Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

References to this case

Share

Highlight in text

Go

Wichtiger rechtlicher Hinweis

|

61999C0083

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 28/09/2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Spanien. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie - Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf Autobahnmaut. - Rechtssache C-83/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-00445


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einführung

1. Die Kommission wirft im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren dem Königreich Spanien vor, die Autobahngebühren (Maut) nicht dem Normalsatz der Mehrwertsteuer, sondern nur einem herabgesetzten Steuersatz unterworfen zu haben.

2. Spanien begründet sein Vorgehen damit, das Zurverfügungstellen der Straßeninfrastruktur durch Konzessionäre sei eine Dienstleistung, die der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks gleichgestellt werden könne, für die ein ermäßigter Steuersatz möglich sei. Die Herabsetzung der Steuer sei auch deshalb notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen, die dadurch entstuenden, dass andere Mitgliedstaaten die Straßenmaut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hätten.

II - Einschlägige Rechtsvorschriften

A - Gemeinschaftsrecht

3. In Abschnitt IX der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - im Folgenden: Sechste Richtlinie - sind die im Rahmen der Harmonisierung der Umsatzsteuern anwendbaren Steuersätze aufgeführt.

4. Artikel 12 regelt hierzu in Absatz 3 Buchstabe a erster Unterabsatz folgendes:

Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. Vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1998 darf dieser Prozentsatz nicht niedriger als 15 % sein."

5. Gemäß dem dritten Unterabsatz von Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a können die Mitgliedstaaten außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar".

6. Im Anhang H findet sich das Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können".

7. In Kategorie 5 der insgesamt 17 Kategorien ist die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" genannt.

B - Nationales Recht

8. Das Königliche Dekret Nr. 14-1997 vom 29. August 1997 sowie das Gesetz Nr. 9/1998 vom 21. April 1998, durch das das Gesetz Nr. 37/1992 vom 28. Dezember 1992 betreffend die Mehrwertsteuer geändert wurde, sehen vor, dass auf die Autobahngebühren ein ermäßigter Steuersatz in Höhe von 7 % anstelle des Normalsatzes in Höhe von 16 % anzuwenden ist. Um dies zu erreichen, wurde das Zurverfügungstellen der Straßeninfrastruktur durch Konzessionäre der in Anhang H, Kategorie 5, der Sechsten Richtlinie genannten Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks gleichgestellt.

III - Vorverfahren und Klageanträge

9. Mit Mahnschreiben vom 22. Dezember 1997 informierte die Kommission die spanische Regierung von ihrer Auffassung, wonach die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie einer Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Erhebung der Autobahngebühr entgegenstuenden.

10. Die spanische Regierung übermittelte ihren Standpunkt mit Schreiben vom 24. April 1998, dem eine Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzministers vom 13. April 1998 beigefügt war. Darin wurden im Wesentlichen nachfolgende Argumente für die Anwendung des herabgesetzten Steuersatzes angeführt.

11. Zum einen bestehe zwischen den Mitgliedstaaten, die teilweise keine Mehrwertsteuer erheben würden, aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung der jeweiligen Straßennutzungsgebühren eine Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen, d. h. der Konzessionäre als Betreiber der Straßeninfrastruktur. Spanien habe sich daher für eine Herabsetzung des Steuersatzes entschieden, um dieses Ungleichgewicht zu verringern. Dieses Vorgehen habe darüber hinaus keine Auswirkungen auf die Eigenmittel der Gemeinschaft und stuende mithin nicht im Widerspruch zur Sechsten Richtlinie.

12. Zum anderen sei im vorliegenden Fall Anhang H, Kategorie 5, der Sechsten Richtlinie anwendbar. Es sei zwar möglich, dass eine enge Auslegung des Begriffes Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" nicht das Zurverfügungstellen einer Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Gebühr umfasse. Vorliegend müsse jedoch von einer logischen oder teleologischen Auslegung, die sich nicht nur am Wortlaut der Vorschrift orientiere, ausgegangen werden. Da es notwendig sei, eine Lösung zu finden, die es den Mitgliedstaaten ermögliche, einen vergleichbaren Steuersatz anzuwenden, sei der fragliche Begriff weit auszulegen. Dies diene dem Ziel, im Rahmen der Besteuerung die Grundsätze der Neutralität bzw. Nichtdiskriminierung zu gewährleisten.

13. Da die Kommission jedoch weiterhin von einem Verstoß gegen die Sechste Richtlinie ausging, übermittelte sie mit Schreiben vom 10. August 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG). Hierin wies sie die spanische Regierung erneut darauf hin, dass die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes einen Verstoß gegen die aus Artikel 12 der Sechsten Richtlinie resultierenden Verpflichtungen darstelle und forderte sie auf, geeignete Maßnahmen innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung zu ergreifen, um dieser Stellungnahme nachzukommen.

