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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61997C0408

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 27. Januar 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande. - Vertragsverletzung - Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuer - Gestattung der Straßenbenutzung gegen eine Maut - Kein Mehrwertsteuer-Tatbestand. - Rechtssache C-408/97.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06417


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einführung

1 Die Kommission erhebt im Rahmen des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens den Vorwurf, die Niederlande hätten gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem die Gebühr für die Benutzung der Verkehrswegeinfrastruktur (Maut) nicht der Mehrwertsteuer unterworfen worden sei.(1)

2 Im Jahr 1989 wurde in den Niederlanden noch für die Benutzung von zwei Brücken und einem Tunnel eine Maut erhoben. Diese Gebühren wurden gemäß den damals geltenden niederländischen Rechtsvorschriften nicht der Mehrwertsteuer unterworfen. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war nur noch die Benutzung eines Tunnels mautpflichtig. Es handelt sich hierbei um den Tunnel unter der Dordtse Kil. Auch die hierbei eingenommenen Gebühren waren nicht mehrwertsteuerpflichtig. Da die Kommission jedoch aufgrund der Nichterhebung der Mehrwertsteuer einen Verstoß gegen geltendes Gemeinschaftsrecht geltend gemacht hatte, berechneten die niederländischen Behörden auch diesbezüglich das Mehrwertsteueraufkommen und überwiesen der Kommission auf dieser Grundlage die Beiträge zu den Eigenmitteln der Gemeinschaften. Diese Überweisungen erfolgten jedoch vorbehaltlich einer Klärung der strittigen Punkte und betrugen bezüglich der eingenommenen Maut für die Jahre 1981 bis 1998 ingesamt ca. 70 000 NLG.

II - Vorverfahren

3 Mit Schreiben vom 3. Dezember 1985 ersuchte die Kommission die niederländische Regierung um Auskünfte hinsichtlich der Erhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut für die Benutzung der Verkehrswege (Straßen, Brücken, Tunnel, Schleusen u. a.). Eine Antwort erfolgte mit Schreiben vom 8. Juli 1986.

4 Am 20. April 1988 übermittelte die Kommission ein Mahnschreiben, in dem sie die Auffassung vertrat, die Nichterhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut, die die Gegenleistung für die Nutzung der Infrastruktur darstelle, verstoße gegen die Artikel 2 und 4 Absätze 1, 2 und 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie.

5 Davon ausgehend, daß hierauf keine Antwort der niederländischen Regierung erfolgt sei, übermittelte die Kommission mit Schreiben vom 19. Oktober 1989 eine erste mit Gründen versehene Stellungnahme. Darin erhob die Kommission den Vorwurf, daß die Niederlande gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hätten, indem sie auf die Maut keine Mehrwertsteuer erhoben hatten.

6 Mit Schreiben vom 8. Dezember 1989 informierte die niederländische Regierung die Kommission davon, daß auf das Mahnschreiben mit Antwort vom 5. Juli 1988 reagiert worden sei.

7 Da nach Ansicht der Kommission der gerügte Verstoß nicht abgestellt worden war, übermittelte sie mit Schreiben vom 23. Dezember 1996 eine zusätzliche mit Gründen versehene Stellungnahme, in der der bereits erhobene Vorwurf erneut bekräftigt wurde.

8 Eine Antwort hierauf erfolgte mit Schreiben vom 27. Februar 1997.

9 Die Kommission hat nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben, eingegangen in der Kanzlei des Gerichtshofes am 4. Dezember 1997, und beantragt,

1. festzustellen, daß das Königreich der Niederlande gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, indem es entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 die Mautgebühren für die Inanspruchnahme der Verkehrswegeinfrastruktur nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat,

2. dem Königreich der Niederlande die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

10 Die niederländische Regierung beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

III - Rechtlicher Rahmen

Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(2) (im folgenden: Richtlinie)

11 Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:

"Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

... "

12 Artikel 4 Absätze 1, 2 und 5 der Richtlinie lauten:

"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers, oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfaßt.

...

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten[(3)], sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der vorstehend genannten Einrichtungen, die nach Artikel 13[(4)] ... von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen."

