steuerbefreiungen" vor:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ... ..."

4 Nach Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit für eine Besteuerung im Fall von Immobilienvermietungen eröffnen. Artikel 13 Teil C bestimmt hierzu:

"Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:

a) bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken;

...

Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung".

5 Durch Gesetz vom Dezember 1992, das Artikel 44 Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstabe c in das belgische Mehrwertsteuergesetz einfügte, hat Belgien von der Möglichkeit nach Artikel 13 Teil C Gebrauch gemacht. Danach unterlagen der Steuer: "Vermietungen von Gebäuden, ..., an einen Steuerpflichtigen für die Bedürfnisse seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, wenn der Vermieter seine Absicht, das Gebäude unter Anwendung der Steuer zu vermieten, zum Ausdruck gebracht hat; der König bestimmt die Form dieser Option, die Art ihrer Ausübung und die Voraussetzungen, die der Mietvertrag erfuellen muß". Das Gesetz trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Der König hat jedoch die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen nicht erlassen.

6 Nach Meinung der Klägerin kann sie für eine Besteuerung optieren und somit Vorsteuerabzug geltend machen. Die belgische Regierung dagegen sieht die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken als eine von der Steuer befreite Tätigkeit an. Sie begründet dies damit, daß durch das Gesetz vom Juli 1994 Artikel 44 Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstabe c des belgischen Mehrwertsteuergesetzes aufgehoben worden sei, und zwar rückwirkend. Im übrigen habe die vorgesehene Optionsmöglichkeit sowieso keine Rechtswirkungen entfalten können, da es nie zum Erlaß der königlichen Durchführungsmaßnahmen gekommen sei.

7 Nach Meinung der Klägerin kann die einmal eingeräumte Optionsmöglichkeit nicht rückwirkend wieder aufgehoben werden. Die dadurch erneut eingeführte Steuerbefreiung für Immobilienvermietungen an Steuerpflichtige (die in der Sechsten Richtlinie als grundsätzliche Regelung vorgesehen ist) verstosse gegen die Neutralität und den Grundsatz des Mehrwertsteuersystems - der keine Ausnahmen wolle. Dieser ist in Artikel 2 der Ersten Richtlinie (67/227/EWG) des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer(3) (im folgenden: Erste Richtlinie) festgelegt. Er bestimmt in seinem Absatz 1: "Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, daß auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchssteuer anzuwenden ist". Absatz 2 lautet: "Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzueglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat."

8 Wegen der Fragen zur Auslegung der Sechsten Richtlinie legt das mit der Sache befasste Gericht folgende Vorabentscheidungsfrage zur Beantwortung vor:

"Verbietet es Artikel 2 der ersten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, der den Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems enthält, einem Mitgliedstaat - hier Belgien -, der von der in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und seinen Steuerpflichtigen das Recht eingeräumt hat, für die Besteuerung bestimmter Immobilienvermietungen zu optieren, dieses Optionsrecht durch ein späteres Gesetz aufzuheben und so die Befreiung uneingeschränkt wiedereinzuführen?"

B - Stellungnahme

9 Das vorlegende Gericht bezieht sich in seiner Frage sowohl auf die Erste als auch auf die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie. Aus diesem Grunde ist zunächst auf das Verhältnis der beiden Richtlinien zueinander einzugehen. In Artikel 1 Absatz 1 der Ersten Richtlinie ist vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten ihr derzeitiges Umsatzsteuersystem durch das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ersetzen, das in der Ersten Richtlinie - in Artikel 2 - bezeichnet ist.

