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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61998C0454

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 13. April 2000. - Schmeink & Cofreth AG & Co. KG gegen Finanzamt Borken und Manfred Strobel gegen Finanzamt Esslingen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer vorzusehen - Voraussetzungen - Guter Glaube des Ausstellers der Rechnung. - Rechtssache C-454/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-06973


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, zu entscheiden, unter welchen Umständen die Mitgliedstaaten nach der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(1) die Berichtigung von Mehrwertsteuer ermöglichen müssen oder können, die zu Unrecht in Rechnungen über nie ausgeführte Umsätze ausgewiesen worden ist. Im Wesentlichen geht es hierbei um die Bedeutung des im Urteil Genius Holding(2) aufgestellten Grundsatzes und insbesondere darum, ob eine unrichtige Rechnung in gutem Glauben ausgestellt worden sein muss, damit der Aussteller später die Berichtigung verlangen kann.

I - Sachverhalt und rechtlicher Rahmen

A - Rechtlicher Rahmen

2 Nach Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt". Nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a ist der Steuerpflichtige befugt, von der "von ihm geschuldeten oder entrichteten" Steuer die Umsatzsteuer "für Gegenstände oder Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden", abzuziehen. Nach Artikel 20 können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, dass "[d]er ursprüngliche Vorsteuerabzug", der einem Steuerpflichtigen gewährt wurde, berichtigt wird. Artikel 21, der die "Steuerschuldner" betrifft, sieht in Absatz 1, soweit es hier von Bedeutung ist, vor:

"Die Mehrwertsteuer schuldet

1. im inneren Anwendungsbereich

...

c) jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist ..."

3 Im deutschen Recht unterscheidet das Umsatzsteuergesetz 1991 (UStG) zwischen unrichtigem (vgl. § 14 Absatz 2 UStG) und unberechtigtem Steuerausweis (vgl. § 14 Absatz 3 UStG); Letzterer ist im vorliegenden Fall einschlägig. Die Vorschriften lauten jeweils wie folgt:

"Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist § 17 Abs. 1 entsprechend anzuwenden."

"Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt."

4 Nach Abschnitt 190 Absatz 3 der Umsatzsteuerrichtlinien wird, wenn die Erhebung der zu Unrecht ausgewiesenen Steuer zu einer sachlichen Härte führt, aus Billigkeitsgründen zugelassen, dass der Aussteller - abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen - die Rechnung in entsprechender Anwendung des § 14 Absatz 2 UStG berichtigt. Dazu bestimmt § 227 Abgabenordnung (AO):

"Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre..."

B - Sachverhalt und Ausgangsverfahren

5 Das Ausgangsverfahren betrifft zwei Rechtsstreitigkeiten, die das vorlegende Gericht verbunden hat.

6 Schmeink & Cofreth, Klägerin und Revisionsklägerin des Ausgangsverfahrens in der ersten Rechtssache (im Folgenden: Klägerin), stellte am 31. Dezember 1991 einem Unternehmen, dessen Anteile sie erwarb, eine Pro-forma-Rechnung für nie ausgeführte Beratungsleistungen, in der Umsatzsteuer in Höhe von 529 370,80 DM ausgewiesen war. Die Rechnung wurde anscheinend ein Jahr später von dem anderen Unternehmen zur Begründung eines Antrags auf Investitionszulage verwendet. Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung setzte das Finanzamt Borken (im Folgenden: erster Beklagter) am 14. April 1993 gegen die Klägerin Umsatzsteuer in Höhe des ausgewiesenen Betrages gemäß § 14 Absatz 3 UStG fest.

7 Später beantragte die Klägerin bei dem ersten Beklagten nach § 227 AO Erlass der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen, jedoch ohne Erfolg. Ihre Klage gegen diese Ablehnung wies das Finanzgericht Münster ab. Sie legte beim Bundesfinanzhof Revision ein, in der sie sich auf ein früheres Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. Februar 1980 (im Folgenden: Urteil 1980) berief, wonach es für einen Erlass aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO genüge, wenn der Rechnungsaussteller vollständig und rechtzeitig die Gefährdung des Steueraufkommens beseitige.

8 Herr Strobel, Kläger und Revisionskläger des zweiten Ausgangsverfahrens (im folgenden: Kläger), betrieb während der maßgeblichen Jahre 1992 und 1993 einen Handel mit Büromaschinen. Er stellte verschiedenen Leasingunternehmen fingierte Rechnungen über nie ausgeführte Lieferungen aus, um Verluste zu verschleiern und eine bessere Ertragslage einer seiner Filialen vorzutäuschen. Die Leasingunternehmen bezahlten die Rechnungen und zogen die darin ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer ab. Der Kläger unterwarf die Entgelte der Umsatzsteuer, kam aber mit den Leasingunternehmen überein, den Kaufpreis in Raten zurückzuzahlen. 1994 erstattete er bei der Staatsanwaltschaft Selbstanzeige und informierte das Finanzamt Esslingen (im Folgenden: zweiter Beklagter) freiwillig von den unrichtigen Steuererklärungen. Nach § 14 Absatz 3 Satz 2 2. Alternative UStG wurde gegen ihn Umsatzsteuer in Höhe des Steuerausweises auf den Rechnungen, und zwar für 1992 in Höhe von 519 346,36 DM und für 1993 in Höhe von 653 156,51 DM, festgesetzt.