IV - Parteivorbringen

13 Die Kommission trägt vor, die niederländische Regierung habe in ihrer Antwort (8. Dezember 1989) auf das Mahnschreiben ausgeführt, daß zum damaligen Zeitpunkt zwei Brücken und ein Tunnel mautpflichtig gewesen seien, wobei auf diese Maut keine Mehrwertsteuer erhoben worden sei. In der Antwort (27. Februar 1997) auf die zusätzliche mit Gründen versehene Stellungnahme sei angezeigt worden, daß nunmehr lediglich bei einem Tunnel Maut erhoben werde, ohne jedoch auch hier die Maut der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.

14 Für die Kommission handele es sich im vorliegenden Fall um eine wirtschaftliche Tätigkeit bei der Bereitstellung der Infrastruktur gegen Zahlung einer Maut. Da es nicht auf die rechtliche Ausgestaltung dieser Tätigkeit, sondern auf deren Natur ankomme, stelle die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein entscheidendes Kriterium für die Anwendbarkeit des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar. Auch die Bestimmung des Begriffes steuerpflichtige Dienstleistung könne nicht den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen überlassen werden. Sonst sei die einheitliche und neutrale Anwendung der Mehrwertsteuer gefährdet.

15 Die jeweilige Tätigkeit sei objektiv und unabhängig von ihrem Ziel und Ergebnis zu beurteilen. Auch eine direkte Verbindung von Leistung und Gegenleistung lasse sich im vorliegenden Fall nachweisen. Zum einen seien nur bestimmte Strecken mautpflichtig und zum anderen stelle dieser Betrag den Gegenwert der Nutzung dar.

16 Die Tatsache allein, daß die Infrastruktur zunächst durch die öffentliche Hand geschaffen werde, bedeute noch nicht, daß deren Bereitstellung gegen Zahlung einer Maut im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolge.

17 Gemäß der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie stelle die Steuerpflicht öffentlicher Einrichtungen die Regel dar. Die Vorschrift des Artikels 4 Absatz 5 sei eng auszulegen. Die Artikel 13 und 28 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie sähen ausdrückliche Ausnahmen von der Steuerpflicht öffentlicher Einrichtungen vor, so daß weitere Steuerbefreiungen restriktiv auszulegen seien. Hierfür spreche auch der allgemeine Charakter des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems.

18 Um in den Genuß einer Steuerbefreiung nach Artikel 4 Absatz 5 zu kommen, müsse eine bestimmte Tätigkeit von einer öffentlichen Einrichtung ausgeübt werden und dies im Rahmen der öffentlichen Gewalt, was vorliegend nicht der Fall sei.

19 Zwar gehöre die Planung und der Bau der Straßeninfrastruktur (wie z. B. Brücken und Tunnel) zu solchen hoheitlichen Aufgaben; deren Bewirtschaftung jedoch unterscheide sich hiervon grundlegend. Da nicht alle Straßen, Brücken oder Tunnel mautpflichtig seien, zeige sich, daß bei der Erhebung einer Maut nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt gehandelt werde. Der wirtschaftliche Aspekt werde auch dadurch deutlich, daß zu dem mautpflichtigen Tunnel im vorliegenden Fall Alternativen im Straßennetz bestuenden.

20 Die entgeltliche Bereitstellung einer Straßeninfrastruktur sei vergleichbar der Belieferung mit Gas, Wasser oder Strom. Hierfür käme aber gerade keine Steuerbefreiung in Betracht.

21 Zur Beantwortung der Frage, wann eine öffentliche Einrichtung im Rahmen der öffentlichen Gewalt agiere, müsse es entscheidend darauf ankommen, ob die jeweilige Tätigkeit dem Kernbereich hoheitlichen Handelns zuzurechnen sei. Vorliegend sei dies zu verneinen.

22 Durch die uneinheitliche Anwendung der Mehrwertsteuer auf die Maut in der Gemeinschaft werde der grenzüberschreitende Wettbewerb und die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigt. Das Mehrwertsteuersystem setze die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs als wesentliches Element voraus, der im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben sei. Es sei daher erforderlich, die Erhebung der Maut auch im Fall der Niederlande der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.

23 Die niederländische Regierung verweist zunächst auf die geringe wirtschaftliche Bedeutung der vorliegenden Klage. Eine Maut werde im Fall der Niederlande zum Zeitpunkt dieses Verfahrens nur für die Benutzung des Tunnels unter der Dordtse Kil erhoben. Dies sei auch nur eine zeitlich begrenzte Ausnahme, da es keine niederländischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften gäbe, die eine Mautpflicht generell vorsehen.(5)

24 Grundsätzlich werde in den Niederlanden jede entgeltliche Leistung eines Steuerpflichtigen der Mehrwertsteuer unterworfen, es sei denn, es läge ein Grund zur Steuerbefreiung vor. Die Maut hingegen werde der Mehrwertsteuer nicht unterworfen.

