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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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61999C0267

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 29. März 2001. - Christiane Adam, verheiratete Urbing gegen Administration de l'enregistrement et des domaines. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'arrondissement de Luxemburg - Grossherzogtum Luxemburg. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Begriff des freien Berufes - Wohnungseigentumsverwalter. - Rechtssache C-267/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-07467


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Das Tribunal d'arrondissement Luxemburg (im Folgenden: Gericht) hat dem Gerichtshof mit Urteil vom 15. Juli 1999 zwei Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im Einzelnen ersucht das Gericht den Gerichtshof darum, sich zum Begriff des freien Berufes nach Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie zu äußern, insbesondere um feststellen zu können, ob die Tätigkeit der Wohnungseigentumsverwalter darunter fällt und auf diese Tätigkeit daher der ermäßigte Mehrwertsteuersatz anwendbar ist, der im luxemburgischen Recht für die freien Berufe vorgesehen ist.

Einschlägiger rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2. Was das Gemeinschaftsrecht betrifft, so ist, wie gesagt, im vorliegenden Fall die Sechste Richtlinie einschlägig. In deren Rahmen ist aus Gründen, die im Folgenden klar ersichtlich werden, zu unterscheiden zwischen

- der Regelung über die Ermäßigung der Mehrwertsteuersätze, die den luxemburgischen Rechtsvorschriften über die für Angehörige der freien Berufe geltenden Steuersätze zugrunde liegt, und

- der Regelung über die Mehrwertsteuerbefreiungen, die die Verweisung auf die freien Berufe enthält, die Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ist.

Die Regelung über die Ermäßigung der Mehrwertsteuersätze nach den Artikeln 12 Absätze 3 und 4 und 28 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie

3. Artikel 12 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie sah ursprünglich vor, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Lieferungen und bestimmte Dienstleistungen ermäßigten Mehrwertsteuersätzen unterwerfen konnten. Die Mitgliedstaaten hatten lediglich den Satz so [festzusetzen], dass es normalerweise möglich ist, von dem Mehrwertsteuerbetrag, der sich bei Anwendung dieses Satzes ergibt, die gesamte nach Artikel 17 abziehbare Mehrwertsteuer abzuziehen".

4. Diese Regelung wurde später zum Teil durch die Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG (Annäherung der MwSt.-Sätze) (im Folgenden: Richtlinie 92/77) geändert. Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie - in der Fassung des Artikels 1 Nummer 1 der Richtlinie 92/77 - sieht nunmehr vor: Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Die ermäßigten Sätze dürfen nicht niedriger als 5 % sein und nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar sein" (zu denen nicht die Dienstleistungen der Angehörigen der freien Berufe gehören). Artikel 28 (Übergangsbestimmungen") Absatz 2 der Sechsten Richtlinie - in der Fassung des Artikels 1 Nummer 4 der Richtlinie 92/77 - bestimmt ferner: Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1991 einen ermäßigten Satz auf Umsätze mit anderen als den in Anhang H aufgeführten Gegenständen und Dienstleistungen angewandt haben, können für solche Umsätze den ermäßigten Satz oder einen der beiden ermäßigten Sätze gemäß Artikel 12 Absatz 3 anwenden, sofern der Satz mindestens 12 % beträgt."

Die Regelung über die Mehrwertsteuerbefreiungen nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie

5. Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien" können. Zu diesen Umsätzen gehören nach Anhang F Nummer 2:

Dienstleistungen der Autoren, Künstler und Interpreten von Kunstwerken sowie Dienstleistungen von Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, mit Ausnahme der ärztlichen oder arztähnlichen Heilberufe, soweit es sich nicht um Leistungen im Sinne des Anhangs B der zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 handelt" (Hervorhebung von mir).

Die luxemburgische Regelung über die Mehrwertsteuersätze

6. Der luxemburgische Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, nicht von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie Gebrauch zu machen, um die vorstehend genannten Umsätze von der Mehrwertsteuer zu befreien. Er hat vielmehr von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ermäßigte Steuersätze festzusetzen, wie dies nach den Artikeln 12 Absätze 3 und 4 und 28 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie erlaubt ist.

7. Nach den Angaben im Vorlageurteil sah Artikel 40 Nummer 4 Buchstabe b des Gesetzes des Großherzogtums Luxemburg vom 12. Februar 1979 über die Mehrwertsteuer vor, dass für Tätigkeiten im Rahmen der Ausübung eines freien Berufes ein ermäßigter Satz von 6 % (anstelle des Normalsatzes von 15 %) in den Grenzen und unter den Bedingungen galt, die durch Großherzogliche Verordnung festgelegt waren.