10 Das durch die Erste Richtlinie eingeführte Mehrwertsteuersystem soll - nach Artikel 1 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie - den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie angepasst werden.(4)

11 Daraus lässt sich auch nach Meinung der Kommission schließen, daß die Anwendung des gemeinsamen Steuersystems insbesondere durch die Sechste Richtlinie geregelt wird. Dies bedeutet auch, daß die Regelungen der Sechsten Richtlinie nicht mehr anhand der Bestimmungen der Ersten Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Frage gestellt werden können. Dies gilt z. B. für Steuerbefreiungen, die in der Sechsten Richtlinie vorgesehen sind. Nach ihrem elften Erwägungsgrund ist es erforderlich - im Hinblick auf eine gleichmässige Erhebung der eigenen Mittel in allen Mitgliedstaaten - eine gemeinsame Liste der Steuerbefreiungen aufzustellen. Solche gemeinsamen Steuerbefreiungen sind von der Sechsten Richtlinie im Rahmen des gesamten Mehrwertsteuersystems und seiner Anwendung festgeschrieben. Sie können - so trägt auch die belgische Regierung vor - durchaus von dem allgemeinen System abweichen.

12 Die hier streitige belgische Regelung ist deshalb anhand der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie zu prüfen. Hier ist vor allem Artikel 13 einschlägig, der in seinem Teil B Steuerbefreiungen u. a. für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken vorsieht und in seinem Teil C den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, ihren Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, für eine Besteuerung bei Vermietung und Verpachtung von Grundstücken zu optieren. Es ist unter den Parteien unstreitig, daß Belgien hier mit seinem Gesetz von 1992 von dieser Möglichkeit nach Teil C Gebrauch gemacht hat.

13 Uneinigkeit besteht jedoch darüber, ob im vorliegenden Fall eine solche Optionsmöglichkeit tatsächlich eröffnet wurde. Nach Meinung der belgischen Regierung handelte es sich bei dem Gesetz um eines, das mangels der vom König zu erlassenden Durchführungsmaßnahmen keine Rechtswirkungen entfalten und schon deshalb ohne weiteres rückwirkend wieder aufgehoben werden konnte. Wie von allen Parteien vorgetragen, ist es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu entscheiden. Es spricht vieles dafür, daß dieses Gesetz trotz der fehlenden königlichen Durchführungsmaßnahmen Rechtswirkungen entfaltete, da es sonst ja nicht ausdrücklich durch das Gesetz vom 6. Juli 1994 hätte ausser Kraft gesetzt werden müssen. Solange es bestand, war wohl auch zu erwarten, daß die königlichen Maßnahmen noch erlassen werden würden. Diese waren wohl nicht eine ausdrückliche Bedingung für die Gültigkeit des Gesetzes. Dies letztlich zu klären, ist jedoch - wie ausgeführt - Sache des nationalen Gerichts.

14 Wenn der nationale Richter zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß im vorliegenden Fall durch das belgische Recht keine Rechte für den einzelnen Steuerpflichtigen entstehen konnten, ist darauf hinzuweisen, daß durch die Rücknahme des - dann als unwirksam angesehenen - Gesetzes eventuell die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verletzt wurden. Wie die Kommission zu Recht vorträgt, ist dabei zu beachten, ob die Vermietung eventuell schon der Steuer unterworfen war und der Steuerpflichtige dies in Rechnung gestellt hat bzw. ob ein Vorsteuerabzug zulässig war.

15 Es sei hier noch folgende Überlegung angefügt:

Zwar geht es bei der Frage, ob ein Mitgliedstaat von der nach Artikel 13 Teil C vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, nicht um die Frage der Umsetzung bzw. Nichtumsetzung der Sechsten Richtlinie. Somit kann dem Steuerpflichtigen auch nicht auf dem Weg über die Direktwirkung der Richtlinie ein Vorsteuerabzugsrecht enstanden sein. Da die belgische Regierung das entsprechende Gesetz jedoch bereits erlassen und dann wieder rückgängig gemacht hat, könnte daran zu denken sein, daß die Regierung sich in einer Weise selbst zur Einräumung des Optionsrechts nach der Sechsten Richtlinie verpflichtet hat, die es erlaubt, in bezug auf das Vorsteuerabzugsrecht eine Parallele zur Direktwirkung zu ziehen.