25 Die Kommission führe in ihrer Klage nicht den Nachweis, die Niederlande hätten gegen ihre Verpflichtungen aus der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen. Der Vortrag der Kommission sei viel zu allgemein und abstrakt gehalten und bezeichne nicht bestimmt genug die angeblichen Verstöße. Es werde insbesondere auch nicht klar, was die Niederlande hätten tun müssen, um sich nach Auffassung der Kommission richtlinienkonform zu verhalten. Zudem seien die tatsächlichen Angaben nicht ausreichend, um auf einen Verstoß schließen zu können. Die Kommission stelle nur allgemeine Behauptungen auf, ohne einen entsprechenden Nachweis zu führen. Die Klage sei daher unbegründet und unter Umständen (teilweise) unzulässig.

26 Für den vorliegenden Fall macht die niederländische Regierung darüber hinaus geltend, Artikel 4 Absatz 5 sei anwendbar, mit der Folge, daß die Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden müsse. Hier werde eine öffentliche Einrichtung im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelungen und damit in Ausübung öffentlicher Gewalt tätig. Artikel 4 Absatz 5 habe eine eigenständige Bedeutung hinsichtlich der Definition des Steuerpflichtigen. Er sei somit nicht so eng auszulegen, wie die Kommission vortrage, so daß eine Begrenzung der Steuerbefreiung auf Tätigkeiten des Kernbereichs der öffentlichen Gewalt nicht angezeigt sei. Die in den Unterabsätzen 2 und 3 genannten Ausnahmen hingegen seien eng auszulegen.

27 Daraus ergebe sich, daß eine öffentliche Einrichtung, die nach öffentlichem Recht handele und im Rahmen der öffentlichen Gewalt ihre Funktion ausübe, nicht den Privatrechtsubjekten gleichgestellt sei. Da sich zudem die anwendbaren niederländischen Vorschriften des öffentlichen Rechts auf die zu erbringende Leistung bezögen, sei eine Anwendung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie nicht gegeben.

28 Außerdem liege keine wirtschaftliche Tätigkeit vor, da die Infrastruktur nur teilweise über die eingenommene Maut finanziert werde. Es sei nicht möglich, den Bau einer Straßeninfrastruktur dem öffentlichen Recht zuzuordnen, deren Finanzierung bzw. Unterhaltung aber als private, wirtschaftliche Betätigung anzusehen. Dafür spreche auch, daß durch die Erhebung der Maut primär keine Gewinne erzielt werden sollten. Die Einnahme dieser Gebühr solle lediglich die Erfuellung der öffentlichen Aufgabe - Bereitstellung der Infrastruktur - erleichtern.

29 Das von der Kommission geforderte Vorgehen trage auch nicht zur Stabilisierung des Gleichgewichts des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems bei. Vielmehr würde dann die öffentliche Hand als Endverbraucher zu betrachten sein, was ihr Vorteile gegenüber dem Straßenbenutzer brächte, die nach dem Mehrwertsteuersystem gerade vermieden werden sollten.

30 Auch das Vorliegen einer Gegenleistung in Form der Maut für die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur habe die Kommission nicht nachgewiesen. Die Höhe der Maut entspreche nicht unbedingt dem Wert der Leistung, die der Nutzer erhalte. Die möglicherweise bestehende enge Verbindung zwischen Maut und Leistung bewirke noch nicht, daß diese Maut der Mehrwertsteuer zu unterwerfen wäre. Es werde gerade nicht mit anderen Marktteilnehmern im Rahmen eines wirtschaftlichen Wettbewerbs konkurriert.

31 Die Kommission habe letztlich auch nicht nachgewiesen, daß das Vorgehen der Niederlande zu größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 führe. Da keine Teilnahme am Wettbewerb vorliege und auch grenzübergreifende Wirkungen nicht nachgewiesen seien, sei das Vorbringen der Kommission auch in soweit als unbegründet zurückzuweisen.