8. Im Vorlageurteil heißt es ferner, dass nach Artikel 4 der Großherzoglichen Verordnung vom 7. März 1980 - zur Festlegung der Grenzen und Bedingungen für die Anwendung des ermäßigten Satzes gemäß dem genannten Artikel 40 des Gesetzes vom 12. Februar 1979 - unter den Begriff des freien Berufes die Tätigkeit des Rechtsanwalts, Notars, Gerichtsvollziehers, Vermögensverwalters, Ingenieurs, Architekten, Landvermessers, Prüfers, Technikers, Chemikers, Erfinders, Sachverständigen, Wirtschaftsprüfers, Tierarztes, Journalisten, Photoreporters, Dolmetschers oder Übersetzers und andere vergleichbare Tätigkeiten fallen.

9. Artikel 40 des Mehrwertsteuergesetzes wurde in der Folge durch Artikel 8 des Haushaltsgesetzes vom 20. Dezember 1991 geändert, in dem - seit 1993 - für Tätigkeiten im Rahmen der Ausübung eines freien Berufes ein Zwischensatz von 12 % festgesetzt ist; bezüglich dieser Tätigkeiten wurde in einer neuen Großherzoglichen Verordnung vom 21. Dezember 1991 das nicht abschließende Verzeichnis der Verordnung vom 7. März 1980 übernommen. Nach den Angaben der Kommission ist diese Änderung des Steuersatzes mit dem Erlass der gerade erwähnten Richtlinie 92/77 im Rahmen der Gemeinschaft in Zusammenhang zu bringen.

Die Tätigkeit des Wohnungseigentumsverwalters im Großherzogtum Luxemburg

10. Im Vorlageurteil wird weiter ausgeführt, dass nach dem Wohnungseigentumsgesetz vom 16. Mai 1975 die Miteigentümer einer oder mehrerer Immobilien zwingend eine Eigentümergemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit bilden.

11. Nach der Großherzoglichen Verordnung vom 13. Juni 1975 mit Maßnahmen zur Ausführung des Wohnungseigentumsgesetzes wird der Wohnungseigentumsverwalter von der Generalversammlung der Wohnungseigentümer bestellt; seine Aufgaben können von jeder natürlichen oder juristischen Person wahrgenommen werden. Der Verwalter sorgt für die Durchführung der Miteigentümersatzung und der Beschlüsse der Generalversammlung, verwaltet das Gebäude und sorgt für dessen Instandhaltung und Unterhaltung. In dringenden Fällen trifft er selbst die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung des Gebäudes. Er vertritt die Eigentümergemeinschaft gewöhnlich nach Ermächtigung durch die Generalversammlung gerichtlich und außergerichtlich.

Sachverhalt und Vorlagefragen

12. Frau Christiane Adam übt in Luxemburg die Tätigkeit einer Wohnungseigentumsverwalterin aus. In ihren Mehrwertsteuererklärungen für diese Tätigkeit für die Steuerjahre 1991 bis 1994 wandte sie den Steuersatz an, der im luxemburgischen Recht für die freien Berufe vorgesehen war, zu denen ihrer Auffassung nach die betreffende Tätigkeit zu zählen war.

13. Diese Auffassung wurde jedoch von der Administration de l'enregistrement et des domaines (Register- und Domänenverwaltung; die für die Mehrwertsteuer zuständige luxemburgische Behörde) nicht geteilt, die entsprechende Berichtigungen zur Anwendung des Normalsatzes von 15 % vornahm. Die Beschwerden von Frau Adam gegen diese Berichtigungen waren nicht erfolgreich; sie wurden vom Leiter der Behörde mit Bescheiden vom 11. und 15. November 1996 zurückgewiesen.

14. Frau Adam focht die Bescheide der Behörde deshalb beim Tribunal d'arrondissement Luxemburg an und machte geltend, dass ihre Tätigkeit den Charakter eines freien Berufes habe und aufgrund dieser Einstufung nach luxemburgischem Steuerrecht anstelle des Normalsatzes von 15 % ein ermäßigter Satz von 6 % für die Jahre 1991 und 1992 und ein Zwischensatz von 12 % für die Jahre 1993 und 1994 anzuwenden sei.