16 Sollte der vorlegende Richter zu dem Ergebnis gelangen, daß durch das belgische Gesetz eine Optionsmöglichkeit nach Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie eröffnet wurde, so stellt sich die Frage, ob diese Möglichkeit gemäß der Sechsten Richtlinie wieder rückgängig gemacht werden konnte. Kommission und belgische Regierung bejahen dies.

17 Hierbei ist zunächst zu beachten, daß die Richtlinie den Mitgliedstaaten im Rahmen des Artikels 13 Teil C einen weiten Spielraum gewährt. So entscheidet der Mitgliedstaat darüber, ob er ein solches Optionsrecht überhaupt einführt. Tut er dies, so hat er ausserdem die Möglichkeit, den Umfang und die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts zu bestimmen. Wenn der Mitgliedstaat also frei darüber entscheiden kann, ob und wie er ein solches Optionsrecht einräumt, ist nicht ersichtlich, weshalb er ein solches Recht nicht wieder zurücknehmen können soll.

18 Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil Italittica(5). Dort habe der Gerichtshof bezueglich der Regelungen der Sechsten Richtlinie - in dem Falle des Artikels 10 Absatz 2 - entschieden, daß diese weit auszulegen seien, da der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt habe.

19 Die belgische Regierung trägt hierzu vor, Artikel 13 Teil C entfalte aufgrund des weiten Spielraums für die Mitgliedstaaten offensichtlich keine Direktwirkung.(6) Der belgische Gesetzgeber sei deshalb nach Gemeinschaftsrecht völlig frei gewesen, das Optionsrecht einzuräumen oder nicht. Artikel 13 Teil C verbiete deshalb auch nicht, daß der Mitgliedstaat diese Möglichkeit wieder aufhebe und die Regelung nach Artikel 13 Teil B beibehalte bzw. (wieder) einführe.

20 Ferner ist zu beachten, daß die Sechste Richtlinie grundsätzlich davon ausgeht, daß die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Steuer zu befreien sind, auch wenn dies im Sinne der Ersten Richtlinie eine Abweichung vom System darstellt. Nach der Sechsten Richtlinie kann ein Mitgliedstaat seinen Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, für eine Besteuerung zu optieren. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein Mitgliedstaat, der von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht hat, nicht wieder zur grundlegenden Regelung, nämlich der Steuerbefreiung, zurückkehren können soll. Dabei spielt es keine Rolle, daß diese Steuerbefreiung - wie die Klägerin vorträgt - eigentlich eine Abweichung vom allgemeinen Mehrwertsteuersystem darstellt. Sie ist nach der Sechsten Richtlinie möglich und kann deshalb - wie bereits erwähnt - nicht der Ersten Richtlinie widersprechen.

21 Ebensowenig ist hierbei zu beachten, welche Regelung die Kommission - zunächst - im Richtlinienvorschlag vorgesehen hatte. Die Klägerin hat darauf hingewiesen, daß die Kommission in ihrem Ersten Entwurf der Sechsten Richtlinie alle Grundstücksvermietungen zu gewerblichen Zwecken der Mehrwertsteuer unterwerfen wollte. Entscheidend ist jedoch alleine, welche Steuerbefreiungen nach der Sechsten Richtlinie - also so, wie sie tatsächlich verabschiedet wurde - vorgesehen sind. Eine Optionsmöglichkeit besteht danach also nicht generell, sondern nur dann, wenn sie vom Mitgliedstaat eingeräumt wird.

22 Die Klägerin ist im Gegensatz zur Kommission und zur belgischen Regierung der Meinung, daß ein Mitgliedstaat dann, wenn er gemäß der Möglichkeit nach Artikel 13 Teil C zu einer Besteuerung der Vermietung und Verpachtung - im Fall der Option des Steuerpflichtigen - gelangt ist, diese Entscheidung nicht mehr rückgängig machen kann. Die Klägerin möchte in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 28 der Sechsten Richtlinie heranziehen. Nach Artikel 28 Absatz 3 können die Mitgliedstaaten für eine gewisse Übergangszeit z. B. bestimmte nach Artikel 13 befreite Umsätze weiterhin besteuern bzw. den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, für die Besteuerung der nach Anhang G befreiten Umsätze zu optieren.