14. Im Antwortschreiben des für technische Fragen zuständigen Generalsekretärs des Wirtschafts- und Finanzministeriums vom 28. September 1998 wurden im Wesentlichen die bereits vorgebrachten Argumente wiederholt.

15. Angesichts dieses Vorbringens der spanischen Behörden hat die Kommission die vorliegende Klage - eingegangen bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 8. März 1999 - erhoben, da das Königreich Spanien ihrer Ansicht nach der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachgekommen war.

16. Sie beantragt,

1. festzustellen, dass das Königreich Spanien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 12 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates 77/388/EWG vom 17. Mai 1977 verstoßen hat, indem es auf die Dienstleistung der Zurverfügungstellung einer Straßeninfrastruktur an die Verkehrsteilnehmer einen herabgesetzten Steuersatz anwendet;

2. dem Königreich Spanien die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17. Das Königreich Spanien beantragt,

1. die Klage der Kommission abzuweisen;

2. die Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

IV - Parteivorbringen

18. Die Kommission macht geltend, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz sei nur auf die in Anhang H der Sechsten Richtlinie angeführten Dienstleistungen anwendbar. Sie könne der weiten Auslegung der Richtlinie durch Spanien nicht folgen und die angeblich zur Vermeidung einer Diskriminierung nötige Gleichstellung der Zurverfügungstellung der Infrastruktur durch Konzessionäre mit der Beförderung von Personen und Gepäck nicht akzeptieren. Die Kommission bestreitet auch das Vorliegen der von Spanien behaupteten Wettbewerbsverzerrung durch die unterschiedliche steuerliche Behandlung der Straßennutzungsgebühren in den einzelnen Mitgliedstaaten. Insgesamt würden neun der 15 Mitgliedstaaten Straßennutzungsgebühren verlangen. Lediglich vier Mitgliedstaaten (neben Spanien seien dies Frankreich, Italien und Portugal) hätten vom Umfang her eine vergleichbare gebührenpflichtige Straßeninfrastruktur. In den anderen Mitgliedstaaten würde nur für bestimmte Einzelstrecken oder einzelne Brücken bzw. Tunnel eine Maut erhoben. Fünf dieser Länder - darunter Frankreich - hätten die Maut nicht der Mehrwertsteuer unterworfen, weshalb gegen sie Vertragsverletzungverfahren eingeleitet worden seien. Die behauptete Wettbewerbsverzerrung sei nicht so bedeutend wie Spanien dies zu seiner Rechtfertigung vortrage.

19. Ein Mitgliedstaat könne sich darüber hinaus zur Rechtfertigung einer Vertragsverletzung nicht auf das rechtsfehlerhafte Verhalten anderer Mitgliedstaaten berufen.

20. Zu beachten sei auch, dass die Inrechnungstellung der Mehrwertsteuer es den Nutzern der Infrastruktur erlaube, von einem möglichen Steuerabzug Gebrauch zu machen, und dass dieses System daher die Neutralität der Steuer gewährleiste.

21. Die Kommission trägt weiter vor, Anhang H, Kategorie 5, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Bei der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" verpflichte sich der Steuerpflichtige, Personen bzw. Güter von einem Ort an einen anderen zu befördern. Im vorliegenden Fall würden jedoch Konzessionäre den Nutzern eine Straßeninfrastruktur, nämlich Autobahnen, zur schnelleren Fortbewegung zur Verfügung stellen. Selbst bei einer weiten Auslegung des Begriffes seien beide Fälle nicht miteinander vergleichbar.

22. Der wahre Grund für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes sei in der Forderung der Konzessionäre zu sehen, die Maut zu senken bzw. eine Erhöhung zu vermeiden.

23. Die spanische Regierung beruft sich zur Rechtfertigung ihres Vorgehens wie schon im Vorverfahren zum einen auf Wettbewerbsverzerrungen durch die unterschiedliche steuerliche Behandlung der Autobahngebühren in den Mitgliedstaaten und zum anderen auf Anhang H, Kategorie 5, der Sechsten Richtlinie.

24. Auch wenn die betreffende Dienstleistung - das Zurverfügungstellen einer Straßeninfrastruktur - in den einzelnen Mitgliedstaaten einen unterschiedlichen Umfang habe, so rechtfertige dies keine Wettbewerbsverzerrungen, die Marktteilnehmer benachteiligen würden.