15. Bei der Prüfung dieser Frage hat das angerufene Gericht zunächst ausgeführt, dass das luxemburgische Mehrwertsteuerrecht zwar ein Verzeichnis der unter den Begriff des freien Berufes fallenden Tätigkeiten enthalte, nicht aber eine Definition dieses Begriffes. Da jedoch dieses Recht die Gemeinschaftsrichtlinien über die Mehrwertsteuer umsetze, müssten die luxemburgischen Rechtsvorschriften über den für die Tätigkeit der freien Berufe geltenden Steuersatz ... im Einklang mit den Gemeinschaftsvorschriften über die Mehrwertsteuer ausgelegt werden".

16. Im Einzelnen hat das Gericht ausgeführt, dass nach der Sechsten Richtlinie der Normalsatz" der Mehrwertsteuer von jedem Mitgliedstaat festgesetzt werde, dass Artikel 12 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaube, für bestimmte Dienstleistungen ermäßigte oder erhöhte Sätze festzusetzen, und dass schließlich die Übergangsbestimmungen des Artikels 28 Absatz 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten erlaubten, bestimmte in Anhang F aufgeführte Dienstleistungen, darunter die der Angehörigen der freien Berufe", weiterhin von der Mehrwertsteuer zu befreien.

17. Aufgrund eben dieser letztgenannten Verweisung hat das Gericht daher beschlossen, dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stellt der Begriff des freien Berufes in Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie des Rates 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern einen eigenständigen Begriff des Gemeinschaftsrechts dar?

Wenn diese Frage bejaht wird:

2. Bezieht sich der Begriff des freien Berufes auch auf die berufliche Tätigkeit eines Wohnungseigentumsverwalters?

Standpunkte der Verfahrensbeteiligten

18. Außer den Parteien des Ausgangsverfahrens haben die dänische Regierung und die Kommission Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Ihre Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

19. Sowohl die Administration de l'enregistrement et des domaines als auch die Kommission haben vorgetragen, dass die Gemeinschaftsvorschrift, um deren Auslegung ersucht werde, im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften die Ermäßigung der Mehrwertsteuersätze für die freien Berufe nach den Artikeln 12 Absätze 3 und 4 und 28 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie und nicht die Mehrwertsteuerbefreiungen nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und dem in der ersten Frage genannten Anhang F dieser Richtlinie beträfen. Während die luxemburgische Behörde daraus schließt, dass der Gerichtshof nicht für die Entscheidung über die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zuständig sei (und sich nur hilfsweise für eine Verneinung beider Fragen ausspricht), schlägt die Kommission vor, die Fragen des vorlegenden Gerichts dennoch zu beantworten, sei es auch nur, um festzustellen, dass die Bestimmung der einem ermäßigten Satz unterliegenden Umsätze in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, mit dem einzigen Vorbehalt, dass dabei der Grundsatz der Mehrwertsteuerneutralität zu beachten sei.

20. Frau Adams ihrerseits macht geltend, dass der Gerichtshof zuständig sei, da das Mehrwertsteuerrecht in ganz besonderem Maße gemeinschaftlich" sei. In der Sache bekräftigt sie, dass die Tätigkeit des Wohnungseigentumsverwalters als freier Beruf einzustufen sei.

21. Die dänische Regierung schließlich schlägt, ohne die Frage der Zuständigkeit des Gerichtshofes anzuschneiden, vor, die erste Frage dahin zu beantworten, dass der Begriff des freien Berufes nach Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie ein Begriff des Gemeinschaftsrechts sei, der jedoch im Licht des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten zu definieren sei. Folglich hält die dänische Regierung es nicht für erforderlich, die zweite Frage zu beantworten, macht allerdings hilfsweise geltend, dass diese zu bejahen sei.

Rechtliche Prüfung

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

22. Wie auch aus der Auseinandersetzung zwischen den Verfahrensbeteiligten hervorgeht, stellt sich in der vorliegenden Rechtssache meines Erachtens unbedingt die Vorfrage, ob die Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG gegeben sind. Zunächst ist also zu prüfen, ob die Gemeinschaftsvorschrift (Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie), um deren Auslegung ersucht wird, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich und daher die Befassung des Gerichtshofes, wie in Artikel 234 EG verlangt, für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts erforderlich ist.

23. Insoweit ist es bekanntlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ..., das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muss, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen".