V - Würdigung

Zur Zulässigkeit

32 Die niederländische Regierung erhebt die Einrede der (teilweisen) Unzulässigkeit. Die Kommission habe weder im Vorverfahren noch in der Klageerhebung den konkreten Nachweis geführt, daß die Niederlande gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hätten. Auch der Klageantrag sei zu unbestimmt, so daß die Klage unter Umständen (teilweise) unzulässig sei.

33 Hierzu ist zu sagen, daß im Rahmen der Begründetheit zu prüfen ist, ob die von der Kommission behaupteten Tatsachen zutreffen und sich aus diesen Tatsachen ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ergibt, der dem beklagten Mitgliedstaat zuzurechnen ist. Dabei ist es Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muß dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann. Sie kann sich nicht auf Vermutungen stützen. Auf diese Frage braucht aber hier noch nicht eingegangen zu werden (zur Begründetheit siehe unten, Nrn. 38 ff.).

34 Es ist allerdings eine Frage der Zulässigkeit, ob der Klageantrag der Kommission bestimmt genug ist. Zur Auslegung des Rechtsschutzbegehrens ist grundsätzlich auf den jeweiligen Klageantrag unter Berücksichtigung der Klagebegründung abzustellen. Aus diesen Elementen muß sich dann ergeben, welches Verhalten die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat als Vertragsverletzung vorwirft. Der Streitgegenstand wird dabei durch das vorprozessuale Verwaltungsverfahren eingegrenzt.

35 Im vorliegenden Fall war die Kommission im Vorverfahren auf die loyale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit ihr angewiesen, da sie von sich aus nicht die Kompetenz hat, das nationale Mehrwertsteuersystem zu prüfen und den jeweiligen Sachverhalt zu erforschen. Auch im Hinblick auf die daraus resultierenden Eigenmittelbeiträge ist die Kommission darauf angewiesen, daß die Mitgliedstaaten ihr die erforderlichen Angaben und Informationen zur Verfügung stellen. Da sich die Kommission im Vorverfahren und bei ihrer Klage nur auf die Angaben stützen kann, die sie von den Mitgliedstaaten erhält, kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf den Standpunkt stellen, die Ausführungen der Kommission seien zu wenig konkret und eine Klage sei unzulässig, wenn sich die Kommission im Vorverfahren und in der Klage auf die vom Mitgliedstaat gemachten Ausführungen bezieht.

36 Ziel der Kommission ist es, den gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand abzustellen. Dieser besteht ihrer Auffassung nach grundsätzlich darin, daß die Verkehrswegeinfrastrukurgebühren nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wurden. Da sie sämtliche hiervon betroffenen Sachverhalte erfassen möchte und nicht nur einen Einzelfall, ist sie zum einen berechtigt, auch "Fortsetzungstaten" in ihrer Klage nach Artikel 169 EG-Vertrag einzubeziehen und zum anderen kann sie im Rahmen dieser Feststellungsklage auch ein generelles Vorgehen der Mitgliedstaaten rügen.

37 Aus diesen Gründen ist die Klage der Kommission zulässig.

Zur Begründetheit

1. Erhebung von Mehrwertsteuer auf die Maut

38 Entsprechend der Ausgestaltung der Richtlinie soll zunächst geprüft werden, ob eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt. Dazu müßte es sich um eine Dienstleistung gegen Entgelt handeln. Sodann ist zu prüfen, ob eine solche Leistung von einem Steuerpflichtigen erbracht wird und im bejahenden Fall, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt.

a) Dienstleistung gegen Entgelt

39 Die Dienstleistung besteht im vorliegenden Fall in der Bereitstellung der Infrastruktur.

40 Diese Dienstleistung wird auch gegen ein entsprechendes Entgelt - die erhobene Maut - erbracht. Der Gerichtshof hat zu der Frage, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird, bereits ausgeführt, daß zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muß, damit eine Dienstleistung als steuerpflichtig angesehen werden kann.(6)

41 Dieser unmittelbare Zusammenhang besteht darin, daß für die Bereitstellung die entsprechende Maut gezahlt wird, deren Höhe wiederum von der Art des jeweiligen Fahrzeugs und der Länge der Strecke abhängt.

42 Bei der Maut handelt es sich auch nicht um eine Steuer, denn eine Steuer ist eine Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da im vorliegenden Fall aber eine konkrete Gegenleistung in Form der Bereitstellung bestimmter Teile der Verkehrswegeinfrastruktur erbracht wird, handelt es sich um eine Gebühr, die als Entgelt für eine Dienstleistung anzusehen ist.