9 Am 24. August 1995 stellte der Kläger einen Antrag auf Erlass dieser (und anderer) Umsatzsteuerbeträge aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO. Dieser Antrag wurde von dem zweiten Beklagten abgelehnt. Daraufhin erhob der Kläger Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg, jedoch ohne Erfolg. Er legte Revision beim Bundesfinanzhof ein mit der Begründung, § 227 AO sei anwendbar, da er, obwohl er die Pro-forma-Rechnungen nicht zurückerlangt habe, rechtzeitig gehandelt habe, um die Gefährdung des Steueraufkommens zu verhindern.

10 In ihren Klagen tragen beide Kläger im Wesentlichen vor, dass es für einen Erlass aus Billigkeitsgründen genügen müsse, dass der Aussteller der fraglichen Rechnungen die Gefahr von Steuerausfällen für die Steuerbehörden beseitige, indem er entweder die von ihm ausgestellten Rechnungen von den Rechnungsadressaten zurückerlange, bevor sie zum Vorsteuerabzug verwendet würden, oder indem er die darin ausgewiesene Vorsteuer abführe und dann sicherstelle, dass die Rechnungsempfänger jede aufgrund von Pro-forma-Rechnungen zu Unrecht abgezogene Vorsteuer an die Behörden zurückzahlten.

11 In seinem Vorlagebeschluss weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass nach dem Urteil von 1980 gemäß § 227 AO dann Raum für einen Billigkeitserlass sei, wenn der Aussteller der unrichtigen Rechnung diese entweder vor Verwendung wiedererlange oder die Gefährdung des Steueraufkommens durch rechtzeitige andere Maßnahmen, insbesondere durch eine Anzeige bei den zuständigen Finanzbehörden, beseitige. Der Bundesgerichtshof habe aber in einem Urteil vom 23. November 1995 unter Berufung auf Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie und auf das Urteil Genius Holding entschieden, dass es für den Erlass einer Steuerschuld gemäß § 14 Absatz 3 UStG nach § 227 AO erforderlich sei, dass außer der Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens der Rechnungsaussteller einen "entschuldbaren Irrtum" begangen habe(3). Der Bundesfinanzhof scheint in seinem Vorlagebeschluss aufgrund seiner eigenen Rechtsprechung dazu zu neigen, eine solche Voraussetzung abzulehnen. Da die Irrtümer der beiden Kläger in diesen Rechtssachen nicht unbeabsichtigt gewesen seien, sei u. a. fraglich, ob der Neutralitätsgrundsatz der Umsatzsteuer verlange, dass der Rechnungsaussteller seinen "guten Glauben" nachweise, um in den Genuss des Erlasses einer sich aus einer Rechnung ergebenden Steuerschuld zu kommen, wenn jede Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden sei. Eine solche Auslegung stoße in Deutschland auf verfassungsrechtliche Bedenken, denn die nationale Vorschrift zur Umsetzung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie würde in die Nähe einer Strafvorschrift rücken, denn die Belastung mit in Rechnungen ausgewiesenen Steuerbeträgen träfe die Aussteller auch dann, wenn ihr Verhalten die Steuerneutralität nicht gefährdet habe.

12 Der Bundesfinanzhof hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gebietet es das Gemeinschaftsrecht, die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer bereits im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens zu ermöglichen, oder reicht es aus, wenn die Mitgliedstaaten eine Berichtigung erst in einem anschließenden Billigkeitsverfahren (aus sogenannten sachlichen Gründen) zulassen?

2. Setzt die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer zwingend voraus, dass der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist, oder ist eine Rechnungsberichtigung auch in anderen Fällen (gegebenenfalls welchen) zulässig?

3. Unter welchen Voraussetzungen handelt ein Rechnungsaussteller in gutem Glauben?

III - Erklärungen

13 Schriftliche Erklärungen haben nur die Klägerin, Deutschland und die Kommission abgegeben(4). Nach diesen Erklärungen werfen die vorgelegten Fragen zwei verschiedene Probleme auf, und zwar welche Art von Berichtigungsverfahren es geben sollte, und ob der Steuerpflichtige, der einen Erlass beantragt, seinen guten Glauben nachweisen muss. Nur wenn der zweite Punkt bejaht wird, muss der Gerichtshof die Art des geforderten guten Glaubens untersuchen.

IV - Rechtliche Würdigung

A - Geforderte Berichtigungsverfahren

14 Die Klägerin vertritt zusammen mit der Kommission die Auffassung, dass es nicht genüge, wenn die Mitgliedstaaten lediglich die Berichtigung einer zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer in einem "Billigkeitsverfahren" nach der Festsetzung der Steuerschuld zuließen. Der Grundsatz der Neutralität, wie er u. a. in den Urteilen Gibbs(5) und Molenheide u. a.(6) ausgelegt worden sei, verlange, dass jede zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer berichtigt werden könne. Räume man den nationalen Finanzbehörden in diesem Zusammenhang ein Ermessen ein, würde die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte entgegen dem Urteil Fantask(7) unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert.

15 Deutschland vertritt die Auffassung, eine Antwort auf die erste Frage sei nicht erforderlich, da die Ausgangsverfahren Rechtsmittel gegen Urteile von Instanzgerichten beträfen, mit denen nach Festsetzung der Steuerschuld der Kläger gemäß § 227 AO erhobene Klagen abgewiesen worden seien. Hilfsweise wird ausgeführt, nach dem Grundsatz der Neutralität müssten die Mitgliedstaaten nur gewährleisten, dass eine zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer berichtigt werden könne. Da die Sechste Richtlinie keine ausdrückliche Bestimmung über die Berichtigung enthalte, seien die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung der anwendbaren Verfahren frei.