25. Eine Ungleichbehandlung zu Ungunsten der spanischen Betreiber der Autobahnen im Fall der Anwendung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer lasse sich schon daran festmachen, dass eine große Anzahl von Nutzern nicht in der Lage wäre, einen Vorsteuerabzug geltend zu machen. Dadurch würde sich die erbrachte Dienstleistung verteuern, was negative Auswirkungen auf die Nachfrage habe, so dass die unterschiedliche steuerliche Behandlung zu einem Ungleichgewicht führe, weil die Betreiber in den anderen Ländern ihr Geschäftsvolumen ausweiten könnten.

26. Die spanische Regierung beruft sich darüber hinaus auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Kommission habe 1989 mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen andere Mitgliedstaaten eingeleitet, die diese Dienstleistungen nicht dem normalen Mehrwertsteuersatz unterworfen hatten; diese Verfahren seien jedoch anschließend bis Ende 1997 nicht weiter verfolgt worden. Spanien habe daher bei Erlass seines Königlichen Dekrets vom August 1997 nicht damit rechnen müssen, dass die Kommission hier doch noch weiter gegen die Mitgliedstaaten vorgehen werde. Durch die Aussetzung der jeweiligen Vertragsverletzungsverfahren sei zugunsten Spaniens ein Vertrauenstatbestand erwachsen.

27. Spanien habe durch sein Vorgehen, d. h. die Besteuerung mit einem herabgesetzten Steuersatz, drei Ziele erreichen wollen. Erstens hätten so die Folgen der Wettbewerbsverzerrung und die Ungleichbehandlung der Nutzer beschränkt werden können. Zweitens habe es sich um eine provisorische Maßnahme gehandelt, die so lange gelten sollte, bis eine endgültige Lösung auf Gemeinschaftsebene gefunden worden wäre. Dies habe man der Kommission auch so mitgeteilt. Drittens sei ein Vorgehen gewählt worden, das keinen Schaden für die Gemeinschaft verursacht habe; man habe einen ermäßigten Steuersatz angewandt, um Auswirkungen auf das System der Eigenmittel der Gemeinschaften zu vermeiden.

28. Hinsichtlich der Anwendbarkeit von Anhang H, Kategorie 5, der Sechsten Richtlinie trägt die spanische Regierung vor, sie habe diese Vorschrift nicht zu weit, sondern lediglich im Licht des Vertrages ausgelegt. Dieser schreibe den Grundsatz des Schutzes des freien Wettbewerbs vor. In Anbetracht der Lage vor Einführung des ermäßigten Steuersatzes sei es Spanien nicht nur erlaubt gewesen, die wettbewerbsverzerrenden Wirkungen zu mindern, es sei hierzu sogar verpflichtet gewesen.

V - Stellungnahme

29. Beim Zurverfügungstellen einer Straßeninfrastruktur durch Konzessionäre handelt es sich um eine der Mehrwertsteuer unterliegende Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie. Das Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Dienstleistung und dem Entgelt, der Maut, ist erfuellt.

30. Eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie liegt ebenfalls vor, zumal dabei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes von einem weiten Begriff unabhängig vom Zweck und dem Ergebnis der Tätigkeit auszugehen ist und sich die Dienstleistung nicht primär oder ausschließlich am Marktgeschehen oder am Wirtschaftsleben orientieren muss. Es reicht aus, dass sie tatsächlich in irgendeiner Weise mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängt, wobei die wirtschaftliche Realität zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall wird die Bereitstellung der Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut nach einem System von Konzessionen ausgeübt.

31. Da die Konzessionäre diese wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausüben, sind sie Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie. Sie üben diese Tätigkeit im eigenen Namen und nicht in Vertretung bzw. für Rechnung des Staates aus. Deshalb kann es auch dahinstehen, ob die Tätigkeit des Zurverfügungstellens einer Straßeninfrastruktur eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ist, für die der Staat als Ausübender gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie nicht als Steuerpflichtiger gelten würde.

32. Aus alldem folgt, dass es sich bei der fallrelevanten Tätigkeit um eine mehrwertsteuerpflichtige Dienstleistung handelt. Als Voraussetzung für die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes müsste es sich um eine Dienstleistung im Sinne des Anhangs H handeln.

33. Dem Vergleich der Dienstleistung der allgemeinen Bereitstellung einer Straßeninfrastruktur mit der in Anhang H, Kategorie 5, der Sechsten Richtlinie genannten Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" kann aber nicht gefolgt werden.

