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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61998C0481

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 6. Dezember 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe a - Ermäßigter Steuersatz. - Rechtssache C-481/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-03369


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Mit der mir zur Prüfung vorliegenden Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 12 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Richtlinie) verstoßen hat, dass sie Artikel 281 octies des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) eingeführt und beibehalten hat, der für erstattungsfähige Arzneimittel einen Mehrwertsteuersatz von 2,1 % vorsieht, während für die übrigen Arzneimittel der Steuersatz von 5,5 % gilt.

2. Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a in der Fassung der Richtlinie 92/111/EWG sieht vor:

Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen identisch ist. Vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1996 darf dieser Satz nicht niedriger als 15 % sein.

...

Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar."

3. Arzneimittel stellen eine in diesem Anhang H aufgeführte Kategorie von Gegenständen dar.

4. Das Bestehen niedrigerer Mehrwertsteuersätze als 5 % wird jedoch in Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 92/77/EWG zugelassen. Nach dieser Bestimmung gilt nämlich während einer Übergangszeit, die bis heute nicht abgelaufen ist, unbeschadet des Artikels 12 Absatz 3:

Ausnahmeregelungen, wonach die auf der vorausgehenden Stufe gezahlte Steuer zurückerstattet wird, und ermäßigte Sätze, die niedriger als der in Artikel 12 Absatz 3 festgelegte Mindestsatz für die ermäßigten Sätze sind, die am 1. Januar 1991 anwendbar waren, die mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und die die Bedingungen gemäß Artikel 17 letzter Gedankenstrich der zweiten Richtlinie vom 11. April 1967 erfuellen, können beibehalten werden."

5. Nach diesen Kriterien des Artikels 17 müssen diese ermäßigten Sätze aus genau definierten sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher" festgesetzt worden sein.

6. Nach Ansicht der Kommission ist es unzulässig, wenn in Frankreich für Arzneimittel, die im Rahmen der sozialen Sicherheit erstattungsfähig sind, und Arzneimittel, die dies nicht sind, zwei verschiedene Mehrwertsteuersätze bestuenden, da mindestens eine Voraussetzung des Artikels 28 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 92/77 nicht erfuellt sei.

7. Es sei nämlich mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, dass nicht für alle Arzneimittel derselbe Mehrwertsteuersatz gelte.

8. Alle Arzneimittel seien gleichartige Erzeugnisse, so dass dem Bestehen zweier verschiedener Mehrwertsteuersätze der in Artikel 12 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie niedergelegte Grundsatz der Einheitlichkeit der Steuer entgegenstehe und es gegen die für die gemeinschaftliche Mehrwertsteuerregelung grundlegenden Prinzipien der steuerlichen Neutralität und der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen verstoße.

9. Die Kommission räumt ein, dass die durch die Gemeinschaftsrichtlinien geschaffene Regelung begrenzte Einschränkungen dieser Grundsätze enthalte, insbesondere insoweit, als Artikel 28 Absatz 2 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 96/42/EG des Rates vom 25. Juni 1996 die Mitgliedstaaten ermächtige, auf Holz, das als Brennholz bestimmt sei, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, und als Anhang H der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 92/77 es zulasse, auf die Bereitstellung von Wohnungen, sofern es sich um Sozialwohnungen handele, sowie auf die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit einen ermäßigten Satz von mindestens 5 % anstatt des normalen Satzes von mindestens 15 % anzuwenden.

10. Keinesfalls könne sich jedoch die französische Regierung auf das Bestehen dieser durch den Gemeinschaftsgesetzgeber eingeführten Abweichungen berufen, um weitere Abweichungen, wie die von ihr einseitig eingeführte, zu rechtfertigen.

11. Auch zeige allein schon die Tatsache, dass die Einführung dieser Abweichungen durch den Gemeinschaftsgesetzgeber veranlasst worden sei, dass in Ermangelung eines von ihm ausdrücklich geäußerten Willens weitere Abweichungen nicht zulässig sein sollten.