16 Ich bin nicht der Ansicht, dass eine Antwort auf die erste Frage nicht erforderlich sei. Es trifft zwar zu, dass die Rechtsmittel der Kläger in den Ausgangsverfahren das Billigkeitsverfahren nach § 227 AO betreffen, also den Fall, dass die Steuer bereits bezahlt wurde. Aus dem Vorlagebeschluss geht jedoch eindeutig hervor, dass es dazu kam, weil in den Fällen des unberechtigten Umsatzsteuerausweises auf der fraglichen Rechnung keine gesonderte Berichtigungsmöglichkeit nach § 14 Absatz 3 UStG besteht. Daher leuchtet ein, dass es den Klägern zugute kommen wird, wenn das Gemeinschaftsrecht weiter gehende Berichtigungsmöglichkeiten verlangt, insbesondere da der Bundesfinanzhof durchaus bereit zu sein scheint, § 227 AO weiter auszulegen. Jedenfalls ist es allein Sache dieses Gerichts, die Bedeutung der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, für die bei ihm anhängigen Verfahren zu ermessen. Der Gerichtshof ist grundsätzlich verpflichtet, solche Fragen zu beantworten, es sei denn, die gewünschte Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist für die Entscheidung des bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits offensichtlich vollkommen unerheblich(8).

17 Daher ist zu untersuchen, ob die nach deutschem Recht derzeit bestehende eingeschränkte Berichtigungsmöglichkeit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Wichtig ist der Hinweis, dass die Sechste Richtlinie die Mehrwertsteuersysteme der Mitgliedstaaten nicht vollständig harmonisiert. Im Gegenteil

"bezweckt [sie] insgesamt, eine einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage zu schaffen, die die Neutralität des Systems gewährleisten und, wie es in ihrer zwölften Begründungserwägung heißt, die Steuerabzugsregelung insoweit harmonisieren soll, $als sie tatsächlich die Höhe der Besteuerung beeinflusst`; außerdem soll mit der Richtlinie erreicht werden, dass die $Pro-rata-Sätze des Steuerabzugs ... in allen Mitgliedstaaten auf gleiche Weise berechnet werden`"(9).

18 Das gilt insbesondere für Rechnungen. In seinem Urteil Jeunehomme hat der Gerichtshof bestätigt, dass die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den in Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgeschriebenen Mindestangaben die Informationen näher bestimmen können, die in Rechnungen, aus denen sich das Recht auf Vorsteuerabzug ergibt, enthalten sein müssen(10). Daher neige ich dazu, die Ansicht zu bestätigen, die ich in der Rechtssache Molenheide u. a. vertreten habe, dass nämlich die Mitgliedstaaten über "einen weiten Handlungsspielraum bei der Durchführung der Bestimmungen des Mehrwertsteuersystems" verfügen und dass ihnen "[a]llgemeiner ... die Verwaltung des gesamten Mehrwertsteuersystems" zusteht(11). In diesem Lichte sind die Berichtigungsmöglichkeiten des deutschen Rechts zu untersuchen.

19 Die Sechste Richtlinie schweigt sich über eine Berichtigungsmöglichkeit aus. Folglich ist es, wie der Gerichtshof im Urteil Genius Holding ausdrücklich anerkannt hat, Sache der Mitgliedstaaten, in ihren nationalen Gesetzen die Möglichkeit zur Berichtigung von Steuerschulden vorzusehen, die aus einer ausgestellten Rechnung entstehen.

20 Es wäre jedenfalls mit dem Grundsatz der Steuerneutralität unvereinbar, wenn das nationale Recht keine Berichtigung zuließe. Obwohl der Gerichtshof im Urteil Molenheide u. a. bestätigt hat, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung von außerhalb der Sechsten Richtlinie liegenden Befugnissen sicherstellen müssen, dass die Rechte der Steuerpflichtigen aus der Richtlinie nicht verletzt werden oder die Berufung auf sie nicht unverhältnismäßig erschwert wird, bin ich nicht der Ansicht, dass es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz(12) verletzt, wenn ein Mitgliedstaat in Fällen unrichtigen Umsatzsteuerausweises eine Berichtigungsmöglichkeit erst nach der fraglichen Steuerfestsetzung einräumt. Aus der ausdrücklichen Bestimmung in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie, dass diejenigen, die Mehrwertsteuer auf Rechnungen ausweisen, diese auch schulden, folgt nämlich meiner Auffassung nach, dass ein Mitgliedstaat legitimerweise den Standpunkt einnehmen kann, dass ein nachträgliches Erstattungssystem einen angemessenen Schutz gegen die Gefährdung des Steueraufkommens darstellt, die durch unrichtige oder Pro-forma-Rechnungen entsteht, besonders wenn die entsprechende Vorsteuer abgezogen wurde. Ein rückwirkendes Berichtigungssystem kann auch eine Abschreckung vom Missbrauch von Rechnungen darstellen.

B - Die Berichtigungsvoraussetzungen

21 Die von diesem Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfene Hauptfrage ist die, ob guter Glaube des Rechnungsausstellers im Gemeinschaftsrecht eine Voraussetzung für die Berichtigung ist.