24. Weiter ist bekannt, dass der Gerichtshof sich einen Spielraum zur Beurteilung der von den nationalen Gerichten vorgenommenen Bewertungen vorbehält und in diesem Rahmen gegebenenfalls auch die Zulässigkeit der Vorlage verneint. Insbesondere hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, dass er nicht über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage befinden [kann], wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht [oder] wenn das Problem hypothetischer Natur ist". Wenn sich somit heraus[stellt], dass die vorgelegte Frage für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht erheblich ist, ... muss der Gerichtshof feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann". Unter anderem aus diesem Grund hat der Gerichtshof seine Zuständigkeit verneint, wenn auf der Hand liegt, dass das Gemeinschaftsrecht auf den konkreten Sachverhalt weder unmittelbar noch mittelbar angewandt werden kann".

25. Dass im vorliegenden Fall, wie die beklagte Behörde und die Kommission geltend machen, die Gemeinschaftsvorschrift, um deren Auslegung ersucht wird, im Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist, lässt sich meines Erachtens schwerlich bestreiten und wird von den anderen Verfahrensbeteiligten auch nicht bestritten. Wie oben gesagt, betrifft das in Rede stehende luxemburgische Recht die Festsetzung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für die freien Berufe und keineswegs die Mehrwertsteuerbefreiungen nach Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie.

26. Dessen scheint sich das nationale Gericht im Übrigen sehr wohl bewusst zu sein, da es in seinem Vorlageurteil zutreffend zwischen der Regelung über die ermäßigten Sätze (die im vorliegenden Fall als Grundlage für das fragliche luxemburgische Recht dient) und der Regelung über die Mehrwertsteuerbefreiung unterschieden hat. Wie gesagt, misst das Gericht jedoch dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass das Mehrwertsteuerrecht die entsprechenden Gemeinschaftsrichtlinien umsetzt". Insbesondere scheine ausschlaggebend, dass die Gemeinschaftsregelung über die Mehrwertsteuerbefreiungen zwar im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, dass sie aber wie die im Ausgangsverfahren einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften auf den Begriff der freien Berufe verweise und beide Regelungen, auch wenn sie voneinander völlig unabhängig seien, den Bereich der Mehrwertsteuer beträfen. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit, die luxemburgischen Rechtsvorschriften über den für die Tätigkeit der freien Berufe geltenden Steuersatz ... im Einklang mit den Gemeinschaftsvorschriften über die Mehrwertsteuer [auszulegen]".

27. Zwar weiß ich zu würdigen, dass das luxemburgische Gericht bestrebt ist, seine Entscheidung im Gemeinschaftsrecht und den dazugehörigen Begriffen zu verankern, doch muss ich sagen, dass der Zusammenhang zwischen der im Ausgangsverfahren erörterten Frage und der Gemeinschaftsvorschrift, um deren Auslegung ersucht wird, mir recht bemüht und jedenfalls zu schwach erscheint, um daraus die Erheblichkeit der Vorlagefragen und damit die Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Entscheidung über diese Fragen herzuleiten.

28. Vor allem muss ich nochmals betonen, dass die Gemeinschaftsvorschrift, um deren Auslegung ersucht wird, zwar in derselben Richtlinie steht, sich aber gänzlich von den für das nationale Verfahren relevanten Vorschriften unterscheidet. Außerdem erlauben die Artikel 12 Absätze 3 und 4 und 28 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten zwar, auf bestimmte Tätigkeiten ermäßigte Sätze anzuwenden, doch fällt die Entscheidung, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und diese sind jedenfalls bei der Definition der betreffenden Tätigkeiten keineswegs verpflichtet, sich auf das Verzeichnis in Anhang F der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuerbefreiung zu beziehen. Daher besteht im vorliegenden Fall keine Möglichkeit, zwischen den nationalen Vorschriften über die einem ermäßigten Satz unterliegenden Tätigkeiten und den Vorschriften der Sechsten Richtlinie über die Umsätze, die befreit werden können, einen Auslegungszusammenhang herzustellen. Ein Zusammenhang kann offenkundig auch nicht auf den allgemeinen - ich möchte fast sagen, zufälligen - Umstand gestützt werden, dass die nationale Vorschrift und die Gemeinschaftsvorschrift beide die Mehrwertsteuer betreffen.

29. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen meine ich, dass im vorliegenden Fall auch nicht von einer Art mittelbarer Verweisung auf die Gemeinschaftsregelung (vorliegend Anhang F der Sechsten Richtlinie) in den betreffenden nationalen Vorschriften ausgegangen werden kann, wie dies vielleicht dem Vorlageurteil zwischen den Zeilen entnommen werden könnte. Ich möchte damit sagen, dass in dem hier geprüften Fall nicht die bekannte Rechtsprechung Dzozi angeführt werden kann, nach der sich [w]eder aus dem Wortlaut des Artikels 177 noch aus dem Zweck des durch diesen Artikel eingeführten Verfahrens ergibt ..., dass die Verfasser des Vertrages solche Vorlagen von der Zuständigkeit des Gerichtshofes ausschließen wollten, die eine Gemeinschaftsbestimmung in dem besonderen Fall betreffen, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaats auf den Inhalt dieser Bestimmung verweist, um die auf einen rein internen Sachverhalt dieses Staates anwendbaren Vorschriften zu bestimmen".

30. Ohne dass ich hier auf die Bedenken zu sprechen kommen möchte, die diese Rechtsprechung hervorrufen könnte, ist meines Erachtens ausgeschlossen, dass sie bei Sachverhalten wie dem hier geprüften angeführt werden kann. Das wird deutlich, wenn man das Urteil Kleinwort Benson heranzieht, in dem der Gerichtshof seine Zuständigkeit für die Auslegung einer Vorschrift des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen verneint hat, da es in dem betreffenden Fall darum ging, dem vorlegenden Gericht [zu] ermöglichen ..., nicht über die Anwendung dieses Übereinkommens, sondern über die Anwendung des nationalen Rechts des Vertragsstaats, dem dieses Gericht angehört, zu entscheiden". Diese Feststellung stützte sich nicht nur darauf, dass die vom Gerichtshof erbetene Auslegung nicht verbindlich gewesen wäre, sondern insbesondere auch darauf, dass die fraglichen Vorschriften des Übereinkommens als Muster genommen und nur zum Teil in der Rechtsordnung des betreffenden Staates wiedergegeben worden waren, nicht aber Gegenstand einer unmittelbare[n] und unbedingte[n] Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht" waren und daher nicht als solche in der genannten Rechtsordnung, und sei es auch außerhalb des Geltungsbereichs dieses Übereinkommens, anwendbar gemacht worden waren.

31. Zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangt man aber auch aufgrund der späteren Urteile Leur-Bloem und Giloy, in denen der Gerichtshof seine Zuständigkeit dagegen bejaht hat. Im erstgenannten Urteil hat er festgestellt, dass er gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat". In diesem Fall ist der Gerichtshof zuständig, weil der nationale Gesetzgeber, der eine bestimmte Gemeinschaftsvorschrift in innerstaatliches Recht umzusetzen hat, die Gemeinschaftsregelung mit Absicht und uneingeschränkt auf rein innerstaatliche Sachverhalte erstreckt hat.

32. Im Urteil Giloy hat der Gerichtshof dagegen festgestellt, dass, [w]enn sich ... nationale Rechtsvorschriften ... zur Regelung eines innerstaatlichen Sachverhalts nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen richten, um sicherzustellen, dass in vergleichbaren Fällen ein einheitliches Verfahren angewandt wird, ... ein klares Interesse der Gemeinschaft daran [besteht], dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern". Insbesondere hat der Gerichtshof seine Zuständigkeit in einem Fall bejaht, in dem die fraglichen Bestimmungen des nationalen Rechts in gleicher Weise - und bisweilen sogar gleichzeitig - sowohl auf Sachverhalte, die dem nationalen Recht unterliegen, als auch auf Sachverhalte angewandt werden, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen", mit der Folge, dass das nationale Recht [verlangt], dass die fraglichen nationalen Bestimmungen stets im Einklang mit [den einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften] angewandt werden". In diesem Fall folgt die Zuständigkeit des Gerichtshofes somit daraus, dass das nationale Recht verlangt, dass die in Gemeinschaftsvorschriften vorgegebene Regelung auf bestimmte innerstaatliche Sachverhalte angewandt wird.