12. Sie sei auch nicht davon überzeugt, dass der Satz von 2,1 % für erstattungsfähige Arzneimittel tatsächlich genau definierten sozialen Gründen entspreche, da sie hinter dieser Maßnahme eine wirtschaftliche Zielsetzung - Verringerung der Lasten der sozialen Sicherheit - erkenne; es bedürfe jedoch keiner längeren Ausführungen zu diesem Punkt, da jedenfalls die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht gegeben sei.

13. Nach Ansicht der französischen Regierung ist die Klage abzuweisen, da alle Voraussetzungen des Artikels 28 Absatz 2 Buchstabe a erfuellt seien. Der Steuersatz von 2,1 % habe vor dem 1. Januar 1991 bestanden, was auch von der Kommission nicht bestritten werde.

14. Erstattungsfähige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel stellten unterschiedliche Erzeugnisse dar, so dass es unzutreffend sei, von einer Verletzung der von der Kommission angeführten Grundsätze zu sprechen, die für die gemeinschaftliche Mehrwertsteuerregelung allerdings von grundlegender Bedeutung seien.

15. Das Bestehen des Steuersatzes von 2,1 % entspreche sehr wohl einem sozialen Interesse, da hierdurch der Zugang der Sozialversicherten zu Gesundheitsleistungen erleichtert werde.

16. Angesichts der Eingrenzung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren und der von den Parteien in der mündlichen Verhandlung vertretenen Standpunkte hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung der Frage ab, ob alle Arzneimittel im Hinblick auf das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem als gleichartige Erzeugnisse anzusehen sind oder ob davon auszugehen ist, dass sich die erstattungsfähigen Arzneimittel im Hinblick auf dieses System von den übrigen Arzneimitteln abheben.

17. Die Kommission räumt ein, in den verschiedenen Mehrwertsteuerrichtlinien suche man vergeblich nach einer Bestimmung, die den Begriff der gleichartigen Erzeugnisse definiere; deshalb sei hier eine Situation gegeben, in der der Rückgriff auf Analogieschlüsse zu anderen Bereichen des Gemeinschaftsrechts zulässig sei.

18. Während jedoch die französische Regierung im Wege der Analogie Schlüsse aus der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, dem Gemeinsamen Zolltarif, der Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer nationalen Rechtsvorschrift - nach der Apotheker eine ärztliche Verschreibung nicht im Wege der Ersetzung eines Arzneimittels durch ein anderes ausführen dürfen - im Hinblick auf die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) und dem Wettbewerbsrecht ziehen will, meint die Kommission, der einzige in der vorliegenden Rechtssache zulässige Analogieschluss könne zur Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff der gleichartigen Erzeugnisse im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 90 Absatz 1 EG) gezogen werden.

19. Ich möchte sogleich darauf hinweisen, dass die Kommission nicht etwa die Art und Weise beanstandet, in der die französischen Behörden Arzneimittel in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel aufnehmen.

20. Die Kommission stellt keineswegs in Abrede, dass diese Aufnahme nach objektiven Kriterien und unter Beachtung der Vorschriften der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme erfolgt.

21. Die Einteilung der Arzneimittel in zwei Kategorien sei indessen für die Anwendung der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung völlig irrelevant, da der Umstand, dass es erstattungsfähige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel gebe, nicht den Schluss zulasse, dass es sich bei diesen im Hinblick auf diese Regelung um verschiedene Erzeugnisse handele, auf die verschiedene Steuersätze angewandt werden könnten, ohne dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität und das Verbot der Schaffung von Wettbewerbsverzerrungen verletzt würde.

22. Zur Stützung ihrer Behauptung, erstattungsfähige Arzneimittel unterschieden sich von nicht erstattungsfähigen Arzneimitteln, so dass die Grundsätze der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung nicht ihre Besteuerung zum selben Satz geböten, führt die französische Regierung verschiedene Argumente an, mit denen sie dartun will, dass die Kategorie der Arzneimittel, wie sie vom Gemeinschaftsrecht erfasst werde, keineswegs homogen sei.

23. Meines Erachtens halten einige dieser Argumente einer Prüfung offensichtlich nicht stand, so dass sie sogleich zurückzuweisen sind.