22 Wenn eine Rechnung nicht zu einem Vorsteuerabzug geführt hat und an ihren Aussteller zurückgegeben worden ist, verlangt der Grundsatz der Steuerneutralität nach Auffassung der Klägerin, dass einem Berichtigungsantrag stattgegeben werde, ohne dass guter Glaube nachgewiesen werden müsse. Einen solchen zu verlangen, wenn keine missbräuchlichen Berichtigungsansprüche erhoben werden könnten, verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

23 Deutschland trägt vor, der Grundsatz der Steuerneutralität verlange, dass eine Berichtigung nur unter den im Urteil Genius Holding genau niedergelegten Voraussetzungen zugelassen werde, d. h. bei Nachweis von gutem Glauben. Hilfsweise wird ausgeführt, dass ein solcher nur dann vorliege, wenn dem Rechnungsaussteller ein entschuldbarer Irrtum, wie ein Schreibfehler, ein Rechtsirrtum oder irgendein ähnlicher Fehler, unterlaufen sei.

24 Die Kommission trägt vor, dass eine Ablehnung der Berichtigung gegenüber nicht in gutem Glauben handelnden Steuerpflichtigen, die auch dann erfolge, wenn keine Gefährdung des Mehrwertsteueraufkommens bestehe, gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoße. Sie würden im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen, die nur Mehrwertsteuer für tatsächlich ausgeführte Umsätze schuldeten, benachteiligt. Das Urteil Genius Holding, das auf Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie gestützt sei, betreffe nur die Fälle, in denen irrtümlich Rechnungen ausgestellt würden. Allgemeiner folge sowohl aus der Tatsache, dass nach Artikel 2 eine Mehrwertsteuerschuld das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes voraussetze, als auch aus dem Neutralitätsgrundsatz, dass keine Mehrwertsteuerschuld entstehe, wenn kein Umsatz ausgeführt werde.

25 In den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen wird übereinstimmend die Ansicht vertreten, dass die Berichtigungsmöglichkeit voraussetze, dass der Steuerpflichtige alle angemessenen Schritte unternommen habe, um sicherzustellen, dass es nicht zu einem Vorsteuerabzug komme. So gelang es in den Ausgangsverfahren der Klägerin, die entsprechende Rechnung vor einem Abzug wiederzuerlangen, während der Kläger die geschuldete Umsatzsteuer abführte und sich später um ihren Erlass durch Berichtigung bemühte. Meiner Auffassung nach ist die Beseitigung jeder Gefährdung des Mehrwertsteueraufkommens des jeweiligen Mitgliedstaats die wesentliche Vorbedingung für jeden Berichtigungsantrag(13). Um zu entscheiden, ob ein Mitgliedstaat verlangen darf, dass der Aussteller auch seinen guten Glauben nachweist, ist die Rechtsprechung betreffend Rechnungen zu untersuchen.

26 Die Rechtssache Jeunehomme, 17 Monate vor dem Urteil Genius Holding entschieden, betraf die Klage eines Steuerpflichtigen, der sich gegen die Verweigerung eines Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen bestimmter Lieferanten wandte. Die Steuerverwaltung vertrat den Standpunkt, die Angaben in den entsprechenden Rechnungen seien ungenügend. Der Fall betraf damit das Recht auf den in den Artikeln 17 und 18 der Sechsten Richtlinie ausdrücklich anerkannten Vorsteuerabzug, der nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a berichtigt wird, wenn er "höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war". Der Gerichtshof entschied, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, vorzuschreiben, welche Angaben auf einer Rechnung erscheinen müssen, "nur soweit [gehen kann], als dies erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern"(14). Offenkundig wollte der Gerichtshof sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten ausreichenden, aber nicht unbegrenzten Spielraum bei der Anwendung von Regeln haben, die, wie sich Generalanwalt Sir Gordon Slynn in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Jeunehomme ausgedrückt hat, die Feststellung ermöglichen sollen, "dass der Umsatz", für den der Vorsteuerabzug beantragt wurde, "tatsächlich stattgefunden hat", d. h., dass der betreffende Lieferant tatsächlich "die Entrichtung der Vorsteuer nachgewiesen hat"(15).

27 In der Rechtssache Genius Holding stellte sich die Frage nach der Berichtigung nur mittelbar, da der Fall im Wesentlichen die Berichtigung eines ursprünglich zugelassenen Vorsteuerabzugs zum Gegenstand hatte. Die Notwendigkeit einer Berichtigung ergab sich daraus, dass Genius Holding die in Rechnungen bestimmter Subunternehmer ausgewiesene Mehrwertsteuer als Vorsteuer abgezogen hatte, obwohl die damals einschlägigen niederländischen Mehrwertsteuervorschriften diese Subunternehmer vom Umsatzsteuerausweis ausgeschlossen hatten(16). Genius Holding und die Kommission waren der Auffassung, dass es unter Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz zu einer Doppelbesteuerung führe, wenn ein Steuerpflichtiger, der Rechnungen bezahlt habe, die ihm von seinen Lieferanten darin in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen könne. Die Mitgliedstaaten, die schriftliche Erklärungen abgaben, traten für eine enge Auslegung ein, wonach nur die tatsächlich geschuldete Mehrwertsteuer abgezogen werden könne; allerdings vertraten die Niederlande insofern eine "weniger radikale" Position, als die Übung der niederländischen Steuerverwaltung darin bestand, sich zur Eintreibung dieser Mehrwertsteuer zunächst an den Rechnungsaussteller zu wenden und "[n]ur wenn dieses Vorgehen keinerlei Aussicht auf Erfolg hat[te], [wurde] unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel wenn der Empfänger der Rechnung nicht gutgläubig [war], die als Vorsteuer abgezogene Steuer auch von diesem nacherhoben"(17). Aus dem Sitzungsbericht in dieser Rechtssache geht jedoch weder hervor, ob die Lieferanten - in diesem Fall die Subunternehmer - die in den Rechnungen an Genius Holding ausgewiesene Mehrwertsteuer tatsächlich bezahlt hatten, noch, ob Genius Holding die Rechnungen einschließlich der fraglichen Mehrwertsteuer tatsächlich bezahlt hatte. Daher ist nicht eindeutig feststellbar, ob die Lieferanten lediglich irrtümlich die Mehrwertsteuer auf der Rechnung ausgewiesen hatten oder ob sich Genius Holding mit den Lieferanten insgeheim abgesprochen hatte(18).