43 Somit liegt eine der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung im Sinne des Artikels 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vor.

b) Steuerpflichtiger

44 Nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit - und das sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden - selbständig ausübt.

45 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Richtlinie gelten die Staaten, Länder, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts dagegen nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Das gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten z. B. Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

aa) Hoheitliche Tätigkeit

46 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, daß für die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige zwei Voraussetzungen nebeneinander erfuellt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt.(7)

47 Zum einen bedeutet dies, daß nicht alle Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts automatisch von der Steuer befreit sind, sondern nur solche, durch die gleichzeitig eine spezifische Aufgabe im Rahmen der öffentlichen Gewalt wahrgenommen wird. Zum anderen ergibt sich daraus, daß die Tätigkeit einer Privatperson nicht allein deswegen von der Mehrwertsteuer befreit ist, weil sie in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht.(8)

48 Bei der Definition der Vornahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt kann nicht auf den Gegenstand oder die Zielsetzung der Tätigkeit der öffentlichen Einrichtung abgestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist aufgrund der Ausübungsmodalitäten der Tätigkeit zu bestimmen, inwieweit die öffentlichen Einrichtungen als Nicht-Steuerpflichtige behandelt werden können.(9)

49 Der Gerichtshof hat daher entschieden, daß die in Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung tätig werden.(10) Handeln sie dagegen unter gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, so kann nicht von einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgegangen werden.

50 Da nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie auch solche Tätigkeiten als steuerpflichtig betrachtet werden, die kraft Gesetzes erbracht werden, zeigt sich, daß allein die Zuordnung einer Tätigkeit in den Bereich des öffentlichen Rechts nicht ausreicht, um den Steuerbefreiungstatbestand des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 zu erfuellen. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmebestimmung der Definition des Steuerpflichtigen handelt, ist diese restriktiv auszulegen. Als von der Mehrwertsteuer befreit können daher nur jene Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt angesehen werden, die in den Kernbereich hoheitlichen Handelns fallen. Dies wird auch durch Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 3 bestätigt, der auf die in Anhang D genannten Tätigkeiten - siehe oben, Nummer 12 - verweist, für die auch die öffentliche Hand mehrwertsteuerpflichtig ist.

51 Die Planung und der Bau von Straßen, Brücken und Tunneln zählen zu den Aufgaben hoheitlichen Handelns, deren Ausübung der öffentlichen Hand vorbehalten ist. Diese Tätigkeiten betreffen einen wesentlichen Teil und damit einen Kernbereich öffentlicher Aufgaben. Sie können als Teil der Daseinsvorsorge betrachtet werden. Wird der Staat hier tätig, muß davon ausgegangen werden, daß dies im Rahmen der öffentlichen Gewalt geschieht.

52 Richtig ist, daß das Bereitstellen von Straßen, Brücken und Tunneln nicht ausdrücklich - wie die Belieferung mit Gas, Elektrizität und Wasser in Anhang D - als mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit eingestuft wird. In der Tat ist das kostenlose Bereitstellen der Verkehrsinfrastruktur als eine hoheitliche Tätigkeit zu verstehen. Es mag dahinstehen, ob umgekehrt das als hoheitliche Aufgabe und mit Steuermitteln gebaute Straßennetz in der Gänze privatwirtschaftlich gegen eine Maut, die dann von allen verlangt wird, betrieben werden könnte. In jedem Fall kann aber das selektive - weil kostenpflichtige - Zurverfügungstellen eines beschränkten Streckenabschnitts nicht als eine Tätigkeit angesehen werden, die in Ausübung der öffentlichen Gewalt erfolgt. Das Erheben einer Maut ist zwar auch bei einer hoheitlichen Tätigkeit möglich und begründet allein noch keine Steuerpflicht, wie Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 ja ausdrücklich bestimmt. Zu bedenken ist jedoch, daß dem Benutzer im vorliegenden Fall die Auswahl zwischen einer gebührenfreien und einer gebührenpflichtigen Inanspruchnahme der Verkehrsinfrastruktur bleibt. Mit der Zurverfügungstellung des gebührenfreien Verkehrsnetzes ist eine hoheitliche Tätigkeit auf jeden Fall erschöpft und das Zurverfügungstellen zusätzlicher Strecken gegen eine Maut ist dagegen als eine rein privatwirtschaftliche Tätigkeit einzustufen. Wer eine gebührenpflichtige Baugenehmigung braucht, hat keine Auswahlmöglichkeit. Wer ein Studium absolviert, für das alle Gebühren bezahlen müssen, hat keine Ausweichmöglichkeit, um zum gleichen Ziel - dem betreffenden konkreten Studienabschluß - zu kommen. Im vorliegenden Fall hat der Nutzer jedoch eine echte Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, um - wenn auch umständlicher oder langsamer - zum gleichen Ziel zu gelangen. Das mautpflichtige Streckennetz wird zwar allen zur Verfügung gestellt, die bereit sind zu bezahlen, aber auch nur diesen. Darin ist eine Selektion zu sehen, die einem hoheitlichen Handeln fremd ist. Es sind vor allem wirtschaftlich-finanzielle Gründe, die zur Erhebung der Maut führen. Das Zurverfügungstellen einer beschränkten Strecke gegen eine Maut kann daher nicht als eine Tätigkeit im hoheitlichen Sinne angesehen werden.