24. Dies gilt zunächst für das auf die Richtlinie 65/65 gestützte Argument. Nach Ansicht der französischen Regierung bestätigt diese Richtlinie die Existenz verschiedener Kategorien von Arzneimitteln, da sie vorsehe, dass sich ein Arzneimittel aufgrund verschiedener Kriterien als ein solches definieren lasse; tatsächlich stellt die Richtlinie für die Feststellung, ob ein Erzeugnis in die Kategorie der Arzneimittel fällt, neben seinem Zweck auch auf seine Aufmachung ab. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Richtlinie, wie die Kommission hervorgehoben hat, mit der Aufzählung verschiedener Fälle, in denen ein Erzeugnis im Hinblick auf seine Verwendung als Arzneimittel anzusehen ist, lediglich auf eine Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und anderen Erzeugnissen abzielt.

25. Ein Erzeugnis kann aus verschiedenen Gründen ein Arzneimittel sein; ist es jedoch einmal als Arzneimittel anerkannt, so unterliegt es einer einheitlichen Regelung; jedenfalls wird die Auffassung, dass nicht alle Arzneimittel gleichartige Erzeugnisse im Hinblick auf die Mehrwertsteuer seien, durch nichts in der Richtlinie gestützt.

26. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass, wie die französische Regierung betont, Arzneimittel, die nach ihrer Wirkstoffzusammensetzung gleich sind, nach der Richtlinie 65/65 Gegenstand zweier verschiedener Genehmigungen für das Inverkehrbringen sein können.

27. Tatsächlich ist die Frage, ob zwei Arzneispezialitäten, die unter verschiedenen Marken und in unterschiedlicher Aufmachung vertrieben werden, hinsichtlich der Mehrwertsteuer gleichartige Erzeugnisse sein können, nicht etwa schon deshalb zu verneinen, weil für ihr Inverkehrbringen jeweils gesonderte Genehmigungen erteilt werden müssen.

28. Denn der Sinn und Zweck zweier Genehmigungen für das Inverkehrbringen ist wahrscheinlich darin zu erblicken, dass immer dann, wenn ein Hersteller ein Arzneimittel in den Verkehr bringen will, geprüft werden muss, um welches Erzeugnis es sich genau handelt, und sichergestellt werden muss, dass es sich im Hinblick auf die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes nicht als schädlich erweist.

29. Das hat mit den Erfordernissen der steuerlichen Neutralität der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung überhaupt nichts zu tun.

30. Weiter gilt das Gesagte - und zwar noch offensichtlicher - für die Definition des Arzneimittels nach dem Gemeinsamen Zolltarif, der von der französischen Regierung zur Veranschaulichung einer fehlenden Homogenität der Kategorie der Arzneimittel angeführt worden ist.

31. Denn für die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs werden zwar sowohl jene Erzeugnisse als Arzneimittel angesehen, deren heilende Eigenschaften erwiesen sind, als auch jene, für die diese Eigenschaften nach der Art ihrer Aufmachung oder Vermarktung nur behauptet oder vermutet werden; alle Arzneimittel gehören jedoch zur selben Untergliederung des Gemeinsamen Zolltarifs, und deren weitere Unterteilungen haben mit der Erstattung im Rahmen der sozialen Sicherheit nichts zu tun.

32. Schließlich gilt das Gesagte auch für das auf das Urteil vom 18. Mai 1989 gestütze Argument. In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt: [E]ine nationale Bestimmung eines Mitgliedstaats, die einen Apotheker verpflichtet, auf ein Rezept, in dem ein Arzneimittel mit seinem Warenzeichen oder gesetzlich geschützten Namen verschrieben wird, nur ein Erzeugnis abzugeben, das dieses Warenzeichen oder diesen gesetzlich geschützten Namen trägt, aus Gründen des Gesundheitsschutzes nach Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt sein kann, selbst wenn der Apotheker ihretwegen daran gehindert ist, ein therapeutisch gleichwertiges Erzeugnis abzugeben, das von den zuständigen nationalen Stellen aufgrund von Vorschriften, die gemäß dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache [104/75] erlassen wurden, zugelassen und von demselben Unternehmen oder derselben Unternehmensgruppe oder von einem Lizenznehmer dieses Unternehmens hergestellt worden ist, aber ein Warenzeichen oder einen gesetzlich geschützten Namen trägt, der für das Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat verwendet wird und der sich von dem in der Verschreibung angegebenen Warenzeichen oder gesetzlich geschützten Namen unterscheidet."