28 Im Urteil Genius Holding hat der Gerichtshof Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, wonach ein Steuerpflichtiger "die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden", abziehen kann, dahin ausgelegt, dass "das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die geschuldet werden - d. h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen - oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden"(19). Daher hat er entschieden, dass die nationalen Steuerbehörden nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a einen Vorsteuerabzug berichtigen können, "selbst wenn er mit dem in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausgewiesenen Steuerbetrag übereinstimmt"(20). Er rechtfertigte diese Konstruktion mit dem Hinweis, dass "sich [damit] auch am ehesten Steuerhinterziehungen verhindern [lassen], die erleichtert würden, wenn jede in Rechnung gestellte Steuer abgezogen werden könnte"(21).

29 Vor diesem Hintergrund hat sich der Gerichtshof dann beiläufig dem aus dem Neutralitätsgrundsatz hergeleiteten Argument zugewandt. Genius Holding, der Empfänger der fraglichen Rechnungen, hatte mit Unterstützung durch die Kommission geltend gemacht, dass eine Beschränkung seines Rechts auf Vorsteuerabzug diesen Grundsatz verletze. Als Antwort darauf führte der Gerichtshof aus, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, "die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zu gewährleisten, dass sie in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen, dass jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist"(22). Meines Erachtens ist jedoch offensichtlich, dass sich die Frage des guten Glaubens in diesem Fall nicht stellte. Erstens betraf er einen Rechnungsempfänger, und zweitens war nach der niederländischen Verwaltungspraxis, durch die er vermutlich ausgelöst worden war, das Fehlen von gutem Glauben bei den Rechnungsempfängern nur eine Grundlage, auf der die abgezogene Steuer auf diese abgewälzt werden konnte. Dennoch hat der Gerichtshof offensichtlich den guten Glauben im Interesse der Vermeidung von Steuerhinterziehung als eine Voraussetzung für die Berichtigung einer Steuerschuld eingestuft, wobei er jedoch die Frage des genauen Verhältnisses zwischen dieser Voraussetzung und dem Grundsatz der Steuerneutralität für den Fall, dass keine Hinterziehungsgefahr besteht, offen gelassen hat.

30 Bevor dieses Verhältnis untersucht wird, ist es hilfreich, sich der jüngeren Rechtsprechung zuzuwenden, in der der Gerichtshof die Bedeutung von Rechnungen oder ähnlichen Dokumenten untersucht hat. Meiner Auffassung nach bestätigt diese Rechtsprechung meinen (in Nr. 25) bereits dargelegten Standpunkt, dass es aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts vor allem darum geht, Steuerhinterziehungen zu verhindern, wenn die Mitgliedstaaten ihre Befugnis zur Verwaltung ihrer nationalen Mehrwertsteuersysteme wahrnehmen.

31 In der Rechtssache Reisdorf wurde der Gerichtshof gefragt, ob ein Steuerpflichtiger von der normalerweise bestehenden Pflicht zur Vorlage des Originals einer Rechnung befreit werden kann, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug für die darin ausgewiesene Umsatzsteuer ausgeübt worden ist(23). Er entschied, dass "die Sechste Richtlinie den Mitgliedstaaten die Befugnis zuerkennt, Vorschriften über die Kontrolle der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu erlassen und insbesondere zu bestimmen, wie der Steuerpflichtige dieses Recht nachweisen muss", und dass "diese Befugnis auch diejenige [umfasst], bei Steuerkontrollen die Vorlage der Originalrechnung zu verlangen, sowie diejenige, einem Steuerpflichtigen, der diese nicht mehr besitzt, zu gestatten, andere stichhaltige Beweise vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Umsatz, auf den sich der Antrag auf Vorsteuerabzug bezieht, tatsächlich stattgefunden hat"(24). Wie im Urteil Jeunehomme ging es dem Gerichtshof offenkundig darum, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten der Steuerhinterziehung dadurch begegnen können, dass sie Vorsteuerabzüge nur dann zulassen, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass die Mehrwertsteuer tatsächlich abgeführt wurde.

32 Die zentrale Bedeutung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung geht auch aus dem Urteil Langhorst(25) hervor. Dieser Fall betraf Gutscheine, die Viehhändler an den Kläger, einen Landwirt, ausgestellt hatten, und die als Dokumente ähnlich Rechnungen angesehen wurden. Auf ihnen war fälschlich ein höherer Umsatzsteuersatz ausgewiesen, als ihn der Kläger tatsächlich abzuführen hatte. Unter Bezugnahme auf Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie und auf den Zweck, Steuerhinterziehung zu verhindern, entschied der Gerichtshof, dass der Kläger, da er der von dem Händler angewandten Praxis der Selbstfakturierung zugestimmt habe, als Aussteller dieser Gutscheine angesehen werden könne und folglich die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer schulde(26).