34. Eine gemeinschaftsrechtliche Definition dieses Begriffes findet sich in den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht. Um seine Bedeutung näher zu bestimmen, ist daher auf den Zusammenhang einzugehen, in dem er steht, wobei die Systematik der Sechsten Richtlinie zu berücksichtigen ist.

35. Dem Sinn und Zweck der Richtlinie und dem Wortlaut von Artikel 2 im Besonderen läßt sich entnehmen, dass das Grundprinzip der Richtlinie so zu verstehen ist, dass alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, wenn sie von einem Steuerpflichtigen gegen Entgelt erbracht werden, der vollen Mehrwertsteuer unterliegen, sofern sie nicht ausdrücklich befreit sind oder sofern nicht ein ermäßigter Steuersatz möglich ist. Die Ermäßigungs- und Befreiungsbestimmungen sind daher eng auszulegen, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip der Richtlinie darstellen.

36. Dies bedeutet also, dass sich im vorliegenden Fall der Begriff der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" anhand der gewöhnlichen Bedeutung zu orientieren hat. So kann zum einen nicht jeder Vertrag, der auch im weitesten Sinn Elemente einer Beförderung aufweist, automatisch unter diesen Begriff subsumiert werden. Dies würde zu einer weiten Auslegung der Steuerermäßigung führen, die gerade nicht gewollt ist. Voraussetzung ist also, dass in der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Konzessionären als Betreiber der Infrastruktur und den Nutzern beförderungsvertragliche Elemente überwiegen.

37. Die Bereitstellung einer Straßeninfrastruktur gegen Zahlung einer Maut erfuellt diese Voraussetzung aber nicht. Zwar wird die zu befahrende Strecke für eine bestimmte Dauer (Fahrtzeit) gegen Entgelt dem Nutzer zur Verfügung gestellt. Allerdings überwiegen hier nicht beförderungsvertragliche Elemente, da es dem Nutzer darauf ankommt, möglichst schnell und sicher eine bestimmte Strecke zu passieren. Eine Beförderung" wird von den Konzessionären aber gerade nicht vertraglich geschuldet. Diese bleibt Sache der jeweiligen Nutzer, die sich der gebührenpflichtigen Autobahnen lediglich zum Zweck der Fortbewegung und zum schnelleren und bequemeren Erreichen des Fahrziels bedienen.

38. Die Notwendigkeit der engen Auslegung ergibt sich auch aus einem Vergleich der übrigen 16 in Anhang H genannten Kategorien (siehe oben, Fußnote 4), die überwiegend Lieferungen und Dienstleistungen mit sozialem oder kulturellem Charakter betreffen oder sich auf Leistungen der allgemeinen Daseinsvorsorge beziehen.

39. Eine Gleichstellung der Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur zur schnellen und sicheren Fortbewegung und zur allgemeinen Mobilität mit der Personen- und Gepäckbeförderung würde die Anwendungsfälle des Anhangs H ausweiten und wäre damit eine nicht dem Sinn und Zweck der Richtlinie entsprechende Abweichung von der Grundregel der vollen Besteuerung.

40. Auf die weiteren von Spanien vorgebrachten Argumente für die Steuerermäßigung und die Rechtfertigungsgründe bräuchte deshalb eigentlich nicht mehr eingegangen zu werden. Sie sind im Übrigen auch nicht stichhaltig.

41. Die spanische Regierung rechtfertigt die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes mit angeblich bestehenden Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung der Maut in den Mitgliedstaaten.

42. Zunächst ist festzuhalten, dass zwischen den spanischen Autobahnbetreibern und denen anderer Mitgliedstaaten, in denen die Maut fälschlicherweise nicht der Mehrwertsteuer unterworfen wird, kein Wettbewerb besteht. Aufgrund der geographischen Lage wird kein spanischer Autofahrer auf eine eventuell billigere französische Autobahn ausweichen. Dass die Gewinnsituation der spanischen Konzessionäre gegebenenfalls eine schlechtere ist, ist eine andere Frage.

43. Eine Wettbewerbsverzerrung würde im konkreten Fall nur dann vorliegen, wenn z. B. nichtsteuerpflichtige staatliche Einrichtungen hinsichtlich einer gleichen Leistung mit einem steuerpflichtigen Privaten konkurrieren würden und deshalb ihre Dienstleistungen wegen der Steuerbefreiung billiger anbieten könnten. Zu diesem Punkt hat die spanische Regierung jedoch keine Tatsachen vorgetragen, die auf ein solches Konkurrenzverhältnis schließen ließen.