33. Die Argumentation des Gerichtshofes beruht nämlich auf Erwägungen des Gesundheitsschutzes. Bei der Feststellung, dass die Befugnis des Apothekers, Erzeugnisse verschiedener Marken gegeneinander auszutauschen, beschränkt sei, ging es dem Gerichtshof in Wirklichkeit darum, die Verschreibungsbefugnis des Arztes zu schützen und die Risiken zu vermeiden, die aus der Abgabe eines Erzeugnisses an den Kranken erwachsen können, das nicht genau - und sei es auch nur nach dem Erscheinungsbild - das von seinem Arzt verschriebene ist.

34. Ich halte daher die Ansicht für verfehlt, dass der Gerichtshof damit die Möglichkeit bejaht habe, zwei Erzeugnisse, die auf den selben Wirkstoffen beruhen, im Hinblick auf die Anwendung der Mehrwertsteuer als unterschiedlich anzusehen.

35. Da sich die Argumentation des Gerichtshofes genau im Rahmen des Artikels 36 EG-Vertrag bewegt, ist meines Erachtens die Erörterung der Frage, ob dieser festgestellt hat, dass die von einem Laboratorium vermarktete Arzneispezialität und deren generisches Konkurrenzprodukt gleichartig seien, einigermaßen irrelevant.

36. Dagegen scheinen mir die Argumente, die die französische Regierung auf Artikel 95 EG-Vertrag und das Wettbewerbsrecht stützt, einen viel engeren Zusammenhang mit der Frage aufzuweisen, über die der Gerichtshof zu entscheiden hat, so dass sie einer ganz eingehenden Prüfung bedürfen.

37. Im Rahmen von Artikel 95 EG-Vertrag räumt die Kommission selbst ein, dass Analogieschlüsse zu der von ihr angeführten umfangreichen Rechtsprechung legitim seien, da dieser Artikel ebenso wie die gemeinschaftliche Mehrwertsteuerregelung darauf abziele, die steuerliche Neutralität zu gewährleisten und Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern.

38. Die Kommission meint jedoch, dieses Argument nütze der französischen Regierung nichts, da sich die genannte Rechtsprechung unter Hinweis darauf, dass die Gleichartigkeit der Erzeugnisse nicht anhand eines Kriteriums der strengen Identität, sondern anhand eines solchen der gleichen oder vergleichbaren Verwendung zu bestimmen sei, stets für eine sehr weite Auslegung des Begriffes der Gleichartigkeit der Erzeugnisse ausgesprochen habe.

39. Erst recht müssten dann zwei Erzeugnisse, die die gleichen objektiven Eigenschaften haben, als gleichartige Erzeugnisse im Sinne von Artikel 95 Absatz 1 EG-Vertrag angesehen werden.

40. Tatsächlich sind auch die Arzneimittel nicht etwa wegen des Vorliegens innerer Unterschiede in die Liste der erstattungsfähigen Erzeugnisse aufgenommen bzw. von ihr ausgeschlossen worden.

41. Einerseits erfolgt die Eintragung nur auf Antrag des Herstellers, und es ist möglich, dass ein Hersteller hinsichtlich eines bestimmten Erzeugnisses an dieser Eintragung nicht interessiert ist, da durch eine Eintragung seines Erzeugnisses eine Reihe von Zwängen für ihn entstuenden. Es stuende ihm nämlich dann nicht mehr frei, für das Erzeugnis den Preis festzusetzen, und er könnte ihm nicht mehr eine an die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung zuteil werden lassen.

42. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass sich ein anderer Hersteller bei einem seinem Wesen nach gleichen Erzeugnis anders entscheidet, da er der Meinung sein kann, dass die Vorteile einer Eintragung die damit verbundenen Zwänge überwögen.

43. Andererseits garantieren die in Frankreich geltenden Vorschriften für den Fall, dass zwei Hersteller die Eintragung von ihrem Wesen nach völlig gleichen Arzneimitteln begehren, nicht, dass sie diese Eintragung auch beide erhalten werden.

44. Nach Artikel R 163-3 des Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) sind nämlich die Arzneimittel erstattungsfähig, die entweder zu einer Verbesserung der erbrachten medizinischen Leistung hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit oder gegebenenfalls der Nebenwirkungen oder aber zu einer Kostenersparnis bei der medikamentösen Behandlung führen.

45. Ein neues Arzneimittel, das keine neuen therapeutischen Aspekte aufweist oder teuer ist, kann also von der Erstattung ausgeschlossen werden, ohne dass es sich deshalb seinem Wesen nach von einem erstattungsfähigen Arzneimittel unterscheidet, das in gleicher Weise verwendet wird.

46. Die französische Regierung macht hingegen geltend, die Gleichartigkeit von Erzeugnissen sei nach der Rechtsprechung zu Artikel 95 Absatz 1 EG-Vertrag nicht nur nach den den Waren innewohnenden Merkmalen zu beurteilen. Darüber hinaus müssten die Erzeugnisse in dem Sinne austauschbar sein, dass sie denselben Bedürfnissen der Verbraucher dienten.

47. Tatsächlich hat der Gerichtshof im Urteil John Walker (Randnr. 11) ausgeführt:

Zur Beurteilung der Gleichartigkeit sind somit zum einen sämtliche objektiven typischen Merkmale der beiden Gruppen von Getränken zu berücksichtigen, etwa der Ausgangsstoff, die Herstellungsverfahren, die organoleptischen Eigenschaften, insbesondere Geschmack und Alkoholgehalt, und zum anderen, inwieweit die beiden Getränkegruppen in den Augen der Verbraucher denselben Bedürfnissen dienen."

48. Mit dieser Fähigkeit, den Bedürfnissen der Verbraucher zu dienen, wird meines Erachtens bei der Beurteilung der Gleichartigkeit ein subjektives Element eingeführt: Tatsächlich kann aufgrund der Einführung dieses Elements, das auf die Entscheidung des Verbrauchers, dessen persönliche Sicht einer möglichen Verwendung jedes einzelnen der beiden Erzeugnisse durch ihn und den Nutzen, den er aus jedem von ihnen ziehen kann, abstellt, nicht ausgeschlossen werden, dass zwei ihrem Wesen nach völlig gleiche Erzeugnisse nicht wirklich denselben Bedürfnissen des Verbrauchers dienen.

49. Sicher wäre die Position der französischen Regierung deutlich stärker, wenn erstattungsfähige Arzneimittel vom Apotheker nur auf Vorlage einer ärztlichen Verschreibung abgegeben werden könnten, während nicht erstattungsfähige Arzneimittel sämtlich frei verkäuflich wären und damit in den Bereich der Selbstmedikation fielen. Dem ist jedoch nicht so.

50. Im französischen System gibt es nämlich Arzneimittel, die zwar nur auf Verschreibung abgegeben werden, aber trotzdem nicht erstattungsfähig sind, weil sie zum Beispiel als zu kostspielig oder als Life-Style"-Arzneimittel angesehen werden, bei denen davon ausgegangen wird, dass die Kosten nicht von der sozialen Sicherheit zu tragen sind.

51. Weiter gibt es erstattungsfähige Arzneimittel, die ohne ärztliche Verschreibung in einer Apotheke gekauft werden können, deren Preis jedoch nur dann erstattet wird, wenn sie von einem Arzt verschrieben wurden.

52. Schließlich gibt es Arzneimittel, die keiner ärztlichen Verschreibung bedürfen und in keinem Fall erstattet werden können, da sie nicht auf der Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel stehen.