33 Die Bedeutung, die der Gerichtshof der Bekämpfung der Steuerhinterziehung beimisst, geht auch aus seinem Urteil Grandes Sources d Eaux Minérales Françaises(27) hervor, in dem die Klägerin ihren Anspruch auf Vorsteuerabzug nur durch die Vorlage einer Zweitschrift des Originals der Rechnung nachweisen konnte, dessen Abhandenkommen von ihr nicht zu vertreten war(28). Zwar führte der Gerichtshof aus, dass die Forderung nach Vorlage der Originale "in Einklang mit dem in der sechsten Begründungserwägung der Achten Richtlinie genannten allgemeinen Ziel der Richtlinie [steht], $bestimmte Formen der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung` zu bekämpfen", sowie zu verhindern, dass Rechnungen "für weitere Erstattungsanträge" verwendet werden können, er entschied jedoch, dass Artikel 3 Buchstabe a dieser Richtlinie "nicht dahin ausgelegt werden [kann], dass er einem Mitgliedstaat die Möglichkeit verwehrt, einen derartigen Erstattungsantrag in außergewöhnlichen Fällen zuzulassen, in denen der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang zweifelsfrei stattgefunden hat ... und in Anbetracht der Umstände feststeht, dass die Gefahr weiterer Erstattungsanträge nicht gegeben ist"(29). Unter Bezugnahme auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führte er anschließend aus, dass "der Ausschluss der vorgenannten Möglichkeit aber in einem solchen außergewöhnlichen Fall nicht erforderlich [ist], um eine Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung zu verhindern"(30).

34 Welche Bedeutung der Gerichtshof dem Erfordernis des guten Glaubens mit seiner Bemerkung im Urteil Genius Holding genau beimessen wollte, ist unklar, da der Verfahrensakte zu entnehmen ist, dass der Aussteller lediglich irrtümlich handelte, als er Genius Holding die fragliche Mehrwertsteuer in Rechnung stellte. Mit Rücksicht auf die spätere Rechtsprechung, in der das Anliegen im Vordergrund steht, glatte Steuerhinterziehung oder das unredliche Konstruieren von Ansprüchen auf Vorsteuerabzüge zu verhindern, ist es meiner Auffassung nach wahrscheinlich, dass der Gerichtshof mit der Erwähnung des guten Glaubens im Urteil Genius Holding nicht mehr wollte, als sich auf einen Grundsatz zu beziehen, der anzuwenden ist, wenn er für die Regeln des Gemeinschaftsrechts und insbesondere des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems Bedeutung hat. Wenn sich demnach herausstellte, dass die Rechnung in gutem Glauben ausgestellt wurde, würde es demnach offensichtlich gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoßen, den Steuerpflichtigen daran zu hindern, von einem Berichtigungsrecht Gebrauch zu machen, wenn kein Steuerausfall entstanden ist oder das Steueraufkommen nicht gefährdet war. Meines Erachtens verlangt das Gemeinschaftsrecht unter diesen Umständen von den Mitgliedstaaten, die Berichtigung solcher von unrichtigen Rechnungen beeinträchtigter Mehrwertsteuererklärungen nach nationalem Recht zuzulassen. Auf dieser Auslegung beruht meiner Auffassung nach die Entscheidung Genius Holding in Wirklichkeit. Dennoch stimme ich mit der Kommission darin überein, dass nach demselben Grundsatz logischerweise eine Berichtigung auch dann möglich sein sollte, wenn der Aussteller ungeachtet eines anfänglichen unentschuldbaren Irrtums oder von Bösgläubigkeit bei der Rechnungsausstellung angemessene und wirksame Schritte unternommen hat, um sicherzustellen, dass kein Steuerausfall entsteht(31).

35 Dieser Auslegung steht auch nicht Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie entgegen, der die Steuerschuld des Ausstellers für die in der Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer betrifft. Wie die Kommission anmerkt, hindert das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran, jede Maßnahme, wie Geldbußen oder Geldstrafen, ob straf- oder verwaltungsrechtlicher Art, anzuordnen, die sie für geeignet halten, um vom Ausstellen oder vom Versuch des Ausstellens falscher oder fingierter Rechnungen abzuschrecken. Das Gemeinschaftsrecht hindert meiner Auffassung nach die Mitgliedstaaten auch nicht daran, vorzuschreiben, dass die Beweislast für das Fehlen jeder Gefährdung des Steueraufkommens bei dem verantwortlichen Steuerpflichtigen liegt. Das gilt umso mehr, wenn anfänglich kein guter Glaube vorlag.