23 Im Rahmen der Rechtsprechung zu Artikel 28 hat der Gerichtshof bezueglich einer streitigen Regelung Spaniens, die bestimmte Dienstleistungen der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung unterworfen hatte, entschieden, "daß das Königreich Spanien, nachdem es die fraglichen Dienstleistungen durch ... Gesetz ... der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung unterworfen hatte, anschließend nicht mehr von der Möglichkeit Gebrauch machen konnte, diese Tätigkeiten nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie weiterhin von der Steuer zu befreien".(7) Damit wurde also die Rückkehr zur Ausnahme unterbunden; im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Rückkehr zur Regel (nämlich der Sechsten Richtlinie), auch wenn die darin vorgesehene Möglichkeit selbst eine Ausnahme zur Ersten Richtlinie darstellen sollte.

24 Die genannte Rechtsprechung kann nicht auf die Einräumung der Optionsmöglichkeit nach Artikel 13 Teil C übertragen werden. Artikel 28 ist Teil des Abschnitts XVI der Sechsten Richtlinie, der die Überschrift "Übergangsbestimmungen" trägt. Es handelt sich hierbei um Bestimmungen für den Übergang bzw. die Anpassung der nationalen Regelungen an die Sechste Richtlinie. Dementsprechend sind die Regelungen in Artikel 28 Absatz 3 nur für eine "Übergangszeit" vorgesehen. Wie Belgien zu Recht vorträgt, geht es hierbei um ein vorübergehendes Zulassen von Besteuerung bzw. Befreiungen, die nicht dem allgemeinen Sinn der Sechsten Richtlinie entsprechen. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, daß von dieser Möglichkeit kein Gebrauch mehr gemacht werden kann, wenn der Mitgliedstaat einen bestimmten Bereich bereits gemäß der Sechsten Richtlinie geregelt bzw. besteuert hat.

25 Nach Meinung der Klägerin liegt die Parallele zum vorliegenden Fall darin, daß eine Steuerbefreiung von Immobilienvermietungen an Steuerpflichtige dem in der Ersten Richtlinie festgeschriebenen Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer widerspreche. An einem Beispiel erläutert sie, daß die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung zu einer Ungleichbehandlung führe und damit die Neutralität verletze - je nachdem, ob eine Gesellschaft ihr Grundstück selbst im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nutze oder vermiete. Im letzteren Fall könne sie etwaige Renovierungskosten nicht als Vorsteuer geltend machen. Die Kosten würden deshalb auf die Miete geschlagen und vom Mieter an dessen Kunden weitergegeben, was zu einem "Schneeballeffekt" bei der zu zahlenden Mehrwertsteuer führe.

26 Gleiche also - so die Klägerin weiter - ein Mitgliedstaat seine Steuerregelung durch Einräumen des Optionsrechts nach Artikel 13 Teil C der Regelung der Ersten Richtlinie an, so könne er dies - ebenso wie im Fall des Artikels 28 - nicht mehr rückgängig machen.

27 Die hier von der Klägerin als nicht systemkonform angesehene Befreiung der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Mehrwertsteuer ist aber gerade von der Sechsten Richtlinie als grundlegende Regelung vorgesehen. Deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb ein Mitgliedstaat - nachdem er von der in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Einräumung eines Optionsrechts Gebrauch gemacht hat - nicht wieder zur grundlegenden Regelung zurückkehren können soll. Wenn die Klägerin vorträgt, daß ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit nach Artikel 13 Teil C Gebrauch gemacht hat, dies nicht mehr rückgängig machen kann, so würde dies bedeuten, daß ein Mitgliedstaat, der von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch gemacht hat, nicht mehr zur Grundregel zurückkehren darf. Dies entspricht - wie eben erläutert - gerade nicht der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 28, wonach ein Mitgliedstaat nicht mehr zu den Ausnahmeregelungen nach Artikel 28 zurückkehren darf, wenn er einmal seine Steuergesetze an die Regelungen der Sechsten Richtlinie angeglichen hat.