53. Kann trotz dieser Aufschlüsselung mit der französischen Regierung davon ausgegangen werden, dass erstattungsfähige Arzneimittel insgesamt einem anderen Bedürfnis dienen als dem, dem nicht erstattungsfähige Arzneimittel dienen?

54. Die Kommission verneint dies unter Hinweis darauf, dass, wer vorübergehend unter leichten Kopfschmerzen leidet, sich wahrscheinlich unmittelbar zur Apotheke begeben und den Apotheker bitten wird, ihm ein zur Linderung seiner Schmerzen geeignetes Arzneimittel zu verkaufen, ohne sich darum zu sorgen, ob das Arzneimittel erstattungsfähig ist oder nicht, da er ja keine Verschreibung hat.

55. Möglicherweise wird der Betreffende den Apotheker auch um Abgabe eines erstattungsfähigen Arzneimittels bitten, aber nicht wegen dessen Erstattungsfähigkeit, sondern nur deshalb, weil er es bereits auf Verschreibung seines Arztes verwendet und seine wohltuenden Wirkungen festgestellt hat. In diesem Fall hat der Apotheker, wenn das Erzeugnis frei verkäuflich ist, keinen Grund, seine Abgabe an den Betreffenden abzulehnen.

56. In der Praxis kann es übrigens vorkommen, dass ein erstattungsfähiges Arzneimittel auch dann, wenn seine Erstattung mangels Verschreibung nicht beansprucht werden kann, weniger als ein nicht erstattungsfähiges Arzneimittel mit denselben Heileigenschaften kostet und dass der Preisunterschied durchaus mit dem Mehrwertsteuersatz von 2,1 % zu tun hat.

57. Ein nicht erstattungsfähiges Arzneimittel kann sich jedoch auch trotz der höheren Mehrwertsteuer, mit der es belastet wird, als preisgünstiger als das entsprechende erstattungsfähige erweisen. Zudem erscheint es mir nicht möglich, meine gesamte Argumentation auf diese Sonderfälle zu stützen, da erstattungsfähige Arzneimittel doch im Allgemeinen auf Verschreibung gekauft und ihr Preis ganz oder teilweise erstattet wird.

58. Im Übrigen würde man, wenn man sich nicht mehr an die Stelle des einzelnen Verbrauchers, sondern an die der Gemeinschaft der Verbraucher setzen würde, die die französische Regelung der sozialen Sicherheit in Anspruch nehmen, eher zu einer Schlussfolgerung gelangen, die derjenigen der Kommission entgegengesetzt ist.

59. Man müsste dann nämlich von einem spezifischen Bedürfnis dieser Gemeinschaft ausgehen, über einen umfassenden Bestand von Arzneimitteln zu verfügen, der den Erfordernissen einer anspruchsvollen Medizin genügen kann, mit der allen Krankheiten unter wirtschaftlich optimalen Bedingungen begegnet werden kann; ein solches Bedürfnis würde durch ein klar abgegrenztes Arzneibuch befriedigt, das sich in einem Verzeichnis erstattungsfähiger Arzneimittel äußern würde. Indem diese dem so definierten Bedürfnis aller Sozialversicherter gerecht würden, würden sie zu Arzneimitteln, die einem spezifischen Bedürfnis der Verbraucher entsprächen und von den übrigen Arzneimitteln zu unterscheiden wären, bei denen eine Erstattung im Hinblick auf die Befriedigung dieses Bedürfnisses nicht gerechtfertigt wäre.

60. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, könnte auf die Frage nach dem Bestehen eines einer Berücksichtigung im gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystem zugänglichen Unterschieds eine Antwort zu geben sein, die die Richtigkeit der Auffassung der französischen Regierung bestätigen würde.

61. Dieser Lösungsansatz - und damit kommen wir zum letzten Argument der französischen Regierung - könnte auf einen Analogieschluss zum gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht gestützt werden. Wie nämlich ganz zu Recht die französische Regierung hervorgehoben hat, hat die Kommission in ihrer Entscheidung Glaxo/Wellcome über einen angemeldeten Zusammenschluss festgestellt, dass der Markt der erstattungsfähigen von dem der nicht erstattungsfähigen Arzneimittel unterscheidbar sei. In Nummer 8 dieser Entscheidung heißt es nämlich: A distinction may also be made between medicines which are wholly or partially reimbursed under the health insurance system and medicines which are not reimbursed."