36 Wenn sich der Gerichtshof diese Auslegung zu Eigen macht, braucht er nicht zu prüfen, was der Begriff "guter Glaube" für die Zwecke des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerrechts beinhaltet. Da dieser Begriff gegenwärtig in den nationalen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich verstanden wird und da jede ausdrückliche Bestimmung darüber in der Sechsten Richtlinie fehlt, sollte es meiner Auffassung nach dem Gemeinschaftsgesetzgeber überlassen bleiben, eine gemeinschaftsrechtliche Definition des "guten Glaubens"(32) zu entwickeln, wenn er es für angebracht hält. Wenn der Gerichtshof dieser Empfehlung jedoch nicht folgen möchte, stützt meiner Ansicht nach weder das Urteil Genius Holding noch die spätere Rechtsprechung betreffend Rechnungen die Auffassung, dass eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestehe, eine Berichtigung nur in den Fällen zuzulassen, in denen guter Glaube nachgewiesen sei. In dem einschlägigen Teil seiner Entscheidung im Urteil Genius Holding hat der Gerichtshof entschieden, dass es "Sache der Mitgliedstaaten ist, ... zu gewährleisten, dass sie in ihrem innerstaatlichen Recht" eine Berichtigungsmöglichkeit "vorsehen, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist"(33). Eine einfache Auslegung dieser Stelle führt nicht zu dem Ergebnis, dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten zwingende Vorschriften machen wollte. Insbesondere stützt sie meiner Auffassung nach nicht den Standpunkt, dass die Mitgliedstaaten daran gehindert seien, im Rahmen ihrer nationalen Mehrwertsteuersysteme die Berichtigung einer Mehrwertsteuerschuld aus Steuererklärungen zuzulassen, die auf unzutreffenden oder fiktiven Rechnungen beruhen. Außerdem sehe ich keinen rechtspolitischen Grund, den Mitgliedstaaten eine solche Verpflichtung aufzuerlegen.

37 Ich bin mir bewusst, dass Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Langhorst den insbesondere dem Urteil Genius Holding zugrunde liegenden Grundsatz so ausgelegt hat, dass danach "der Aussteller einer Rechnung, die eine nicht geschuldete Steuer ausweist, sie grundsätzlich bezahlen [muss], sofern er nicht beweisen kann, dass dem angegebenen Betrag keine betrügerische Absicht zugrunde liegt"(34). Jener Fall warf aber im Gegensatz zu dem vorliegenden nicht das Problem der Berichtigung auf. Ich verstehe diese Aussage nicht so, dass sie sich auf eine Steuerhinterziehung außerhalb des Mehrwertsteuersystems bezieht. Meinem Verständnis nach sollte der dort erwähnte Grundsatz die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, bei der Anwendung ihres nationalen Mehrwertsteuersystems eine Berichtigung auch dann zuzulassen, wenn es am guten Glauben gefehlt hat, vorausgesetzt, es besteht keine Gefährdung des Mehrwertsteueraufkommens.

38 Bei dieser Auslegung der Sechsten Richtlinie ist es nicht erforderlich, die dritte Frage des Bundesfinanzhofs zu prüfen. Daher bin ich der Auffassung, dass die Berichtigung unrichtiger oder falscher Rechnungen nicht von einem Ermessen abhängen, sondern jederzeit tatsächlich möglich sein sollte, sofern der für ihre Ausstellung verantwortliche Steuerpflichtige nachweist, dass kein Mehrwertsteuerausfall eintreten wird.

IV - Ergebnis

39 Angesichts der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1. Das Gemeinschaftsrecht gebietet nicht, dass das nationale Recht die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer im Rahmen eines Verfahrens ermöglicht, in dessen Verlauf erstmals die Steuerschuld eines Steuerpflichtigen, der unrichtige oder fingierte Rechnungen ausgestellt hat, festgesetzt wird, wenn dieser Steuerpflichtige später tatsächlich die Berichtigung des dabei erhobenen Betrages verlangen kann und diese Berichtigung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nicht im Ermessen der Behörde steht.

2. Das Gemeinschaftsrecht verlangt im Zusammenhang mit Ansprüchen auf die Berichtigung irrtümlich oder auf fingierten Rechnungen ausgewiesener Mehrwertsteuer nur, dass der Aussteller der fraglichen Rechnung in der Lage ist, zur Überzeugung der zuständigen nationalen Steuerbehörde nachzuweisen, dass kein Mehrwertsteuerausfall eintritt. Das Gemeinschaftsrecht verbietet, dass nationale Mehrwertsteuergesetze solche Ansprüche vom zusätzlichen Erfordernis des guten Glaubens des Ausstellers bei Rechnungsausstellung abhängig machen.

(1) - Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Richtlinie), ABl. L 145, S. 1.

(2) - Urteil vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache C-342/87 (Slg. 1989, 4227).

(3) - IX ZR 225/95, NJW 1996, S. 842. Der Fall betraf eine Schadensersatzklage gegen einen Fachanwalt für Steuerrecht, der es angeblich fahrlässig unterlassen hatte, gegen die Festsetzung von Umsatzsteuer durch das Finanzamt gegen den Mandanten, die dieser unrichtig auf einer Rechnung ausgewiesen hatte, zu klagen. In seinem Urteil vom 8. März 1994 hatte das Finanzgericht Münster unter Bezugnahme auf das Urteil Genius Holding ausgeführt, dass eine Berichtigung dann zulässig sei, wenn guter Glaube nachgewiesen werde; vgl. 15 K 6635/91 U, Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, S. 813.

(4) - Der Gerichtshof hat nach Artikel 104 Absatz 4 seiner Verfahrensordnung von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

(5) - Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-317/94 (Slg. 1996, I-5339, Randnr. 28).

(6) - Urteil vom 18. Dezember 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96 (Slg. 1997, I-7281, Randnr. 42).

(7) - Urteil vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-188/95 (Slg. 1997, I-6783).