44. Auch die übrigen vom Königreich Spanien vorgebrachten Argumente hinsichtlich der Wettbewerbsverzerrungen sind nicht stichhaltig. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Richtlinie - ausweislich mehrerer Bestimmungen - auf inländische Vorgänge beschränkt. Eine Verletzung der Pflicht zur Gleichbehandlung mit Inländern ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht ersichtlich. Zum anderen beruhen die erwähnten Verzerrungsfälle - Unmöglichkeit des Vorsteuerabzugs einerseits bzw. Kostenvergünstigung andererseits - nicht auf der Nichtbesteuerung in anderen Ländern bzw. der Steuerpflicht in Spanien, sondern auf der falschen Rechtsanwendung anderer Mitgliedstaaten. Nach Klärung durch die Rechtsprechung werden die Mitgliedstaaten, in denen es eine gebührenpflichtige Straßeninfrastruktur gibt, die Mehrwertsteuer sicher in gleicher Weise erheben.

45. Auch wenn unstreitig Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Mehrwertsteuer auf Autobahngebühren bestehen, da in einigen Mitgliedstaaten der Normalsatz angewendet, in anderen hingegen keine Mehrwertsteuer erhoben wird, ist es nicht Sache der Mitgliedstaaten, durch einseitige Maßnahmen hier eine Nivellierung der Unterschiede herbeizuführen.

46. Durch die Sechste Richtlinie sollen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern harmonisiert werden. Damit sollte - so der neunte Erwägungsgrund - insbesondere die Anwendung des gemeinschaftlichen Satzes auf die steuerbaren Umsätze in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Aus dem harmonisierten Mehrwertsteuersystem ergibt sich somit insgesamt, dass den Mitgliedstaaten nur dort ein Handlungsspielraum verbleibt, wo dies in den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich vorgesehen ist.

47. Besteht für alle Mitgliedstaaten aber die Verpflichtung, auf eine Dienstleistung wie das Zurverfügungstellen einer Straßeninfrastruktur durch Konzessionäre den Normalsatz der Mehrwertsteuer anzuwenden, so ist es einem Mitgliedstaat im Rahmen der Sechsten Richtlinie verwehrt, zur Beseitigung von Unterschieden bei der Besteuerung, dem rechtsfehlerhaften Beispiel anderer zu folgen. Gerade die anderen Mitgliedstaaten sind ihrerseits verpflichtet, den der Sechsten Richtlinie entsprechenden Steuersatz anzuwenden.

48. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes kann sich ein Mitgliedstaat nicht mit Erfolg darauf berufen, dass andere Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen ebenfalls nicht nachgekommen seien.

49. Insofern kann sich die spanische Regierung zur Rechtfertigung ihres Verhaltens auch nicht auf die Verletzung der steuerlichen Neutralität berufen, zumal eine solche nicht vorliegt, und auch nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Zum einen hat die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien mit weniger als 15 Monaten (siehe oben, Nrn. 9 bis 15) zügig durchgeführt und zum anderen kann durch das rechtsfehlerhafte Handeln anderer Mitgliedstaaten kein wirksamer Vertrauenstatbestand geschaffen werden, der eigene Versäumnisse rechtfertigen würde. Die zugegebenermaßen unverständlich lange, mehrjährige Zwischenzeit zwischen der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens einerseits und der Klageerhebung andererseits in den fünf anderen genannten Rechtssachen (siehe oben, Nr. 26 und Fußnote 5 bei Nr. 17) könnte allenfalls dann Auswirkungen haben, wenn rückwirkende Nachzahlungen gefordert würden, was im vorliegenden Verfahren jedoch nicht der Fall ist.

50. Unerheblich ist auch - da auf die in Rede stehende Dienstleistung der Normalsatz der Mehrwertsteuer hätte angewendet werden müssen - das weitere Vorbringen der spanischen Regierung, es habe sich bei den einschlägigen spanischen Rechtsvorschriften lediglich um vorläufige Maßnahmen gehandelt, die darüber hinaus auf das System der Eigenmittel der Gemeinschaften keinen (negativen) Einfluss gehabt hätten.

51. Das Vorbringen der spanischen Regierung hinsichtlich der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ist somit insgesamt zurückzuweisen.

52. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Sechsten Richtlinie verstoßen hat, indem es auf die Dienstleistung der Zurverfügungstellung einer Straßeninfrastruktur einen ermäßigten Steuersatz angewendet hat.

VI - Kosten

53. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Spanien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

VII - Ergebnis

54. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen wird vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:

1. Das Königreich Spanien hat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 12 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - verstoßen, indem es auf die Dienstleistung der Zurverfügungstellung einer Straßeninfrastruktur durch Konzessionäre an die Verkehrsteilnehmer einen ermäßigten Steuersatz angewendet hat.

2. Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.