62. Sobald man jedoch davon ausgeht, dass die Märkte dieser beiden Arzneimittelkategorien voneinander verschieden sind, ist es kaum noch vorstellbar, dass verschiedene Mehrwertsteuersätze Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen könnten.

63. Zwar führt die Kommission die achte Begründungserwägung der Ersten Mehrwertsteuerrichtlinie an, wonach das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken [muss], dass gleichartige Waren innerhalb der einzelnen Länder ... steuerlich gleich belastet werden". Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass das von der Französischen Republik angewandte System mit zwei Steuersätzen die Wettbewerbsneutralität tatsächlich beeinträchtigt.

64. Denn auch wenn es erstattungsfähige Arzneimittel gibt, die in den Apotheken frei verkäuflich sind, kann der Preis eines Arzneimittels doch nur erstattet werden, wenn dieses von einem Arzt verschrieben wurde. Mit anderen Worten: Erzeugnisse können nur dann zu einer tatsächlichen Kostenerstattung für den Verbraucher führen, wenn dieser einen Arzt aufsucht und der Arzt es für zweckdienlich ansieht, sie ihm zu verschreiben.

65. Wir haben es also durchaus mit zwei Kategorien von Waren zu tun, die sich durch das Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung voneinander unterscheiden.

66. Einer dieser Kategorien kommt ein ihr innewohnenden Vorteil zugute, derjenige der Erstattungsfähigkeit. Dem Verbraucher ist - unter Vermittlung des verschreibenden Arztes - in erster Linie an zu dieser Kategorie gehörenden Arzneimitteln gelegen, nicht etwa weil diese einem niedrigeren Mehrwertsteuersatz unterliegen, sondern weil sie ihn letztlich nichts oder nur ganz wenig kosten. Der für nicht erstattungsfähige Arzneimittel geltende höhere Mehrwertsteuersatz ist somit als solcher nicht geeignet, zu einer Erhöhung des Verbrauchs von erstattungsfähigen Arzneimitteln gegenüber nicht erstattungsfähigen Arzneimitteln zu führen.

67. Kurz gesagt, meine ich, letztlich zu der Schlussfolgerung gelangen zu können, dass es sich bei den beiden Arzneimittelkategorien nicht um gleichartige Waren handelt, da sie sich nicht in einem Wettbewerbsverhältnis, bei dem die Besteuerung eine entscheidende Rolle spielen könnte, zueinander befinden und nicht nach der freien Wahl des Verbrauchers austauschbar sind.

68. Die von der Kommission beanstandete Maßnahme erfuellt somit meiner Ansicht nach die zweite Voraussetzung des Artikels 28 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 92/77.

69. Bleibt noch die Frage zu prüfen, ob die dritte Voraussetzung dieser Bestimmung erfuellt ist, ob nämlich der ermäßigte Satz aus genau definierten sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher eingeführt worden ist.

70. Zu diesem Punkt hat sich die Kommission, wie ich bereits erwähnt habe, kaum geäußert, und mir scheint, sie hat recht daran getan. Dass tatsächlich ein soziales Interesse vorliegt, ist nämlich nur schwer zu bestreiten, da die Kosten einer von einem Arzt verschriebenen medizinischen Behandlung für den Kranken gesenkt werden. Außerdem kommt dem Endverbraucher der niedrige Mehrwertsteuersatz durchaus zugute, da er im allgemeinen keine vollständige Erstattung des von ihm aufgewendeten Betrags erreichen wird.

71. Dass die Maßnahme auch der Gesamtheit der Sozialversicherten - und damit der Beitragszahler - zugute kommt, ist unbestreitbar; dies reicht jedoch nicht für die Annahme aus, dass die dritte Voraussetzung nicht auch erfuellt sei.

Ergebnis

72. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass

- die Klage abgewiesen wird;

- der Kommission die Kosten auferlegt werden.