(8) - Vgl. u. a. Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnrn. 59 und 61), kürzlich bestätigt durch das Urteil vom 13. Januar 2000 in der Rechtssache C-254/98 (Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb, Slg. 2000, I-151, Randnr. 13).

(9) - Urteil Molenheide u. a., Randnr. 42.

(10) - Urteil vom 14. Juli 1988 in den verbundenen Rechtssachen 123/87 und 330/87 (Slg. 1988, 4517).

(11) - A. a. O., Nr. 41.

(12) - Vgl. insbesondere Nr. 48.

(13) - Wie ein deutscher Autor treffend angemerkt hat, sollte angesichts der ex ante, bei Ausstellung der unrichtigen Rechnung bestehenden Gefahr eines Steuerausfalls der gute Glaube des Ausstellers seine Steuerschuld nur dann tilgen, wenn ex post kein Ausfall eintritt; vgl. Reiss, Umsatzsteuer-Rundschau 1999, S. 170, 174.

(14) - Randnr. 17.

(15) - Slg. 1988, 4517, 4534.

(16) - Sie hatten nach der sogenannten "Verlagerungsregelung" die Mehrwertsteuerschuld für von ihnen an den Hauptunternehmer erbrachte Dienstleistungen an diesen weiterzugeben, der sie dann in seine eigene Mehrwertsteuererklärung aufnehmen sollte und gleichzeitig zum entsprechenden Vorsteuerabzug berechtigt war. Die Niederlande waren nach Artikel 27 der Sechsten Richtlinie zum Erlass dieser Vorschriften ermächtigt worden.

(17) - Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo, Nr. 15 (Hervorhebung im Original).

(18) - Generalanwalt Mischo vertrat eindeutig die Ansicht, dass beide Annahmen plausibel waren, vgl. Nr. 17 seiner Schlussanträge. Die Annahme der Kommission in ihren im vorliegenden Fall abgegebenen Erklärungen, dass der Fall Genius Holding lediglich einen Irrtum betreffe, wird daher, obwohl wahrscheinlich zutreffend, vom Sitzungsbericht nicht bestätigt.

(19) - Randnr. 13.

(20) - Randnr. 16.

(21) - Randnr. 17.

(22) - Urteil Genius Holding, Randnr. 18 (Hervorhebung von mir).

(23) - Urteil vom 5. Dezember 1996 in der Rechtssache C-85/95 (Slg. 1996, I-6257).

(24) - A. a. O., Randnr. 29, in dem auf die Nummern 26 und 27 meiner Schlussanträge in dieser Rechtssache verwiesen wird.

(25) - Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-141/96 (Slg. 1997, I-5073).

(26) - Vgl. insbesondere Randnr. 28.

(27) - Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-361/96 (Slg. 1998, I-3495).

(28) - Die Forderung wurde in diesem Fall von einem in Frankreich registrierten Steuerpflichtigen in Bezug auf die deutsche Umsatzsteuer erhoben, die im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Vertrages mit einem deutschen Lieferanten gezahlt worden war. Die Klage wurde nach der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11; im Folgenden: Achte Richtlinie) erhoben, deren Artikel 3 Buchstabe a ausdrücklich verlangt, dass Erstattungsanträgen die "Originale der Rechnungen" beizufügen sind.

(29) - Randnrn. 28 und 29.

(30) - Randnr. 30.

(31) - Die Tatsache, dass bisher anscheinend nur einige Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften eine Berichtigung auch bei bösem Glauben zulassen, kann keinen Einfluss haben auf die Auslegung der Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie, die autonom erfolgen muss.

(32) - Dabei würde sich zeigen, dass nur im belgischen, österreichischen, deutschen und portugiesischen Recht sowie im Recht des Vereinigten Königreichs überhaupt Überlegungen angestellt wurden, was "guter Glaube" für die Zwecke der Umsatzsteuer bedeuten soll. Im deutschen Recht z. B. würde die in Nr. 11 und der dazugehörigen Fußnote 3 erwähnte Rechtsprechung verlangen, dass es sich um einen entschuldbaren Irrtum handelt, was nicht der Fall wäre, wenn der Aussteller grob fahrlässig oder naiv gehandelt hat. Es würde sich herausstellen, dass diese Sichtweise im Recht des Vereinigten Königreichs stillschweigend vorausgesetzt wird, wo das Recht, zur Korrektur einer früheren unzutreffenden Rechnung zumindest eine Gutschrift auszustellen, einen "tatsächlichen Irrtum oder ein tatsächliches Zu-viel-Berechnen" voraussetzt; vgl. das Urteil British Machinery Co Ltd/Customs and Excise Commissioners, [1977], VATTR 187. Nach portugiesischem Umsatzsteuerrecht wird der gute Glaube eines Ausstellers vermutet, während der Nachweis des bösen Glaubens die Absicht des Ausstellers, den Staat zu betrügen, voraussetzt, vgl. Artikel 19 Absatz 3 des CIVA (Umsatzsteuergesetz). Dieser Standpunkt wird auch in Österreich vertreten, wo ein wissenschaftlicher Umsatzsteuerkommentar eine Berichtigung zulässt, wenn der böse Glaube nicht auf Hinterziehung der Umsatzsteuer gerichtet war, vgl. Ruppe, Umsatzsteuergesetz 1994 - Kommentar, 1999, S. 918.

(33) - Randnr. 18 (Hervorhebung von mir).

(34) - Nr. 60.