28 Die Klägerin bezieht sich in ihrer Argumentation ausserdem auf die Schlussanträge in der im vorhergehenden zitierten Rechtssache C-35/90. Dort gelangte der Generalanwalt ebenfalls zu dem Ergebnis, daß von der Möglichkeit der Ausnahmeregelungen nach Artikel 28 nicht mehr Gebrauch gemacht werden kann, wenn bereits vorher eine Regelung gemäß der Richtlinie eingeführt worden ist bzw. bestanden hat. Die Klägerin stützt sich insbesondere auf die Argumentation, wonach dies "... mit den Grundsätzen der allgemeinen Anwendung und der Neutralität der Steuer, die der Richtlinie zugrunde liegen und die, ..., den Hauptschlüssel zum Verständnis der Bestimmungen mit Ausnahmecharakter darstellen, nicht zu vereinbaren, ..."(8) wäre. Nach Meinung der Klägerin widerspricht eine Wiedereinführung der Steuerbefreiung im vorliegenden Fall der Neutralität und dem Grundsatz der allgemeinen Anwendung der Steuer und dürfte schon aus diesem Grund nicht zugelassen werden.

29 In diesem Zusammenhang muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß auch der Generalanwalt sich zunächst an dem orientierte, was in der Sechsten Richtlinie als Regel vorgesehen war, und nur als zusätzliches Argument die Grundsätze der allgemeinen Anwendung und der Neutralität der Steuer, wie sie in der Ersten Richtlinie festgeschrieben sind, prüfte. So führte er aus, daß eine Steuerbefreiung nicht mit den eben genannten Grundsätzen vereinbar wäre, fuhr aber fort: "... abgesehen davon, daß sie durch den eindeutigen Wortlaut der Bestimmung nicht gerechtfertigt wäre."(9) Daraus ist ersichtlich, daß auch für ihn vor allem maßgeblich war, was in der Sechsten Richtlinie ausdrücklich geregelt ist.

30 Ausserdem verwies er auf das Urteil in der Rechtssache Kerrutt und zitierte daraus wörtlich, daß "diese Vorschrift [Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b] ... schon ihrem Wortlaut nach der Einführung neuer Befreiungstatbestände oder der Ausweitung bereits bestehender Befreiungen nach dem Inkrafttreten der Richtlinie entgegensteht."(10) Auch daraus lässt sich ableiten, daß es ihm vor allem um die Regelungen der Sechsten Richtlinie und die darin vorgesehenen Befreiungen bzw. Besteuerungen ging und nicht um die Erste Richtlinie, die nur das System an sich festlegt, nicht aber die Durchführung des Systems regelt.

31 So hat auch der Gerichtshof in seinem Urteil ausgeführt: " ... kann es die Verlängerung der Übergangsregelung für Befreiungen von der Mehrwertsteuer über die ursprünglich vorgesehene Frist hinaus nicht rechtfertigen, daß den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt wird, Steuerbefreiungen zu gewähren, die zu gewähren sie nicht ermächtigt wurden. Eine solche Möglichkeit würde das Ziel des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b gefährden, das darin besteht, eine schrittweise Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften in den betreffenden Bereichen zu ermöglichen."(11) Da Belgien aber gerade eine in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehene Steuerbefreiung wieder eingeführt hat - und nicht eine solche, die (wie es im zitierten Urteil heisst) zu gewähren es nicht ermächtigt wurde -, ist nicht ersichtlich, weshalb dies dem Mitgliedstaat verwehrt werden sollte. Es bleibt deshalb festzuhalten, daß ein Mitgliedstaat, der von der Möglichkeit nach Artikel 13 Teil C Gebrauch macht, dies auch wieder rückgängig machen kann.