53 Eine Anwendung der Vorschrift des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 auf den vorliegenden Fall kommt somit nicht in Betracht, da die Bereitstellung der Infrastruktur gegen Zahlung einer Maut nicht als Tätigkeit angesehen werden kann, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird. Die mit der Erhebung der Maut betrauten Einrichtungen sind somit als Steuerpflichtige anzusehen.

bb) Wirtschaftliche Tätigkeit

54 Nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie gilt wie erwähnt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt.

55 Als wirtschaftliche Tätigkeit definiert Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie "alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden".

56 Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß sich der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einen weiten Bereich erstreckt und daß es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird.(11)

57 Geht man von einem solch weiten Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit aus, so ist nicht erforderlich, daß Dienstleistungen primär oder ausschließlich am Marktgeschehen oder am Wirtschaftsleben orientiert sein müssen. Es reicht aus, daß sie tatsächlich in irgendeiner Weise mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängen.(12)

58 Auch wenn sich im vorliegenden Fall die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut nach öffentlichem Recht richtet und die mautpflichtige Strecke zum öffentlichen Straßennetz gehört, ist dies unerheblich bei der Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Nach Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie können steuerpflichtige Dienstleistungen nämlich auch in der Ausführung eines Dienstes aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes bestehen. Auch der objektive Charakter des Begriffes der wirtschaftlichen Tätigkeit spricht im vorliegenden Fall für eine Qualifikation als wirtschaftliche Tätigkeit, da es auf die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, ankommt.

59 Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität stellt für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ein grundlegendes Kriterium dar.(13) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß den Straßenbenutzern gegen Zahlung einer Gebühr in Form der Maut bestimmte Teile der Straßeninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Da somit von den jeweiligen Einrichtungen diese Tätigkeit betrieben wird, auch um Einnahmen zu erzielen, um daraus ihren materiellen Aufwand und gleichzeitig ihr Einkommen zu bestreiten, ergibt sich, daß im hier zu prüfenden Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

c) (Hilfsweise) Zur Frage der Wettbewerbsverzerrungen

60 Nach Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 gelten Staaten, Gemeinden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts selbst für Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbringen, jedoch dann als Steuerpflichtige, wenn ihre Behandlung als Nicht- Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dieser Unterfall bräuchte aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht geprüft zu werden, da von einer nicht-hoheitlichen Tätigkeit ausgegangen werden muß. Die Prüfung erfolgt daher nur hilfsweise.

61 Eine Wettbewerbsverzerrung im vorgenannten Sinn würde dann vorliegen, wenn die nicht-steuerpflichtige staatliche Einrichtung hinsichtlich einer gleichen Leistung mit einem steuerpflichtigen Privaten konkurrieren würde und deshalb ihre Dienstleistung wegen der Steuerbefreiung billiger anbieten könnte. Bei der Zurverfügungstellung einer Verkehrsinfrastruktur der vorliegenden Art gibt es jedoch keine privatrechtlich einzuordnende Konkurrenz, so daß es auch keinen Wettbewerb geben kann.