33. In der vorliegenden Rechtssache verhält es sich jedoch ganz anders. Wie wir nämlich gesehen haben,

- wurde die luxemburgische Vorschrift über die Anwendung eines ermäßigten Satzes auf die Tätigkeiten im Rahmen der Ausübung eines freien Berufes von den staatlichen Stellen in diesem Land eigenständig erlassen und nicht, um eine spezielle Gemeinschaftsvorschrift in die innerstaatliche Rechtsordnung aufzunehmen. Um die einem ermäßigten Satz unterliegenden Tätigkeiten zu bestimmen, waren die betreffenden Stellen keineswegs verpflichtet, auf Gemeinschaftsvorschriften wie Artikel 28 Absatz 3 und Anhang F der Sechsten Richtlinie zu verweisen;

- hat die luxemburgische Regelung, um die einem ermäßigten Satz unterliegenden Leistungen zu bestimmen, weder unmittelbar noch mittelbar auf die Gemeinschaftsregelung verwiesen, die somit in der nationalen Rechtsordnung nicht anwendbar gemacht worden ist. Bei der Bestimmung der einem ermäßigten Satz unterliegenden Leistungen hat der luxemburgische Gesetzgeber die Vorschrift der Sechsten Richtlinie über die Mehrwertsteuerbefreiung auch nicht als Muster genommen;

- bedeutet der bloße Umstand, dass die Verweisung auf die freien Berufe sowohl in dem Verzeichnis der von der Mehrwertsteuer befreiten Tätigkeiten in Anhang F der Sechsten Richtlinie als auch in dem Verzeichnis der einem ermäßigten Satz unterliegenden Tätigkeiten in Artikel 40 des luxemburgischen Gesetzes vorkommt, sicherlich nicht, dass Letzteres, wenn auch nur zum Teil, die Formulierung einer Gemeinschaftsvorschrift wiedergeben sollte.

34. Im Ergebnis meine ich, dass in der hier dargestellten Situation eine Entscheidung des Gerichtshofes Gefahr liefe, rein hypothetisch oder abstrakt zu bleiben, da sie keinerlei Verbindung mit dem sachlichen und dem rechtlichen Kontext des Ausgangsverfahrens aufwiese. Die Definition des Begriffes des freien Berufes im Sinne des Anhangs F der Sechsten Richtlinie muss aber nach feststehenden Auslegungsgrundsätzen im Licht des Inhalts und Zweckes der Vorschrift erfolgen, in der dieser Begriff steht; sie kann nicht automatisch in das nationale Recht übernommen und verwendet werden, um einen entsprechenden Begriff in einer Vorschrift mit anderem Inhalt und Zweck zu definieren.

35. Aufgrund des Vorstehenden meine ich daher, feststellen zu können, dass die vom Tribunal d'arrondissement Luxemburg zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich sind und dass deshalb nicht die Voraussetzungen nach Artikel 234 EG gegeben sind, damit der Gerichtshof über die Auslegung des Begriffes der freien Berufe nach Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie entscheidet.

Zu den Vorlagefragen selbst

36. Sollte der Gerichtshof jedoch der Ansicht sein, dass er seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die vom Tribunal d'arrondissement Luxemburg vorgelegten Fragen bejahen muss, meine ich, dass sich die Antwort auf diese Fragen in den von mir vorstehend dargelegten Argumenten findet, die zu dem von der Kommission vorgeschlagenen Ergebnis führen. Mit anderen Worten, dem vorlegenden Gericht ist meines Erachtens zu antworten, dass Artikel 28 Absatz 3 und Anhang F der Sechsten Richtlinie die Umsätze betreffen, die von der Mehrwertsteuer befreit werden können, und nicht die Umsätze, die wie die den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildenden Umsätze einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen, und dass daher die Definition der letztgenannten Umsätze einschließlich des Begriffes der freien Berufe" eine Frage ist, die im vorliegenden Fall für das Gemeinschaftsrecht nicht erheblich ist, sondern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.

Ergebnis

37. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich Ihnen vor, festzustellen, dass der Gerichtshof für die Entscheidung über die vom Tribunal d'arrondissement Luxemburg zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nicht zuständig ist. Auf jeden Fall betreffen Artikel 28 Absatz 3 und Anhang F der Sechsten Richtlinie die Umsätze, die von der Mehrwertsteuer befreit werden können, und nicht die Umsätze, die wie die den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildenden Umsätze einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen; die Definition der letztgenannten Umsätze einschließlich des Begriffes der freien Berufe" ist daher eine Frage, die im vorliegenden Fall für das Gemeinschaftsrecht nicht erheblich ist, sondern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.