32 Schließlich ist noch zu prüfen, ob eine solche Einräumung der Optionsmöglichkeit nach Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie auch rückwirkend zurückgenommen werden kann. Dies könnte auch nach Meinung der Kommission im Hinblick auf bereits entstandene Vorsteuerabzugsrechte problematisch sein. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem der Ersten wie der Sechsten Richtlinie sieht vor, daß der Steuerpflichtige die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden und die er für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet hat, von der von ihm geschuldeten Steuer abziehen darf (Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie). Nach Artikel 17 Absatz 1 entsteht dieses Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Zwischen Besteuerung und Vorsteuerabzugsrecht besteht somit ein Zusammenhang.

33 So hat der Gerichtshof entschieden, "daß nach dem System der Richtlinie die unter einen Steuerbefreiungstatbestand fallenden Steuerpflichtigen durch die Inanspruchnahme der Befreiung zwangsläufig auf das Recht auf Vorsteuerabzug verzichten".(12) Das "Recht auf Vorsteuerabzug ist nämlich integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden".(13)

34 Dies bedeutet auch nach Meinung der Kommission, daß Steuerpflichtigen, die zur Zeit der (eventuellen) Gültigkeit des belgischen Gesetzes für eine Besteuerung optierten, ein Vorsteuerabzugsrecht zusteht, das also nicht rückwirkend wieder aberkannt werden kann. Die Kommission und die belgische Regierung sind darin einig, daß diese entstandenen Vorsteuerabzugsrechte zu respektieren sind.

35 Was den zugrundeliegenden Ausgangsfall angeht, macht die belgische Regierung jedoch geltend, die Klägerin habe ihr Optionsrecht nicht ausdrücklich ausgeuebt. Nach Meinung des Gerichtshofes steht die Ausübung des eingeräumten Optionsrechts allein dem Steuerpflichtigen zu.(14) Andererseits regelt Artikel 13 Teil C in seinem letzten Halbsatz, daß die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Ausübung des Optionsrechts bestimmen. Insofern - und dies ist unstreitig - ist es Sache des vorlegenden Richters, zu entscheiden, ob die Klägerin im Ausgangsverfahren ihr Optionsrecht wirksam ausgeuebt hat.

36 Ob dies der Fall ist, ist unter den Parteien umstritten. Die Klägerin hat ihrer Meinung nach alles Notwendige getan, um ausdrücklich ihr Optionsrecht wahrzunehmen. Sie habe Vorsteuerabzug geltend gemacht und darauf hingewiesen, daß die Vermietung eigentlich besteuert werden sollte. Ein Inrechnungstellen der Mehrwertsteuer sei nicht möglich gewesen, da die entsprechenden Durchführungsmaßnahmen noch nicht erlassen gewesen seien.

37 Nach Meinung der belgischen Regierung dagegen hätte die Option nur dann wirksam vorgenommen werden können, wenn Belgocodex diese Absicht formell gegenüber der Verwaltung geäussert und auch die entsprechenden Steuern auf die Miete erhoben und an den Staat abgeführt hätte. Wie bereits erwähnt, ist es jedoch Sache des nationalen Richters, dies unter Beachtung des Zusammenhangs zwischen Besteuerung und Vorsteuerabzugsrecht zu entscheiden.