62 Die von der Kommission genannten Beispiele der Wettbewerbsverzerrungen sind hier nicht stichhaltig. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Richtlinie - ausweislich mehrerer Bestimmungen - auf inländische Vorgänge beschränkt. Eine Verletzung der Pflicht zur Gleichbehandlung mit Inländern ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zum anderen beruhen die erwähnten Verzerrungsfälle - Unmöglichkeit des Vorsteuerabzugs einerseits bzw. Kostenvergünstigung andererseits - nicht auf der Nichtbesteuerung bzw. der Steuerpflicht, sondern auf der falschen Rechtsanwendung. Nach Klärung durch die Rechtsprechung werden die Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuer sicher in gleicher Weise erheben. (Gleiches wird dann auch für die Zahlungen zu den Eigenmitteln gelten.) Folgte man im übrigen dem Vortrag der Kommission, wären die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Ländern am größten, in denen überhaupt keine Straßenmaut erhoben wird.

63 Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Artikels 4 Absatz 5 Unterabsatz 2, die eine Behandlung als Steuerpflichtiger begründen würden, liegen also nicht vor. Jedoch kommt es darauf - wie in den Nummern 38 bis 58 ausgeführt - nicht an. Im vorliegenden Fall ist eine der Mehrwertsteuer zu unterwerfende Leistung gegeben, da es sich bei der Erhebung der Maut nicht um eine hoheitliche Tätigkeit handelt.

64 Es ist somit festzustellen, daß die Niederlande gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen haben, da die Erhebung der Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen war.

65 Abschließend ist noch kurz - auch wenn dies hier von den Parteien nicht angesprochen worden ist - auf die Frage einzugehen, inwieweit sich die in den Rechtssachen C-276/97, C-358/97, C-359/97 und C-260/98(14) festgestellte Verfristung der Ansprüche auf Zahlung der Beträge zu den Eigenmitteln(15) auf den vorliegenden Fall auswirkt.

66 In den genannten Rechtssachen hatte die Kommission nach Abschluß des Vorverfahrens bis zur Klageerhebung einen beträchtlichen Zeitraum verstreichen lassen, ohne ausreichende Schritte zur Klärung der streitigen Fragen zu unternehmen.

67 Da sich aus Artikel 9 Absatz 2 erster Halbsatz der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel(16) entnehmen läßt, daß die die Grundlage der Mehrwertsteuereigenmittel betreffenden Jahresübersichten der Mitgliedstaaten nur bis zum 31. Juli des vierten Jahres, das auf ein Haushaltsjahr folgt, berichtigt werden können, ist davon auszugehen, daß nach Ablauf dieser Ausschlußfrist auch eine Erhebung der Beiträge zu den Eigenmitteln grundsätzlich nicht möglich ist. Ausgenommen hiervon sind gemäß Artikel 9 Absatz 2 zweiter Halbsatz die von der Kommission oder dem betreffenden Mitgliedstaat vor diesem Termin mitgeteilten Punkte. Diese Regelung soll es ermöglichen, streitige aber angesprochene Punkte auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zu klären. Es ist dabei aber vorauszusetzen, daß sich die Beteiligten in der Folgezeit auch um eine Lösung der Probleme bemühen und daß eine solche auch tatsächlich möglich ist.

68 In den Verfahren gegen Frankreich, Irland, das Vereinigte Königreich und Griechenland fand jedoch in den Jahren zwischen dem Abschluß des Vorverfahrens und der Klageerhebung wohl kein weiterer, ausreichender Dialog statt, so daß gemäß der 43-Monats-Ausschlußfrist ein Anspruch auf Zahlung der Beiträge verfristet ist. Lediglich die innerhalb dieser Frist liegenden Haushaltsjahre vor Klageerhebung waren noch nicht abgeschlossen und die diesbezüglichen Jahresübersichten können weiterhin berichtigt werden.

69 Im Unterschied zu diesen Fällen hatten aber die Niederlande der Kommission die entsprechenden Beiträge zu den Eigenmitteln unter Vorbehalt geleistet und die Kommission hatte ungefähr sieben Jahre nach einer ersten mit Gründen versehenen Stellungnahme (19. Oktober 1989) eine zusätzliche Stellungnahme (23. Dezember 1996) übermittelt. Entsprechend dem bisher Ausgeführten ist aber auch hier davon auszugehen, daß der Anspruch auf Zahlung der Mittel verfristet ist, soweit er sich auf die Haushaltsjahre vor 1993 bezieht. Selbst wenn die Niederlande also unter Vorbehalt die errechneten Beiträge zu den Eigenmitteln überwiesen haben, sollte eine Rückforderung der vor 1993 geleisteten Mittel oder eine Anrechnung auf die folgenden Haushaltsjahre möglich sein.