38 Es sei in diesem Zusammenhang nochmals auf die oben in den Nummern 14 und 15 geäusserten Überlegungen hingewiesen, denn für die Ausübung des Optionsrechts muß das gleiche gelten wie für die Einführung bzw. Geltung des Optionsrechts selbst. Auch wenn Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie es den Mitgliedstaaten überlässt, das Optionsrecht einzuschränken und die Modalitäten seiner Ausübung zu bestimmen - und solche Maßnahmen sind durch das belgische Gesetz noch nicht erlassen worden -, muß im hier vorliegenden Fall doch beachtet werden, daß der Steuerpflichtige, der sich für die Option entscheidet, dieses Recht gerade deshalb nicht ordnungsgemäß ausüben kann, weil die entsprechenden Maßnahmen seitens der Regierung noch nicht erlassen wurden. Dementsprechend dürfen die Anforderungen an die Ausübung des Optionsrechts nicht allzu hoch angesetzt werden, da ansonsten das Vorsteuerabzugsrecht nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie, das zum Wesensgehalt des Mehrwertsteuersystems gehört, berührt würde. Bei der rückwirkenden Aufhebung des Rechts, für eine Besteuerung zu optieren, sollte nur der keine Rechte geltend machen können, der in keiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, daß er sich für ein Optionsrecht entscheiden will.

C - Ergebnis

39 Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen schlage ich folgende Beantwortung der Vorlagefrage vor:

Artikel 2 der Ersten Mehrwertsteuerrichtlinie steht dem nicht entgegen, die Regelungen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Artikel 13 Teil C und 13 Teil B Buchstabe b, so auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat, der von der in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und seinen Steuerpflichtigen das Recht eingeräumt hat, für die Besteuerung bestimmter Immobilienvermietungen zu optieren, nicht verbieten, dieses Optionsrecht durch ein späteres Gesetz - auch rückwirkend - aufzuheben und so die Befreiung uneingeschränkt wieder einzuführen. Dies gilt allerdings nur insoweit, als dabei Vorsteuerabzugsrechte (im Sinne des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie), die dadurch entstanden sind, daß der Steuerpflichtige deutlich gemacht hat, daß er die Option ausüben will, nicht verletzt werden.

(1) - ABl. L 145, S. 1.

(2) - Andernfalls unterliegen die Einnahmen aus der Vermietung wohl der Einkommensteuer oder einer vergleichbaren Steuer.

(3) - ABl. 1967, 1301.

(4) - Artikel 1 Absatz 1 lautet: "Die Mitgliedstaaten passen ihre gegenwärtige Mehrwertsteuerregelung den Bestimmungen der folgenden Artikel an."

(5) - Urteil vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-144/94 (Slg. 1995, I-3653).

(6) - Eine solche wurde - wie auch die Kommission vorträgt - für den Artikel 13 Teil B im Urteil in der Rechtssache 8/81 bejaht. In der Begründung führte der Gerichtshof u. a. aus, "daß Artikel 13 Teil C die Mitgliedstaaten keineswegs dazu berechtigt, die in Teil B vorgesehenen Steuerbefreiungen in irgendeiner Weise einzuschränken oder an Voraussetzungen zu knüpfen; er gibt den Staaten lediglich die Befugnis, den unter diese Steuerbefreiungen fallenden Steuerpflichtigen mehr oder weniger weitgehend die Möglichkeit zu eröffnen, selbst für eine Besteuerung zu optieren, wenn sie das für vorteilhaft halten." Urteil vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 39).

(7) - Urteil vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache C-35/90 (Kommission/Spanien, Slg. 1991, I-5073, Randnr. 7).

(8) - Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-35/90 (Urteil zitiert in Fußnote 7, Slg. 1991, I-5073, 5079, Nummer 5).

(9) - Schlussanträge in der Rechtssache C-35/90 (zitiert in Fußnote 8, Nr. 5, Hervorhebung durch den Verfasser).

(10) - Schlussanträge in der Rechtssache C-35/90 (zitiert in Fußnote 8, Nr. 5) und Urteil vom 8. Juli 1986 in der Rechtssache 73/85 (Slg. 1986, 2219, Randnr. 17).

(11) - Urteil in der Rechtssache C-35/90 (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 9).

(12) - Urteil in der Rechtssache 8/81 (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 44).

(13) - Urteil vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93 (BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18).

(14) - Urteil in der Rechtssache 8/81 (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 38).