70 Da diese Problematik aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist, braucht hierüber nicht abschließend entschieden zu werden.

VI - Kosten

71 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, den Niederlanden die Kosten aufzuerlegen.

VII - Ergebnis

72 Aus den vorstehenden Gründen wird daher vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:

1. Das Königreich der Niederlande hat gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, indem es entgegen den Artikeln 2 und 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 die Maut für die Inanspruchnahme der Verkehrswegeinfrastruktur nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat.

2. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten des Verfahrens.

(1) - Die Kommission hat in diesem Zusammenhang auch gegen Frankreich, Irland, Großbritannien und Griechenland aus demselben Grund Klage erhoben.

Es handelt sich um die Rechtssachen C-276/97, C-358/97, C-359/97 und

C-260/98.

Im Unterschied zu den anderen beklagten Mitgliedstaaten haben die Niederlande den entsprechenden Eigenmittelbeitrag der Kommission vorbehaltlich einer Klärung der streitigen Punkte zur Verfügung gestellt.

In den nicht beklagten Mitgliedstaaten wird entweder keine Straßennutzungsgebühr erhoben oder diese der Umsatzsteuer unterworfen.

Da in Spanien ein herabgesetzter Steuersatz angewendet wird, hat die Kommission auch gegen Spanien Klage erhoben (Rechtssache C-83/99).

(2) - ABl. L 145, S. 1.

(3) - Anhang D führt insgesamt 13 Arten von Tätigkeiten auf, wie z. B. das Fernmeldewesen, die Lieferungen von Wasser, Gas, Elektrizität, Dienstleistungen in Häfen und auf Flughäfen, Veranstaltungen von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter u. a. m.

(4) - In Artikel 13 Teil A sind 17 Steuerbefreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten aufgeführt. Demnach sind u. a. von der Steuer befreit: die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen, die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit sowie mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, ferner solche Leistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben, welche politische, gewerkschaftliche, religiöse, patriotische, weltanschauliche, philanthropische oder staatsbürgerliche Ziele verfolgen, ihren Mitgliedern erbringen sowie die Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter. Weitere Ausnahmen gelten nach Artikel 13 Teil B für die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze, für bestimmte Tätigkeiten im Kreditbereich sowie - mit vier Ausnahmen - für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

(5) - Für den noch im Bau befindlichen Westerscheldetunnel werde nach Fertigstellung - voraussichtlich im Jahr 2003 - eine Maut erhoben, diese dann jedoch auch der Mehrwertsteuer unterworfen.

(6) - Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache 102/86 (Apple and Pear Development Council, Slg. 1988, 1443, Randnr. 11).

(7) - Urteile vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 107/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 2655), vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1471) und vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 231/87 und 129/88 (Carpaneto u. a., Slg. 1989, 3233, Randnr. 12).

(8) - Urteil in der Rechtssache Kommission/Niederlande (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 21).

(9) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 15).

(10) - Urteil in der Rechtssache Carpaneto (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 16).

(11) - Urteile vom 26. März 1987 in der Rechtssache 235/85 (zitiert in Fußnote 11), vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 10) und vom 4. Dezember 1990 in der Rechtssache C-186/89 (Van Tiem, Slg. 1990, I-4363, Randnr. 17).

(12) - Schlußanträge von Generalanwalt Lenz vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 235/85 (Slg. 1987, 1478, Nr. 22) und Urteil vom 26. März 1987 (zitiert in Fußnote 7).

(13) - Urteil vom 20. Februar 1997 in der Rechtssache C-260/95 (DFDS, Slg. 1997, I-1005, Randnr. 23).

(14) - In diesen Rechtssachen (siehe auch Fußnote 1) hatte die Kommission gegenüber den beklagten Mitgliedstaaten auch den Vorwurf erhoben, daß aufgrund der Nichterhebung der Maut entsprechende Beiträge zu den Eigenmitteln nicht geleistet worden seien.

(15) - Siehe in den jeweiligen Schlußanträgen vom 27. Januar 2000 unter V - Würdigung, 3.

(16) - ABl. L 155, S. 9.